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Autor: Kauffmann, Clemens

Buch: Leo Strauss zur Einführung

Titel: Leo Strauss zur Einführung

Stichwort: Aristophanes, Xenophon, Sokrates; das Politische sui generis; Verhältnis: Politik - Philosophie; Weiheit - Gesetz; Verwässerung der Weisheit durch Zustimmung

Kurzinhalt: Man kann sagen, daß Sokrates' Analyse des Politischen beim Phänomen des Gesetzes beginnt, ...; Es kommt also darauf an, den Status des Politischen gegenüber dem Status der Philosophie zu klären

Textausschnitt: 175A Die Komödie des Aristophanes hat die Unterscheidung zwischen Natur und Gesetz zur Voraussetzung, sie basiert mithin auf Philosophie. Sie versteht es aber anders als diese, aufgrund ihrer musischen und erotischen Begeisterung Einfluß auf die Gesellschaft zu nehmen. Nach ihrem Selbstverständnis ist die Dichtung folglich die Grundlage und der Schlußstein der praktischen Weisheit, innerhalb deren die Philosophie ihren Platz finden kann. Die Dichtung vermag die Philosophie zu schützen und zu vollenden. Dem Anspruch des Aristophanes muß Xenophon widersprechen, wenn er die Unabhängigkeit und die Würde der Philosophie sichern möchte. Das Problem des Sokrates nimmt bei ihm folglich eine andere Gestalt an. Sokrates ist sich der politischen Problematik der Philosophie absolut bewußt, wie sich in der Gegenüberstellung des politischen und des philosophischen Lebens und ihrer Abwägung gegeneinander zeigt. Seine politische Philosophie besteht im wesentlichen in einer Verhältnisbestimmung der beiden Bereiche zueinander. Die philosophische Einsicht von der noetischen Heterogenität des Ganzen führt zunächst zu der Erkenntnis, daß das Politische sui generis ist. Das Politische ist ein eigener Bereich des Seienden und kann als solcher nicht auf etwas Unpolitisches reduziert werden. Das heißt, daß man den Anspruch der Polis auf Gesetzestreue und den Glauben an die Götter, die von der Stadt verehrt werden, anerkennen und respektieren muß. Das heißt aber nicht, daß der Anspruch der Polis darauf, die höchste Autorität zu sein, gerechtfertigt ist. Denn dies würde bedeuten, daß Gerechtigkeit im rechtlichen Sinne der wahren Tugend, der »translegalen« Gerechtigkeit, überlegen wäre. Es würde bedeuten, daß der Anspruch der Philosophie, die wahre Antwort auf die Frage nach dem richtigen Leben geben zu können, nichtig wäre. Es kommt also darauf an, den Status des Politischen gegenüber dem Status der Philosophie zu klären. »Das Urteil über den Status des Politischen wird von dem Ergebnis der Analyse des Politischen abhängen. Man kann sagen, daß Sokrates' Analyse des Politischen beim Phänomen des Gesetzes beginnt, denn Gesetze scheinen das spezifisch politische Phänomen zu sein.« Die Existenz der Polis hängt von der Gesetzestreue ihrer Bürger ab. Gerechtigkeit im Sinne von Gesetzestreue ist somit die politische Tugend schlechthin. Auch scheint die Legitimität politischer Herrschaft an die Existenz von Gesetzen gebunden zu sein. Legitime Herrschaft ist Herrschaft der Gesetze, nicht Herrschaft nach der Willkür einzelner oder der Menge. Die entscheidende Frage aber ist, wie die Gesetze zustande kommen, denn die an die Gesetze gebundenen Herrscher sind ja zugleich Gesetzgeber, und es kommt darauf an, daß sie gute Gesetze machen. Die Unterscheidung von legitimen und nicht-legitimen Regimen verändert sich also zu der Unterscheidung zwischen guten und schlechten Regimen. Wenn aber die entscheidende Eigenschaft eines guten Gesetzgebers Weisheit ist, dann wird das gute Regime die Herrschaft der Weisen sein. Ein berechtigter Herrschaftsanspruch kann folglich nur auf Wissen gegründet werden. Das Wissen jedoch erhebt den Weisen über das Gesetz. (Fs)

»Der Mann von der höchsten politischen Weisheit ist jedem Gesetz überlegen, nicht nur weil er allein der Ursprung ausgezeichneter Gesetze sein kann, sondern gleichfalls weil er eine Flexibilität hat, die Gesetzen, wie weise sie auch immer sein mögen, notwendigerweise fehlt. Der Mann von der höchsten politischen Weisheit ist ein sehendes Gesetz, wohingegen jedes eigentliche Gesetz in einem gewissen Ausmaß blind ist. Die Gerechtigkeit des wahren Herrschers kann deshalb nicht in Gesetzestreue oder rechtlicher Gerechtigkeit bestehen. Er muß von einer translegalen Gerechtigkeit geleitet sein, von der Gewohnheit, menschlichen Wesen zu nützen, ihnen zu helfen, so gut wie möglich zu werden und so glücklich wie möglich zu leben.«

177a Die politische Kunst überschreitet, wenn sie zur Vollkommenheit gebracht ist, die Gesetze. Sie ist nicht am konventionellen Nomos ausgerichtet, sondern am Naturrecht. Zwar taucht der Begriff des Naturrechts als solcher bei Xenophon nicht auf, durchaus aber der Begriff des ungeschriebenen Gesetzes. Das ungeschriebene Gesetz setzt sich selbst durch, insofern seine Durchbrechung den Gesetzesbrecher ohne jeden menschlichen Eingriff bestraft. Die in der menschlichen Natur angelegte Ordnung ist der Maßstab der höchsten politischen Kunst. Nach der Analyse des Politischen bei Xenophon, die im wesentlichen mit der Analyse Platons übereinstimmt, scheint das politische Problem durch die Herrschaft der Weisen gelöst werden zu können. Andererseits aber zeigt sich erst an diesem Punkt die eigentliche Dimension des politischen Problems. Der Weise kann nur kraft seiner Weisheit herrschen, das heißt, er ist darauf angewiesen, daß die Nicht-Weisen seine Weisheit und den mit ihr verbundenen Herrschaftsanspruch anerkennen. Doch ist dem eine natürliche Grenze gesetzt. Die Überredungskunst des Weisen allein wird nicht ausreichen, seine Herrschaft zu sichern, und Gewaltmittel müssen für das beste Regime ausgeschlossen werden. In der Realität wird der Weise folglich nur indirekt herrschen können, wobei sich zeigt, daß die indirekte Herrschaft wiederum die Herrschaft der Gesetze sein wird, auf deren Zustandekommen der Weise in irgendeiner Form Einfluß nehmen kann. »Mit anderen Worten, die unbegrenzte Herrschaft unverwässerter Weisheit muß durch die Herrschaft einer Weisheit ersetzt werden, die durch Zustimmung verwässert ist.« Um die »Blindheit« der Gesetze auszugleichen, müssen ihre Interpretation und Ausführung von kompetenten Bürgern, vom Staatsmann durchgeführt werden. Die Analyse des Politischen führt mithin zu einem politischen Kompromiß, der deshalb nötig wird, weil das politische Leben in jeder Hinsicht mehr oder weniger unvollkommen ist. Somit kann aus der Analyse des Politischen ein Urteil über den Status des Politischen gewonnen werden. (Fs)

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