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Autor: Kauffmann, Clemens

Buch: Leo Strauss zur Einführung

Titel: Leo Strauss zur Einführung

Stichwort: Epikur, Lukrez ; Religionskritik - Hedonismus; Zweck der Wissenschaft; radikal unpolitisch; Hobbes

Kurzinhalt: Wenn Strauss von »Epikureertum« spricht, dann meint er damit diese spezifische Form des Hedonismus, die nicht auf Lust schlechthin, sondern auf Sicherung der Lust bedacht ist

Textausschnitt: 124a Die klassische Religionskritik ist bei Epikur formuliert. Sie gilt den politischen Göttern, die von einer Stadt per Gesetz im Kult institutionalisiert werden, um ihre Lebensweise, das Regime und die angestammten Bräuche mit heiliger Autorität zu versehen. Insofern besteht ein Unterschied zur späteren Religionskritik vor allem des 17. Jahrhunderts, die durch Einflüsse von Averroes und Machiavelli geprägt wurde. Der Epikurismus unterscheidet sich von diesen beiden Strömungen weiterhin dadurch, daß sie im Namen des theoretischen Lebens und der »virtu« auftraten, während sein Motiv, die Ataraxie oder »Ruhe und Schreckenlosigkeit des Lebens«, »sich ursprünglich durch den Gegensatz zur Religion« bestimmt. Die Religionskritik war, wie Strauss ausführt, das unmittelbare Wollen und Ziel der Philosophie Epikurs, um die Selbstbefreiung des Geistes von Furcht und Unruhe zu erreichen. »Epikur ist wahrlich der Klassiker der Religionskritik: seine ganze Philosophie setzt wie keine andere die Furcht vor übermenschlichen Mächten und vor dem Tod als die das Glück, die Ruhe des Menschen bedrohende Gefahr voraus; ja, diese Philosophie ist kaum etwas anderes als das klassische Mittel, die Furcht vor dem Numen und dem Tod zu beschwichtigen, indem sie sie als >gegenstandslos< erweist.« Klassizität verdient er wegen der Universalität des Grundes, der ihn bestimmt, in dem »ein allgemein-menschliches, das allgemeinste, in allen Wandlungen des menschlichen Bewußtseins sich kaum verändernde Motiv für die Auflehnung gegen die Religion zum Wort« kommt. (Fs)

125A Strauss geht von der Möglichkeit aus, daß die wissenschaftliche Religionskritik nur aus »einem ursprünglichen Interesse des Herzens«, aus einem ursprünglichen Motiv als ihrem Grund verstanden werden könne. Das leitende Interesse ist, laut Strauss' Epikur-Lektüre, die Beseitigung der Furcht vor wirkenden Göttern und vor dem Tod, vor allem wenn dieser unter der Annahme der unsterblichen Seele ewige Strafen und Übel erwarten läßt. Die allgemeine Voraussetzung dieser Position ist eine hedonistische Haltung, die Gleichsetzung des Guten mit dem Angenehmen, in deren Folge die Lust zum alleinigen Maßstab hinsichtlich der Frage nach dem richtigen Leben avanciert. Das Bestreben gilt in erster Linie der Absicherung der Lust vor Störungen durch vergangene oder zukünftige Schmerzen. Wenn Strauss von »Epikureertum« spricht, dann meint er damit diese spezifische Form des Hedonismus, die nicht auf Lust schlechthin, sondern auf Sicherung der Lust bedacht ist. Er möchte darunter auch keine historisch exakt zu fixierende Lehre verstanden wissen, sondern eine allgemein-menschliche Neigung, die bei Epikur ihren klassischen philosophischen Ausdruck gefunden hat. Die Sicherung der Lust verlangt, wie angedeutet, ihren Schutz vor zukünftigen Bedrohungen. Die Erwartung ewiger, unbegrenzter Übel durch strafende Götter macht naturgemäß alle Lust zunichte. Wer wird heute noch leichten Herzens eine Lust genießen können, wenn er schon morgen in ein neues »Leben« übertritt und auf ewig die Rache der Götter zu spüren bekommt? Allein die Furcht vor dem vielleicht Kommenden, komme es oder nicht, macht jede Lust unmöglich. Man kann diesem Dilemma, so scheint es, nur durch die Beseitigung der Götter- und der Todesfurcht mittels der Wissenschaft entgehen. Der Geist kann sich von seiner Furcht selbst befreien, wenn er auf überzeugende Weise die Furchtbarkeit des vermeintlich Furchtbaren leugnet. Das ist Sinn und Zweck der Wissenschaft: »wenn uns nicht die Verdächte bezüglich der Dinge am Himmel und bezüglich des Todes beunruhigten, so bedürften wir keiner Physik«. (Fs) (notabene)

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