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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Das erste Prinzip der praktischen Vernunft; ratio boni; "Bonum est quod omnia appetunt; Bonum est prosequendum et faciendum, malum vitandum

Kurzinhalt: ... ein Faktum, das in diesem Satz nur reflex formuliert und festgehalten wird: dem Faktum des "appetibile", das sich stets der Vernunft als Ziel vergegenständlicht

Textausschnitt: 76b Ebenso wie in der spekulativen Vernunft - so beginnt der besagte Artikel - gibt es auch in der praktischen Vernunft erste, allgemein evidente, unableitbare Urteile ("propositio per se notae communiter omnibus"). Es handelt sich dabei um Urteile, deren Termini allen bekannt sind ("quarum termini sunt omnibus noti"). Diese Termini solcher praktischer Urteile sind, wie bereits gezeigt, jeweils ein "bonum" (vom "bonum communissimum" bis zum konkreten "bonum operabile"), sowie das praktische "Prädikat" "prosequendum", bzw. "fugiendum". Eine solche Beschreibung praktischer Urteile - als "normativer Aussagen" - ist allerdings nur in der Reflexion auf den Akt der praktischen Vernunft sinnvoll, auf jener Ebene also, auf der praktischen Urteile auch eine sprachliche Formulierung erhalten können. Auf der Ebene ihres ursprünglichen Vollzuges sind sie einer solchen Formulierung nicht zugänglich, da es sich dabei um eine appetitiv-präzeptive "affirmatio" des als "gut" erkannten ("prosecutio") handelt, oder aber um eine entsprechende "negatio" ("fuga"). (Fs) (notabene)

77a Auch hier, so scheint mir, stellt sich Thomas wie gewöhnlich auf die der Moralwissenschaft entsprechende Ebene der reflexiven Deskription ("in actu signato") von seelischen Vorgängen. Man muß sich dies stets bewußt bleiben, will man den Gegenstand der Deskription selbst - den präzeptiven Akt der praktischen Vernunft - nicht aus den Augen verlieren oder verfälschen, indem man ihn einer "normativen Aussage" - einer "enuntiatio" – gleichstellt.1 (Fs)

77b Wenn nun also Thomas sagt, daß das erste Prinzip der praktischen Vernunft auf der "ratio boni" gründe, die da heiße: "Bonum est quod omnia appetunt", so meint er nicht, daß die praktische Vernunft ihre Urteile auf diesen "Satz" gründe; sondern vielmehr auf ein Faktum, das in diesem Satz nur reflex formuliert und festgehalten wird: dem Faktum des "appetibile", das sich stets der Vernunft als Ziel vergegenständlicht, und das heißt: als etwas das "gut scheint", - also entweder ein wahrhaft oder aber nur scheinbar Gutes ist (denn auch das wahrhaft Gute "scheint" gut, ist ein "phainomenen agathon", aber sein Gutsein ist nicht nur Schein; denn es ist auch der Wahrheit gemäß gut, - und deshalb tut der Tugendhafte, wenn er tut, was ihm gut scheint, immer auch spontan das wahrhaft Gute; darin liegt ja gerade die "moralische Effizienz" der sittlichen Tugend). (Fs) (notabene)


77c Die "ratio boni" ist somit nichts anderes, als das, was wir als "gut" erfahren, die Faktizität des im Streben als dessen Ziel erfahrenen praktischen Gegenstandes, das "appetibile". Die praktische Vernunft objektiviert diesen Gegenstand als "bonum" aufgrund eines intellektiven Aktes, auf den dann die appetitive Antwort der "prosecutio" folgt, - genauer gesagt: nicht "folgt", eher beruht diese Antwort darauf, denn die "prosecutio" ist ja bereits im Urteil selbst ausgesprochen. Reflektierend auf diesen Vorgang läßt sich das erste Prinzip der praktischen Vernunft formulieren: "Bonum est prosequendum et faciendum, malum vitandum." (Fs) (notabene)

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