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Autor: Tresmontant, Claude

Buch: Paulus

Titel: Paulus

Stichwort: Fleisch - Geist; biblischer Begriff des Fleisches; Johannes: Welt

Kurzinhalt: Das fleischliche - weltgemäße - Sein ist ein «Sein zum Tode»

Textausschnitt: FLEISCH UND GEIST

50c Es gilt an dieser Stelle die doppelte Nuancierung zu beachten, die dem Begriff «Fleisch» in der Bibel und insbesondere bei Paulus eigen ist. (Fs)

50d In der biblischen Terminologie ist das Fleisch vor allem, wie wir schon sahen, die biologische, psychologische (beseelte) lebendige Schöpfungsordnung, und insbesondere die menschliche Natur, ohne irgendeinen herabmindernden Beigeschmack. Der biblische Ausdruck: «alles Fleisch» läßt sich einfach als: alle Lebewesen, oder im engeren Sinne als: alle Menschen übersetzen. Zum Beispiel: «Alles Fleisch zumal wird ihn schauen, denn der Mund des Herren hat es versprochen» (Is. 40, 5). «Siehe, ich bin der Herr, der Gott allen Fleisches.» (Jer. 32, 27) (Fs)

50e Man muß sorgfältig beachten, daß in der Bibel «das Fleisch» nicht einen Teil des «Kompositums Mensch» bedeutet wie in der dualistischen Anthropologie, in der man den «Leib» und die «Seele» unterscheidet. Der biblische Begriff des Fleisches entspricht nicht dem abendländischen Begriff des «Leibes». Das Fleisch bedeutet im biblischen Denken die menschliche Natur, den ganzen Menschen, die lebendige, beseelte, bewußtseinserfüllte Tier- oder Menschenwelt. (Fs)

51a Doch die Menschheit hat ihren eigenen Willen, sie ist autonom in ihren Gebärden, ihrem Verhalten, ist frei in ihrem Handeln und Denken, trägt die Verantwortung für ihr Geschick. In Wirklichkeit war «die Erde verderbt, denn alles Fleisch hatte seinen Wandel auf Erden verderbt» (Gen. 6,11). Infolgedessen hat der Begriff «Fleisch» in der Bibel einen doppelten Sinn angenommen: einen neutralen - «Fleisch» als die lebendige, beseelte Kreatur - und einen herabsetzenden: als das aufsässige, verderbte Geschöpf. So erklärt es sich, daß «Fleisch» im Alten Testament das entartete Wollen des Menschen bezeichnet, seine Schwäche und seine Sünde. Doch auch in diesem Fall darf man nicht die biblische Auffassung mit der durchaus verschiedenen Perspektive vertauschen, mit der das Abendland durch den Manichäismus und die verschiedenen gnostischen Häresien bekannt gemacht wurde. Der biblische Begriff «Fleisch» hat keinesfalls die gleiche Bedeutung wie in der gnostischen Metaphysik: Bei Marcion und Mani ist das böse Fleisch gleichbedeutend mit dem «Leib», in den die Seele herabgesunken ist und in dem sie gefangen, verbannt, gefesselt bleibt. (Fs)

52a Um es noch einmal zu sagen: Im biblischen Sinne ist das Fleisch nicht ein Teil des Menschen; der Mensch ist Fleisch. In manichäischer - dualistischer - Sicht dagegen ist der Mensch seinem Wesen nach eine Seele, die in einen Leib geraten ist. (Fs)

52b Wir müssen diese zwei Gesichtspunkte sorgfältig unterscheiden, um bei der Auslegung der paulinischen Texte, die wir anführen werden, keinen entscheidenden Fehler zu begehen. In unserer abendländischen Kultur gibt es ererbte Denkweisen und Terminologien, deren heterogenen Ursprung es trotz der scheinbaren Ähnlichkeiten der Wortbildung zu erkennen gilt, wenn man nicht durchaus Entgegengesetztes miteinander verwechseln will. So haben die christlichen Gnostiker in Wahrheit den Sinn der paulinischen Begriffe verdreht und den biblischen Begriff des Fleisches vom Standpunkt der platonischen Metaphysik aus interpretiert. (Fs)

52c Dieser Begriff bezeichnet keineswegs einen Gegenstand (den Leib), sondern vielmehr eine gewisse Geistigkeit, ein gewisses Wollen, wie sie einer Menschennatur eigen sind, die ihre besonderen Wege geht. Das Fleisch ist die Menschennatur, insoweit sie sich Gott entgegenstellt, die alte Menschennatur, die noch nicht durch das übernatürliche Leben - den Geist - erneuert wurde. (Fs)

