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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gottes Leben; sein Erkennen und Wollen

Titel: Die Wahrheit

Stichwort: Wahrheit

Kurzinhalt: Klassischer Text über Wahrheit

Textausschnitt: () ... Deshalb wird durch die Gleichförmigkeit von Verstand und Ding die Wahrheit bestimmt. Diese Gleichförmigkeit erkennen heißt Wahrheit erkennen. Ein Sinn kann diese [Gleichförmigkeit] aber in keiner Weise erkennen. Wenn auch der Gesichtsinn Ähnlichkeit hat mit dem, was es zu sehen gibt, so kann er doch nicht die Beziehung zwischen dem gesehenen Ding und dem, was er davon erfaßt, feststellen. Der Verstand kann aber seine Gleichförmigkeit mit dem erkennbaren Ding erkennen. Diese erfaßt er aber nicht schon damit, daß er das Was-sein des Dinges erkennt. Wenn er jedoch urteilt, das Ding verhält sich so wie die Form, die er von dem Ding erfaßt, dann zuerst erkennt und spricht er Wahres. Und das geschieht durch Zusammensetzen und Trennen. Denn in jeder Satzaussage spricht er eine Form, die er mit einem Aussagewort bezeichnet, einem Ding, welches den Satzgegenstand ausmacht, zu, oder spricht sie ihm ab. Dadurch findet sich wohl bestätigt, daß die Sinnesempfindung von einem Ding wahr ist und auch der Verstand in der Erkenntnis des Wasseins; aber nicht so, als ob er das Wahre erkennt oder ausspricht. Ebenso verhält es sich mit den zusammengesetzten oder nicht zusammengesetzten Wörtern. Die Wahrheit kann also wohl in der Sinneswahrnehmung und in dem das Was-sein erkennenden Verstande sich finden wie in einem wahren Dinge, nicht aber wie das Erkannte im Erkennenden, was der Name des Wahren besagt. Denn die Vervollkommnung des Verstandes ist das Wahre als Erkanntes. Streng gesprochen, ruht also die Wahrheit im zusammensetzenden und trennenden Verstande, nicht aber in der Sinneswahrnehmung und nicht in dem Verstand, der das Wassein erfaßt.

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_028 Von den göttlichen Beziehungen

Stichwort: Trinität: Relation - Wesen; 2 Arten von Relationen: Hinweis auf etwas - Eigenschaft

Kurzinhalt: 2. ARTIKEL - Ob die Beziehung in Gott dasselbe ist wie Seine Wesenheit ... Wenn man aber die Beziehung betrachtet, insofern sie Eigenschaft ist, so haftet sie im Träger und hat in ihm ein eigenschaftliches Sein.

Textausschnitt: ANTWORT: Man sagt, Gilbert de la Porree [15] habe in diesem Punkte geirrt, später jedoch seinen Irrtum auf dem Konzil von Reims widerrufen. Er behauptete nämlich, die Beziehungen im Göttlichen seien nebenstehende, bzw. äußerlich angefügte [Beziehungen]. (Fs)

Um darüber zur Klarheit zu kommen, muß man bedenken, daß in jeder der neun Gattungen von Eigenschaften zweierlei zu beachten ist. Einmal das Sein, das einer jeden von ihnen zukommt, insofern sie Eigenschaft ist; und das ist bei allen das Gleiche: in einem Träger sein; denn das Sein der Eigenschaft ist Inne-Sein. Das andere, was in einer jeden zu beachten ist, ist die eigentümliche Bewandtnis einer jeden der genannten Gattungen. Und in den von der Beziehung verschiedenen Gattungen, z. B. der Größe und der Beschaffenheit, wird auch die eigentümliche Bewandtnis dieser Gattung verstanden auf Grund des Verhältnisses zum Träger; denn die Größe wird als Maß der Substanz, die Beschaffenheit aber als Zurüstung der Substanz bezeichnet. Das eigentümliche Wesen der Beziehung dagegen wird nicht verstanden gemäß dem Verhältnis zu dem, worin sie ist, sondern gemäß ihrem Verhältnis zu einem Außen. (Fs)

Wenn wir demnach - auch in den geschaffenen Dingen - die Beziehungen betrachten, insofern sie Beziehungen sind, so wird man finden, daß sie nebenstehend und nicht innerlich beigefügt sind; wie wenn sie gleichsam den Hinweis bezeichneten, der das bezogene Wirkliche selbst trifft, insofern er von diesem weg auf ein anderes hinstrebt. Wenn man aber die Beziehung betrachtet, insofern sie Eigenschaft ist, so haftet sie im Träger und hat in ihm ein eigenschaftliches Sein. Gilbert de la Porree aber betrachtet die Beziehung nur in der ersten Weise [16]. (Fs)

Was immer nun in den geschaffenen Dingen ein eigenschaftliches Sein hat, sobald es auf Gott übertragen wird, erhält es ein wesenhaftes Sein; denn in Gott gibt es nichts, das als Eigenschaft in einem Träger wäre, sondern was immer in Gott ist, ist Seine Wesenheit. Von dieser Seite also betrachtet, wonach die Beziehung in den geschaffenen Dingen ein eigenschaftliches Sein in einem Träger hat, hat die Beziehung, die wirklicherweise in Gott da ist, das Sein der göttlichen Wesenheit und ist ganz und gar ein und dasselbe mit ihr. Darin aber, daß sie [die Beziehung] als Auf-etwas-hin benannt wird, liegt keine Bezeichnung irgendeines Verhältnisses zur Wesenheit, sondern eher zu dem ihr Entgegenstehenden. (Fs)

Und so ist es offenbar, daß die Beziehung, die wirklicherweise in Gott da ist, sachlich ein und dasselbe ist mit der Wesenheit; und sie unterscheidet sich nur gedanklich, insofern in der Beziehung der Hinweis auf das ihr Entgegenstehende mitgegeben ist, ein Hinweis, der nicht gegeben ist in der Bezeichnung Wesenheit. Es ist also klar, daß in Gott das Sein der Beziehung kein anderes ist als das der Wesenheit, sondern es ist ein und dasselbe. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_075 - Der Mensch, wie er aus einer geistigen und einer körperlichen Substanz zusammengesetzt ist

Stichwort: Ist die Seele ein Körper? Seele als erster Grund d. Lebens (+ Kommentar von Summa, Cambridge ); Leben: 2 Tätigkeiten (Bewegung, Erkenntnis) -> Fehlinterpretation: nur Körper "sind" -> Seele sei ein Körper

Kurzinhalt: Obgleich nun ein Körper ein Lebensgrund sein kann, wie das Herz Lebensgrund im Sinnenwesen ist, so kann doch kein Körper erster Lebensgrund sein. Denn es liegt auf der Hand: Lebensgrund oder lebend zu sein, kommt einem Körper nicht zu, weil er Körper ...

Textausschnitt: Respondeo

ANTWORT: Um die Natur der Seele erforschen zu können, muß man davon ausgehen, daß die Seele der erste Lebensgrund in jenen Wesen genannt wird, die bei uns leben. Denn "beseelt" nennen wir das, was lebt, unbeseelte Dinge dagegen jene, die des Lebens entbehren. Das Leben offenbart sich aber am meisten in einer zweifachen Tätigkeit, in Erkenntnis und Bewegung. Als deren Grund haben die alten Philosophen, die sich über die sinnliche Vorstellung nicht erheben konnten, einen Körper angesehen; sie sagten, nur die Körper seien Dinge, und was nicht Körper sei, sei nichts1. Und dementsprechend behaupteten sie, die Seele sei ein Körper. (Fs)

Die Irrigkeit dieser Meinung läßt sich zwar auf vielfache Weise zeigen; wir wollen aber nur ein Verfahren anwenden, bei dem es sowohl allgemeiner als auch sicherer klar wird, daß die Seele kein Körper ist. Offenbar ist nämlich nicht jedweder Grund einer Lebenstätigkeit eine Seele. Denn so wäre das Auge eine Seele, da es ein Grund des Sehens ist. Dasselbe wäre von den anderen Werkzeugen der Seele zu sagen. Vielmehr nennen wir nur den ersten Lebensgrund Seele2. Obgleich nun ein Körper ein Lebensgrund sein kann, wie das Herz Lebensgrund im Sinnenwesen ist, so kann doch kein Körper erster Lebensgrund sein. Denn es liegt auf der Hand: Lebensgrund oder lebend zu sein, kommt einem Körper nicht zu, weil er Körper ist — sonst wäre jeder Körper lebend oder Lebensgrund. Es kommt somit einem Körper nur deshalb zu, lebend oder auch Lebensgrund zu sein, weil er "ein solcher" Körper ist. Was aber in Wirklichkeit "ein solches" ist, das hat dies von einem Grund, der seine Wirklichkeit genannt wird. Somit ist die Seele, die der erste Lebensgrund ist, nicht Körper, sondern Wirklichkeit des Körpers3, wie die Wärme, die Grund der Erwärmung ist, nicht Körper, sondern eine Wirklichkeit des Körpers ist. (Fs)

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Fußnote 2 (Cambride, Band 11)

Cambridge a: This preliminary sketch of the notion of 'soul' presupposes what has been already said of life in 1a. 18, 1 (Vol. 4 of this series). That which is alive moves by itself and is moved by itself. That which is not alive moves from itself (everything has some activity proper to it, dynamic, chemical, electro-magnetic), but is moved only by something else outside it. A lifeless substance has the principle of its activity in itself but not the term; it can act only to alter other things, not to conserve itself in being; for it to act is to lose something, as sulphuric acid and iron lose their identity through chemical interaction. A living substance, on the other hand, is the term as well as the principle of its own activity. The term of the process of nutrition is not some third thing which is neither the consumer nor the consumed (as is the case with chemical interaction or physical collision), but is, rather, the living substance of the consumer.

Fußnote 3 (Cambride, Band 11)

Cambridge b: Suppose someone who maintains that the heart, the physical organ, is the principle of life in man. At once it can be seen that this leaves the question exactly where it was. The question we began by asking of the whole human body—what makes it alive?—has now to be asked of the heart. This is the gist of the reasoning.

To bring the discussion up to date, note that the responsiveness peculiar to living things bears the technical name irritability. All physical reactions involve molecular modification and electrical changes. Vital response shares these features with non-vital physical interaction. But it adds this specific feature, irritability, instanced in heart-beat, endocrine glandular secretions, saliva, an amoeba's change of shape, muscular contraction, nervous transmission, pain, and so forth. And if we argue that one of these causes others, as we might argue that the heart's beat causes others because it circulates blood, we would have still to account for that 'first mover', that base for other manifestations of irritability.

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Titel: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Stichwort: Substanz, Subsistenz, Wortgeschichte: (1., 2. Substanz), essentia (Cicero), substantia (Seneca); Butler an Locke: Zusammenhang: Seiend - Substanz; Existenz nur im Urteil; Substanz - Akkzidenz

Kurzinhalt: Against all academic probability, St Thomas's conception of man's unity was to prevail in the Roman Church... And substance is the ground in which a bundle of accidents, when unified in a nature, has existence.

Textausschnitt: SUBSTANTIALITY
(1a. 75, 2)

253a The notion of 'substance' is central in the traditional thought of Latin Christianity. 'Subsistence' is intimately connected, and neither can be understood without understanding 'essence' and 'existence'. Essentia, coined by Cicero, is the most ancient of the four terms, but like the Greek term ousia, which it was designed to translate, it was used vaguely and rhetorically. Substantia, taken from Quintilian and Seneca, was given metaphysical force: it meant the out-there-in-itself-hood of a thing. As early as we have a Latin Christian literature we find the term used in this way as part of the hard core of Christian dogma. It entered into the Nicene definition of the Incarnation, into all subsequent expositions of the doctrine of the Trinity, and finally into the understanding of the Eucharist. (Fs) (notabene)

253b Later, yet still centuries before St Thomas, thinkers began to distinguish 'essence' from 'existence' within 'substance'. 'Existence' was another Ciceronian term. 'Subsistence' was also a respectable word, found in Virgil and Caesar, but now transferred to new and metaphysical meanings. As Neoplatonism made the Aristotelean treatise on the Categories better known among the educated,1 it was used to describe what differentiates 'first substance', which cannot be predicated, from 'second substance', which can, and hence to mean what has existence in its own right, as distinct from an accident or substantial matter, which cannot as such exist alone. The exact meanings of the four terms, however, took a long time to settle down.2 The boundaries between them were still uncertain and shifting in the work of Boethius (d. 524), written about the time when Plato's Academy was being closed down.3 St Thomas finally stabilized their meanings and applied them to the problem of man's unity, a complex essence with one substantial existence, a substantial spiritual form directly informing matter. (Fs)

253c According to John Peckam, this doctrine was invented by St Thomas. Knowles4 denies this; but it is at least fair to say, with van Steenberghen,5 that his 'solution to the problem of man's nature goes beyond all the suggested solutions recorded earlier in the history of philosophy'. Pegis6 puts it almost as strongly as Peckam: 'The Thomistic conception of man is a doctrine that none of the great commentators before St Thomas had visualized as philosophically possible in Aristotelian terms.' And historians agree that this, more than any other of Thomas's innovations, provoked the hostility of the neo-Augustinians, as the Peckam-style conservatives may be called. The thesis of 1a. 76,1 challenged the entire structure of their thought: their notions of matter as imperfect actuancy, of the soul as a complete substance, 'spiritual matter', the multiplication of forms and the forma corporeitatis. And it meant that St Thomas's system superseded St Bonaventure's; though the condemnations of the decade 1277-86 have been regarded as a victory of the latter's school over St Thomas, as well as over Siger of Brabant. (Fs)

254a Against all academic probability, St Thomas's conception of man's unity was to prevail in the Roman Church. It also (partly in consequence) became a fixed feature of vernacular culture. Major assaults have left it far from prevalent, yet still readily accessible, within the main complex of the tradition. Many of the technical terms have been challenged and dropped without what they meant being lost from view. (Fs)

254b As Butler warned Locke, the words 'being' and 'substance' stand for the same idea. The only meaning we can give the word 'exist' compels us to use the word 'substance' or else some other word or periphrasis that comes to the same. Yet substance as we meet it has to be thought of in terms of accident because that is the way it exists—in terms of quality and activity in all cases, of quantity and its sequels (position, succession, arrangement, susceptibility) in the case of material things. Existence, and hence all that is per se involved with it, is not an object of sensation, and is not a concept; only in the certitude of judgment, which is a kind of self-examination before the real, does the mind know existence. And substance is the ground in which a bundle of accidents, when unified in a nature, has existence. Substantiality is that 'unitive containment' (to use a term of Scotus) these objects of thought have when thrust into the real. No images can help us much. However, where language has proved an obstacle to thought it ought to be replaced. The metaphor of sub-stance, under-lie, has caused so much trouble one wonders whether it would not be worth trying Scotus's unitive containment or White-head's organic prehension. They too, however, are metaphors, and would inevitably meet the same fate sooner or later. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_075a1; Seele: kein Körper; erste Wirklichkeit des natürliche gegliederten Körpers, der in Möglichkeit Leben hat; Seele - Leib : Akt - Potenz

Kurzinhalt: Da der Körper an und für sich nicht belebt ist, kann das, wodurch ein Körper Leben hat, nicht auch Körper sein.

Textausschnitt: 473c Was Thomas hier sagt, gilt allgemein von jeder Seele. Der Sinn der Beweisführung ist dieser: Da der Körper an und für sich nicht belebt ist, kann das, wodurch ein Körper Leben hat, nicht auch Körper sein. Grund des Lebens ist vielmehr das, wodurch der Körper 'ein solcher' ist, das heißt als lebendiger Körper bestimmt, verwirklicht wird: Lebensgrund ist die Wirklichkeit des lebenden Körpers. Dabei wird der Körper an sich, sofern er jeder Bestimmtheit bar ist, als Möglichkeit, als Anlage zum Belebtsein aufgefaßt. Nun ist aber nach allgemeiner Annahme erster Lebensgrund im lebenden Körper die Seele. Körperteile, wie das Auge oder das Herz, können nur als nächster Lebensgrund, als Werkzeuge der Seele in Betracht kommen. Die Seele ist also die Wirklichkeit, das heißt die erste substantielle Wirklichkeit des Körpers, die diesem jegliche Bestimmtheit gibt; und der Körper ist ihr gegenüber reine Möglichkeit. So treffen wir an der Schwelle der Seelenlehre die beiden Begriffe Wirklichkeit und Möglichkeit, die gleichsam die Angelpunkte der aristotelisch-thomistischen Philosophie bilden. Über sie sei hier das Notwendige gesagt. (Fs) (notabene)

Kommentar (15.11.11): Cf. Seele als Grund des Lebens: F1_075a1c, Fußnote 2 und 3: "... Suppose someone who maintains that the heart, the physical organ, is the principle of life in man. At once it can be seen that this leaves the question exactly where it was. The question we began by asking of the whole human body—what makes it alive?—has now to be asked of the heart. This is the gist of the reasoning. ..."

