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Stichwort: Gewissen

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Gewissen - Paulus, modernes Verständnis

Index: Paulus; Gewissen Religion (Heiden)

Kurzinhalt: Für Paulus ist das Gewissen das Organ der Transparenz des einen Gottes in allen Menschen, die ein Mensch sind. In der Gegenwart hingegen erscheint das Gewissen als Ausdruck für die Absolutheit des Subjekts,

Text: 166a Diese Aussage führt zu dem dritten Punkt, den ich hier ansprechen wollte. Die Einheit des Menschen hat ein Organ: das Gewissen. Es war die Kühnheit des heiligen Paulus, die Hörfähigkeit auf das Gewissen bei allen Menschen zu behaupten, die Heilsfrage so von der Erkenntnis und dem Einhalten der Thora zu lösen und sie auf den gemeinsamen Anspruch des Gewissens zu stellen, in dem der eine Gott spricht, der das wahrhaft Wesentliche der Thora einem jeden sagt: »Wenn die Heiden, die das Gesetz nicht haben, von Natur aus das tun, was im Gesetz gefordert ist, so sind sie, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen damit, daß ihnen die Forderung des Gesetzes ins Herz geschrieben ist; ihr Gewissen legt Zeugnis davon ab ...« (Rom 2,14f). Paulus sagt nicht: Wenn Heiden sich an ihre Religion halten, ist es gut vor dem Gericht Gottes. Im Gegenteil, er verurteilt den Großteil der religiösen Praktiken jener Zeit. Er verweist auf eine andere Quelle - auf das, was allen ins Herz geschrieben ist, das eine Gute des einen Gottes. Hier stehen sich allerdings heute zwei konträre Gewissensbegriffe gegenüber, die freilich meist einfach ineinander geschoben werden. Für Paulus ist das Gewissen das Organ der Transparenz des einen Gottes in allen Menschen, die ein Mensch sind. In der Gegenwart hingegen erscheint das Gewissen als Ausdruck für die Absolutheit des Subjekts, über das hinaus es im Sittlichen keine Instanz mehr geben kann. Das Gute als solches ist nicht wahrnehmbar. Der eine Gott ist nicht vernehmbar. Was Moral und Religion angeht, ist das Subjekt die letzte Instanz. Das ist logisch, wenn die Wahrheit als solche unzugänglich ist. So ist im neuzeitlichen Gewissensbegriff das Gewissen die Kanonisierung des Relativismus, der Unmöglichkeit gemeinsamer sittlicher und religiöser Maß- Stäbe, wie es umgekehrt für Paulus und die christliche Tradition die Gewähr für die Einheit des Menschen und die Vernehmbarkeit Gottes, für die gemeinsame Verbindlichkeit des einen und gleichen Guten gewesen war.157 Daß es zu allen Zeiten »heilige Heiden« gegeben hat und gibt, liegt daran, daß überall und in allen Zeiten - wenn auch oft nur mühsam und stückweise - der Spruch des »Herzens« vernehmbar war, daß uns Gottes Thora in uns selber, in unserem geschöpflichen Wesen als Verpflichtung hörbar wird und uns so möglich ist, das bloß Subjektive zu überschreiten, aufeinander und auf Gott hin. Und das ist Heil. Im übrigen bleibt, was Gott mit den armseligen Bruchstücken unseres Anlaufs auf das Gute, auf ihn selber hin tut, sein Geheimnis, das nachrechnen zu wollen wir uns nicht anmaßen sollten. (Fs)

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