Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 5 Titel: Jedin, Hubert, Einführung Stichwort: Absolutismus; Kirche - Welt; Verhältnis: Kirchen- und Allgemeine Geschichte Kurzinhalt: ... daß die Kirche im Feld der politischen Kräfte weithin ihre Mitwirkung und in der Entwicklung des europäischen Geistes die Führung verloren hat Textausschnitt: Va Die anderthalb Jahrhunderte der Kirchengeschichte seit dem »Westfälischen Frieden«, die der Gegenstand dieses Bandes sind, bedeuten für die Ausbildung der »Modernen Welt« eine Epoche, für die Kirche aber eine nur schwer allgemein zu charakterisierende Zeit, will man die Kriterien aus ihrem eigenen geschichtlichen Dasein gewinnen. (Fs)
Vb Im Hinblick auf das Verhältnis von Kirche und Welt wird man festzustellen haben, daß die Kirche im Feld der politischen Kräfte weithin ihre Mitwirkung und in der Entwicklung des europäischen Geistes die Führung verloren hat. Dies gilt nicht nur für die katholische Kirche, obwohl dieser Verlust bei ihr wegen ihrer Bedeutung für die Geschichte des Abendlandes und wegen ihrer innerkirchlichen Anlage auf die universale Weltgestaltung hin am deutlichsten hervortritt, sondern auch für die Kirchen des Protestantismus und die Ostkirchen. Die Christenheit ist nicht nur in Konfessionen getrennt, sie beginnt in wachsendem Maße an Kongruenz mit der Gesellschaft zu verlieren, in der sie lebt. Freilich wird angesichts der »öffentlich« gewordenen Geschichte gemeinhin übersehen, daß in diesen anderthalb Jahrhunderten und noch lange darnach die breiten Schichten des anonym bleibenden Volkes in der christlichen Tradition weiterleben, bis dann erst im 20. Jh. mit seiner totalen Öffentlichkeit auch noch die letzten Rückzugsgebiete dieses traditionellen Christentums mit der »Modernen Welt« konfrontiert werden. Auf diesen Fortbestand einer in Jahrhunderten gewordenen Lebensordnung, der dem historischen Blick durch die spektakulären Ereignisse der »großen«, mächtigen, aber nur von einer dünnen Schicht der Akteure gewirkten Geschichte zumeist verstellt ist, wird in diesem Band gelegentlich hingewiesen. Ihn deutlicher zu machen, ist eine Forschungsaufgabe gerade der Kirchengeschichte, die sich dabei die in letzter Zeit entwickelten sozialgeschichtlichen Methoden zunutze machen muß. (Fs)
Vc Auch die Komplexität im Gesamtbild der anderthalb Jahrhunderte von 1648 bis 1789, die man als »Zeitalter des Absolutismus und der Aufklärung« zu bezeichnen pflegt, ist kirchengeschichtlich bedeutsam. Spricht man mit Recht vom Verlust der geistigen Führung durch die Kirche, so muß man sogleich hinzufügen, daß die Kunst des Barock im Bau und in der Ausstattung von Kirchen und Klosteranlagen großartige Dokumente eines Geistes an die allgemeine Öffentlichkeit gebracht hat, in dem sich mathematische Rationalität und christliches Glaubensbewußtsein zu einer Einheit verbanden. Wer Voltaire als Repräsentanten des Zeitgeistes betrachtet, muß sich - auch wenn die kulturklimatischen Unterschiede zu beachten sind - zugleich vergegenwärtigen, daß Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel, Meister der geistlichen Musik und Höhepunkte der Musikgeschichte Europas schlechthin, Architekten wie B. Neumann und Künstler wie Tiepolo seine Zeitgenossen sind. Ist unser allgemeines Geschichtsbild von diesen anderthalb Jahrhunderten zu stark bestimmt von der Aufmerksamkeit für Erscheinungen, die »schon« die moderne Gesellschaft ankündigen, während verharrende und bewahrende Momente und religiöse Schöpfungen in der Kunst und der Musik zu gering veranschlagt werden, so wird diese Verzerrung noch schärfer dadurch, daß die Kirchengeschichte dieses Zeitraumes (auch in der Kirchenhistoriographie selbst) allzusehr im Rahmen der politischen Geschichte behandelt und die Geschichte der christlichen Spiritualität sowohl im Protestantismus wie im Katholizismus vernachlässigt wird. Ihr wird deshalb in diesem Band besondere Beachtung geschenkt. (Fs)
