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Stichwort: Opfer

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Der Geist der Liturgie

Titel: Opfer - Vereinigung

Index: Kult 2: kosmisch - gesachichtlich; Anbetung; Opfer: Zerstörung - Vereinigung mit Gott; Kreisbewegung: exitus - reditus; Pfeil (Chardin); Gnosis

Kurzinhalt: Die wahre Übereignung an Gott muß doch wohl ganz anders aussehen. Sie besteht ... in der Vereinigung des Menschen und der Schöpfung mit Gott.

Text: 23a Damit stehen wir erneut vor der Frage: Was ist das eigentlich - Anbetung? Was geschieht da? Als Kern des Kultes erscheint praktisch in allen Religionen das Opfer. Aber dies ist ein Begriff, der von einem wahren Schuttberg von Mißverständnissenüberlagert ist. Die allgemeine Auffassung geht dahin, Opfer habe etwas mit Zerstörung zu tun. Es bedeute die Übereignung einer dem Menschen irgendwie kostbaren Wirklichkeit an Gott; diese Übereignung setze aber voraus, daß sie dem Gebrauch des Menschen entzogen wird, und das eben könne nur durch ihre Zerstörung geschehen, mit der sie endgültig aus dem Verfügen des Menschen ausscheidet. Aber da ist sofort die Gegenfrage zu stellen: Welche Freude sollte Gott eigentlich an der Zerstörung haben? Ist ihm durch Zerstörung denn irgend etwas übergeben? Man antwortet, in dem Zerstören verberge sich immerhin der Akt der Anerkennung von Gottes Oberhoheit über alle Dinge. Aber kann ein solch formaler Akt wirklich der Herrlichkeit Gottes dienen? Offenbar nicht. Die wahre Übereignung an Gott muß doch wohl ganz anders aussehen. Sie besteht - so sehen es die Väter der Kirche im Anschluß an biblisches Denken - in der Vereinigung des Menschen und der Schöpfung mit Gott. Gottzugehörigkeit hat nichts mit Zerstörung oder Nichtsein zu tun, wohl aber mit einer Weise des Seins: Sie bedeutet das Heraustreten aus dem Status der Trennung, der scheinbaren Autonomie, des Seins nur für sich selber und in sich selber. Sie bedeutet jenes Sich-Verlieren, das die einzig mögliche Weise des Sich-Findens ist (vgl. Mk 8,35; Mt 10,39). Deswegen konnte Augustinus sagen, das wahre »Opfern sei die civitas Dei, das heißt die zur Liebe gewordene Menschheit, die die Schöpfung vergöttlicht und die Übereignung des Alls an Gott ist: Gott alles in allem (1 Kor 15,28) - das ist das Ziel der Welt, das ist das Wesen von »Opfer« und Kult. (Fs)

24a So können wir nun sagen: Das Ziel des Kultes und das Ziel der Schöpfung im ganzen ist dasselbe - Vergöttlichung, eine Welt der Freiheit und der Liebe. Damit erscheint aber im »Kosmischen« selbst das Geschichtliche: Der Kosmos ist nicht eine Art von einem geschlossen hingestellten Gebäude, er ist nicht ein in sich ruhender Behälter, in dem sich allenfalls Geschichte abspielen kann. Er ist selbst Bewegung, von einem Anfang zu einem Ziel hin. Er ist in gewisser Weise selbst Geschichte. (Fs)

Das kann in mehrfacher Weise vorgestellt werden. Auf dem Hintergrund der modernen evolutionären Weltanschauung hat zum Beispiel P. Teilhard de Chardin den Kosmos als einen Prozeß des Aufstiegs, als einen Weg der Vereinigungen beschrieben. Vom ganz Einfachen führe dieser Weg zu immer größeren und komplexeren Einheiten, in denen Vielfalt nicht aufgehoben, aber in eine wachsende Synthese hinein verschmolzen werde, hin zur Noosphäre,in der der Geist und sein Verstehen das Ganze umgreife, zu einer Art von lebendigem Organismus verschmelze. Vom Epheser- und Kolosserbrief her betrachtet Teilhard Christus als jene zur Noosphäre vorwärtstreibende Energie, die schließlich alles in ihrer »Fülle« einbegreift. Von da aus vermochte Teilhard den christlichen Kult auf seine Weise neu zu deuten: Die verwandelte Hostie ist für ihn die Antizipation der Verwandlung der Materie und ihrer Vergöttlichung in der christologischen »Fülle«. Die Eucharistie gibt für ihn sozusagen die Richtung der kosmischen Bewegung an; sie nimmt ihr Ziel voraus und treibt sie damit zugleich an. (Fs)

