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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Erbsünde: natura pura - gefallene Natur; heilsgeschichtlich orientierte Moraltheologie - Rahner; Menschliche Natur als "Restbegriff"

Kurzinhalt: ... daß die "gefallene Natur" in sich selbst betrachtet und damit als Gegenstand der philosophisch-anthropologischen und auch ethischen Analyse nichts anderes als die menschliche Natur schlechthin ist,

Textausschnitt: 261b Die Präzisierung und der Aufweis des philosophisch-anthropologischen Äquivalentes des theologischen Begriffs einer "gefallenen Natur" scheint mir für die Integration der Lehre vom Naturgesetz in die Moraltheologie von allergrößter Wichtigkeit. Ich bin der Überzeugung, daß die Zusammenhänge in der Vergangenheit nur ungenügend reflektiert wurden und daß dies mit ein Grund für die Schwierigkeiten ist, die die heutige heilsgeschichtlich orientierte Moraltheologie mit dem Begriff "Naturgesetz" und "menschliche Natur" überhaupt hat. (Fs)

262a Viele Moraltheologen, und auch Dogmatiker, haben lange Zeit, wie mir scheint "gegen" den hl. Thomas, mit einer künstlichen Unterscheidung zwischen einer "reinen Natur" ("natura pura") und einer, bezüglich der ersteren in sich selbst weniger vollkommenen "gefallenen Natur" gearbeitet, ohne zu bemerken, daß die "gefallene Natur" in sich selbst betrachtet und damit als Gegenstand der philosophisch-anthropologischen und auch ethischen Analyse nichts anderes als die menschliche Natur schlechthin ist, und daß ihr "Gefallensein" lediglich eine heilsgeschichtliche, nicht aber eine metaphysisch-anthropologische Aussage über sie darstellt.1 Die Tragweite dieser Unterscheidung zeigt sich darin, daß mit ihrer Leugnung schon implizit gesagt ist, was viele heute auch explizit behaupten: Daß nämlich eine Analyse der menschlichen Natur überhaupt nur als theologisch-heilsgeschichtliche möglich sei. Karl Rahner hat dieser Auffassung vorgearbeitet, mit seiner, wie mir scheint, unzutreffenden Meinung, philosophische Anthropologie (d. h. die Kenntnis der menschlichen Natur) beruhe auf einer Verallgemeinerung empirischer Daten; in der Empirie finde sich aber nur der heilsgeschichtlich situierte Mensch, so daß man gar nicht ausmachen könne, was eigentlich zur menschlichen Natur unabhängig vom Einwirken der heilsgeschichtlich bedeutsamen Gnade bzw. der "Übernatur" gehöre. "Menschliche Natur" sei deshalb ein "Restbegriff" und was nun zur "Natur" des Menschen als Natur gehöre, sei gar nicht auszumachen. Deshalb wollte Rahner auch zwischen einer "reinen", von den Philosophen vergegenständlichten, aber de facto gar nicht existierenden, Natur und einem "faktischen Wesen" unterscheiden; Rahner erhebt also, in der Tradition von Baius, die heilsgeschichtliche Situation des Menschen zu einer (metaphysisch-anthropologischen) Aussage über die menschliche Natur.2 (Fs)

[...]

263b Die von Rahner eingeleitete Entwicklung führte schließlich zu einem völligen Zusammenbruch des Verständnisses des Natur-Begriffes, wie dies zum Beispiel in vielen heilsgeschichtlich orientierten moraltheologischen Ansätzen greifbar wird.1 Dies hat auch entsprechende Auswirkungen auf den Begriff der sittlichen Handlung und des ethischen Propriums: Dieses wird immer mehr mit jener "christlichen Moralität" überhaupt identifiziert, letztere geht dabei ihres Spezifikums verlustig und wird schlußendlich zu einer in theologische Begrifflichkeit gekleideten, rein menschlichen Moral. Die angebliche Christozentrik dieser Moral wird dann dazu verwandt, um überhaupt nur noch über den Menschen als Menschen zu sprechen.2[56] (Fs)


Fußnote 56:
D. h. die christologische "Kenosis" ersetzt die Wirklichkeit der in Christus realisierten "assumptio" der menschlichen Natur in die göttliche Natur; vgl. z. B. bei F. FURGER, 'Kenosis' und das Christliche einer christlichen Ethik. Eine christologische Rückfrage, in: K. DEMMER und B. SCHÜLLER (Hsg.), Christlich glauben und handeln, a. a. O. S. 96-111. Daß die Inkarnation, gemäß dem sog. athanasischen Glaubensbekenntnis, nicht eine "conversio Divinitatis in carnem", sondern eine "assumptio humanitatis in Deum" bedeutet, wird von Furger zwar nicht geleugnet, aber auch nicht berücksichtigt. Die Folge ist eine Reduktion des Christlichen auf das Menschliche. Als spezifisch christlich verbliebe nur noch das explizite Bewußtsein, daß diese reine Menschlichkeit sich in Jesus Christus geoffenbart habe. - In ihrer ganzen Radikalität offenbaren sich die Konsequenzen dieses christologisch mangelhaften Ansatzes dann in gewissen Formen von Befreiungstheologie.

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