52d Dem Begriff des Fleisches bei Paulus eignet im übrigen die gleiche Zwiespältigkeit wie dem Begriff des Kosmos, «der Welt», bei Johannes. In einem Sinn bedeutet «Welt» bei Johannes die Schöpfung Gottes, die gut ist, und ganz besonders die Menschheit, die Welt des Menschen: «Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen einziggezeugten Sohn hingab, auf daß keiner, der an Ihn glaubt, zugrunde gehe, sondern ewiges Leben habe.» (Joh. 3,16) In anderen Fällen bezeichnet hingegen «die Welt» ebenso wie der biblische Ausdruck «das Fleisch» die Menschenwelt, die sich willentlich dem Willen Gottes entgegenstellt: die Menschenwelt, in der die Sünde in den Einrichtungen, den Sitten, den Riten, den Gebräuchen, den Moden, den vorgefaßten Meinungen, den gedankenlos übernommenen Urteilen gleichsam kristallisiert und objektiviert ist; es ist das jene «kollektive Mentalität», die Heidegger die Meinung des man nennt. Das Geschwätz und die Neugierde, die Böswilligkeit, die Gottesentfremdung durch die Sorge, die Tyrannei gewisser Werte, die vor Gott keinen Wert haben -: all das nennt Johannes die «Sünde der Welt» (Joh. 1, 29). Es ist das gleiche, was im Alten Testament einfach die Sünde der Menschensöhne, die Sünde des Menschengeschlechts heißt: «Die Welt kann den Geist der Wahrheit nicht empfangen.» (Joh. 14,17) «Wäret ihr aus der Welt, so würde die Welt das Ihrige lieben; aber weil ihr nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum haßt euch die Welt.» (Joh. 15,19) Hier ist offensichtlich mit «Welt» nicht der physische Kosmos, sondern die Menschenwelt gemeint, die solidarisch auf jeden von uns Druck ausübt. So gibt es auch eine Weisheit der Welt: Die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott, sagt Paulus (1. Kor. 3,19). Die Welt hat Gott nicht erkannt. (1. Kor. 1, 21) Wir haben aber nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist. (1. Kor. 2,12) (Fs)

53a In allen diesen Wendungen hat «die Welt» keine kosmologische, sondern eine existentielle Bedeutung, genauso, wie «das Fleisch» nicht in einem anthropologischen, sondern ebenfalls im existentiel-len Sinne zu verstehen ist. Die Analysen Heideggers bieten, neben den Betrachtungen Pascals und Kierkegaards, wertvolle Aufschlüsse über den Gehalt dieser biblischen Begriffe. (Fs)

53b Im Falle des johanneischen und paulinischen Begriffes «die Welt» wie beim Begriff «das Fleisch» sind die Gnostiker vom wahren Sinn dieser neutestamentarischen Terminologie abgewichen, indem sie die biblischen Ausdrücke in eine Metaphysik des Sündenfalles transponierten. Demnach wären die präexistenten Seelen in eine schlechte Welt, in einen Stoff, der sie gefangen hält, abgesunken. Diese Abkehr von dem Wortsinn, wie ihn Paulus verwendet, hat sich teilweise bis auf uns fortgepflanzt, und so fällt es heute recht schwer, unserer Vorstellung den ursprünglichen Sinn wieder nahezubringen. (Fs)

53c Fassen wir zusammen: Paulus sagt in den folgenden Texten nicht: daß «das Fleisch schlecht ist» (manichäische These), sondern daß «die Menschheit in ihrem Wesensgrunde sündig» ist und sich der Berufung durch Gott widersetzt. Das ist etwas ganz anderes. (Fs)

53d Zwischen dem Geist der Welt und dem Geist Gottes besteht ein Gegensatz, der davon herrührt, daß sich der Mensch dem Willen Gottes widersetzt. Wenn sich der Geist Gottes in uns niederläßt, wenn er uns zu verwandeln sucht, um aus uns geistige, gottgemäße Wesen zu formen, so trifft er in uns auf einen Widerstand, der auf diesen alten Widerspruch des Menschen gegen Gott, den Widerspruch im «alten Menschen» zurückgeht. So sind wir also zerrissen. Wir können unser Verhalten entweder nach dem Gesetz dieses alten Menschen in uns richten, der die von Gott geforderte Erneuerung ablehnt, oder dem Geist Gottes nachleben, der uns zur Freiheit des Lebens in Gott ruft. Eben diesen Gegensatz kennzeichnet Paulus durch den Widerspruch zwischen «Fleisch» und «Geist»: Wandelt im Geiste, dann werdet ihr nicht vollbringen, was das Fleisch begehrt. Denn das Fleisch begehrt wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch, diese liegen ja miteinander im Streite, damit ihr nicht das, was ihr wollt, tut. Wenn ihr euch nun vom Geiste leiten laßt, steht ihr nicht unter dem Gesetz. Offenbar aber sind die Werke des Fleisches, das sind: Unzucht, Unreinheit, Schwelgerei, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Zornausbrüche, Streitigkeiten, Uneinigkeiten, Spaltungen, Mord, Neid, Trinkgelage, Schmausereien, und was dem gleich kommt, davon sage ich euch voraus, wie ich euch schon vorausgesagt habe: Die solche Dinge treiben, werden Gottes Königtum nicht erben. Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung; wider alles das steht kein Gesetz. Die aber Christus Jesus zu eigen sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und den Begierden (Gal. 5,16). (Fs)