VIa Schließlich war bei der Einordnung dieser kirchengeschichtlichen Periode in die universale Geschichte das dem 19. Jh. entstammende kirchenhistorische Urteil über das Zeitalter der Aufklärung zu modifizieren. Ihre zunehmend antikirchlichen und auch antichristlichen Tendenzen sind eindeutig. Aber die sogenannte »zweite Aufklärung« in unserer Gegenwart öffnet den Blick dafür, wie stark bei aller Polemik die ungebrochene Existenz christlicher Überlieferung in den geistigen Bewegungen des 17. und 18. Jh. nachwirkt (Kap. 18). Die »Krise des europäischen Geistes« ist im Gange, aber die alten Ordnungen und die Gläubigkeit der Massen leben noch weiter. (Fs)
VIb Die Veränderung des Verhältnisses zwischen Kirchen- und Allgemeiner Geschichte wird kaum irgendwo sinnfälliger als in der Tatsache, daß der Dreißigjährige Krieg und der Westfälische Friede im Band »Reformation - Katholische Reform und Gegenreformation« noch selbstverständlicher Gegenstand zu sein hatten, während in dem vorliegenden Bande die internationalen Beziehungen und Veränderungen der europäischen Machtverhältnisse nur noch punktuell zu erwähnen sind. Hatte schon der letzte Religionskrieg mit dem auch formellen Eingriff Frankreichs unter Kardinal Richelieu gegen die katholischen Mächte 1635 seinen konfessionellen Charakter verloren, so wurde nach 1648 im Kampf Frankreichs um die Hegemonie die Konfession zum bloßen Mittel politischer Propaganda. Ein bezeichnender Fall ist der französisch-holländische Krieg (1672-78), in dem sich Papst Clemens X. über die Absichten Ludwigs XIV. täuschen ließ (Kap. 7); im Frieden von Nimwegen (1678/79), in dem Frankreich seine Hegemonie gegen Spanien und das Reich ausbaute, spielte der Legat Innozenz' XI. eine geringfügige Rolle, wie schon beim »Pyrenäenfrieden« (1659) zwischen Frankreich und Spanien der Heilige Stuhl ausgeschlossen war. Anderseits war eine Allianz zwischen dem Kaiser und den protestantischen Mächten Holland und England gegen Frankreich möglich, das 1688 in die Pfalz eingedrungen war, während Ludwig XIV. sich den Anschein gab, die katholische Kirche zu fördern, indem er Jakob II. aus dem Hause Stuart stützte und nach seiner Flucht den dann gescheiterten Aufstand der Iren (1690) unter Jakob in sein politisches Kalkül einbezog (Kap. 12). Im Frieden von Rijswijk (1697) war der Papst nicht offiziell vertreten; daß nach der »Rijswijker Klausel« katholische Orte, wenn sie unter protestantische Herrschaft gerieten, geduldet werden sollten, blieb bei den folgenden Veränderungen der Machtverhältnisse ein immer wieder auftretendes Problem, so beim Frieden von Utrecht (1713) und Rastatt (1714) im Spanischen Erbfolgekrieg, und von neuem bei der Expansion Preußens in den Schlesischen Kriegen und den Teilungen Polens (Kap. 23 a). (Fs) ____________________________Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 5 Titel: Jedin, Hubert, Einführung Stichwort: Papst; Papstwahl, Einfluss d. katholischen Mächte; Gottes-Gnaden-Ideologie - säkularisierter Absolutismus; Auslösung: Jesuitenorden Kurzinhalt: Der größte Schaden für die Kirche selbst aber, für ihre eigene Gestalt, war der von Pontifikatswechsel zu Pontifikatswechsel rivalisierende Einfluß der katholischen Mächte Frankreich, Spanien und Habsburg auf die Papstwahlen. Textausschnitt: VIIb Daß die Rechte des Kirchenstaates in den Kriegen und im Interessenhandel der Friedensschlüsse mißachtet wurden, war das geringere Übel im Vergleich mit den inneren Mißständen, die im Grunde gar nicht behoben werden konnten, weil dieses politische Gebilde im Zeitalter des modernen Staates zu einem Anachronismus geworden war. Der größte Schaden für die Kirche selbst aber, für ihre eigene Gestalt, war der von Pontifikatswechsel zu Pontifikatswechsel