[...]

476a Indem nun Thomas die Seele als Wirklichkeit, als Akt, dem Körper als der Möglichkeit oder der Potenz gegenüberstellt, gemäß der aristotelischen Wesensbestimmung der Seele: Erste Wirklichkeit des natürlichen gegliederten Körpers, der in Möglichkeit Leben hat (76, 5 Anderseits), weist er allerdings "sowohl allgemeiner als auch sicherer" nach, daß die Seele kein Körper ist. Sie ist von ihm bis in die tiefsten Gründe des Seins hinein verschieden: "Die Möglichkeit widerstreitet der Wirklichkeit als gegen sie unterschieden" (75, 5 Antw.). Und dennoch ist die Seele wesenhaft auf den Leib hingeordnet, aber so, daß der Leib das, was immer er an Bestimmtheit, an Vollkommenheit, an "Wirklichkeit" hat, von der Seele und durch die Seele besitzt (s. Anm. [45]). (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Titel: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Stichwort: Materie, Form, Individuation; Thomas vs. Bonaventure, Scotus; Individuation durch materia, Philosophie d. Quantität vs. haecceitas, forma corporeitatis; Thomas vs. Augustiniander; menschl. Seele individuiert durch d. durch sie einformierten Körper

Kurzinhalt: St Thomas's criticism is inseparably connected with his argument (condemned by Kilwardby in 1277 and by Peckam in 1284) that the human soul is individuated by the body it informs. Instead of an imaginary forma corporeitatis, he sought to define a ...

Textausschnitt: MATTER, FORM AND INDIVIDUALITY
(1a. 75,5 & 76,1)

255a Matter-form analysis of the sense-world about us always had the strict Aristotelean school in its favour. In addition there was support in Scripture that God created the world out of formless matter.1 St Augustine2 had also devoted a memorable meditation to this theme. The tradition which crystallized in the Franciscan school of Paris interpreted him to mean that there is some sort of 'spiritual matter', while yet denying that matter is pure potentiality, intelligible only in terms of form. The question of spiritual matter was first raised as a major issue by Ibn Gebirol (1021-70), known to the medievals as Avicebron: he 'extended hylomorphism to spirit also, in the sense that "matter" was the potentiality, "form" the actuality of spirit.'3 Despite the criticisms of Maimonides (1135-1204), Alexander of Hales (1180-1245) put this doctrine into currency in the Franciscan school in Paris after 1231, and St Bonaventure (1221-74) finally established it. It came to be described as an Augustinian doctrine, but, as St Thomas argues in la 75,5, it has small claim to the name. The forma corporeitatis became the signature of the school outlook, together with the notion that angels and men were much the same sort of thing. Scotus (1266-1304) maintained that matter, like form, exists and is intelligible on its own. Matter-form, in St Bonaventure's thinking, occupied the place of essence-existence in St Thomas's, and this compelled him to conceive of matter as incomplete actuality. In maintaining this he appealed to the undeniably Augustinian theory of seminal reasons. (Fs) (notabene)

255b St Thomas's criticism is inseparably connected with his argument (condemned by Kilwardby in 1277 and by Peckam in 1284) that the human soul is individuated by the body it informs. Instead of an imaginary forma corporeitatis, he sought to define a profound philosophy of quantity or dimension as the condition under which material objects exist. As a given ultimate of thought, that is, as a mode of being, quantity is extremely hard to think about. As a mode of experience (shape, size, continuity and discontinuity) it is extremely easy to think about; it is the field for mathematics. He tried to get us to think of it in the first way. Perhaps the best we can do is ask ourselves, why is one soul's knowledge of itself knowledge of itself alone, and not of any other individual soul with the same nature? The answer is that each exists only as the form of its body, and the ensouled body can be identified only as a material unit. The senses are man's only access to such knowledge. (Fs) (notabene)

256a In opposition to this reading, Scotism set up the notion of haecceitas, which identified 'individuality' with 'singularity' and maintained that human understanding attains the individual directly, not just by reflexion from sense experience. Haecceitas is the form in the individual thing which is susceptible of intellectual intuition and is the substrate of all human knowledge. To non-scholastics it was rather a joke example of the power of abstract words to stop thought, but G. M. Hopkins found a place for it in aesthetics, where it perhaps really belongs. In due course it was buried by William of Ockham (1290-1350). Suarez (1548-1617) adopted a series of compromise positions which gave Scotist conceptions a somewhat artificial second life in the textbooks of post-Tridentine scholastic centres. Many thinkers were disposed to accept him as giving an authentic account of Thomist thought as part of the scholastic complex, with the result that the epithet became a sort of dismissal-phrase for all form-matter analysis of change, and for the notion of substance. (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Titel: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Stichwort: Seele, Unsterblichkeit 1: bis Thomas (Bibelstellen, Plato, Augustinus, Anselm); Aristoteles: Syllogismus, Harmonie; Averroes ("äußere" Vernunft, sterbliche Seele)

Kurzinhalt: This is to say that Christian thought rejected the most original and the most constant theses of ancient metaphysics.' This was particularly true in the field of anthropology... The upshot in Averroes was a radical dichotomy between an external agent ...

Textausschnitt: IMMORTALITY
(1a. 75, 2 & 6)

257a Plato's demonstration (as distinct from his conviction) of the soul's immortality is far less clearly etched than the current use of 'Platonist' would suggest. Aristotle, while still at the Academy, reduced it to a syllogism: 'Harmony has a contrary, namely, disharmony; but the soul has no contrary; therefore the soul is not a harmony,' i.e. not a material form. This syllogism, as Jaeger remarks, implicitly presupposes that the soul is a 'substance' in the technical sense,1 and hence Plotinus, who used Aristotle's Eudemus, was justified in reducing this argument to the form, 'the soul is a substance, but harmony is not'.2 Plotinus expands this in the same context by explaining that the soul does not possess being because it is the form of something; on the contrary it is substance, ousia. Now it appears that popular Greek mythical thinking, whence Plato and Aristotle drew much of their technical vocabulary in these matters, confused the problem of immortality with that of pre-existence, 'Orthodox Christian thought', writes Tresmontant3 'in the first centuries selected in Greek philosophy those elements which appeared to it to be capable of being turned to account, and rejected those metaphysical theses which seemed to it to be incompatible with its own principles and requirements. This is to say that Christian thought rejected the most original and the most constant theses of ancient metaphysics.' This was particularly true in the field of anthropology.4 The Christian Fathers refused to admit the soul's pre-existence, even though Origen gave this typically Greek notion wide currency. Nevertheless early Christian thought broadly speaking held to a Neoplatonic conception of the soul as a complete substance in its own right, and replaced pre-existence and recollection with the notion of divine illumination. (Fs; tblStw: Seele) (notabene)

257b Israel's prophetic preaching did in fact bring pressure to bear against the doctrine of the soul as a separate substance in its own right, while endorsing belief in immortality. With the Maccabee rebellion the doctrine of the resurrection of the body came out into Jewish thought, accompanied by an adoption of Greek soul-body talk: I suffer grievous things in body but in soul am well content.5 The doctrine of the resurrection of the body plainly involved the doctrine of the immortality of the soul, and raised the question of whether the soul is conscious in some way between death and resurrection. These questions were answered, not long before the time when Cicero was discussing immortality, by Wisdom, which uses the Greek words soul (psyche) and immortality (athanasia): The souls of the just are in the hand of God, they are in peace. For if before men, indeed, they be punished, yet is their hope full of immortality.6 This is the background for the New Testament writers, for instance Matthew 10, 28,1 Cor. 15, 53-4, though it had to jostle with the rhetorical opposition of spirit and flesh (cf. 1 Cor. 5, 3) and the tripartite division of man into body-soul-spirit (1 Thess. 5, 23). (Fs) (notabene)

258a After reading Augustine's polemic against the Platonic and Origenist anthropology in the City of God,7 it is strange to reflect how he is often spoken of as the arch-Platonizer of Christian thought. Steadied by the controversies regarding the Incarnation, where the orthodox Fathers had insisted on the integral soul-body completeness of Christ, and in so doing had outlined a philosophy of man almost without noticing it, he sought to formulate the unity of soul and body as a natural unity.8 At the same time, the cult of the saints and prayers for the faithful departed presupposed their existence and consciousness, even though disembodied. From Augustine on, consequently, it became a much bigger matter to prove the soul's future immortality, including the interval between death and resurrection, though it would be a mistake to treat his rapid intuitions as strict proofs, even in the Soliloquies and the De immortalitate animae. (Fs) (notabene)

258b Anselm, in this as in so much else, represented the culmination of the Augustinian tradition. His approach to the proof of the soul's immortality (Monologium, 66-74) cannot be extricated from his ontological proof of the existence of God. Just as it is impossible to conceive the non-existence of God, so it is impossible not to desire to possess him eternally once it is conceived, and impossible that God should disappoint this desire. (Fs)

258c To this point, Christian tradition in both East and West had proceeded without regard for Aristotle's analysis. Having given the middle-Platonic mood its most vigorous formulation, he proceeded to criticize and largely abandon the weighty arguments touching immortality which had been accumulated from the religious beliefs, myths and rites of all nations, on the ground that the essential principle in human psychology is the hylomorphic soul-body unity. (Fs)

258d The later Peripatetics of antiquity adopted the analysis of Alexander of Aphrodisias, which refuted the Platonic proof of the Eudemus and the Phaedo by pointing out that form in matter has privation as its opposite or contrary. His outlook was adopted with modifications by subsequent Arabian philosophers. The upshot in Averroes was a radical dichotomy between an external agent intellect which subsists, and the body-informing soul of man which dies, and also, consequently, between philosophy which disproves individual immortality and faith which counts on it. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Seele, Erkennen,Erkenntnis; Naturphilosophen (Empedokles, Demokrit): E. Gleiches durch Gleiches; Aristoteles: Akt - Potenz; Seele: unbeschriebene Tafel; intentionales Abbild

Kurzinhalt: Aristoteles dagegen lehrte auf Grund seines Akt-Potenzbegriffes, daß die Ähnlichkeit des zu erkennenden Dinges ..erkennt die Seele in der Weise, daß sie ... durch die Ähnlichkeit des Dinges, die sie aufgenommen hat, das Ding selbst in Wirklichkeit ist

Textausschnitt: [4] Zu S. 8.

Bereits im zweiten Einwand des ersten Artikels der Seelenlehre klingt Thomas das Thema an, das ihn sozusagen die ganze Abhandlung hindurch beschäftigt. Das Erkennen ist die vornehmste Tätigkeit des Menschen, in ihm vor allem äußert sich das sinnlich-geistige Leben der Seele. Das Erkennen richtig erfassen, heißt darum das Wesen der Seele richtig verstehen. Das Zurückdenken auf das Erkennen offenbart uns dasselbe als Verähnlichung, als ein Einswerden des Erkennenden mit dem Erkannten. Im Erkennenden entsteht eine Ähnlichkeit, ein Abbild des Dinges, durch das das Erkennende befähigt wird, das Ding selbst zu erfassen. Die Natur dieser Verähnlichung richtig zu erkennen, ist daher von größter Wichtigkeit für das Verständnis der Eigenart des Erkennens selbst. — Die alten Naturphilosophen, namentlich Empedokles (* um 490 v. Chr.) und Demokrit (* um 470 v. Chr.) hatten behauptet, Gleiches könne nur durch Gleiches erkannt werden; die Seele müsse die Grundstoffe aller Körper der Wirklichkeit nach in sich enthalten, um alle Körper erkennen zu können; oder es entströmten den Dingen Teilchen, Ausflüsse genannt, die physisch durch die Poren des Leibes in die Seele eindrängen. Aristoteles dagegen lehrte auf Grund seines Akt-Potenzbegriffes, daß die Ähnlichkeit des zu erkennenden Dinges oder das Ding selbst nicht der Wirklichkeit nach noch in körperlicher Weise in der Seele ist, diese also auch kein Körper zu sein braucht. Die Seele ist nach ihm eine unbeschriebene Tafel, fähig, alles zu werden, d. h. zu erkennen. Sie ist in der Anlage, in Möglichkeit zu den Dingen, und die Dinge oder ihre Ähnlichkeiten sind in Möglichkeit zur Seele; und sie nimmt ihre Ähnlichkeiten nicht in einer den körperlichen Dingen, sondern ihr selbst entsprechenden "geistigen", erkenntnismäßigen, intentionalen Seinsweise in sich auf (vgl. 78, 3 Antw.). In Wirklichkeit aber, d. h. tatsächlich, erkennt die Seele in der Weise, daß sie durch das intentionale Abbild, durch die Ähnlichkeit des Dinges, die sie aufgenommen hat, das Ding selbst in Wirklichkeit ist, natürlich wieder nicht in der körperlichen, "natürlichen" Seinsweise des Dinges, die diesem außerhalb des Erkennenden zukommt, sondern dem erkenntnisinneren, "geistigen" Sein nach. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar 75, a2,3; Vollwesen (einfach, zusammengesetzt), Teilwesen; Seele: kein Vollwesen, Wesensteil; Denken, Verstandestätigkeit: Unabhängigkeit vom Körper, Organ; Tierseel: im Sein abhängig vom Körper: stoffliche Form

Kurzinhalt: Der körperliche Stoff beschränkt naturgemäß ... Etwas Stoffliches oder Körperliches also, das der erkennende Grund, der alle körperlichen Naturen erkennt, besäße, würde dessen Weite und Aufgeschlossenheit beschränken, ja aufheben ...

Textausschnitt: 2. UND 3. ARTIKEL -- Die Menschenseele selbständig, die Tierseele nicht

476b
1. Es gibt Voll- und Teilwesen, Substanzen und Akzidentien, stoffliche und unstoffliche (körperlose) Formen. Das Vollwesen (das immer auch Substanz ist), wie Pflanze, Tier, Mensch, ist etwas Selbständiges, in sich und für sich Bestehendes, ein "in Wirklichkeit Seiendes", das auf der Linie der Wesenheit keiner Ergänzung, keiner Vervollständigung bedarf. Und wie es für sich besteht, für sich Sein hat, so hat es auch seine Tätigkeit für sich und durch sich: es bedarf auf der Linie der Substanz, der substantiellen Natur, keines Mitgrundes, um tätig zu sein (die Tätigkeitsvermögen, durch die es unmittelbar tätig ist, sind Akzidentien). Denn die Tätigkeit richtet sich nach dem Sein: agere sequitur esse. Hierbei ist es gleichgültig, ob ein solches Wesen wie die körperlichen Dinge, Stein, Pflanze usw. aus Wesensteilen (Teilwesen: Stoff und Form, Körper und Seele) zusammengesetzt oder wie etwa der reine Geist einfach ist. Das zusammengesetzte und das einfache Vollwesen haben Sein und Tätigsein für sich. Teilwesen dagegen wie die stoffliche Form, z. B. die Wesensform des Steines, sowie die Akzidentien (z. B. die Wärme oder ein Vermögen) sind nichts Selbständiges: die stoffliche Form bedarf notwendig des Stoffes, um mit ihm ein zusammengesetztes Wesensganzes auszumachen; das Akzidens bedarf des Trägers, der Substanz, der es anhaftet. Selbstverständlich haben diese Seinsheiten auch keine Tätigkeit für sich, die Tätigkeit gehört dem Zusammengesetzten, bzw. dem substantiellen Träger, an. (Fs; tblStw: Seele)

476c Nun ist aber die menschliche Seele nicht nur, wie jede Seele, kein Körper, sie besitzt auch eine gewisse Unabhängigkeit vom Körper, eine gewisse Selbständigkeit. Thomas beweist dies auf Grund der der menschlichen Seele eigentümlichen Tätigkeit, der Verstandeserkenntis oder des Denkens. Tatsache ist, daß der Mensch durch den Verstand die Natur aller Körper erkennt. Das führt zu der Annahme, daß die menschliche Seele nichts Körperliches in sich enthält, da sie sonst gehindert wäre, alle Körpernaturen zu erkennen. Nach allgemein scholastischer Auffassung muß der Erkenntnisgrund, der entfernte substantielle, die Seele, nicht minder wie der unmittelbare akzidentelle, das Erkenntnisvermögen, seinsmäßig frei, leer sein von dem, was er erkennt: der Gesichtsinn muß der Farbe, der Geschmacksinn des Schmeckenden bar sein, andernfalls würde er an der Erkenntnis des ihm eigentümlichen Gegenstandes gehindert. (Demungeachtet bedeutet das Erkennen selbst ein erkenntnismäßiges Einswerden und Einssein des Erkennenden mit dem Erkannten, vgl. Anm. [4] u. S. 480 ff.) (Fs) (notabene)

