Inhalt


Stichwort: Kontrast

Autor, Quelle: Lonergan, Einsicht

Titel: Lonergan - Kant

Index: Transzendentale Deduktion, Unterschied: Lonergan - Kant

Kurzinhalt: Ein zweiter Unterschied liegt in der Unterscheidung zwischen Ding-für-uns und Ding-selbst ... Ein dritter Unterschied bezieht sich auf die allgemeinen und notwendigen Urteile ...

Text: 10. Kontrast mit der Analyse Kants [339-42]

395a Wir haben etwas vollzogen, das ähnlich ist demjenigen, was ein Kantianer eine transzendentale Deduktion nennen würde. Man wird uns deshalb die Frage stellen, warum unsere Deduktion Resultate ergibt, die von denen Kants verschieden sind. (Fs)

395b Ein erster Unterschied ist, daß Kant nach den Apriori-Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrung im Sinne der Erkenntnis eines Objektes fragte. Wir haben zwei Fragen unterschieden; es gibt das Problem der Objektivität, und von diesem haben wir sorgfältig abgesehen, und zwar nicht nur im vorliegenden Abschnitt, sondern ebenso in allen anderen früheren Abschnitten; es gibt da auch das vorhergehende Problem zu bestimmen, was für Handlungen im Erkennen beteiligt sind, und auf dieses vorhergehende Problem haben wir bis jetzt unsere Bemühungen beschränkt. Wir haben deshalb nicht nach den Bedingungen für die Erkenntnis eines Objektes, sondern nach den Bedingungen dafür, daß ein Tatsachenurteil stattfinden kann, gefragt. Wir haben nach den Bedingungen eines absoluten und rationalen "Ja" oder "Nein" gefragt einfach als Akt betrachtet. Wir haben nicht gefragt, unter welchen Bedingungen es eine Tatsache geben könnte, welche dem "Ja" entsprechen würde. Wir haben nicht einmal gefragt, welche Bedeutung eine solche Entsprechung haben könnte. (Fs)

395c Ein zweiter Unterschied liegt in der Unterscheidung zwischen Ding-für-uns und Ding-selbst. Kant unterschied diese als Phänomenon und Noumenon. Was er damit gemeint hat, ist umstritten; aber es ist doch wenigstens klar, daß diese Unterscheidung zu seiner Formulierung einer Theorie der Objektivität gehört. Außerdem scheint es mir ziemlich wahrscheinlich, daß der historische Ursprung für die Kantsche Unterscheidung in der Renaissance-Unterscheidung von primären und sekundären Qualitäten zu suchen ist, wobei die ersteren zu den wirklichen und objektiven Dingen selbst gehörten, während die letzteren zu der Art und Weise gehörten, wie das Subjekt die Dinge erfaßt. Auf jeden Fall ist unsere Unterscheidung weder die Renaissance-Unterscheidung noch die Kants. Sie ist einfach eine Unterscheidung zwischen Beschreibung und Erklärung, zwischen der Art von kognitiven Aktivitäten, welche die Inhalte festlegen, indem sie angeben, wem sie ähnlich sind, und andererseits der Art, welche die Inhalte festlegen, indem sie ihre erfahrungsmäßig bestätigten Relationen angeben. Ein Ding ist eine konkrete Einheit-Identität-Totalität, welche in den Daten als individuellen erfaßt wird. Beschreiben Sie es, und es ist ein Ding-für-uns. Erklären Sie es, und es ist ein Ding-selbst. Ist es wirklich? Ist es objektiv? Ist es mehr als bloß die immanente Bestimmung des Erkenntnisaktes? Dies sind alles recht vernünftige Fragen. Bis jetzt aber antworten wir weder mit "Ja" noch mit "Nein". Für den Augenblick ist unsere Antwort einfach, daß Objektivität [340] ein hochkomplexes Problem ist und daß wir es erst befriedigend behandeln werden, wenn wir beginnen zu bestimmen, was genau der Erkenntnisprozeß ist. Zweifellos gibt es Einwände, die gegen ein solches Vorgehen erhoben werden können; aber auch die Einwände werden befriedigend behandelt, erst nachdem die vorhergehenden Fragen beantwortet sind. (Fs)

