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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Rhonheinmer, Sexualiät und Verantwortung

Titel: Naturgesetz - moralisches Gesetz

Index: Naturgesetz - Vernunft

Kurzinhalt: Das "natürliche Gesetz" ist also eine Regel, die der natürlichen Vernunft des Menschen entspringt ...

Text: 9b " Naturgesetz" als "moralisches Gesetz" ist also nicht "etwas", das "Gegenstand" der menschlichen Vernunfterkenntnis ist (z.B. eine "Gesetzmäßigkeit der Natur"). "Natürliches Gesetz" sind vielmehr die Erkenntnisse der Vernunft selbst, d.h. ihre praktischen Urteile hinsichtlich Gut und Böse, durch die wir unser freies Handeln verantwortlich leiten. Das "natürliche Gesetz" ist also eine Regel, die der natürlichen Vernunft des Menschen entspringt . "Natürlich" wird dieses Gesetz genannt, weil die Vernunft Teil der menschlichen Natur ist . Es formuliert - ganz unabhängig von Glaube und Offenbarung und in diesem Sinne "autonom" - die fundamentalen Erfordernisse von Sittlichkeit und Humanität, Erfordernisse, die sich aus dem Menschsein des Menschen ergeben. Deshalb gehört die Analyse "naturgesetzlicher" Ansprüche zunächst einmal zum Geschäft der philosophischen Ethik. (Fs) (notabene)

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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Rhonheimer, Die Perspektive der Moral

Titel: Naturgesetz - Tugend

Index: lex naturalis = Prinzipien der sittlichen Tugend; Begriff des natürlichen Gesetzes (lex naturalis)

Kurzinhalt: Lex naturalis, "natürliches Gesetz" oder "Naturgesetz" ist ein höchst verfänglicher Terminus. Wichtig ist der Kontext, in dem er entsteht. In der scholastischen Lehre ... finden sich zumindest zwei verschiedene Traditionen, die zusammenlaufen:

Text: b) Zum Begriff des natürlichen Gesetzes (lex naturalis)

231b Lex naturalis, "natürliches Gesetz" oder "Naturgesetz" ist ein höchst verfänglicher Terminus. Wichtig ist der Kontext, in dem er entsteht. In der scholastischen Lehre von der lex naturalis finden sich zumindest zwei verschiedene Traditionen, die zusammenlaufen: Die altrömische Tradition der Juristen und ihres ius naturale, vor allem Ulpian1 sowie die christliche Theologie des "Gesetzes", die teils biblische Vorgabe ist, teils auf der Augustinischen Lehre über die lex aeterna gründet. Diese jüdisch-christliche Tradition ist für die Terminologie "lex naturalis" ausschlaggebend2. (Fs) (notabene)

231c Erst nachdem nämlich Thomas in seiner Summa Theologiae bereits über die menschlichen Handlungen, ihre Spezifizierung und sittliche Qualifizierung durch die Vernunft, über "gut" und "schlecht" in den menschlichen Handlungen, über die Leidenschaften und die sittlichen Tugenden zumeist in Aristotelischen Kategorien alles Wesentliche gesagt hat, wendet er sich der spezifisch theologischen Frage nach dem Gesetz zu. Er rezipiert zunächst den Augustinischen Begriff des ewigen Gesetzes: Der Vernunft-Plan im göttlichen Geist, demgemäß alles geschaffene Sein auf sein Ziel hingeordnet wird. Dann ist vom "göttlichen Gesetz" (lex divina) die Rede: Der Offenbarung der im göttlichen Geist existierenden Hinordnung der Geschöpfe auf ihr über-natürliches Ziel, das als solches positive (wenn auch nicht menschliche) Satzung ist. Hier wiederum ist das Gesetz des Alten Bundes (lex vetus) von demjenigen des Neuen Bundes zu unterscheiden, der lex nova oder lex evangelica, die vor allem in der Gnade des Heiligen Geistes besteht und erst in zweiter Linie auch lex scripta ist. Weiter ist vom menschlich-positiven Gesetz (lex humana) die Rede. Immer handelt es sich dabei um Formen der "Partizipation" am ewigen Gesetz: Dem von Ewigkeit, sich mit der Vernunft Gottes selbst identifizierenden Plan, gemäß dem die Geschöpfe auf ihr Ziel hingeordnet werden. So gesehen ist auch die ganze Natur als Natur - also die "Naturordnung" - sowohl die menschliche als auch die nichtmenschliche, "Teilhabe am ewigen Gesetz", denn sie ist ja durch dieses "geregelt". "Gesetz" selbst bestimmt sich hier als Ordnung der göttlichen Vernunft (ordinatio rationis divinae) auf das Gute hin. (Fs)

