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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Die menschliche Natur als Disposition für die Übernatur; Mond, Meer (Metapher für Selbst-Transzendenz)

Kurzinhalt: Die Natur des Menschen ist sich nicht selbst genug; sie ist defektiv in sich selbst, in der Natur ihres Willens, ihrer Freiheit ...; die Bestimmung des Ebenbildes Gottes liegt jenseits des Weltalls

Textausschnitt: 9/E5 Die Auslegung des Begriffes Natur bei Thomas ist so schwierig wie die des Vernunftbegriffs, weil im Gebrauch ihr Inhalt schwankt. ...
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10/E5 Für das Verständnis seiner Ethik ist am Begriff der Menschennatur eine grundsätzliche Verschiedenheit von der aristotelischen Auffassung notwendig zu beachten. Bei aller Enge des Anschlusses an den Griechen und die metaphysische Erotik der Neuplatoniker verläßt er diese Systeme gerade im Wesentlichsten, indem er das Weltsein als Schöpfungstat, das Menschenziel der liebenden Gottschauung als schlechthin jenseitig, die Menschennatur als Anlage und potentielle Bereitschaft für die Aufnahme einer im echten Sinne transzendenten, in freier Gnadenhaftigkeit sich schenkenden Ubernatur versteht . Das Geheimnis des geschaffenen Seins, einer uns unbegreiflich über dem Abgrund des Nichts vorhandenen gottähnlichen und -unähnlichen Wirkung ihres ewigen Ursachers, ist mit den Begriffen Potenz und Akt (in ihrem extremen Sinne reine Möglichkeit und reine Wirklichkeit) mehr nur festgestellt als erklärt. Aber diese Weise, das Natursein aufzufassen, hat die Tatsächlichkeit der Seinsbewegung, wie sie unserm geistigen Auge sich darstellt, auf ihrer Seite. Wir müssen beim Vergleich der Dinge ein Mehr und Weniger an Lebensgehalt, eine Stufung der Dinge nach ihrer Kapazität für das sie umgebende, zur Teilhabe stehende Sein und auch den durchgängigen Zug der niederen Lebenskreise nach dem je höheren und so für das Ganze ein Auslangen nach der Fülle des "Alles-zugleich-in-Einem" anerkennen. Den schlummernden Möglichkeiten reicht eine vorgängige Wirklichkeit die weckende, ziehende, aufrichtende Hand, um sie zur uranfänglich gemeinten Gestalt und Vollheit heraus- und heranzubilden. Auch der Mensch steht unter diesem Gesetz des Werde der du bist. Das alles hat die Antike schon gesagt, und sie hat der metaphysischen Begründung des weltinnerlichen Eros auch noch die religiöse Beseelung des Sittlichen durch den Gedanken der Nachfolge Gottes hinzugefügt. Thomas kennt das alles und verwendet es als Stoff zu seinem Bau, der indessen als Ganzes doch ein neues und anderes Gesetz in seinen Gliedern hat. (63f; Fs)
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11/E5 Die Natur des Menschen, sagt er, hängt von einer höheren ab, deshalb ist sie zu ihrer Vollendung nicht sich selbst genug. Sie ist nicht fertig, solang sie nur sie selbst ist, mag sie auch alles haben, was zu ihrem Begriff gehört. Dazu braucht es eine Teilhabe an der göttlichen Gutheit, die ihr kraft des eigenen Seins nicht möglich ist. Sie ist defektiv in sich selbst, in der Natur ihres Willens, ihrer Freiheit, ihres Verstandes, des "kleinen Lichtes", das eben ausreicht, "das Unserige" zu erkennen, aber gegen die offenbarsten Wahrheiten wie die Eule zur Sonne steht, vollends ermattet im Denken über Gott, das "unendliche Wesensmeer ". Sie ist überdies von der Erbsünde verwundet, kann sich aus sich selbst nicht rechtfertigen und bedarf dazu der Gnade, die als Besitz auch nur eines einzigen Menschen vom ganzen natürlichen All nicht aufgewogen wird. (64f; Fs)

12/E5 Aber dieses andern Seins ist der Mensch nicht nur bedürftig, sondern auch fähig, empfänglich, und er ist ihm zubestimmt und also pflichtig. Die Bestimmung des Ebenbildes Gottes liegt jenseits des Weltalls, als dessen Teil es da ist, und heißt - ipse Deus . Nata est ferri in Deum - es ist gottzügig von Natur. Wie alle geordneten Naturen ist es der Ort zweier sich begegnender Bewegungen, des Dranges zum eigenen Mittelpunkt und des exzentrischen zur höheren Form des Seins. Thomas gebraucht das Bild des bewegten Meeres, das zugleich dem Zug nach seinem Schwerpunkt und dem vom Mondeinfluß bestimmten Zentrum der Bewegung von Ebbe und Flut gehorcht . Folgenreich für die Ethik ist aber auch der weitere Gedanke, daß die Übernatur mit ihren Kräften nur dort ansetzen und wirken kann, wo die sittliche Verfassung bereits in ihrer gehörigen Ordnung ist. Der Grundsatz, daß die Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern sie voraussetzt, verweist das moralische Streben und religiöse Leben mit allem Nachdruck auf den göttlichen Ernst der Endlichkeit. (65; Fs)

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