25a Die ältere Überlieferung geht begreiflicherweise von einem anderen Modell aus. Ihr Bild ist nicht der aufsteigende Pfeil, sondern sie denkt eher an eine Art Kreisbewegung, als deren beide wesentliche Richtungselemente exitus und reditus, Auskehr und Einkehr, benannt werden. Dieses der allgemeinen Religionsgeschichte wie auch dem christlichen Altertum und Mittelalter gemeinsame »Paradigma« läßt aber sehr verschiedene Ausgestaltungen zu. Der Kreis kann als eine große kosmische Bewegung verstanden werden - so bei den christlichen Denkern -; er kann - so in den Naturreligionen und in vielen nichtchristlichen Philosophien - als eine immer neu sich wiederholende Bewegung gedacht sein. Der Gegensatz dieser beiden Sichtweisen ist, bei Licht betrachtet, nicht so ausschließend, wie es beim ersten Zusehen erscheinen mag. Denn auch für die christliche Ansicht der Welt sind in den einen großen Kreis der Geschichte, die von exitus zu reditus geht, die vielen kleinen Kreise des individuellen Lebens eingeschrieben, die alle den großen Rhythmus des Ganzen in sich tragen, ihn je neu verwirklichen und ihm so überhaupt die Kraft seiner Bewegung geben. Und es sind in den großen einzigen Kreis auch die vielen Lebenskreise der verschiedenen Kulturen und Geschichtsgemeinschaften eingeschrieben, in denen sich immer neu das Drama von Anfang, Aufstieg und Ende abspielt: In ihnen wiederholt sich immer wieder das Mysterium des Beginns; in ihnen trägt sich aber auch immer wieder Ende der Zeit und Untergang zu, der auf seine Weise neuem Aufgang den Boden bereiten kann. Die Summe der Kreise spiegelt den großen Kreis; beide Kreise sind aufeinander verwiesen und greifen ineinander. Und so hat auch der Kult mit allen drei Dimensionen dieser Kreisbewegungen zu tun: mit der persönlichen, mit der sozialen, mit der universalen. (Fs)

