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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Enthaltsamkeit: kontrazeptive - unfruchtbare Periode; Kriterium: actus humanus als konstitutiv für verantwortliche Elternschaft; Widerspruch zur Tugend

Kurzinhalt: Der eigentliche Unterschied zwischen einem ehelichen Aktvollzug, der vorsätzlich in eine unfruchtbare Periode fällt, aber ...; Kontrazeption: "actus humans" ist nicht mehr konstitutiv

Textausschnitt: 121c Der eigentliche Unterschied zwischen einem ehelichen Aktvollzug, der vorsätzlich in eine unfruchtbare Periode fällt, aber ansonsten im Kontext der Enthaltsamkeit in Perioden der Fruchtbarkeit steht, und einem Akt, der unter der Bedingung der künstlichen Sterilisierung vollzogen wird, weil er folgenlos ist, besteht darin, daß ersterer bezüglich seiner preokreativen Potentialität einer "Kontrolle" der Vernunft und einer Herrschaft des Willens entspringt - also den Prinzipien des "actus humanus" und personaler Autonomie - und zwar (das ist zu betonen) in gegenseitiger Übereinstimmung des Wollens und der Einsicht beider Ehepartner. Dabei wahrt dieser Akt voll die konstitutive Eigenart menschlicher und ehelicher Liebe, sowohl, was ihre Leitung durch Vernunft und Wille betrifft, wie auch das Prinzip der Gegenseitigkeit, der Gleichheit und des "amor amicitiae", der ja jeweils das Gut des Anderen sucht. Dies gilt, auch wenn dieser Akt mit Absicht in eine unfruchtbare Periode fällt. Denn diese Absicht entspringt einer willentlichen, personalen Wahrnehmung der Verantwortung hinsichtlich der Weitergabe des menschlichen Lebens, eine Verantwortlichkeit, die jeden einzelnen ehelichen Akt kennzeichnen muß, will er überhaupt den Anforderungen eines ehelichen, d. h. prokreativ verantwortlichen Aktes gerecht werden. (Fs)

122a Die Akte der Enthaltsamkeit - Akte willentlicher Wahrnehmung dieser Verantwortung - in deren Kontext ein solcher Ehevollzug steht, sind ebenso personale Akte; gerade deshalb bleibt die Transzendenz oder Offenheit auf die Weitergabe des menschlichen Lebens, die Bejahung der Berufung zur Elternschaft und damit die volle Wahrheit der ehelichen Liebe auch in einem in unfruchtbaren Perioden vollzogenen ehelichen Akt erhalten; und dies eben gerade nicht, weil eine "biologische" Offenheit bestünde; eine solche ist ja in diesem Akt nicht vorhanden, da man um seine Unfruchtbarkeit weiß. Aber der eheliche Akt ist ja nicht der Akt der menschlichen Zeugungspotenz allein, sondern ein personaler Akt, also vor allem und zunächst ein Willensakt. Und die Offenheit im Sinne der verantwortlichen Mitwirkung an der schöpferischen Liebe Gottes, deren Interpreten die Ehegatten ja sein müssen, bleibt hier gewahrt, weil sie nicht biologische Offenheit meint, sondern eine solche des Willens und damit des menschlichen Handelns. Die objektive Qualifizierung des menschlichen Willens ist nicht von biologischen Gegebenheiten ableitbar; nicht diese sind es, die den Willen sittlich prägen. Personale Akte der Enthaltsamkeit und in ihrem Kontext stehende Ehevollzüge in unfruchtbaren Perioden sind beide für die Weitergabe des Lebens genau deshalb offen, weil sie selbst willentliche Akte der verantwortlichen Wahrnehmung von Elternschaft (d. h. der Befolgung der "inclinatio naturalis ad coniuncionem maris et feminae" im "ordo rationis", gemäß dem Naturgesetz) sind und als solche tatsächlich im Dienst an der menschlichen (verantwortlichen) Weitergabe des menschlichen Lebens stehen, was soviel heißt wie: Sie sind beide objektiv Akte verantwortlicher Elternschaft. (Fs)

