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Autor: Kauffmann, Clemens

Buch: Leo Strauss zur Einführung

Titel: Leo Strauss zur Einführung

Stichwort: Philosophie: esoterisch - exoterisch; Philosopie - Meinung; Sokrates; Popularisierung der Philosophie

Kurzinhalt: Die Gefährdung des Philosophen durch die Gesellschaft wird an der Person des Sokrates manifest. Die Gefährdung ist also eine wechselseitige.

Textausschnitt: 138a ... So wurde er zum Wiederbegründer der Kunst sorgfältigen Schreibens und Interpretierens gegenüber einer den Intentionen der Philosophen äußerlich bleibenden, philosophiegeschichtlichen Tradition. Die Wiederentdeckung der Technik esoterischen Schreibens wurde für Strauss nicht nur im Hinblick auf die Interpretation bestimmter Texte aus der Geschichte der Philosophie, sondern für seine Konzeption politischer Philosophie insgesamt wichtig. Die Strausssche These lautet zusammengefaßt folgendermaßen: Philosophie oder Wissenschaft ist der Versuch, Meinungen durch Wissen zu ersetzen. Nun ist aber die Meinung diejenige kognitive Ebene, auf der das Selbstverständnis der Gesellschaft und die Orientierung des politischen Lebens angesiedelt sind. Weil die Philosophie ihrer Idee nach kritisch ist, gefährdet sie die Gesellschaft insgesamt durch Auflösung ihrer kognitiven Basis. Letztlich aber ist die Tätigkeit des Philosophen transsozial, weshalb er die Meinungen, auf denen die Gesellschaft, in der er lebt, beruht, in der Regel respektieren wird. Das heißt weder, daß er sie als wahr anerkennen, noch daß er sich ihnen beugen soll. Es bedeutet nur, daß er die philosophischen Thesen, die die Stabilität der Gesellschaft gefährden könnten, in einer Weise darstellt, die keine desintegrierende Wirkung für das intellektuelle Niveau der elementaren Meinungen und Glaubensinhalte zeigt. Philosophen oder Wissenschaftler, die diese Ansicht über das Verhältnis zwischen Philosophie und Gesellschaft teilen, bedienen sich einer besonderen Kunst des Schreibens, die es ihnen ermöglicht, dem sehr eingeschränkten philosophisch begabten Kreis der Öffentlichkeit die Wahrheit mitzuteilen, ohne die uneingeschränkte Verpflichtung der Menge auf die Meinungen, auf denen die Gesellschaft ruht, zu gefährden. Sie unterscheiden mithin zwischen einer esoterischen, verdeckt mitgeteilten wahren Lehre und der gesellschaftlich nützlichen exoterischen Lehre an der Oberfläche eines Textes. Während diese jedermann zugänglich ist, erschließt sich jene nur den sehr sorgfältigen und gut ausgebildeten Lesern nach langem und konzentriertem Studium.1 (Fn)

141A Philosophie kann in diesem Spannungsverhältnis auch den entgegengesetzten Weg gehen und sich durch massenwirksame Aufklärung der gesellschaftlichen Autorität entgegenstellen. Dies scheint die Möglichkeit zu sein, welche die moderne politische Philosophie für sich ins Auge gefaßt hat. Sie gerät dadurch allerdings in eine doppelte Gefahr, einmal in die Gefahr der politischen Verfolgung und andererseits in die Gefahr, sich durch Popularisierung in einer Weise zu veräußern, daß ihr streng auf Wissen ausgerichteter Charakter verwässert wird, weil sich anspruchsvolle Wahrheiten der breiten Öffentlichkeit nicht vermitteln lassen und man sie deshalb auf das weniger gefestigte Niveau der Meinung zurückführen muß. Die Neutralisierung der modernen Philosophie ist für Strauss eine natürliche Folge ihrer Popularisierung seit der Aufklärung. Die Reduzierung der Wertmaßstäbe des politischen Lebens seit Machiavelli ist, so verstanden, eine Konsequenz des Drucks der Gesellschaft, die öffentliche Meinung nicht durch anspruchsvolle Wahrheiten zu belasten. Der Versuch, Philosophie und Politik miteinander zu versöhnen, geht auf Kosten der philosophischen Substanz. Philosophie ist in »Kultur« integriert worden. Die Unterscheidung zwischen Natur und Konvention wurde durch die Unterscheidung von Natur und Geschichte ersetzt. (Fs)

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