396a Ein dritter Unterschied bezieht sich auf die allgemeinen und notwendigen Urteile. Sie stehen im Vordergrund der Kantschen Kritik, die sich hauptsächlich damit befaßte, Humes empirischen Atomismus zu überwinden. In unserer Analyse spielen sie aber nur eine sekundäre Rolle. Ein allgemeines und notwendiges Urteil kann bloß die Bejahung einer analytischen Aussage sein, und solche analytische Aussagen können bloß abstrakte Möglichkeiten sein, ohne Relevanz für den zentralen Kontext von Urteilen, den wir Erkenntnis nennen. Wir legen den Nachdruck auf das Tatsachenurteil, das selbst ein Erkenntniszuwachs ist, und zugleich zum Übergang von der analytischen Aussage zum analytischen Prinzip beiträgt, das heißt, zu dem allgemeinen und notwendigen Urteil, dessen Termini und Relationen existen-tiell sind in dem Sinne, daß sie in Tatsachenurteilen vorkommen. (Fs)

396b Ein vierter Unterschied bezieht sich auf den unmittelbaren Grund des Urteils. Kant formulierte diesen Grund, indem er seinen Kategorienschematismus vorbrachte. Die Kategorie des Wirklichen wird richtig eingesetzt, wenn die leere Form der Zeit erfüllt wird. Die Kategorie der Substanz kommt richtig zur Anwendung, wenn die Beharrlichkeit des Realen in der Zeit festzustellen ist. Nun wird aber Kants Schematismus nicht als eine seiner glücklichsten Erfindungen betrachtet. Jedenfalls haben wir erwiesen, daß die Begriffe durch ihre Entstehung selbst mit den Daten verbunden sind. Die Untersuchung bezieht sich auf Sinnesdaten oder auf Bewußtseinsdaten. Die Einsicht ist Einsicht in die Daten der Untersuchung. Begriffe und Theorien sind die Produkte der Einsicht und müssen im Vergleich zu den Daten überprüft werden. Außerdem, und dies ist der wesentliche Unterschied, offenbart der Prozeß der Überprüfung im menschlichen Erkennen eine dritte, verschiedene und konstitutive Ebene, die über Erfahrung und Verstehen hinausgeht, und die selbst-authentisierend und entscheidend ist. Sie ist selbst-authentisierend: Die rationale Reflexion verlangt und das reflektierende Verstehen erfaßt ein virtuell Unbedingtes; und wenn dieses Erfassen einmal stattgefunden hat, kann man nicht zugleich vernünftig sein und sich des Urteils enthalten. Ferner, die dritte Ebene ist allein entscheidend: Bis ich urteile, denke ich bloß; wenn ich einmal urteile, dann erkenne ich. Wie die Einsicht das bestimme Gedankenobjekt aus dem nebelhaften Erfahrungsobjekt zieht, so wählt das Urteil die Gedankenobjekte aus, die Erkenntnisobjekte sind. Wie schließlich in den Kapiteln XII und XIII klar werden wird, bedeutet Erkennen das Sein Erkennen, und das Sein Erkennen schließt das Erkennen von Objekten und Subjekten mit ein. (Fs)

397a Weil nun die dritte Ebene selbst-authentisierend ist, können die Vernunft und [341] ihr Ideal, das Unbedingte, nicht in der zweifelhaften und rein überwachenden Rolle verbleiben, die ihnen Kant zugewiesen hat. Weil es konstitutiv und allein entscheidend ist, ist das rationale Urteil das einzige Kriterium in unserer Erkenntnis; und dies schließt die Spuren von Empirismus aus, die so oft dem Kantschen Denken angelastet wurden. Unser Unbedingtes ist aber nur virtuell; es ist bloß das, was in der Tat so ist; und die universelle Relevanz der Tatsache in diesem Sinne (siehe S. 331) korrigiert den vorkantischen Rationalismus und schließt zugleich den nachkantischen Idealismus aus. Schließlich wird unser Realismus, wenn auch nicht intuitiv, doch unmittelbar sein: Die Erkenntnisanalyse wird benötigt, nicht um das Sein zu erkennen, sondern um die Erkenntnis zu erkennen. (Fs)