477a Der körperliche Stoff beschränkt naturgemäß, denn er ist der Grund der Besonderung, der Vereinzelung dessen, was er aufnimmt (vgl. S. 486 ff.). Etwas Stoffliches oder Körperliches also, das der erkennende Grund, der alle körperlichen Naturen erkennt, besäße, würde dessen Weite und Aufgeschlossenheit beschränken, ja aufheben und so die Erkenntnis aller Körper verhindern. Aus dem gleichen Grund kommt auch kein körperliches Organ als Mitgrund der Verstandestätigkeit in Betracht. (Fs) (notabene)

477b Trotzdem kann der menschlichen Seele nicht die Selbständigkeit eines Vollwesens zugeschrieben werden. Thomas selbst beruft sich zur Begründung ihrer Selbständigkeit nur auf die Verstandeserkenntnis und legt ihr später noch andere Tätigkeiten bei, die sie nicht ohne Beteiligung des Körpers ausführen kann. Er bezeichnet sie ferner als Teil der menschlichen Art (Artnatur; Zu 1). Die menschliche Seele ist also kein Vollselbständiges, kein reiner Geist, da sie ihrer Natur nach Körperform ist. Deshalb unterscheidet Thomas ein zweifaches Selbständiges oder Fürsichseiendes (Zu 1 u. 2). Für sich seiend kann schon genannt werden, was nicht wie ein Akzidens einem Träger innehaftet oder wie eine stoffliche Form notwendig eines Mitgrundes, eben des Stoffes, bedarf, um sein und tätig sein zu können, mag es an sich auch "Teil", Wesensbestandteil (Wesensform) oder Ausdehnungsteil (= Größenteil, z. B. Hand oder Auge) sein. Im Vollsinn aber ist selbständig, was weder wie ein Akzidens innehaftet, noch wie eine stoffliche Form notwendig eines Mitgrundes bedarf, noch auch sonstwie Teil ist. Es besitzt eine in seiner Art vollständige Natur, hat an sich und für sich Sein und Tätigsein (vgl. Anm. [16]). Die Menschenseele ist also selbständig nur im ersten Sinne. Weil sie Wesensteil des Menschen ist, schreibt man richtiger selbst die ihr eigene Tätigkeit des Denkens dem ganzen Menschen zu: "Der Mensch denkt durch die Seele" (Zu 2, vgl. Anm. [7]). (Fs)

477c
2. Während so die menschliche Seele als Grund der Verstandestätigkeit etwas Selbständiges ist, muß der Tierseele jede Selbständigkeit abgesprochen werden, da sie keine Verstandestätigkeit besitzt, die ihr als einer sinnlichen Seele aber zukommende sinnliche Wahrnehmung nicht ohne körperliche Veränderung, folglich nicht ohne körperliches Organ, ohne Körper vor sich geht. Die Tierseele (oder die sinnliche Seele als solche) ist also auch im Sein vom Körper abhängig: sie ist eine "stoffliche" Form. Wohl ist auch sie wie jede Seele (auch die Pflanzenseele) kein Körper (Art. 1); sie hat aber Sein und Tätigsein nur im Wesensganzen und durch dasselbe. Sein und Tätigsein kommen in erster Linie dem aus Seele und Körper Zusammengefügten zu. Als dem Grund der sinnlichen Erkenntnis kommt der Sinnenseele ferner auch jene Erhabenheit über den Stoff zu, die das Erkennende als solches verlangt (vgl. S. 517 f.). Diese Erhabenheit über den Stoff braucht eben kein vollständiges Freisein vom Stoff zu sein, sie ist je nach der Natur des betreffenden Erkennenden ein solches Freisein, durch das dieses zu seiner eigenen Form andere Formen (erkenntnismäßig) aufzunehmen vermag. — "Die Materialisten suchen zwar zugunsten ihrer Weltanschauung den Unterschied zwischen Mensch und Tier zu verwischen, und auch manche neuere Psychologen sprechen von einem Tierverstand. Jedoch ist der wesentliche Unterschied zwischen dem Menschen und dem Tiere, dem vernünftigen und dem unvernünftigen Sinnenwesen, eine ganz allgemeine Überzeugung. Die neuere Psychologie hat diesen Unterschied auch experimentell nachgewiesen" (GrPh 1, 345 f., wo der Beweis dafür erbracht wird, daß das Tier nur Sinneswahrnehmung und keinen Verstand hat). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar 75, a4; Seele: Thomas vs. Plato (Seele der ganze Mensch; Sinnentätigkeit); Verwirklichung der Art: nicht die Seele allein, sondern der aus Seele und Leib zusammengesetzte Mensch

Kurzinhalt: Indem Thomas auf solche Weise die Theorie Platos zurückweist, tritt er der allzu großen Verselbständigung der Seele entgegen ... Nicht die menschliche Seele allein ist die Verwirklichung der menschlichen Art, ist menschliche Person, sondern der aus ...

Textausschnitt: 4. ARTIKEL -- Die menschliche Seele nicht der ganze Mensch

478a Die Selbständigkeit, die der menschlichen Seele zugesprochen wurde, könnte an sich den Gedanken nahelegen, die Seele sei der ganze Mensch. Nun hat zwar Thomas bereits gesagt, daß die Seele kein Vollselbständiges, sondern "Teil der menschlichen Art" ist (Art. 2 Zu 1). Die gegenteilige Auffassung Platos jedoch veranlaßt ihn, eigens nachzuweisen, daß die menschliche Seele nicht der ganze Mensch ist. Plato hat für seine Meinung einen zweifachen Grund. Einmal betrachtet er gemäß seiner Ideenlehre (vgl. 79, 3; 84, 1) allgemein die Form des Dinges als die alleinige Verwirklichung der betreffenden Art, sodann schreibt er nicht nur die Verstandes-, sondern auch die Sinnestätigkeit und damit die Haupttätigkeiten des Menschen der Seele allein zu. Thomas tritt der doppelten Begründung entgegen. Die Annahme, daß die Seele die vollständige Verwirklichung der menschlichen Art sei, führt zu dem Urteil, daß die Seele "der Mensch" schlechthin, der Leib also vom Wesen des Menschen vollständig ausgeschlossen ist. Dem steht aber die aus der Erfahrung gewonnene (physische) Wesensbestimmung des Menschen entgegen, nach der der Mensch ein aus einer vernünftigen Seele und einem gegliederten Körper bestehendes Wesen ist. (Über physische und metaphysische Begriffsbestimmung s. GrPh 1, 31 ff.)

478b Die zweite Annahme, daß auch die sinnliche Wahrnehmung der Seele eigentümlich sei, diese also allein die Haupttätigkeit des Menschen ausübe, führt nach dem Grundsatz, daß jedes Ding das ist, wodurch die Tätigkeiten dieses Dinges ausgeführt werden, zu dem Urteil, daß die einzelne Seele dieser einzelne Mensch ist. Allein dem steht entgegen, daß die menschliche Seele nicht der einzige Grund aller menschlichen Tätigkeiten ist, da bei den sinnlichen und den der Ernährung dienenden, den vegetativen Tätigkeiten, der Leib der substantielle Mitgrund ist. Indem Thomas auf solche Weise die Theorie Platos zurückweist, tritt er der allzu großen Verselbständigung der Seele entgegen und läßt auch den menschlichen Leib zu seinem Rechte kommen. Nicht die menschliche Seele allein ist die Verwirklichung der menschlichen Art, ist menschliche Person, sondern der aus Seele und Leib zusammengesetzte Mensch (vgl. Anm. [25]). (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Titel: Summa Theologiae: Man 1a. 75-83

Stichwort: Seele - Unsterblichkeit: Thomas (De veritate - Reflexion; Summa - Erkennen, Sein); analoges Wissen (Denken) um Gott und d. Seele; Scotus; Bewusstsein (Butler, Newman)

Kurzinhalt: ... that knowledge means actually being some other thing (however imperfectly), rather than on doing something ... man's knowledge is of things as, precisely, existing or able-to-exist. Existence does not belong to the sense order. This means that ...

Textausschnitt: 259a St Thomas pursued various analyses in arriving at his untrammelled conviction that man's immortal substance and destiny is something that lies open to proof. In the De veritate I, 9, he appeals to the intellect's power of complete reflection or reflection upon itself; Joseph Butler's analysis of reflection in his Fifteen Sermons is probably the most serious post-medieval development of this argument. Again, 11 Sent. 19, 1 uses a rather subtle variation based on the Neoplatonic text, the Liber de causis; 'Every knower which knows its own essence is returning to its own essence by a complete return.' This, St Thomas argues, is impossible for an organic power, hence human understanding, which understands itself, is non-organic and spiritual. (Fs; tblStw: Seele) (notabene)

259b The Summa, however, does not even allude to this line of reasoning, despite its attractions, but takes its stand on a principle which most moderns find opaque, though Cajetan calls it evident (per se nota).1 The force of the argument depends on the axiom that knowledge means actually being some other thing (however imperfectly), rather than on doing something. Man's ability-to-be (by knowledge) any material being would be impossible were he already fixed in his being to the essence of one material form. But since sense knowledge, in its own humble way, is other things, the analysis has to rise clear of the material order by insisting that man's knowledge is of things as, precisely, existing or able-to-exist. Existence does not belong to the sense order. This means that human knowledge finds, in its sense object, something that transcends the material order, something to which it can respond only provided it itself transcends the material order. (Fs) (notabene)

Kommentar (16/11/11): Kom06_476b (467c f.)

259c In maintaining the non-pre-existent yet immortal subsistence of the soul along with its essentially being the entelechy of an organism on which it is objectively dependent, he left a great deal to be tidied up by others. However, his tightly structured analysis of the question in the Contra Gentes had a large school committed to it from 1278 onwards. (Fs)

259d Scotus's critique of St Thomas amounts to this, that his position was not Aristotelean. Even a Thomist of such stature as Cajetan came to agree, and I think we ought now to be of the same opinion. A. C. Pegis remarks that St Thomas 'not only created that baffling Philosopher whose name appears so frequently in the Thomistic writings; he also gave to him a metaphysical setting and foundation that the ancient Stagirite never knew.'2 Van Steenberghen holds that 'to formulate his [eg: Thomas] own psychology in Aristotelean terms, it was necessary to go beyond Aristoteleanism itself'.3

259e St Thomas established the harmony of faith and reason by studies which took Aristotelean passages merely as points of departure. Like his doctrine of substance, his treatment of soul, anima, is the term of Latin Christian doctrinal development. Yet 'the word was so well accredited in the language of Latin Christianity', writes Chenu,4 'that even the truest Aristoteleans used it without reservation to designate the immortal soul of man, and this, to the exclusion of the word spiritus which was not used in the translations of Aristotle'. Which goes to prove two things; that Aristotle, for the main phylum of thirteenth-century thought, provided not the last word, but a reliable framework within which to elaborate an analysis in any major field; and that Boëthius remained a weightier authority even in philosophy. (Fs)

260a We know God for certain by analogy, according to Scripture.5 According to St Thomas and his followers we know the soul's immortality in the same way.6 The word analogy lifts St Anselm's argument clear of illuminism. It is a question, not merely of the need for talk to be analogical, but of the need for thinking to be analogical. Roman Catholic tradition is deeply committed to this body of thought. Some important developments, however, were to originate in the Anglican tradition. Butler and Newman held that we get to know God through conscience, and that what the N.T. meant by conscience is simply man's power of reflection over himself and his acts.7 This experience is fundamental in analogical thought, which is thus rooted in the very nature of human understanding. Note the importance for Butler, in contrast with Kant, of exploring the theological implications of the fact that God and human immortality cannot be disproved; failing to explore these implications means refusing to let faith analogize, and without analogical thought born of reflection or conscience faith must die. Thus, he argued, the Christian faith as a system is as intimately bound up with the analogical contuition of immortality as it is with the analogical contuition of God. There is, partly in consequence, a vast contemporary literature touching analogy, especially in English. But though it glimpses the promised land from afar it cannot safely be said to have entered it. In regard to the whole question we need to probe and ponder the historical, linguistic and logical continuity between St Thomas's analysis here and Newman's treatment of God, immortality, conscience and analogy as a doctrinal whole whose parts cannot survive separately. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_075a5; menschl. Seele: nicht zusammengesetzt; principium quod - p. quo; Grundsatz: Tätigkeit folt dem Sein: unstoffliche Wirkungen -> unstoffliche Ursaachen; Aufnahme (Beispiel Wachs): seinsmäßig - erkenntnismäßig; Aktualitätstheorie

Kurzinhalt: ... schließen wir, daß der Verstand die Formen der Dinge ohne die stofflichen Einzelheitsbestimmtheiten, der Sinn dagegen einzelbestimmte Formen aufnimmt...

Textausschnitt: 5. ARTIKEL
Die Seele nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt

479a Nach Aristoteles-Thomas sind die körperlichen Dinge, die natürlichen oder Naturdinge, auch der Mensch, aus Stoff und Form zusammengesetzt. Stoff und Form bilden die zwei substantiellen Grundbestandteile ihres Wesens. Der Stoff ist reine Möglichkeit, die Form erste Wirklichkeit. Da beide zusammen ein einheitliches Vollwesen ausmachen, ist es klar, daß jedes von ihnen nicht auch Vollwesen sein kann, principium quod, Wesensgrund, welcher ist und tätig ist, sondern nur principium quo, Grund, durch den das zusammengesetzte Ganze Sein und Tätigsein hat. Und zwar ist der Stoff das principium quo potentiale, der verwirklichungsmögliche, und die Form das principium quo actuale, der verwirklichende Teilgrund oder Bestandteil; durch sie ist das ganze Wesen. (Fs)

Im Anschluß an seinen Lehrer Alexander von Hales (+ 1245), der alle Geschöpfe, auch die Geister, aus Stoff und Form zusammengesetzt sein ließ, hat der hl. Bonaventura (1221—1274) und haben seine Schüler, d. h. also die Vertreter der älteren Franziskanerschule, angenommen, die Seele bestehe aus Stoff und Form. Thomas nennt hier, wohl aus Pietät gegen seine Kollegen im Lehramt, die Namen seiner Gegner nicht. Er lehnt aus zwei Gründen eine "geistige Materie" in der Menschenseele ab: weil sie Seele und weil sie menschliche Seele ist, kann sie nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt sein. Als Seele nicht, weil sie Form des Leibes und als solche Wirklichkeit ist, die jeglichen Stoff, sofern dieser ein Seiendes in Möglichkeit ist, ausschließt. Als menschliche, d. h. verstandbegabte Seele nicht, weil sie die Natur der stofflichen Dinge rein für sich, losgelöst von der stofflichen Vereinzelung, von den Einzelheitsmerkmalen, die die Natur im konkreten Einzelding hat, erkennt. Das setzt aber voraus, daß die menschliche Seele, bzw. der Verstand, die Formen der Dinge ohne die stofflichen Einzelheitsbestimmtheiten aufnimmt. Denn "ein jedes Ding wird so erkannt, wie seine Form im Erkennenden ist", d. h. aufgenommen ist. Was aber Formen ohne Stoff aufnimmt, ist selbst ohne Stoff. Die menschliche Seele ist also nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt. (Fs) (notabene)

480a Hierbei ist folgendes zu beachten: 1. Die Beweisführung ruht auf dem Grundsatz, der auch schon in den vorhergehenden Artikeln angewandt worden ist: das Tätigsein folgt dem Sein und richtet sich nach ihm. Man kann also von dem Tätigsein als einer Wirkung auf das Sein, als auf seine Ursache schließen; die Beschaffenheit der Ursache wird aus der Beschaffenheit der Wirkung erkannt. Aus der unstofflichen Aufnahme- oder Tätigkeitsweise schließen wir auf die unstoflliche Seinsweise des Verstandes und weiterhin der substantiellen Wurzel des Verstandes, der Menschenseele. 2. Aus der Tatsache, daß wir mit dem Verstand die Natur der stofflichen Dinge, des Steines, des Menschen, ohne die Einzelheitsmerkmale, mit den Sinnen jedoch das mit seinen Einzelheitsmerkmalen verwachsene körperliche Ding erkennen, schließen wir, daß der Verstand die Formen der Dinge ohne die stofflichen Einzelheitsbestimmtheiten, der Sinn dagegen einzelbestimmte Formen aufnimmt. (Fs) (notabene)

