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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 4. In diesem armseligen Leben findet niemand das höchste Gut, auch nicht der Tugendhafte

Kurzinhalt: eg: Schilderung des Übels und der Mühsal des Menschen im Kampf dagegen; höchstens mit Gottes Hilfe so weit, daß der Geist dem wider ihn gelüstenden Fleisch nicht weicht

Textausschnitt: 19/4/1 Fragt man nun uns, was der Gottesstaat zu all dem sage, und vor allem, was er über das höchste Gut und Übel für eine Meinung habe, so gibt er zur Antwort, das ewige Leben sei das höchste Gut, der ewige Tod aber das größte Übel. Um jenes zu erlangen und diesem zu entgehen, müsse man recht leben. Deswegen heißt es in der Schrift:« Der Gerechte lebt aus dem Glauben.» Denn wir sehen unser Gut noch nicht, müssen es also glaubend suchen, können auch nicht aus eigener Kraft recht leben, wenn der nicht unserm Glauben und Gebet beisteht, der uns denGlauben einflößte, daß wir seine Hilfe nötig haben. Jene aber, die meinen, das Endziel des Guten und Bösen sei in diesem Leben zu finden, suchen das höchste Gut entweder im Leibe oder in der Seele oder in beiden. Ich will es etwas ausführlicher darlegen. ...
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19/4/2 Denn wer vermöchte es wohl, und ergösse sich seine Beredsamkeit wie ein Strom, das Elend dieses Lebens zu schildern? Wie ergreifend klagte Cicero in seiner Trostschrift über den Tod der Tochter! Und doch konnte die Kunst seiner Rede nicht genügen. Denken wir etwa an jene ursprünglichen Güter der Natur. Wann, wo und wie wäre es wohl in diesem Leben mit ihnen so gut bestellt, daß sie nicht, Ungewissen Zufallen ausgesetzt, unsicher schwankten? Der Schmerz widerstreitet der Lust, die Unruhe der Ruhe; aber gibt es einen Schmerz, eine Unruhe, die den Leib des Weisen nicht befallen könnte? Verlust oder Schwächung von Gliedern zerstört des Menschen Unversehrtheit, Entstellung seine Schönheit, Siechtum seine Gesundheit, Mattigkeit seine Kraft, Steifheit oder Lähmung seine Beweglichkeit; und was von alledem könnte nicht auch über des Weisen Leiblichkeit hereinbrechen? Auch Haltung und Bewegung des Körpers, wenn sie würdig und angemessen sind, rechnet man zu den ursprünglichen Gütern der Natur; aber was dann, wenn irgendein Leiden die Glieder schmählich erzittern läßt? Was dann, ...
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19/4/3 Wie steht es ferner mit der Tugend selbst, die nicht zu den ursprünglichen Naturgütern gehört, da sie erst später, durch Belehrung eingeführt, zu ihnen hinzutritt? Sie beansprucht den Vorrang unter allen menschlichen Gütern und kann doch hienieden nichts weiter tun, als ohne Aufhören mit den Lastern kämpfen, und zwar nicht denen, die draußen, sondern drinnen sind, nicht fremden, sondern durchaus selbsteigenen. Zumal gilt das von jener Tugend, die auf griechisch Sophrosyne heißt, dem Maßhalten, wodurch die fleischlichen Begierden gezügelt werden, daß sie nicht den Geist zur Einwilligung in allerlei Schandtaten verleiten. ... Was aber wollen wir anderes erreichen, die wir nach der Vollendung im Besitz des höchsten Gutes trachten, als daß das Fleisch nicht mehr wider den Geist gelüste und das Gebrechen, wider das den Geist gelüstet, in uns ausgetilgt werde? Aber in diesem Erdenleben, wenn wir uns noch so sehr bemühen, erreichen wir's nicht, bringen es höchstens mit Gottes Hilfe so weit, daß der Geist dem wider ihn gelüstenden Fleisch nicht weicht und unterliegt und wir uns nicht dazu hinreißen lassen, in die Sünde einzuwilligen.
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19/4/4 Sodann jene Tugend, die man Klugheit heißt, muß sie nicht ihre ganze Wachsamkeit aufbieten, das Gute vom Übel zu unterscheiden, damit beim Trachten nach jenem und beim Ausweichen vor diesem kein Irrtum sich einschleicht? Bezeugt nicht auch sie dadurch, daß wir von Übeln umgeben sind und die Übel in uns tragen? Denn sie lehrt uns, daß es übel ist, in die Sünde einzuwilligen, aber gut, der Lust zum Sündigen nicht nachzugeben. Doch können dies Übel, in welches einzuwilligen Klugheit uns abrät, Mäßigung uns abhält, weder Klugheit noch Mäßigung aus unserm Leben beseitigen. Und macht uns nicht auch die Gerechtigkeit klar, deren Amt es ist, jedem das Seine zuzuteilen - wodurch im Menschen selbst die rechte Naturordnung aufgerichtet wird: die Seele Gott Untertan, das Fleisch der Seele und somit Seele und Fleisch Gott - daß sie bei diesem ihrem Werke sich mehr abmüht als bereits in der Vollendung des Werkes ruht? Denn um so weniger ist die Seele Gott untertan, je weniger sie Gott mit ihren Gedanken erfaßt, und um so weniger das Fleisch der Seele untertan, je mehr es gegen den Geist gelüstet. Solange also diese Schwäche, diese Pest, dieses Siechtum in uns steckt, wie können wir da wagen zu behaupten, wir seien schon gesund, und wenn noch nicht gesund, wir seien gar endgültig glückselig! ...

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