Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Natur als Grundlage der Moral Titel: Natur als Grundlage der Moral Stichwort: Deontologie - Teleologie: falsche Disjunktion; x ist gut, es soll getan werden (deontologisch), weil ... (teleologisch) Kurzinhalt: Jede Ethik, insofern sie überhaupt mit diskursiven Begründungen arbeitet, ist notwendig "teleologisch"; und sie ist zugleich deontologisch, insofern sie ... Textausschnitt: 280c Es hat sich unterdessen eingebürgert, ethische Theorien in "deontologische" und "teleologische" einzuteilen. Ein deontologischer Typ von Ethik, so heißt es, beurteile die sittliche Qualität von Handlungen unabhängig von ihren Folgen; teleologische Ethik hingegen aufgrund ihrer Folgen, weshalb man im angelsächsischen Raum auch von "Consequentialism" spricht. (Fs) (notabene)
280d Es gibt wohl niemanden, der behaupten wollte, es gebe eine teleologische Ethik in "Reinkultur", d. h. ohne deontologische Elemente. Wenn wir uns auf die Teleologen unter den katholischen Moraltheologen beschränken, so vertreten sie allgemein die Meinung, daß das letzte Ziel allen menschlichen Handelns selbst nicht teleologisch begründet werden kann und daß, zweitens, auch teleologische Begründungen schließlich deontologisch (als "Pflicht") formuliert werden können. (Fs)
281a Ebenso wird jedoch behauptet, es gebe neben einer "milderen" Form von Deontologie, die auch beschränkt den Folgegesichtspunkt berücksichtige, eine "strengere" Form, die zumindest eine Zahl von Handlungen vollständig unabhängig von ihren Folgen sittlich qualifiziere; eine solche Theorie liege der traditionellen katholischen Moraltheologie, mit ihren absoluten Verboten, z. B. der Empfängnisverhütung, der Abtreibung, der Lüge u. a. m. zugrunde. (Fs) (notabene)
281b Die Unterscheidung von "teleologisch" und "deontologisch" scheint mir jedoch eine falsche Unterscheidung zu sein; und zwar nicht nur, wenn sie als vollständige Disjunktion gemeint ist, was ja nun wiederum eigentlich auch kein teleologischer Ehtiker unterstellen will. Sondern sie ist falsch als Unterscheidung zweier Typen der Normenbegründung. Denn "teleologisch" und "deontologisch" begründet nicht zwei Typen der Begründung von normativen Aussagen, sondern es handelt sich dabei um zwei verschiedene Ebenen des Umgangs mit solchen Aussagen, die sich sehr wohl auf ein und denselben Begründungstyp beziehen können. Zugespitzt formuliert: Jede Ethik, insofern sie überhaupt mit diskursiven Begründungen arbeitet, ist notwendig "teleologisch"; und sie ist zugleich deontologisch, insofern sie die Ergebnisse ihres Begründungs-Diskurses in normativen Aussagen als "das, was nun zu tun ist", festhält und dann auch in vielen Fällen für die Unbedingtheit dieses Sollens noch weitere Gründe anführt. (Fs) (notabene)
281c Ein "teleologischer" Ethiker würde sagen: Die Handlungsweise x ist gut, d. h. "soll getan werden", "ist meine Pflicht" (deontologische Formulierung), weil ... etc. (teleologische Begründung). Wie könnte man sich, im Unterschied dazu, einen sogenannten "deontologischen" Ethiker vorstellen, der sagt: "Handlung x ist immer, unter allen Unständen schlecht", ohne hinzuzufügen: "weil etc. ..."? (Fs)
281d Jene die behaupten, es gebe einen deontologischen Typ der Normenbegründung, unterstellen jedoch, der Deontologe spreche nur in Tautologien; er sage also: "x ist immer schlecht, weil man x nicht darf"; oder "weil x verboten ist"; oder "weil x dem Willen Gottes widerspricht", oder "weil ich zu x nicht berechtigt bin" usw. Zu behaupten, es gebe einen deontologischen Typ von Normenbegründung, bedeutet also, es gebe einen Typ der Normenbegründung, der lautet: "man darf x nie, weil x immer verboten ist"; das wäre jedoch, wie sicher klar ist, gar keine Begründung des Verbotes, sondern nur seine Darlegung in der Formulierung einer normativen Aussage. Auf dieser Ebene wäre dann aber auch eine "teleologische" Ethik deontologisch, denn teleologisch kann man ja Sätze bilden wie: "x ist immer schlecht, wenn x für alle Betroffenen immer schlechte Folgen hat". (Fs)
281e Genau letzteres ist nämlich mit einem "deontologischen" absoluten Verbotssatz gemeint: Wenn gilt: "x ist immer schlecht", so ist gemeint: "mit x ist eine Folge verbunden, die immer schlecht ist", oder: "Handlung x definiert sich geradezu durch eine (ihr immanente) Folge, die immer schlecht ist." Die sogenannten "Deontologen" unterscheiden sich von den sogenannten Teleologen nicht darin, daß sie die Folgen einer Handlung nicht berücksichtigen, sondern erstens darin, was sie überhaupt zu den "Folgen" einer Handlung rechnen, und zweitens in den Kriterien, gemäß denen sie die Folgen einer Handlung beurteilen. Genauer gesagt: Ein "Deontologe" argumentiert genau gleich teleologisch, aber er besitzt ein Kriterium für die Unterscheidung von Folgen, die für den sittlichen Wert einer Handlung konstitutiv sind und deshalb immer eintreten, und jenen anderen Folgen, für die dies nicht zutrifft. Und er besitzt dieses Kriterium deshalb, weil sein Begriff der Handlungsfolge einen anthropologischen Rückbezug besitzt. Der sogenannte Deontologe vermag, im Unterschied zum sogenannten Teleologen jene Folgen auszumachen, die für die sittlichen Qualifizierung, die "Definition" oder "Spezifizierung" einer Handlung konstitutiv sind. Er gelangt dadurch zum Aufweis von objektiv-sittlichen, d. h. den menschlichen Sinngehalt einzelner Akte überhaupt konstituierenden Folgezusammenhängen, die er von nicht-konstitutiven Folgen unterscheidet, in deren Gefüge solche Akte eingebettet sein können, sie aber nicht in ihrem fundamental menschlichen Sinngehalt konstituieren. (Fs) (notabene)
282a Wenn also behauptet wird, die Formulierung "x ist immer sittlich schlecht" sei spezifisch deontologisch, so unterstellt man dabei, wer das behaupte, meine damit, "x-Tun" sei folgenlos, - denn der "Deontologe" beurteile ja Handlungen unabhängig von ihren Folgen. Eine solche Behauptung ist jedoch absurd. Wer behauptet, "x ist immer schlecht" meint in Wirklichkeit nicht, "x-Tun" sei folgenlos, aber dennoch schlecht, und zwar aufgrund anderer Kriterien, sondern: x-Tun hat zur Folge, was durch die Berücksichtigung keiner anderen Folge in Kauf genommen werden kann: Nämlich die Zerstörung der konstitutiven Bedingungen für den fundamental menschlichen, bzw. sittlichen Sinngehalt des entsprechenden menschlichen Aktes. (Fs) (notabene)
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