232a "Gesetz" im allgemeinen wird näherhin bestimmt als "Regel und Maßstab, gemäß dem jemand zum Handeln geführt oder von ihm abgehalten wird"; es "verpflichtet zum Handeln"; es ist "Maßstab menschlicher Handlungen"; "erstes Prinzip menschlicher Handlungen"; "etwas, was zur Vernunft gehört"; "etwas, was durch den Akt der Vernunft konstituiert wird"; Gesetze sind "universale, auf Handlungen bezogene Aussprüche (propositiones) der praktischen Vernunft"; die Vernunft, die hier gemeint ist, ist jene Vernunft, die bewegt, weil sie selbst vom Willen bewegt d.h. in Streben eingebettet ist. Der Begriff des Gesetzes erfüllt also alle wesentlichen Eigenschaften einer durch praktische Vernunft erstellten Anordnung und bestimmt sich schließlich als ordinatio rationis3. (Fs)

232b Der Mensch findet sich also erstens eingespannt in eine "Naturordnung". Diese jedoch ist zwar Teilhabe am ewigen Gesetz, selbst jedoch ist sie nicht ein Gesetz, denn "Gesetz" findet sich nur dort, wo praktische Vernunft zu finden ist; jedes Gesetz ist ja ordinatio rationis. Die sinnlichen Neigungen des Menschen jedoch und alle nicht-menschlichen innerweltlichen Lebewesen erstreben das ihnen eigentümliche Gute nicht aufgrund von Vernunft; also stellen sie auch nicht ein "Gesetz" auf. (Fs)

232c Sie unterstehen freilich, als geschaffene Wirklichkeiten, dem ewigen Gesetz. Und insofern sie an diesem teilhaben, kann man sie "Gesetz" nennen; aber nicht im wesentlichen, sondern nur im abgeleiteten (teilhabenden) Sinn4. Diese Art von "Gesetz-Mäßigkeit" ist hier jedoch überhaupt nicht von Interesse. Denn wenn es überhaupt ein für sittliches Handeln und Moral relevantes "natürliches Gesetz" gibt, dann muss es eine Wirklichkeit sein, das der inneren Struktur menschlichen Handelns als freiem, vernunftgeleitetem, willentlichem Handeln entspricht. (Fs)

232d Zweitens findet der Mensch die offenbarte Weisung zum Guten hin (als göttliches Gesetz). Dieses entspringt jedoch nicht seiner Vernunft; es wird von ihr nur anerkannt und aufgenommen. Drittens schließlich ist das menschliche Leben eingebunden in die Weisungen menschlicher Gesetze. Und nun erhebt sich die Frage: Gibt es denn nicht auch eine ordinatio rationis, eine Anordnung oder Weisung der Vernunft zum Guten, die dem Menschen "natürlich" - ihm von Natur aus eigen - ist, und in diesem Sinne ein natürliches Gesetz genannt werden kann? Das heißt: Eine von Natur aus im Menschen bestehende praktische Vernünftigkeit, die im Sinne einer Anordnung der Vernunft unabhängig von göttlicher oder menschlicher Satzung den Weg zum Guten weisen kann? Ein solches "Gesetz" wäre dann weder göttliche noch menschliche positive Weisung und auch nicht "Natur" (denn diese konstituiert als solche keine ordinatio rationis); es wäre nicht ein "Gesetz der Natur" und keine "Naturgesetzlichkeit". Sondern vielmehr etwas, was "von Natur aus" den Charakter eines Gesetzes, d.h. einer Anordnung der Vernunft auf das Gute hin besitzt. Ja, solches gibt es, sagt Thomas: Es ist nichts anderes als die Ordnung, welche die praktische Vernunft des Handlungssubjekts "von Natur aus" durch ihre präzeptiven Akte in den menschlichen Neigungen und Handlungen erstellt. (Fs)

