Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Natur als Grundlage der Moral Titel: Natur als Grundlage der Moral Stichwort: Gerechtigkeit, Tugend - imago; Lüge, Abtreibung: Verkehrung des Willens; goldene Regel Kurzinhalt: Denn insofern dieser die Ordnung der Vernunft in seinem Streben und Handeln verläßt, zerstört er die Grundlage der zwischenmenschlichen Ordnung und aller Gerechtigkeit, ... Textausschnitt: 270a Gerade die Selbstverständlichkeit, mit der Thomas gewisse Argumentationen im Bereich der Gerechtigkeit vorträgt, beruht auf seiner tiefen Einsicht in die Struktur der imago im Menschen und der Tatsache, daß wir sie im "Du" genau gleich achten und lieben müssen, wie in uns selbst. Dieses Verhältnis der aequalitas, der Gleichheit, in den Strebungen des Willens, den äußeren Handlungen, gerade auch insofern sie auf äußere Güter bezogen sind, von Mensch zu Mensch herzustellen oder zu wahren, ist die eigentliche "ratio iustitiae". Sie wird, als erstes Prinzip des Naturgesetzes, durch die Erfahrung des anderen als, insofern er Mensch ist, mir Gleicher, schlagartig, intuitiv einsichtig, weil ich in ihm, aufgrund von vitaler, vor allem sprachlicher Kommunikation, dieselbe imago entdecke.1 (Fs)
270b Nur die Vernunft vermag die "proportio unius ad alterum", in der die Gerechtigkeit besteht, zu erfassen: "Ratio ordinat in alterum", sodaß die Gerechtigkeit in der Konformität des Willens mit dieser "ordinatio rationis" besteht.2 (Fs) (notabene)
270c Ungerechtes Handeln ist deshalb, gerade weil sich dadurch der Wille des Ungerechten von der Vernunft entfernt und also schlecht wird, der Grund für die Zerstörung der menschlichen Gemeinschaft und Kommunikation. Das sittliche Übel der Tötung Unschuldiger, wie z. B. bei der Abtreibung, oder der Lüge, liegt, insofern die ungerechte Handlung betrachtet wird, nicht primär im Tod des Unschuldigen oder der "Falschaussage" als solcher. Sondern in der Ungerechtigkeit oder der Verkehrung des Willens dessen, der so handelt. Denn insofern dieser die Ordnung der Vernunft in seinem Streben und Handeln verläßt, zerstört er die Grundlage der zwischenmenschlichen Ordnung und aller Gerechtigkeit, nämlich die Anerkennung und Liebe zur imago oder zur Herrschaft der Vernunft in sich selbst, was allein dem Menschen auch ermöglicht, diese imago im anderen zu entdecken, zu achten und zu lieben, und d. h.: der "ratio iustitiae" und der "proportio ad alterum" einsichtig zu werden und gerecht zu handeln. (Fs) (notabene) ____________________________
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