Autor: Kauffmann, Clemens Buch: Leo Strauss zur Einführung Titel: Leo Strauss zur Einführung Stichwort: Platon: Naturrecht = Gerechtigkeit; politeia (das beste Regime) - Verfassung; gentleman Kurzinhalt: ... Erfüllung der natürlichen menschlichen Neigungen in höchstmöglichem Grade und in angemessener Reihenfolge; Textausschnitt: 197a Platon argumentiert aus dem Gegensatz zum Konventionalismus heraus für das Naturrecht. Nach der Interpretation von Strauss ist das Naturrecht auf der einen Seite mit der »Idee« der Gerechtigkeit, der Gerechtigkeit selbst, zu identifizieren. Gerechtigkeit ist dann gegeben, wenn jeder die ihm obliegenden Aufgaben sachgerecht erfüllt. Das gilt im Kleinen für die einzelnen Teile der menschlichen Seele und im Ganzen für das Individuum in der bürgerlichen Gesellschaft. Im Gegensatz zur konventionalistisch-hedonistischen These ist für das klassische Naturrecht das Gute nicht mit dem Angenehmen identisch. Der Ausgang der Überlegung beruht auf der Beobachtung, daß der Lust Bedürfnisse vorausgehen und die verschiedenen Formen von Lust im Hinblick auf die Verschiedenheit der Bedürfnisse zu erfassen sind. Dabei zeigt sich, daß es eine natürliche Ordnung von Bedürfnissen zwischen den unterschiedlichen Lebewesen gibt. Ein Esel hat andere Bedürfnisse als ein Mensch. Die natürliche Ordnung der Bedürfnisse weist ihrerseits auf die natürliche Verfassung der Lebewesen zurück. In ihr kommt das Was eines Wesens, seine ursprüngliche Gestalt, zum Ausdruck. Der besonderen Verfassung eines Lebewesens entspricht seine besondere Lebensweise, sein besonderes Werk. Die Vervollkommnung des Lebewesens und seine gute Beschaffenheit hängen davon ab, ob es der ihm zukommenden Weise gemäß lebt und sein besonderes Werk erfüllt. Dann ist es »in Ordnung«. Die menschliche Seele besteht aus drei unterschiedlichen Teilen (Vernunft, Mut und Begehren). Der Mensch in seiner Einheit ist gerecht, wenn jeder Seelenteil die ihm obliegenden Funktionen gut erfüllt. Dann ist er gesund und »in Ordnung«, wie ein Staat insgesamt »in Ordnung« ist, wenn alle seine Teile gut aufeinander abgestimmt funktionieren. Jeder Teil muß seine spezifische Tauglichkeit entfalten und zu der ihm eigenen Vollkommenheit gelangen. Ein guter Mensch lebt gemäß seiner natürlichen Verfassung und folgt denjenigen Bedürfnissen und Neigungen, die ihm nach der natürlichen Ordnung zukommen. Der Begriff des Guten hört, so verstanden, auf, ein Begriff der moralischen Tugend zu sein, deren Wirkungskreis die politische Sphäre ist. Nach dem Verständnis Platons ist die hierarchische Ordnung der natürlichen Verfassung des Menschen die Grundlage des Naturrechts im weiteren Sinn. Hier spielt die Unterscheidung zwischen Körper und Seele hinein, die man nur auf Kosten von Selbstwidersprüchen leugnen kann. Das besondere Kennzeichen der menschlichen Seele liegt in ihrer Befähigung zu Sprache und Vernunft, zum »logos«. Gemäß der maßgeblichen natürlichen Ordnung der Bedürfnisse ist es das besondere, in einer Tätigkeit begründete Werk der vernunftbegabten Seele, worin das Gut für den Menschen liegt. Das gute Leben schlechthin, worauf sich die Grundfrage aller Philosophie richtet, besteht in der Erfüllung der natürlichen menschlichen Neigungen in höchstmöglichem Grade und in angemessener Reihenfolge. Das gute Leben ist das wohlbedachte Leben, in dem die beste Fähigkeit des Menschen zu vollkommener Tauglichkeit entfaltet wird. Die Regeln, die den allgemeinen Charakter des guten Lebens umschreiben, sind nach der Interpretation von Strauss im weiteren Sinn das »Naturgesetz«.1 (Fs) |