480b Das Erkennen erweist sich unserem Zurückdenken allgemein als ein Aufnehmen und Besitzen von Formen. Unter diesen Formen sind — was wohl festzuhalten ist — nicht nur die Wesensformen der zu erkennenden Dinge zu verstehen. Denn der Verstand, der die Natur oder die Wesenheit der körperlichen Dinge ohne die stoffliche Vereinzelung erkennt, erkennt damit nicht bloß die Wesensform dieser stofflichen Dinge, etwa bloß die substantielle Form des Steines oder der Pflanze, unter Ausschluß des Wesensstoffes: "Zur Natur der Art gehört das, was durch die Wesensbestimmung ausgedrückt wird. Die Wesensbestimmung bezeichnet aber bei den Naturdingen nicht nur die Form, sondern Form und Stoff" (75, 4 Antw.; vgl. auch 79, 3 Antw.: "Wir erkennen durch den Verstand die Naturen oder die Formen der sinnfälligen Dinge"). Die Sinne können die Wesensform überhaupt nicht erkennen. Unter der Form, die das Erkennende aufnimmt, sind vielmehr die Bestimmtheiten, die Merkmale der Dinge zu verstehen. Denn jedes Erkennen geschieht durch die Merkmale, die das zu erkennende Ding bestimmen, es geschieht also durch die Bestimmtheiten desselben, durch seine Form, als den Inbegriff dieser Bestimmtheiten oder Merkmale. Es handelt sich ferner beim Erkennen auch nicht um ein seinsmäßiges Aufnehmen und Besitzen der Form, sondern um ein erkenntnismäßiges, gegenständliches (vgl. Anm. [4]). Bei der seinsmäßigen Aufnahme wird das Aufgenommene in den Untergrund, in das Subjekt aufgenommen, also versubjektiviert. Das Aufnehmende hat die Bestimmtheit oder Form in sich als die seinige. Bei der erkenntnismäßigen Aufnahme dagegen behält die aufgenommene Form ihr Anderssein. Das Erkennende, das ein von sich verschiedenes Ding erkennt, besitzt dessen Form als die Form dieses Dinges, sie steht ihm als etwas Anderes gegenüber. Das Wachs z. B., das die Siegelform seinsmäßig aufnimmt, hat die Siegelform nicht als die Form eines andern, sondern als die seine; denn es ist jetzt nach dieser Form geformtes Wachs. Was aber der die Siegelform Sehende sieht, ist keineswegs eine Form des Sehens oder des Sehenden, sondern die Form des Siegels als solche. Aus dem Wachs und der ins Wachs seinsmäßig aufgenommenen Siegelform entsteht ein Drittes: das geformte Wachs. Aus dem Erkenntnisvermögen (dem Sehvermögen) aber und der Siegelform, die in ihm ist als erkannte, entsteht nicht ein geformtes Erkenntnisvermögen als Drittes, sondern das Erkenntnisvermögen wird die Siegelform selbst, wird eins mit ihr. (Über Wurzel und Wesen des Erkennens vgl. S. 517 ff.) (Fs) (notabene)

481a Unter der Form also, die der Verstand aufnimmt und besitzt, indem er die Natur des körperlichen Dinges rein für sioh erkennt, sind die Wesensbestimmtheiten zu verstehen, die die Natur des Dinges ausmachen, unter Weglassung der Einzelheitsunterschiede, die der Verstand nicht erkennt. Und unter der Form, die als einzelbestimmte vom Sinn aufgenommen wird, indem er das Einzelding erkennt, sind die Körperbestimmtheiten zu verstehen, so wie sie am Körper in konkret ausgedehnter Weise sind. Der Einzelheitsunterschied kommt vom Stoff: wurzelhafter Grund der Einzelheit ist der durch die Ausdehnung bezeichnete Stoff (vgl. S. 486 ff.). Ihn kann die Verstandesseele (erkenntnismäßig) nicht aufnehmen, darum ist kein Stoff in ihr. Dagegen kann der Sinn die ausgedehnte Körperbestimmtheit aufnehmen, denn er ist ein stoffliches Vermögen, das einem körperlichen Organ in ausgedehnter Weise anhaftet. Freilich kann auch der Sinn nur "unstofflich" aufnehmen, sofern er die Form gegenständlich, erkenntnismäßig aufnimmt. Denn die Unstofflichkeit, die die Wurzel des Erkennens ist, läßt mehrere Stufen zu (vgl. S. 478). (Fs)

481b Indem Thomas in den vorliegenden Artikeln die menschliche Seele sozusagen äußerlich und innerlich als vom Stoff frei und unabhängig, als den selbständigen Träger der dem Menschen eigentümlichen Denktätigkeit und damit als eine geistige Substanz erweist, macht er gegen eine ganze Reihe von Ansichten Front, die in alter und in neuer Zeit über die Menschenseele aufgetaucht sind und mehr oder weniger Anklang gefunden haben. Die Materialisten z. B. leugnen die Geistigkeit der menschlichen Seele. Sie betrachten sie als einen feineren Körper (Demokrit, Empedokles), oder als eine Eigenschaft des Körpers (Hobbes, Lamettrie, Holbach, Büchner), oder als eine Wirkung des Körpers (die Gedanken sind eine Ausscheidung oder eine Phosphoreszenz des Gehirnes; Cabonis, Vogt, Moleschott). Die Vertreter der "Aktualitätstheorie" leugnen die Seelensubstanz: es gibt keine bleibende Seelensubstanz, kein bleibendes Ich (Seelenlehre ohne Seele). Die Seele besteht in der Aufeinanderfolge der Bewußtseinsvorgänge, der innerlichen Tätigkeiten des Erkennens und Strebens. Diese Lehre, die zuerst von Hume (+ 1776) aufgestellt wurde, hat in der Neuzeit großen Anklang gefunden. Viele Vertreter der Aktualitätstheorie nehmen im monistischen Sinne eine absolute Substanz, ein allgemeines Ich an, als Untergrund der Bewußtseinsvorgänge, und erklären das Verhältnis des Physischen zum Psychischen, des Seelischen zum Körperlichen durch den psycho-physischen Parallelismus. Psychische und physische Vorgänge bilden zwei Reihen, deren Glieder in ihrer Aufeinanderfolge sich genau entsprechen, ohne daß ein ursächlicher Einfluß der einen Reihe auf die andere stattfände. Entweder wird das Psychische in das Physische aufgelöst (Haeckel, Münsterberg, Ziehen), oder das Physische in das Psychische (Hegel, Fechner, Schopenhauer, Wundt, Paulsen, Ed. v. Hartmann, Drews), oder Physisches und Psychisches werden als die zwei Seiten ein und desselben Dinges betrachtet: Identitätstheorie (Spinoza, Jodl, Riehl, Ebbinghaus, Bain, Spencer, Taine, Hööding) (vgl. GrPh 1, 349 ff., wo gegen die angeführten Theorien verteidigt wird, daß die vernünftige Seele bleibende, jedem Menschen eigene, geistige Einzelsubstanz ist). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_075a6; Seele, Unzerstörbarkeit aufgrund der Einfachheit; kein Ding hat eine Hinordnung zum Nichtsein; Wirkung: Streben nach Sein (Erkennen, Wille)

Kurzinhalt: In der Tat, ein an und für sich zerstörbares Wesen muß aus Teilen zusammengesetzt sein, und es ist nur zerstörbar durch Auflösung in seine Teile. Denn so erwirbt es ein Anderssein; und nur um ein solches, nicht um ein Nichtsein handelt es sich bei der ...

Textausschnitt: 6. ARTIKEL Die Unzerstörbarkeit der Menschenseele

482a Die Lehre von der Unzerstörbarkeit oder der Unsterblichkeit der menschlichen Seele bildet den Höhepunkt der bisherigen Untersuchung. Und vieles von dem, was noch folgt, ordnet sich dieser Lehre ein und dient ihr als Stütze. Die Frage nach der Unsterblichkeit der Menschenseele ist kein rein spekulatives, sondern ein äußerst praktisches Anliegen der Menschheit (vgl. S. 562). Von mannigfaltigstem und ständigem Werden und Vergehen umgeben und persönlich in dasselbe hineingestellt, haben die Menschen immer wieder diese Frage erhoben. Und bis auf den heutigen Tag gibt es neben den vielen, die sie bejahen, noch genug solcher, die sie — eben aus praktischen Gründen, wegen der Folgen, die sich aus ihrer Bejahung notwendig ergeben — verneinen. Gegner der Unzerstörbarkeit der Menschenseele sind die obengenannten Materialisten, ferner die Pantheisten, nach denen beim Tode des Menschen die Seele als vorübergehende Erscheinung des Absoluten in diesem auf- und untergeht. Die Unsterblichkeit der Seele lehren die großen Philosophen des Altertums, die Kirchenväter und die Scholastiker. Auch ist es Glaubenssatz, daß die Seele des Menschen unsterblich ist. (Fs; tblStw: Seele)

482b Thomas tut dar, daß die menschliche Seele weder an und für sich noch mitfolgend zerstört werden kann. Zunächst nicht mitfolgend, wie eine stoffliche Form oder ein Akzidens, die mit-zerstört werden, wenn das Wesensganze der Zerstörung anheimfällt. Die stoffliche Form hat kein unabhängiges Sein für sich, sondern hat das Sein nur im zusammengesetzten Ganzen und mit ihm. Ebenso hat das Akzidens das Sein nur in Abhängigkeit von seinem Träger. Und wie sie mit diesen das Sein erhalten, oder erzeugt werden, so verlieren sie es auch mit ihnen, d. h. sie hören einfach auf zu sein. Die Tierseele ist eine solche unselbständige, stoffliche Form, sie wird daher mitfolgend zerstört. Die menschliche Seele aber nicht, denn sie hängt als geistige, substantielle Form im Sein nicht vom Stoff ab, sondern hat das Sein für sich, sie ist selbständig. (Fs)

482c Aus demselben Grund kann sie aber auch nicht an und für sich zerstört werden. Thomas sagt nur kurz: Da die menschliche Seele selbständig und nur Form ist, der Form aber als der Wirklichkeit das Sein an und für sich zukommt, müßte sie sich, um an und für sich zerstörbar zu sein, von sich selbst trennen können, wie ein aus Stoff und Form Zusammengesetztes dadurch zerstört wird, daß sich die Form vom Stoff trennt. Ihre Einfachheit, ihr Nichtzusammengesetztsein steht also in Verbindung mit ihrer Selbständigkeit ihrer Zerstörung im Wege. — In der Tat, ein an und für sich zerstörbares Wesen muß aus Teilen zusammengesetzt sein, und es ist nur zerstörbar durch Auflösung in seine Teile. Denn so erwirbt es ein Anderssein; und nur um ein solches, nicht um ein Nichtsein handelt es sich bei der Zerstörung eines Wesens. Da nämlich jedes Ding als Wesenheit Seinsweise, d. h. Hinordnung zum Sein ist, kann kein Ding an und für sich eine Hinordnung zum Nichtsein haben. Eine solche Hinordnung wäre eine Hinordnung, die zugleich keine wäre, da sie keinen Zielpunkt hätte, auf den sie ginge, wie eine Bewegung nicht sein kann, für die kein Ziel gegeben ist. Ein Wesen kann also nur nebenbei eine Hinordnung zum Nichtsein in sich tragen dadurch, daß es eine Hinordnung zum Anderssein hat. Diese Hinordnung zum Anderssein setzt aber voraus, daß das Ding aus Teilen, seien es Wesens- oder Ausdehnungs-(Ganzheits-) Teile, zusammengesetzt ist. Dadurch, daß es den einen Teil verliert und einen neuen erwirbt, ist sein bisheriges Sein zerstört, d. h. ein anderes geworden. So verliert ein aus Stoff und Form zusammengesetztes Wesen das Sein, wenn die Form verlorengeht und der stoffliche Untergrund eine neue Form empfängt. Mit ihr ist ein neues Sein da und, wenn es sich um eine substantielle Veränderung handelt, auch ein neues Wesen nach dem Grundsatz: Die Zerstörung des einen ist die Erzeugung des andern. Deshalb kann ein einfaches Wesen, ein Geist, nicht zerstört werden. Als einfache Hinordnung auf ein einziges, ihm entsprechendes, bestimmtes Sein kann er keine Hinordnung auf ein anderes Sein haben. Er trägt in sich keinen Grund der Zerstörung. Nun ist aber die menschliche Seele nicht aus Teilen zusammengesetzt, sondern ein einfaches, selbständiges Wesen. Sie hat weder Wesensteile — das ist ihr mit jeder Form gemeinsam —, noch hat sie als höhere, geistige Form Ganzheitsteile. Sie kann somit auch nicht 'an und für sich', also überhaupt nicht zerstört werden. Die menschliche Seele fordert ihrer Natur nach die Fortdauer im Sein. (Fs)

483a Obgleich nun Thomas bereits im vorhergehenden Artikel die Zusammensetzung der Seele aus Form und Stoff abgelehnt hat, will er hier doch noch, wohl um bei seinen Gegnern aus dem Franziskanerorden nicht den Anschein zu erwecken, als ob er sie für Leugner der Unsterblichkeit der menschlichen Seele halte, dartun, daß die Seele, auch wenn sie aus Stoff und Form zusammengesetzt wäre, unzerstörbar wäre. Nach Ansicht der Alten, die Thomas teilte, ist die irdische (sublunarische) Materie aus den vier Elementen Feuer, Luft, Wasser und Erde zusammengesetzt, deren einander entgegengesetzte Beschaffenheiten aufeinander einwirken und so ständige Erzeugungen und Zerstörungen hervorrufen. Die Materie der Himmelskörper dagegen ist einheitlich, frei von Gegensätzen, weshalb die Himmelskörper der Zerstörung nicht unterworfen sind (vgl. 66, 2: Bd. 5 und oben Anm. [53]. Es kommt also auch nur eine solche Zusammensetzung aus Form und Stoff für die Zerstörung in Betracht, bei der im Stoff jene Gegensätze vorhanden sind. Wo dagegen im Stoff die Gegensätze fehlen, ist die Form unauflöslich mit dem Stoff vereint, da der Stoff nur zu dieser einen Form in Möglichkeit und diese Möglichkeit durch die eine Form vollständig verwirklicht ist (vgl. 84, 3 Zu 1 u. 97, 1: Bd. 7). Nun weist aber, wie Thomas aus dieser Annahme heraus geltend macht, die menschliche Seele, selbst wenn sie aus Form und Stoff zusammengesetzt wäre, keine Gegensätze auf, denn Dinge, die in Wirklichkeit einander entgegengesetzt sind und von ihr erkannt werden, nimmt sie nicht gegensätzlich auf, sondern in der Einheitlichkeit der Verstandesbegriffe; sie hat ein einheitliches Wissen von Entgegengesetztem und ist deshalb nicht zerstörbar. Von ihrer Weise aufzunehmen wird also wiederum auf ihre Weise zu sein geschlossen (vgl. S. 480). Die Materie der Seele ist ja nach Anschauung der Gegner eine "geistige", die auch der Ausdehnung entbehrt (vgl. Art. 7 Antw.). (Fs)

484a Endlich sieht Thomas noch das Naturstreben oder die Hinordnung der menschlichen Seele auf immerwährendes Sein als "Zeichen" ihrer Unzerstörbarkeit an. Es läßt sich aber aus dieser Hinordnung die natürliche Unsterblichkeit der Menschenseele, d. h. deren tatsächliche, immerwährende Fortdauer im Sein und im Tätigsein streng beweisen (vom Tätigsein der abgeschiedenen Seele ist erst in der 89. Frage die Rede). Denn die Hinordnung oder das Verlangen der Natur ist Ausdruck der Natur, diese äußert darin ihr Wesen. Die Natur muß daher dieser Hinordnung tatsächlich entsprechen, d. h. es muß der Natur tatsächlich das zukommen oder erreichbar sein, wonach sie verlangt, worauf sie hingeordnet ist, was Thomas in die Worte kleidet: "Ein natürliches Verlangen kann nicht vergeblich sein." Nun geht aber die natürliche Hinordnung der Menschenseele auf immerwährendes Sein und Tätigsein. Dies ergibt sich aus dem Verstandeserkennen des Menschen. Während nämlich jedes Ding von Natur aus danach strebt, sich im Sein zu erhalten, entspricht beim Erkennenden dieses Naturstreben seinem Erkennen. Das Erkennen ist das Maß für das Streben, auch für das Naturstreben des Erkennenden. Daher erkennt das Tier nur das augenblickliche konkrete Sein und ist deshalb darauf hingeordnet, für jeden Augenblick, "hier und jetzt", danach zu streben, sich im Sein zu erhalten. Der Verstand des Menschen dagegen erkennt das Sein und das Tätigsein schlechthin als ein Gut. Deshalb geht sein Streben über das gegenwärtige, augenblickliche Sein hinaus auf ein immerwährendes Sein und Tätigsein. Dem Verstandeserkennen folgt aber die natürliche Hinordnung im Willen, das als Gut erkannte Sein und Tätigsein zu wollen. Und so muß der menschlichen Seele von Natur aus die Unsterblichkeit tatsächlich zukommen. — Nur im Vorübergehen (Zu 1) sagt Thomas bezüglich des Ursprungs der menschlichen Seele: "Die Seele der Tiere wird von einer körperlichen Kraft hervorgebracht, die menschliche Seele dagegen von Gott." Als geistige Substanz ist sie in ihrem Sein vom Stoff unabhängig, folglich ist sie auch in ihrem Werden unabhängig von ihm; denn das Werden ist der Weg zum Sein. Sie kann also nur durch die schöpferische Tätigkeit Gottes entstehen. Näheres hierüber in Frage 90 ff., Bd. 7; zum Ganzen vgl. GrPh 1, 358 ff. u. 362 ff. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über die Herrschaft der Fürsten

Titel: Über die Herrschaft der Fürsten

Stichwort: Historismus; Fortschrittsglaube; Unterschied zwischen klassischen und modernen Prinipien der Politik

Kurzinhalt: Unterscheidung zwischen Fortschritt und Rückschritt als oberstes moralisches und politisches Prinzip; Leitziel der Politik ist nicht mehr ...

