Autor: Ratzinger, Josef Buch: Einführung in das Christentum Titel: Einführung in das Christentum Stichwort: frühe Kirche: Option für Philosophie, Logos gegen Mythos; Zusammenbruch der antiken Religion Kurzinhalt: Die Entscheidung der frühen Kirche für die Philosophie; Antike: Kluft zwischen Gott des Glaubens und Gott der Philosophen Textausschnitt: 1. Die Entscheidung der frühen Kirche für die Philosophie
126a Die Wahl, die im biblischen Gottesbild getroffen ist, musste im Aufgang des Christentums und der Kirche noch einmal wiederholt werden, sie muss es im Grunde in jeder geistigen Situation von neuem; sie bleibt immer ebenso Aufgabe wie Gabe. Die frühchristliche Verkündigung und der frühchristliche Glaube standen wiederum in einer göttergesättigten Umwelt und so noch einmal vor dem Problem, das Israel in seiner Ursprungssituation und in der Auseinandersetzung mit den Großmächten der exilischen und nachexilischen Zeit zugefallen war. Wieder galt es, auszusagen, welchen Gott der christliche Glaube eigentlich meinte. Die frühchristliche Entscheidung konnte freilich dabei an das ganze vorangegangene Ringen, besonders an dessen letztes Stück, an das Werk Deuterojesajas und der Weisheitsliteratur, an den Schritt, der in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments geschehen war, und schließlich an die Schriften des Neuen Testamentes, besonders an das Johannesevangelium, sich anschließen. Im Gefolge dieser ganzen Geschichte hat die frühe Christenheit ihre Auswahl und ihre Reinigung entschlossen und kühn vollzogen, indem sie sich für den Gott der Philosophen, gegen die Götter der Religionen entschied. Wenn die Frage aufstand, welchem Gott der christliche Gott entspreche, dem Zeus vielleicht oder dem Hermes oder dem Dionysos oder sonst einem, so lautete die Antwort: Keinem von allen. Keinem von den Göttern, zu denen ihr betet, sondern einzig und allein dem, zu dem ihr nicht betet, jenem Höchsten, von dem eure Philosophen reden. Die frühe Kirche hat den ganzen Kosmos der antiken Religionen entschlossen beiseite geschoben, ihn insgesamt als Trugwerk und Blenderei betrachtet und ihren Glauben damit ausgelegt, dass sie sagte: Nichts von alledem verehren und meinen wir, wenn wir Gott sagen, sondern allein das Sein selbst, das, was die Philosophen als den Grund alles Seins, als den Gott über allen Mächten herausgestellt haben - nur das ist unser Gott. In diesem Vorgang liegt eine Wahl und eine Entscheidung vor, die nicht weniger schicksalhaft ist und prägend für das Kommende, als es seinerzeit die Wahl von El und »jah« gegen Moloch und Baal und die Entwicklung beider zu Elohim und auf Jahwe, auf den Seinsgedanken hin, gewesen war. Die Wahl, die so getroffen wurde, bedeutete die Option für den Logos gegen jede Art von Mythos, die definitive Entmythologisierung der Welt und der Religion. (Fs) (notabene)
127a War diese Entscheidung für den Logos gegen den Mythos der richtige Weg? Um darauf Antwort zu finden, müssen wir alles im Auge behalten, was wir bisher über die innere Entfaltung des biblischen Gottesbegriffes bedacht haben, durch deren letzte Schritte der Sache nach bereits die Standortbestimmung des Christlichen in der hellenistischen Welt in diesem Sinn festgelegt war. Auf der anderen Seite ist es nötig zu beachten, dass die antike Welt selbst in sehr ausgeprägter Form das Dilemma zwischen Gott des Glaubens und Gott der Philosophen kannte. Zwischen den mythischen Göttern der Religionen und der philosophischen Gotteserkenntnis hatte sich im Lauf der Geschichte ein immer stärkeres Spannungsverhältnis entwickelt, das in der Mythenkritik der Philosophen von Xenophanes bis Platon in Erscheinung tritt, der geradezu mit dem Versuch umging, den klassischen homerischen Mythos abzuschaffen und ihn durch einen neuen, logosgemäßen Mythos zu ersetzen. Die heutige Forschung kommt dabei immer mehr zu der Einsicht, dass es eine ganz erstaunliche Parallele zeitlicher und sachlicher Art zwischen der philosophischen Mythenkritik in Griechenland und der prophetischen Götterkritik in Israel gibt. Beide gehen zwar von völlig verschiedenen Voraussetzungen aus und haben völlig verschiedene Ziele. Aber die Bewegung des Logos gegen den Mythos, wie sie sich im griechischen Geist in der philosophischen Aufklärung zugetragen hat, sodass sie schließlich auf den Sturz der Götter zutreiben musste, steht in einer inneren Parallelität zu der Aufklärung, die Propheten- und Weisheitsliteratur betrieben in ihrer Entmythologisierung der göttlichen Mächte zugunsten des alleinigen Gottes. Beide Bewegungen koinzidieren bei all ihrer Gegensätzlichkeit in dem Hinstreben auf den Logos. Die philosophische Aufklärung und ihre »physische« Betrachtung des Seins hat den mythischen Schein immer mehr verdrängt, freilich ohne die religiöse Form der Verehrung der Götter zu beseitigen. Die antike Religion ist denn auch an der Kluft zwischen Gott des Glaubens und Gott der Philosophen, an der totalen Diastase zwischen Vernunft und Frömmigkeit zerbrochen. Dass es nicht gelungen ist, beides in eins zu bringen, sondern dass in zunehmendem Maße Vernunft und Frömmigkeit auseinander getreten sind, Gott des Glaubens und Gott der Philosophen sich trennten, das bedeutete den inneren Zusammenbruch der antiken Religion. Die christliche hätte kein anderes Schicksal zu erwarten, wenn sie sich auf eine gleichartige Abschneidung von der Vernunft und auf einen entsprechenden Rückzug ins rein Religiöse einließe, wie ihn Schleiermacher gepredigt hat und wie er in gewissem Sinn paradoxerweise auch bei Schleiermachers großem Kritiker und Gegenspieler Karl Barth vorliegt. (Fs) (notabene)
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