Autor: Rhonheimer, Martin Buch: Natur als Grundlage der Moral Titel: Natur als Grundlage der Moral Stichwort: Inkonvertibilität des "esse morale" mit dem "esse essentiale"; generatio simpliciter - secundum quid Kurzinhalt: "... damit es sich aber in angemessener Weise in Bezug auf das verhält, was außerhalb seiner ist, wird es ausschließlich durch Akzidenzien vervollkommnet, die zum Wesen hinzutreten (...). Textausschnitt: 41b Für Thomas ist die "bonitas moralis" als "plenitudo essendi" - die ultima perfectio rei durch Tätigkeit - gerade jener Bereich, der die Prinzipien der "essentia", das Wesen übersteigt.1 Um ein metaphysisches Prinzip nicht zu mißbrauchen, ist in diesem Zusammenhang zu betonen, daß die Konvertibilität des sittlich Guten mit dem Sein eben eine solche mit dem sittlichen Sein (dem "esse morale") und nicht mit dem substantiellen, "wesenhaften" Sein darstellt. (Fs) (notabene)
41c Während im Naturprozess des Entstehens (generatio simpliciter) eine esse substantiale Wirklichkeit erlangt, so nennt Thomas die sittliche Vervollkommnung eine generatio secundum quid, aus der ein esse accidentale folgt; dieses ist das esse morale, ein akzidentelles Sein, das zu den Wesensprinzipien hinzutritt, zugleich jedoch die bonitas simpliciter dastellt. "Denn ein jedes Ding nennt man ein Seiendes insofern es absolut betrachtet wird; gut nennt man es hingegen in Hinsicht auf anderes. In sich selbst, zum Zwecke seiner Subsistenz, wird etwas durch seine Wesensprinzipien vervollkommnet; damit es sich aber in angemessener Weise in Bezug auf das verhält, was außerhalb seiner ist, wird es ausschließlich durch Akzidenzien vervollkommnet, die zum Wesen hinzutreten (...)." Nur in Gott sei Weisheit, Gerechtigkeit, Starkmut etc. - also jede Vollkommenheit - identisch mit seinem Wesen; in uns sind sie, als Tugenden, essentiae superadditae. Die sittliche Vollkommenheit ("bonitas absoluta" oder "simpliciter") fällt in Gott mit seinem Wesen zusammen, "in nobis autem consideratur secundum ea quae superadduntur essentiae".2 (Fs) (notabene)
41d Die immer wieder beschworene Konvertitibilität des Seienden mit dem Guten braucht also nicht als Konvertibilität des "bonum morale" mit den "esse essentiale" aufgefaßt zu werden. Thomas bestreitet eine solche Identifizierung ausdrücklich und hält daran fest, daß die Ordnung der operativen Vollkommenheit (der Sittlichkeit) die Ordnung der Natur übersteigt. (Fs) (notabene)
42a Der Satz "alles Sollen gründet im Sein" wird deshalb dann problematisch, wenn das Sein mit der essentia gleichgesetzt wird; bedenkt man, daß die menschliche Natur oder das "Wesen" aus sich - diesem Wesen entsprechend, aber nicht mit ihm identisch - Potenzen hervorbringt, und diese wiederum Akte, so erweitert sich das Feld des "Seienden", - und auch des "Natürlichen". Während die essentia ein für das Menschsein metaphysisch-konstitutiv Notwendiges ist, bildet der Bereich der Akte den über das konstitutiv-Notwendige hinausreichenden Bezirk der Freiheit. Das in Freiheit gesetzt Sein ist jedoch aus einem metaphysisch-notwendigen Konstitutivum nicht ableitbar, sondern nur in ihm begründbar. Es handelt sich bei der menschlichen Freiheit um eine metaphysisch konditionierte Freiheit, aber eben doch um Freiheit; eine logisch zwingende Ableitung des in Freiheit -und das heißt aufgrund vernünftiger Einsicht und eigenem Wollen - vollzogenen Guten (d. h. des "sittlich Guten") kann nicht geleistet werden. (Fs) (notabene)
42b Wie gezeigt werden wird, entspringt die Ausrichtung des Willens auf das Gute ursprünglich nicht einer metaphysischen Wesenseinsicht, sondern einer praktischen Erfahrung. In ihr kommt zwar die Natur des Menschen zum Ausdruck, sie ist aber als Spruch der praktischen Vernunft "Das ist gut" oder "Das soll ich tun" nicht aus metaphysischer Wesenseinsicht abgeleitet; sie gründet in der Natur des Menschen, begründet aber eben deshalb erst die Möglichkeit metaphysischer Einsicht in diese Natur. (Fs)
42c In der Verwechslung von "natürlicher Begründetheit praktischer Einsicht" mit "Ableitung praktischer Einsich aus der Metaphysik" und dem sich aus dieser Verwechslung ergebenden Zirkel, besteht das Ungenügen essentialistischer Analyse des sittlichen Sollens. Das esse morale bedarf hingegen zu seiner Erfassung eines eigenen Modus der Erkenntnis, der auch eine besondere Wissenschaft und Methode zugeordnet ist, die, wenn auch nicht unabhängig, so doch verschieden von der Metaphysik ist. (Fs) (notabene) ____________________________
|