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Stichwort: Art - Gattung

Autor, Quelle: Sertillanges A. D. (Gilbert), Der heilige Thomas von Aquin

Titel: Art, Gattung - Thomas

Index: Thomas: Gattung - Art; mehr als ein "Moment" des Wirklichen; Beweis: Zwitterwesen

Kurzinhalt: Es liegt ein Intellektualismus darin, daß man die Rahmen, in die unser Geist das Wirkliche einschließt, um es zu begreifen, als wirklich, 'außerhalb der Dinge selbst' annimmt. Gattung und Art sind hier mehr als ein Schema, mehr als ein 'Moment' ...

Text: 84 Eine solche These scheint auf den ersten Blick einen gewissen Anthropomorphismus und dazu noch jenen 'Intellektualismus' einzuschließen, gegen den man sich heute so kräftig wehrt. Es liegt ein Intellektualismus darin, daß man die Rahmen, in die unser Geist das Wirkliche einschließt, um es zu begreifen, als wirklich, 'außerhalb der Dinge selbst' annimmt. Gattung und Art sind hier mehr als ein Schema, mehr als ein 'Moment' des Wirklichen, mehr als eine bloße 'Tatsache': sie sind ein ewiges und unerschütterliches 'Recht'. Man setzt sie keineswegs real auf seiten des Dinges: aber wenn man dem positivistischen Geiste dies auch einräumt, so hält man doch daran fest, daß sie im göttlichen Geiste wenigstens Bestand haben, daß sie dort ihre Bestimmtheit und auf eine gewisse Weise ihre 'Unterschiedenheit' haben, denn wenn sie auch ihrem Sein nach [secundum esse] mit der göttlichen Wesenheit zusammenfallen, so begründen sie doch nichtsdestoweniger gewisse rationes distitictae, die Gott in seiner Einfachheit umfaßt, ohne sie zu vermischen. (54; Fs; tblVrw) (notabene)

85 Den Beweis dafür, daß man es so richtig versteht, findet man in den Zwitterwesen, die zu keiner Art oder besser zu zweien zu gehören scheinen, so daß man nicht zu sagen weiß, welcher Idee sie entsprechen. Ebenso unterscheidet man unter den individuellen Akzidenzien solche, die dem Träger immer zukommen und nicht von ihm getrennt werden können, und solche, die ihm infolge einer mit der Idee gar nicht zusammenhängenden Verbindung zukommen. Von den ersteren gibt es keine besondere Idee, sie vervollständigen nur die Idee des betreffenden Seins. Von den zweiten dagegen gibt es eine Idee, weil sie zu dem schon als wirklich gesetzten Träger hinzukommen, 'wie die Gemälde oder andere derartige Dinge zu dem in seinem Wesen schon bestehenden Haus hinzukommen'. (54; Fs)

[...]

104 Für Thomas hat die Frage ein ganz anderes Gesicht. Das Wirkliche ist für ihn das Einzelding; die Materie 'ist', und sie ist 'durch Gott'; die Arten aber 'sind' nicht: sie sind 'Rahmen', sicherlich haben diese Rahmen einen Wert, selbst für Gott, denn sie drücken in Wahrheit die großen Linien des Schöpfungsplanes aus; aber sie sind nicht - eigentlich gesprochen - die 'Idee' der Wesen. (58f; Fs) (notabene)

105 Die Idee eines Dinges, insbesondere wenn sie schöpferisch sein soll, muß offensichtlich all das ausdrücken, was in dem Ding ist, insofern es ein bestimmtes Wesen ist; da aber das Sein immer ein Einzelding ist, nicht eine Art, so muß sein Wesensgrund, seine propria ratio, seine 'Idee' auch individuell sein, und - weit entfernt, ein leerer Rahmen zu sein - wird sie vielmehr alles enthalten, was notwendig ist, damit unter dem Hinzutreten des göttlichen Willens die Wirklichkeit sie aufnehme und trage.1 (59; Fs)

[...]

110 Es bleibt noch zu sagen, daß die Wesensbestimmungen durch Gattung und Artunterschied und darum auch die Urteile und die Wissenschaft für die thomistische Philosophie einen Seinswert, und nicht - wie für gewisse moderne Systeme - einen bloß heuristischen und logischen, beziehungsweise praktischen Wert haben. Sie sagen eine allgemeine Wesenheit aus, die, indem sie eine echte Seite des Schöpfungsplanes darstellt, in dieser Beziehung die Wahrheitsnorm der Einzeldinge ist, ebenso wie der Wesensgrund jedes Einzeldings seine Wahrheitsnorm für seine weitere Entwicklung ist1. Wenn man das Intellektualismus nennen will, so ist die thomistische Philosophie intellektualistisch. Aber wer ihr daraus einen Vorwurf machen will, der muß zunächst die Berechtigung seiner gegenteiligen Anschauung beweisen: hic labor, hoc opus. (60; Fs)

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