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Stichwort: Methode

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Glaube - Wahrheit - Toleranz

Titel: Methode - historisch-kritisch

Index: Zusammenhang: Exegese - Philosophie; Grenzen der historisch-kritischen Methode: Fixierung im Vergangenen; Gleichartigkeit

Kurzinhalt: so treten sehr deutlich zwei sonst kaum zu bemerkende Faktoren in Erscheinung: Die Methode will das Vergangene als Vergangenes erkennen ... Dazu kommt die zweite Voraussetzung, die Gleichartigkeit von Welt und Geschichte,

Text: 107a Ich möchte hier nur versuchen, die Aufgabe anzudeuten, die sich uns von daher stellt. Zunächst - was die Exegese angeht, wäre vorab zu sagen, daß Hick und Knitter sich gewiß nicht auf die Exegese überhaupt berufen können, als ob dies alles ein klares und von allen anerkanntes Ergebnis sei. Das ist in historischer Forschung unmöglich, die solche Gewißheiten nicht kennt. Es ist noch viel unmöglicher bei einer Frage, die nicht rein historisch oder literarisch ist, sondern Wertentscheidungen einschließt, die über die bloße Feststellung des Vergangenen und über bloße Textinterpretation hinausgehen. Richtig ist aber, daß bei einem pauschalen Durchblick durch die moderne Exegese ein Eindruck zurückbleiben kann, der demjenigen von Hick und Knitter entspricht. (Fs)

107b Welche Gewißheit kommt dem zu? Setzen wir voraus, die Mehrheit der Exegeten denke so (was bezweifelt werden darf), so bleibt die Frage: Wie begründet ist eine solche Mehrheitsmeinung? Meine These ist: Daß viele Exegeten so denken wie Hick und Knitter und die Geschichte Jesu dementsprechend rekonstruieren, beruht darauf, daß sie deren Philosophie teilen. Nicht die Exegese beweist die Philosophie, sondern die Philosophie bringt die Exegese hervor.1 Wenn ich a priori (mit Kant zu sprechen) weiß, daß Jesus nicht Gott sein kann, daß Wunder, Geheimnisse und Gnadenmittel dreierlei Arten von Wahnglauben sind, dann kann ich auch aus den heiligen Büchern nicht als Tatsache herausfinden, was nicht Tatsache sein kann. Dann kann ich nur herausfinden, warum und wie man zu solchen Behauptungen gelangte, wie sie sich allmählich gebildet haben. (Fs) (notabene)

108a Sehen wir etwas genauer zu. Die historisch-kritische Methode ist ein vorzügliches Instrument, um historische Quellen zu lesen und Texte zu interpretieren. Aber sie hat ihre Philosophie in sich, die im allgemeinen - etwa wenn ich die Geschichte der mittelalterlichen Kaiser zu erkennen versuche - kaum ins Gewicht fällt. Denn dabei möchte ich Vergangenheit kennenlernen, nicht mehr. Auch das geht freilich nicht wertfrei ab, und insofern gibt es auch hier Grenzen der Methode. Wendet man sie auf die Bibel an, so treten sehr deutlich zwei sonst kaum zu bemerkende Faktoren in Erscheinung: Die Methode will das Vergangene als Vergangenes erkennen. Sie will möglichst genau das Damalige in seiner Damaligkeit erfassen, an dem Punkt, an dem es damals stand. Und sie setzt voraus, daß die Geschichte im Prinzip einförmig ist: Der Mensch in all seiner Unterschiedenheit, die Welt in all ihren Verschiedenheiten, ist doch von gleichen Gesetzen und gleichen Grenzen bestimmt, so daß ich ausscheiden kann, was unmöglich ist. Was heute auf gar keine Weise geschehen kann, konnte auch gestern nicht geschehen und wird auch morgen nicht geschehen. (Fs) (notabene)

