Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Natur als Grundlage der Moral Titel: Natur als Grundlage der Moral Stichwort: Ehe; spiritualistischen Fehldeutung; Objekt des ehelichen Aktes Kurzinhalt: Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Liebe zwischen Mann und Frau gibt es in ihrer Spezifität als eheliche Liebe überhaupt nur aufgrund und wegen der "inclinatio naturalis" Textausschnitt: 103a Es würde demnach wiederum einer spiritualistischen Fehldeutung des Menschen entspringen, die "coniunctio maris et feminae" einfach nur als "materiales Feld" für die "Inkarnation" oder den "Ausdruck" menschlicher Liebe zu deuten. Vielmehr verhält es sich umgekehrt: Liebe zwischen Mann und Frau gibt es in ihrer Spezifität als eheliche Liebe überhaupt nur aufgrund und wegen der "inclinatio naturalis", die ihr zugrundeliegt. Eheliche Liebe gründet in ihrer Spezifität als eine bestimmte Art von menschlicher Liebe gerade in dieser natürlichen Neigung; sie besteht fundamental im Verfolgen dieser Neigung, aber dies auf menschliche Weise. Und das heißt: auf vernünftig geordnete Weise, der "lex naturalis" entsprechend und geleitet vom "appetitus intellectualis", dem Willen, der menschliche Liebe ist ("dilectio" und, aufgrund der Gnade, "Caritas"). Dabei handelt es sich im Kontext der "inclinatio naturalis" bei dieser Liebe immer um eine Einheit von Sinnlichkeit und Geistigkeit, die eben gerade jetzt in ihrer gegenseitigen und unauflösbaren Bedeutung offenbar wird. (Fs) (notabene)
103b Es läßt sich also durchaus sagen, die "inclinatio naturalis ad coniunctionem maris et feminae" sei im Menschen bereits eheliche Liebe, sofern sie auf menschliche, das heißt: dem Naturgesetz entsprechende Weise, innerhalb der Ordnung der Vernunft (aufgrund einer "ordinatio rationis"), verfolgt wird. Sie kann nämlich auch auf nicht-vollmenschliche Weise befolgt werden: Außerhalb des stabilen Bandes ehelicher Treue zwischen einem Mann und einer Frau.1 Oder auch in Verantwortungslosigkeit oder reiner Triebhaftigkeit innerhalb der Ehe. Denn der Mensch ist aufgrund seiner intellektiven Teilhaber an der "lex aeterna" dazu berufen, seine Mitwirkung am Schöpfungsplan in verantwortlicher Weise auszuüben, gleichsam als "Interpret der göttlichen Schöpferliebe", "sibi ipsi et aliis providens". Elternschaft muß also verantwortlich ausgeübt werden. Das Maß dazu ist einerseits die Großzügigkeit der Liebe und andererseits persönliche und äußere Umstände, die den Menschen zu kluger und den Sinn seiner Liebe selbst nicht zerstörender Beschränkung führen können. (Fs)
[...]
104b Mir erscheint dies jedoch eine wenig zutreffende Art, die Frage anzugehen. Die Liebe zwischen Mann und Frau entspringt, wie wir gesehen haben, einer "naturalis inclinatio ad coniunctionem maris et feminae". Diese natürliche Neigung mit ihrer auf der Ebene des "quod natura omnia animalia docuit" naturgegebenen prokreativen Zielhaftigkeit wird beim Menschen als "actus humanus" im vollen Sinne zur menschlichen, ehelichen Liebe. Die Liebe zwischen Mann und Frau in ihrem unitiven Charakter (der körperlichen und willentlichen Vereinigung) liegt an der Basis des Phänomens. Sie ist nicht "Objekt" oder finis operis" des Aktes der "potentia generativa", sondern sie ist vielmehr jener einer natürlichen Neigung entspringende und durch die Vernunft geordnete Akt menschlicher Liebe, der in der "copula carnalis" seine Erfüllung ("consummatio") und letzte Vollendung ("ultima perfectio") erreicht.1 Der eheliche Akt erweist sich damit nicht als Akt der Zeugungspotenz, der zudem noch dem Ausdruck der Liebe "dient"; sondern er ist vielmehr der vollendete personale Akt einer Liebe, die von ihrem Ursprung her auf die Weitergabe des Lebens zielt, die allerdings als "actus humanus" eine willentliche und verantwortliche Weitergabe des Lebens bedeutet. (Fs)
105b Daß ein (im moralischen Sinne) objektiver und fundamentaler Zusammenhang zwischen ehelicher Liebe und menschlicher Fortpflanzung besteht, gründet jedoch nicht einfach nur auf der naturalen prokreativen Zielhaftigkeit der leiblichen Vereinigung von Mann und Frau; der moralische Zusammenhang wird vielmehr als sittlich bedeutsamer erfaßt, wenn man erkennt, daß die einzige der menschlichen Würde angemessene Form der Weitergabe dieses menschlichen Lebens darin besteht, daß dieses Leben der Liebe zwischen zwei Menschen und ihrer liebenden Vereinigung als Mitwirken mit der Liebe des Schöpfers entspringt. Die Liebe zwischen Mann und Frau und ihre Vollendung in der "commixtio carnalis" ist also viel mehr als ein bloßes "Mittel" zur Fortpflanzung einerseits, oder ein "Ausdrücken" von Liebe andererseits. Das "Objekt" oder der moralische Sinngehalt der liebenden Vereinigung ist diese leibliche Vereinigung selbst als personaler Akt und in ihrer Dimension als Liebe, die der Weitergabe des menschlichen Lebens dient. Diese Liebe und ihre "ultima perfectio" oder "consummatio" in der ehelichen Vereinigung ist also der personale Akt oder der "actus humanus" aus dem neues menschliches Leben entspringt; ein Leben, dessen Sinn auf Liebe zielt und das deshalb auch seiner menschlichen Würde entsprechend der Liebe entspringt, einer Liebe, die auf der natürlichen Ebene eine Mitwirkung mit der göttlichen Schöpferliebe bedeutet, in übernatürlicher Perspektive Abbild der erlösenden Liebe Christi zu seiner Kirche und damit zum Menschen wird. Diese Sinnhaftigkeit besitzt die liebende Vereinigung der Ehegatten unbeschadet der Tatsache, ob dieser Akt nun in diesem oder jenem Fall biologisch fruchtbar ist oder nicht. Nur der menschliche Wille könnte den auf Fruchtbarkeit angelegten Sinn dieses Aktes und damit den Sinn der Liebe zerstören; nicht jedoch vermöchten dies die faktischen biologisch-physiologischen Dispositionen der "Zeugungspotenz". (Fs)
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