Inhalt


Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Voegelin, Der Gottesmord

Titel: Glaube - Definition, Hebräerbrief

Index: Glaube: Definition, Gefärdung; Thomas, Moses, Jeremias, Platon, Gewissen; Bereich: jüdisch, hellenisch, islamisch; seelische Spannkraft

Kurzinhalt: Der Glaube wird im Hebräerbrief 11,1 definiert als die Substanz der Dinge, auf die wir hoffen, und der Beweis der Dinge, die wir nicht sehen. Das ist die Glaubensdefinition, die der theologischen Exposition bei Thomas zugrunde liegt. Die Definition ...

Text: 185 Der Glaube wird im Hebräerbrief 11,1 definiert als die Substanz der Dinge, auf die wir hoffen, und der Beweis der Dinge, die wir nicht sehen. Das ist die Glaubensdefinition, die der theologischen Exposition bei Thomas zugrunde liegt. Die Definition besteht aus zwei Teilen - aus einem ersten ontologischen und einem zweiten erkenntnistheoretischen Satz. Der ontologische Satz besagt, daß der Glaube die Substanz der Dinge sei, auf die wir hoffen. In nichts anderem als eben dem Glauben besteht die Substanz dieser Dinge, nicht etwa in ihrer theologischen Symbolik. Der zweite Satz besagt, daß der Glaube der Beweis der Dinge sei, die wir nicht sehen. Wieder besteht der Beweis in nichts anderem als eben dem Glauben. (123; Fs) (notabene)

186 Dieser Glaubensfaden, an dem alle Gewißheit betreffend jenseitiggöttliches Sein hängt, ist in der Tat sehr dünn. Nichts Greifbares ist dem Menschen gegeben. Die Substanz und der Beweis des Unsichtbaren ist durch nichts gesichert als den Glauben, den der Mensch aus der Stärke seiner Seele erhalten muß - wobei wir in dieser psychologischen Betrachtung das Gnadenproblem außer acht lassen. Nicht alle Menschen sind solcher Seelenstärke fähig; die meisten bedürfen institutioneller Hilfe; und auch sie wird nicht immer genügen. Wir stehen vor der seltsamen Situation, daß der christliche Glaube um so mehr gefährdet ist, je weiter er sich sozial ausbreitet, je mehr Menschen er durch institutionellen Druck umfaßt und je klarer er in seinem Wesen herausgearbeitet wird. Im hohen Mittelalter hatte die Gefährdung durch sozialen Massenerfolg den kritischen Punkt erreicht. Das Christentum hatte in der Tat die Menschen der westlichen Gesellschaft institutionell erfaßt; und in der neuen Stadtkultur war unter dem Einfluß der großen Ordensbewegungen sein Wesen zu hoher Klarheit gelangt; und gleichzeitig mit seiner Größe war auch seine Schwäche sichtbar geworden: große Massen von christianisierten Menschen, die nicht stark genug waren für das heroische Abenteuer des Glaubens, wurden anfällig für Ideen, die ihnen einen höheren Grad von Gewißheit über den Sinn ihrer Existenz geben konnten als der Glaube. Die Realität des Seins, wie sie vom Christentum in ihrer Wahrheit erkannt wird, ist schwer zu ertragen; und die Flucht vor der klar gesehenen Realität in gnostischen Konstruktionen wird wohl immer ein Phänomen von weiter Ausbreitung bleiben, wo das Christentum eine Zivilisation durchdrungen hat. (124; Fs)

187 Die Versuchung zum Fall von der ungewissen Wahrheit in die gewisse Unwahrheit ist in der Glaubensklarheit des Christentums stärker als in anderen geistigen Strukturen. Aber das Fehlen des sicheren Griffs in die Realität sowie die hohe Anforderung an die seelische Spannkraft des Menschen sind generell charakteristisch für die Grenzerlebnisse, in denen sich das Wissen des Menschen um transzendentes Sein und damit um den Ursprung und Sinn diesseitigen Seins konstituiert. Dies sei kurz an drei Beispielen aus verschiedenen Kulturkreisen dargestellt - aus dem jüdischen, dem hellenischen und dem islamischen. (124f; Fs)

188 Im jüdischen Bereich respondiert der Glaube der Offenbarung Gottes. Das zentrale Offenbarungserlebnis finden wir in Exodus 3, in der Dornbuschepisode, überliefert. Gott offenbart sich Moses in seinem Wesen durch die Formel: 'Ich bin, der ich bin'. Wie die Formel des Hebräerbriefes bei Thomas die Grundlage für die Theologie des Glaubens ist, so ist die Exodusformel bei ihm die Grundlage der Gotteslehre. Wieder kann man von dieser Formel nur sagen: Das ist alles. Im menschlich-seelischen Berührungspunkt der Welt mit dem Jenseits wird nichts erfahren als die Existenz Gottes. Alles, was darüber hinausgeht, gehört in den Bereich der analogisch-spekulativen Erschließung und der mythischen Symbolisierung. Auch im Offenbarungserlebnis des Moses müssen wir feststellen, daß der Faden, an dem unser Wissen um die Seinsordnung, ihren Ursprung und ihren Sinn hängt, sehr dünn ist. Er war in der Tat so dünn, daß er riß und das Volk in Massen zu den alten Göttern der polytheistischen Kultur zurückkehrte. Ja noch mehr, der Prophet Jeremias machte die scharfsinnige Beobachtung, daß die Völker im allgemeinen nicht von ihren Göttern abfallen, obwohl sie 'falsche Götter' sind, und daß gerade Israel, das den 'wahren Gott' hat, von ihm abfällt. (125; Fs) (notabene)

189 Dieser einzigartige Fall in der Völkergeschichte der Zeit bezeugt wohl am deutlichsten das Phänomen, das wir eben bei Anlaß des Glaubenserlebnisses beobachten, daß mit der Verfeinerung und Klärung der Beziehung zwischen Mensch und Gott das Moment der Unsicherheit und mit ihm das Bedürfnis massiverer Sicherheit sich verstärkt. Das Beispiel Israels zeigt weiter, daß der Abfall keineswegs in die eine oder andere Form der Gnosis erfolgen muß; wenn die kulturgeschichtliche Situation es erlebnismäßig gestattet, kann das Sicherheitsbedürfnis sich auch in der Form des Rückfalls in noch lebendigen Polytheismus befriedigen. (125; Fs)

190 Die hohe Anforderung an die seelische Spannkraft des Menschen sei verdeutlicht durch die Symbolik des Letzten Gerichts, wie Platon sie im Gorgias entwickelt. Seinen sophistischen Gegnern, die mit der innerweltlichen Erfolgsethik des Machtmenschen arbeiten, hält er entgegen, daß der 'Erfolg' des Lebens im Bestehen vor den Richtern der Toten liege. Vor diesen Richtern steht der Mensch seelisch nackt, ohne die Hülle des Leibes und die Verkleidung des weltlichen Status, in völliger Durchschaubarkeit. Und im Hinblick auf diese letzte Durchschaubarkeit, sub specie mortis, sei das Leben in der Welt zu führen, nicht unter dem Antrieb des Machtwillens und der Befriedigung des sozialen Status. (125f; Fs)

191 Was im platonischen, wie in jedem Gerichtsmythos, seinen symbolischen Ausdruck findet, ist das Grenzerlebnis der Gewissensprüfung. Über die normale Prüfung unserer Handlungen an den Maßstäben rationaler Macht, die man Gewissen nennt und die wir selbst als Menschen vornehmen, hinaus kann das Erlebnis der Prüfung meditativ durchgearbeitet und erweitert werden zum Erlebnis des Stehens im Gericht. Der Mensch weiß, daß auch der gewissenhaftesten Selbstprüfung die Schranken seiner Menschlichkeit gezogen sind: intellektuelles Versagen im Urteil, prinzipiell unvollständige Kenntnis aller Faktoren der Situation und aller verzweigten Folgen des Handelns und vor allem unzureichende Kenntnis der eigenen letzten Motive, die ins Unbewußte hinunterreichen. Ausgehend von diesem Wissen um die Schranken, die der Selbstprüfung gesetzt sind, kann im meditativen Experiment die Situation imaginiert werden, in der der Mensch nicht an einem bestimmten Punkt in einer bestimmten Situation seines eigenen Lebens vor sich selbst zur Prüfung steht, sondern mit dem Ganzen seines Lebens (das erst im Tod vollendet ist) vor einem allwissenden Richter, vor dem es kein abwägendes Prüfen im einzelnen mehr gibt, kein Argument und keine Verteidigung mehr möglich ist, weil alles, auch das Letzte und Fernste, schon gewußt ist. In dieser Meditation auf die Grenze hin verstummt alles Für und Wider, und nichts bleibt als das Schweigen des Urteils, das der Mensch durch sein Leben über sich selbst gesprochen hat. (126; Fs)

192 Platon hat diese Meditation vollzogen - denn sonst hätte er seinen Mythos des Gerichts nicht dichten können -, aber wenn wir uns in die Situation versetzen, in der er seinen Sokrates den Mythos den sophistischen Gegnern erzählen läßt, und uns die Frage nach der Möglichkeit seiner Wirkung auf diese hartgesottenen, im 'Leben' stehenden Realpolitiker vorlegen, dann müssen wir wieder zweifeln, daß viele ihn sich zu Herzen nehmen und ihre Existenz durch ihn formen lassen, wenn sie auch ihn hörend für einen Augenblick im Innersten betroffen werden. Die Meditation selbst, und noch mehr die Existenz in ihrer Spannung, dürfte für die meisten Menschen unerträglich sein. Jedenfalls finden wir, gerade in den gnostischen Massenbewegungen, eine Entwicklung des Gewissensbegriffs, die von der Meditation auf die Grenze hin weg in die entgegengesetzte Richtung der Verweltlichung führt. Das Gewissen wird auch heute noch gerne berufen, besonders gerne wenn eine unsittliche oder verbrecherische Handlung eines Politikers dadurch gerechtfertigt werden soll, daß er 'seinem Gewissen' folge oder sich 'seiner Verantwortung' bewußt sei. Aber das Gewissen bedeutet in diesen Fällen nicht mehr die Selbstprüfung der Handlung an den rationalen Grundsätzen der Moral, sondern im Gegenteil das Abschneiden der rationalen Argumente und das dämonisch-verstockte Beharren auf dem Handeln, zu dem die Leidenschaft treibt. (126f; Fs)