232e Sobald einmal gesagt ist, dass das "natürliche Gesetz" die in den menschlichen Neigungen und Handlungen Ordnung [sic! Fehler im Buch] erstellende praktische Vernunft des Menschen ist, so wird einleuchtend, das im Kontext einer rein philosophischen Ethik der Terminus "Gesetz", zumindest in diesem Zusammenhang, genau genommen redundant ist. Die Kategorie der lex naturalis ist eigentlich nicht etwas Neues, was zur Lehre über die maßstäbliche Rolle der Vernunft hinzukommt, sondern sie weist bei Thomas gerade zurück auf die Lehre von der praktischen Vernunft, auf die Lehre über die menschlichen Handlungen, die Bestimmung von gut und schlecht durch die Vernunft, die Anthropologie von Vernunft, Wille und sinnlichem Streben und die Lehre über die sittliche Tugend5. Neu ist hier lediglich die Einordnung dieser Lehre in den Kontext einer christlichen Gesetzestheologie, eine Einordnung, die Thomas allerdings an anderer Stelle selbst wiederum biblisch zu begründen vermag6, und die im Rahmen einer Philosophie des ewigen Gesetzes vorgenommene Zurückführung menschlicher praktischer Vernunft auf göttliche Vernunft, den Aufweis des theonomen Ursprungs und der theonomen Gründung praktischer Vernunft also (s. unten V. 2 c). (Fs)

233a "Lex naturalis" meint also nichts anderes als die Prinzipien der praktischen Vernunft aufgrund derer das Zielstreben der sittlichen Tugend kognitiv geleitet wird. Die "lex naturalis" ist ein "Gesetz" der praktischen Vernunft, und das heißt: sie ist eine bezüglich menschlicher Strebungen und Handlungen und der Unterscheidung zwischen "gut" und " schlecht" in ihnen maßstäbliche Regelung durch die praktische Vernunft des Menschen und damit auch das Ensemble der kognitiven Prinzipen der sittlichen Tugend. Deshalb genügt es, von nun an, anstatt von "natürlichem Gesetz" oder "Naturgesetz" von praktischen Prinzipien oder den natürlichen Prinzipien der sittlichen Tugend zu sprechen. (Fs) (notabene)

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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Rhonheimer, Sexualiät und Verantwortung

Titel: Naturgesetz - Humanae vitae

Index: Definition: lex naturalis; Humae vitae; Licht des Verstandes

Kurzinhalt: Nun versteht man unter "Naturgesetz" ("natürliches Sittengesetz", lex naturalis) eine vernünftige Regel, aufgrund derer wir unsere Handlungen in sittlich gute und schlechte Handlungsweisen einteilen ...

Text: 9a Die Enzyklika "Humanae vitae" (HV) lehrt, daß Empfängnisverhütung gegen das Naturgesetz verstößt. Nun versteht man unter "Naturgesetz" ("natürliches Sittengesetz", lex naturalis) eine vernünftige Regel, aufgrund derer wir unsere Handlungen in sittlich gute und schlechte Handlungsweisen einteilen. Es ist - wie die Kirche selbst in der Enzyklika "Veritatis splendor" (Nr. 38-44) ausdrücklich lehrt - letztlich nichts anderes als das Licht unseres Verstandes, durch das wir Gut und Böse unterscheiden. (Fs)

9b "Naturgesetz" als "moralisches Gesetz" ist also nicht "etwas", das "Gegenstand" der menschlichen Vernunfterkenntnis ist (z.B. eine "Gesetzmäßigkeit der Natur"). "Natürliches Gesetz" sind vielmehr die Erkenntnisse der Vernunft selbst, d.h. ihre praktischen Urteile hinsichtlich Gut und Böse, durch die wir unser freies Handeln verantwortlich leiten. Das "natürliche Gesetz" ist also eine Regel, die der natürlichen Vernunft des Menschen entspringt. "Natürlich" wird dieses Gesetz genannt, weil die Vernunft Teil der menschlichen Natur ist. Es formuliert - ganz unabhängig von Glaube und Offenbarung und in diesem Sinne "autonom" - die fundamentalen Erfordernisse von Sittlichkeit und Humanität, Erfordernisse, die sich aus dem Menschsein des Menschen ergeben. Deshalb gehört die Analyse "naturgesetzlicher" Ansprüche zunächst einmal zum Geschäft der philosophischen Ethik. (Fs) (notabene)

