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Autor: Kauffmann, Clemens

Buch: Leo Strauss zur Einführung

Titel: Leo Strauss zur Einführung

Stichwort: Aufklärung: Religionskritik; philosophische Religionskritik: viele Arten (Epikur, Alfarabi, Spinoza)

Kurzinhalt: ... die Orthodoxie mittels des Spottes aus ihrer Stellung »herauszulachen« ...; Die Aufklärung wandte sich folgerichtig von der theoretischen Auseinandersetzung ab und versuchte die Orthodoxie praktisch zu überwinden

Textausschnitt: 135a Gegenüber der politischen Moderierung der Spannung zwischen Religion und Philosophie versuchte die Aufklärung vor allem in Gestalt der spinozistischen Religionskritik die Offenbarung aufgrund der Schrift zu widerlegen. Der Rekonstruktion dieses Versuchs diente die Religionskritik Spinozas von 1930. Strauss zeigt vor allem, daß der Kampf der Aufklärung gegen die Orthodoxie aus zahlreichen theoretischen Gründen scheitern mußte. Da den radikalen Aufklärern die Unwiderlegbarkeit der Orthodoxie durchaus bewußt war und weil der Geist der positiven Wissenschaft die gemeinsame Grundlage von Weisheit und Offenbarung verlassen hatte, bestand die »Widerlegung« hauptsächlich in dem Versuch, die Orthodoxie mittels des Spottes aus ihrer Stellung »herauszulachen«. Das gespielte Selbstbewußtsein konnte Strauss aber nicht darüber hinwegtäuschen, »daß diese ihr eigentümliche, geschichtlich so wirksame Kritik das Zentrum der Offenbarungs-Religion nicht erreicht, sondern nur Kritik von den Konsequenzen her ist und daher fragwürdig ist«. Die Aufklärung wandte sich folgerichtig von der theoretischen Auseinandersetzung ab und versuchte die Orthodoxie praktisch zu überwinden. Sie wollte zeigen, daß die Welt ohne die Annahme eines unergründlichen Gottes und ohne die Lebensführung durch die Offenbarung völlig verständlich und vollkommen beherrschbar ist. Sie wollte die Orthodoxie durch das Gelingen ihres irdischen Systems widerlegen. Tatsächlich aber war die Kritik der Aufklärung nur defensiv erfolgreich im Beweis der Unerkennbarkeit von Wundern unter den Voraussetzungen der neuen Naturwissenschaft, die damit zum eigentlichen Rechtsgrund der Aufklärung wird. Wie aber kann die Aufklärung ihre defensive Haltung begründen? Verschenkt sie nicht willkürlich eine Dimension, die dem Menschen durch Glauben zugänglich ist? Wendet sie sich gegen die Offenbarung, weil sie die Glaubenswahrheit nicht sehen will oder nicht sehen kann? Ist es überhaupt möglich, bei einer defensiven Kritik stehenzubleiben, wenn die Offenbarung die Weisheit immerfort in Frage stellen wird? Der Dialog zwischen Vernunft und Offenbarung konnte geführt werden und die westliche Kultur tragen, solange er theoretisch blieb. Da beide in ihrer Gutheißung der überkommenen Moral übereinstimmten, konnte auch die Politik eine ruhige Entwicklung nehmen. Keiner der beiden Antagonisten sollte politische Macht für sich beanspruchen und den Dialog auf diese Weise für sich entscheiden wollen. Die Herrschaft sektiererischer religiöser oder philosophischer Autoritäten in der nachklassischen Zeit hat stets zur Tyrannei geführt. Hier liegen die Gefahren, welche die Aufklärung durch die praktische Überwindung der Offenbarung mit sich führt.1 (Fn)


136a Die philosophische Religionskritik zeigt sehr unterschiedliche Facetten, wobei im Kern nur der Platonismus eine Rechtfertigung der Philosophie gegenüber den Ansprüchen von Politik und Religion erreichen kann. Epikur steht für eine Tradition der Religionskritik auf hedonistischer Basis, die sich nicht politisch versteht und folglich die Theologie nur widerlegen möchte, insoweit sie die fundamentalen Beunruhigungen und Befürchtungen des menschlichen Lebens schürt. Die Analyse Spinozas verdeutlicht die theoretischen Schwierigkeiten eines an universale Leistungsfähigkeit der menschlichen Vernunft glaubenden Befreiungsversuchs von religiösen Vorurteilen. Die Platoniker des mittelalterlichen jüdischen und islamischen Rationalismus machen dagegen deutlich, wie auch angesichts einer möglichen Insuffizienz der menschlichen Vernunft die Verteidigung des philosophischen Lebens als der humanisierenden Suche nach der Wahrheit aufgebaut werden kann. Die Schwierigkeiten der drei Positionen machen klar, daß das fundamentale Problem des Verhältnisses zwischen Philosophie und Religion ein moralisch-politisches Problem ist und als ein solches behandelt werden muß. Die Notwendigkeit der Philosophie kann gegenüber dem Gehorsamsanspruch der Religion nur aus einer teleologischen Perspektive unter dem Gesichtspunkt der menschlichen Vollkommenheit vertreten und politisch gesichert werden. Machiavellis Religionskritik beruht demgegenüber auf einer Reduzierung des moralischen Anspruchs im Interesse einer auf Wirkung bedachten, »realistischen« politischen Philosophie, die das Christentum ebenso wie die klassische Philosophie für eine moralische Einengung der menschlichen Möglichkeiten verantwortlich macht und mit beiden in einem Zug bricht. Die einzig angemessene und tragfähige Rechtfertigung des philosophischen Lebens bietet deshalb das sokratisch-platonische Naturrecht. (Fn)

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