193 Für die hohe Anforderung an die seelische Spannkraft diene als abschließendes Beispiel die islamische Gebetspraxis, die sich seit dem 9. Jahrhundert entwickelt hat. In ihrer Struktur ist die Meditation, die dem Gebet voranzugehen hat, aufs nächste verwandt mit dem meditativen Experiment, das dem platonischen Mythos vom Letzten Gericht zugrunde liegt. Wenn ich beten will, so lautet die Vorschrift, gehe ich zu dem Ort, an dem ich mein Gebet verrichten will. Ich sitze still, bis ich in Ruhe bin. Dann stehe ich auf: die Kaaba ist gerade vor mir, das Paradies zu meiner Rechten, die Hölle zu meiner Linken, und der Engel des Todes steht hinter mir. Dann verrichte ich mein Gebet, als ob es mein letztes wäre. Und so stehe ich, zwischen Hoffnung und Furcht, und weiß nicht, ob Gott mein Gebet gnädig angenommen hat oder nicht. - Vielleicht steht für die Massen auch diese hohe, geistige Klarheit in einem Zusammenhang, der sie erträglich macht, mit der weder hohen noch besonders geistigen Ausbreitung des Gottesreiches durch Waffengewalt über die Ökumene. (127; Fs)

194 Die gnostischen Massenbewegungen unserer Zeit verraten durch ihre Symbolik den Derivativcharakter ihres Zusammenhanges mit dem Christentum und seinem Glaubenserlebnis. Das Problem des Abfalles von einer geistigen Höhe, die den Unsicherheitsfaktor zu letzter Klarheit bringt, in die massive Gewißheit innerweltlicher Sinnerfüllung scheint jedoch ein generell menschliches Problem zu sein. Die Fälle der Grenzerlebnisse, an denen der Unsicherheitsfaktor der Seinsverfassung deutlich wird, wurden aus vier verschiedenen Zivilisationskreisen gewählt, um zu zeigen, daß es sich bei den modernen Massenbewegungen trotz ihrer historischen Einzigartigkeit um ein typisches Phänomen handelt. Empirisch wird diese Einsicht vielleicht manches zum Verständnis sozialer Prozesse in verschiedenen Zivilisationen beitragen. Theoretisch ist es gelungen, das Phänomen bis in die ontischen Wurzeln zurückzuverfolgen, und es unter ontologische Typenbegriffe zu bringen. Und das ist die Aufgabe der Wissenschaft." (128; E, 21.12.00)

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Ratzinger, SpeSalvi

Titel: Glaube - Definition, hypostase

Index: Definition: Glaube; hypostase

Kurzinhalt: Im 11. Kapitel des Hebräer-Briefes (Vers 1) findet sich eine Art Definition des Glaubens, ... "Glaube ist Hypostase dessen, was man hofft; der Beweis von Dingen, die man nicht sieht."

Text: 137. Wir müssen noch einmal zum Neuen Testament zurückkehren. Im 11. Kapitel des Hebräer-Briefes (Vers 1) findet sich eine Art Definition des Glaubens, die ihn eng mit der Hoffnung verwebt. Um das zentrale Wort dieses Satzes ist seit der Reformation ein Streit der Ausleger entstanden, in dem sich in jüngster Zeit wieder der Ausweg auf ein gemeinsames Verstehen hin zu öffnen scheint. Ich lasse dieses Zentralwort zunächst unübersetzt. Dann lautet der Satz: "Glaube ist Hypostase dessen, was man hofft; der Beweis von Dingen, die man nicht sieht." Für die Väter und für die Theologen des Mittelalters war klar, dass das griechische Wort hypostasis im Lateinischen mit substantia zu übersetzen war. So lautet denn auch die in der alten Kirche entstandene lateinische Übertragung des Textes: "Est autem fides sperendarum substantia rerum, argumentum non apparentium" – der Glaube ist die "Substanz" der Dinge, die man erhofft; Beweis für nicht Sichtbares. Thomas von Aquin1 erklärt das, indem er sich der Terminologie der philosophischen Tradition bedient, in der er steht, so: Der Glaube ist ein "habitus", das heißt eine dauernde Verfasstheit des Geistes, durch die das ewige Leben in uns beginnt und der den Verstand dahin bringt, solchem beizustimmen, was er nicht sieht. Der Begriff der "Substanz" ist also dahin modifiziert, dass in uns durch den Glauben anfanghaft, im Keim könnten wir sagen – also der "Substanz" nach –, das schon da ist, worauf wir hoffen: das ganze, das wirkliche Leben. Und eben darum, weil die Sache selbst schon da ist, schafft diese Gegenwart des Kommenden auch Gewissheit: Dies Kommende ist noch nicht in der {14} äußeren Welt zu sehen (es "erscheint" nicht), aber dadurch, dass wir es in uns als beginnende und dynamische Wirklichkeit tragen, entsteht schon jetzt Einsicht. Luther, dem der HebräerBrief an sich nicht besonders sympathisch war, konnte mit dem Begriff "Substanz" im Zusammenhang seiner Sicht von Glauben nichts anfangen. Er hat daher das Wort Hypostase/Substanz nicht im objektiven Sinn (anwesende Realität in uns), sondern im subjektiven Sinn, als Ausdruck einer Haltung verstanden und dann natürlich auch das Wort argumentum als Haltung des Subjekts verstehen müssen. Diese Auslegung hat sich – jedenfalls in Deutschland – im 20. Jahrhundert auch in der katholischen Exegese durchgesetzt, so dass die von den Bischöfen gebilligte Einheitsübersetzung des Neuen Testaments schreibt: "Glaube aber ist: Feststehen in dem, was man erhofft, Überzeugtsein von dem, was man nicht sieht." Das ist an sich nicht falsch, entspricht aber nicht dem Sinn des Textes, denn das verwendete griechische Wort (elenchos) hat nicht die subjektive Bedeutung von "Überzeugung", sondern die objektive Wertigkeit von "Beweis". Darum ist die neuere evangelische Exegese mit Recht zu einer anderen Auffassung gelangt: "Es kann aber jetzt nicht mehr zweifelhaft sein, dass diese klassisch gewordene protestantische Auslegung unhaltbar ist."2 Der Glaube ist nicht nur ein persönliches Ausgreifen nach Kommendem, noch ganz und gar Ausständigem; er gibt uns etwas. Er gibt uns schon jetzt etwas von der erwarteten Wirklichkeit, und diese gegenwärtige Wirklichkeit ist es, die uns ein "Beweis" für das noch nicht zu Sehende wird. Er zieht Zukunft in Gegenwart herein, so dass sie nicht mehr das reine Noch-nicht ist. Dass es diese Zukunft gibt, ändert die Gegenwart; die Gegenwart wird vom Zukünftigen berührt, und so überschreitet sich Kommendes in Jetziges und Jetziges in Kommendes hinein. (Fs) 158. Diese Auslegung wird noch verstärkt und auf die Praxis hin ausgeweitet, wenn wir den 34. Vers des 10. Kapitels im Hebräer-Brief ansehen, der in einem sprachlichen und inhaltlichen Zusammenhang mit dieser Definition des hoffenden Glaubens steht, sie vorbereitet. Der Verfasser spricht hier zu Gläubigen, die die Erfahrung der Verfolgung mitgemacht haben und sagt zu ihnen: "Ihr habt mit den Gefangenen gelitten und auch den Raub eures Vermögens (hyparchonton – Vg: bonorum; italienische Übersetzung: sostanza) freudig hingenommen, da ihr wusstet, dass ihr einen besseren Besitz (hyparxin – Vg: substantiam; italienisch: beni migliori) habt, der euch bleibt." Hyparchonta sind der Besitz, das, was beim irdischen Leben "Unterhalt", eben Basis, "Substanz" des Lebens ist, auf die man sich verlässt. Diese "Substanz", die gewöhnliche Lebenssicherung ist den Christen in der Verfolgung genommen worden. Sie ertrugen dies, weil sie diese materielle Substanz ohnedies als fragwürdig ansahen. Sie konnten sie lassen, weil sie nun eine bessere "Basis" ihrer Existenz gefunden hatten – eine, die bleibt und die einem niemand wegnehmen kann. Die Querverbindung zwischen diesen beiden Arten von "Substanz", von Unterhalt und materieller Basis hin zum Wort vom Glauben als "Basis", als "Substanz", die bleibt, ist nicht zu übersehen. Der Glaube gibt dem Leben eine neue Basis, einen neuen Grund, auf dem der Mensch steht, und damit wird der gewöhnliche Grund, eben die Verlässlichkeit des materiellen Einkommens relativiert. Es entsteht eine neue Freiheit gegenüber diesem nur scheinbar tragenden Lebensgrund, dessen normale Bedeutung damit natürlich nicht geleugnet ist. Diese neue Freiheit, das Wissen um die neue "Substanz", die uns geschenkt wurde, hat sich nicht nur im Martyrium gezeigt, in dem Menschen der Allmacht der Ideologie und ihrer politischen Organe widerstanden und so mit ihrem Tod die Welt erneuert haben. Sie hat sich vor allem in den großen Verzichten von den Mönchen des {16} Altertums hin zu Franz von Assisi und zu den Menschen unserer Zeit gezeigt, die in den neuzeitlichen Ordensbewegungen für Christus alles gelassen haben, um Menschen den Glauben und die Liebe Christi zu bringen, um körperlich und seelisch leidenden Menschen beizustehen. Da hat sich die neue "Substanz" wirklich als "Substanz" bewährt, ist aus der Hoffnung dieser von Christus berührten Menschen Hoffnung für andere geworden, die im Dunkel und ohne Hoffnung lebten. Da hat sich gezeigt, dass dieses neue Leben wirklich "Substanz" hat und "Substanz" ist, die anderen Leben schafft. Für uns, die wir auf diese Gestalten hinschauen, ist dieses ihr Tun und Leben in der Tat ein "Beweis", dass das Kommende, die Verheißung Christi, nicht nur Erwartung, sondern wirkliche Gegenwart ist: dass er wirklich der "Philosoph" und der "Hirte" ist, der uns zeigt, was und wo Leben ist. (Fs)

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Voegelin, Eric, Der Gottesmord

Titel: Glaube (Definition) - Gnosis

Index: Gnosis; Widerspruch zur Realität, Machtwille d. Gnostikers -> Phantasiebefriedigung;
Glaube (Definition, Hebräerbrief) - Unsicherheit

Kurzinhalt: Dieser Glaubensfaden, an dem alle Gewißheit betreffend jenseitig-göttliches Sein hängt, ist in der Tat sehr dünn. Nichts Greifbares ist dem Menschen gegeben. Die Substanz und der Beweis des Unsichtbaren ist durch nichts gesichert als den Glauben ...

