Autor: Sertillanges A. D. (Gilbert) Buch: Der heilige Thomas von Aquin Titel: Der heilige Summa von Aquin Stichwort: Prinzip (Axiom): Intus apparens prohibet extraneum (Satz des Werdens); Unstofflichkeit der denkenden Seele Kurzinhalt: Wenn ich nun etwas Unstoffliches werden soll, so muß ich dem Vermögen nach etwas Unstoffliches sein Textausschnitt: 1614 Der Verstand findet in dem Sinnlichen den Stoff für eine Anschauung, die das Sinnliche übersteigt; er vermag die Wesenheit zu 'lesen' [intelligere, intus-legere]1, zu 'verstehn' ['Verstand']. Diese Wesenheit muß auf der Ebene des Allgemeinen, Zeitlosen und Notwendigen liegen. Wir müssen sie also - wenigstens negativ - 'abziehn' von einer äußern oder innern Umwelt, die der Bewegung, der zeitlichen und räumlichen Besonderung und der Zufälligkeit ausgeliefert ist. Erkennen ist Sein. (467; Fs)
1615 Wenn ich nun etwas Unstoffliches werden soll, so muß ich dem Vermögen nach etwas Unstoffliches sein. 'Dadurch, daß die Seele die allgemeinen Naturen der Dinge auffaßt, gibt sie sich davon Rechenschaft, daß die Form, nach der sie erkennt, unstofflich ist; sonst wäre sie verzweifelt und führte in keiner Weise zur Erkenntnis des Allgemeinen. Dadurch, daß die geistige Form unstofflich ist, versteht man, daß der Geist, dessen Form sie ist, irgend etwas [res quaedam] von der Materie Unabhängiges ist'2. (467f; Fs)
1616 So kommen wir zu jenem einzigartigen Vermögen, das der Seele, die der Akt eines Körpers ist, angehört und doch selber nicht Akt des Körpers ist. Es ist gewissermaßen ein 'Auftauchen' des Aktes, wodurch die Seele über ihre stofflichen Bedingtheiten hinausragt, so wie die rote Spitze der Pyramiden hinausragt über die Morgennebel. Auf der Grenze zweier Welten stehend nimmt die Seele von beiden Welten; sie nimmt - bei der Erkenntnis, wie bei allem andern - die charakteristischen Merk male des Menschen sowohl vom Stoff als vom Geist. (468; Fs)
1617 Man hat die Gedanken, mit denen Thomas - übrigens im Verein mit Aristoteles - seine Behauptung von der Unstofflichkeit der denkenden Seele begründet, häufig als oberflächlich kritisiert, weil man sie nicht verstanden hat. Ihr Obersatz ist der Grund satz: Intus apparens prohibet extraneum. Der Untersatz stammt aus der Erfahrung: unser Gegenstand sind alle sinnfälligen Naturen. Daraus schließen wir: keine der in Frage stehenden Naturen darf also in uns als erkennenden Wesen vorhanden sein. Das Vermögen also, mit dem wir die sinnlichen Naturen erreichen, muß diesen fremd, es muß unstofflich sein. (468; Fs)
1618 In dieser Abkürzung ist die Schlußfolgerung sicherlich nicht klar; aber man muß in sie einzudringen versuchen. Der Satz 'Intus apparens prohibet extraneum' ist kein Erfahrungssatz, sondern eine besondere Anwendung der Metaphysik des Werdens. (468; Fs)
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