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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Die doppelte Partizipation der "lex aeterna" im Menschen; ratio aeterna; inclinatio - determinatio

Kurzinhalt: Die vernünftige Kreatur nimmt deshalb an der göttlichen Vorsehung nicht nur hinsichtlich des Regiert-Werdens, sondern ebenfalls hinsichtlich des Regierens teil ...

Textausschnitt: 72a Nun stellt sich allerdings bei Thomas in seiner ganzen Schärfe das Problem, wie denn die Ordnung des Ewigen Gesetzes auf der Ebene der Kreatur vermittelt, transparent und wirksam wird. Daß dies durch direkte Offenbarung oder göttlich-positive Gesetzgebung möglich ist1, ist für den Begriff der "lex naturalis" belanglos. In der Beantwortung dieser Frage präzisiert sich der thomistische Begriff des natürlichen Gesetzes. (Fs)
72b Der hl. Thomas greift dazu auf die frühere Bestimmung des Gesetzes im allgemeinen als "regula" und "mensura" zurück. Da alle Geschöpfe der göttlichen Vorsehung und damit dem Ewigen Gesetz unterstellt sind, muß die entsprechende Regel, der Maßstab, auch irgendwie im Geschöpf enthalten sein. Zunächst ist ja, als geschaffenes Sein, alles Seiende einer bestimmten Spezies gemäß formiert und besitzt demnach einen determinierten Seinsmodus, (den man "essentia", sein "Wesen" nennt). Ihm entsprechend sind alle seienden Dinge bereits in ihrem Sein durch die schöpferische Vernunft Gottes "gemessen" und "geregelt". Diese passive Partizipation an der "lex aeterna" drückt sich in der einer jeden Spezies entsprechenden "inclinatio in proprios actus et fines" aus.2 Alle Geschöpfe besitzen eine solche passive impressio der "lex aeterna" in ihrem Sein, die sich in natürlichen Neigungen zu spezifischen Akten und Zielen äußert, - also auch der Mensch.3 (Fs) (notabene)
72c Somit ist die "naturalis inclinatio" das im Sein, in der Natur verankerte appetitive Fundament aller Akte und deren Zielgerichtetheit.4 Nicht aber bildet sie für den Menschen bereits einen adäquaten "ordo operationis". Bei den unvernünftigen Lebewesen werden die natürlichen Neigungen durch wiederum naturhafte Ordnungsprinzipien (z. B. die Instinkte) auf angemessene Akte und das ihnen angemessene Ziel, den "finis debitus", hingeordnet.5 Eine solche Hinordnung auf das "debitum" erweist sich als zusätzlich notwendig, da die natürliche Neigung als solche lediglich das seinshafte Fundament ist, auf und in der die Ordnung der Akte ruht. (Fs)

73a Der Mensch hingegen, so betont Thomas, besitzt eine höhere Weise der Teilhabe an der lex aeterna", nämlich durch eine Partizipation der "ratio aeterna" selbst, wodurch er eine naturalis inclinatio ad debitum actum et finem" besitzt.6 Der unvernünftigen Kreatur kommt eine solche "inclinatio" auf das "debitum" nicht zu; sie besitzt zwar eine naturhafte "determinatio" ihrer Neigungen. "Inclinatio" und "determinatio" sind jedoch nicht dasselbe: Während alle unvernünftigen Lebewesen in den Instinkten - oder wie auch immer das operativ-normative Ordnungsprinzip hier genannt werden soll - eine rein passive "determinatio" oder "regulatio" ihrer natürlichen Neigungen besitzen - eine "mensuratio" -, so ist hingegen der Mensch zur Bestimmung und Ausrichtung auf das "debitum" - das Gute - mit einem anderen aktiven und kognitiven Ordnungsprinzip ausgestattet, nämlich mit einer erneuten "inclinatio naturalis", die der ratio naturalis entspringt, eine Partizipation der "divina ratio", Ebenbild - itnago - der göttlichen Vernunft.7 (Fs) (notabene)

73b Durch sie wird uns das Ewige Gesetz transparent. Sie ist im Menschen ein lumen, ein Licht, durch eine "impressio divini luminis in nobis". Dieses Licht ermöglicht uns zwischen Gut und Böse zu unterscheiden. Darin liegt Funktion und Wirksamkeit der "lex naturalis", durch die der Mensch "providentiae particeps, sibi ipsi et aliis providens" wird.8 Der Mensch durch die "lex naturalis" selbst Teilhaber und verantwortlicher Interpret der göttlichen Vorsehung, ist Mitarbieter, Mitvollstrecker der göttlichen Weltregierung bezüglich seiner selbst und anderer.9 "Die vernünftige Kreatur nimmt deshalb an der göttlichen Vorsehung nicht nur hinsichtlich des Regiert-Werdens, sondern ebenfalls hinsichtlich des Regierens teil. (...) Die Regierungsfunktion der menschlichen Akte, insofern sie personale Akte sind, gehört zur göttlichen Vorsehung."10 (Fs) (notabene)

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