Textausschnitt: 4/N Geistesgeschichtliche Betrachtung anstelle geistiger Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist uns nur zu selbstverständlich geworden; diese Einstellung findet ihre Stütze im modernen Historismus, dem geschichtsphilosophischen Glauben an einen universalen Fortschritt, der das Vergangene nur als Vergangenes ernst zu nehmen braucht, weil es für ihn nur die unvollkommene Vorstufe zur vollkommeneren Gegenwart ist. Solchem Denken setzt der Fürstenspiegel den Anspruch entgegen, daß er über grundlegende, zu jeder Zeit gültige Prinzipien der Politik handele. Der Geschichte wird zwar in mehrfacher Beziehung gedacht, aber sie ist nirgends »Prozeß«, der sich auf ein definierbares historisches Ziel hin entwickelt. Wer einwendet, Thomas denke eben »noch statisch«, weil er die Fortschrittsidee »noch nicht« gekannt habe, unterstellt, sofern dies kein historischer Hinweis, sondern ein sachlicher Einwand sein soll, bereits wieder den Fortschrittsglauben, statt ihn der Kritik auszusetzen. Wir sollten uns auf die Konfrontation einlassen. Wir entdecken dann nicht nur, daß zwischen uns und diesem Text die neuzeitliche Verdrängung der praktischen politischen Philosophie durch Geschichtsphilosophie liegt, mit der die Unterscheidung von Gut und Schlecht (das Wesen des Traktats über König und Tyrann) ersetzt wird durch die Unterscheidung zwischen Fortschritt und Rückschritt, durch die Anpassung an die »geschichtliche Entwicklung« als oberstes moralisches und politisches Prinzip; wir sind auch unversehens zur Legitimation dieser Grundidee modernen politischen Denkens aufgefordert. Dabei werden wir rasch gewahr, daß wir die Grundlagen des Glaubens an den Fortschritt längst verloren haben, auch wenn unsere Gesellschaft noch aus diesem Glauben als einzigem geistigen Halt zu leben versucht. Der endgültige Verlust des Glaubens an den Fortschritt und damit eine unvorstellbare geistig-politische Krise mögen folgen oder nicht: auf jeden Fall wird die Kritik, d. h. die rationale Sicherung oder Korrektur von bisher selbstverständlichen politischen Wahrheiten, zur Notwendigkeit. (74f; Fs)

5/N Denn sobald die Fortschrittsidee überhaupt, und damit auch für die politische Ideengeschichte, ihre Kraft der Selbstverständlichkeit verliert, unterliegen alle überlieferten Prinzipien ohne Rücksicht auf ihren Ort im »historischen Prozeß« dem gleichen Zweifel. Eine kritische Distanz zum Tradierten tritt auf, die bei den uns am nächsten stehenden politischen Grundsätzen am fühlbarsten wird: wir finden uns, jedenfalls in dieser Hinsicht, am Ende der Neuzeit. Vor uns liegt die Aufgabe, im Überdenken der politischen Prinzipien der Neuzeit den Sinn politischer Ordnung für die Zukunft aufs neue zu sichern. Dafür, und nicht für die Utopie einer romantischen Restauration des Mittelalters, ist die Konfrontation modernen politischen Denkens mit seinem Ursprung, der klassischen politischen Philosophie der Antike und des Mittelalters, außerordentlich wichtig; denn Klassik und Moderne sind in wesentlichen Punkten nicht durch Evolution, sondern durch die Antithese verbunden. Das läßt sich am Beispiel des Thomasischen Fürstenspiegels besonders deutlich zeigen: Leitziel der Politik, wenn man von einem solchen überhaupt noch sprechen kann, ist heute nicht mehr, wie dort, die 'Bestimmung des Menschen' (bonum humanum), sondern der Mensch als Individuum, d. h.: nicht mehr das Gemeinwohl, sondern das Einzelwohl, nicht mehr der 'Frieden der Einheit', sondern die Freiheit; daher ist der Staat nicht mehr die unter einem gemeinsamen Lebensziel vereinte Lebensgemeinschaft, sondern Instrument für Dienstleistungen, sein Prinzip ist nicht mehr die Pflicht, sondern der Rechtsanspruch, kraft dessen sich die Einheit in einen Pluralismus emanzipierter Teilzwecke (freie Wirtschaft, freie Wissenschaft usw.) verwandelt; dem entspricht die Verlagerung des Interesses der politischen Wissenschaft weg vom Problem der 'Tüchtigkeit( (Tugend) des politischen Menschen, auf der für Thomas die Institutionen und deren Ordnung beruhen, hin zu den Institutionen als gleichsam isolierter 'technischer Apparatur; weg vom Problem des Handelns und seinen Zwecken, hin zur Ursache des Handelns: der Macht, und damit weg von der normativ-kritischen Erörterung des »guten Lebens«, hin zur empirisch-analytischen Untersuchung der Politik, »wie sie sich tatsächlich abspielt«. (75f; Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über die Herrschaft der Fürsten

Titel: Über die Herrschaft der Fürsten

Stichwort: Scheidung von Vernunft und Ideologie

Kurzinhalt: Scheidung eines Amalgams aus Vernunft und einem seiner religiösen Grundlage beraubten Glaubensgut mit dem Zweck, wieder zu einer politischen Wahrheit zu kommen

Textausschnitt: 7/N Unter diesem Aspekt heißt Kritik modernen politischen Denkens im ursprünglichen Sinn des Wortes: Scheidung eines Amalgams aus Vernunft und einem seiner religiösen Grundlage beraubten Glaubensgut mit dem Zweck, wieder zu einer politischen Wahrheit zu kommen, die unsere Gesellschaft auch in einer nachchristlichen Epoche zu tragen imstande ist. Hierfür einen christlichen Theologen zu Hilfe zu nehmen scheint zunächst paradox. Tatsächlich aber läßt sich die Kritik der zu Unrecht verquickten Elemente 'Vernunft' und 'Offenbarung' am besten in der Auseinandersetzung mit einer scholastischen Lehre vollziehen, deren historisches Verdienst es ist, auf der Grundlage einer genuin christlichen Theologie diese Elemente zum erstenmal systematisch klar geschieden zu haben und damit »die Welt« - Erfahrung, Vernunft, empirisch-rationale Wissenschaft und weltliche Politik - systematisch klar vom Religiösen unterschieden, ja geradezu neu entdeckt und in ihrem Eigenrecht analysiert zu haben.

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über die Herrschaft der Fürsten

Titel: Über die Herrschaft der Fürsten

Stichwort: Ursprung der Gesellschaft; Gesellschaft nicht als Addition individueller Grundrechte; Herrschaft - Freiheit

Kurzinhalt: Die Gesellschaft kann nicht als Assoziation funktional gleicher Individuen bestehen; emanzipatorische Gesellschaftsmodelle beruhen auf einem Utopismus

Textausschnitt: Hier kommt es zunächst nur auf die Erkenntnis an, daß der Ursprung der Gesellschaft nicht in einem fundamentalen, auf die Gewalt der Herrschenden zurückgehenden Antagonismus oder im beliebigen Willensentschluß der Bürger, sondern im naturgesetzlich wirkenden Wesen des Menschen zu finden ist. (80f; Fs)

15/N Es folgt die Frage nach dem Grund der Herrschaft. Die Gesellschaft kann nach Thomas nicht als Assoziation funktional gleicher, »souveräner« Individuen bestehen, da diese naturgemäß nur für sich und nicht ohne weiteres für das Wohl des Abstraktums »Gesellschaft« sorgen. Es muß eine besondere Kraft geben, deren einzige Aufgabe es ist, aus der Vielheit eine Einheit zu machen, die Gesellschaft als ganze auf das ihr entsprechende Wohl als Voraussetzung des Wohls der einzelnen und der Gruppen (für Thomas noch: Stände) hinzulenken und dadurch die Gesellschaft gewissermaßen erst zu konstituieren - ein universales ontologisches Prinzip, das Thomas in den verschiedensten Seinsbereichen feststellt. Emanzipatorische, herrschaftsfreie Gesellschaftsmodelle beruhen danach, so können wir schließen, auf einem utopischen Optimismus, der die Existenz der Gesellschaft in Frage stellt und damit auch die Existenz der Individuen samt ihrer nur durch gesellschaftliche Ordnung verbürgbaren Freiheit. Eben; so stellt sich die politische Ordnung der Gesellschaft nicht schon durch Addition individueller Grundrechte oder Ausgleich organisierter Interessen von selbst her. Politische Herrschaft ist vielmehr zugleich mit, der Gesellschaft notwendig gesetzt, ohne daß damit die Freiheit in der Gesellschaft aufgehoben würde: Herrschaft und Freiheit sind keine Gegensätze, im Gegenteil: politische Herrschaft im Unterschied zur Despotie muß der Natur des Gemeinwesens als Gemeinschaft von Freien entsprechen. Herrschaft ist ganz allgemein nur insofern rechtens und gut, als sie durch den ihr vorgegebenen Zweck - Verfolgung des Gemeinwohls im Unterschied zum Eigeninteresse des Herrschers oder bestimmter Gruppen - rechtlich präzise begrenzt ist. Aus dieser teleologischen Ausrichtung der Herrschaft folgt u. a., daß König nicht schon jeder ist, der auf dem Thron sitzt (das kann auch ein Tyrann sein), sondern nur, »wer das Volk ... des Gemeinwohls wegen lenkt« (1, 1). (8f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über die Herrschaft der Fürsten

Titel: Über die Herrschaft der Fürsten

Stichwort: Verfassung - Zweckbestimmtheit der Herrschaft; Thomas Hobbes

Kurzinhalt: Verfassungsproblematik: nicht bloß rein deskriptiv-vergleichend oder apologetisch; Hobbes: Staat als technisch-mechanistische »Apparatur« der Machtbildung und -kontrolle

Textausschnitt: 16/N Bis hierhin geht es nicht um die Rechtfertigung der Monarchie, sondern abstrakt um die Notwendigkeit (= Rechtmäßigkeit) des Herrschaftsamtes im allgemeinen ohne Rücksicht auf die Verfassungsform, in der es ausgeübt wird. Die Verfassungsproblematik wird nun nicht, wie in der heutigen Theorie zumeist, rein deskriptiv-vergleichend oder apologetisch nach Maßgabe einer Option für ein bestimmtes System behandelt; vielmehr folgt aus der normativen Zweckbestimmtheit der Herrschaft, daß die Verfassungslehre nur als normativ-abwägender Traktat über die beste Verfassung (1, 2-6) geschrieben werden kann. ... Sie beruht darauf, daß auch der Staat noch als Lebensgemeinschaft, ja sogar als die der Idee nach vollkommene Lebensgemeinschaft, gesehen wird, während das mit Thomas Hobbes einsetzende moderne politische Denken dazu übergehen wird, den Staat als technisch-mechanistische »Apparatur« der Machtbildung und -kontrolle zu konstruieren. (82; Fs)
17/N Wegen der zentralen Bedeutung des Herrschaftszieles für die Verfassungslehre greift Thomas zunächst (1, 2) nochmals das Gemeinwohlproblem auf und präzisiert, das Gemeinwohl bestehe darin, »die geistige Einheit durch das Band des Friedens zu bewahren«. [] Freiheit ist und bleibt für Thomas zwar die Voraussetzung jeder politischen Gesellschaft, aber sie kann für ihn offenbar nicht eigentlich politisches Ziel sein, insofern damit die Einheit der Gesellschaft aufgehoben würde. Eine radikal antagonistische, pluralistische oder individualistische Theorie leugnet demnach entweder die Möglichkeit oder die Notwendigkeit der Gesellschaft als einer alle Bürger umfassenden Einheit.

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über die Herrschaft der Fürsten

Titel: Über die Herrschaft der Fürsten

Stichwort: Grundthese der klassischen Politischen Wissenschaft: Gewissheit in der Erkenntnis der obersten Normen

Kurzinhalt: dialektischer Dreischritt; Monarchie als ideale Norm; Unterschied zw. Ideal und Realisierung

Textausschnitt: 18/N Mit stetem Blick auf seine Bestimmung des Gemeinwohls führt Thomas nun die Untersuchung über die beste Verfassung in einem dialektischen Dreischritt, der an die scholastische Methode des 'sic et non' erinnert: zunächst wird (1, 2) mit einer Reihe von Gründen aus der Vernunft und der geschichtlichen Erfahrung (vgl. die zeitgenössischen italienischen Stadtrepubliken), die durch die Autorität der Hl. Schrift gestützt werden, die reine Monarchie als die Verfassung dargestellt, die den Zweck des Staates am besten erfüllt. Die Monarchie ist demnach für Thomas die absolut beste Verfassung. Dieses Ergebnis ist aber nur vorläufig, denn es handelt sich um eine ideale Norm, deren Realisierung von idealen Voraussetzungen bei Herrscher und Bürger abhängt. Deswegen werden in einem zweiten Schritt (I, 3 und 4) dem Ideal die Erfahrungen der politischen Geschichte entgegengesetzt, die die praktische Gültigkeit des Ideals relativieren, wenn nicht gar zur Utopie zu machen scheinen: Die Alleinherrschaft führt in der Wirklichkeit überwiegend zum schlimmsten aller politischen Übel, der Tyrannis (corruptio optimi pessima), während sich andererseits die Beteiligung der Mehrzahl der Bürger an der politischen Gewalt aus psychologischen Gründen positiv für die Stärkung des staatlichen Zusammenhalts auswirken kann. Angesichts dieser gegenläufigen Argumentation erhalten wir Einsicht in eine der Grundthesen der klassischen Politischen Wissenschaft: daß die Politische Wissenschaft zwar mit Gewißheit die obersten Normen, so z. B. die theoretisch beste Verfassung, feststellen kann, nicht aber die im Hinblick auf den Wandel der geschichtlichen Umstände jeweils richtige Lösung, z. B. die bestmögliche Verfassung. Die praktische Vernunft ist insoweit auf eine Güter abwägende Berechnung des Risikos (der Tyrannis) verwiesen; ihr Urteil entbehrt also in concreto der Gewißheit der theoretischen Wissenschaften wie etwa der Mathematik, weil ihr Objekt, die Geschichte, selbst wandelbar ist. Unter diesem entscheidenden Vorbehalt steht denn auch der Schlußteil der verfassungstheoretischen Überlegungen, in dem Thomas die konstitutionell gebundene Monarchie mit einem demokratisch verfaßten Widerstandsrecht (bzw. Appellationsrecht an den Oberherrn im Lehnstaat) als relativ beste Verfassung empfiehlt. (83f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über die Herrschaft der Fürsten

Titel: Über die Herrschaft der Fürsten

Stichwort: »politische Ethik«; heute: Trennung von Politik und Ethik; 'Tugend' und 'Glückseligkeit'; 'Hierarchie der Lebenszwecke'

Kurzinhalt: moderne politische Theorie: Trennung von Politik und werden Ethik; Glückseligkeit für Thomas: die höchste Vollendung der geistigen Natur; Tugend: Entfaltung der menschl. Natur