Text: 123b Als die beherrschende Symbolik der gnostischen Spekulation erwies sich ein Komplex von Derivaten der christlichen Vollendungsidee. Offenbar steckt in dieser Idee ein Unsicherheitsfaktor, der die Menschen bewegt, nach festerem Grund für ihre Existenz in dieser Welt zu suchen. Es wird daher angezeigt sein, zuerst den Glauben im christlichen Sinn als Quelle der Unsicherheit zu erwägen. (Fs)

123c Der Glaube wird im Hebräerbrief 11,1 definiert als die Substanz der Dinge, auf die wir hoffen, und der Beweis der Dinge, die wir nicht sehen. Das ist die Glaubensdefinition, die der theologischen Exposition bei Thomas zugrunde liegt. Die Definition besteht aus zwei Teilen - aus einem ersten ontologischen und einem zweiten erkenntnistheoretischen Satz. Der ontologische Satz besagt, daß der Glaube die Substanz der Dinge sei, auf die wir hoffen. In nichts anderem als eben dem Glauben besteht die Substanz dieser Dinge, nicht etwa in ihrer theologischen Symbolik. Der zweite Satz besagt, daß der Glaube der Beweis der Dinge sei, die wir nicht sehen. Wieder besteht der Beweis in nichts anderem als eben dem Glauben. (Fs; tblStw: Glaube) (notabene)

124a Dieser Glaubensfaden, an dem alle Gewißheit betreffend jenseitig-göttliches Sein hängt, ist in der Tat sehr dünn. Nichts Greifbares ist dem Menschen gegeben. Die Substanz und der Beweis des Unsichtbaren ist durch nichts gesichert als den Glauben, den der Mensch aus der Stärke seiner Seele erhalten muß - wobei wir in dieser psychologischen Betrachtung das Gnadenproblem außer acht lassen. Nicht alle Menschen sind solcher Seelenstärke fähig; die meisten bedürfen institutioneller Hilfe; und auch sie wird nicht immer genügen. Wir stehen vor der seltsamen Situation, daß der christliche Glaube um so mehr gefährdet ist, je weiter er sich sozial ausbreitet, je mehr Menschen er durch institutionellen Druck umfaßt und je klarer er in seinem Wesen herausgearbeitet wird. Im hohen Mittelalter hatte die Gefährdung durch sozialen Massenerfolg den kritischen Punkt erreicht. Das Christentum hatte in der Tat die Menschen der westlichen Gesellschaft institutionell erfaßt; und in der neuen Stadtkultur war unter dem Einfluß der großen Ordensbewegungen sein Wesen zu hoher Klarheit gelangt; und gleichzeitig mit seiner Größe war auch seine Schwäche sichtbar geworden: große Massen von christianisierten Menschen, die nicht stark genug waren für das heroische Abenteuer des Glaubens, wurden anfällig für Ideen, die ihnen einen höheren Grad von Gewißheit über den Sinn ihrer Existenz geben konnten als der Glaube. Die Realität des Seins, wie sie vom Christentum in ihrer Wahrheit erkannt wird, ist schwer zu ertragen; und die Flucht vor der klar gesehenen Realität in gnostischen Konstruktionen wird wohl immer ein Phänomen von weiter Ausbreitung bleiben, wo das Christentum eine Zivilisation durchdrungen hat. (Fs)

124b Die Versuchung zum Fall von der ungewissen Wahrheit in die gewisse Unwahrheit ist in der Glaubensklarheit des Christentums stärker als in anderen geistigen Strukturen. Aber das Fehlen des sicheren Griffs in die Realität sowie die hohe Anforderung an die seelische Spannkraft des Menschen sind generell charakteristisch für die Grenzerlebnisse, in denen sich das Wissen des Menschen um transzendentes Sein und damit um den Ursprung und Sinn diesseitigen Seins konstituiert. Dies sei kurz an drei Beispielen aus verschiedenen Kulturkreisen dargestellt - aus dem jüdischen, dem hellenischen und dem islamischen. (Fs)

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Einführung in das Christentum

Titel: Glaube (in d. Welt von heute) - Zweifel

Index: Zweifel und Glaube - die Situation des Menschen vor der Gottesfrage; Beispiele: Clown (H. Cox), P. Claudel (Bild, Metapher: Schiffbrüchiger, Kreuz), M. Buber (vielleicht ist es wahr); Glaube - Zweifel; Gläubiger - Ungläubiger

Kurzinhalt: Niemand kann dem andern Gott und sein Reich auf den Tisch legen, auch der Glaubende sich selbst nicht. Aber wie sehr sich auch der Unglaube dadurch gerechtfertigt fühlen mag, es bleibt ihm die Unheimlichkeit des »Vielleicht ist es doch wahr«.

Text: ERSTES KAPITEL

Glauben in der Welt von heute

1. Zweifel und Glaube -die Situation des Menschen vor der Gottesfrage

33a Wer heute über die Sache des christlichen Glaubens vor Menschen zu reden versucht, die nicht durch Beruf oder Konvention im Innern des kirchlichen Redens und Denkens angesiedelt sind, wird sehr bald das Fremde und Befremdliche eines solchen Unterfangens verspüren. Er wird wahrscheinlich bald das Gefühl haben, seine Situation sei nur allzu treffend beschrieben in der bekannten Gleichniserzählung Kierkegaards über den Clown und das brennende Dorf, die Harvey Cox kürzlich in seinem Buch »Stadt ohne Gott?« wieder aufgegriffen hat1. Diese Geschichte sagt, dass ein Reisezirkus in Dänemark in Brand geraten war. Der Direktor schickte daraufhin den Clown, der schon zur Vorstellung gerüstet war, in das benachbarte Dorf, um Hilfe zu holen, zumal die Gefahr bestand, dass über die abgeernteten, ausgetrockneten Felder das Feuer auch auf das Dorf übergreifen würde. Der Clown eilte in das Dorf und bat die Bewohner, sie möchten eiligst zu dem brennenden Zirkus kommen und löschen helfen. Aber die Dörfler hielten das Geschrei des Clowns lediglich für einen ausgezeichneten Werbetrick, um sie möglichst zahlreich in die Vorstellung zu locken; sie applaudierten und lachten bis zu Tränen. Dem Clown war mehr zum Weinen als zum Lachen zumute; er versuchte vergebens, die Menschen zu beschwören, ihnen klarzumachen, dies sei keine Verstellung, kein Trick, es sei bitterer Ernst, es brenne wirklich. Sein Flehen steigerte nur das Gelächter, man fand, er spiele seine Rolle ausgezeichnet - bis schließlich in der Tat das Feuer auf das Dorf übergegriffen hatte und jede Hilfe zu spät kam, so dass Dorf und Zirkus gleichermaßen verbrannten. (Fs; tblStw: Glaube)

33b Cox erzählt diese Geschichte als Beispiel für die Situation des Theologen heute und sieht in dem Clown, der seine Botschaft gar nicht bis zum wirklichen Gehör der Menschen bringen kann, das Bild des Theologen. Er wird in seinen Clownsgewändern aus dem Mittelalter oder aus welcher Vergangenheit auch immer gar nicht ernst genommen. Er kann sagen, was er will, er ist gleichsam etikettiert und eingeordnet durch seine Rolle. Wie er sich auch gebärdet und den Ernstfall darzustellen versucht, man weiß immer im Voraus schon, dass er eben - ein Clown ist. Man weiß schon, worüber er redet, und weiß, dass er nur eine Vorstellung gibt, die mit der Wirklichkeit wenig oder nichts zu tun hat. So kann man ihm getrost zuhören, ohne sich über das, was er sagt, ernstlich beunruhigen zu müssen. In diesem Bild ist ohne Zweifel etwas von der bedrängenden Wirklichkeit eingefangen, in der sich Theologie und theologisches Reden heute befinden; etwas von der lastenden Unmöglichkeit, die Schablonen der Denk- und Sprechgewohnheiten zu durchbrechen und die Sache der Theologie als Ernstfall menschlichen Lebens erkennbar zu machen. (Fs)

34a Vielleicht aber muss unsere Gewissenserforschung sogar noch radikaler sein. Vielleicht müssen wir sagen, dass dieses erregende Bild - so viel Wahres und Bedenkenswertes es auch enthält - noch immer die Dinge vereinfacht. Denn danach sieht es ja so aus, als wäre der Clown, das heißt der Theologe, der völlig Wissende, der mit einer ganz klaren Botschaft kommt. Die Dörfler, zu denen er eilt, das heißt die Menschen außerhalb des Glaubens, wären umgekehrt die völlig Unwissenden, die erst belehrt werden müssen über das ihnen Unbekannte; der Clown brauchte dann eigentlich nur das Kostüm zu wechseln und sich abzuschminken - dann wäre alles in Ordnung. Aber ist die Sache denn wirklich so einfach? Brauchen wir nur zum Aggiornamento zu greifen, uns abzuschminken und uns in das Zivil einer säkularen Sprache oder eines religionslosen Christentums zu stecken, damit alles in Ordnung sei? Genügt der geistige Kostümwechsel, damit die Menschen freudig herbeilaufen und mithelfen, den Brand zu löschen, von dem der Theologe behauptet, dass es ihn gebe und dass er unser aller Gefahr sei? Ich möchte sagen, dass die tatsächlich abgeschminkte und in modernes Zivil gekleidete Theologie, wie sie vielerorten heute auf den Plan tritt, diese Hoffnung als recht naiv erscheinen lässt. Freilich ist es wahr: wer den Glauben inmitten von Menschen, die im heutigen Leben und Denken stehen, zu sagen versucht, der kann sich wirklich wie ein Clown vorkommen, oder vielleicht noch eher wie jemand, der, aus einem antiken Sarkophag aufgestiegen, in Tracht und Denken der Antike mitten in unsere heutige Welt eingetreten ist und weder sie verstehen kann noch verstanden wird von ihr. Wenn indes der, der den Glauben zu verkündigen versucht, selbstkritisch genug ist, wird er bald bemerken, dass es nicht nur um eine Form, um eine Krise der Gewänder geht, in denen die Theologie einherschreitet. In der Fremdheit des theologischen Unterfangens den Menschen unserer Zeit gegenüber wird der, der seine Sache ernst nimmt, nicht nur die Schwierigkeit der Dolmetschung, sondern auch die Ungeborgenheit seines eigenen Glaubens, die bedrängende Macht des Unglaubens inmitten des eigenen Glaubenwollens erfahren und erkennen. So wird jemand, der heute redlich versucht, sich und anderen Rechenschaft vom christlichen Glauben zu geben, einsehen lernen müssen, dass er gar nicht bloß der Verkleidete ist, der sich nur umzuziehen brauchte, um andere erfolgreich belehren zu können. Er wird vielmehr zu verstehen haben, dass seine Situation sich gar nicht so vollständig von derjenigen der anderen unterscheidet, wie er anfangs denken mochte. Er wird innewerden, dass in beiden Gruppen die gleichen Mächte anwesend sind, wenn auch freilich in jeweils unterschiedlichen Weisen. (Fs)

