Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Natur als Grundlage der Moral Titel: Natur als Grundlage der Moral Stichwort: Zusammenfassung: teleologische Ethik; actio immanens; Herz (Mt 5.8); Zusammenhang zwischen Handeln und "Gesinnung" Kurzinhalt: ... der gute Wille oder die gute Gesinnung, wird gerade in erster Linie, fundamental und "objektiv" durch das geprägt, was der Mensch tut Textausschnitt: 312a Die sogenannte "teleologische Ethik" beruht auf physizistischer Grundlage. Deshalb zerstückelt sie das ganze Feld des sittlichen Handelns in "Güter", die wechselseitig in Konkurrenz stehen. Es fehlt jedoch eine Theorie darüber, welche Güter in einem solchen Konflikt "absolut", d. h. unantastbar sind, unbedingt berücksichtigt werden müssen, damit der menschlich-personale Sinn des Handelns überhaupt gewahrt bleibt. Dieser Sinn des menschlichen Handelns wird in der sogenannten teleologischen Ethik nirgends mit den Methoden einer philosophischen Ethik begründet. Begründungsfunktion übernimmt eine Theologie des "christlichen Propriums", theologische Positionen also, die - wie mir scheint: in illegitimer Weise - zur Lösung philosophischer Probleme herangezogen werden. (Fs)
312b Die Ethik ist jedoch eine eigenständige, von der Theologie und vom Glauben unabhängige philosophische Disziplin. Ihr Gegenstand ist der handelnde Mensch, seine innere Würde und operative Verwirklichung; es geht dabei nicht um die Realisierung von "Gütern", sondern um die Erwirkung des Gut-Seins des Menschen, um das gerecht-, starkmütig-, maßvoll-, treu-Sein usw. des Menschen. Es geht nicht darum, "Güter" zu bewirken, sondern zu bewirken, daß man im Vollsinne Mensch ist. (Fs)
312c Die sogenannte "teleologische Ethik" mißachtet diesen Primat des Menschen, denn es fehlt ihr der dazu nötige Rückbezug ihrer ethischen Methoden, Analysen und Aussagen auf eine Anthropologie. Aus diesem Rückbezug ergäbe sich die Zuordnung von menschlichen Handlungen und sittlichen Werten, und nur unter der Bedingung einer solchen anthropologisch fundierten Zuordnung, wie sie in der Ethik als Lehre von der sittlichen Tugend geleistet wird, existiert auch ein Begriff der menschlichen Handlung nicht als "natural event", sondern als sittliche Handlung. (Fs)
312d Im Begriff der sittlichen Handlung ist die wechselseitige Interdependenz und gegenseitige Durchdringung von "richtiger Handlungsweise" und "gutem Willen" (Gesinnung) eingeschlossen. Dies ist Ausdruck der Tatsache, daß sittliches Handeln eine actio immanens darstellt, ein Tun also, dem es spezifisch ist, daß seine Wirkung im Handelnden verbleibt. Handlungen sind immer auch Äußerungen innerer Gesinnung; sie sind aber nicht nur, im Sinne Schelers, "Träger" von sittlichen Werten, sondern sie sind selbst sittlicher Wert und damit auch gesinnungsprägend: Die Gesinnung wird von den Handlungsweisen mitgeprägt, hat aber selbst wiederum auf die Wahrung des genuinen sittlichen Sinnes menschlicher Handlungen prägende Kraft. Es besteht damit ein wechselseitig konstituierendes Verhältnis von innerem Willensakt und äußerem Handeln.1 (Fs)