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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Rhonheimer, Sexualiät und Verantwortung

Titel: Naturgesetz - Teilhabe

Index: lex naturalis - Teilhabe

Kurzinhalt: Genau diese - dem Menschen natürliche - aktive, vernünftige Teilhabe an göttlicher Vorsehung ... nennt man im eigentlichen Sinne das "natürliche (Sitten-) Gesetz" oder "Naturgesetz" (lex naturalis).

Text: 76c Fortpflanzung ist im Tierreich instinktgesteuert. Gemäß dem berühmten Diktum des Römischen Juristen Ulpian ist die "natürliche Neigung zur Vereinigung von Männlich und Weiblich" etwas, "das die Natur alle Lebewesen (animalia) gelehrt hat". Nun müssen wir dem aber, mit Thomas von Aquin, hinzufügen, daß die Natur nicht alle Lebewesen lehrte, diese Neigung unter der Leitung von Vernunft und Wille zu verfolgen, d.h. ihr auf verantwortliche Weise zu folgen1. Nicht-vernünftige Lebewesen lassen sich durch ihre Instinkte treiben, und so erfüllen sie ihren Zweck und den Willen des Schöpfers. Aber der Mensch, das "vernünftige Lebewesen", kann seinen Zweck und diesen Willen nur als verantwortlich handelndes Subjekt erfüllen, als Herr über seine eigenen Handlungen, als ein "Interpret von Gottes Willen", indem er an der Vorsehung des Schöpfers durch eigene Vernunfteinsicht aktiv teilhat. Genau diese - dem Menschen natürliche - aktive, vernünftige Teilhabe an göttlicher Vorsehung, d.h. die dadurch in den menschlichen Akten unter der maßstäblichen Leitung vernünftiger Einsicht hergestellte Ordnung auf das für den Menschen Gute hin nennt man im eigentlichen Sinne das "natürliche (Sitten-) Gesetz" oder "Naturgesetz" (lex naturalis). Der Mensch muß darüber ein Urteil fällen, was zu verfolgen und zu tun bzw. was zu vermeiden richtig und angemessen ist. Würde er lediglich seinen Trieben und Instinkten folgen, könnte er nicht den Willen seines Schöpfers erfüllen. (Fs)

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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Rhonheimer, Sexualiät und Verantwortung

Titel: Naturgesetz - formal, material

Index: Naturgesetz: formell, material; Ordung der natürlichen Neigungen

Kurzinhalt: Das "Naturgesetz" ist also nichts anderes als die dem Menschen "natürliche" Weise, seine Neigungen und entsprechende Handlungen auf das für ihn Gute hinzuordnen, d.h.:

Text: 126b Was ist das "Naturgesetz"? Wie ich es - in Anschluß an Thomas von Aquin - verstehe, ist mit diesem Ausdruck die Ordnung gemeint, welche durch die menschliche Vernunft in den natürlichen Neigungen des Menschen erstellt wird1. Diese Neigungen sind naturgegeben, so z.B. die natürliche Neigung zur Verbindung zwischen Mann und Frau. Aber obwohl diese Neigung natürlich genannt werden muß und sie, als eine geschaffene Wirklichkeit, auf ihre Weise ein Ausfluß des ewigen Gesetzes des Schöpfers ist, kann sie als natürliche Neigung trotzdem noch nicht natürliches Gesetz genannt werden. Denn ein "Gesetz" ist eine der Vernunft entspringende, verpflichtende Regel oder Maßstab für den Vollzug von Handlungen. Das "Naturgesetz" ist demnach die in den natürlichen Neigungen erstellte Ordnung der praktischen Vernunft bzw. die Anordnung (ordinatio) der praktischen Vernunft, durch die diese Ordnung menschlicher Handlungen auf das für den Menschen Gute hin erstellt wird. Die in diese Ordnung der Vernunft integrierte natürliche Neigung setzt also bereits voraus, daß diese Neigung durch die Vernunft als innerhalb der Ordnung der Vernunft zu verfolgendes menschliches Gut erfaßt wurde2. Das "Naturgesetz" ist also nichts anderes als die dem Menschen "natürliche" Weise, seine Neigungen und entsprechende Handlungen auf das für ihn Gute hinzuordnen, d.h.: nicht aufgrund instinktiver Triebsteuerung, sondern aufgrund vernünftiger, den freien Willen leitender Einsicht in das für den Menschen Gute zu handeln und entsprechende menschliche Übel zu meiden. (Fs)