122b Im zweiten Fall eines prokreativ folgenlos gemachten Sexualverkehrs wird jedoch die spezifische Eigenart menschlicher und ehelicher Liebe nicht gewahrt, ja sogar an ihrer Basis angegriffen. Denn bei ihm wird die für einen "actus humanus" geforderte Kontrolle der Vernunft und die Herrschaft des Willens über die prokreative Potentialität der Sexualität, und damit die personale Integrität ehelicher Liebe, vorsätzlich, willentlich ausgeschaltet bzw. überflüssig gemacht. Das Spezifikum des "actus humanus" ist nun für diese Art der Wahrnehmung von Verantwortlichkeit nicht mehr konstitutiv und, zur Wahrnehmung des Zweckes, überflüssig. Dadurch wird jedoch das angestrebte Ziel "verantwortliche Elternschaft" in einer Weise verfolgt, die das Prinzip der Verantwortlichkeit bezüglich der Mittel ausschaltet. Das heißt: Da in diesem Falle nicht mehr Vernunft und Wille die Kontrolle über die Folgen auszuüben haben, weil der Akt ja folgenlos ist, bzw. gemacht wurde, ist in Bezug, auf ihn, als Einzelakt, ein prokreativ verantwortliches, vernünftiges und der Herrschaft des Willens unterliegendes Verhalten gar nicht mehr notwendig. Dann aber kann er auch gar nicht mehr Ausdruck ehelicher Liebe, Einheit und Verbindung zu einer gemeinsamen, in Verantwortung getragenen Aufgabe sein, denn er ist als Handlung aus dem Kontext herausgelöst worden, in dem sich die "inclinatio naturalis ad coniunctionem maris et feminae" in ihrer prokreativen Dimension als spezifisch menschliche und eheliche Liebe konstituiert. Damit befindet er sich nicht mehr unter der Logik der Verantwortlichkeit und der verantwortlichen Offenheit für die Aufgabe der Elternschaft; denn für einen folgenlosen Akt braucht man auch keine Verantwortung zu tragen. (Fs)

122c An dieser Stelle könnte nun folgender Einwand vorgebracht werden: Von grundsätzlicher Ausschaltung willentlicher Kontrolle durch Empfängnisverhütung könne keine Rede sein, denn bei Anwendung "mechanischer" Verhütungsmittel (Kondom, Diaphragma) oder bei der Praktizierung des Coitus interruptus bedürfe es in der Regel eines weit höheren Maßes an Selbstkontrolle und -beherrschung, als dies für periodische Akte der Enthaltsamkeit nötig sei. Hier, aber auch bei disziplinierter Einnahme oraler Verhütungsmittel, liege also ebenfalls eine rational willentliche und prokreativ verantwortliche Beherrschung der Sexualität vor. Ja, sogar eine operative Sterilisierung entspringe doch letztlich einem rationalen und willentlichen Akt prokreativer Verantwortung. (Fs)

[...]

124b Somit gelangen wir zu einer ersten Präzisierung: Wenn wir im Zusammenhang menschlicher Sexualität von vernünftig-willentlicher Beherrschung, bzw. Selbstbeherrschung sprechen, so ist dabei nicht von Selbstbeherrschung oder -kontrolle irgendwelcher Art die Rede - sei diese auch noch so rational und willentlich -, sondern von jenem Typ vernünftig-willentlicher Beherrschung, Leitung oder Kontrolle, die "sittliche Tugend" heißt. Diese besteht nicht einfach darin, den entsprechenden Trieb oder seine Folgen "in den Griff zu bekommen"; vielmehr heißt sittliche Tugend, sinnliche Antriebe (nicht auf der ontologischen, sondern auf der operativen Ebene) rational zu durchformen, bzw. sie gemäß den Anforderungen personaler Akte zu vervollkommnen. (Akte der Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung, Selbstdisziplin als solche sind weder als sittlich gut noch als sittlich schlecht zu bezeichnen. Habgierige Menschen beispielsweise, oder Verbrecher, zeigen oft ein hohes Maß an rationaler und willentlicher Kontrolle, an Selbstdisziplin und Willensstärke zum Zwecke der Verfolgung ungeordneter und in sich völlig unkontrollierter Leidenschaften. Tugend impliziert jene Form von Selbstbeherrschung, welche die Ordnung der Vernunft in den natürlichen Neigungen, d. h. bezüglich des Erstrebens der fundamentalen menschlichen Güter herstellt. Sittlich lobenswerte Selbstbeherrschung ist immer Bestandteil rational-appetitiver (operativer) Vervollkommnung natürlicher Neigungen, nicht ein Akt ihrer Negierung oder Manipulation; ebenfalls ist jene keine sittliche lobenswerte Selbstbeherrschung, die sich auf Akte bezieht, die es ermöglichen, eine natürliche Neigung in personal-desintegrierter Weise zu verfolgen). (Fs)