312e Gerade in dieser Perspektive zeigt sich, daß es beim menschlichen Handeln um das Gut-Sein des Menschen geht. Es geht bei der Moral um das Innere, das Herz des Menschen. Dieses Innere, der gute Wille oder die gute Gesinnung, wird gerade in erster Linie, fundamental und "objektiv" durch das geprägt, was der Mensch tut. Gerade die Heilige Schrift erinnert an dieses grundlegende Proprium des sittlichen Handelns: Aus dem Herzen kommen nicht die "Werte", sondern ganz bestimmte Handlungen: "Aus dem Herzen kommen die schlechten Eingebungen: Mord, Ehebruch, Unzucht, Diebstahl, falsches Zeugnis, Lästerung. Das ist es, was den Menschen unrein macht" (Mt 15,19). Und es ist ja ebenfalls Matthäus, der uns in der sechsten Seligpreisung die tiefste, gerade teleologische Perspektive des solchermaßen verstandenen sittlichen Handelns aufzeigt: "Selig, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen" (Mt 5.8).2 (Fs)
Fußnote 62:
In diesem Zusammenhang ist die Reduktion aller praktischen Güter auf vorsittliche Güter die ausschlaggebende Vor- (und Fehl-)Entscheidung; denn alle diese Güter werden damit als "kontingent" und damit sittlich "relativ" betrachtet. Darin sieht F. BÖCKLE (Fundamentalmoral, a. a. O. S. 307) geradezu das "Hauptargument" für eine "teleologische Begründung" sittlicher Normen: "Ihr Hauptargument liegt im Hinweis, daß die unserem Handeln aufgegebenen Güter und Werte ausschließlich bedingte, geschaffene und damit begrenzte Güter oder Werte sind. Dann aber kann die sittliche Beurteilung des Handelns nur unter Berücksichtigung dieser Bedingtheit sowie unter Abwägung der eventuell konkurrierenden Güter erfolgen. Zwar ist der Mensch vom absoluten Grund des Sittlichen unbedingt gefordert, doch als kontingentes Wesen in einer kontingenten Welt kann er das ihn absolut anfordernde 'bonum' immer nur an und in den 'bona' verwirklichen, die als kontingente Güter oder Werte eben 'relative' Werte sind und als solche niemals a priori als der je größte Wert, der überhaupt nicht mit einem höheren konkurrieren könnte, ausgewiesen sind. Im Hinblick auf die bona bleibt daher je nur die Frage nach dem vorzugswürdigeren bonum möglich, und das heißt, jede konkrete kategoriale Entscheidung muß - um nichts fälschlich Kontingentes zu verabsolutieren - letztlich auf einer Vorzugswahl beruhen, in der nach Güter- und Wertprioritäten entschieden werden muß." In dieser Aussage wird die ganze Problematik, Schwäche und Inkonsistenz der sogenannten "teleologischen Ethik" deutlich; Inkonsistenz, weil jetzt plötzlich Güter und Werte (letztere sind ja auch für Teleologen nicht vor-sittlich) auf dieselbe Stufe des Kontingenten und Relativen gestellt werden. Die Schwäche des Arguments liegt darin, daß in jeder sittlichen Handlung das sittliche Gutsein der Person auf dem Spiele steht, und daß dieses Gutsein immer auch davon abhängt, was ich tue. Praktische Güter, die in einer sittlichen Handlung gewählt und verfolgt werden, sind nicht einfach "Dinge", mit denen man hantiert und kalkuliert. Die Sittlichkeit einer Handlung, in der die ganze Person involviert ist, ist jedoch immer ein absolutes und unbedingtes Gut, auch wenn es sich bei der Person um ein nichtabsolutes, sondern geschöpfliches Wesen handelt. Das ist deshalb so, weil der Mensch gerade im sittlichen Gutsein seine Beziehung zum Unbedingten und absoluten Grund jeder sittlichen Forderung - Gott - herstellt. In Bezug auf das im konkreten Handeln involvierte Gut-Sein kann es niemals ein eventuell "höheres" oder "konkurrierendes" Gut geben. Wer jedoch die Vorannahme akzeptiert, in unserem Handeln gehe es nur um vor-sittliche Güter, dem wird dieses Argument kaum plausibel erscheinen, weil er von Anfang an die Perspektive des Sittlichen, das "ethische Proprium", aus den Augen verloren hat.
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