25b Bevor wir das näher zu klären versuchen, müssen wir aber noch auf die zweite und in vieler Hinsicht wichtigere Alternative achten, die sich im Schema von exitus und reditus verbirgt. Da gibt es zunächst die Vorstellung, die vielleicht am eindrücklichsten bei dem spätantiken Philosophen Plotin ausgearbeitet ist, aber in verschiedenen Formen weite Teile der nichtchristlichen Kulte und Religionen bestimmt. Der exitus, durch den überhaupt nichtgöttliches Sein erscheint, wird nicht als Ausgang, sondern als Fall, als ein Absturz aus der Höhe des Göttlichen verstanden, der den Fallgesetzen entsprechend in immer größere Tiefen, in immer weitere Entfernung vom Göttlichen hinuntertreibt. Das bedeutet: Das nichtgöttliche Sein ist selbst und als solches gefallenes Sein; die Endlichkeit ist selbst schon eine Art Sünde, das Negative, das geheilt werden muß durch die Rückholung ins Unendliche. Die Heimkehr- der reditus - besteht dann eben darin, daß in der letzten Tiefe der Sturz abgefangen wird, daß nun der Pfeil nach oben weist. Am Ende löst sich die »Sünde« des Endlichen, des Nicht-Gott-Seins auf, und in diesem Sinne wird »Gott alles in allem«. Der Weg des reditus bedeutet Erlösung, und Erlösung bedeutet Befreiung von der Endlichkeit, die als solche die eigentliche Last unseres Seins ist. Der Kult hat dann mit der Kehre der Bewegung zu tun: Er ist das Innewerden des Sturzes, gleichsam der Augenblick der Reue des verlorenen Sohnes, das Wieder-Hinschauen zum Ursprung hin. Weil nach vielen dieser Philosophien Erkenntnis und Sein überhaupt ineinander fallen, ist der neue Blick auf den Anfang zugleich auch schon neuer Aufstieg dorthin. Kult als Aufschauen zu dem, was vor allem Sein und über allem Sein ist, ist seinem Wesen nach Erkenntnis und als Erkenntnis Bewegung, Heimkehr, Erlösung. Freilich gehen da dann auch die Wege der Kultphilosophien auseinander. Es gibt nun die Theorie, nur die Philosophen, nur die zu höherem Denken befähigten Geister seien zu der Erkenntnis fähig, die Weg ist. Nur sie seien fähig zum Aufstieg, zur vollen Vergöttlichung, die Erlösung und Befreiung von der Endlichkeit ist. Für die anderen, die einfacheren Seelen, die den vollen Aufblick noch nicht vermögen, gebe es die verschiedenen Liturgien, die ihnen eine gewisse Erlösung zu bieten vermöchten, ohne sie ganz auf die Höhe der Göttlichkeit führen zu können. Über diese Unterschiede tröstet dann häufig die Lehre von der Seelenwanderung hinweg, die ja die Hoffnung gibt, daß irgendwann in der Wanderung der Existenzen der Punkt erreicht werde, an dem endlich der Ausweg aus der Endlichkeit und ihrer Qual gelinge. Weil hier Erkenntnis (= Gnosis) die eigentliche Macht der Erlösung und damit auch die höchste Form von Erhebung, nämlich Vereinigung mit der Gottheit ist, nennt man die so gearteten-im einzelnen sehr verschiedenenDenk- und Religionssysteme »Gnosis«. Für das werdende Christentum bedeutet die Auseinandersetzung mit der Gnosis das entscheidende Ringen um seine eigene Identität. Denn die Faszination solcher Anschauungen ist groß, und sie scheinen so leicht mit der christlichen Botschaft identifizierbar. Die »Erbsünde« zum Beispiel, sonst so schwer verstehbar, wird mit dem Sturz ins Endliche selbst identisch, und so erscheint auch klar, daß sie allen anhaftet, die im Kreislauf der Endlichkeit stecken. Erlösung als Befreiung aus der Last der Endlichkeit wird einsichtig usw. Auch heute ist auf vielfache Weise die Faszination des Gnostischen neu am Werk: Die fernöstlichen Religionen tragen das gleiche Grundmuster in sich. Die Formen angewandter Erlösungslehre, die sie anbieten, sind darum höchst einleuchtend. Die Übungen körperlicher Entspannung und seelischer Leere erscheinen als Zugänge auf die Erlösung hin. Sie zielen auf Befreiung von der Endlichkeit, ja, nehmen sie augenblicksweise voraus und haben so heilende Kraft. (Fs)