397b Ein fünfter Unterschied hat mit dem Bewußtsein zu tun. Kant anerkannte einen inneren Sinn, welcher ungefähr dem entspricht, was wir empirisches Bewußtsein nannten, nämlich das Innesein, das den Akten des Empfindens, Wahrnehmens, in der Einbildungskraft Vorstellens, Wünschens, Fürchtens und ähnlichen immanent ist. Außer der Anerkennung eines inneren Sinnes leitete Kant eine ursprüngliche synthetische Einheit der Apperzeption als die Apriori-Bedingung des alle Erkenntnisakte begleitenden "Ich denke" ab oder postulierte sie. Andererseits hat die Kantsche Theorie keinen Platz für ein Bewußtsein der Prinzipien, die die Kategorien hervorbringen. Die Kategorien können abgeleitet werden aus den Urteilen, in denen sie vorkommen; aber es ist unmöglich, hinter die Kategorien auf deren Quelle zurückzugehen. Es ist gerade dieser Aspekt des Kantschen Denkens, der den Kategorien ihren Mangel an Flexibilität und ihre irreduzible Mysteriosität verleiht. Es ist derselbe Aspekt, der Fichte und Hegel die Gelegenheit verschaffte, in das unbesetzte Gebiet des intelligenten und rationalen Bewußtseins einzumarschieren. Die dynamischen Zustände, die Untersuchen und Reflektieren genannt wurden, kommen tatsächlich vor. Die Untersuchung bringt alles Verstehen hervor, und das Verstehen bringt alle Begriffe und Systeme hervor. Die Reflexion bringt alles reflektierende Erfassen des Unbedingten hervor, und dieses Erfassen bringt alle Urteile hervor. Wenn der Kantianer die Betrachtung der Untersuchung und der Reflexion verbietet, dann setzt er sich dem Vorwurf des Obskurantismus aus. Wenn er eine solche Betrachtung zuläßt, wenn er die intellektuelle Neugier und den kritischen Geist lobt, dann ist er auf dem Weg, die Prinzipien anzuerkennen, die sowohl die Kategorien, die Kant bekannt waren, als auch die Kategorien, die Kant nicht bekannt waren, hervorbringen. (Fs)

398a Die obige Liste erklärt den Unterschied zwischen Kants Konklusion und meiner eigenen. Es sind Unterschiede in dem Problem, das betrachtet wird; in dem [342] Gesichtspunkt, unter dem es betrachtet wird; in der Methode, wie es gelöst wird. Noch grundlegender gibt es Unterschiede in bezug auf Tatsachen; denn unsere Selbstbejahung ist, wie wir betont haben und, man möge uns verzeihen, es zu wiederholen, primär und letztlich ein Tatsachenurteil. Der orthodoxe Kantianer würde unseren Standpunkt als reinen Psychologismus bezeichnen, als ein sich auf das Empirische Berufen, das nicht mehr ergeben kann denn eine provisorische Wahrscheinlichkeit. Unsere Entgegnung ist allerdings recht einfach. Ohne Tatsachenurteile kann man nicht über rein analytische Aussagen hinausgehen. Ferner, wenn die Selbstbejahung auch nicht mehr ist als ein Urteil über eine reine Tatsache, ist sie doch ein privilegiertes Urteil. Selbst-Verneinung ist inkohärent. Man hat nur zu untersuchen und zu reflektieren, um sich in den Spontaneitäten und Unausweichlichkeiten gefangen vorzufinden, welche die Evidenz für die Selbstbejahung liefern. Man hat nur ein einziges Tatsachenurteil zu fällen, was immer sein Inhalt sein mag, um sich in eine notwendige Selbstbejahung zu verwickeln. Schließlich unterscheidet sich die Erkenntnistheorie von anderen Theorien; denn andere Theorien erreichen die Erklärung nur, indem sie sich in das bloß Angenommene wagen; die Erkenntnistheorie dagegen erreicht die Erklärung ohne ein solches Wagen; und weil sie kein rein hypothetisches Element enthält, ist sie einer radikalen Revision nicht unterworfen. (Fs)

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Stichwort: Kontrast

Autor, Quelle: Lonergan, Einsicht

Titel: Relativismus - Argumente dagegen

Index: Kontrast, Unterschied: Lonergan - Relativismus; Argumente (6-) gegen die Position des Relativisten

Kurzinhalt: In der Tat ist aber das Universum nicht einfach ein Erklärungssystem; seine existierenden Dinge und seine Vorkommnisse divergieren nichtsystematisch von der reinen Intelligibilität ...

