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Stichwort: Bekehrung, Konversion

Autor, Quelle: Lonergan, Bernard, Methode in der Theologie

Titel: Intellektuelle Bekehrung - Mythos

Index: Funktionale Spezialisierung; Dialektik: intellektuelle Bekehrung; Mythos (Wirklichkeit, Objektivität, Erkenntnis): Erkennen = Sehen; Unterschied: Welt der Unmittelbarkeit - W. d. Sinngehaltes; Folgen d. Mythe: Empirist, Idealist - kritischer Realist

Kurzinhalt: Intellektuelle Bekehrung ist eine radikale Klärung und infolgedessen die Beseitigung einer äußerst hartnäckigen und irrerührenden Mythe hinsichtlich der Wirklichkeit, der Objektivität und der menschlichen Erkenntnis.

Text: Intellektuelle Bekehrung (eü)

11/X Intellektuelle Bekehrung ist eine radikale Klärung und infolgedessen die Beseitigung einer äußerst hartnäckigen und irrerührenden Mythe hinsichtlich der Wirklichkeit, der Objektivität und der menschlichen Erkenntnis. Die Mythe besagt, daß Erkennen dem Sehen gleicht, daß Objektivität ein Sehen dessen ist, was da ist, um gesehen zu werden, und nicht Sehen, was nicht da ist, und daß das Wirkliche das ist, was jetzt da draußen ist, um angeschaut zu werden. Diese Mythe übersieht nun den Unterschied zwischen der Welt der Unmittelbarkeit, z. B. der Welt des Kindes, und der durch Sinngehalt vermittelten Welt. Die Welt der Unmittelbarkeit ist die Summe dessen, was gesehen, gehört, getastet, geschmeckt, gerochen und gefühlt wird. Sie paßt recht gut zu jener Mythe über die Realität, die Objektivität und die Erkenntnis. Aber sie ist nur ein winziger Bruchteil jener Welt, die durch Sinngehalt vermittelt ist. Denn die durch Sinngehalt vermittelte Welt wird nicht etwa durch die Sinneserfahrung des Individuums erkannt, sondern durch die äußere und innere Erfahrung einer Kulturgemeinschaft und durch die ständig geprüften und nochmals überprüften Urteile derselben Gemeinschaft. Erkennen ist demzufolge eben nicht nur Sehen; es ist Erfahren, Verstehen, Urteilen und Glauben. Die Kriterien der Objektivität sind nicht bloß die Kriterien okularer Sicht; sie sind die miteinander verbundenen Kriterien des Erfahrens, des Verstehens, des Urteilens und des Glaubens. Die erkannte Realität wird nicht bloß angeschaut; sie wird gegeben in der Erfahrung, wird durch Verstehen geordnet und extrapoliert und wird durch Urteil und Glaube (belief) gesetzt. (242; Fs) (notabene)

12/X Die Folgen der genannten Mythe sind sehr verschieden. Der naive Realist erkennt die durch Sinngehalt vermittelte Welt, meint aber, er erkenne sie durch Anschauen. Der Empirist beschränkt objektive Erkenntnis auf Sinneserfahrung; für ihn sind Verstehen und Konzipieren, Urteilen und Glauben bloß subjektive Vollzüge. Der Idealist behauptet, daß menschliche Erkenntnis stets sowohl das Verstehen als auch die Sinneswahrnehmung einschließt; aber er bleibt bei der Wirklichkeitsauffassung des Empiristen, und so hält er die durch Sinngehalt vermittelte Welt nicht für real, sondern für ideal. Nur der kritische Realist vermag die Fakten der menschlichen Erkenntnis anzuerkennen und die durch Sinngehalt vermittelte Welt als die reale Welt anzusprechen; und er vermag dies nur insofern er zeigt, daß der Vorgang des Erfahrens, Verstehens und Urteilens ein Vorgang der Selbst-Transzendenz ist. (242f; Fs) (notabene)

Kommentar (18.11.12), zu oben: "Der naive Realist erkennt die durch Sinngehalt vermittelte Welt, meint aber, er erkenne sie durch Anschauen." Eine äußerst wertvolle Einsicht, um zu verstehen, weshalb so viele Menschen anfällig für subtile Propaganda sind. Beispiel: Die hartnäckige manipulative Berichterstattung über Kirche – bald wird diese Vermittlung als "wahre" Wirklichkeit der Kirche "gesehen".