35a Zunächst: Im Gläubigen gibt es die Bedrohung der Ungewissheit, die in Augenblicken der Anfechtung mit einem Mal die Brüchigkeit des Ganzen, das ihm gewöhnlich so selbstverständlich scheint, hart und unversehens in Erscheinung treten lässt. Verdeutlichen wir uns das an ein paar Beispielen. Therese von Lisieux, die liebenswerte, scheinbar so naiv-unproblematische Heilige, war in einem Leben völliger religiöser Geborgenheit aufgewachsen; ihr Dasein war von Anfang bis Ende so vollständig und bis ins Kleinste vom Glauben der Kirche geprägt, dass die Welt des Unsichtbaren ein Stück ihres Alltags - nein: ihr Alltag selbst geworden und nahezu greifbar zu sein schien und nicht daraus wegzudenken war. Für sie war »Religion« wirklich eine selbstverständliche Vorgegebenheit ihres täglichen Daseins, sie ging damit um, wie wir mit den fassbaren Gewöhnlichkeiten unseres Lebens umgehen können. Aber gerade sie, die scheinbar in ungefährdeter Sicherheit Geborgene, hat uns aus den letzten Wochen ihrer Passion erschütternde Geständnischiffren hinterlassen, die ihre Schwestern dann in ihrer literarischen Hinterlassenschaft erschrocken abgemildert hatten und die erst jetzt durch die wörtlichen Neuausgaben zutage getreten sind, so etwa, wenn sie sagt: »Die Gedankengänge der schlimmsten Materialisten drängen sich mir auf«. Ihr Verstand wird bedrängt von allen Argumenten, die es gegen den Glauben gibt; das Gefühl des Glaubens scheint verschwunden, sie erfährt sich »in die Haut der Sünder« versetzt. Das heißt: In einer scheinbar völlig bruchlos verfugten Welt wird hier jählings einem Menschen der Abgrund sichtbar, der unter dem festen Zusammenhang der tragenden Konventionen lauert - auch für ihn. In einer solchen Situation steht dann nicht mehr dies oder jenes zur Frage, um das man sonst vielleicht streitet - Himmelfahrt Marias oder nicht, Beichte so oder anders -, all das wird völlig sekundär. Es geht dann wirklich um das Ganze, alles oder nichts. Das ist die einzige Alternative, die bleibt, und nirgendwo scheint ein Grund sich anzubieten, auf dem man in diesem jähen Absturz sich dennoch festklammern könnte. Nur noch die bodenlose Tiefe des Nichts ist zu sehen, wohin man auch blickt. (Fs)

36a Paul Claudel hat in der Eröffnungsszene des »Seidenen Schuhs« diese Situation des Glaubenden in eine große und überzeugende Bildvision gebannt. Ein Jesuitenmissionar, Bruder des Helden Rodrigo, des Weltmanns, des irrenden und ungewissen Abenteurers zwischen Gott und Welt, wird als Schiffbrüchiger dargestellt. Sein Schiff wurde von Seeräubern versenkt, er selbst an einen Balken des gesunkenen Schiffes gebunden, und so treibt er nun an diesem Stück Holz im tosenden Wasser des Ozeans2. Mit seinem letzten Monolog beginnt das Schauspiel: »Herr, ich danke dir, dass du mich so gefesselt hast. Zuweilen geschah mir, dass ich deine Gebote mühsam fand, und meinen Willen im Angesicht deiner Satzung ratlos, versagend. Doch heute kann ich enger nicht mehr an dich angebunden sein, als ich es bin, und mag ich auch meine Glieder eines um das andere durchgehn, keines kann sich auch nur ein wenig von dir entfernen. Und so bin ich wirklich ans Kreuz geheftet, das Kreuz aber, an dem ich hänge, ist an nichts mehr geheftet. Es treibt auf dem Meere«. (Fs)

Ans Kreuz geheftet - das Kreuz aber an nichts, treibend über dem Abgrund. Die Situation des Glaubenden von heute könnte man kaum eindringlicher und genauer beschreiben, als es hier geschieht. Nur ein über dem Nichts schwankender, loser Balken scheint ihn zu halten, und es sieht aus, als müsse man den Augenblick errechnen können, in dem er versinken muss. Nur ein loser Balken knüpft ihn an Gott, aber freilich: er knüpft ihn unausweichlich, und am Ende weiß er, dass dieses Holz stärker ist als das Nichts, das unter ihm brodelt, das aber dennoch die bedrohende, eigentliche Macht seiner Gegenwart bleibt. (Fs)
37a Das Bild enthält darüber hinaus noch eine weitere Dimension, die mir sogar das eigentlich Wichtige daran zu sein scheint. Denn dieser schiffbrüchige Jesuit ist nicht allein, sondern in ihm wird gleichsam vorgeblendet auf das Schicksal seines Bruders; in ihm ist das Geschick des Bruders mit anwesend, des Bruders, der sich für ungläubig hält, der Gott den Rücken gekehrt hat, weil er als seine Sache nicht das Warten ansieht, sondern »das Besitzen des Erreichlichen ..., als könnte er anderswo sein, als Du bist«. (Fs)

37b Wir brauchen hier nicht den Verschlingungen der Claudel'schen Konzeption nachzugehen, wie er das Ineinander der scheinbar gegensätzlichen Geschicke als Leitfaden behält, bis zu dem Punkt hin, wo am Ende Rodrigos Geschick dasjenige seines Bruders berührt, indem der Welteroberer als Sklave auf einem Schiff endigt, der froh sein muss, wenn eine alte Nonne mit rostigen Bratpfannen und Lumpen auch ihn als wertlose Ware mitnimmt. Wir können vielmehr ohne Bild zu unserer eigenen Situation zurückkehren und sagen: Wenn der Glaubende nur immer über dem Ozean des Nichts, der Anfechtung und der Fragwürdigkeiten seinen Glauben vollziehen kann, den Ozean der Ungewissheit als den allein möglichen Ort seines Glaubens zugewiesen erhalten hat, so ist doch auch umgekehrt der Ungläubige nicht undialektisch als bloß Glaubensloser zu verstehen. So wie wir bisher erkannt hatten, dass der Gläubige nicht fraglos dahinlebt, sondern stets vom Absturz ins Nichts bedroht, so werden wir jetzt das Ineinandergeschobensein der menschlichen Geschicke anerkennen und sagen müssen, dass auch der Nichtglaubende keine rund in sich geschlossene Existenz darstellt. Denn wie forsch er sich auch immer als reiner Positivist gebärden mag, der die supranaturalen Versuchungen und Anfälligkeiten längst hinter sich gelassen hat und jetzt nur noch im unmittelbar Gewissen lebt - die geheime Ungewissheit, ob der Positivismus wirklich das letzte Wort habe, wird ihn doch nie verlassen. Wie es dem Glaubenden geschieht, dass er vom Salzwasser des Zweifels gewürgt wird, das ihm der Ozean fortwährend in den Mund spült, so gibt es auch den Zweifel des Ungläubigen an seiner Ungläubigkeit, an der wirklichen Totalität der Welt, die zum Totum zu erklären er sich entschlossen hat. Er wird der Abgeschlossenheit dessen, was er gesehen hat und als das Ganze erklärt, nie restlos gewiss, sondern bleibt von der Frage bedroht, ob nicht der Glaube dennoch das Wirkliche sei und es sage. So wie also der Gläubige sich fortwährend durch den Unglauben bedroht weiß, ihn als seine beständige Versuchung empfinden muss, so bleibt dem Ungläubigen der Glaube Bedrohung und Versuchung seiner scheinbar ein für allemal geschlossenen Welt. Mit einem Wort - es gibt keine Flucht aus dem Dilemma des Menschseins. Wer der Ungewissheit des Glaubens entfliehen will, wird die Ungewissheit des Unglaubens erfahren müssen, der seinerseits doch nie endgültig gewiss sagen kann, ob nicht doch der Glaube die Wahrheit sei. Erst in der Abweisung wird die Unabweisbarkeit des Glaubens sichtbar. (Fs)

39a Vielleicht ist es angebracht, an dieser Stelle eine jüdische Geschichte anzuhören, die Martin Buber aufgezeichnet hat; in ihr kommt das eben geschilderte Dilemma des Menschseins deutlich zur Anschauung. »Einer der Aufklärer, ein sehr gelehrter Mann, der vom Berditschewer gehört hatte, suchte ihn auf, um auch mit ihm, wie er's gewohnt war, zu disputieren und seine rückständigen Beweisgründe für die Wahrheit seines Glaubens zuschanden zu machen. Als er die Stube des Zaddiks betrat, sah er ihn mit einem Buch in der Hand in begeistertem Nachdenken auf und ab gehen. Des Ankömmlings achtete er nicht. Schließlich blieb er stehen, sah ihn flüchtig an und sagte: >Vielleicht ist es aber wahr<. Der Gelehrte nahm vergebens all sein Selbstgefühl zusammen - ihm schlotterten die Knie, so furchtbar war der Zaddik anzusehen, so furchtbar sein schlichter Spruch zu hören. Rabbi Levi Jizchak aber wandte sich ihm nun völlig zu und sprach ihn gelassen an: >Mein Sohn, die Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben ihre Worte an dich verschwendet, du hast, als du gingst, darüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können, und auch ich kann es nicht. Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr<. Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegnung auf; aber dieses furchtbare >Vielleicht<, das ihm da Mal um Mal entgegenscholl, brach seinen Widerstand«5. (Fs)

40a Ich glaube, hier ist - bei aller Fremdheit der Einkleidung -die Situation des Menschen vor der Gottesfrage sehr präzis beschrieben. Niemand kann dem andern Gott und sein Reich auf den Tisch legen, auch der Glaubende sich selbst nicht. Aber wie sehr sich auch der Unglaube dadurch gerechtfertigt fühlen mag, es bleibt ihm die Unheimlichkeit des »Vielleicht ist es doch wahr«. Das »Vielleicht« ist die unentrinnbare Anfechtung, der er sich nicht entziehen kann, in der auch er in der Abweisung die Unabweisbarkeit des Glaubens erfahren muss. Anders ausgedrückt: Der Glaubende wie der Ungläubige haben, jeder auf seine Weise, am Zweifel und am Glauben Anteil, wenn sie sich nicht vor sich selbst verbergen und vor der Wahrheit ihres Seins. Keiner kann dem Zweifel ganz, keiner dem Glauben ganz entrinnen; für den einen wird der Glaube gegen den Zweifel, für den andern durch den Zweifel und in der Form des Zweifels anwesend. Es ist die Grundgestalt menschlichen Geschicks, nur in dieser unbe-endbaren Rivalität von Zweifel und Glaube, von Anfechtung und Gewissheit die Endgültigkeit seines Daseins finden zu dürfen. Vielleicht könnte so gerade der Zweifel, der den einen wie den anderen vor der Verschließung im bloß Eigenen bewahrt, zum Ort der Kommunikation werden. Er hindert beide daran, sich völlig in sich selbst zu runden, er bricht den Glaubenden auf den Zweifelnden und den Zweifelnden auf den Glaubenden hin auf, für den einen ist er seine Teilhabe am Geschick des Ungläubigen, für den andern die Form, wie der Glaube trotzdem eine Herausforderung an ihn bleibt. (Fs)

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Einführung in das Christentum

Titel: Glaube - Andersheit Gottes

Index: Der Sprung des Glaubens - vorläufiger Versuch einer Wesensbestimmung des Glaubens; Religion - Glaube; Beziehung: totale Andersheit (Transzendenz) d. biblischen Gottes - G.; Umkehr, Bekehrung (G. als Wende des Seins)

Kurzinhalt: Gott ist nicht nur der, der jetzt tatsächlich außerhalb des Sehfeldes liegt, aber so, dass man ihn sehen könnte, wenn es möglich wäre weiterzugehen; nein, er ist der, der wesentlich außerhalb davon steht, wie sehr unser Blickfeld auch immer ...

