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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Natur als Grundlage der Moral

Titel: Natur als Grundlage der Moral

Stichwort: Die Unableitbarkeit des ersten Prinzips der praktischen Vernunft; prosecutio, fuga "praktische Kopula"

Kurzinhalt: Die Struktur dieses praktischen Urteils beruht ja nicht auf der Verknüpfung zweier Termini (Subjekt und Prädikat), wie das in einer Aussage (enuntiatio) der Fall ist, sondern in einem Verhältnis des "appetitus" zum "appetibile

Textausschnitt: 51b In einer Vertiefung dieser Analyse zeigt sich, daß der normative Charakter des ersten Prinzips der praktischen Vernunft, ebenso wie der fundierende Charakter desjenigen der theoretischen Vernunft, des Widerspruchsprinzips, unableitbar und damit unbeweisbar ist. Das heißt: Die Ableitung der normativen Geltung des Urteils "bonum est prosequendum et faciendum, malum est vitandum" aus der grundlegend naturhaften Beziehung zwischen "bonum" und "prosecutio" ist undurchführbar, da das Erste nie abgeleitet oder bewiesen werden kann, sondern vielmehr der Evidenz der Erfahrung unterliegt. Wer es doch versucht, kann schließlich höchstens zur Feststellung gelangen, daß es sich hier um eine bloße Leerformel oder Tautologie, um ein formallogisches Strukturprinzip oder dergleichen handelt.1 (Fs)

51c Das hieße jedoch - gerade weil man das Unbeweisbare begründen will - die Natur dieses Prinzips zu verkennen. Denn es handelt sich hier nicht um ein Aussage-Urteil, sondern um die in der Reflexion zum Ausdruck gebrachte Struktur eines vernunftgeprägten Strebeaktes. Dieser Strebeakt selbst, bzw. das ihm zugrundeliegende erste praktische Urteil, ist das erste Prinzip der praktischen Vernunft. Die Struktur dieses praktischen Urteils beruht ja nicht auf der Verknüpfung zweier Termini (Subjekt und Prädikat), wie das in einer Aussage (enuntiatio) der Fall ist, sondern in einem Verhältnis des "appetitus" zum "appetibile". Das Verhältnis besteht nicht in einer kognitiven Zuordnung der Art, wie sie in der Kopula "est" oder "non est" zum Ausdruck kommt, sondern in der "prosecutio", bzw. der "fuga", die gewissermaßen die "praktische Kopula" genannt werden können.2 (Fs) (notabene)

52a Erst in der Reflexion auf den im Streben integrierten Akt der praktischen Vernunft erhalten wir eine sprachlich formulierbare Gestalt dieses "praeceptum" in der Form einer Aussage: "bonum prosequendum est...". Hier handelt es sich nun um ein Urteil im geläufigen Sinn, das aber aus keinen anderen Urteilen oder Prämissen ableitbar, sondern nur in der Reflexion bewußtgewordene Bestätigung des ersten Aktes der praktischen Vernunft ist. Weit davon entfernt, eine Leerformel, Tautologie oder ein formallogisches "ethisches Denkprinzip" zu sein, handelt es sich vielmehr um eine ursprüngliche appetitive Beziehung und - gleichzeitig - intellektive "Intuition", die den Intellekt als praktischen konstituiert und seine "extensio" ermöglicht. (Fs)

52b Alles, was in der Folge von der "ratio naturalis" in universaler Weise als gut erkannt wird oder aber im "iudicium electionis" (bzw. durch die Klugheit) konkret als hie et nunc zu tun bestimmt wird, formuliert sich unter der Herrschaft dieses ersten Prinzips als "praeceptum" der praktischen Vernunft: im ersten Fall als ein solches der lex naturalis; im zweiten Fall als "praeceptum", der Klugheit.1 (Fs)

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