13/X Wir erörtern nun nicht bloß ein Spezialproblem der Philosophie. Empirismus, Idealismus und Realismus bezeichnen drei völlig verschiedene Horizonte, die keine gemeinsamen identischen Gegenstände haben. Ein Idealist meint niemals das, was ein Empirist meint, und ein Realist meint niemals das, was die beiden anderen meinen. Ein Empirist kann schlußfolgern, daß es in der Quantentheorie nicht um die physikalische Wirklichkeit gehen könne, und zwar deshalb nicht, weil sie nur Beziehungen zwischen Phänomenen behandelt. Ein Idealist würde dem zustimmen und hinzufügen, daß dasselbe natürlich für die ganze Naturwissenschaft, ja in der Tat für die Gesamtheit des menschlichen Wissens überhaupt gelte. (243; Fs) (notabene)

14/X Der kritische Realist wird beiden widersprechen: Eine verifizierte Hypothese ist wahrscheinlich wahr; und was wahrscheinlich wahr ist, bezieht sich auf das, was in Wirklichkeit wahrscheinlich so ist. Um das Beispiel zu wechseln: Was sind historische Fakten? Für den Empiristen sind sie das, was da draußen war und was angeschaut werden konnte. Für den Idealisten sind sie geistige Konstruktionen, die sorgfältig auf den in Dokumenten überlieferten Daten fundiert und aufgebaut sind. Für den kritischen Realisten sind sie Ereignisse in der durch wahre Bedeutungsakte vermittelten Welt. Um ein drittes Beispiel anzuführen: Was ist ein Mythos? Es gibt psychologische, anthropologische, geschichtliche und philosophische Antworten auf diese Frage. Es gibt hierauf aber auch reduktionistische Antworten: Mythos ist eine Erzählung über Wirklichkeiten, die innerhalb des Horizonts von Empiristen, Idealisten, Historizisten und Existentialisten nicht zu finden sind. (243; Fs) (notabene)

15/X Genug der Beispiele. Sie lassen sich unbegrenzt vermehren; denn philosophische Probleme sind in ihrer Tragweite universal, und die eine oder andere Form des naiven Realismus erscheint sehr vielen Menschen als völlig unbestreitbar. Sobald sie anfangen, über Erkenntnis, Objektivität und Realität zu sprechen, taucht die Annahme auf, alles Erkennen müsse so etwas wie Sehen sein. Sich von diesem groben Irrtum frei zu machen und die Selbst-Transzendenz zu entdecken, die dem menschlichen Prozeß eigen ist, durch den man zur Erkenntnis gelangt, heißt oft mit tief verwurzelten Denk- und Sprachgewohnheiten zu brechen. Es bedeutet, die Herrschaft im eigenen Hause anzutreten, die nur zu haben ist, wenn man genau weiß, was man tut, wenn man erkennt. Es ist eine Bekehrung, ein neuer Anfang, ein anderer Beginn. Es gibt den Weg frei für immer weitere Klärung und Entwicklung. (243; Fs) (notabene)

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Stichwort: Bekehrung, Konversion

Autor, Quelle: Lonergan, Bernard, Methode in der Theologie

Titel: Moralische Bekehrung - Horizont

Index: Funktionale Spezialisierung; Dialektik: moralische Bekehrung; moralisches Wissen: Besitz sittlich guter Menschen

Kurzinhalt: Moralische Bekehrung verändert das eigene Entscheidungs- und Wahlkriterium, indem sie es von Befriedigungen auf Werte verlagert... So gelangen wir zu dem existentiellen Augenblick, wenn wir selber entdecken, daß unser Wählen uns selbst nicht weniger ...

Text: Moralische Bekehrung (eü)

16/X Moralische Bekehrung verändert das eigene Entscheidungs- und Wahlkriterium, indem sie es von Befriedigungen auf Werte verlagert. Als Kinder oder Minderjährige werden wir überredet, umschmeichelt, angewiesen oder gezwungen das zu tun, was recht ist. Wenn unsere Kenntnis der menschlichen Wirklichkeit zunimmt und unsere Antworten auf menschliche Werte stärker und differenzierter werden, überlassen uns unsere Mentoren immer mehr uns selbst, damit unsere Freiheit ihren zunehmenden Drang nach Authentizität auch ausüben kann. So gelangen wir zu dem existentiellen Augenblick, wenn wir selber entdecken, daß unser Wählen uns selbst nicht weniger betrifft, als die gewählten oder abgelehnten Gegenstände, und daß es jedem von uns obliegt, selbst zu entscheiden, was er aus sich machen soll. Dann ist die Zeit gekommen, die vertikale Freiheit auszuüben, dann ist moralische Bekehrung die Entscheidung für das wahrhart Gute, für den Wert und gegen die Befriedigung, wenn Wert und Befriedigung einander widersprechen. (243f; Fs) (notabene)