rivalisierende Einfluß der katholischen Mächte Frankreich, Spanien und Habsburg auf die Papstwahlen. Zwar waren diese seit Konstantin d. Gr. immer mehr oder weniger den »welt«-geschichtlichen Bedingungen ausgesetzt, nicht zuletzt den Konkurrenzen italienischer Familien; daß aber nun im Zeitalter eines - bei aller politischen Gottes-Gnaden-Ideologie der Herrscher - von Grund auf säkularisierten Absolutismus das diplomatische Spiel die Wahl des höchsten Amtsträgers der katholischen Christenheit in weitgehendem Maße mitbestimmte, war eine Perversion der Bezogenheit zwischen politischer und geistlicher Macht im ehemaligen Corpus christianum. Wohl saßen in diesem Zeitraum keine unwürdigen Gestalten auf dem Stuhl Petri, und Innozenz XI. (1676-1689) und Benedikt XIV. (1740-1758) ragten, der eine als Pontifex, der andere als Gelehrter, weit über das Mittelmaß hinaus; aber man wird zweifeln können, ob unter diesen weltpolitischen Umständen der jeweils optimale Kandidat nach geistlichen Perspektiven durchgesetzt werden konnte (Kap. 7-9, 28-30). Wenn dieser Band mit der Auflösung der Societas Jesu (1773) im Pontifikat Clemens' XIV. unter dem Druck der katholischen Mächte schließt, so ist damit ein exemplarischer Zug in dieser Periode hervorgehoben. (Fs)
____________________________Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2 - Die mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter Bd. 3/2 Titel: Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus ... via antiqua und via moderna Stichwort: Nominalismus: allgemein; Auflösung des Universalismus und Objektivismus; Seinsphilosophie -> Logik; Konzeptualismus; Wilhelm von Ockham; Petrus Aureoli Kurzinhalt: ... vollzog sich am Beginn des 14. Jh. eine Wende. Ganz allgemein kann sie gekennzeichnet werden als die Auflösung des Universalismus und Objektivismus ... Textausschnitt: 427a In der Philosophie und Theologie vollzog sich am Beginn des 14. Jh. eine Wende. Ganz allgemein kann sie gekennzeichnet werden als die Auflösung des Universalismus und Objektivismus, die in den 'Summen' der Hochscholastik ihren großartigen Ausdruck gefunden hatten. Die philosophischen und theologischen Synthesen werden abgelöst durch die kritische Untersuchung einzelner Probleme. Hatte man bisher alles auf das Allgemeine zurückgeführt, an dem die Einzeldinge teilhatten, so wendet sich nun das Interesse mehr dem konkreten Ding zu. Dieses ist unmittelbar erkennbar, und es bedarf nicht des Umweges über das Allgemeine. Das Individuelle wird stärker betont, und das erkennende Subjekt wird sich in viel weiterem Ausmaß selbst zum Gegenstand. Der Vernunfteinsicht wird der Vorrang gegeben und gegenüber Lehrautorität und Lehrtradition mehr als bisher das Recht zur Kritik in Anspruch genommen. Die Erkenntnistheorie und die formale Logik bekommen damit größeres Gewicht. Ja, auf dem Gebiet der Logik werden die großen Leistungen des kommenden Jahrhunderts liegen. Das anzuerkennen schließt nicht aus, schon in dieser Verlagerung von der Seinsphilosophie auf die Logik eine beginnende Auflösung des Mittelalters zu sehen. (Fs) (notabene)
427b Die kritische Einstellung wird nach Duns Scotus besonders deutlich bei dem Dominikaner Durandus de S. Porciano (+ 1334) und dem Franziskaner Petrus Aureoli (+ 1322). Beide wenden sich gegen die großen Autoritäten ihres Ordens, Thomas von Aquin (+ 1274) und Duns Scotus (+ 1308). Denn menschliche Autorität ist geringzuachten, wenn klare Vernunfterkenntnis dagegensteht. Nach ihrer Meinung bedarf es keines Individuationsprinzips, um das einzelne zur Existenz zu bringen, und keiner species, um es zu erkennen. Petrus Aureoli unterscheidet das Ding in rerum natura und, sofern es von unserem Verstand begriffen wird (res apparens in intellectu). Der Allgemeinbegriff ist das Produkt unserer Erkenntnis (Konzeptualismus). (Fs) (notabene)
