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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: J. St. Mill - Utilitarismus: keine Analyse des Telos; Lust - das Gute (bonum rationis); Hedonismus - bonum humanum

Kurzinhalt: "pleasure is what every man desires" contra "bonum est quod omnia appetunt"; katholische Moraltheologen -> Utilitaristen

Textausschnitt: 279b Mill ist es insbesondere nicht gelungen, den Begriff des Guten als den Aspekt, unter dem alles erstrebt wird, von jenem der "Lust" zu differenzieren: das "Gute", als formeller Gegenstand (Ziel) jeden Strebens, bleibt, in der Tradition des Hedonismus, identifiziert mit jenem des "Lustbringenden".1 Daß das "Gute", als Gegenstand der Vernunft (bonum rationis), sich empirisch und psychologisch auch nicht unter dem Gesichtspunkt des "Lustbringenden" zeigen kann, fällt hierbei außer Betracht; und auch, daß das Lustbringende ("delectabile"), obwohl dem Guten zugehörig, nicht notwendigerweise intentionaler Gegenstand, sondern oft gerade nur ein Folgephänomen ist. Mill bleibt letztlich in der Idee befangen, daß die Vernunft ein reines Instrument ist und er übersieht ihren Telos-Charakter. Damit erhält das "praktisch Gute" und die sittliche Handlung selbst einen nur instrumentellen Charakter. Es kann Mill nicht gelingen, die sittliche Handlung als konsumtiven Bestandteil des Glücks zu begründen, obwohl er das versucht. (Fs)


279c Damit das hätte gelingen können, hätte der Utilitarismus den Begriff des sittlich Guten aufgrund einer anthropologischen Analyse des Telos definieren müssen; es wäre also darum gegangen, das wahrhaft Lustvolle vom nur scheinbar Lustvollen abzugrenzen. Dadurch wäre man auf einen anthropologisch fundierten Begriff des Glücks und der Tugend gekommen, und es wäre auch möglich geworden, Handlungen und ihren "Nutzen" anthropologisch, d. h. in ihrer konstitutiven Funktion bezüglich des Zieles, zu deuten. Dadurch wäre es gelungen zu erkennen, daß nicht das empirische Faktum "pleasure is what every man desires" das erste Prinzip ist, sondern "bonum est quod omnia appetunt". Dabei hätte sich der Begriff des wahrhaft Guten, von jenem des nur scheinbar Guten abgegrenzt, als spezifischer und praktischer Gegenstand der Vernunft, als "bonum rationis" gezeigt. Dann wäre der Utilitarismus allerdings nicht mehr "Utilitarismus"; denn er ist dies ja nicht aufgrund des Prinzips der "Utility", sondern wegen seines Begriffs des Glückes und der Identifizierung des Guten schlechthin mit dem "Lustvollen". (Fs)

279d Aristoteles war sich durchaus bewußt, daß das Phänomen der Lust (hedone) für die Ethik von entscheidender Bedeutung ist. Er erkannte mit aller Deutlichkeit, daß er das gute Handeln, und die Tugend insbesondere, mit Lust und Unlust zu tun hat. Das Gute, das immer auch ein "gut Scheinendes" ist, erscheint eben gerade auch als "Lustbringendes", "Angenehmes" oder "Nützliches", wobei dabei allerdings nur der Tugendhafte richtig urteilt.1 Die beiden Gefühle der Lust und Unlust "sind darum notwendig die Angelpunkte unserer ganzen Theorie. Denn es ist für das Handeln von größter Wichtigkeit, ob man in der rechten oder in der verkehrten Weise Lust und Unlust empfindet."2 (Fs)

280a Die Frage nach der Richtigkeit des Lustempfindens ist genau jene, die im klassichen Utilitarismus unbeachtet bleibt. Dieser verbleibt in einem naturalistisch-empiristischen Phänomenismus stecken; das Gleiche gilt für die Begriffe der "Folge" und des "Nützlichen": Was ist das wahrhaft Nützliche, weil wahrhaft Gute? Und welches sind die für das Glück konstitutiven Folgen einer Handlung im Unterschied zu anderen Folgen? Was ist überhaupt eine "sittliche", bzw. "menschliche Handlung"? Diese Fragen hat eine utilitaristische Ethik noch nie zu beantworten vermocht, und dies vermag auch die heutige "teleologische Ethik" nicht, die eben genau deshalb militaristisch ist. (Fs)

280b Als entscheidend kennzeichnend für jede Form von Utilitarismus erweist sich dabei das Fehlen eines metaphysisch und anthropologisch begründeten und aller "Nützlichkeit" selbst ein Kriterium anlegenden Begriffes des bonum humanum als das durch die sittliche Handlung im Menschen selbst erwirkten Guten. Deshalb ist die sogenannte "teleologische Ethik", wie sie von vielen katholischen Moraltheologen heute vertreten wird, eine "utilitaristische" Ethik. Man kann das leicht durch eine detaillierte Analyse verifizieren. (Fs)

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