17/X Eine solche Bekehrung ist natürlich längst noch keine moralische Vollendung, denn Entscheiden und Tun sind zweierlei. Man muß erst noch das eigene individuelle, das gemeinschaftliche und das allgemeine Vorurteil aufdecken und ausrotten.1 Man muß seine eigene Kenntnis der menschlichen Wirklichkeit und Möglichkeit, so wie sie in der bestehenden Situation gegeben sind, immer noch vervollkommnen. Man muß in dieser Situation die Elemente des Fortschritts und die Elemente des Verfalls sauber auseinanderhalten. Man muß seine eigenen intentionalen Antworten auf Werte und deren Prioritätenskala ständig überprüfen. Man muß auf Kritik und Protest hören. Man muß sich die Bereitschaft erhalten, von anderen zu lernen. Denn das moralische Wissen ist eigentlicher Besitz nur der sittlich guten Menschen, und bis man diesen Ehrentitel verdient, muß man ständig weiterstreben und immer noch lernen. (244; Fs)

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Stichwort: Bekehrung, Konversion

Autor, Quelle: Lonergan, Bernard, Methode in der Theologie

Titel: Religiöse Bekehrung - Heiligkeit, Sünde

Index: Funktionale Spezialisierung; Dialektik: Akt - dynamischer Zustand; religiöse Bekehrung; gratia operans, cooperans; Unterströmung des existentiellen Bewußtseins; Einfachheit und Passivität des Gebetslebens

Kurzinhalt: Religiöse Bekehrung ist Betroffenwerden von dem, was uns unbedingt angeht. Sie ist Sich-überweltlich-verlieben... eine solche Hingabe nicht als ein Akt, sondern als ein dynamischer Zustand, der den folgenden Akten vorgängig und deren Urgrund ist.

Text: Religiöse Bekehrung (eü)

18/X Religiöse Bekehrung ist Betroffenwerden von dem, was uns unbedingt angeht. Sie ist Sich-überweltlich-verlieben. Sie ist völlige und dauernde Selbst-Hingabe ohne Bedingungen, Einschränkungen und Vorbehalte. Aber sie ist eine solche Hingabe nicht als ein Akt, sondern als ein dynamischer Zustand, der den folgenden Akten vorgängig und deren Urgrund ist. In der Rückschau enthüllt sich die religiöse Bekehrung als eine Unterströmung des existentiellen Bewußtseins, als die schicksalhafte Annahme einer Berufung zur Heiligkeit, vielleicht auch als eine zunehmende Einfachheit und Passivität des Gebetslebens. (244; Fs) (notabene)

19/X Religiöse Bekehrung wird im Kontext unterschiedlicher religiöser Überlieferungen verschieden gedeutet. Für Christen ist sie die Liebe Gottes, die in unsere Herzen ausgegossen ist durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Sie ist Geschenk der Gnade, und seit den Tagen des hl. Augustinus wird zwischen wirkender (gratia operans) und mitwirkender Gnade (gratis cooperans) unterschieden. Die wirkende Gnade ersetzt das Herz von Stein durch ein Herz aus Fleisch, eine Ersetzung, die über dem Horizont eines Herzens von Stein liegt. Die mitwirkende Gnade ist das Herz aus Fleisch, das in guten Werken durch menschliche Freiheit wirksam wird. Wirkende Gnade ist religiöse Bekehrung. Mitwirkende Gnade ist die Wirksamkeit der Bekehrung, die schrittweise Hinbewegung auf eine völlige und vollständige Umwandlung des gesamten eigenen Lebens und Fühlens, aller Gedanken, Worte, Taten und Unterlassungen.1 (244f; Fs) (notabene)