Fußnote 105:
105 Wir können somit "Naturgesetz" entweder formell oder materiell betrachten. Formell betrachtet ist das Naturgesetz die ordinatio rationis, der (universale) gebietende Akt der natürlichen Vernunft, durch den die Ordnung der Vernunft in den menschlichen Neigungen und den ihnen folgenden Handlungen erstellt wird. Materiell betrachtet ist das Naturgesetz das Ensemble der natürlichen Neigungen, insofern diese in die Ordnung der Vernunft integriert und deshalb durch Vernunft geregelt sind. Beide Betrachtungsweisen beziehen sich auf dieselbe Wirklichkeit; die erstere jedoch weist auf das eigentliche Wesen des Naturgesetzes (die aktive Vernunftregelung menschlicher Neigungen); die zweite unterstreicht eher den materiaien Gehalt der einzelnen Vernunftgebote des Naturgesetzes. Wie ich in meinen Arbeiten zum Thema gezeigt zu haben glaube, ist das Naturgesetz wesentlich ein Werk der praktischen Vernunft des Menschen. Thomas von Aquin nennt es, wie das "Gesetz" generell, ein "opus rationis" (I-II, q.94, a.l) und "aliquid a ratione constitutum" (ebd.). Wenn man über das Naturgesetz spricht, so meint hier "Vernunft" die natürliche Vernunft ("ratio naturalis").

127a Es sei vermerkt: Der Terminus "Naturgesetz" ist mißverständlich und verfänglich, denn er meint nicht ein "Gesetz der Natur" (etwa analog zu physischen "Naturgesetzen"), sondern ein "natürliches Gesetz" der Vernunft. Jedes Gesetz ist ja seinem Wesen gemäß eine Anordnung der Vernunft (ordinatio rationis). Eine solche besteht, gemäß klassischer Lehre, im göttlichen Geist, der alle Geschöpfe auf ihr Ziel hinordnet oder auch in menschlich-positiven Gesetzen, die der ordnenden Vernunft des menschlichen Gesetzgebers entspringen. "Gesetze" können auch von Gott offenbart werden (z.B. der Dekalog, überhaupt das mosaische Gesetz, das "neue Gesetz" des Evangeliums). Mit dem Terminus "Naturgesetz" ist nun nicht gemeint, daß auch die "Natur" - im Gegensatz zur Vernunft - ein ihr eigenes Gesetz formuliere, sondern daß es im Menschen ein Gesetz, eine "Anordnung der Vernunft", gibt, das ganz unabhängig von menschlicher und göttlicher positiver Satzung - d.h. eben "natürlicherweise" - eine Ordnung auf das für den Menschen Gute hin erstellt. Da der Mensch von Natur aus nun eben ein vernünftiges Wesen ist, so existiert tatsächlich ein solches Gesetz: Es sind die gebietenden Akte seiner praktischen Vernunft, in denen der Mensch das Gute vom Üblen scheidet und entsprechend, aufgrund der vernünftigen Einsicht in das für den Menschen Gute, sich verpflichtet weiß, es zu tun. Diese Funktion der dem Menschen natürlichen praktischen Vernunft konstituiert deshalb ein "natürliches Gesetz", - "natürlich", um es zu wiederholen, nicht weil es einfach "Natur" ist, sondern weil es nicht im göttlichen Geist, sondern in der "menschlichen Natur" (die Vernunft einschließt) vorhanden ist und weil es nicht durch positive Satzung bekannt wird, sondern allein durch die praktische Vernunft, die eben Teil der Natur des Menschen ist. (Fs)

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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Strauss, Natural Right and History

Titel: Naturrecht - Tugend

Index: keine Ableitung der Tugend aus der Natur des Menschen

Kurzinhalt: In the language of Aristotle, one could say that the relation of virtue to human nature is comparable to that of act and potency, and the act cannot be determined by starting from the potency,