Text: 2. Der Sprung des Glaubens - vorläufiger Versuch einer Wesensbestimmung des Glaubens

41a Wenn wir mit allem Gesagten das Bild vom unverständlichen Clown und von den ahnungslosen Dörflern als ungenügend erwiesen haben, um das Zueinander von Glaube und Unglaube in unserer heutigen Welt zu beschreiben, so werden wir andererseits nicht bestreiten dürfen, dass es ein spezifisches Problem des Glaubens heute ausdrückt. Denn die Grundfrage einer Einführung ins Christentum, die aufzuschließen versuchen muss, was es heißt, wenn ein Mensch sagt »Ich glaube« - diese Grundfrage stellt sich uns mit einem ganz bestimmten zeitlichen Index. Sie kann von uns angesichts unseres Geschichtsbewusstseins, das ein Teil unseres Selbstbewusstseins, unseres Grundverständnisses des Menschlichen geworden ist, nur noch in der Form gestellt werden: Was heißt und was bedeutet das christliche Bekenntnis »Ich glaube« heute, unter den Voraussetzungen unserer gegenwärtigen Existenz und unserer gegenwärtigen Stellung zum Wirklichen insgesamt? (Fs; tblStw: Glaube)

41b Damit sind wir zugleich bei einer Analyse des Textes angelangt, der den Leitfaden unserer ganzen Überlegungen abgeben soll: des »Apostolischen Glaubensbekenntnisses«, das von seinem Ursprung her >Einführung ins Christentum< und Zusammenfassung seiner wesentlichen Inhalte sein will. Dieser Text beginnt symptomatisch mit den Worten »Ich glaube ...«. Wir verzichten freilich zunächst darauf, dieses Wort von seinem inhaltlichen Zusammenhang her auszulegen; wir unterlassen es auch vorerst noch zu fragen, was es bedeutet, dass diese Grundaussage »Ich glaube« in einer geprägten Formel, in Verbindung mit bestimmten Gehalten und entworfen von einem gottesdienstlichen Zusammenhang her auftritt. Beiderlei Kontext, der der gottesdienstlichen Form wie der der inhaltlichen Bestimmungen, prägt allerdings den Sinn dieses Wörtchens »Credo« mit, so wie umgekehrt das Wörtchen »Credo« alles Nachfolgende und den gottesdienstlichen Rahmen trägt und prägt. Dennoch müssen wir beides einstweilen zurückstellen, um radikaler zu fragen und ganz grundsätzlich zu bedenken, was für eine Einstellung überhaupt damit gemeint ist, wenn christliche Existenz sich zunächst und zuerst einmal im Verbum »Credo« ausdrückt und damit - was keineswegs selbstverständlich ist - den Kern des Christlichen dahin bestimmt, dass es ein »Glaube« sei. Allzu unreflektiert setzen wir ja meist voraus, dass »Religion« und »Glaube« allemal das Gleiche seien und jede Religion daher ebenso gut als »Glaube« bezeichnet werden könne. Das trifft aber tatsächlich nur in begrenztem Maße zu; vielfach benennen sich die anderen Religionen anders und setzen damit andere Schwerpunkte. Das Alte Testament hat sich als Ganzes nicht unter dem Begriff »Glaube«, sondern unter dem Begriff »Gesetz« beschrieben. Es ist primär eine Lebensordnung, in der freilich dann der Akt des Glaubens immer mehr an Bedeutung gewinnt. Die römische Religiosität wiederum hat praktisch unter religio vorwiegend das Einhalten bestimmter ritueller Formen und Gepflogenheiten verstanden. Für sie ist nicht entscheidend, dass ein Glaubensakt an Supranaturales gesetzt wird; er kann sogar völlig fehlen, ohne dass man dieser Religion untreu wird. Da sie wesentlich ein System von Riten ist, ist deren sorgfältige Beobachtung für sie das eigentlich Entscheidende. So ließe sich das durch die ganze Religionsgeschichte verfolgen. Aber diese Andeutung mag genügen, um zu verdeutlichen, wie wenig es sich von selbst versteht, dass das Christsein sich zentral in dem Wort »Credo« ausdrückt, dass es seine Form von Stellungnahme zum Wirklichen in der Haltung des Glaubens benennt. Damit wird freilich unsere Frage nur um so dringlicher: Welche Einstellung ist eigentlich gemeint mit diesem Wort? Und weiter: Wie kommt es, dass uns das Eintreten unseres je persönlichen Ich in dieses »Ich glaube« so schwer wird? Wie kommt es, dass es uns immer wieder fast unmöglich erscheint, unser heutiges Ich - jeder das seinige, das von dem des andern untrennbar geschieden ist - in die Identifizierung mit jenem von Generationen vorbestimmten und vorgeprägten Ich des »Ich glaube« zu versetzen?

43a Machen wir uns nichts vor: In jenes Ich der Credo-Formel einzutreten, das schematische Ich der Formel in Fleisch und Blut des persönlichen Ich umzuwandeln, das war schon immer eine aufregende und schier unmöglich scheinende Sache, bei deren Vollzug nicht selten, statt das Schema mit Fleisch und Blut zu füllen, das Ich in ein Schema umgewandelt worden ist. Und wenn wir heute als Glaubende in unserer Zeit vielleicht ein wenig neidisch sagen hören, im Mittelalter sei man in unseren Landen ausnahmslos gläubig gewesen, dann tut es gut, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, wie ihn uns die historische Forschung heute gestattet. Sie kann uns darüber belehren, dass es auch damals schon die große Schar der Mitläufer und die verhältnismäßig geringe Zahl der wirklich in die innere Bewegung des Glaubens Eingetretenen gab. Sie kann uns zeigen, dass für viele der Glaube doch nur ein vorgefundenes System von Lebensformen war, durch das für sie das aufregende Abenteuer, welches das Wort »Credo« eigentlich meint, wenigstens ebenso sehr verdeckt wie eröffnet wurde. Das alles einfach deshalb, weil es zwischen Gott und Mensch eine unendliche Kluft gibt; weil der Mensch so beschaffen ist, dass seine Augen nur das zu sehen vermögen, was Gott nicht ist, und daher Gott der für den Menschen wesentlich Unsichtbare, außerhalb seines Sehfeldes Liegende ist und immer sein wird. Gott ist wesentlich unsichtbar - diese Grundaussage biblischen Gottesglaubens im Nein zur Sichtbarkeit der Götter ist zugleich, ja zuerst, eine Aussage über den Menschen: Der Mensch ist das schauende Wesen, dem der Raum seiner Existenz durch den Raum seines Sehens und Greifens abgesteckt scheint. Aber in diesem Raum seines Sehens und Greifens, der den Daseinsort des Menschen bestimmt, kommt Gott nicht vor und wird er nie vorkommen, wie sehr auch immer dieser Raum ausgeweitet werden mag. Ich glaube, es ist wichtig, dass im Prinzip diese Aussage im Alten Testament gegeben ist: Gott ist nicht nur der, der jetzt tatsächlich außerhalb des Sehfeldes liegt, aber so, dass man ihn sehen könnte, wenn es möglich wäre weiterzugehen; nein, er ist der, der wesentlich außerhalb davon steht, wie sehr unser Blickfeld auch immer ausgeweitet werden wird. (Fs)

44a Damit zeigt sich aber nun ein erster Umriss der Haltung, die das Wörtchen »Credo« meint. Es bedeutet, dass der Mensch Sehen, Hören und Greifen nicht als die Totalität des ihn Angehenden betrachtet, dass er den Raum seiner Welt nicht mit dem, was er sehen und greifen kann, abgesteckt ansieht, sondern eine zweite Form von Zugang zum Wirklichen sucht, die er eben Glauben nennt, und zwar so, dass er darin sogar die entscheidende Eröffnung seiner Weltsicht überhaupt findet. Wenn es aber so ist, dann schließt das Wörtchen Credo eine grundlegende Option gegenüber der Wirklichkeit als solcher ein; es meint nicht ein Feststellen von dem und jenem, sondern eine Grundform, sich zum Sein, zur Existenz, zum Eigenen und zum Ganzen des Wirklichen zu Verhalten. Es bedeutet die Option, dass das nicht zu Sehende, das auf keine Weise ins Blickfeld rücken kann, nicht das Unwirkliche ist, sondern dass im Gegenteil das nicht zu Sehende sogar das eigentlich Wirkliche, das alle übrige Wirklichkeit Tragende und Ermöglichende darstellt. Und es bedeutet die Option, dass dieses die Wirklichkeit insgesamt Ermöglichende auch das ist, was dem Menschen wahrhaft menschliche Existenz gewährt, was ihn als Menschen und als menschlich Seienden möglich macht. Nochmal anders gesagt: Glauben bedeutet die Entscheidung dafür, dass im Innersten der menschlichen Existenz ein Punkt ist, der nicht aus dem Sichtbaren und Greifbaren gespeist und getragen werden kann, sondern an das nicht zu Sehende stößt, sodass es ihm berührbar wird und sich als eine Notwendigkeit für seine Existenz erweist. (Fs)

45a Solche Haltung ist freilich nur zu erreichen durch das, was die Sprache der Bibel »Umkehr«, »Be-kehrung« nennt. Das natürliche Schwergewicht des Menschen treibt ihn zum Sichtbaren, zu dem, was er in die Hand nehmen und als sein Eigen greifen kann. Er muss sich innerlich herumwenden, um zu sehen, wie sehr er sein Eigentliches versäumt, indem er sich solchermaßen von seinem natürlichen Schwergewicht ziehen lässt. Er muss sich herumwenden, um zu erkennen, wie blind er ist, wenn er nur dem traut, was seine Augen sehen. Ohne diese Wende der Existenz, ohne die Durchkreuzung des natürlichen Schwergewichts gibt es keinen Glauben. Ja, der Glaube ist die Be-kehrung, in der der Mensch entdeckt, dass er einer Illusion folgt, wenn er sich dem Greifbaren allein verschreibt. Dies ist zugleich der tiefste Grund, warum Glaube nicht demonstrierbar ist: Er ist eine Wende des Seins, und nur wer sich wendet, empfängt ihn. Und weil unser Schwergewicht nicht aufhört, uns in eine andere Richtung zu weisen, deshalb bleibt er als Wende täglich neu, und nur in einer lebenslangen Bekehrung können wir innewerden, was es heißt, zu sagen: Ich glaube. (Fs)