20/X Wie intellektuelle und moralische Bekehrung ist auch die religiöse Bekehrung eine Modalität der Selbst-Transzendenz. Intellektuelle Bekehrung wendet sich zur Wahrheit, die durch kognitive Selbst-Transzendenz erreicht wird. Moralische Bekehrung wendet sich den Werten zu, die durch eine reale Selbst-Transzendenz erfaßt, behauptet und verwirklicht werden. Religiöse Bekehrung erfolgt zu einem völligen In-Liebe-Sein als dem wirkenden Grund aller Selbst-Transzendenz, ob im Streben nach Wahrheit, ob in der Verwirklichung menschlicher Werte oder in der Ausrichtung auf das Universum und auf dessen Urgrund und Ziel, die ein Mensch annimmt. (245; Fs) (notabene)

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Stichwort: Bekehrung, Konversion

Autor, Quelle: Lonergan, Bernard, Methode in der Theologie

Titel: Bekehrung - Beziehung (religiöse, moralische, intellektuelle B.)

Index: Funktionale Spezialisierung; Dialektik: Bekehrung: Beziehung (intellektuelle, moralische, religiöse): Aufhebung (sublation); Heiligkeit - Sünde

Kurzinhalt: Obwohl religiöse Bekehrung die moralische aufhebt, und moralische Bekehrung die intellektuelle, darf man nicht unterstellen, daß die intellektuelle Bekehrung zuerst erfolgt, danach die moralische und schließlich die religiöse.

Text: Beziehung der Bekehrungen zueinander (eü)

21/X Weil intellektuelle, moralische und religiöse Bekehrungen alle mit Selbst-Transzendenz zu tun haben, ist es möglich, wenn sich alle drei innerhalb ein und desselben Bewußtseins ereignen, ihre Relationen als Aufhebung zu verstehen. Ich möchte diesen Begriff eher im Sinne von Karl Rahner1 als von Hegel gebrauchen, um damit auszudrücken, daß das Aufhebende über das Aufgehobene hinausgeht, etwas Neues und Bestimmtes einführt, alles auf eine neue Grundlage stellt, und dennoch das Aufgehobene keineswegs beeinträchtigt oder gar zerstört, ja im Gegenteil seiner bedarf, es einschließt, all seine ihm eigenen Merkmale und Eigenheiten bewahrt und sie voranbringt zu einer volleren Verwirklichung innerhalb eines reicheren Kontextes. (245; Fs) (notabene)

22/X So geht moralische Bekehrung über den Wert Wahrheit hinaus zu den Werten im allgemeinen. Sie bringt den Menschen von der kognitiven zur moralischen Selbst-Transzendenz voran. Sie versetzt ihn auf eine neue existentielle Bewußtseinsebene und macht ihn zu einem Ursprungswert. Doch beeinträchtigt oder schwächt dies keineswegs seine Liebe zur Wahrheit. Er braucht die Wahrheit immer noch; denn er muß die Wirklichkeit und die reale Möglichkeit erfassen, ehe er auf einen Wert überlegt antworten kann. Die Wahrheit, die er braucht, ist immer noch die Wahrheit, die in Übereinstimmung mit den Erfordernissen des rationalen Bewußtseins erlangt wird. Jetzt aber strebt er sie um so sicherer an, als er nun gegen Vorurteile gut gerüstet ist; diese Suche nach der Wahrheit ist nun noch bedeutungsvoller und wichtiger, weil sie sich im allumfassenden Kontext des Strebens nach allen Werten ereignet und eine tragende Rolle spielt. (245f; Fs) (notabene)

23/X Ähnlich geht religiöse Bekehrung über moralische Bekehrung hinaus. Fragen nach Einsicht, nach Reflexion und nach Entscheidung offenbaren den Eros des menschlichen Geistes, seine Fähigkeit und sein Verlangen nach Selbst-Transzendenz. Doch diese Fähigkeit wird zur Erfüllung gebracht, und dieses Verlangen wandelt sich in Freude, wenn religiöse Bekehrung das existentielle Subjekt in ein liebendes Subjekt verwandelt, in ein Subjekt, das von einer totalen und damit überweltlichen Liebe gehalten, ergriffen und in Besitz genommen ist. Dann gibt es eine neue Grundlage für alles Werten und für alles Gute-Tun. In keiner Weise werden die Früchte intellektueller oder moralischer Bekehrung negiert oder gemindert. Im Gegenteil wird nun alles menschliche Streben nach dem Wahren und Guten in einen kosmischen Zusammenhang gebracht und durch ein kosmisches Ziel noch gefördert, wobei dem Menschen auch die Kraft der Liebe zuwächst, die ihn befähigt, das Leiden anzunehmen, das mit dem Rückgängigmachen der Verfallserscheinungen verbunden ist. (246; Fs) (notabene)