Text: 400b Sechstens, wenn das Obige einigermaßen die relativistische Position wiedergibt, so zeigt es auch, wo ihre Versehen liegen. Die Fragen sind von zwei Arten. Es gibt Fragen nach Einsicht, die fragen, was das ist, was das bedeutet, warum das so ist, mit welcher Häufigkeit es vorkommt oder existiert. Es gibt auch Fragen nach Reflexion, die fragen, ob die Antworten auf die Fragen des ersten Typs korrekt sind. Ferner, das für ein Urteil benötigte Unbedingte ist nicht die umfassende Kohärenz, die das Ideal des Verstehens ist, die die Antworten auf alle Fragen des ersten Typs begründet. Im Gegenteil, es ist ein virtuell Unbedingtes, das aus der Kombination eines Bedingten mit der Erfüllung seiner Bedingungen resultiert. Weiter, ein Urteil ist ein begrenztes Engagement; weit davon entfernt, auf einer Erkenntnis des Universums zu beruhen, besagt es, daß, als was immer das Übrige des Universums sich herausstellen wird, dies zumindest so ist. Ich mag nicht in der Lage sein, Grenzfälle zu entscheiden, in denen man darüber streiten kann, ob das Wort Schreibmaschine passend verwendet würde. Aber ich kann doch wenigstens eindeutig entscheiden, daß dies hier eine Schreibmaschine ist. Ich mag nicht in der Lage sein, die Bedeutung von ist zu klären; aber es ist für unsere gegenwärtigen Zwecke völlig genug, den Unterschied zwischen ist und ist nicht zu kennen, und den kenne ich. (Fs)

401a Ich bin nicht sehr deutlich, wenn es darum geht, die Bedeutung von dies zu erklären; aber wenn jemand es vorziehen sollte, jenes zu sagen, dann wird das keinen Unterschied machen, vorausgesetzt wir sehen beide das, worüber wir sprechen. Man wird mich warnen, daß ich in der Vergangenheit Fehler begangen habe. Aber diese Warnung ist sinnlos, wenn ich einen weiteren Fehler begehe, indem ich einen vergangenen Fehler als Fehler anerkenne. Und jedenfalls ist unser einziges Problem jetzt, ob ich einen Fehler begehe oder nicht, wenn ich behaupte, dies hier sei eine Schreibmaschine. Nun wird man mir sagen, daß meine Notion der Schreibmaschine ganz anders wäre, wenn ich die Chemie der Materialien verstünde, die Mechanik der Konstruktion, die Psychologie der Fertigkeit des Maschinenschreibens, die Wirkung, die die Verwendung der Maschine beim Schreiben auf die Satzstruktur hat, die wirtschaftlichen und soziologischen Auswirkungen ihrer Erfindung, ihre Beziehung zur kommerziellen und politischen Bürokratie und so weiter. Aber könnte ich dann nicht erklären, daß all diese weiteren Dinge, wie interessant und bedeutsam auch immer sie sein mögen, nur durch weitere Urteile zu erkennen sind; [345] daß solche weiteren Urteile, weit davon entfernt, mich von meiner gegenwärtigen Überzeugung abzubringen, daß dies eine Schreibmaschine ist, mich nur in ihr bestätigen werden; daß es ziemlich schwierig wäre, diese weiteren Urteile zu fällen, wenn ich mir zu Beginn nicht sicher sein könnte, ob dies nun eine Schreibmaschine ist oder nicht? (Fs)
401b Siebtens, wie auch immer, sind die Fragen, die durch ein Muster innerer Relationen eine Antwort finden, nur Fragen, die nach einem Erklärungssystem verlangen. Aber neben den Dingen-selbst und vor ihnen gibt es in unserem Erkennen die Dinge-für-uns, die Dinge als beschriebene. Außerdem divergieren die existierenden Dinge und Vorkommnisse, in denen die Erklärungssysteme verifiziert werden, nichtsystematisch von den idealen Häufigkeiten, die idealerweise aus den Erklärungssystemen abgeleitet werden könnten. Ferner schließt die Tätigkeit des Verifizierens den Gebrauch der Beschreibung als Mittlerin zwischen dem durch innere Relationen definierten System einerseits und den Vorstellungen der Sinne andererseits ein, welche die Erfüllungsbedingungen sind. Schließlich wäre es falsch, wollte man annehmen, daß die Erklärung die einzige wahre Erkenntnis sei; nicht nur beruht ihre Verifikation auf Beschreibung, sondern auch die Relationen der Dinge zu uns sind ebenso sehr Erkenntnisobjekte, wie es die Relationen der Dinge untereinander sind. (Fs)

