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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Rahner: Naturgesetz - Existentialethik; lex naturalis: keine universale Norm, unter die Einzelfälle subsumiert werden müssten

Kurzinhalt: Da Rahner sittliche Normen nicht auf ihren wahren Ursprung zurückbezieht, ... scheint ihm auch das eigentliche sittliche "Individuationsprinzip" zu entgehen: Das menschliche Handeln selbst, ...

Textausschnitt: 143b Auf dem Boden der "ordinatio rationis" des Naturgesetzes, und deshalb auch immer im Kontext der sittlichen Tugend, gründet nun jene unübersehbare Vielfalt individueller Verwirklichungsmöglichkeiten des menschlich Guten. Das Naturgesetz ist ja nicht ein Gefüge von apersonalen "Normen" oder "Geboten", denen der Mensch gegenübersteht und die sein Handeln in vorgegebene Handlungsschemata pressen würden und dabei individueller Verwirklichung des Guten keinen Raum mehr ließen oder diesen Raum ständig gefährdeten, so daß sich die menschliche Freiheit gegenüber dem "Gesetz" behaupten müßte. Eine solche Vorstellung, durch die gewisse Richtungen der Moraltheologie seit Beginn der Neuzeit beherrscht wurden, ist schon deshalb abwegig, weil das Gute ja immer nur individuell, singulär, konkret verwirklicht werden kann. Es gibt gar kein Handeln gemäß dem Naturgesetz, das auch den Charakter der Universalität seiner Bestimmungen trüge; es muß immer individualisiert werden, damit überhaupt ein sittlicher Akt - ein "actus humanus" - zustandekommt. Insofern bereits entspringt eine Gegenüberstellung von Naturgesetz und "Existentialethik", wie sie seinerzeit von K. Rahner vorgeschlagen wurde und bis heute, in anderen Terminologien, die Vorstellungswelt vieler Moraltheologen beherrscht, einer Fehlüberlegung. (Fs) (notabene)

144a Rahner hatte dabei m. E. bereits die Ausgangsfragestellung unglücklich formuliert, und meistens provozieren falsche Fragestellungen zwar plausible, aber falsche Antworten. Rahner fragt: "Ist das sittlich Getane nur die Realisation der allgemeinen Norm, das Sittliche Gesollte im konkreten Fall nur gleichsam Schnittpunkt zwischen dem Gesetz und der vorliegenden Situation?"1 Da natürlich Rahner die "Norm" als Deduktion aus der Natur des Menschen in ihrer Spezifität verstand, also aus der universalen "species", mußte er nun nach einem sittlichen "Individuationsprinzip" und damit nach einer Art "Individualnatur" eines jeden Menschen suchen. Dabei appliziert Rahner, wie bekannt ist, die metaphysischen Konstitutionsprinzipien der Engel (die sich selbst individuierende "forma substantialis") auf den Menschen.2 Da Rahner sittliche Normen nicht auf ihren wahren Ursprung zurückbezieht, auf ihr Fundament der auf die Ordnung der sittlichen Tugend bezogenen "lex naturalis" als "ordinatio rationis", scheint ihm auch das eigentliche sittliche "Individuationsprinzip" zu entgehen: Das menschliche Handeln selbst, das ja als tugendhaftes oder der Tugend entgegengesetztes in einer weitläufigen Vielfalt der Kontingenzen menschlichen Lebens den Menschen moralisch individuiert, - eine Individuation, die nicht ontologisch, sondern operativ ist. Es handelt sich dabei überhaupt nicht um ein Problem von Normen, sondern um ein solches des der praktischen Vernunft gegenständlichen "Guten" und schließlich um das, was man "Freiheit zur Tugend" und "Freiheit in der Tugend" nennen könnte. (Fs) (notabene)

144b Zudem aber unterliegt die rahnersche Perspektive offensichtlich dem Fehler, Ursache und Wirkung, den Grund und das Gegründete zu verkehren. Letztlich werden "sittliche Norm" und "sittlicher Wert" identifiziert. Vielmehr jedoch gründet die Norm auf einem sittlichen Wert, wie er tatsächlich in einem tugendhaften Akt "realisiert" wird, und zwar als Aneignung, weil die sittliche Handlung eine "actio immanens" ist, deren Wirkung im Handelnden verbleibt. Das wäre die "Lebenswirklichkeit", die zu gestalten ist, was jedoch nur in einer Tugendethik, und nicht in einer Normenethik, mag sie auch noch so "personalistisch" oder "individualistisch" sein, einsichtig werden kann.1 (Fs)

145a Die "Norm" oder das Gesetz als "Gebot" ist ja vielmehr, wie anfangs ausreichend begründet wurde, nur der in der Reflexion formulierte normative Aussagemodus des von der Vernunft geordneten Handelns, des "ordo virtutis"; und als normative Formulierung ist sie wiederum über das Gewissen auf das Handeln applizierbar. Das Naturgesetz ist jedoch keinesfalls mit dem Gewissen zu identifizieren, noch ist es eine "Norm" in diesem Sinne, sondern es ist "das Licht der natürlichen Vernunft, in der sich das Ebenbild Gottes findet".1 Die "lex naturalis" ist nicht universale Norm, unter die dann Einzelfälle subsumiert werden müßten; sie ist in ihrem Ursprung und eigentlichen Wesen nicht ein Gesetz, das man "anwendet", sondern immer die präzeptive "ordinatio" "meiner" praktischen Vernunft. Dies zu übersehen hieße, die Systematik reflexer "Moralsysteme" fälschlicherweise als Moralphilosophie zu interpretieren, anstatt sich auf deren Grundlage zu besinnen. (Fs)

145b Wird das Naturgesetz nicht als allgemeine "Norm", unter die das konkrete Handeln einfach als "Einzelfall" zu subsumieren wäre, aufgefaßt, so wird es schließlich vielmehr als Fundament erkennbar, aufgrund dessen allein sich menschliches Handeln in seiner spezifischen Eigenart als menschliches vollziehen läßt. Als Fundament ist es weder Einengung noch Gefährdung von Freiheit oder Personalität, sondern deren Grundlage, sowie Ausgangspunkt und Träger einer selbst unbestimmten Vielfalt individueller Gestaltungsmöglichkeiten und Wertbereicherungen in der Ordnung des konkreten Handelns und der Intentionen des handelnden Menschen, die jedoch immer nur so viel an praktischer Wahrheit enthalten, als sie auf der Grundlage des Naturgesetzes aufruhen und insofern dieses in ihnen wirksam ist. (Fs)

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