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Stichwort: Naturalismus

Autor, Quelle: Taylor, Charles, Negative Freiheit

Titel: Naturalismus - Selbstinterpretation

Index: Naturalismus - der Mensch als das sich selbst interpretierende Tier

Kurzinhalt: ... ; ihre gemeinsame Voraussetzung besteht für ihn darin, alle humanspezifischen Lebensvollzüge in dem Sinn als »absolute« Eigenschaften aufzufassen, daß sie unabhängig von den Erfahrungen des Menschen als handelndem Wesen gegeben sein sollen.

Text: 300a Taylors Konzept der menschlichen Person versteht sich als ein Gegenentwurf zur naturalistischen Interpretation des Menschen. Unter dem Titel des »Naturalismus« faßt er solche Theorien zusammen, die die menschliche Gattung als Teil einer mechanistisch verstandenen Natur begreifen; ihre gemeinsame Voraussetzung besteht für ihn darin, alle humanspezifischen Lebensvollzüge in dem Sinn als »absolute« Eigenschaften aufzufassen, daß sie unabhängig von den Erfahrungen des Menschen als handelndem Wesen gegeben sein sollen. Demgegenüber besteht Taylor auf der konsumtiven Rolle der »Selbstinterpretation« im Vollzug des menschlichen Lebens; der Mensch ist, wie er zugespitzt sagt, »das sich selbst interpretierende Tier«.1 Von dieser Bestimmung nimmt Taylors Konzept der menschlichen Person seinen Ausgang; sie ist in einer Analyse der evaluativen Komponenten der menschlichen Identitätsbildung verankert. (Fs) (notabene)

301a Mit der Kategorie der »Selbstinterpretation« gibt Taylor den Ergebnissen seiner Behaviorismus-Kritik zunächst nur eine existentialphänomenologische Wendung. Jene subjektiven Wünsche und Absichten nämlich, auf die schon jede alltagssprachliche Erklärung menschlichen Handelns wie selbstverständlich Bezug nimmt, lassen sich auch als Formen des persönlichen Selbstverständnisses, eben als Deutungen eines Subjektes von sich selber, auffassen; dann aber sind solche Selbstinterpretationen in dem Sinn »konstitutiv« für ein menschliches Wesen, daß sich unabhängig von ihnen nichts über seine Handlungsabsichten aussagen läßt. Die Handlungen einer Person können wir nur in dem Maße erklären, in dem wir wissen, wie sie sich selber sieht oder interpretiert. Nun ist allerdings noch nicht sehr klar, was es heißen kann, daß menschlichen Wünschen die Rolle von Selbstinterpretationen zukommen soll; weder der Charakter noch der Gegenstand von Interpretationen dieser Art ist näher bestimmt. Taylor wendet sich daher in einem nächsten Schritt einer Analyse der internen Struktur von menschlichen Wünschen zu; den Hintergrund seiner Überlegungen stellt die berühmte Unterscheidung zwischen »first-« und »second-order desires« dar, die Harry Frankfurt in die philosophische Diskussion um den Begriff der menschlichen Person eingebracht hat.2 Frankfurt sieht als die für den Menschen konstitutive Eigenschaft die Fähigkeit an, zu den eigenen Wünschen und Bedürfnissen selbst noch einmal wertend Stellung nehmen zu können; während offenbar auch höherentwickelte Tiere mit bestimmten Absichten oder Wünschen ausgestattet sind, kommt nur menschlichen Wesen das Vermögen zu, gegenüber diesen »first-order desires« befürwortende oder ablehnende, positive oder negative Wünsche, also »second-order desires«, auszubilden. Erst solche Wünsche zweiter Stufe repräsentieren, wie Taylor sich klarmacht, Selbstinterpretationen des Menschen im strengen Sinn; dabei handelt es sich um evaluative Urteile, in denen ein menschliches Subjekt seine gegebenen Handlungsabsichten bewertet. Menschen zeichnen sich daher also zunächst durch die Fähigkeit zur Bewertung ihrer eigenen Absichten oder Wünsche aus. (Fs)

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