427c Was sozusagen in der Luft lag und sich vielfach ankündigte, bekam in Wilhelm von Ockham seinen entscheidenden Anstoß, ja seine die Zukunft prägende Gestalt. Die von ihm heraufgeführte Haltung pflegen wir als Nominalismus zu bezeichnen. Es wird allerdings vielfach bestritten, daß Ockham Nominalist war1. Ein so krasser Nominalismus, wie Anselm von Canterbury (+ 1109) ihn Roscelin von Compiegne (ca. 1050-1120) nachgesagt hat, war im 14. Jh. auch kaum möglich. Dafür hatte die große Tradition des 13. Jh. eine viel zu stark prägende und bindende Kraft2. Schwerwiegender ist, daß bei der Bezeichnung Nominalismus zu einseitig die erkenntnistheoretische Seite, d. h. der Universalienstreit, im Vordergrund steht, während die damit gekennzeichnete Geisteshaltung sich auch und viel folgenschwerer in der Metaphysik, der Ethik und der Gesellschaftslehre, ja verheerender als in der Philosophie sich in der Theologie ausgewirkt hat. Einfach von Ockhamismus zu reden, verbietet wiederum die Tatsache, daß ein gewisser nominalistischer Zug der gesamten Theologie des 14. und 15. Jh. eigen ist und nicht nur die Schüler Ockhams kennzeichnet, sondern auch manche Theologen, die an sich der Schule des Thomas von Aquin oder des Duns Scotus zuzuzählen sind. So sind für Ockham charakteristische Ansichten, etwa über die souveräne Allmacht Gottes, die Akzeptation des Menschen oder den Akt der natürlichen und übernatürlichen Liebe, von seinen Zeitgenossen wie dem Dominikaner Petrus de Palude (ca. 1280 bis 1342) oder dem Scotus-Schüler Johannes de Bassolis (f 1347) schon vor ihm und noch extremer geäußert worden3. (428; Fs)
____________________________Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2 - Die mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter Bd. 3/2 Titel: Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus ... via antiqua und via moderna Stichwort: Nominalismus: Drang nach Neuem; potentia dei absoluta; Trennung von Denken und Sein: Sakramente, Ethik Kurzinhalt: ... die erkenntnistheoretische Ausgangsposition des Nominalismus, die eine Trennung von Denken und Sein bedeutet, hat sich viel unmittelbarer auf allen anderen Gebieten ausgewirkt, als es zunächst scheint. Textausschnitt: 428a Der Nominalismus des 14. Jh. ist richtig, aber nicht hinreichend gekennzeichnet, wenn man 'als seinen innersten Kern einen ungezügelten Drang nach Neuem, verbunden mit einer starken Neigung zu rein skeptischer und zersetzender Kritik', angibt1. Diese Beschreibung ist zu formal und zu wenig inhaltlich bestimmt. Denn die erkenntnistheoretische Ausgangsposition des Nominalismus, die eine Trennung von Denken und Sein bedeutet, hat sich viel unmittelbarer auf allen anderen Gebieten ausgewirkt, als es zunächst scheint. Schon die vielfach verstiegene Spekulation mit ihren subtilen und spitzfindigen Fragestellungen, die das Denken der Zeit auszeichnet, ist das Ergebnis einer Wissenschaft, die es nur noch mit Begriffen und nicht mit dem Sein zu tun hat. Je mehr die Begriffe an Seinsgewicht verloren, um so leichter ließen sie sich handhaben, um so weniger fühlte man sich veranlaßt, die Ergebnisse des Denkens an der Wirklichkeit zu prüfen. Die Trennung von Denken und Sein führte in der Theologie zu einer Vorliebe für die Untersuchung aller nur denkbaren Möglichkeiten auf Grund der potentia dei absoluta und zu einer Vernachlässigung des in den Offenbarungsquellen faktisch vorgegebenen und verbindlichen Heilsweges. War der echte Symbolcharakter des Wortes und Begriffes aufgegeben, dann blieb bald für Symbole überhaupt kein Platz mehr. Damit war aber auch der Zugang zu einem tieferen Verständnis der Sakramente versperrt. In der Ethik beweisen eine radikale Trennung von Sein und Sollen und der damit verbundene Formalismus und Voluntarismus den nominalistischen Grundzug. Auch in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen