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Autor: Rhonheimer, Martin

Buch: Die Perspektive der Moral

Titel: Die Perspektive der Moral

Stichwort: Normen im Bereich der Tugend des Maßes und Starkmuts; Trunkenheit; Empfängnisverhütung

Kurzinhalt: Eine Handlungsweise, welche die durch Vernunft und Wille zu vollziehende verantwortliche Modifizierung der Dynamik eines sinnlichen Strebens behindert oder verunmöglicht ...

Textausschnitt: 318c Die bisherigen Beispiele für Normen stammten sämtlich aus dem Bereich der Tugend der Gerechtigkeit. Im Falle der Tugenden des Maßes und des Starkmutes gelten mutatis mutandis dieselben Grundsätze. Hier können allerdings zumeist nur sehr formale Kriterien angegeben werden, da ja die Mitte dieser Tugenden immer nur eine "Mitte in Bezug auf uns" ist. "Schlecht" im Bereich dieser Tugenden, die ja die vernunftgemäße Ordnung der sinnlichen Strebungen herstellen, sind nicht eigentlich bestimmte Handlungen zu nennen, sondern das Verhältnis des Willens zu den Leidenschaften. Eine Leidenschaft - sofern der Wille mitspielt - ist schlecht, wenn sie die Herrschaft der Vernunft über das sinnliche Begehren verunmöglicht bzw. das Urteil der Vernunft über das Gute verkehrt. Über die sittliche Bedeutsamkeit dieser Tugenden wurde bereits früher genügend gesagt. Man kann aber in dieser Beziehung nicht eigentliche Handlungsnonnen, sondern höchstens sittliche Beurteilungskriterien formulieren. (Fs)

319a Es gibt allerdings auch Handlungen im Bereich dieser Tugenden, bezüglich derer Normen formuliert werden können, weil diese Handlungen ein bestimmtes Verhältnis der Vernunft und des Willens zur eigenen Triebstruktur etablieren oder zum Ausdruck bringen. "Sich betrinken" ist als (willentliche) Handlungsweise eine Handlung, durch die die Herrschaft der Vernunft ausgeschaltet wird. Hier kann ein absolutes Handlungsverbot formuliert werden, allerdings wiederum nur bezüglich der Tugend des Maßes (und damit eines ethischen Kontextes): Das Handlungsverbot gilt für Akte der Unmäßigkeit, und nicht z.B. für jenen, der sich zum Zwecke eines wissenschaftlichen Experimentes oder zum Zweck der Anästhesie bei einer Notoperation in den Zustand der totalen Betrunkenheit versetzt. (Fs) (notabene)

319b Wir können sagen: (1) Eine Handlungsweise, welche die durch Vernunft und Wille zu vollziehende verantwortliche Modifizierung der Dynamik eines sinnlichen Strebens behindert oder verunmöglicht, - so dass die Vernunft ihrer Herrschaft über die sinnliche Triebstruktur enthoben wird -, oder aber (2) eine Handlung, die darauf abzielt, diese verantwortliche Modifizierung überflüssig zu machen - indem aus Gründen der Verantwortung zu vermeidende Folgen von Akten dieses Triebes verhindert werden, so dass der Trieb zu Vermeidung dieser Folgen nicht mehr durch Vernunft und Wille beherrscht zu werden braucht und er seiner nun folgenlosen Eigendynamik überlassen werden kann - sind Handlungen, die in sich gegen jene Tugend verstossen, durch die das entsprechende Streben vervollkommnet wird1. (Fs)

Fußnote
230 Das letztere trifft m. E. auf die Handlung "Empfängnisverhütung" zu, in Bezug auf die deshalb eine absolut verbietende Handlungsnorm formuliert werden kann. Zur Beschreibung des Objekts dieser Handlung s. oben III,4,c; zur Begründung der Norm vgl. M. Rhonheimer, Sexualität und Verantwortung, a. a. O. In kürzerer Form findet sich die Argumentation in meinem Artikel: Empfängnisverhütung, Sexualverhalten und Menschenbild, in: Imago Hominis II, 1 (1995), S. 145-152.

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