45b Von da aus ist es zu verstehen, dass Glaube nicht erst heute und unter den spezifischen Bedingungen unserer modernen Situation problematisch, ja nahezu etwas unmöglich Scheinendes ist, sondern dass er, vielleicht etwas verdeckter und weniger leicht erkennbar, dennoch immer schon das Springen über eine unendliche Kluft, nämlich aus der dem Menschen sich aufdrängenden Greifbarkeitswelt, bedeutet: Immer schon hat Glaube "etwas von einem abenteuerlichen Bruch und Sprung an sich, weil er zu jeder Zeit das Wagnis darstellt, das schlechthin nicht zu Sehende als das eigentlich Wirkliche und Grundgebende anzunehmen. Nie war Glaube einfach die dem Ge-fälle [es: sic] des menschlichen Daseins von selbst zu-fallende Einstellung; immer schon war er eine die Tiefe der Existenz anfordernde Entscheidung, die allzeit ein Sichherumwenden des Menschen forderte, das nur im Entschluss erreichbar ist. (Fs)

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Einführung in das Christentum

Titel: Glaube - Dilemme (sichtbar - unsichtbar, damals - heute)

Index: Dilemma des Glaubens in der Welt von heute; Kluft: sichtbar - unsichtbar, damals - heute; Tradition als d. Gestrige; Skandal d. christlichen Positivismus; Auslegung Gottes durch Jesus

Kurzinhalt: Christlicher Glaube hat es gar nicht bloß ... mit dem Ewigen zu tun, das als das ganz Andere völlig außerhalb der menschlichen Welt und der Zeit verbliebe; er hat es vielmehr mit dem Gott in der Geschichte zu tun, mit Gott als Menschen...

Text: 3. Das Dilemma des Glaubens in der Welt von heute

46a Hat man sich freilich einmal das Abenteuer klargemacht, das wesentlich in der Haltung des Glaubens liegt, dann ist eine zweite Überlegung nicht zu umgehen, in der die besondere Schärfe der Schwierigkeit zu glauben zum Vorschein kommt, wie sie uns heute betrifft. Zur Kluft von »Sichtbar« und »Unsichtbar« kommt für uns erschwerend diejenige von »Damals« und »Heute« dazu. Die Grundparadoxie, die im Glauben an sich schon liegt, ist noch dadurch vertieft, dass Glaube im Gewand des Damaligen auftritt, ja, geradezu das Damalige, die Lebens- und Existenzform von damals, zu sein scheint. Alle Verheutigungen, ob sie sich nun intellektuell-akademisch »Entmythologisierung« oder kirchlich-pragmatisch »Aggiornamento« nennen, ändern das nicht, im Gegenteil: diese Bemühungen verstärken den Verdacht, hier werde krampfhaft als heutig ausgegeben, was in Wirklichkeit doch eben das Damalige ist. Diese Verheutigungsversuche lassen erst vollends bewusst werden, wie sehr das, was uns da begegnet, »von gestern« ist, und der Glaube erscheint so gar nicht mehr eigentlich als der zwar verwegene, aber doch die Großmut des Menschen herausfordernde Sprung aus dem scheinbaren Alles unserer Sichtbarkeitswelt in das scheinbare Nichts des Unsichtbaren und Ungreifbaren; er erscheint uns viel eher als die Zumutung, im Heute sich auf das Gestrige zu verpflichten und es als das immerwährend Gültige zu beschwören. Aber wer will das schon in einer Zeit, in der an die Stelle des Gedankens der »Tradition« die Idee des »Fortschrittes« getreten ist? (Fs; tblStw: Glaube)

47a Wir stoßen hier im Vorbeigehen auf ein Spezifikum unserer heutigen Situation, das für unsere Frage einige Bedeutung hat. Für vergangene geistige Konstellationen umschrieb der Begriff »Tradition« ein prägendes Programm; sie erschien als das Bergende, worauf der Mensch sich verlassen kann; er durfte sich dann sicher und am rechten Orte glauben, wenn er sich auf Tradition berufen konnte. Heute waltet genau das entgegengesetzte Gefühl: Tradition erscheint als das Abgetane, das bloß Gestrige, der Fortschritt aber als die eigentliche Verheißung des Seins, so dass der Mensch sich nicht am Ort der Tradition, der Vergangenheit, sondern im Raum des Fortschritts und der Zukunft ansiedelt. Auch von da her muss ihm ein Glaube, der ihm unter dem Etikett der >Tradition< begegnet, als das Überwundene erscheinen, das ihm, der die Zukunft als seine eigentliche Verpflichtung und Möglichkeit erkannt hat, nicht den Ort seines Daseins öffnen kann. Das alles aber heißt, dass das primäre Scandalum des Glaubens, die Distanz von Sichtbar und Unsichtbar, von Gott und Nicht-Gott, verdeckt und versperrt ist durch das sekundäre Scandalum von Damals und Heute, durch die Antithese von Tradition und Fortschritt, durch die Verpflichtung auf die Gestrigkeit, die der Glaube einzuschließen scheint. (Fs)

47b Dass weder der tiefsinnige Intellektualismus der Entmythologisierung noch der Pragmatismus des Aggiornamento einfach zu überzeugen vermögen, macht freilich sichtbar, dass auch diese Verzerrung des Grundskandals christlichen Glaubens eine sehr tief reichende Sache ist, der man weder mit Theorien noch mit Aktionen ohne Weiteres beikommen kann. Ja, in gewissem Sinne wird hier erst die Eigenart des christlichen Skandals greifbar, nämlich das, was man den christlichen Positivismus, die unaufhebbare Positivität des Christlichen nennen könnte. Ich meine damit Folgendes: Christlicher Glaube hat es gar nicht bloß, wie man zunächst bei der Rede vom Glauben vermuten möchte, mit dem Ewigen zu tun, das als das ganz Andere völlig außerhalb der menschlichen Welt und der Zeit verbliebe; er hat es vielmehr mit dem Gott in der Geschichte zu tun, mit Gott als Menschen. Indem er so die Kluft von ewig und zeitlich, von sichtbar und unsichtbar zu überbrücken scheint, indem er uns Gott als einem Menschen begegnen lässt, dem Ewigen als dem Zeitlichen, als einem von uns, weiß er sich als Offenbarung. Sein Anspruch, Offenbarung zu sein, gründet ja darin, dass er gleichsam das Ewige hereingeholt hat in unsere Welt: »Was niemand je gesehen hat - der hat es uns ausgelegt, der an der Brust des Vaters ruht« (Jo 1,18) - er ist uns zur »Exegese« Gottes geworden, möchte man in Anlehnung an den griechischen Text beinahe sagen1. Aber bleiben wir beim deutschen Wort; das Original ermächtigt uns, es ganz buchstäblich zu nehmen: Jesus hat Gott wirklich aus-gelegt, ihn herausgeführt aus sich selbst, oder, wie es der 1. Johannesbrief noch drastischer sagt: ihn unserem Anschauen und unserem Betasten freigegeben, sodass der, den nie jemand gesehen hat, nun unserem geschichtlichen Berühren offen steht2. (Fs)

48a Im ersten Augenblick scheint das wirklich das Höchstmaß von Offenbarung, von Offenlegung Gottes zu sein. Der Sprung, der bisher ins Unendliche führte, scheint auf eine menschlich mögliche Größenordnung verkürzt, indem wir nur noch gleichsam die paar Schritte zu jenem Menschen in Palästina zu gehen brauchen, in dem uns Gott selber entgegentritt. Aber die Dinge haben eine seltsame Doppelseitigkeit: Was zunächst die radikalste Offenbarung zu sein scheint und in gewissem Maß in der Tat für immer Offenbarung, die Offenbarung, bleibt, das ist doch im selben Augenblick die äußerste Verdunklung und Verhüllung. Was Gott uns zunächst ganz nahe zu bringen scheint, sodass wir ihn als Mitmenschen anrühren können, seinen Fußspuren zu folgen, sie förmlich nachzumessen vermögen, eben das ist in einem sehr tiefen Sinne zur Voraussetzung für den >Tod Gottes< geworden, der fortan den Gang der Geschichte und das menschliche Gottesverhältnis unwiderruflich prägt. Gott ist uns so nahe geworden, dass wir ihn töten können und dass er darin, wie es scheint, aufhört, Gott für uns zu sein. So stehen wir heute ein wenig fassungslos vor dieser christlichen »Offenbarung« und fragen uns vor ihr, besonders wenn wir sie mit der Religiosität Asiens konfrontieren, ob es nicht doch viel einfacher gewesen wäre, an das Verborgen-Ewige zu glauben, sich sinnend und sehnend ihm anzuvertrauen. Ob uns Gott nicht gleichsam besser in der unendlichen Distanz gelassen hätte. Ob es nicht wirklich einfacher vollziehbar wäre, im Aufstieg aus allem Weltlichen in ruhiger Beschauung das ewig unfassbare Geheimnis zu vernehmen, als sich dem Positivismus des Glaubens an eine einzige Gestalt auszuliefern und gleichsam auf der Nadelspitze dieses einen Zufallspunktes das Heil des Menschen und der Welt anzusiedeln. Muss dieser auf einen Punkt hin verengte Gott nicht definitiv sterben in einem Weltbild, das den Menschen und seine Geschichte unnachsichtig relativiert zu einem winzigen Staubkorn im All, das nur in der Naivität seiner Kinderjahre sich als die Mitte des Universums ansehen konnte, aber nun, den Kinderjahren entwachsen, endlich den Mut haben sollte, vom Schlaf aufzuwachen, sich die Augen zu reiben und jenen törichten Traum, wie schön er auch war, abzuschütteln und sich fraglos dem gewaltigen Zusammenhang einzufügen, in den unser winziges Leben hineinverwiesen ist, das gerade so, im Annehmen seiner Winzigkeit, auf neue Weise Sinn finden sollte?