wäre die Kritik oft nicht so maßlos, wären die verfochtenen Ansprüche nicht so übertrieben gewesen, wenn man die Wirklichkeit mehr im Auge behalten hätte2. (428f; Fs) (notabene)
____________________________Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2 - Die mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter Bd. 3/2 Titel: Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus ... via antiqua und via moderna Stichwort: Ockham; Intuition, Objektivität; Freiheit und Allmacht Gottes; de potentia sua absoluta, de potentia sua ordinata; post hoc - propter hoc (Zweitursache); Beispiel: Feuer Kurzinhalt: Nach Ockham haben wir eine unmittelbare, intuitive Erkenntnis des Einzeldings ... Es bedarf keines Dritten, keines Erkenntnismittels zwischen Gegenstand und Verstand, und gerade darin, daß der Verstand sich passiv verhält, ist die Objektivität ... Textausschnitt: 430a Nach Ockham haben wir eine unmittelbare, intuitive Erkenntnis des Einzeldings. Sobald wir Aussagen machen, bedienen wir uns der Begriffe, die unser Geist bildet. Den Allgemeinbegriffen entspricht keine Allgemeinheit in den Dingen, auch keine allgemeine Natur. Anfangs sieht Ockham die Allgemeinbegriffe als bloße Gedankengebilde (ficta oder figmenta), später identifiziert er sie mit dem Akt des Erkennens. In dem passiv sich verhaltenden Verstand erzeugt das Einzelding eine Ähnlichkeit seiner selbst. Das Universale ist das Gedachtsein der Dinge und inhäriert der Seele als seinem Subjekt. Damit gründen die Begriffe zwar auf der Wirklichkeit, aber nicht allgemeiner Substanzen, sondern der Einzeldinge. Es bedarf keines Dritten, keines Erkenntnismittels zwischen Gegenstand und Verstand, und gerade darin, daß der Verstand sich passiv verhält, ist die Objektivität (Sachgerechtheit) der Erkenntnis gewährleistet. (Fs) (notabene)
430b In der Gotteslehre betont Ockham vor allem die Freiheit und Allmacht Gottes. Er vermag alles, was nicht einen Widerspruch in sich schließt. Der Wille Gottes ist weder von außen noch von innen gebunden. Er handelt, wann und wie er will. Zur Erklärung des faktischen 'So' genügt der allmächtige göttliche Wille. Das Gute ist seine Anordnung. Auch der von ihm gesetzten Ordnung gegenüber ist Gott völlig frei. Er könnte die Gebote aufheben und Diebstahl, Unzucht, ja Gotteshaß gebieten. Im 'Centiloquium', einer Zusammenstellung von 100 meist sehr zugespitzten Thesen, dessen Echtheit von Verehrern Ockhams heute bestritten wird, wird allerdings eingewendet, ein göttliches Gebot des Gotteshasses sei mit dem Widerspruchsprinzip unvereinbar. Denn wer auf Befehl Gottes ihn hasse, liebe ihn, weil er sein Gebot erfülle. Erfüllung eines göttlichen Gebotes und Gotteshaß schlössen sich damit gegenseitig aus (Cl. 5 u. 7). (Fs)
431a Wenn schon von Gott selbst her sein Handeln keiner Notwendigkeit unterliegt, so ist es Ockham erst recht zuwider anzunehmen, daß vom Sein und Verhalten des Menschen her Gott irgendwie gebunden wäre. Sosehr er die Freiheit des Menschen betont und soviel er dessen natürlichen Fähigkeiten zutraut - der Mensch kann z. B. aus sich heraus Gott über alles lieben -, im Zweifel entscheidet er immer zugunsten der Souveränität Gottes. Dieser kann einen Menschen in der Sünde beseligen und einen Begnadeten verdammen. Mehrfach braucht Ockham für den Übergang a contradictorio in contradictorium durch bloßes Verstreichen der Zeit folgendes Beispiel: Gott kann bestimmen, daß alle, die heute an einem bestimmten Ort sind, verdammt werden und daß alle, die morgen dort sind, gerettet werden. Bleibt nun jemand zwei Tage dort, so ist er, der gestern verworfen war, heute in Gnaden aufgenommen, ohne daß er oder etwas an ihm sich geändert haben (IV Sent. q. 4 L ad 2). (Fs) (notabene)