27a Das christliche Denken hat, wie gesagt, das Schema von exitus und reditus durchaus aufgenommen, aber es hat darin zwei Bewegungen voneinander unterschieden. Exitus ist nicht zunächst Abfall aus dem Unendlichen, die Entzweiung des Seins und damit die Ursache allen Elends der Welt, sondern exitus ist zunächst etwas durchaus Positives: der freie Schöpfungsakt des Schöpfers, der positiv will, daß es das Geschaffene als etwas Gutes ihm gegenüber gebe, aus dem eine Antwort der Freiheit und der Liebe zu ihm zurückkommen kann. Nichtgöttliches Sein ist daher nicht in sich schon etwas Negatives, sondern ganz im Gegenteil positive Frucht eines göttlichen Wollens. Es beruht nicht auf einem Sturz, sondern auf einer Setzung Gottes, die gut ist und Gutes schafft. Der Seinsakt Gottes, der geschaffenes Sein bewirkt, ist ein Freiheitsakt. Insofern ist im Sein selbst von seinem Grund her das Prinzip Freiheit anwesend. Der exitus - oder besser: der freie Schöpfungsakt Gottes - zielt in der Tatauf reditus, aber damit ist nun nicht die Rücknahme des geschaffenen Seins gemeint, sondern was wir oben beschrieben haben: daß das Zu-sich-selbst-Kommendes in sich selbst stehenden Geschöpfs in Freiheit auf Gottes Liebe antworte, Schöpfung als sein Liebesgebot annehme, und daß so ein Dialog der Liebe entstehe, jene ganz neue Einheit, die allein die Liebe schaffen kann. In ihr wird das Sein des anderen nicht absorbiert, nicht aufgelöst, sondern gerade im Sich-Geben wird er ganz er selber. Es entsteht Einheit, die höher ist als die Einheit des nicht mehr teilbaren Elementarteilchens. Dieser reditus ist »Heimkehr«, aber er löst die Schöpfung nicht auf, sondern gibt ihr vollends ihre Endgültigkeit. Das ist die christliche Idee des »Gott alles in allem«. Aber das Ganze ist eben an Freiheit geknüpft, und die Freiheit des Geschöpfes ist es nun, die den positiven exitus der Erschaffung umbiegt, ja, gleichsam umbricht in den Fall: in das Nicht-abhängig-sein-Wollen, in das Nein zum reditus. Liebe wird nun als Abhängigkeit verstanden und abgelehnt; an ihre Stelle tritt die Autonomie und Autarkie: nur aus sich und in sich selber zu sein, aus Eigenem ein Gott zu sein. So bricht der Bogen von exitus zu reditus auseinander. Einkehr wird nicht mehr gewollt, und der Aufstieg aus eigener Kraft erweist sich als unmöglich. Wenn »Opfer« seinem Wesen nach einfach Einkehr in die Liebe ist und so Vergöttlichung, so muß nun in den Kult das Moment der Heilung der verwundeten Freiheit, der Sühne, der Reinigung und der Lösung aus der Entfremdung eintreten. Das Wesen des Kultes, des »Opfers« als Prozeß der Verähnlichung, des Liebewerdens und so des Weges in die Freiheit bleibt unverändert. Aber es nimmt nun das Moment der Heilung in sich auf, der liebenden Umwandlung der gebrochenen Freiheit in die durchlittene Weise des Versöhnens. Zu ihm gehört nun - gerade weil alles auf das Selbersein, auf die Unbedürftigkeit vom anderen abgestellt war - das Verwiesensein auf den anderen, der mich aus der Schlinge lösen muß, die ich selbst nicht mehr aufknüpfen kann. Erlösung braucht nun den Erlöser: Die Väter haben das im Gleichnis vomverirrten Schaf ausgedrückt gefunden. Dieses Schaf, das im Dornstrauch verfangen ist und den Rückweg nicht mehr weiß, ist für sie ein Bild des Menschen überhaupt, der aus seinem Dorngestrüpp nicht mehr herauskommt und auch den Weg zu Gott nicht mehr selber finden kann. Der Hirt, der es holt und heimträgt, ist für sie der Logos selbst, das ewige Wort, der ewige, im Sohn Gottes wohnende Sinn des Alls, der sich selbst aufden Weg macht zu uns und der nun das Schaf auf die Schultern nimmt, das heißt Menschennatur annimmt und als Gottmensch das Geschöpf Mensch wieder heimträgt. So wird reditus möglich, die Heimkehr schenkt. Damit nimmt nun freilich das Opfer die Form des Kreuzes Christi an, der sich im Tod verschenkenden Liebe, die nichts mit Zerstörung zu tun hat, sondern ein Akt der Neuschöpfung ist, der die Schöpfung wieder zu sich selber bringt. Und aller Kult ist nun Beteiligung an diesem »Pascha« Christi, an diesem seinen »Übergang« vom Göttlichen zum Menschlichen, vom Tod zum Leben, zur Einheit von Gott und Mensch. Christlicher Kult ist so konkretes Einlösen und Verwirklichen des Wortes, das Jesus am ersten Tag der großen Woche, am Palmsonntag, im Tempel zu Jerusalem ausgerufen hat: »Wenn ich von der Erde erhöht sein werde, werde ich alles an mich ziehen« (Joh 12,32). (Fs)