Textausschnitt: In der modernen politischen Theorie werden Ethik (sofern diese überhaupt noch als Gegenstand der Wissenschaft betrachtet wird) und Politik getrennt, was übrigens in der Konzeption einer besonderen »politischen Ethik« am deutlichsten wird. Im Grunde offenbart sich darin, daß die Zwecke des Individuums und des Staates auseinandergefallen sind, daß der Mensch aus dem Staat »ausgewandert« ist. Thomas erklärt dagegen ausdrücklich, daß die Lebensziele des einzelnen und der Gesamtheit identisch sein müssen (I, 14). Daher werden bei ihm die Ethik und das Problem des Lebenssinns sogar zum Kernstück der Lehre von der Politik, von dem her erst alle weiteren politischen Probleme institutioneller, wirtschaftlicher und militärischer Art sinnvoll eingeordnet und gelöst werden können. (85f; Fs)
21/N Obwohl im Grunde recht einfach, ist die Thomasische Ethik verständlich; nicht mehr ohne ausgreifende Interpretation verstandlich; zu sehr läuft unser Denken noch in den Bahnen der Kantischen Ethik und der modernen Moralisten, ja die Tugendlehre z. B. ist als ausdrückliches Lehrstück überhaupt aus dem Bildungskanon verschwunden. Einige Hinweise seien dennoch versucht: Die zentralen Begriffe der klassischen Ethik und Politik sind die uns so hausbacken und unpolitisch klingenden Begriffe 'Tugend' und 'Glückseligkeit'; sie umreißen das Ziel menschlichen Lebens, das als Triebkraft alles Handeln bewegt: Was immer das Motiv des Handelns sei, das Erlangen von Vergnügen, Reichtum oder Ruhm (vgl. I, 7 f.), hinter allem steht immer das Streben nach Glück als dem höchsten Ziel. Wenn aber Glück kein trügerischer Gefühlszustand sein soll, dann kann es nicht auf beliebige Weise erreicht werden, sondern nur in der Obereinstimmung des Menschen mit seinem Wesensgesetz. Glückseligkeit ist daher für Thomas nur »die höchste Vollendung der geistigen Natur«, nach der jeder unwillkürlich, wenn auch vielleicht irrend strebt. Eine solche Entfaltung der menschlichen Natur gewährleisten die 'Tugenden(, die in der klassischen Ethik nicht, wie bei Kant z. B., Knebelung der natürlichen Neigungen, sondern im Gegenteil Vollendung der natürlichen Fähigkeiten des Menschen gemäß seiner Natur bedeuten. (86; Fs)
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22/N Dieses Lebensziel der Selbstentfaltung kann nach Thomas nicht privatistisch verstanden, sondern muß zurückbezogen werden auf den Staat, weil das Individuum wesentlich, d. h. nicht nur in materieller, sondern auch in geistiger Hinsicht, ergänzungsbedürftig - d. h. unaufhebbar unvollkommen (insuf ficiens) - ist. Der Zweck des Staates ist demnach nicht nur die einfache Lebenssicherung ('das Leben' in klassischer Terminologie), wie das erste Kapitel des Fürstenspiegels nahezulegen scheint, sondern das 'gute Leben', das alle Entfaltungsmöglichkeiten des einzelnen umgreift.
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... Diese 'Hierarchie der Lebenszwecke' beläßt zwar allen Teilzwecken ihren Eigenwert entsprechend ihrem Nutzen für die Gesamtentfaltung einer menschenwürdigen Gesellschaft, verbietet ihnen aber damit zugleich, sich von dem höchsten Ziel menschlichen Daseins zu emanzipieren und dadurch ihren Sinn zu verlieren. In der Auflösung dieser sinnstiftenden Hierarchie der Lebenszwecke zugunsten eines Pluralismus autonomer Lebensbereiche dürfen wir wohl die entscheidende Antithese der Moderne und vermutlich den Ursprung des Entfremdungsgedankens sehen.

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über die Herrschaft der Fürsten

Titel: Über die Herrschaft der Fürsten

Stichwort: Der Zweck der Wirtschaft; Staat - Kirche;

Kurzinhalt: Staat nicht bloß als Produktions- und Konsumgenossenschaft

Textausschnitt: 23/N Alle noch folgenden administrativen Ausführungen des Fürstenspiegels über die Gründung und Regierung des Staates (institutio regni und gubernatio regni, I, 12 bis Schluß) stehen unter dem Gesichtspunkt des höchsten Lebensziels. Am deutlichsten läßt sich das an der Behandlung der Wirtschaft (II, 3) ablesen. Der Zweck der Wirtschaft - Beschaffung der materiellen Güter - ist lebensnotwendig und daher gut (denn »für den Notleidenden ist es besser, zu Besitz zu kommen als zu philosophieren«), aber dieses Ziel ist kein Selbstzweck und daher der Staat auch nicht die Produktions- und Konsumgenossenschaft, als die er sich heute fast ausschließlich darstellt. Reichtum um des Reichtums willen, ohne Bezug auf die Vollendung des Menschen, ist sinnlos und daher verwerflich. Daraus folgen dann die »antikapitalistischen« Restriktionen des Fürstenspiegels. (87; Fs) (notabene)
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... Damit tritt das Problem des Verhältnisses von Kirche und Staat auf, bei dessen Lösung Thomas sicher zwischen zwei Extremen hindurchsteuert: der Politisierung der Religion im Sinne der vorchristlichen Antike oder gegenwärtiger theologischer Bestrebungen einerseits, der Klerikalisierung der Politik im Sinne der Theokratie anderseits. Die Kirche als Trägerin des höchsten Lebenszwecks muß zwar der politischen Gewalt übergeordnet werden, damit wird der Fürst jedoch nicht Amtsträger der Kirche; die Hierarchie der Lebenszwecke nimmt auf keiner Stufe den Lebensbereichen ihre Eigenständigkeit, wohl aber, wie wir sahen, ihre absolute Autonomie. Daher unterwirft sich der christliche Fürst eines christlichen Volkes der kirchlichen Herrschaft, soweit es das transzendente Ziel des Christen erfordert, und führt die Politik im Hinblick auf dieses Ziel; aber er führt sie selbständig und kraft der Autorität menschlicher Vernunft in eigener Verantwortung, weil das Amt der Kirche nicht weltlich ist. Bei Thomas hört mit anderen Worten die politische Geschichte auf, unmittelbar Moment der Heilsgeschichte zu sein; erst die neuzeitlichen Ideologien werden den Staat wieder zum Werkzeug der Erlösung des Menschen und die Politik damit zur fürchterlichen Macht einer absolut existenzentscheidenden Religion steigern.

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_075a4, Ist die Seele der [ganze] Mensch?; Substanz, Einteilung: vollständige, unvollständige S. (incompleta in ratione speciei tantum), selbständige, unselbständig, vollselbständig (Hypostase, Persoen)

Kurzinhalt: Das Vollselbständige, das eine vernünftige Natur hat, wird Person genannt. Das Vollselbständige verhält sich zum Wesen, zur Natur, wie das Ganze zu seinem bestimmtheitlichen (formalen) Teil. Daher ist das Vollselbständige das, was ist ...

Textausschnitt: [16] Zu S. 18.

16a Die Substanz wird bestimmt als ein Seiendes, dem es zukommt, an und für sich zu sein und nicht an einem andern. Von ihr verschieden ist das Akzidens als ein Seiendes, dem es zukommt, nicht an und für sich zu sein, sondern an einem andern. Die Substanz fassen wir auf 1. als den Träger der Akzidentien, dem diese anhaften, 2. als an und für sich seiend, sich selbst tragend, im Gegensatz zum Sein an einem andern, zum Anhaften nach Art der Akzidentien. (Fs)

16b Die Substanz wird eingeteilt in die vollständige und die unvollständige Substanz. Die unvollständige Substanz wird weiter eingeteilt in eine solche, die nur als Art unvollständig ist (incompleta in ratione speciei tantum): die menschliche Seele, und eine solche, die auch als Substanz, als Grund des Fürsichseins unvollständig ist (incompleta in ratione speciei et substantialitatis): der erste Stoff und jede andere in den Stoff aufgenommene substantielle Form. Vollkommen ist der Substanzbegriff verwirklicht nur in der vollständigen Substanz, die ein eigenständiges Vollwesen ist. Daher ist schon die menschliche Seele, obwohl nur unvollständig als Art, nicht vollkommen Substanz, weil sie eine unvollständige Wesenheit ist. Sie enthält aber noch das eigentliche Wesen des Substanzseins in sich, weil sie, auch vom Körper getrennt, die geistigen Akzidentien (Verstand und Willen) trägt und für sich ist. In der Substanz jedoch, die auch als Substanz unvollständig ist, bewahrheitet sich das eigentliche Wesen des Substanzseins nicht mehr, weil sie nicht fähig ist, weder Akzidentien, noch sich gelbst zu tragen. Denn der tragende Untergrund der körperlichen Akzidentien ist nicht der Stoff oder die Form, sondern nur das aus Stoff und Form zusammengesetzte Ganze; sie sind auch nicht fähig, für sich zu sein, sondern nur das Ganze. (Fs) (notabene)

16c Eine weitere Einteilung der Substanz ist die in eine selbständige und eine unselbständige Substanz. Selbständigkeit bedeutet für die Substanz Unabhängigkeit im Dasein sowohl von einem Träger, dem sie (wie das Akzidens) anhaften würde, als auch von jedem anderen substantiellen Wesen, mit dem sie das Dasein in der Weise gemeinsam hätte, daß sie dasselbe nicht für sich allein besäße. Die Substanzen, die unvollständig sind als Substanzen, wie der erste Stoff und alle Formen außer der Menschenseele, sind auch unselbständig. Wenn sie auch nicht wie die Akzidentien einem Träger anhaften, so können sie doch nur mit einer anderen Teilsubstanz Dasein haben. Die selbständige Substanz ist also eine solche, die ihr Sein weder an einem andern, noch mit einem andern gemeinsam, sondern für sich allein hat. Die selbständige Substanz ist unvollkommen selbständig, wenn sie zwar ihr Sein für sich allein hat, ihrer Natur nach aber dennoch darauf hingeordnet ist, mit einem andern ihr Sein zu haben. Dies ist der Fall bei der Substanz, die unvollständig ist als Art, vollständig aber als Substanz: bei der menschlichen Seele. Denn die vom Körper getrennte menschliche Seele hat ihr Sein für sich allein, jedoch so, daß sie ihrer Natur nach eine dem Stoff mitteilbare Form ist und mitgeteilt das Sein gemeinsam mit dem Stoff hat. Jener Substanz jedoch, die auch als Art vollständig ist, kommt es zu, Vollselbständiges (Hypostase, suppositum) zu sein. Das Vollselbständige ist schlechthin in jeder Weise unmitteilbar und in der Ordnung des Fürsichseins ganz vollkommen, d. h. es ist unmitteilbar für sich seiende Einzelsubstanz. Das Vollselbständige, das eine vernünftige Natur hat, wird Person genannt. Das Vollselbständige verhält sich zum Wesen, zur Natur, wie das Ganze zu seinem bestimmtheitlichen (formalen) Teil. Daher ist das Vollselbständige das, was ist; die Natur ist das, wodurch es dieses Artbestimmte ist. Das Vollselbständige als das, was ist, ist auch das, was tätig ist; die Natur ist das, wodurch es tätig ist. Daher der Grundsatz: die Tätigkeiten gehören dem Vollselbständigen an (vgl. GrPh 2, 109 ff.). (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Verhältnis: habitus - actus, Habitus zw Potenz und Akt

Kurzinhalt: führende Rolle der praktischen Vernunft: nicht intellektualistische im Sinne des Sokrates; dazu bedarf es des Willens, der habituell gefestigten Bestimmtheit des Wollens und Begehrens

Textausschnitt: 5/E4 Die menschliche Handlung, die von der begrifflichen Erkenntnis als einzeln und für sich bestehender Akt erörtert werden kann, steht in der Lebenswirklichkeit im Zusammenhang mit bestimmten Dispositionen des Handelnden, mit sittlicher Sinnesrichtung, guter oder schlechter Gewöhnung, mehr oder minder dauerhaften Signaturen der Willenstätigkeiten, die unter den Begriff des Charakters fallen. Darum muß auch die ethische Theorie das Verhältnis zwischen actus und habitus ins Auge fassen, näherhin die sittliche Zuständlichkeit als vorangehenden und beeinflussenden Faktor der Handlung wie als ihr folgenden und beeinflußten.
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6/E4 Man wird bei Thomas die Verknüpfung des Psychologischen mit den festen Voraussetzungen aus der allgemeinen Seinsordnung auf keiner Seite vermissen. Schon seine Auffassung des auf Handeln gerichteten Habitus als einer latenten, aber innerlich bereits geformten Energie weist auf das grundsätzliche Seinsverständnis nach Akt und Potenz zurück, zwischen welchen beiden die Qualität Habitus in der Mitte liegt, weil sie uns nicht erst vermöglich (potentes) macht, überhaupt zu handeln, sondern tüchtig oder untüchtig (habiles vel inhabiles), das, was wir kraft der Vermögen können, gut oder schlecht zu tun. Der Anteil des Unbewußten in unserm sittlichen Haushalt kommt in der Veranschlagung des Triebhaften, das unser Handeln mitbestimmt und von diesem rückläufig wieder Zufuhr oder Schwächung erfährt, zu gerechter Geltung. Die führende Rolle der praktischen Vernunft als des vorangehenden Urteilsvermögens wird von Thomas nicht intellektualistisch im Sinne des Sokrates verstanden,

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Naturgesetz (vierfacher Hinweis) - Gewissen; lex aeterna, lex naturalis, praktische u theoretische Vernunft

Kurzinhalt: Erstens, es heißt Naturgesetz, weil es von Natur aus erkannt wird, ... Zweitens ist sein Aufleuchten in unserm Geiste nicht das wesenhafte Gotteslicht selber, ...

Textausschnitt: ... Es ist die lex naturalis, das sittliche Naturgesetz, jener Reflex des ewigen Gesetzes, der die oberste Regel der Vernunft ist, eng genug mit ihr verbunden, daß sich von ihm sagen läßt: es gehört zum Wesen des Naturgesetzes, Vernunftgesetz zu sein. (69; Fs)

9/E4 Um das Naturgesetz nach Wesen und Rolle nicht zu verkennen, ist ein vierfacher Hinweis erfordert. Erstens, es heißt Naturgesetz, weil es von Natur aus erkannt wird, aus eigener Kraft der Seele, wenn auch erst mit reifendem Bewußtsein und unter der Zufuhr der lebendigen Erfahrung. Zweitens ist sein Aufleuchten in unserm Geiste nicht das wesenhafte Gotteslicht selber, sondern ein gewisses Bild (quaedam imago) des ewigen Gesetzes und der göttlichen Wahrheit als Gesetzgeberin, getragen von unserer Vernunft. "Die menschliche Vernunft aber ist nicht für sich selbst schon die Regel der Dinge, sondern naturhaft sind ihr Ursätze eingeschrieben als gewisse allgemeine Regeln und Maße alles dessen, was der Mensch zu tun hat ." Die natürliche Vernunft ist das Ebenbild des ewigen Gesetzes, das wir so, wie es im Geiste Gottes selbst ist, nicht kennen . Drittens, dieses ewige Gesetz teilt sich in abbildlicher Vermittlung dem endlichen Wesen in Form einer natürlichen Erkenntnis der Normen, aber auch als Neigung und Willensrichtung mit; es ist nicht nur erhellendes, auch wärmendes und belebendes Licht. Viertens endlich, es ist das Gesetz für ein freies Wesen, das dank seiner Freiheit so zu ihm gestellt ist, daß seine Teilnahme am ewigen Gesetz nicht anders zustande kommt, als daß es sich das natürliche aktiv und sich selbst bestimmend erst zum eigenen macht, nach dem Wort des Paulus "sich selbst Gesetz wird" (Rom. 2, 14). Es ist der höchste Grad von Menschenwürde, aus freien Stücken, ohne Zwang und fremden Antrieb, den Weg des Guten zu gehen . Alsdann wird das Gesetz im Innern dem Gehorsamen auch zum Band der Teilhabe am Walten der Vorsehung. (69f; Fs) (notabene)

10/E4 Wie aber kommt das Naturgesetz zu unserer sichern Kenntnis, und welche Weisung ergeht aus ihm? Unsere Vernunft äußert sich mit dem Charakter der Aussage und des Urteils, zugleich auch mit dem Charakter des Geheißes oder der Warnung. Sie hat vom Seienden den Begriff des Ist und des So, und wiederum den Begriff Gut und Soll oder Soll-nicht. Als eine und dieselbe in zweierlei Weise berührt und bewegt, ist sie eine erkennende und eine auf Wollen und Handeln gerichtete - oder vielmehr ausgedehnte. Denn der Stamm der praktischen Vernunft kommt aus der Wurzel, durch die der Stamm der theoretischen mit dem Sein vergründet ist. Sage ich praktische Vernunft, so ist die theoretische von selbst mitausgesagt. Ergehen aus der praktischen gewisse Forderungen vom Charakter der Notwendigkeit, so wären sie gar nicht die Empfängnisse eines Vernunftwesens, sondern zwanghaft wirkende Instinkte, wenn sie nicht im Lichte irgendwelcher Erkenntnis sich als das, was sie sind und was sie erheischen, zu erkennen gäben. Es ist aber nicht nur ein Verhältnis des Zündens und Leuchtens von der einen zur andern, von der lichthabenden zur lichtlosen, sondern beide teilen sich in eine ursprüngliche Lichtquelle als gemeinsamen Besitz. Die theoretische Vernunft hat gewisse, von selbst einleuchtende Urgesetztheiten des Denkens (wie das Gesetz der Identität, des Widerspruchs und der Kausalität), prima principia, in denen der Verstand mit dem Sein selbst übereinstimmt, Bestimmtheiten vom göttlichen Weltgrund her (in welchem Denken und Sein schlechthin dasselbe ist), daher ist sie vom Charakter des Ewigkeitlichen, über Handel und Wandel des Menschen erhaben und unveränderlich. Nun ist im Theoretischen die Vernunft unausweichlich an ihren elementarsten Ursatz, den der Identität, gebunden: dieses ist dieses und nichts anderes. Im Praktischen aber lautet er für sie: dieses ist das Gesollte, oder dies soll das sein. So hat im Grunde auch die praktische Vernunft das Wahre zum Gegenstand, ihrerseits aber als Maßstab des Handelns und Weisung an den Willen, der nun der ursprünglichsten, ihm sowohl Urteil wie Antrieb mitteilenden Information nicht entrinnen kann: das Gute ist das, was getan und angestrebt, das Böse ist das, was unterlassen werden muß (i II 94, 2) . (70f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Gnade

Kurzinhalt: Dieses übernatürliche Kräftesystem ist in dem Wort Gnade (von genäden, sich niedern, niederlassen) befaßt.