Text: 145b Human nature is one thing, virtue or the perfection of human nature is another. The definite character of the virtues and, in particular, of justice cannot be deduced from human nature. In the language of Plato, the idea of man is indeed compatible with the idea of justice, but it is a different idea. The idea of justice even seems to belong to a different kind of ideas than the idea of man, since the idea of man is not in the same way problematic as the idea of justice; there is hardly any disagreement as to whether a given being is a man, whereas there is habitual disagreement in regard to things just and noble. In the language of Aristotle, one could say that the relation of virtue to human nature is comparable to that of act and potency, and the act cannot be determined by starting from the potency, but, on the contrary, the potency becomes known by looking back to it from the act.1 Human nature "is" in a different manner than its perfection or virtue. Virtue exists in most cases, if not in all cases, as an object of aspiration and not as fulfilment. Therefore, it exists in speech rather than in deed. Whatever may be the proper starting point for studying human nature, the proper starting point for studying the perfection of human nature, and hence, in particular, natural right, is what is said about these subjects or the opinions about them. (Fs)

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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Thomas, Aquin von (Hg), F12_106 - Vom Gesetz des Evangeliums oder dem Neuen Gesetz

Titel: Thomas: Gesetz - Freiheit, Hilfe

Index: Neuer Bund - Gesetz; menschl. Leben als geheimnisvolles Zusammenspiel von Bindung und Freiheit

Kurzinhalt: Das menschliche Leben ist nicht vollendete Willkür, sondern ein geheimnisvolles Zusammenspiel von Bindung und Freiheit. Es ist gefährlich, wo die Bindung unterschlagen, es ist Sicherheit und Seligkeit, wo sie in Freiheit bejaht wird.

Text: 8b Nun ist es aber auffallend, daß weder Christus noch Paulus in ihrer Verkündigung den Ausdruck „Neues Gesetz" kennen. Wieso kommt dann Thomas dazu, die „Frohbotschaft" der biblischen Berichte über das Leben Jesu unter den von den Jahrtausenden her so sehr belasteten Begriff des Gesetzes zu bringen? Wie kann man überhaupt das göttlich-flutende Leben, das in den Evangelien nur ein schwaches, mehr menschlich-göttliches als gott-menschliches Echo gefunden hat (vgl. S. 9 f.), in einen Begriff einfangen wollen! Und noch dazu in den starren Begriff des Gesetzes! (Fs; tblStw: Recht) (notabene)

8c Die Antwort auf diese Frage liegt zutiefst im Ordnungsdenken des hl. Thomas begründet; der nähere Grund aber liegt in der Systematik seiner Sittenlehre und in dem ihm eigentümlichen Begriff von „Gesetz". Nacheinander untersucht er im ersten Teil des zweiten Buches der Summa Ziel und Wesen der menschlichen Handlung, ihre inneren Quellen und Gefährdungen und schließlich auch die äußeren Hilfen, die es dem Menschen ermöglichen und erleichtern sollen, das Ebenbild Gottes, das er in sich trägt, zur Entfaltung und Vollendung zu führen (Prolog zu I-II: Bd. 9). Zu diesen äußeren Hilfen, die es dem Menschen möglich und leicht machen, in seiner sittlichen Lebensführung den rechten Weg nicht zu verfehlen, zählt Thomas Gesetz und Gnade. (Fs) (notabene)