29a Kosmischer und geschichtlicher Kreis sind nun unterschieden: Das geschichtliche Element hat von der Gabe der Freiheit als Mitte des göttlichen wie des geschaffenen Seins her seine eigene und unwiderrufliche Bedeutung, aber es wird deswegen vom Kosmischen nicht losgerissen. Beide Kreise bleiben trotz ihrer Differenz letztlich der eine Kreis des Seins: Die geschichtliche Liturgie des Christentums ist und bleibt - ungetrennt und unvermischt - kosmisch, und nur so steht sie in ihrer ganzen Größe. Es gibt die einmalige Neuheit des Christlichen, und doch stößt es das Suchen der Religionsgeschichte nicht von sich ab, sondern nimmt alle bestehenden Motive der Weltreligionen in sich auf und bleibt auf solche Weise mit ihnen verbunden. (Fs)

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Stichwort: Opfer

Autor, Quelle: Ratzinger, Joseph, Der Geist der Liturgie

Titel: Opferung - offere, operari

Index: Liturgiereform: Einwand (Verlust des Opfercharakters) - Gegenargument; Opferung: offere, operari, Aufheben des Brotes

Kurzinhalt: ... daß der Opfergedanke seinen Sitz nie in der "Opferung" hatte, sondern im Hochgebet, dem "Kanon". Denn wir opfern ja Gott nicht dies und das; das Neue der Eucharistie ist die Gegenwart von Christi Opfer. Deswegen ist das Opfergeschehen dort, wo ...

Text: 65a Drei weitere Haupteinwände gibt es. Der eine sagt, daß mit der Veränderung der "Opferung" der Opfercharakter der Messe zerstört worden sei, und daß sie so aufgehört habe, katholisch zu sein. Ein zweiter wendet sich gegen die Form des Kommunizierens: stehend in die Hände hinein. Und natürlich bleibt auch immer die Frage der Sprache umstritten. (Fs)

65b Beginnen wir mit dem ersten. Ein in Saarbrücken lehrender Soziologe hat mit einem großen Aufwand an Gelehrsamkeit zu zeigen versucht, daß für jede Religion, und insbesondere für die katholische, wesentlich sei, daß dazu erst eine Opferdarbringung geschehe.1 Nun aber seien stattdessen Lobpreisungen eingefügt. So werde nicht mehr geopfert, also sei die Eucharistie nach dem Konzil nicht mehr die Messe der katholischen Kirche. Nun würde eigentlich schon ein bescheidenes Wissen um den kleinen Katechismus genügen, um zu erkennen, daß der Opfergedanke seinen Sitz nie in der "Opferung" hatte, sondern im Hochgebet, dem "Kanon". Denn wir opfern ja Gott nicht dies und das; das Neue der Eucharistie ist die Gegenwart von Christi Opfer. Deswegen ist das Opfergeschehen dort, wo Sein Wort ertönt, Wort vom Worte, in dem er seinen Tod in ein Geschehen des Wortes und der Liebe verwandelt hat, damit wir so, indem wir es aufnehmen dürfen, hineingeführt werden in seine Liebe, hineingeführt werden in die trinitarische Liebe, in der er ewig sich dem Vater übergibt. Dort, wo das Wort vom Wort ertönt und damit unsere Gaben zu seiner Gabe werden, in der er sich selbst schenkt, dort ist das Opfer, das die Eucharistie seit eh und je ausmacht. (Fs)