431b Gott hat sich aber durch seine Anordnungen, an die er sich hält und die durch seine Verfügung für den Menschen ihre Notwendigkeit haben, selbst gebunden. Was Gott an sich kann, kann er nicht gemäß der von ihm erlassenen Ordnung, was er 'de potentia sua absoluta' vermag, vermag er nicht 'de potentia sua ordinata'. Um die Kontingenz der faktischen Ordnung deutlich zu machen, gefällt sich Ockham darin, Möglichkeiten, die auf Grund der potentia absoluta dei bestehen, aufzuzeigen und aus ihnen weitere Möglichkeiten abzuleiten. Bei diesen seinen gewagten, die Grenze des Erträglichen oft überschreitenden Potentia-dei-absoluta-Spekulationen entwickelt er eine Theologie des Als-ob und verliert den tatsächlich von Gott beschrittenen Heilsweg aus dem Auge. Erst recht wird kein Versuch gemacht, ihn zu begründen bzw. der Weisheit der Wege Gottes in Ehrfurcht nachzugehen. (Fs) (notabene)
431b Gott hat sich aber durch seine Anordnungen, an die er sich hält und die durch seine Verfügung für den Menschen ihre Notwendigkeit haben, selbst gebunden. Was Gott an sich kann, kann er nicht gemäß der von ihm erlassenen Ordnung, was er 'de potentia sua absoluta' vermag, vermag er nicht 'de potentia sua ordinata'. Um die Kontingenz der faktischen Ordnung deutlich zu machen, gefällt sich Ockham darin, Möglichkeiten, die auf Grund der potentia absoluta dei bestehen, aufzuzeigen und aus ihnen weitere Möglichkeiten abzuleiten. Bei diesen seinen gewagten, die Grenze des Erträglichen oft überschreitenden Potentia-dei-absoluta-Spekulationen entwickelt er eine Theologie des Als-ob und verliert den tatsächlich von Gott beschrittenen Heilsweg aus dem Auge. Erst recht wird kein Versuch gemacht, ihn zu begründen bzw. der Weisheit der Wege Gottes in Ehrfurcht nachzugehen. Die Darstellung der Heilsgeschichte weicht der Erörterung bloßer Möglichkeit, und die Theologie wird zum Übungsfeld logisch-dialektischer Kunstfertigkeit. In dieser Linie liegt es, wenn Ockham mit Vorliebe Grenzfälle oder Ausnahmen ins Auge faßt und daraus weitere Möglichkeiten deduziert. Weil Gott all das, was er mittels Zweitursachen bewirkt, auch unmittelbar hervorbringen kann, kann z. B. nicht bewiesen werden, daß etwas von einer vorliegenden causa secunda bewirkt ist. Es ist nur ein post hoc und kein propter hoc festzustellen. Zum Beispiel kann daraus, daß etwas bei Annäherung an Feuer brennt, nicht bewiesen werden, daß das Feuer die Ursache der Verbrennung ist. Denn Gott kann genauso festsetzen, daß immer dann, wenn etwas dem Feuer sich nähert, er allein die Verbrennung bewirkt, wie er mit der Kirche abgemacht hat, daß beim Aussprechen bestimmter Worte die Gnade des Sakramentes unmittelbar durch ihn in der Seele bewirkt wird (II Sent. q. 5 R). (431f; Fs) (notabene) ____________________________Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2 - Die mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter Bd. 3/2 Titel: Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus ... via antiqua und via moderna Stichwort: Ockham; Eucharistie, Transsubstantiationslehre; Substanz - Akzidens; causa secunda Kurzinhalt: Von einer Ursächlichkeit der Sakramente kann man demnach nur sprechen, insofern das Zeichen bloße Bedingung für das unmittelbare Handeln Gottes ist ... Textausschnitt: 432a Von einer Ursächlichkeit der Sakramente kann man demnach nur sprechen, insofern das Zeichen bloße Bedingung für das unmittelbare Handeln Gottes ist. Diese Zeichen sind dazu ganz willkürlich festgelegt. Gott könnte die Taufgnade auch an die Berührung mit einem Stück Holz binden und bestimmen, daß mit Taufwasser auch die Firmung gespendet würde (IV Sent. q. l G). (432; Fs)