401c Achtens, der Relativist erfindet sich ein Universum, das lediglich aus einem Erklärungssystem besteht, weil er sich das Unbedingte als das Ideal des Verstandes denkt, als die umfassende Kohärenz, auf die hin das Verstehen strebt, wenn es "Was?" und "Wie?" fragt. Wie wir aber gesehen haben, ist das Kriterium für das Urteil das virtuell Unbedingte. Jedes Urteil ist ein begrenztes Engagement. Weit davon entfernt, sich über das Universum zu äußern, begnügt es sich damit, ein einzelnes Bedingtes zu bejahen, das eine begrenzte Zahl von Bedingungen hat, die tatsächlich erfüllt sind. Zweifellos, wäre das Universum einfach ein riesiges Erklärungssystem, wäre die Erkenntnis der Bedingungen eines Bedingten identisch mit der Erkenntnis des Universums. In der Tat ist aber das Universum nicht einfach ein Erklärungssystem; seine existierenden Dinge und seine Vorkommnisse divergieren nichtsystematisch von der reinen Intelligibilität; es weist ein empirisches Residuum des Individuellen, des Zufälligen, des Kontinuierlichen, des bloß Nebeneinanderliegenden und des bloß aufeinander Folgenden auf; es ist ein Universum von Fakten, und das Erklärungssystem hat Gültigkeit in dem Maße, in dem es mit den deskriptiven Fakten konform ist. (Fs)

402a Neuntens, das relativistische Argument von den unendlichen weiteren Fragen her ist eher eindrucksvoll als schlüssig. Das menschliche Erkennen geht nicht von einem früherem Erkennen, sondern von natürlichen Spontaneitäten und Unausweichlichkeiten aus. Seine Basistermini sind für es in einem Erkennen definiert, das dem [346] Erkennen vorausgeht; sie werden durch die dynamische Struktur des Erkenntnisprozesses selbst festgelegt. Der Relativist fragt, was mit der Kopula ist, und was mit dem Demonstrativum dies gemeint ist. Aber weder er noch sonst jemand verwechselt ist mit ist nicht, oder dies mit nicht dies; und diese Grundklarheit ist alles, was für die Bedeutung der Behauptung relevant ist: Dies ist eine Schreibmaschine. Ein Erkenntnistheoretiker würde aufgefordert werden, derartige elementare Termini zu erklären; er würde das tun, indem er sagen würde, daß das ist das Ja darstellt, das im Urteil vorkommt, und daß es durch Fragen wie "Ist es?", "Was ist es?" vorweggenommen wird. Ähnlich würde ein Theoretiker dies als die Rückkehr vom Feld der Begriffe zum empirischen Residuum im Feld der Vorstellungen erklären. Aber die Fragen, die für die Erkenntnistheorie relevant sind, sind nicht relevant für jeden Fall des Erkennens. Sie sind deshalb nicht universell relevant, weil es tatsächlich keine operationeile Unklarheit gibt in bezug auf die Bedeutungen, welche die Erkenntnistheorie erhellt. Ferner, sie sind nicht universell relevant, weil solche elementaren Bedeutungen auf eine Weise festgelegt sind, welche die Bestimmung durch Definition übersteigt, nämlich mit der ursprünglichen Unveränderlichkeit der dynamischen Struktur des Erkenntnisprozesses. (Fs)