Textausschnitt: 16/E4 Mit höchstem Nachdruck muß betont werden, daß im System des Thomas die Ethik nur in organischer Verbindung mit der Moraltheologie gegeben ist, deshalb nämlich, weil er die Menschennatur im Sinne des christlichen Lebensbegriffes als den geöffneten, empfänglichen, zur Ergreiflichkeit befähigten Grund und Ansatz für eine überragende Wirklichkeit versteht. Weder die Vernunft noch der gute Wille noch die natürliche Tugend haben im Bereich des Sittlichen den Charakter des Letzten, Abschließlichen und Vollkömmlichen: wir sind nicht mehr der Mensch in der ursprünglichen Unversehrtheit dieses Gotteswerkes, () Dieses übernatürliche Kräftesystem ist in dem Wort Gnade (von genäden, sich niedern, niederlassen) befaßt. Wie aber der Fall des Menschengeschlechts in geschichtlicher Zeit geschehen ist, so griff und greift auch das Gnadenwirken Gottes in die von Zeit und Freiheit bedingte, von Entwicklung und Entscheidung bewegte Welt des Geschichtlichen ein. Die Tatsachen der übernatürlichen Offenbarung, des in zeitlichem Fortgang sich enthüllenden göttlichen Heilswillens, entzünden dem Erkenntnisleben ein dem Verstande überlegenes, aber ihn und den ganzen Menschen über sich hinausführendes Licht, und sie vergewissern den im Glauben sich öffnenden einer Wirklichkeit, durch die der Mensch erst mit der innern Proportion zu dem schauend-liebenden Gottbesitz begabt wird, zu dem er seiner Natur nach in der Disposition ist, ohne daß er kraft der Natur allein jene letzte und höchste Bestimmung erfüllen konnte. Das sittliche Endziel des motus in Deum wird nicht gewonnen ohne die religiöse Ergebung in das heilschaffende Wollen und Wirken des Deus movens.

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Omne agens agit propter finem; Teleologie des Sittlichen; Monismus: monistische Auslegung des Zweckhaften

Kurzinhalt: ... wonach also der Zweck objektiv von innen heraus das Werden der Dinge bestimmt; er ist als ein Ziehen (trahere) wirksam in allem, was sich regt und wegt, ja er ist "das Beste bei jedem Ding".

Textausschnitt: 1/E1 Omne agens agit propter finem: alles Tätige ist zweckhaft tätig. Dieser Satz der Seinslehre des Thomas ist die Grundlage für die Betrachtung des Zweckes im Sittlichen, die seine Ethik eröffnet. Man muß sich von Anfang klar darüber sein, daß seine Teleologie, also die Lehre, nach welcher die Bewegung des Weltgeschehens von Zweckursachen beherrscht wird, nicht nur als Prinzip des menschlichen Denkens (wie bei Kant und anderen) gemeint ist, sondern als konstitutiv für die Außenwelt selbst, wonach also der Zweck objektiv von innen heraus das Werden der Dinge bestimmt. Er behauptet in der Ordnung der Ursachen den höchsten Rang, er ist die Ursache der Ursachen, er ist als ein Ziehen (trahere) wirksam in allem, was sich regt und wegt, ja er ist "das Beste bei jedem Ding". (45; Fs)

2/E1 Eine Teleologie des Sittlichen losgetrennt von der allgemeinen Teleologie der Seinswelt überhaupt ist also bei Thomas schon deshalb nicht zu erwarten, weil ihm der Zweckgedanke nicht nur eine subjektive Angelegenheit des Menschen ist. Wird aber das Dasein und die Wirksamkeit von Zweck auch für die außermenschliche Dingwelt angenommen, so ist zunächst die Anschauung möglich, daß das Zweckliche in der Natur der Dinge selbst gelegen ist. Bei dieser immanentistischen oder monistischen Auffassung hat sich die wissenschaftliche Naturerklärung, wenn sie schon den Zweckgedanken wenigstens methodisch als menschlich gemäßen Erklärungsgrund nicht entbehren wollte oder konnte, in alter wie in neuer Zeit beruhigt. Von den Griechen bis heute erhob sich immer wieder ein aus tiefer Abneigung oder aus wissenschaftlichen Beweggründen hervorgehender Einspruch gegen die teleologische Betrachtung des Weltprozesses überhaupt. Aber trotz Bacon, Descartes und Spinoza war sie im 18. Jahrhundert, so mit Leibniz, wieder zur Stelle, und auch das Jahrhundert Darwins und Nietzsches hat ihre Geltung so wenig gebrochen, daß die jüngste Wissenschaft von den Lebensvorgängen mit Anaxagoras, Platon und Aristoteles wiederum auf gutem Fuße steht. (45f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Teleologie, Transzendenz; Aristoteles (Feldherr); appetitus naturalis; agere ad / propter finem; Mensch: Beweger seiner selbst

Kurzinhalt: monistische Auslegung des Zweckhaften: gegen die Folgerung einer "transzendenten" Teleologie;

Textausschnitt: 3/E1 Die genannte monistische Auslegung des Zweckhaften sträubt sich gegen Folgerungen, die eben jene Griechen schon gezogen haben, daß nämlich Teleologie notwendig eine transzendente, d. h. eine über die Dinge als solche hinausgehende sein müsse. Sie sagten sich: wenn in der Welt eins nach anderm strebt, weil es ihm taugt, wenn Teile sich zu einem Ganzen finden, wie Arm und Bein und Aug und Ohr beim Lebewesen, so muß irgendwie die Ganzheit vor dem Gliedlichen bestehen, muß etwas Vorgegebenes mitbestimmend sein für gerichtetes und zielendes Geschehen in der Gegenwart, muß es nicht nur Dinge neben Dingen, sondern die Dinge als Dinge einer sie verbindenden, unter sich befassenden Ordnung geben, die notwendig als aus Geist entspringende zu denken ist. Mag auch nichts ohne Ursache geschehen und das Gesetz der Kausalität ohne Ausnahme gelten, so erklärt doch die Ursachenkette nicht die Richtung und Zweckverfolgung und bedarf es über der kausalen Betrachtung, obzwar die Ursächlichkeit als für sich allein wirksam gedacht werden kann, zum vollen Verständnis der Natur auch der teleologischen, von der die kausale ja nicht aus-, sondern eingeschlossen wird, so allen Ernstes, daß sie auch vor der Tatsache der Zweckstrebigkeit selbst die Frage nach der Ursache stellt. Daraufhat nun Aristoteles geantwortet, daß die innerhalb der Dinge wirksame Zweckläufigkeit auch in einem an und für sich seienden, dem Weltganzen selbständig gegenüberstehenden Urheber enthalten sein müsse. Die Zweckordnung, die den Dingen der bewegten Welt inneliegt, hat ihre letzte Ursache in einem geistigen Prinzip. Es ist, sagt er, wie bei einem Heere. "Denn hier liegt das Heil in der Ordnung, und zugleich ist der Feldherr das Heil des Ganzen. Und zwar ist es dieser in höherem Grade; denn nicht er besteht durch die Ordnung, sondern die Ordnung besteht durch ihn.(46; Fs)
4/E1 In der Welt nun ist schließlich alles aufeinander angelegt, wenn auch nicht alles in gleicher Würdigkeit: Fische, Vögel, Pflanzen. Und dabei ist es nicht so, daß eines ohne Beziehung zum andern da wäre: ganz im Gegenteil, alles ist zu Einem Ziele geordnet." Wie die Reihe der Ursachen auf ein Erstes führt, so die Reihe der Zwecke auf ein Letztes. Dieses Erste und Letzte ist das göttliche Denken. Diese teleologische Anschauung der Welt war dem christlichen Denken natürlich angemessen und liegt auch der Metaphysik des Thomas zum Grunde, bei dem sie nun freilich auch ihre eigentümliche Erweiterung und Vertiefung erfährt, wie dies von der christlich-theologischen Auffassung der Wirklichkeit, die sich nicht in Natur allein erschöpft, notwendig gefordert wird . Er betrachtet den auf Ziel und Zweck gerichteten Zug der Schöpfung in allen seinen Formen und auf allen ihren Stufen. Ein voranleuchtendes Denken beherrscht die ganze Welt der Dinge, mögen auch der Grad und die Art ihres Teilnehmens daran verschieden sein. In ihm gründet die Schwerkraft des Steins, die unbewußte Regung und Gestaltung der Pflanze, der Lebensvorgang jedes Organismus, der Instinkt des Tieres, das menschliche Denken nach Gesetzen, schließlich auch der Zug des Geistes und Herzens nach Gott. Deus convertit omnia ad seipsum. Jegliches hat seinen natürlichen Trieb und Drang in sich, den appetitus naturalis, ihm selbst unbekannt oder weniger oder mehr bewußt. Zum Streben und Wollen wird diese Hinordnung auf Ziel erst auf der Stufe, wo sinnliches oder geistiges Erkennen vorhanden ist, im Tier und im Menschen. Das vernunftlose Wesen hat ein endgerichtetes Wirken nur im Sinne des "auf etwas zu" (agere ad finem), dem vernünftigen allein ist es eigen, mit Bewußtsein des Zweckes, "wegen etwas", zu handeln (agere propter finem). (46f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: voluntarium, electio, liberum arbitrium; Moralität - abhängig von: Inhalt, Zweck, Umstand

Kurzinhalt: Beispiel: Kirchenraub zum Zweck von Almosen; der gute Zweck rechtfertigt nicht die schlechte Handlung; Balance zwischen materialer und formaler Ethik

Textausschnitt: 2/E4 Thomas bestimmt sie im Unterschied gegen die allen Seelwesen gemeinsamen Tätigkeiten als die aus überlegtem Willen (ex voluntate deliberata) entspringenden. Dabei wird der Wille, wie bereits gesagt, als intellektives Strebevermögen gefaßt. Das kommt in den tragenden Begriffen der Handlungslehre, deren verwickelte historische Vergangenheit (Aristoteles, Stoa, Augustin, Boethius) auch in der Anwendung bei Thomas noch durchschlägt, zum deutlichen Ausdruck. Das Freiwillentliche (voluntarium) bedeutet ihm nicht nur einen Willensakt überhaupt, vielmehr auch im besondern eine Willenswirke, die so in unserer Gewalt steht, daß sie ausgeführt wie unterlassen werden kann, wobei denn auch die Unterlassung das Merkmal der Freiwillentlichkeit annimmt . Die freie Wahl (electio), die Entscheidung, ist in sich selbst ein Willensakt, aber folgend einer Überlegung der Vernunft, deren Vorrecht es ist, dem Wollen mit dem freien Urteil (liberum arbitrium) voranzugehen, mit ihrem Lichte erst die Dinge so beleuchtend, daß sie dem Willen als Dinge von diesem Sosein und diesem Wert oder Unwert erscheinen können. So gründet die Freiheit schließlich in der Vernunft, die nun ihrerseits, wie sich zeigen wird, als weisende und gebietende wiederum die Forderungen einer höheren Instanz anmeldet. (66; Fs)
3/E4 Die Moralitat einer Handlung liegt in ihrem Verhältnis zur sittlichen Ordnung, deren innermenschliches Organ die praktische Vernunft ist. Bei der Bestimmung dieses Verhältnisses zur gesollten Vollkommenheit der Handlung ist dreierlei maßgebend, der Gegenstand oder Inhalt, der Zweck oder die Intention und die Umstände. An einem Beispiel, wie "Fremdgut von heiligem Ort nehmen, um Almosen zu geben", läßt sich die thomistische Analyse der Handlung faßlich vor Augen führen . Der Kirchenraub ist moralisch ein einziger Akt, aber begrifflich zerlegbar in den inneren des Willens und den körperlich ihm folgenden äußeren. Der innere besteht aus dem aktuellen Wollen selbst und dem, worum es sich bei der Handlung dreht, der Gesamtheit ihres Inhalts (der materia circa quam). Form, Gestalt und Seele empfängt die Handlung von der Zweckbeziehung, aber auch der Wahl der Mittel. Die der Materie nach schlechte Handlung Kirchenraub wird nicht gerechtfertigt durch den guten Zweck Almosen (wie umgekehrt die materiell gute Handlung durch schlechten Zweck geschädigt wird, etwa Geschenkmachen in der Absicht, zu verführen). Sittlich differenzierend und artbestimmend wirkt beim genus Diebstahl noch der Umstand "von heiligem Ort" im Sinne der Erschwerung von Übel und Schuld. Die Handlung als ganze hat zur Grundlage, ohne die sie nicht menschliche wäre, den Willensakt. (66f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Agit unumquodque ratione formae; Bewegung: Mittleres zw. Möglichkeit und Wirklichkeit; Zeit: Zweck

Kurzinhalt: Vollendung: einerseits gegeben, andrerseits nicht gegeben; via perfectionis -> bene esse; steht der Zweck als Letztes, im Meinen und Wollen aber ist er und muß er das Erste sein

Textausschnitt: 1/E2 Agit unumquodque ratione formae. Jegliches ist tätig in Bezogenheit auf seine Form; die Natur der Dinge ist die Richtschnur ihrer Tätigkeit. Alle Naturwesen verraten die Bestimmung, die in ihnen angelegte Gestaltlichkeit, eidos oder species, zu verwirklichen, vielmehr die Wirklichkeit dieses ihres höchsten Seinszweckes voll und rein zu erlangen. Die Natur des Dings ist in allem das Erste, und wie jede Bewegung von einem Unverweglichen ausgeht, ist das Natürliche und Unverwegliche der Form oder Wesenheit Grundlage, Prinzip und Richte für alles andere, auch die Tätigkeit, das Wollen und Streben . (49; Fs) (notabene)
2/E2 Die Bewegung der Dinge, den Menschen inbegriffen, ist Tätigkeit des Unvollendeten, d. h. in Möglichkeit Befindlichen als eines solchen (I 18, 1; 1 II 31, 2 zu 1); denn was in Möglichkeit ist, ist immer unvollendet. Die Bewegung selbst ist ein Mittleres zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit. Ihre Art und Wesenheit aber empfängt sie nicht von ihrem Ausgangs-, sondern von ihrem Zielpunkt. Diese Bestimmungen des Bewegten gelten auch in der Metaphysik des Verlangens nach Wirklichung und Vollendung bei den mit solchem Verlangen begabten Wesen. Ihre Vollendung ist einerseits gegeben, andrerseits nicht gegeben. Das erstere trifft zu von ihrer naturgegebenen, der Zwecktätigkeit vorschwebenden und ursächlich wirkenden Bestimmung, das andere von eben dieser Tätigkeit zu Ziel und Zweck. Von diesem Vollendungsweg (via perfectionis) gilt der Satz, daß eines jeglichen Vollendung hauptsächlich in der Hinsicht auf das, was es seiner Natur nach sein soll, betrachtet wird (1 II 55, 1). Um so näher reicht es an seine ihm gemäße Vollkommenheit, je mehr es seine eigentümliche Bestimmung bis zum höchsten Maße der ihm eigentümlichen Kraft erfüllt, sei es der zügig schwingende Hammer, der vollauf fruchtende Baum oder der Steuermann, der sein Schiff im Sturme meistert. Angelangt in diesem Erfüllungsstande ist das Ding in seiner Wirklichkeit, sein Sein ist gediehen bis zu seinem Sollen, es ist nicht nur ein esse, sondern ein bene esse, es hat, indem es so "in Form" ist, sein Gutsein: man kann ihm gleichbedeutend die Namen Vollkommenheit (perfectio), Gutheit (bonitas) und Tucht oder Tugend (virtus) zuerkennen. (49; Fs)