24/X Man sollte jedoch deswegen nicht denken, religiöse Bekehrung sei lediglich eine neue und wirkungsvollere Grundlage für das Streben nach intellektuellen und moralischen Zielen. Religiöse Liebe ist ohne Bedingungen, Einschränkungen und Vorbehalte; sie kommt aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus allen Kräften des Geistes. Dieses Fehlen jeder Begrenzung, das zwar dem uneingeschränkten Charakter menschlichen Fragens entspricht, gehört aber nicht dieser Welt an. Heiligkeit hat Wahrheit und sittliche Güte im Überfluß, hat aber auch ihre eigene, ganz bestimmte Dimension. Sie ist überweltliche Erfüllung, Freude, Friede und Glückseligkeit. Nach christlicher Erfahrung sind dieses die Früchte des In-Liebe-Seins mit dem geheimnisvollen und unbegreiflichen Gott. Auf ähnliche Weise unterscheidet sich auch die Sündhaftigkeit vom moralischen Übel; sie ist ein Mangel an völliger Liebe, ja sie ist die radikale Dimension der Lieblosigkeit. Diese Dimension läßt sich überdecken durch ständige Oberflächlichkeit, indem man letzten Fragen ausweicht und in allem aufgeht, was die Welt zu bieten hat, was unsere Wendigkeit reizt, unsern Körper entspannt und unseren Geist zerstreut. Doch diese Flucht ist nicht von Dauer, und dann zeigt sich der Mangel an Erfüllung in Ruhelosigkeit, das Fehlen der Freude im Streben nach Vergnügungen, das Fehlen des inneren Friedens in Ekel und Widerwillen - in einem depressiven Widerwillen gegen sich selbst oder in einem wahnhaften, feindseligen, ja sogar gewalttätigen Widerwillen gegen die Mitmenschen. (246f; Fs) (notabene)

25/X Obwohl religiöse Bekehrung die moralische aufhebt, und moralische Bekehrung die intellektuelle, darf man nicht unterstellen, daß die intellektuelle Bekehrung zuerst erfolgt, danach die moralische und schließlich die religiöse. Vom kausalen Standpunkt aus betrachtet, könnte man gerade umgekehrt sagen, daß an erster Stelle das Gottesgeschenk seiner Liebe steht. Sodann sehen wir mit den Augen dieser Liebe die Werte in ihrem Glanz, die wir in der Kraft dieser Liebe auch verwirklichen können - gerade das ist moralische Bekehrung. Und schließlich findet sich unter den Werten, die mit den Augen der Liebe gesehen werden, auch der Wert, die Wahrheiten zu glauben, die die religiöse Überlieferung lehrt, und in solcher Überlieferung und solchem Glauben liegen die Keime intellektueller Bekehrung. Denn das gesprochene und gehörte Wort geht von allen vier Ebenen des intentionalen Bewußtseins aus und dringt zu ihnen allen vor. Sein Inhalt ist nicht bloß ein Erfahrungsinhalt, sondern ein Inhalt der Erfahrung, des Verstehens, des Urteilens und Entscheidens. Die Analogie des Sehens führt zur Erkenntnis-Mythe; aber die Treue zum Wort nimmt den ganzen Menschen in Anspruch. (247; Fs) (notabene)

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Stichwort: Bekehrung, Konversion

Autor, Quelle: Lonergan, Bernard, Methode in der Theologie

Titel:

Index: Funktionale Spezialisierung; Dialektik; Bekehrung - Zusammebruch (breakdown); Zerstörung kultureller Leistung; Auflösungsprozeß -> Erhaltung seiner Folgerichtigkeit: Spaltung, Unverständnis, Verdächtigung, Mißtrauen, Feindseligkeit, Haß, Gewalt

Kurzinhalt: Überdies bedeutet die Eliminierung eines echten Teils der Kultur die Verstümmelung eines früheren Ganzen, wodurch das Gleichgewicht gestört und der Rest entstellt wird im Bemühen um Kompensation.