66a Das, was wir "Opferung" nennen, hat eine andere Bedeutung. Unser deutsches Wort Opferung kommt entweder von dem lateinischen offerre, oder wahrscheinlicher von operari.2 Offerre bedeutet nicht opfern (das hieße im Lateinischen immolare), sondern es heißt herbeibringen, bereitstellen.3 Und "operari" heißt wirken; es bedeutet hier auch: bereiten. Gedacht war einfach daran, daß da der eucharistische Altar bereitet werden mußte und daß dafür "operari", das heißt mancherlei Tun nötig war, damit die Lichter, damit die Gaben, damit Brot und Wein auf geziemende Weise für die Eucharistie zur Verfügung standen. Zunächst war dies also ein einfaches äußeres Bereiten für das eigentliche Geschehen. Aber sehr bald hat man es in einem tieferen Sinn verstanden. Man hat die Geste des jüdischen Hausvaters übernommen, der das Brot vor das Angesicht Gottes emporhält, um es von ihm neu zu empfangen. In solchem Aufheben der Gabe vor Gott hin, in solchem Miteintreten in die Selbstbereitung Israels für Gott hat man das äußere Bereiten immer mehr als das innere Bereitwerden für die Nähe des Herrn begriffen, der uns selber sucht in unseren Gaben. Bis ins 9. oder 10. Jahrhundert hinein ist diese Geste der Bereitung, die aus Israel übernommen war, wortlos geschehen. Dann entstand der Eindruck, daß jede Gebärde im Christlichen auch des Wortes bedürfe. So wurden etwa im 10. Jahrhundert jene Gebete zur Opferbereitung geschaffen, die die Älteren von uns aus dem alten Missale kennen und lieben und vielleicht auch vermissen in der neuen Meßform. Es waren schöne und tiefe Gebete. Aber man muß doch auch zugeben, daß eine gewisse Mißverständlichkeit in ihnen lag. Sie wurden immerfort im Vorgriff auf das eigentliche Geschehen des Kanons formuliert. Beides, das Bereiten und das Endgültige des Opfers Christi, durchdringt sich in diesen Worten. Was in der Welt des Glaubens seinen guten Sinn hat und im Innern des Glaubens auch verstanden wird - daß wir nämlich in unserem Zugehen auf Christus immer schon von seinem Vorausgehen getragen sind - das konnte doch auch für den Suchenden und von außen Schauenden zum Mißverständnis führen. Daß es dies auch tatsächlich getan hat, zeigen gerade die Reaktionen, von denen eben die Rede war. (Fs)

67a Aus diesem Grunde wollten die Liturgiereformer zunächst wieder in die Situation vor dem 9. Jahrhundert zurückkehren und den Ritus der Erhebung der Gaben wortlos belassen. Der Heilige Vater, Papst Paul VI., hat sich ganz persönlich mit Nachdruck dafür entschieden, daß auch hier Worte des Gebetes bleiben müßten. Er hat selbst an der Formung dieser Gebete Anteil genommen. Sie sind im Großen ihrer Gestalt aus den Tischgebeten Israels genommen. Dabei müssen wir bedenken, daß all diese Tischgebete Israels, diese Segnungen, wie sie heißen, um das Paschageheimnis kreisen, auf das Pascha Israels hinschauen, von ihm her gedacht sind und leben. Dies bedeutet, daß sie im stillen Vorgriffe auf das österliche Geheimnis Jesu Christi sind, daß wir sie adventlich und österlich zugleich nennen dürfen. Vor allem werden wir uns daran erinnern, daß ja auch die Heilige Familie: Jesus, Maria, Joseph, so gebetet hat - auf der Flucht nach Ägypten, im fremden Land und dann zu Hause in Nazaret, und daß wiederum Jesus mit seinen Jüngern so gebetet hat. Wahrscheinlich galt auch damals schon die jüdische Regel, daß am Abend die Mutter die Kerzen entzündet und daß sie die Vörbeterin der Familie ist. So dürfen wir in diesen Segnungen die Stimme Marias hören, mit ihr beten. Das ganze Geheimnis von Nazaret, dieses adventliche Zugehen auf das österliche Geschehen, ist darin anwesend. So ist ein neuer Reichtum in die Liturgie gekommen. Wir beginnen gleichsam mit Nazaret in der Geste der Bereitung und gehen von da aus -in der Mitte des Kanon - hin auf Golgota, und schließlich hinein in das Auferstehungsgeschehen der Kommunion.4 Ich glaube, wenn wir diese neuen alten Gebete so hören, dann können sie uns zu einem wunderbaren Schatz werden in der Vereinigung mit dem irdischen Leben Jesu, in der Vereinigung mit dem wartenden Beten Israels und im gemeinsamen Zugehen von Nazaret auf Golgota und in die Stunde der Auferstehung. (Fs)