49a Erst indem wir die Frage solchermaßen zuspitzen und so in den Blick bekommen, dass hinter dem scheinbar sekundären Skandal von »damals« und »heute« das viel tiefere Ärgernisses christlichen »Positivismus« steht, die »Einengung« Gottes auf einen Punkt der Geschichte hin, erst damit sind wir bei der ganzen Tiefe der christlichen Glaubensfrage angelangt, wie sie heute bestanden werden muss. Können wir überhaupt noch glauben? Nein, wir müssen radikaler fragen: Dürfen wir es noch, oder gibt es nicht eine Pflicht, mit dem Traum zu brechen und sich der Wirklichkeit zu stellen? Der Christ von heute muss so fragen; er darf sich nicht damit begnügen, zu ermitteln, dass sich durch allerlei Drehungen und Wendungen schließlich auch noch eine Interpretation des Christentums finden lässt, die nirgends mehr anstößt. Wenn etwa irgendwo ein Theologe erklärt, »Auferstehung der Toten« bedeute nur, dass man täglich unverdrossen von neuem ans Werk der Zukunft zu gehen habe, so ist der Anstoß sicherlich beseitigt. Aber sind wir eigentlich ehrlich geblieben dabei? Liegt nicht doch eine bedenkliche Unredlichkeit darin, wenn Christentum mit solchen Interpretationskünsten als heute noch vertretbar aufrechterhalten wird? Oder haben wir, wenn wir zu solcher Zuflucht uns gedrängt fühlen, nicht vielmehr die Pflicht, zu gestehen, dass wir am Ende sind? Müssen wir uns dann nicht ohne Nebel schlicht der verbleibenden Wirklichkeit stellen? Sagen wir es scharf: ein in dieser Weise wirklichkeitsleer gewordenes Interpretationschristentum bedeutet einen Mangel an Aufrichtigkeit gegenüber den Fragen des Nichtchristen, dessen »Vielleicht nicht« uns doch so ernst bedrängen muss, wie wir wünschen, dass ihn das christliche »Vielleicht« bedränge. (Fs)

50a Wenn wir versuchen, in dieser Weise das Fragen des andern als die immer währende Befragtheit unseres eigenen Seins anzunehmen, das man nicht in einen Traktat einengen und hernach beiseite legen kann, dann werden wir umgekehrt das Recht haben, festzustellen, dass hier eine Gegenfrage aufsteht. Wir sind heute von vornherein geneigt, einfach das greifbar Vorhandene, das »Nachweisbare«, als das eigentlich Wirkliche zu unterstellen. Aber darf man das eigentlich? Müssen wir nicht doch sorgfältiger fragen, was das in Wahrheit ist, »das Wirkliche«? Ist es nur das Festgestellte und Feststellbare, oder ist vielleicht das Feststellen doch nur eine bestimmte Weise, sich zur Wirklichkeit zu verhalten, die keineswegs das Ganze erfassen kann und die sogar zur Verfälschung der Wahrheit und des Menschseins führt, wenn wir sie als das allein Bestimmende annehmen? Indem wir so fragen, sind wir noch einmal auf das Dilemma von »damals« und »heute« zurückgeführt und nun allerdings der spezifischen Problematik unseres Heute gegenübergestellt. Versuchen wir, ihre wesentlichen Elemente etwas deutlicher zu erkennen!

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Einführung in das Christentum

Titel: Glaube; Stehen - Verstehen

Index: Glaube als Stehen und Verstehen; Stehen - Verstand; Verstehen vs. Wissen, Machen; Sinn nicht machbar

Kurzinhalt: ... dass Glaube eine völlig andere Ebene meint als jene des Machens und der Machbarkeit. Er ist wesentlich das Sichanvertrauen an das Nicht-Selbstgemachte und niemals Machbare, das gerade so all unser Machen trägt und ermöglicht.

Text: 5. Glaube als Stehen und Verstehen

62a Indem ich das Begriffspaar Stehen - Verstehen demjenigen von Wissen - Machen gegenüberstelle, spiele ich auf ein letztlich unübersetzbares biblisches Grundwort über den Glauben an, dessen tiefsinniges Wortspiel Luther einzufangen versuchte in der Formel: »Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht«; wörtlicher könnte man übersetzen: »Wenn ihr nicht glaubt (wenn ihr euch nicht an Jahwe festhaltet), dann werdet ihr keinen Halt haben« (Jes 7,9). Die eine Wortwurzel 'mn (amen) umfasst eine Vielfalt von Bedeutungen, deren Ineinandergreifen und Differenziertheit die subtile Großartigkeit dieses Satzes ausmacht. Sie schließt die Bedeutungen Wahrheit, Festigkeit, fester Grund, Boden ein, des weiteren die Bedeutungen Treue, trauen, sich anvertrauen, sich auf etwas stellen, an etwas glauben; das Glauben an Gott erscheint so als ein Sicheinhalten bei Gott, durch das der Mensch einen festen Halt für sein Leben gewinnt. Glaube ist damit beschrieben als ein Standfassen, als ein vertrauendes Sichstellen auf den Boden des Wortes Gottes. Die griechische Übersetzung des Alten Testaments (die so genannte Septuaginta) hat den vorhin genannten Satz nicht nur sprachlich, sondern auch gedanklich in den griechischen Bereich hineinübersetzt, indem sie formuliert: »Wenn ihr nicht glaubt, dann versteht ihr auch nicht«. Man hat vielfach gesagt, in dieser Übersetzung sei bereits der typische Hellenisierungsprozess, der Abfall vom ursprünglich Biblischen am Werk. Glaube würde intellektualisiert; anstatt das Stehen auf dem festen Grund des zuverlässigen Wortes Gottes auszudrücken, werde er nun mit Verstehen und Verstand in Verbindung gebracht und damit auf eine ganz andere, ihm durchaus unangemessene Ebene verlegt. Daran mag etwas Wahres sein. Dennoch meine ich, dass aufs Ganze gesehen unter veränderten Vorzeichen das Entscheidende gewahrt ist. Stehen, wie es im Hebräischen als Inhalt des Glaubens angegeben wird, hat durchaus auch mit Verstehen etwas zu tun. Darüber werden wir gleich anschließend noch weiter reflektieren müssen. Einstweilen können wir einfach den Faden des vorhin Bedachten wieder aufgreifen und sagen, dass Glaube eine völlig andere Ebene meint als jene des Machens und der Machbarkeit. Er ist wesentlich das Sichanvertrauen an das Nicht-Selbstgemachte und niemals Machbare, das gerade so all unser Machen trägt und ermöglicht. Das heißt aber dann weiterhin, dass er auf der Ebene des Machbarkeitswissens, auf der Ebene des »verum quia factum seu faciendum« weder vorkommt noch überhaupt vorkommen und darin gefunden werden kann und dass jeder Versuch, ihn dort »auf den Tisch zu legen«, ihn im Sinn des Machbarkeitswissens beweisen zu wollen, notwendig scheitern muss. Er ist im Gefüge dieser Art von Wissen nicht anzutreffen, und wer ihn dennoch dort auf den Tisch legt, der hat etwas Falsches auf den Tisch gelegt. Das bohrende Vielleicht, mit dem der Glaube den Menschen allerorten und jederzeit in Frage stellt, verweist nicht auf eine Unsicherheit innerhalb des Machbarkeitswissens, sondern es ist die Infragestellung der Absolutheit dieses Bereichs, seine Relativierung als eine Ebene des menschlichen Seins und des Seins überhaupt, die nur den Charakter von etwas Vorletztem haben kann. Anders ausgedrückt: Wir sind mit unseren Überlegungen nun an einer Stelle angelangt, an der sichtbar wird, dass es zwei Grundformen menschlichen Verhaltens zur Wirklichkeit gibt, von denen die eine nicht auf die andere zurückgeführt werden kann, weil sich beide je auf einer gänzlich anderen Ebene abspielen. (Fs)

63a Man darf hier vielleicht an eine Gegenüberstellung Martin Heideggers erinnern, der von der Dualität von rechnendem Denken und besinnlichem Denken spricht. Beide Denkweisen sind legitim und notwendig, aber eben deshalb kann keine von beiden in die andere hinein aufgelöst werden. Beides also muss es geben: das rechnende Denken, das der Machbarkeit zugeordnet ist, und das besinnliche Denken, das dem Sinn nachdenkt. Man wird dem Freiburger Philosophen wohl auch nicht ganz Unrecht geben können, wenn er die Befürchtung ausdrückt, dass in einer Zeit, in der das rechnende Denken die staunenswertesten Triumphe feiert, der Mensch dennoch, ja vielleicht mehr als zuvor, von der Gedankenlosigkeit bedroht ist, von der Flucht vor dem Denken. Indem er allein dem Machbaren nachdenkt, steht er in Gefahr zu vergessen, sich selbst, den Sinn seines Seins zu bedenken. Freilich gibt es diese Versuchung zu allen Zeiten. So glaubte im 13. Jahrhundert der große Franziskanertheologe Bonaventura seinen Kollegen von der philosophischen Fakultät in Paris vorwerfen zu müssen, sie hätten die Welt zwar zu messen gelernt, aber verlernt, sich selbst zu messen. Sagen wir das gleiche nochmals anders: Glauben in dem Sinn, wie ihn das Credo will, ist nicht eine unfertige Form des Wissens, ein Meinen, das man dann in Machbarkeitswissen umsetzen könnte oder sollte. Er ist vielmehr eine von Wesen andere Form geistigen Verhaltens, die als etwas Selbständiges und Eigenes neben diesem steht, nicht rückführbar darauf und unableitbar davon. Denn der Glaube ist nicht dem Bereich der Machbarkeit und des Gemachten zugeordnet, obwohl er mit beiden zu tun hat, sondern dem Bereich der Grundentscheidungen, deren Beantwortung dem Menschen unausweichlich ist und die von Wesen her nur in einer Form geschehen kann. Diese Form aber nennen wir Glaube. Es scheint mir unerlässlich, dies in voller Deutlichkeit zu sehen: Jeder Mensch muss in irgendeiner Form zum Bereich der Grundentscheidungen Stellung beziehen, und kein Mensch kann das anders als in der Weise eines Glaubens tun. Es gibt einen Bezirk, der keine andere Antwort als die eines Glaubens zulässt, und gerade ihn kann kein Mensch ganz umgehen. Jeder Mensch muss auf irgendeine Art »glauben«. (Fs)

64a Der bisher imponierendste Versuch, die Verhaltensweise »Glaube« dennoch der Verhaltensweise des Machbarkeitswissens einzuordnen, liegt im Marxismus vor. Denn hier stellt das Faciendum, die selbst zu erschaffende Zukunft, zugleich den Sinn des Menschen dar, sodass die Sinngebung, die an sich im Glauben vollzogen bzw. angenommen wird, auf die Ebene des zu Machenden transponiert erscheint. Damit ist ohne Zweifel die äußerste Konsequenz neuzeitlichen Denkens erreicht; es scheint geglückt, den Sinn des Menschen gänzlich ins Machbare einzubeziehen, ja, beides einander gleichzusetzen. Sieht man indes näher zu, so zeigt sich, dass auch dem Marxismus die Quadratur des Kreises nicht gelungen ist. Denn auch er kann das Machbare als Sinn nicht wissbar machen, sondern nur verheißen und damit dem Glauben zur Entscheidung anbieten. Was freilich diesen marxistischen Glauben heute so attraktiv und so unmittelbar zugänglich erscheinen lässt, ist der Eindruck der Harmonie mit dem Machbarkeitswissen, den er hervorruft. (Fs) (notabene)