432b Dieses Denken von der Ausnahme her wird besonders deutlich bei der Lehre von der Eucharistie, die bei Ockham auf die Transsubstantiationslehre, ja auf die Erörterung naturphilosophischer Fragen, wie das Verhältnis von Substanz und Quantität, beschränkt ist. An sich würde Ockham die Koexistenz von Brot und Leib Christi vorziehen. Diese Lehre widerstreite weder der Vernunft noch der Heiligen Schrift. Ja, sie sei 'rationabilior' und mit dem Ökonomieprinzip, nach dem möglichst wenig Wunder anzunehmen sind, besser zu vereinbaren. Denn dann falle die größte Schwierigkeit, nämlich die Existenz von Akzidentien ohne ein sie tragendes Subjekt, fort (IV Sent. q. 6 D). Doch weil die Entscheidung der Kirche es verlangt, hält Ockham an der Transsubstantiation fest. Das mit ihr gegebene Wunder des Fortbestehens der Akzidentien nach Vernichtung der Substanz wird dann für ihn zum Hauptbeweis dafür, daß die körperliche Substanz in sich ausgedehnt ist und es dazu keines real verschiedenen Akzidens der Quantität bedarf. Denn wenn, so argumentiert er, Gott die Akzidentien für sich bestehen lassen kann, dann kann er sie sicher auch zerstören und die Substanz erhalten, ohne ihre Teile örtlich zu bewegen. Dann wäre aber die Substanz ausgedehnt ohne Quantität (De sacramento altaris cap. 25). Kann weiter Gott die Akzidentien des Brotes zerstören und den Leib Christi erhalten, dann muß dieser auch unmittelbar am Ort sein und nicht mittels der Gestalten (IV Sent. q. 4 N Resp. ad 2. dubium). (Fs)
432c Ein anderer Fall der Suspension der causa secunda, daß nämlich Gott in mir die intuitive Erkenntnis eines Nichtexistierenden hervorbringt, wird zum Ausgangspunkt für den Beweis der Möglichkeit, Christus im Sakrament natürlicherweise zu sehen (IV Sent. q. 5 D). (Fs) ____________________________Autor: Mehrere Autoren: Handbuch der Kirchengeschichte Buch: Handbuch der Kirchengeschichte, Bd. 3/2 - Die mittelalterliche Kirche: Vom Hochmittelalter Bd. 3/2 Titel: Iserloh, Erwin, 41. Der Nominalismus ... via antiqua und via moderna Stichwort: Ockham, Gnade; Pelagianismus Kurzinhalt: Gnade ist für Ockham nicht eine Kraft, die sich dem Menschen mitteilt, ihn neu macht und zu verdienstlichem Handeln befähigt, sondern die Huld Gottes, ... Textausschnitt: 432d Einen Unterschied zwischen einem natürlichen und übernatürlichen Akt gibt es im Grunde für Ockham nicht, sie sind 'eiusdem rationis' (I Sent. d. 17 q. l K). Der Mensch kann auch aus rein natürlicher Kraft Gott über alles lieben. Hiermit und mit seiner ausschweifenden Spekulation darüber, daß an sich die habituelle Gnade zur Seligkeit nicht nötig sei, bringt Ockham sich in den Verdacht des Pelagianismus. Er dagegen behauptet, vor jeglichem Pelagianismus gefeit zu sein, weil nach ihm Gott allem Geschaffenen gegenüber unabhängig, niemandes Schuldner sei und nichts im Menschen, weder etwas Gutes noch etwas Böses, auch keine der Seele inhärierende übernatürliche Form, Gott nötigen könne, jemand zu beseligen oder zu verdammen (I Sent. d. 17 q, l M; q. 2 E; III Sent. q. 5 L; Quotl. VI q. l). Kein Akt ist verdienstlich wegen seiner ihm eigenen Qualität, mag sie auch von Gott gewirkt sein, sondern nur auf Grund der göttlichen Annahme1. Nur ein Theologe, der die Heilige Schrift aus dem Auge verloren hat, und ein Nominalist, der nicht mehr fragt, welcher Seinsgehalt einem Begriff zukommt, kann die seinsmäßige und personale Bedeutung der Caritas so außer acht lassen. Nur er kann das Zusammenbestehen von Sündenhabitus und eingegossener Liebe für möglich halten, kann andererseits habituelle Gnade bzw. Liebe und Seligkeit so weit auseinanderreißen und nicht mehr realisieren, daß in die Liebe, mit der Gott sich selbst notwendig liebt, auch der einbezogen ist, der am göttlichen Leben Anteil hat und nicht nur Kind Gottes heißt, sondern auch ist (l Jo 3, l). Gnade ist für Ockham nicht eine Kraft, die sich dem Menschen mitteilt, ihn neu macht und zu verdienstlichem Handeln befähigt, sondern die Huld Gottes, mit der er den Menschen annimmt oder nicht, wie es ihm gefällt2. (Fs) ____________________________
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