402b Zehntens, wie das menschliche Erkennen mit einer natürlichen Spontaneität beginnt, so sind auch seine anfänglichen Entwicklungen unartikuliert. Wie es fragt, warum und wie, ohne daß ihm ein Grund für sein Untersuchen angegeben würde, so läßt es sich auch auf den sich selbst korrigierenden Lernprozeß ein, ohne die expliziten Formulierungen, die in einem Erklärungssystem mit Recht verlangt würden. Einzelne Einsichten sind partiell. Spontan fuhren sie zu den weiteren Fragen, welche komplementäre Einsichten hervorbringen. Wäre das Universum ausschließlich ein Erklärungssystem, dann bewegten sich die kleineren Anhäufungen von Einsichten, die erreicht werden von dem, was Common Sense genannt wird, nicht auf eine Grenzposition der Vertrautheit und Meisterung zu, wo es offensichtlich unsinnig ist zu zweifeln, ob dies eine Schreibmaschine ist oder nicht. In der Tat aber ist das Universum, das erkannt wird, indem wir Fragen beantworten, nicht ein reines Erklärungssystem. In der Tat bewegen sich Einsichten auf die Grenzpositionen der Vertrautheit und Meisterung zu. In der Tat ist es unsinnig zu zweifeln, und jedermann weiß das, ob dies eine Schreibmaschine ist oder nicht. Der Relativist würde mich bitten, meine Aufmerksamkeit darauf zu richten, welch enormen Unterschied in meiner Notion der Schreibmaschine es machen würde, wenn ich die Chemie ihrer Materialien, die Mechanik ihrer Konstruktion, die Psychologie der Tippfertigkeit, den Einfluß auf den literarischen Stil, der durch das Schreiben auf der Maschine entsteht, die Wirkung ihrer Entdeckung auf die kommerzielle und politische Bürokratie und so weiter völlig verstünde. Zugegeben, eine solche Bereicherung meines Wissens wäre möglich und wünschenswert, handelte es sich doch um eine weitere Erkenntnis, die durch weitere Urteile zu gewinnen ist. Und weil die Bereicherung erklärend ist, weil erklärende Erkenntnis auf beschreibender [347] Erkenntnis beruht, muß ich nicht nur damit beginnen zu erkennen, daß dies hier eine Schreibmaschine ist, muß ich nicht nur damit fortfahren zu lernen, wie ähnlich andere Maschinen dieser hier sein müssen, wenn sie auch Schreibmaschinen genannt werden sollen, sondern ich kann auch eine gültige Erklärung nur erreichen, insofern meine Beschreibungen exakt sind. (Fs)

403a Elftens, es ist völlig wahr, daß ich mich täuschen kann. Aber diese Wahrheit setzt voraus, daß ich mich nicht weiter täusche, indem ich einen Fehler der Vergangenheit als Fehler anerkenne. Allgemeiner gesagt: Tatsachenurteile sind korrekt oder inkorrekt, nicht aus Notwendigkeit, sondern einfach in der Tat. Wenn dies hier etwas ist, könnte es doch auch nichts sein. Wenn dies eine Schreibmaschine ist, könnte es doch auch etwas anderes sein. Ähnlich ist es, wenn ich korrekt bejahe, daß dies eine Schreibmaschine ist, nicht eine reine Notwendigkeit, sondern es ist einfach eine Tatsache, daß ich korrekt bin. Verlangen nach der Evidenz, die die Möglichkeit selbst ausschließt, daß ich mich täusche, wenn ich behaupte, dies hier sei eine Schreibmaschine, heißt, zuviel verlangen. Eine solche Evidenz ist nicht verfügbar; denn wenn meine Behauptung korrekt ist, ist das bloß eine Tatsache. Wenn diese Evidenz aber nicht zu Gebote steht, ist noch viel weniger die Evidenz vorhanden, welche in allen Tatsachenurteilen die Möglichkeit des Irrtums ausschließen wird. Irrtümer sind ebensosehr Fakten, wie es die korrekten Urteile sind. Aber der Relativist steht im Konflikt mit beiden Kategorien von Tatsachen. Für ihn ist nichts einfach wahr, weil das nur möglich ist, wenn eine umfassende Kohärenz erreicht wird; für ihn ist nichts einfach falsch, weil jede Aussage ein gewisses Verstehen miteinschließt, und deshalb einen Teil dessen, was er Wahrheit nennt. Letzten Endes, wie der Empirist versucht, die Intelligenz zu verbannen, so versucht der Relativist die Tatsache zu verbannen, und mit ihr das, was alle anderen Wahrheit nennen. (Fs)

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