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Stichwort: Opfer

Autor, Quelle: Ratzinger, Josef, Einführung in das Christentum

Titel: Sühne, Kreuz - Gnade

Index: Gerechtigkeit - Gnade; Sühne, Opfer, Sühnetheologie (Anselm von Canterbury); Kreuzestheologie; Kreuz, Eucharistie; Neues Testament: religionsgeschichtliche Wende

Kurzinhalt: Hier stehen wir vor der Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte getragen hat: Das Neue Testament sagt nicht, dass die Menschen Gott versöhnen, wie wir es eigentlich erwarten müssten, da ja sie gefehlt haben, nicht Gott.

Text: a) Gerechtigkeit und Gnade.

264a Welche Stellung nimmt eigentlich das Kreuz innerhalb des Glaubens an Jesus als den Christus ein? Das ist die Frage, mit der uns dieser Glaubensartikel noch einmal konfrontiert. Wir haben in unseren bisherigen Überlegungen die wesentlichen Elemente einer Antwort bereits gesammelt und müssen nun versuchen, sie zusammen vor den Blick zu bekommen. Das christliche Allgemeinbewusstsein ist in dieser Sache, wie wir gleichfalls früher schon feststellten, weithin von einer reichlich vergröberten Vorstellung der Sühnetheologie Anselms von Canterbury bestimmt, deren Grundlinien wir in anderem Zusammenhang bedacht haben. Für sehr viele Christen und besonders für jene, die den Glauben nur ziemlich von weitem kennen, sieht es so aus, als wäre das Kreuz zu verstehen innerhalb eines Mechanismus des beleidigten und wiederhergestellten Rechtes. Es wäre die Form, wie die unendlich beleidigte Gerechtigkeit Gottes mit einer unendlichen Sühne wieder versöhnt würde. So erscheint es den Menschen als Ausdruck einer Haltung, die auf einem genauen Ausgleich zwischen Soll und Haben besteht; zugleich behält man das Gefühl, dass dieser Ausgleich dennoch auf einer Fiktion beruht. Man gibt zuerst im Geheimen mit der linken Hand, was man feierlich mit der rechten wieder entgegennimmt. Die »unendliche Sühne«, auf der Gott zu bestehen scheint, rückt so in ein doppelt unheimliches Licht. Von manchen Andachtstexten her drängt sich dem Bewusstsein dann geradezu die Vorstellung auf, der christliche Glaube an das Kreuz stelle sich einen Gott vor, dessen unnachsichtige Gerechtigkeit ein Menschenopfer, das Opfer seines eigenen Sohnes, verlangt habe. Und man wendet sich mit Schrecken von einer Gerechtigkeit ab, deren finsterer Zorn die Botschaft von der Liebe unglaubwürdig macht. (Fs)