125a Offensichtlich gibt es also verschiedene Typen rational-willentlicher Kontrolle oder Beherrschung sinnlicher Antriebe. Empfängnisverhütung zwecks Regelung der Fruchtbarkeit sexueller Akte ist kein Akt der Tugend; vielmehr handelt es sich hier um eine technische Manipulation sexueller Akte, um deren prokreativen Folgen durch ihre Ausschaltung "in den Griff zu bekommen". Der Coitus interruptus ist zwar keine technische Manipulation, dennoch ist er eine Manipulation, die ebenfalls darin besteht, sich nur in Bezug auf die prokreativen Folgen sexueller Betätigung, nicht jedoch in Bezug auf den Sexualtrieb selbst verantwortlich zu verhalten. (Fs)

125b Empfängnisverhütende Akte jeder Art besitzen demnach die Eigenschaft, eine von der Beherrschung des Sexualtriebes selbst unabhängige Art der Kontrolle über die prokreativen Folgen dieses Triebes zu sein. Vernünftig-willentliche Leitung und Selbstbeherrschung bezieht sich hier ausschließlich auf jene Akte, die die Regelung der prokreativen Folgen sexueller Betätigung betreffen. (Fs)

125d Dies bedeutet, daß durch empfängnisverhütende Maßnahmen der unitive Aspekt menschlicher Sexualität ("liebende Vereinigung") einerseits und die Ausübung prokreativer Verantwortung andererseits voneinander abgekoppelt werden; die Kontrolle über die Fruchtbarkeit vollzieht sich unabhängig von der operativen Dynamik der menschlichen Sexualität als "inclinatio naturalis ad coniunctionem maris et feminae". Der leiblich-unitive Aspekt ehelicher Liebe und die Akte der Kontrolle über die prokreativen Folgen dieser Liebe laufen damit gleichsam auf zwei verschiedenen Geleisen: Jene Akte, durch die diese prokreative Verantwortung, d. h. die Herrschaft über die prokreativen Folgen sexueller Akte, ausgeübt wird, sind vom Akt "liebende Vereinigung", bzw. sexueller Betätigung als Akt ehelicher Liebe völlig unabhängig; sie sind nicht selbst in die sexuelle Triebdynamik integriert und damit strukturell auch keine Akte der ehelich-leiblichen Liebe, sondern vielmehr Akte ("Maßnahmen") der technischen Kontrolle dieser Liebe. Das heißt: Menschliche Sexualtiät und Leiblichkeit, bzw. die Liebe zwischen Mann und Frau in ihrer leiblich-unitiven consummatio ist hier nicht Subjekt, Träger prokreativer Verantwortung, sondern bloßes Objekt einer regulativen Manipulation. Sexuelle Vereinigung und Akte der Wahrnehmung prokreativer Verantwortung fallen demnach auseinander.

125e Diese durch die Empfängnisverhütung bewerkstelligte Ablösung empfängnisregelnder Akte einerseits von den durch den Sexualtrieb selbst hervorgerufenen Akten andererseits, wodurch sexuelle Betätigung zu einer prokreativ folgenlosen Handlungsweise wird, ist nicht Selbst-Beherrschung im moralischen Sinne. Es handelt sich dabei vielmehr um einen Typ von dominium, welcher den Grunderfordernissen sittlicher Tugend zutiefst widerspricht. Denn sittliche Tugend besteht, wie gesagt, darin, die menschlichen Neigungen, Triebe usw. in ihrem vollen Sinngehalt der Vernunft gemäß zu ordnen, und zwar dadurch, daß sie (operativ) in die Struktur personaler Verantwortlichkeit integriert werden Diese operative Integration unterscheidet sich wesentlich von jenem Typ von dominium, durch welches das der Vernunft Widerstreitende oder nicht mit ihr in Einklang stehende unterdrückt, ausgeschaltet, "abgekoppelt", kurz: im weitesten Sinne manipuliert wird. (Fs) (notabene)


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