108b Bezieht man dies auf die Bibel, so heißt das: Ein Text, ein Ereignis, eine Person wird streng in seine Vergangenheit hinein fixiert. Man will herausbringen, was der damalige Autor damals gesagt hat und gesagt bzw. gedacht haben kann. Es kommt auf das »Historische«, das »Damalige« an. Deswegen vermittelt mir historisch-kritische Exegese die Bibel nicht ins Heute, in mein jetziges Leben hinein. Das ist ausgeschlossen. Sie entfernt sie im Gegenteil von mir und zeigt sie streng in der Vergangenheit angesiedelt. Dies ist der Punkt, an dem Drewermann mit Recht historisch-kritische Exegese kritisiert hat, sofern sie allein genügend sein will. Sie spricht ihrem Wesen nach nicht von heute, nicht von mir, sondern vom Gestern, vom anderen. Sie kann deshalb auch nie den Christus heute, morgen und in Ewigkeit, sondern immer nur, wenn sie sich treu bleibt, den Christus gestern zeigen. (Fs)

109a Dazu kommt die zweite Voraussetzung, die Gleichartigkeit von Welt und Geschichte, also das, was Bultmann das moderne Weltbild nennt. M. Waldstein hat in sorgsamer Analyse gezeigt, daß Bultmanns Erkenntnistheorie ganz vom Marburger Neu-Kantianismus bestimmt war.2 Von daher wußte er, was es geben und nicht geben kann. Bei anderen Exegeten wird das philosophische Bewußtsein weniger ausgeprägt sein, aber die Grundlegung durch die Erkenntnistheorie Kants ist stillschweigend immer anwesend, als selbstverständlicher hermeneutischer Einstieg, der den Weg der Kritik leitet. Weil es so ist, kann die kirchliche Autorität nicht einfach von außen her auferlegen, man müsse doch zu einer Christologie der Gottessohnschaft kommen. Wohl aber kann und muß sie dazu auffordern, die Philosophie der eigenen Methode kritisch zu überprüfen. Schließlich geht es in der Offenbarung Gottes gerade darum, daß er, der Lebendige und Wahre, in unsere Welt einbricht und so auch den Kerker unserer Theorien aufbricht, mit deren Gitterstäben wir uns selbst gegen dieses Kommen Gottes in unser Leben absichern wollen. Gottlob ist heute, in der Krise von Philosophie und Theologie, die wir durchleben, in der Exegese selbst eine neue Grundlagenbesinnung in Gang gekommen, nicht zuletzt auch durch Erkenntnisse, die durch die historisch sorgsame Auslegung der Texte gefunden worden sind.3 Sie helfen dazu, das Gefängnis philosophischer Vorentscheidungen aufzubrechen, das die Auslegung lähmt: Die Weite des Wortes öffnet sich neu. (Fs)

109b Das Problem der Exegese fällt, wie wir sahen, weitgehend mit dem Problem der Philosophie zusammen. Die Not der Philosophie, das heißt die Not, in die sich die positivistisch fixierte Vernunft hineinmanövriert hat, ist zur Not unseres Glaubens geworden. Er kann nicht frei werden, wenn die Vernunft selbst sich nicht neu öffnet. Wenn die Tür zu metaphysischer Erkenntnis verschlossen bleibt, wenn die von Kant fixierten Grenzen menschlichen Erkennens unüberschreitbar sind, dann muß der Glaube verkümmern: Es fehlt ihm einfach die Atemluft. Freilich, der Versuch mit einer streng autonomen Vernunft, die vom Glauben nichts wissen will, sich sozusagen selbst an den Haaren aus dem Sumpf der Ungewißheiten herausziehen zu wollen, wird letztlich kaum gelingen. Denn die menschliche Vernunft ist gar nicht autonom. Sie lebt immer in geschichtlichen Zusammenhängen. Geschichtliche Zusammenhänge verstellen ihr den Blick (wir sehen es); darum braucht sie auch geschichtliche Hilfe, um über ihre geschichtlichen Sperren hinwegzukommen. Ich bin der Meinung, daß der neuscholastische Rationalismus gescheitert ist, der mit einer streng glaubensunabhängigen Vernunft, mit rein rationaler Gewißheit die Praeambula Fidei rekonstruieren wollte; allen Versuchen, die das gleiche möchten, wird es letztlich nicht anders ergehen. Insoweit hatte Karl Barth schon recht, wenn er die Philosophie als glaubensunabhängige Glaubensgrundlage abwies: Dann würde unser Glaube letztlich auf wechselnden philosophischen Theorien gründen. Aber Barth irrte, wenn er deshalb den Glauben zum reinen Paradox erklärte, das immer nur gegen die Vernunft und gänzlich unabhängig von ihr bestehen könne. Nicht die mindeste Funktion des Glaubens ist es, daß er Heilungen für die Vernunft als Vernunft anbietet, sie nicht vergewaltigt, ihr nicht äußerlich bleibt, sondern sie gerade wieder zu sich selber bringt. Das geschichtliche Instrument des Glaubens kann die Vernunft als solche wieder freimachen, so daß sie nun - von ihm auf den Weg gebracht - wieder selber sehen kann. Um einen solchen neuen dialogischen Umgang von Glaube und Philosophie müssen wir uns mühen, denn beide brauchen einander. Die Vernunft wird ohne den Glauben nicht heil, aber der Glaube wird ohne die Vernunft nicht menschlich. (Fs)