9a Das menschliche Leben ist nicht vollendete Willkür, sondern ein geheimnisvolles Zusammenspiel von Bindung und Freiheit. Es ist gefährlich, wo die Bindung unterschlagen, es ist Sicherheit und Seligkeit, wo sie in Freiheit bejaht wird. Der Mensch ist sich nicht selbst Gesetz, sein Wille ist nicht eins mit seinem Wesen, seiner Natur, sonst könnte er dieser seiner Natur nicht zuwiderhandeln. Zudem kennt er nach der ersten verhängnisvollen Entgleisung seinen Weg schlecht; er braucht neue Wegweiser und Verkehrsregeln, die ihm in dem Wirrwarr der unendlich vielen Möglichkeiten seinen Weg mit Sicherheit finden helfen. Eine solche Hilfe will das Gesetz sein. Nichts weiter. (Fs) (notabene)
9b Thomas behandelt in Fr. 91 (Bd. 13) die verschiedenen Wirklichkeiten, auf die der Begriff des Gesetzes Anwendung finden kann: Die Lex aeterna, das „ewige Gesetz", das identisch ist mit dem im Geiste Gottes lebendigen Weltenplan, der sich in der göttlichen Vorsehung auswirkt; das „Naturgesetz", das mit der unveränderlichen Natur der Wesen selbst gegeben ist und daher seine immanente Sanktion in sich selbst trägt, so daß es nie ungestraft verleugnet wird; das „menschliche Gesetz", das im Gewissen nur so weit verpflichtet, als es dem Naturgesetz (und dem positiv-göttlichen Gesetz) nicht widerstreitet; schließlich das „göttliche Gesetz", das von Gott ausdrücklich durch Offenbarung gegeben ist und in die beiden Phasen des Alten und Neuen Gesetzes unterschieden wird. (Fs) (notabene)

9c Gesetz ist also Hilfe, Wegweiser. So verschieden demnach die Wege sein können, so verschieden werden die Wegweiser sein. Das „Neue Gesetz" ist der von Gott Selbst aufgestellte Wegweiser, der den „Neuen Weg" zeigt. Das Ziel ist dasselbe wie das des Alten Bundes (S. 24), der neue Weg aber ist Christus: „ICH bin der Weg", sagt Er von Sich Selbst (Jo 14,6). Daher gilt vom „Neuen Gesetz" dasselbe, was wir von Christus, dem menschgewordenen Gottessohne, sagen müssen: Es ist „im höchsten Grade geistig" (S. 12); es ist „das Gesetz der Freiheit" (S. 46), „denn schon — meint Thomas (S. 53) — stand die Zeit vollkommener Freiheit unmittelbar bevor, so daß alles, was in sich nicht notwendig zur Tugend gehört, völlig ihrem [der Jünger] freien Ermessen überlassen werden konnte". Das alles aber wird überstrahlt von der das innerste Wesen Christi und Gottes offenbarenden Wirklichkeit der Gnade, dem „vornehmsten Geschenk" der Liebe Gottes (S. 163). Kein Wunder, daß das Neue Gesetz wie von selbst einmündet in den „weit erhabeneren Weg", von dem Paulus 1 Kor 12,31 spricht. (Fs)

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Stichwort: Recht, Gesetz, Naturgesetz, Naturrecht

Autor, Quelle: Mansfield, Harvey C., A Student's Guide to Political Philosophy

Titel: Unterschied: natural law - natural right (justice)

Index: Unterschied: Thomas (Natur"gesetz", lex naturalis) - Plato, Aristoteles (Naturrecht, natürliche Gerechtigkeit); Cicero

Kurzinhalt: Similar to the natural justice or natural right of which Plato and Aristotle spoke, it is not identical. Whereas natural justice takes effect through the regime, natural law sets the basis for regimes and so precedes the regime.

Text: 28a For politics, Aquinas expounded a doctrine of natural law that soon acquired authority as the greatest expression of that view. Natural law in political philosophy is not to be found in the Greeks but was first seen in Cicero's writings, where it is attributed, with some stretching, to the Stoics. Similar to the natural justice or natural right of which Plato and Aristotle spoke, it is not identical. Whereas natural justice takes effect through the regime, natural law sets the basis for regimes and so precedes the regime. Natural justice is more flexible, and therefore runs a greater risk of seeming relativistic than does natural law. In Aquinas's version, natural law, too, has a certain flexibility; it must always be applied, or promulgated, in human law. Aquinas spoke of natural justice as well as natural law, attempting perhaps to combine them. Yet on the whole Aquinas's natural law is stricter than Aristotle's natural justice, and consequently less supple politically. Aristotle did not speak of a conscience in all, nor of a universal natural inclination to virtue, as did Aquinas. In comparison with Aristotle, what Aquinas gains in universality he loses in political prudence. His political philosophy is necessarily affected, one could say endowed, by the superpolitical character of Christianity, which in other Christians, but not in him, produced indifference to worldly politics. (Fs; tblStw: Recht) (notabene)

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