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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Die Perspektive der Moral

Titel: Die Perspektive der Moral

Stichwort: Zusammenfassung; Unterschied: Tugenethik - Normenethik, utilitaristische Ethik

Kurzinhalt: Der fundamentale Unterschied zwischen einer Tugend- und einer Normenethik besteht demnach darin, dass ...; die erste und entscheidende Frage: Was für ein Mensch bin oder werde ich, wenn ich dieses oder jenes tue,

Textausschnitt: 237a Der fundamentale Unterschied zwischen einer Tugend- und einer Normenethik besteht demnach darin, dass sich für die erstere das sittlich Richtige immer auch schon als Richtigkeit des Strebens bezüglich des "Für-den-Menschen-Guten" auf der Ebene konkreter Handlungen in Bezug auf bestimmte Personen bestimmt, mit denen der Handelnde (sei es von Natur aus oder durch einen Handlungsbezug wie Versprechen, Verträge usw.) in einem sittlich qualifizierten Verhältnis steht (auch zu sich selbst steht der Handelnde in einem sittlichen Verhältnis). Deshalb vermag sie von Handlungen zu sprechen, die "in sich" oder "immer" schlecht sind. Eine Normenethik utilitaristischer Art jedoch, d.h. letztlich eine argumentativ verfahrende Normenethik, kann solchen Verhältnissen keine privilegierte Stellung einräumen; sie muss deshalb auch die Kategorie der "Richtigkeit" von Handlungen von derjenigen der "Güte des Willens" abtrennen. Sie kann deshalb auch nicht verstehen, dass der intentionale Bezug des Willens auf "Gerechtigkeit" - d.h. der "gerechte Wille" - in jeder einzelnen konkreten Handlungswahl auf dem Spiel steht. (Fs)

237b Die immer wieder ins Zentrum der vorliegenden Darstellung gerückte Eigenschaft menschlichen Handelns als intentionales Handeln und die wesentlich intentionale Strukturierung von Handlungsobjekten - es ist entscheidend, dies nie aus den Augen zu verlieren - begründet und reflektiert zugleich die aller Moral eigene Perspektive: Sittliche Handlungen sind immanente Akte, die - abgesehen von ihren Wirkungen auf andere Handlungssubjekte - immer auch den Handelnden selbst verändern. Durch Handeln als intentionaler Vollzug erlangt der Mensch als ein Seiendes jene zunehmende Seinsfülle - Vervollkommnung -, die wir meinen, wenn wir von ein "guten Menschen" sprechen. "Intentionale Handlungen" sind Vollzüge, mit denen das Handlungssubjekt vernünftig-strebend auf etwas abzielt und er sich gemäß diesem "Abzielen auf etwas" (das Gute) auch verändert. Deshalb werden wir, je nach dem, durch intentionale Handlungen "gute" oder "schlechte" Menschen - und damit ist gemeint: wir erlangen, was man allein vernünftigerweise um seiner selbst willen erstreben kann, wodurch unser Streben jene Sättigung erfährt, auf die wir in unserem Glücklichsein-wollen alle schon immer aus sind. Die Frage der Moral ist nie einfach: Was soll ich tun? Welche Handlungsweise ist hier und jetzt die richtige? Diese Fragen sind zweifellos Fragen der Ethik und der Moral, sie sind aber nachgeordnet und untergeordnet unter die erste und entscheidende Frage: Was für ein Mensch bin oder werde ich, wenn ich dieses oder jenes tue, d.h. es aus freien Stücken wähle? Worauf richte ich mich, worauf zielt mein Leben als Gesamtes, wenn ich diese oder jene Handlung vollziehe bzw. unterlasse? (notabene)

237c Sittliches Gutsein ist gegenüber dem bloßen Gutsein aufgrund der Tatsache, ein existierender Mensch zu sein, ein Mehr: Es ist metaphysisch gesprochen ein akzidentelles (hinzukommendes) Sein, in der Perspektive des Guten jedoch erst das eigentliche Gutsein, aufgrund dessen wir dann auch von einem Menschen sagen: er ist ein guter Mensch. Als sittliche (handelnde) Subjekte werden wir bzw. sind wir, was wir erstreben und aufgrund unseres Strebens tun. Nichts würde es dem Menschen nützen, wenn er die ganze Welt verbesserte, dabei aber selbst kein guter Mensch wäre bzw. würde. Er würde dann nämlich gar nicht die Welt verbessern. Denn eine Welt ohne Menschen guten Willens - ohne "gute Menschen" - ist keine gute Welt. (Fs) (notabene)

237d Das klingt nun freilich wortklauberisch, weil man meinen könnte - und utilitaristische Ethiker meinen es in der Tat - schließlich sei man gerade dann ein guter Mensch, wenn man die Welt zu verbessern suche. Dieser Einwand ginge jedoch am zentralen Punkt vorbei: Wir können das Gute für die Welt, die Gesellschaft, kurz: für unsere Mitmenschen immer nur in dem Maße erstreben, verfolgen und daran mitwirken, in dem wir selbst schon auf das "für den Menschen Gute" aus sind. Und das wiederum sind wir nur, insofern wir uns zunächst die Frage stellen: Was ist das in Wahrheit für mich Gute? Es ist unmöglich, anderen wohlzuwollen, wenn wir nicht wissen, was jeweils zu unserem Wohl gehört. Denn auf den anderen beziehen wir uns ursprünglich - auch kognitiv - nicht als auf einen schlechthin anderen, sondern als auf einen "mir Gleichen" und damit als auf ein "anderes Selbst" (vielleicht hat das auch Emmanuel Levinas übersehen). Das Gebot "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" oder die goldene Regel sind keine Trivialitäten; vielmehr bilden sie - ganz abgesehen von ihrer paränetischen Funktion - das kognitive Strukturgesetz praktischer Vernunft. (Fs) (notabene)

238a Die Ausformung sittlicher Tugend durch die handlungsbestimmende praktische Vernunft in dieser Perspektive der Moral, führt uns dazu, einige Grundstrukturen einer "Ethik des Handlungsurteils" zu formulieren und sie durch Kritik an der Gegenposition des Utilitarismus zu präzisieren. Eine solche Ethik des Handlungsurteils reflektiert die moralische Logik der konkret-handlungsbestimmenden Vernunft, d.h. jene Logik, deren Einhaltung Bedingung dafür ist, dass diese Vernunft der Struktur der Klugheit gemäß urteilt und so schließlich den Habitus der Klugheit zu erwerben vermag. (Fs)

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