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Stichwort: Methode

Autor, Quelle: Lonergan, Bernard J.F., The Trinune God: Systematics

Titel: Systematik - Dogmatik, Analyse - Synthese

Index: Wissenschaft: Erkenntnis aus Gründen; Ziel, zwei Wege: Analyse, Resolution ... (Dogmatik) - Synthese, Komposition ... (systematische Theologie); Theologen: Missverständnis der differenzierten Einheit

Kurzinhalt: It follows that the dogmatic way can be conceived as similar to the analytic way ... for like reasons the systematic part of theology can be conceived as similar to the way of synthesis

Text: 59d How these two movements are related to each other can be clarified from the very notion of science. Science is the certain knowledge of things through their causes; but before things are known through their causes, the causes have to be discovered; and as long as the causes have not yet been discovered we rely on the ordinary prescientific knowledge by which we apprehend things and describe them even before knowing their causes. (Fs)

61a So the first movement toward acquiring science begins from an ordinary prescientific description of things and ends in the knowledge of their causes. This first movement has been called:

(1) analysis, because it starts from what is apprehended in a confused sort of way and moves to well-defined causes or reasons,
(2) the way of resolution, because it resolves things into their causes,
(3) the way of discovery, because previously unknown causes are discovered,
(4) the way of certitude, because the ordinary prescientific knowledge of things is most obvious to us, and so the arguments we find most certain begin from such knowledge and go on to demonstrate matters that are more remote and more obscure to us, and
(5) the temporal way, because causes are not usually discovered instantaneously, any more than they are discovered by just anyone or without a certain amount of good luck.1 (Fs)

61b The other movement starts from the causes that have been discovered and ends by understanding things in their causes. This movement is called:

(1) synthesis, because fundamental reasons2 are employed both to define things and to deduce their properties,
(2) the way of composition, because causes are employed to produce things or to constitute them,
(3) the way of teaching or of learning, because it begins with concepts that are fundamental and especially simple, so that by adding a step at a time it may proceed in an orderly way to the understanding of an entire science,
(4) the way of probability, partly because it often attains no more than probability, but also because people frequently have no clear discernment of just where or when they have reached certitude, and
(5) the way of logical simultaneity, because, once the principles have been clearly laid down, all the rest takes comparatively little time; it can be accomplished in a few short deductions and applications. (Fs)

61c For examples of the two ways, compare the history of a science like physics or chemistry with the textbooks from which these sciences are taught. History reveals that these sciences worked out their various demonstrations starting from the most obvious sensible data. But when one goes to a textbook, one finds at the beginning of the book, in chemistry, only the periodic table of elements from which three hundred thousand compounds are derived, or, in physics, Newton's laws, Riemannian geometry, or those remarkable quantum operators. The reason for this difference is, of course, that inquiring, investigating, and demonstrating begin with what is obvious, while teaching begins from those concepts that can be understood without understanding other elements. (Fs)

63a Now since theology is analogously a science, its dogmatic part is not completely different from the way of analysis, nor is its systematic part completely different from the way of synthesis. Just as in the natural order we begin from ordinary prescientific knowledge, so also in theology we begin from what God has revealed in particular historical circumstances. Just as in the natural order we proceed to the discovery of causes, so theology states universally in the same meaning the same truth that was once biblically3 revealed. Just as in the natural order the discovery of causes leads to the knowledge of things through the causes, so in theology once the divine mysteries have been declared or defined universally, they can be imperfectly and obscurely but still most fruitfully understood. (Fs)

