Inhalt


Stichwort: Ursprung

Autor, Quelle: Sertillanges A. D., Der heilige Thomas von Aquin

Titel: Aristoteles - Ursprung, Welt

Index: Aristoteles: Anfang der Welt; Zeit; Ursprung; Ursache des Seins

Kurzinhalt: Aristoteles; das Weltganze hat keinen Anfang; die Zeit erklärt nichts; dennoch: Frage nach dem Ursprung der Welt

Text: 934 Aristoteles, den der heilige Thomas hier wie sonst auf seinem Wege findet, hat für das Weltganze keinen Anfang gesucht. Für ihn war die Natur verurteilt zu einem ewigen Wiederanfangen; er glaubte an die Unendlichkeit der Dauer nach vorwärts und rückwärts. (281f; Fs)

935 In jedem Augenblick ist ein anderer Augenblick vorausgesetzt; in jedem Zustand ein anderer Zustand; in jedem Umsturz der gesamten Ordnung ein anderer. Ein Anfang ist nur zu begreifen, wenn es sich um ein Relatives, und zwar gegenüber einem andern Relativen handelt: er ist ein innerweltliches Ereignis. Die Welt als ganze aber kann nicht anfangen: sie ist; ihre Entwicklung hat nicht den Charakter eines gradlinigen Übergangs von einem Punkt zum andern, sondern vielmehr den eines dauernden Kreislaufs. Das ist die Auffassung des Aristoteles. Diese Auffassung entband ihn aber nach seiner eigenen Aussage nicht von der Notwendigkeit, für das Weltganze als solches einen Ursprung anzunehmen. (282; Fs)

936 Die Zeit an sich erklärt nichts, denn die Zeit an sich ist nicht Ursache, sondern Maß. Wenn man von einem Ding sagt, daß es soundso viele Jahre besteht, hat man es in keiner Weise erklärt, man hat im Gegenteil für die Erklärung noch eine neue Forderung aufgestellt; denn nun ist nicht mehr bloß die Substanz des Seins, sondern auch die ihm zugesprochene Dauer zu begründen. Wenn man also von der Welt sagt, daß sie von Ewigkeit her datiert oder überhaupt nicht datiert, so fordert man damit eine Erklärung der Welt, die dieser Tatsache Rechnung trägt und eben die Welt in ihrer ganzen Fülle zu erklären vermag. (282; Fs)

937 Man hat behauptet, Aristoteles fordere die erste Ursache nur mit Rücksicht auf die Bewegung [und zwar eine durch das Streben hervorgerufene Bewegung], nicht aber als hinreichenden Grund für das Sein. Über den ersten Teil dieser Behauptung, der sich auf Gott als Ziel bezieht, haben wir uns bereits ausgesprochen. Zu dem zweiten müssen wir in gleicher Weise sagen, daß wir die gegebene Erklärung nicht annehmen. Thomas hat es mit Nachdruck betont: das Ganze der Aristotelischen Metaphysik und sein Vorgehn selbst stellen sich einer derartigen Auffassung entgegen. (282; Fs)

938 Am Ende des sechsten Buches dieses Werkes, so wie wir es heute besitzen Bei Thomas I. IV., bestimmt Aristoteles als ersten Gegenstand der philosophischen Erkenntnis das Sein als solches und seine Ursachen. Am Anfang des vierten Buches sagt er dasselbe. Es gibt also für ihn Ursachen des Seins als solchen und nicht bloß Ursachen der Veränderungen und Erscheinungen. Im zweiten Buch, wo er von den ewigen Dingen spricht, so wie sie in seiner Philosophie enthalten sind, erklärt er, das sie, so ewig sie auch sein mögen, nichtsdestoweniger ihre Prinzipien haben, und daß diese Prinzipien ihr Sein begründen, um die Wahrheit der Aussagen unserer Wissenschaft über sie zu begründen. Denn, sagt er, es besteht ein Verhältnis zwischen der Wahrheit und dem Sein, und das, was die Wahrheit unserer Aussagen über die ewigen Dinge begründet, muß auch das Sein dieser Dinge begründen nur gr. Text, dann: [Met. A. 1O, 28; apud D. Thom., lect. II; vgl. In VIII Phys., 3, n. 5 er 6].. (282f; Fs)

939 An derselben Stelle - im dritten Kapitel - stellt Aristoteles die Prinzipien auf, die Thomas in dem vierten Weg angewandt hat, daß es nämlich einen Höchstgrad des Seins wie einen Höchstgrad des Wahren gibt, und daß dasjenige, was diesen Höchstgrad in sich verwirklicht, für ein anderes sowohl Wahrheits- wie Seinsgrund ist. Daß Aristoteles in der Mehrzahl spricht, da er das fragliche Sein noch nicht bestimmt hat, und daß er später in einem Werk, von dem jedermann weiß, daß es unvollständig ist, über einen Punkt hinwegzugehn scheint, der nach unserer Meinung von der höchsten Bedeutung ist, darf uns nicht über Gebühr erstaunen. (283; Fs)

940 Wie dem auch sei: die Erklärung oder der 'Grund' der Welt steht für Aristoteles in Frage, nicht ihr Anfang. Kant nimmt den Gedanken in der Kritik der reinen Vernunft auf, wo er von dem 'transzendentalen Grunde der Möglichkeit der sinnlichen Reihe überhaupt' redet und hinzufügt, das 'unbedingt notwendige Dasein' eines solchen 'intelligiblen Grundes der Erscheinungen' sei' der unbegrenzten Zufälligkeit der erstern [das ist der Erscheinungen] und darum auch dem nirgend geendigten Regressus in der Reihe empirischer Bedingungen gar nicht entgegen Kritik der reinen Vernunft. 2. Aufl. S. 593.'. (283; Fs)

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