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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Der Mensch als Selbstzweck (Kahn, Schiffer); Person - Gemeinschaft (congregatio humana)

Kurzinhalt: Homo animal rationale, animal sociale; dominium sui actus; Mensch: nicht im Dienste der Gattung -> wegen seiner selbst von Gott gewollt; Gemeinschaft: Gesellung von akzidentellem Charakter; unterhalb der Substanz Person

Textausschnitt: 3/E5 Der Mensch verhält sich zum Dasein nicht wie der Kahn zum Wasser, sondern wie der rudernde, lenkende Schiffer zu seinem Kahn. Er bestimmt sich seinen Zweck, und in Eigenbewegung verfolgt er ihn. Er ist über das Tier so weit erhaben als der Verstand über den Instinkt, aber er bleibt unter Gott, weil er das Sein nicht von sich selber hat, weil ihm letzte Formen und Inhalte des Denkens von Natur vorgegeben sind, sein Verhalten zu ihnen ein unausweichlich so bestimmtes ist, und weil seinen letzten Zweck nicht zu wollen ihm unmöglich ist . Aber weil dieser letzte Zweck, die Glückseligkeit in Gott, mit der Natur des Menschen übereinkommt, ist für das sittlich vollendete persönliche Wesen, in dem die Zweckbewegung des Weltganzen ihren höchsten Punkt erreicht, nicht abermals ein höherer Zweck zu suchen. Als vernünftige Natur hat es die Herrschaft, die freie Verfügung über sein Handeln (dominium sui actus), es liegt in seiner Gewalt, sich auf seine seelischen Wallungen einzulassen oder sie zurückzuweisen. "Das geistige Wesen ist um seiner selbst willen (propter se) ins Universum gesetzt, alles andere aber seinetwegen." Mag bei den untermenschlichen Wesen das Individuum im Dienste der Gattung stehen, nicht so ist es beim Einzelmenschen, weil er als Person in keinem Sinne "wegen eines andern", sondern "wegen seiner selbst von Gott gewollt" und als Selbstzweck, nicht als Mittel zum Zweck, auch in der göttlichen Weltregierung steht. Sein Rang als unsterbliches Gottebenbild, begabt mit dem Intellekt, der "gleichsam alles werden kann", als Natur, die begreifend und liebend die "Affinität zum Ganzen" hat, verbürgt ihm die freie Selbstbestimmung, das Fundament der Sittlichkeit und des Rechts2. Auch seine innere wesentliche Hinordnung auf Gott und Gottes Verherrlichung kommt überein mit der Vollkommenheit und Beseligung des eigenen Seins. (58f; Fs)

4/E5 Danach kann es nicht zweifelhaft sein, wie Thomas das menschliche Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft betrachtet. Die Fragestellung muß in seinem Sinne lauten: Wie stehen in der Seinsordnung Person und Gemeinschaft zueinander? Grundlegend für die Antwort ist die Erkenntnis, daß der Mensch als Natur, nicht aber als Person auf die Gemeinschaft hingeordnet ist. Die beiden Begriffe erfordern eine scharfe Scheidung. Die allen gemeinsame geistig-sinnliche Einheit Menschennatur wird von der individuellen, unmitteilbaren menschlichen Person getragen. Jene Natur ist in ihrem innersten Wesen sozial, der Gemeinschaft bedürftig, weil sie unvermögend ist, sich in allem selbst zu helfen; aus dieser Bedürftigkeit und Unvollkommenheit geht die Gemeinschaft hervor. Was ist sie? Eine "Gesamtperson"? Eine substantielle Wesenheit? Nein, sagt Thomas, sie ist nur eine Ordnungseinheit einer Vielheit mannigfaltiger, zur Gemeinsamkeit in der Verfolgung eines Zweckes hinordnungsfähiger Teile. Ihr Zweck aber ist das Gemeingut des bene vivere oder das sittliche Leben, das als solches auch das glückliche ist, genauer das Gemeingut der Gerechtigkeit und des Friedens1. Sie ist dem Einzelnen so nötig, daß er ohne sie ein Unmensch wäre. Und weil er zu ihr wie der Teil zum Ganzen steht, das Ganze aber in der Intention der Natur früher als der Teil und auch das Vollkommenere ist, so verpflichtet die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, das Einzelwohl dem Gemeinwohl unterzuordnen: dieses ist besser und göttlicher als das Gut eines Einzigen, vorausgesetzt allerdings, daß es dort wie hier sich um dieselbe Gattung handelt. Aber die Gemeinschaft ist und bleibt doch nur eine congregatio (oder adunatio) humana, eine Gesellung von akzidentellem Charakter, und steht als solche in der Seinsordnung unterhalb der Substanz Person, die "das Vollkommenste in der ganzen Schöpfung" ist . (59f; Fs) (notabene)

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