63b It follows that the dogmatic way can be conceived as similar to the analytic way. It is a way of certitude in that it expresses the same truth with the same meaning as what was revealed by God. Second, it is a way of discovery in that it finds an expression appropriate to the needs of a universal church that is to endure till the end of time. Third, it is a way of analysis in that it moves from historical Hebraic particularity to generally known and well-defined reasons. Fourth, it is a way of resolution in that it discerns the divine mysteries in the multiplicity of what has been revealed, and gives expression to those mysteries. Finally, it is a temporal way because a universal expression of the mysteries is attained only in the course of time. (Fs)

63c In like manner and for like reasons the systematic part of theology can be conceived as similar to the way of synthesis. For it is the way in which teachers teach and students learn, at least if it is true that for something truly to be learned it must be understood and that the only way to reach understanding is to start with that whose understanding does not require the understanding of anything else. It is, moreover, a way of synthesis in that, starting from one principle or another, it lays out all the rest in an orderly fashion. Third, it is a way of composition in that it composes the whole of a divine mystery from a series of aspects and a multiplicity of reasons. Fourth, it is a way of probability because, rather than deducing certainties from what has been revealed, it derives what has been revealed from some prior hypothetical supposition. Finally, it is a way of logical simultaneity in that, once in one's wisdom one discovers the order of the questions, and once in one's understanding one grasps a principle, then the conclusions and the applications follow of their own accord. This derivation of conclusions may be deficient in terms of logical rigor, since it proceeds from a principle that is only imperfectly and obscurely understood; but that does not mean that the process of arriving at conclusions from a systematic principle is the kind of thing that proceeds one step at a time over a long stretch of years, with a certain amount of luck. (Fs)

65a While we have acknowledged in the dogmatic way something of the process of analysis, of resolution, of discovery, of certitude, and of a temporal way, and in the systematic way something of the process of synthesis, of composition, of teaching and learning, of probability, and of logical simultaneity, we cannot ignore the fact that these terms are used analogously. Analysis and synthesis are understood in one way in physics and in another way in chemistry; they are understood in one way in the natural sciences, in another way in the human sciences, and in another way in theological disciplines. The way we understand the nature of material things is different from the way we understand the words of Plato; and when we understand Plato, we next judge whether what Plato held is true. But we believe that the word of God is true even before we investigate what it teaches. Therefore the dogmatic way has its own mode of being a way of analysis, of resolution, of discovery, of certitude, and a temporal way, and the systematic way has likewise its own mode of being a way of synthesis, of composition, of teaching or learning, of probability, and of logical simultaneity. (Fs)

65b How intimately these two ways are linked must be particularly stressed because there never seem to be lacking those whose diminished wisdom is ready and eager to take a part for the whole and to pass it on as such to others. Analysis and synthesis, resolution and composition, discovery and teaching, certitude and the understanding of what is certain, lengthy investigation and a brief compendium of results - these constitute a single whole. Those who choose but one part and neglect the other not only lose the whole but also spoil even the part that they have chosen. Those who neglect the dogmatic part in order to cultivate the systematic more profoundly are in fact neglecting what they are seeking to understand. Soon pseudo-problems emerge and pseudo-systems start to sprout, systems that dispute ever so subtly about everything while overlooking the understanding of the mysteries. But those who neglect the systematic part in order to hold faithfully and exactly to the dogmatic so resolve the one divine revelation into many different mysteries that no move can be made back from this multiplicity to unity; from what God has revealed for all to understand, they devise in the course of time a technical expression of that revelation, but they do not grasp how these technical matters are to be taught and learned. They know with certainty many technical matters, but choose to overlook the understanding of what they are certain of. They rummage through the past collecting and accumulating technically established information concerning the councils, papal documents, the Fathers, the theologians, but they avoid the task of assembling a wisely ordered, intelligible compendium of all these matters. And after all this, they stand amazed that devout people reject dogmatic theology and take refuge in some form of biblicism that is itself hardly secure. (Fs)

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