Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Natur als Grundlage der Moral Titel: Natur als Grundlage der Moral Stichwort: Zusammenfassung: lex naturalis - Gesetz der praktischen Vernunft; ordinatio rationis Kurzinhalt: nicht ein "Seinsgesetz" im Sinne des naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriffes, sondern ein Gesetz im eigentlichen Sinne des Wortes: ein "praeceptum" der praktischen Vernunft Textausschnitt: 139a Aus den bisherigen Ausführungen ergibt sich zunächst, daß das Naturgesetz - "lex naturalis" - wesentlich eine "ordinatio rationis ad virtutem" ist. Es handelt sich bei ihr nicht um ein "Seinsgesetz" im Sinne des naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriffes, sondern um ein Gesetz im eigentlichen Sinne des Wortes: ein "praeceptum" der praktischen Vernunft. Dieses Gesetz gründet in einer im Kontext des Suppositums integrierten Vielfalt von natürlichen Neigungen, die selbst noch nicht den Charakter eines Gesetzes haben, da sie selbst hinsichtlich ihrer "ordinatio" auf das "debitum" noch undeterminiert sind und deshalb auch nicht die adäquate Formulierung eines "praeceptum" ermöglichen. Es handelt sich bei diesen Neigungen um eine seinsmäßig gegebene und spontan erfahrene passive Partizipation am Ewigen Gesetz. In ihrer ursprünglichen Indetermination bezüglich des "debitum" und als integrale "Bestandteile" des Suppositums, dem ebenso die "inclinatio naturalis ad debitum actum et finem", die "ratio naturalis" zugehört, sind sie von Natur aus daraufhingeordnet, einer solchen "ordinatio rationis" durch die natürliche Vernunft, d. h. einem Gesetz zu unterliegen. Dieses Gesetz ist das Naturgesetz. (Fs) (notabene)
140a Es entspringt, wie gesagt, ebenfalls einer natürlichen Neigung, derjenigen der natürlichen Vernunft auf das "debitum", die einem Licht vergleichbar - Partizipation des Lichtes der "ratio divina" - einer Neigung zur "praktischen Wahrheit", dem "sittlich Wahren", das heißt: dem wahrhaft Guten, dem "debitum" entspricht. Die Wahrheit der natürlichen Vernunft ist eine natürliche, besteht aber gerade deshalb immer in einer fundamentalen "adaequatio" mit den "fines proprii" der natürlichen Neigungen1, muß aber ebenfalls in ihnen das "debitum" der Tugend bestimmen. Diese Bestimmung - eine "ordinatio rationis" - ist die "lex naturalis". (Fs)
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140c Das Naturgesetz als "ordinatio rationis" ist demnach ein natürliches Gesetz im Menschen, weil es zum menschlichen Sein gehörenden Prinzipien ("principia indita") entspringt. Gemäß der auch in diesem Falle zutreffenden Bestimmung des Begriffes "Natur" nennt man gerade solches "natürlich". Denn: "Natura nihil aliud est quam ratio cuiusdam artis, scilicet divinae, indita rebus, qua ipsae res moventur ad finem determinatum"1. (Fs)
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140d Diese "ratio artis divinae" im Menschen ist Partizipation des Ewigen Gesetzes aufgrund eines göttlichen Schöpfungsaktes. "Natur" in diesem Sinne sind sämtliche natürlichen Neigungen, aber in einem ausgezeichneten Sinne ist es die "ratio naturalis", durch die der Mensch selbst, gerade aufgrund von Partizipation, in einem gewissen Sinne auf die Ebene des "artifex Divinus" gehoben wird, und er deshalb nicht nur Gegenstand oder Instrument göttlicher Vorsehung ist, sondern selbst ein "sibi ipsi et aliis providens". (Fs)
140e "Natur" wird somit auch als eine den Dingen eingestiftete "causa ordinationis" verstanden.1 Solche Ordnungsprinzipien sind bereits die natürlichen Neigungen; sie sind also wohl "Natur", - nicht aber sind sie "Gesetz". Im Menschen gibt es überdies eine solche "causa ordinationis", die den Charakter eines Gesetzes besitzt, - jene Akte der praktischen Vernunft, die, der "ratio naturalis" entspringend, die den natürlichen Neigungen eigenen Akte auf ihr "finis debitus", das "bonum rationis" oder sittlich Gute hinordnen. (Fs)
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