54a Wie der heilige Augustinus bemerkte (De Civitate Dei 14, 2), sind die Werke des «Fleisches» und die Handlungen des «Fleisches» nicht nur solche, die wir mit dem «Leibe» in Verbindung bringen (wie Ausschweifungen usw.), sondern auch psychische Handlungen und Verhaltensweisen, wie Haß, Eifersucht, Zorn, Magie, Glaubensspaltungen usw., die in Wahrheit von der psychologischen Analyse abhängen, zugleich aber eine biologische und somatische Grundlage haben. (Fs)

54b Das Geistige (Spirituelle) ist das, was nicht durch die Psychoanalyse erfaßbar ist; was nicht der biologischen oder psychologischen Ordnung, also dem menschlichen Bereiche, sondern der übernatürlichen Ordnung und somit bereits dem Leben Gottes angehört. Bei Paulus bedeutet «fleischlich» soviel wie «menschlich»; den Weg des Fleisches gehen, heißt bei ihm, den Weg des Menschen gehen. (Fs)

Und ich, Brüder, schreibt Paulus an die Korinther, konnte nicht zu euch reden wie zu Geistigen, sondern wie zu Fleischlichen, wie zu Unmündigen in Christus. Milch gab ich euch zu trinken, nicht feste Speise; denn die ertrüget ihr nicht. Aber auch jetzt ertragt ihr sie nicht; denn noch seid ihr fleischlich. Wo nämlich Eifersucht und Streit unter euch herrschen, seid ihr da nicht fleischlich und zuandelt nach Menschenweise? (1. Kor. 3,1) (Fs)

54c Das fleischliche - weltgemäße - Sein ist ein «Sein zum Tode» (eis thánaton - Rom. 6, 16).
Denn das Ende davon ist der Tod (Rom. 6, 21). Wenn ihr nach Fleisches Art lebt, werdet ihr sterben (Rom. 8,13). (Fs)
Das fleischliche Sein stellt die menschliche Existenz dar, die nicht durch ein dem Geiste Christi - dem Geiste des Neuen, der Leben spendet - gemäßes Leben erneuert worden ist: Denn alle, die vom Geiste Gottes geleitet werden, die sind Söhne Gottes (Rom. 8,14). (Fs)

54e Die Analysen Pascals, die uns die Situation des Menschen ohne Gott vorführen, sowie die Analysen Heideggers und seiner Schüler verdeutlichen dieses Negative der christlichen Existenz, die Lücke, die vom übernatürlichen Leben ausgefüllt worden ist. (Fs)

55a Wie Paulus sagt, gibt es eine gottgemäße Trauer, die Sinnesumkehr zur Rettung wirkt; die Trauer der Welt dagegen wirkt Tod (2. Kor. 7,10). Die Trauer der Welt, das ist die Verzweiflung an der «fleischlichen, menschgemäßen» Existenz, die Geworfenheit, das In-die-Welt-geworfen-Sein. Die Welt Heideggers ist eine christliche Welt, aus der die Hoffnung auf Erlösung getilgt worden ist. (Fs)

55b Wir wandeln nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste. Denn die nach dem Fleische sind, trachten nach den Dingen des Fleisches, die aber nach dem Geiste sind, nach denen des Geistes. Denn das Trachten des Fleisches ist Tod, das Trachten des Geistes aber Leben und Friede. Das Trachten des Fleisches ist ja Feindschaft gegen Gott; denn dem Gesetze Gottes unterwirft es sich nicht und vermag es auch nicht; die aber im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt. Wenn aber jemand den Geist Christi nicht hat, der gehört Ihm nicht an. Ist aber Christus in euch, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, doch der Geist ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten erweckt hat, so wird der, welcher Christus Jesus von den Toten erweckte, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch Seinen Geist, der in euch wohnt (Rom. 8,4). (Fs)

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