265a So verbreitet dieses Bild ist, so falsch ist es. In der Bibel erscheint das Kreuz nicht als Vorgang in einem Mechanismus des beleidigten Rechtes; in ihr steht das Kreuz vielmehr ganz umgekehrt da als Ausdruck für die Radikalität der Liebe, die sich gänzlich gibt, als der Vorgang, in dem einer das ist, was er tut, und das tut, was er ist; als Ausdruck für ein Leben, das ganz Sein für die anderen ist. Für den, der genauer zusieht, drückt sich in der Kreuzestheologie der Schrift wahrhaft eine Revolution aus gegenüber den Sühne- und Erlösungsvorstellungen der außerchristlichen Religionsgeschichte, wobei freilich nicht zu leugnen ist, dass im späteren christlichen Bewusstsein diese Revolution weitgehend wieder neutralisiert und selten in ihrer ganzen Tragweite erkannt worden ist. In den Weltreligionen bedeutet Sühne gewöhnlich die Wiederherstellung des gestörten Gottesverhältnisses mittels sühnender Handlungen der Menschen. Fast alle Religionen kreisen um das Problem der Sühne; sie steigen auf aus dem Wissen des Menschen um seine Schuld vor Gott und bedeuten den Versuch, dieses Schuldgefühl zu beheben, die Schuld zu überwinden durch Sühneleistungen, die man Gott anbietet. Das sühnende Werk, mit dem Menschen die Gottheit versöhnen und gnädig stimmen wollen, steht im Mittelpunkt der Religionsgeschichte. (Fs)

265a Im Neuen Testament sieht die Sache fast genau umgekehrt aus. Nicht der Mensch ist es, der zu Gott geht und ihm eine ausgleichende Gabe bringt, sondern Gott kommt zum Menschen, um ihm zu geben. Aus der Initiative seiner Liebesmacht heraus stellt er das gestörte Recht wieder her, indem er durch sein schöpferisches Erbarmen den ungerechten Menschen gerecht macht, den Toten lebendig. Seine Gerechtigkeit ist Gnade; sie ist aktive Gerechtigkeit, die den verkrümmten Menschen richtet, das heißt zurechtbiegt, richtig macht. Hier stehen wir vor der Wende, die das Christentum in die Religionsgeschichte getragen hat: Das Neue Testament sagt nicht, dass die Menschen Gott versöhnen, wie wir es eigentlich erwarten müssten, da ja sie gefehlt haben, nicht Gott. Es sagt vielmehr, dass »Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat« (2 Kor 5,19). Das ist etwas wahrhaft Unerhörtes, Neues - der Ausgangspunkt der christlichen Existenz und die Mitte neutestamentlicher Kreuzestheologie: Gott wartet nicht, bis die Schuldigen kommen und sich versöhnen, er geht ihnen zuerst entgegen und versöhnt sie. Darin zeigt sich die wahre Bewegungsrichtung der Menschwerdung, des Kreuzes. (Fs) (notabene)

266a Demgemäß erscheint im Neuen Testament das Kreuz primär als eine Bewegung von oben nach unten. Es steht nicht da als die Versöhnungsleistung, die die Menschheit dem zürnenden Gott anbietet, sondern als Ausdruck jener törichten Liebe Gottes, die sich weggibt, in die Erniedrigung hinein, um so den Menschen zu retten; es ist sein Zugehen auf uns, nicht umgekehrt. Mit dieser Wende in der Sühne-Idee, also in der Achse des Religiösen überhaupt, erhält im Christlichen auch der Kult, die ganze Existenz, eine neue Richtung. Anbetung erfolgt im Christlichen zunächst im dankenden Empfangen der göttlichen Heilstat. Die wesentliche Form des christlichen Kultes heißt daher mit Recht Eucharistia, Danksagung. In diesem Kult werden nicht menschliche Leistungen vor Gott gebracht; er besteht vielmehr darin, dass der Mensch sich beschenken lässt; wir verherrlichen Gott nicht, indem wir ihm vermeintlich aus dem Eigenen geben - als ob es nicht immer schon das Seinige wäre! -, sondern indem wir uns das Seinige schenken lassen und ihn dadurch als den einzigen Herrn anerkennen. Wir beten ihn an, indem wir die Fiktion eines Bereichs fallen lassen, mit dem wir uns wie selbständige Geschäftspartner ihm gegenüberstellen könnten, während wir doch in Wahrheit nur in ihm und von ihm her überhaupt sein können. Christliches Opfern besteht nicht in einem Geben dessen, was Gott ohne uns nicht hätte, sondern darin, dass wir ganz Empfangende werden und uns ganz nehmen lassen von ihm. Das Handelnlassen Gottes an uns - das ist das christliche Opfer. (Fs; tblVrw) (notabene)

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