Text: Zusammenbrüche (eü)

26/X Neben der Bekehrung gibt es aber auch Zusammenbrüche. Was vom einzelnen, von der Gemeinschaft, von der Kultur langsam und mühselig aufgebaut wurde, kann zusammenbrechen. Kognitive Selbst-Transzendenz ist weder eine Idee, die leicht zu fassen ist, noch ein Datum unseres Bewußtseins, das leicht zugänglich und verifizierbar ist. Werte üben zwar eine gewisse esoterische Herrschaft aus, aber wiegen sie auf Dauer schwerer als Sinnenlust, Reichtum und Macht? Zweifellos hatte die Religion ihre Zeit, aber ist diese Zeit inzwischen nicht vorbei? Ist sie nicht lediglich ein illusorischer Trost für schwächere Seelen, ein Opium, das die Reichen verteilen, um die Armen zu beruhigen, oder die mythische Projektion der eigenen Größe des Menschen auf den Himmel? (247; Fs) (notabene)

27/X Anfangs werden nicht alle Religionen, sondern nur manche als illusorisch erklärt, werden nicht alle, sondern nur einige moralische Vorschriften als ineffektiv und nutzlos verworfen, wird nicht alle Wahrheit, sondern nur manche Form von Metaphysik als bloßes Gerede abgetan. Diese Negationen können wahr sein, dann sind sie ein Versuch, den Niedergang aufzuhalten und auszugleichen. Sie können aber auch falsch sein, und dann sind gerade sie der Anfang vom Niedergang. In diesem Fall wird irgendein Teil der kulturellen Leistung zerstört. Er hört auf, vertrauter Bestandteil der eigenen kulturellen Erfahrung zu sein. Er wird in eine vergessene Vergangenheit entschwinden, um vielleicht einmal von Historikern wiederentdeckt und rekonstruiert zu werden. (247f; Fs)

28/X Überdies bedeutet die Eliminierung eines echten Teils der Kultur die Verstümmelung eines früheren Ganzen, wodurch das Gleichgewicht gestört und der Rest entstellt wird im Bemühen um Kompensation. Zudem wird eine solche Eliminierung, Verstümmelung und Entstellung natürlich als Fortschritt bewundert, wobei die offenkundigen Übel, die sie hervorbringen, nicht etwa durch Rückkehr zur irregeleiteten Vergangenheit behoben werden, sondern durch weitere Eliminierung, Verstümmelung und Entstellung. Hat ein Auflösungsprozeß erst einmal begonnen, so wird er durch Selbstbetrug überdeckt und durch seine innere Folgerichtigkeit weiter erhalten. Das bedeutet aber nicht, daß er auf einen einzigen einförmigen Ablauf festgelegt ist. Verschiedene Nationen, verschiedene Gesellschaftsklassen und verschiedene Altersgruppen können unterschiedliche Teile vergangener Errungenschaften zur Beseitigung auswählen, unterschiedliche Verstümmelungen bewirken und unterschiedliche Entstellungen hervorrufen. Der zunehmenden Auflösung entsprechen dann zunehmende Spaltung, Unverständnis, Verdächtigung, Mißtrauen, Feindseligkeit, Haß und Gewalt. Der Sozialkörper wird dadurch auf vielfache Weise auseinandergerissen, wobei seine kulturelle Seele zu vernünftigen Überzeugungen und verantwortungsbewußten Verpflichtungen unfähig wird. (248; Fs) (notabene)

29/X Denn Überzeugungen und Verpflichtungen beruhen auf Tatsachen- und Werturteilen; solche Urteile wiederum beruhen weithin auf Glaubensüberzeugungen. Es gibt in der Tat nur wenige Menschen, die nicht sehr bald zu dem, was sie bisher geglaubt haben, Zuflucht nehmen müssen, wenn man sie in fast allen Punkten unter Druck setzt. Nun kann aber eine solche Zuflucht nur dann wirksam sein, wenn die Glaubenden eine festgefügte Front bilden, und wenn intellektuelle, moralische und religiöse Skeptiker eine kleine und bislang nicht einflußreiche Minderheit sind. Aber deren Zahl kann wachsen, ihr Einfluß steigen und ihre Stimmen können den Buchmarkt, das Erziehungssystem und die Massenmedien beherrschen. Dann beginnt Glauben nicht mehr für, sondern gegen die intellektuelle, moralische und religiöse Selbst-Transzendenz zu arbeiten. Was einst ein ansteigender, aber allgemein geachteter Kurs war, bricht als Seltsamkeit einer überholten Minderheit in sich zusammen. (248; Fs) (notabene)

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