Autor: Sorokin, Pitirim A. Buch: Kulturkrise und Gesellschaftsphilosophie Titel: Kulturkrise und Gesellschaftsphilosophie Stichwort: "Kausalbeziehung", sinnlose Kongerenzen, sinnvolle Einheiten Kurzinhalt: 4 Gruppen: 1. Eine bloß räumliche oder zeitliche Nachbarschaft, 2. indirekte Kausalbeziehungen, 3. direkte Kausalzusammenhänge, 4. sinnhaft-kausale Bande. Textausschnitt: 12/11
a) Eine Nummer des Look, eine angebrauchte Flasche Whisky, ein Schuh und eine Orange können nebeneinander auf dem Fußboden liegen, weil zufällige Kräfte sie in engere Nachbarschaft miteinander gebracht haben. Die räumliche Nachbarschaft ist die einzige Verbindung zwischen ihnen. Von ihr abgesehen sind sie weder durch ein kausales noch durch ein logisches Band miteinander verknüpft. Ein Schuttabladeplatz am Rande einer Stadt zeigt eine große Zahl der verschiedensten Kulturgegenstände in engster Nachbarschaft zueinander. Da diese räumliche Nähe die einzige Verbindung zwischen ihnen ist, so kann man einzelne Gegenstände davon verändern - hinzufügen, wegnehmen, in Stücke brechen -, ohne daß dadurch die übrigen Gegenstände des Müllhaufens verändert würden. Eine Vereinigung von Kulturerscheinungen, die untereinander nur durch räumliche (oder, wie viele Wochenschau-Ereignisse, zeitliche) Nachbarschaft verbunden sind, bilden eine Kongerenz (congeries). (219; Fs)
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b) Ein etwas engerer Zusammenhang besteht zwischen den Erscheinungen X, Y und Z, wenn keine derselben in einer kausalen oder sinnhaften Beziehung zu den anderen steht, aber wenn alle zusammen auf einen gemeinsamen Faktor A kausal bezogen sind. Mittels A sind sie durch eine direkte Kausalbezeichnung miteinander verknüpft.
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c) Als nächstes wollen wir die Gesamtheit kultureller Gegenstände, Erscheinungen und Prozesse betrachten, die durch eine unmittelbare Kausalbeziehung miteinander verknüpft sind. Sie bilden kausale Kultureinheiten oder Systeme. Der Ausbruch eines Krieges, einer Hungersnot oder einer sonstigen Elementarkatastrophe führt in allen Gesellschaften einer bestimmten Art unweigerlich zu einer Ausweitung der obrigkeitlichen Einmischung; die Beendigung des Krieges, ()
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d) In scharfer Abhebung von den Kongerenzen oder Konglomeraten von Sinngehalten wie "zwei plus Stalin plus Azalee plus Wasser plus Jupiter plus Schuh plus Barock plus Fisch plus Tisch", wo die Sinngehalte nur durch räumliche (oder zeitliche) Nachbarschaft miteinander verknüpft sind, ist jede Aussage wie "A ist B" oder "zwei mal zwei ist vier" oder "A ist nicht B" ein sinnvolles kleines System, wo das logische Subjekt und das logische Prädikat miteinander logisch so verbunden sind, daß sie einen sinnvollen Satz ergeben. Eine zu einem einzigen sinnvollen, in sich zusammenhängenden und verständlichen Ganzen vereinigte Gesamtheit solcher Aussagen bildet ein sinnvolles System (a meaningful System) . Die Mathematik ist ein solches ausgedehntes sinnvolles System oder ein Bedeutungszusammenhang ...
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17/11 Bei kulturellen Sinngehalten ästhetischer Art nimmt der ästhetische Zusammenhang des Inhalts und Stiles der Kunsterscheinungen die Stelle des logisch-mathematischen Zusammenhanges ein. Ästhetische Kongerenzen stellen ein Mischmasch dar, ein Sammelsurium von verschiedenen disharmonischen Trümmern von Normen und Inhalten. Eine Komposition, die einige Takte von Bach, einige von Strawinsky, von Brahms, von Gershwin, von Wagner und etwas Jazz enthält, ist ein musikalisches Haschee. Ein Konglomerat gleicher Art wäre z. B. auch eine literarische Komposition,
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18/11 Dies umreißt den tiefen Unterschied zwischen sinnlosen Kongerenzen und sinnvollen Einheiten und Systemen. Die Teile oder Sinngehalte, die ein sinnvolles System ausmachen, sind durch das Band sinnvollen (logischen oder ästhetischen) Zusammenhanges zu einem System zusammengeschlossen. Solche Einheiten sind etwas anderes als die vorerwähnten rein kausalen Einheiten. Dort treffen wir einen kausalen Zusammenhang zwischen den Teilen des Systems an; hier, in den sinnvollen Einheiten oder Bedeutungszusammenhängen, ist der Zusammenhang ein logischer oder ästhetischer, was ihn grundlegend vom kausalen unterscheidet. Dieser letztere ist weder logisch noch ästhetisch in sich zusammenhängend; er besteht nur aus der relativ konstanten wechselseitigen Abhängiqkeit eines A von einem B in ihrer Koexistenz, in ihrer Aufeinanderfolge oder in ihren vergesellschafteten Variationen. (222; Fs) ____________________________
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