Autor: Thomas, Aquin von Buch: Die sittliche Weltordnung Titel: Die sittliche Weltordnung Stichwort: Die Kräfte des Innenlebens; Voluntas est in ratione (Erkennen - Wollen) Kurzinhalt: nil volitum nisi praecognitum Textausschnitt: Mit der Antike unterscheidet Thomas in den Seelenvermögen das Geistige und das Sinnliche, in jedem Bezirke wiederum die nebeneinander wirkenden Grundkräfte des Erkennens und des Strebens . Die eine verhält sich passiv oder aktiv, wahrnehmend oder denkend, und sie hat es mit den ins Bewußtsein tretenden Dingen nach der Seite des Ob und Was zu tun; die andere, ein "Sichneigen in etwas hinein" (1 II 8, 1), sei es als sinnlich-animalische Begehr oder als vernunfthaft-willentliche Bewegung, ist Tendieren, Fühlungnehmen mit den Dingen nach ihrer werthaften Seite. Beide sind an Natur und Rang verschieden, aber gemeinsam ist ihnen, daß sie leidentliche Vermögen sind, sofern sie von etwas Wahrgenommenem bewegt werden. Damit ist auch schon die natürliche Verflochtenheit zwischen Denken und Streben im Subjekt ausgesprochen. Zur Tätigkeit des Verstandes braucht es Wollen, das Erkennen aber ist notwendige Voraussetzung des Wollens und Strebens: es kann nichts gewollt werden, was nicht zuvor erkannt ist (nil volitum nisi praecognitum); erst als Erkanntes ist das Ding Beweggrund meiner Wertung und praktischen Verhaltung. So an sich selbst betrachtet, zeigen also die seelischen Grundkräfte eine Ordnung, nach welcher der Verstand vornehmer ist als der Wille. Aber dem Gegenstande nach ist kein Primat des einen oder andern zu begründen. Denn beide gehen auf dasselbe Sein, der Verstand in Hinsicht auf seine geistige Erkennbarkeit, das Sein als Wahr, der Wille in Hinsicht auf seine Begehrbarkeit, das Sein als Gut. Darum ist der Wille die sittliche Grundkraft, aber angewiesen auf die vorgängige Funktion des erkennenden und urteilenden Vermögens. (60f; Fs) ____________________________ |