Autor: Thomas, Aquin von Buch: Die sittliche Weltordnung Titel: Die sittliche Weltordnung Stichwort: Gnade Kurzinhalt: Dieses übernatürliche Kräftesystem ist in dem Wort Gnade (von genäden, sich niedern, niederlassen) befaßt. Textausschnitt: 16/E4 Mit höchstem Nachdruck muß betont werden, daß im System des Thomas die Ethik nur in organischer Verbindung mit der Moraltheologie gegeben ist, deshalb nämlich, weil er die Menschennatur im Sinne des christlichen Lebensbegriffes als den geöffneten, empfänglichen, zur Ergreiflichkeit befähigten Grund und Ansatz für eine überragende Wirklichkeit versteht. Weder die Vernunft noch der gute Wille noch die natürliche Tugend haben im Bereich des Sittlichen den Charakter des Letzten, Abschließlichen und Vollkömmlichen: wir sind nicht mehr der Mensch in der ursprünglichen Unversehrtheit dieses Gotteswerkes, () Dieses übernatürliche Kräftesystem ist in dem Wort Gnade (von genäden, sich niedern, niederlassen) befaßt. Wie aber der Fall des Menschengeschlechts in geschichtlicher Zeit geschehen ist, so griff und greift auch das Gnadenwirken Gottes in die von Zeit und Freiheit bedingte, von Entwicklung und Entscheidung bewegte Welt des Geschichtlichen ein. Die Tatsachen der übernatürlichen Offenbarung, des in zeitlichem Fortgang sich enthüllenden göttlichen Heilswillens, entzünden dem Erkenntnisleben ein dem Verstande überlegenes, aber ihn und den ganzen Menschen über sich hinausführendes Licht, und sie vergewissern den im Glauben sich öffnenden einer Wirklichkeit, durch die der Mensch erst mit der innern Proportion zu dem schauend-liebenden Gottbesitz begabt wird, zu dem er seiner Natur nach in der Disposition ist, ohne daß er kraft der Natur allein jene letzte und höchste Bestimmung erfüllen konnte. Das sittliche Endziel des motus in Deum wird nicht gewonnen ohne die religiöse Ergebung in das heilschaffende Wollen und Wirken des Deus movens. ____________________________ |