65a Kehren wir nach dieser kleinen Abschweifung zurück, um noch einmal und zusammenfassend zu fragen: Was ist das eigentlich, das Glauben? Darauf können wir jetzt antworten: Es ist die nicht auf Wissen reduzierbare, dem Wissen inkommensurable Form des Standfassens des Menschen im Ganzen der Wirklichkeit, die Sinngebung, ohne die das Ganze des Menschen ortlos bliebe, die dem Rechnen und Handeln des Menschen vorausliegt und ohne die er letztlich auch nicht rechnen und handeln könnte, weil er es nur kann im Ort eines Sinnes, der ihn trägt. Denn in der Tat: der Mensch lebt nicht vom Brot der Machbarkeit allein, er lebt als Mensch und gerade in dem Eigentlichen seines Menschseins vom Wort, von der Liebe, vom Sinn. Der Sinn ist das Brot, wovon der Mensch im Eigentlichen seines Menschseins besteht. Ohne das Wort, ohne den Sinn, ohne die Liebe kommt er in die Situation des Nicht-mehr-leben-Könnens, selbst wenn irdischer Komfort im Überfluss vorhanden ist. Wer wüsste nicht, wie sehr diese Situation des »Ich kann nicht mehr« inmitten des äußeren Überflusses auftauchen kann? Sinn aber ist nicht abkünftig von Wissen. Ihn auf diese Art, das heißt aus dem Beweiswissen der Machbarkeit, herstellen zu wollen entspräche dem absurden Versuch Münchhausens, sich selbst an den Haaren aus dem Sumpf ziehen zu wollen. Ich glaube, dass in der Absurdität jener Geschichte die Grundsituation des Menschen sehr genau zum Vorschein kommt. Aus dem Sumpf der Ungewissheit, des Nicht-leben-Könnens zieht sich niemand selbst empor, ziehen wir uns auch nicht, wie Descartes noch meinen konnte, durch ein »Cogito ergo sum«, durch eine Kette von Vernunftschlüssen, heraus. Sinn, der selbst gemacht ist, ist im Letzten kein Sinn. Sinn, das heißt der Boden, worauf unsere Existenz als ganze stehen und leben kann, kann nicht gemacht, sondern nur empfangen werden. (Fs) (notabene)

66a Damit sind wir, von einer ganz allgemeinen Analyse der Grundhaltung Glaube ausgehend, unmittelbar bei der christlichen Weise des Glaubens angelangt. Christlich glauben bedeutet ja, sich anvertrauen dem Sinn, der mich und die Welt trägt; ihn als den festen Grund nehmen, auf dem ich furchtlos stehen kann. Etwas mehr in der Sprache der Tradition redend könnten wir sagen: Christlich glauben bedeutet unsere Existenz als Antwort verstehen auf das Wort, den Logos, der alle Dinge trägt und hält. Er bedeutet das Jasagen dazu, dass der Sinn, den wir nicht machen, sondern nur empfangen können, uns schon geschenkt ist, sodass wir ihn nur zu nehmen und uns ihm anzuvertrauen brauchen. Dementsprechend ist christlicher Glaube die Option dafür, dass das Empfangen dem Machen vorangeht - womit das Machen nicht abgewertet oder gar für überflüssig erklärt wird. Nur weil wir empfangen haben, können wir auch »machen«. Und weiterhin: Christlicher Glaube - wir sagten es schon - bedeutet die Option dafür, dass das Nichtzusehende wirklicher ist als das zu Sehende. Er ist das Bekenntnis zum Primat des Unsichtbaren als des eigentlich Wirklichen, das uns trägt und daher ermächtigt, mit gelöster Gelassenheit uns dem Sichtbaren zu stellen - in der Verantwortung vor dem Unsichtbaren als dem wahren Grund aller Dinge. Insofern ist freilich - man kann es nicht leugnen - christlicher Glaube in doppelter Hinsicht ein Affront gegen die Einstellung, zu der uns die heutige Weltsituation zu drängen scheint. Als Positivismus und als Phänomenologismus lädt sie uns ein, uns auf das »Sichtbare«, das »Erscheinende« im weitesten Sinn des Wortes zu beschränken, die methodische Grundeinstellung, der die Naturwissenschaft ihre Erfolge verdankt, aufs Ganze unseres Wirklichkeitsbezugs auszudehnen. Als Techne hinwiederum fordert sie uns auf, uns auf das Machbare zu verlassen und davon den Boden zu erhoffen, der uns trägt. Der Primat des Unsichtbaren vor dem Sichtbaren und der des Empfangens vor dem Machen läuft stracks dieser Grundsituation zuwider. Darauf wohl beruht es, dass uns der Sprung des Sichanvertrauens an das Nichtzusehende heute so schwer wird. Und doch ist die Freiheit des Machens wie diejenige, das Sichtbare durch methodisches Forschen in Dienst zu nehmen, letztlich erst ermöglicht durch die Vorläufigkeit, in die christlicher Glaube beides verweist, und durch die Überlegenheit, die er so eröffnet hat. (Fs)

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: Schall, James V., The Modern Age

Titel: Chesterton - Glaube

Index: Vernunft (erstes Prinzip) als Akt des Glaubens; Beispiel: Blume, sehen; Skeptiker (alter, neuer)

Kurzinhalt: This first principle is what Chesterton means by the "act of faith" in the very power of reason. "It is an act of faith to assert that our thoughts have any relation to reality at all."

Text: 169b "It is idle to talk always of the alternative of reason and faith. Reason is itself a matter of faith." This affirmation is rather what is meant by a "first principle" or "first thing." We cannot "prove" by some more clear argument than actually seeing it that the grass is green. Finally, we come to what we cannot doubt. And if we still insist on doubting it, we, in effect, deny our very power to know. If we did not know that the rose that is there before us is really there, why would we ever cut it and put it on the table? Let alone how would we know to plant it in the first place? (Fs; tblStw: Glaube) (notabene)

169c This first principle is what Chesterton means by the "act of faith" in the very power of reason. "It is an act of faith to assert that our thoughts have any relation to reality at all." Logically, if we deny that our thoughts have any relation to reality, we would not be able to say, as Chesterton again says somewhere, "thank you for passing the butter." In other words, our lives fortunately are often broader than our philosophical theories. (Fs)

169d This great chapter in Orthodoxy is the ultimate defense of things. "If you are merely a skeptic, you must sooner or later ask yourself the question, 'Why should anything go right; even observation and deduction?' 'Why should not good logic be as misleading as bad logic?' They are both movements in the brain of a bewildered ape?"1 If all that counts in the mind of the "bewildered ape" is the electronic brain movements, intelligibility about the difference between logic and illogic does not matter. The whole point is that it does make a difference if, in building a bridge or a computer, we make a mathematical mistake. If so, the thing won't function. Unless the mind as mind is connected with things, there is no sense in using our mind to deal with things or to learn from things how the things we did not make function. (Fs)

170a Chesterton sums this line of thought up by observing that "The young sceptic says, 'I have a right to think for myself.' But the old sceptic, the complete sceptic, says, 'I have no right to think for myself. I have no right to think at all.'" If everyone "thinks for himself but no one thinks the same thing, then the very word "thinking" becomes meaningless. There is no way that "thinking for oneself " is not "thinking for oneself." Whatever we think is what we think, and that is the end of it. On such an hypothesis, there are no grounds for thinking anything outside of ourselves at all, as the old sceptic in Chesterton's memory understood. (Fs)

170b What is clearly at issue then is the integrity of the thinking power to be what it is. If it can know nothing but itself, if it acquires no knowledge of anything but itself, there cannot be one world. Such thinking creates as many worlds as there are brains. Aristotle thought that all brains could know the same world which was there to be known. Moderns think that no brains know anything but their own world. But none of the modern "brain worlds" is responsible to the others. This awkward result brings us back to the first proof of all classic philosophy, without which no philosophy is possible. This is the initial refutation of skepticism. That is, if it is "true" that there is no truth, there is either one affirmation that itself must be true or else the mind is useless. But if this one thing is true, this "first principle" that a thing cannot be and not be at the same time in the same way grounds all philosophy, all capacity to distinguish this thing from that, to know of what is that it is, and of what is not, that it is not, as Plato said. (Fs)

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Stichwort: Glaube

Autor, Quelle: homas, Aquin von, Anmerkungen zu Bd14 der deutschen Thomasausgabe

Titel: Glaube Abrahams - Glaube an Christus

Index: Glaube im Alten Bunde: ausdrücklich (majores) oder einschlussweise (minores); die durch den Glauben Gerechtfertigten gehören schon zum Neuen Bund

Kurzinhalt: Im Alten Bunde haben die besser unterrichteten Gläubigen ... den ausdrücklichen Glauben an das Geheimnis Christi besessen, die weniger unterrichteten Gläubigen ... doch nie war das Heil möglich ohne irgendeinen Glauben an Christus als Erretter...

Text: [3] Zu S. 7.

Der Glaube ist entweder ausdrücklicher oder einschlußweiser Glaube, je nachdem der Gläubige einer Wahrheit, deren Aussage er kennt, ausdrücklich zustimmt oder einer Wahrheit, die ihm noch nicht bekannt ist, kraft des sachlichen Zusammenhangs zustimmt, den sie mit einer allgemeineren Wahrheit besitzt, die den ausdrücklichen Gegenstand seiner Zustimmung bildet. Im Alten Bunde haben die besser unterrichteten Gläubigen — majores — den ausdrücklichen Glauben an das Geheimnis Christi besessen, die weniger unterrichteten Gläubigen — minores — besaßen einen einschlußweisen Glauben an dasselbe Geheimnis; doch nie war das Heil möglich ohne irgendeinen Glauben an Christus als Erretter1. Daß die durch den Glauben gerechtfertigten Gläubigen zum Neuen Bund gehören, zu welcher Zeit immer und an welchem Ort immer sie gelebt haben mögen, dieser Gedanke ist seit Augustinus geläufig: "Doch jene alle gehörten durch die Gnade Gottes zu dem freilich noch nicht geoffenbarten Neuen Bunde, auch wenn sie je nach der zeitlichen Anordnung Gottes den Bildern des Alten Bundes dienten; dazu gehörte Abraham" ('Wider die Gegner des Gesetzes und der Propheten' II 8, 31; PL 42, 656). Vgl. Art. 3 Zu 2; 107, 1 Zu 2. Der Text aus dem Buch der Weisheit (E. 3) ist zu verstehen von der Tätigkeit Gottes in den Seelen; wer Weisheit empfängt, wird dadurch Freund Gottes; hierauf stützt sich der Einwand. (Fs; tblStw: Glaube) (notabene)

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