3/E2 Nun zeigt sich, wie bei der Betrachtung von Möglichkeit und Wirklichkeit, von Abzwecken und Zweck, so auch beim Vollendungsweg ein eigentümliches Verhältnis zur Zeit. Sieht man auf den Werdegang eines Dings in der Ordnung des tatsächlichen Geschehens, so ist das Unvollendete früher als das Vollendete; allmählich erhebt sich der Bau und wächst in den Stand des Fertigseins. Umgekehrt geht nach der Ordnung der Natur das Vollkommene dem Unvollkommenen voran, denn es muß irgendwie schon bestehen, wirklich und wirksam sein, damit ihm das Werdende entgegenarten kann; die Wesenheit Haus ist fertig im Entwürfe da, bevor es im Stofflichen zustande kommt. In Verfolg und Ausführung steht der Zweck als Letztes, im Meinen und Wollen aber ist er und muß er das Erste sein. (50; Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Omne agens agit propter bonum; Kant, Pragmatismus; 2 Betrachtungen von Seiend: wahr, gut;

Kurzinhalt: Kant sah zwischen Sein und Gut keinen ursprünglichen Zusammenhang; verschiedene Grad von wahr und gut; metaphysische Gutheit als Grundlage der psychologischen; Ziel d. Ethik: Verähnlichung mit Gott

Textausschnitt: 1/E3 Omne agens agit propter bonum. Alles Tätige ist tätig wegen Gut. Dieser Satz gilt in der Ausdehnung auf die natürliche und die sittliche Welt. Zu seiner tieferen Erfassung ist es notwendig, auf andere Grundsätze der Seinslehre zurückzugreifen. (51; Fs)
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3/E3 Die Antwort auf diese Frage ist in der Geschichte des Denkens nicht einhellig ausgefallen. Platon glaubte, Gut sei die allgemeinste aller (selbständig wesenden) Ideen, ohne die kein Ding gut sein könnte; Kant sah zwischen Sein und Gut keinen ursprünglichen Zusammenhang, so daß er auch die verpflichtende Natur der sittlichen Ordnung nicht weiter zu begründen und von nichts anderem abzuleiten vermochte; in der modernen Wertauffassung ist die vermeinte Unabhängigkeit der "Werte" vom Sein und von der Wahrheitserkenntnis - weiß Gott, sie stammen aus unerklärlichem Gefühl, aus unserm Willen von dieser und jener Art und Richtung, aus physischen und geschichtlichen Bedingungen - in den Pragmatismus ausgeschlagen, der das Denken unserm Wünschen und Wollen unterwirft und Wert und Gut in wechselndem Spiel von den Dingen und Handlungen aussagt, die den je und je verfolgten Zwecken, den Bedürfnissen des Augenblicks und der Gelegenheit, kurz dem "Leben" oder der "Praxis'' dienen. (51f; Fs)

4/E3 Anders die Antwort bei Thomas. Allerdings, sagt er, sprechen wir von Seiend und von Gut bei einem Ding unter verschiedenem Gesichtspunkt. Das eine Mal stellen wir als Erkennende sein Dasein, sein Sosein oder seine Wirklichkeit fest - wir nehmen die Beziehung der Wahrheit ein; das andere Mal berührt und bewegt uns das Ding als ein Begehrbares, es ist Gegenstand unseres Gutheißens, unseres Verlangens, der Liebe und Freude - wir finden uns in der Beziehung der Gutheit. Aber warum ist etwas solcherart bewegend und erstrebenswert? Der Grund liegt im Ding, in seiner Wirklichkeit, Vollkommenheit und Seinsfülle. Soweit es seiend ist, seinen wesensmäßigen Seinsgrad erfüllt, ist es gut, ein perfectum, und teilt sich als ein Gut mit, indem es auf den Empfangenden als ein perfectivum wirkt, auf welche Weise immer ihn bereichernd, beglückend, erhöhend. "Daher sind deutlich Gut und Seiend ein und dasselbe dem Ding nach, aber Gut besagt die Beziehung von Begehrbar, welche Seiend nicht besagt ." () Mit andern Worten, wie die Gleichung Seiend = Wahr gilt, so auch die Gleichung Seiend = Gut. Das Sein einer vollkommenen Rose ist wahr durch die Übereinstimmung mit ihrer Wesensnatur oder mit der Gestaltnis in Gottes schöpferischem Gedanken, sie ist als Erkannt-Seiendes Gegenstand der Wahrheit im Sinne der Beziehung zwischen Ding und Verstand, sie ist gut bei sich als seiendes, d. h. als seine Seinsform erfüllendes Ding, und sie ist Wert und Gut in Beziehung auf einen Menschen, der ihrer sich freut. Jene metaphysische oder objektive Gutheit ist der Grund der psychologischen oder subjektiven (wobei denn schon Fehlschätzung durch unser praktisches Urteil ins Spiel kommen kann). (52f; Fs)
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7/E3 Solange wir uns in der Ordnung des Geschöpflichen bewegen, wo Ding neben Ding, Gut und Wert neben Gut und Wert oder auch in der Stufung des Oben und Unten, des Mehr und Weniger an Seinsgehalt erscheinen, ist die Gestücktheit des Seins auch der Grund, daß Zweck und Gut nur im Sinne der Relativität in Rede stehen. Deshalb gerade erhebt sich die Frage nach der Absolutheit, dem höchsten Zweck als dem höchsten Gut und umgekehrt. Man kann sie von zwei Seiten her, von der Verfassung des dinglichen Seins und vom Verlangen des Menschen (desiderium hominis) ins Auge fassen: Auf dem einen wie dem andern Weg gelangt Thomas zu seiner Antwort. Von den Dingen her kommt die Auskunft, daß die Kreatur, auch die vollkommene, weder kraft ihrer selbst ist, noch als diese oder jene geprägte, gegrenzte, mit bestimmtem Seinsmaß versehene Form alles Sein in sich sammelt, also auch nicht das absolute und nicht das universale Gut sein kann. Vom Menschen her aber kommt der Bescheid, daß ebenso, wie sein Geist auf das allenthaltende Wahr (universale verum), so auch sein strebender Wille auf das allenthaltende Gut (bonum universale) gerichtet ist . So weist ihn gerade der Zug zur Vollendung, den er mit allen Wesen teilt, über sich und alle Welthabe hinaus auf die Erstursache und den Endzweck Gott als höchstes Gut. Danach ergibt sich folgerecht die Bestimmung des Menschen als die Verähnlichung mit Gott, welchen Sinn und Inhalt der sittlichen Bewegung die Ethik ins Einzelne darzulegen hat. (Daß sie auf dem bezeichneten Boden nicht eine rein formale ist, wie die kantische, die das Wesen des Guten in der reinen, zweckfreien Gesetzlichkeit als solcher sieht, vielmehr eine materiale, an die Objektivität von Ding und Wert gebundene, ist bereits deutlich geworden.) (53f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Homo naturaliter desiderat beatitudinem; die Glückseligkeit; Pax est tranquillitas ordinis

Kurzinhalt: drei Arten des Nützlichen: utile, delectabile, honestum;

Textausschnitt: 3/E4 Thomas unterscheidet vom absoluten Gut, welches das absolut vollkommene Sein ist, das relative Gut, als welches nur das relativ vollkommene Sein ist. Diese Welt des Bedingten ist objektiv gut in ihrer vom Schöpfer gestifteten Seinsverfassung, subjektiv gut als Zielgut des menschlichen Strebens. Als solches aber entfaltet es sich in den drei Arten des Nützlichen (utile), des Freulichen (delectabile) und des sittlich Würdigen (honestum). Das letztere behauptet als Maß und Schranke den Vorrang vor den beiden andern Arten von Gut, es ist, im Unterschied von diesen, begehrenswert um seiner selbst willen. Was immer aber die Bewegung eines Begehrens stillend beendigt, ist auch freulich. Da nun in der Wertstufe an unterster Stelle das Nützliche steht, das nicht den Charakter des Zweckes, darum des Guten, sondern des Dienlichen trägt, über ihm das Freuliche, das bedingterweise Zweck ist und sein darf, zuhöchst aber, weil es seinen Wert in sich selbst trägt und darum Zweck schlechthin ist, das honestum, so ist es, wegen eben dieses Charakters, als erfüllter Zweck auch erfüllendes Gut, d. h. begleitet von Glückseligkeit (versteht sich einer unvollendeten, der Zeitlichkeit gemäßen). Freuung folgt immer einem Gut, und immer ist Gut von Freuung begleitet. Wie also Gut seiner selbst wegen begehrt wird, so auch Freuung insofern, als sie nämlich Stillung und Beseligung im Zielgut des Willens ist. Darum kann Thomas sagen, es laufe auf denselben Sinn hinaus, daß man nach Gut und daß man nach Freuung begehrt, die ja nichts anderes ist als die Stillung der Begehr in Gut . Wenn er also an der Spitze seiner Ethik als Endzweck des menschlichen Lebens die Glückseligkeit hinstellt, so will erst die Auseinanderlegung dieses Satzes vernommen sein, bevor man das Verhältnis seiner Moral zum Eudämonismus beurteilt. (56f; Fs)

4/E4 Wie Thomas das Sittliche nicht wesentlich von Nutzen und Wohlfahrt bestimmt sein läßt, also nicht Utilitarist im Sinne der bekannten englischen Moralphilosophen des 17. und 18. Jahrhunderts oder der nicht erst lange philosophierenden Praxis einer vom Nutzen regierten Zivilisation ist, so ist seine Güterethik weder individual- noch sozialeudämonistisch. Er sagt nicht: Gut ist, was einen Willen oder eine Gemeinschaft befriedigt und weil es sie befriedigt; er sagt: Gut befriedigt den Willen, und zwar weil und insofern es Gut ist. Er kennt das Lustverlangen als seelische Triebfeder des Handelns, aber er macht es nicht zum letzten Wertmaßstab, so als ob das Glück in der Tugend auch der Zweck der Tugend wäre und ihren Gutcharakter bestimmte. Er baut nicht eine Ordnung der Dinge oder Werte auf das Ideal der Beglückung, er hält es umgekehrt mit der Wahrheit des Augustinus: Pax est tranquillitas ordinis, aus der Ordnung kommt die Ruhe. In der Fahndung nach dem wahrhaft beseligenden Gut streicht er in seinem Güterkatalog eins ums andere als nicht vollgenügend bis zum letzten, das allein die vollkommene Glückseligkeit gewährt - und dieses liegt jenseits von Welt und Dasein: die Einung an Gott in der Schauung seiner Wesenheit . (57; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Der Mensch als Selbstzweck (Kahn, Schiffer); Person - Gemeinschaft (congregatio humana)

Kurzinhalt: Homo animal rationale, animal sociale; dominium sui actus; Mensch: nicht im Dienste der Gattung -> wegen seiner selbst von Gott gewollt; Gemeinschaft: Gesellung von akzidentellem Charakter; unterhalb der Substanz Person

Textausschnitt: 3/E5 Der Mensch verhält sich zum Dasein nicht wie der Kahn zum Wasser, sondern wie der rudernde, lenkende Schiffer zu seinem Kahn. Er bestimmt sich seinen Zweck, und in Eigenbewegung verfolgt er ihn. Er ist über das Tier so weit erhaben als der Verstand über den Instinkt, aber er bleibt unter Gott, weil er das Sein nicht von sich selber hat, weil ihm letzte Formen und Inhalte des Denkens von Natur vorgegeben sind, sein Verhalten zu ihnen ein unausweichlich so bestimmtes ist, und weil seinen letzten Zweck nicht zu wollen ihm unmöglich ist . Aber weil dieser letzte Zweck, die Glückseligkeit in Gott, mit der Natur des Menschen übereinkommt, ist für das sittlich vollendete persönliche Wesen, in dem die Zweckbewegung des Weltganzen ihren höchsten Punkt erreicht, nicht abermals ein höherer Zweck zu suchen. Als vernünftige Natur hat es die Herrschaft, die freie Verfügung über sein Handeln (dominium sui actus), es liegt in seiner Gewalt, sich auf seine seelischen Wallungen einzulassen oder sie zurückzuweisen. "Das geistige Wesen ist um seiner selbst willen (propter se) ins Universum gesetzt, alles andere aber seinetwegen." Mag bei den untermenschlichen Wesen das Individuum im Dienste der Gattung stehen, nicht so ist es beim Einzelmenschen, weil er als Person in keinem Sinne "wegen eines andern", sondern "wegen seiner selbst von Gott gewollt" und als Selbstzweck, nicht als Mittel zum Zweck, auch in der göttlichen Weltregierung steht. Sein Rang als unsterbliches Gottebenbild, begabt mit dem Intellekt, der "gleichsam alles werden kann", als Natur, die begreifend und liebend die "Affinität zum Ganzen" hat, verbürgt ihm die freie Selbstbestimmung, das Fundament der Sittlichkeit und des Rechts2. Auch seine innere wesentliche Hinordnung auf Gott und Gottes Verherrlichung kommt überein mit der Vollkommenheit und Beseligung des eigenen Seins. (58f; Fs)

4/E5 Danach kann es nicht zweifelhaft sein, wie Thomas das menschliche Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft betrachtet. Die Fragestellung muß in seinem Sinne lauten: Wie stehen in der Seinsordnung Person und Gemeinschaft zueinander? Grundlegend für die Antwort ist die Erkenntnis, daß der Mensch als Natur, nicht aber als Person auf die Gemeinschaft hingeordnet ist. Die beiden Begriffe erfordern eine scharfe Scheidung. Die allen gemeinsame geistig-sinnliche Einheit Menschennatur wird von der individuellen, unmitteilbaren menschlichen Person getragen. Jene Natur ist in ihrem innersten Wesen sozial, der Gemeinschaft bedürftig, weil sie unvermögend ist, sich in allem selbst zu helfen; aus dieser Bedürftigkeit und Unvollkommenheit geht die Gemeinschaft hervor. Was ist sie? Eine "Gesamtperson"? Eine substantielle Wesenheit? Nein, sagt Thomas, sie ist nur eine Ordnungseinheit einer Vielheit mannigfaltiger, zur Gemeinsamkeit in der Verfolgung eines Zweckes hinordnungsfähiger Teile. Ihr Zweck aber ist das Gemeingut des bene vivere oder das sittliche Leben, das als solches auch das glückliche ist, genauer das Gemeingut der Gerechtigkeit und des Friedens1. Sie ist dem Einzelnen so nötig, daß er ohne sie ein Unmensch wäre. Und weil er zu ihr wie der Teil zum Ganzen steht, das Ganze aber in der Intention der Natur früher als der Teil und auch das Vollkommenere ist, so verpflichtet die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft, das Einzelwohl dem Gemeinwohl unterzuordnen: dieses ist besser und göttlicher als das Gut eines Einzigen, vorausgesetzt allerdings, daß es dort wie hier sich um dieselbe Gattung handelt. Aber die Gemeinschaft ist und bleibt doch nur eine congregatio (oder adunatio) humana, eine Gesellung von akzidentellem Charakter, und steht als solche in der Seinsordnung unterhalb der Substanz Person, die "das Vollkommenste in der ganzen Schöpfung" ist . (59f; Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Die Kräfte des Innenlebens; Voluntas est in ratione (Erkennen - Wollen)

Kurzinhalt: nil volitum nisi praecognitum

Textausschnitt: Mit der Antike unterscheidet Thomas in den Seelenvermögen das Geistige und das Sinnliche, in jedem Bezirke wiederum die nebeneinander wirkenden Grundkräfte des Erkennens und des Strebens . Die eine verhält sich passiv oder aktiv, wahrnehmend oder denkend, und sie hat es mit den ins Bewußtsein tretenden Dingen nach der Seite des Ob und Was zu tun; die andere, ein "Sichneigen in etwas hinein" (1 II 8, 1), sei es als sinnlich-animalische Begehr oder als vernunfthaft-willentliche Bewegung, ist Tendieren, Fühlungnehmen mit den Dingen nach ihrer werthaften Seite. Beide sind an Natur und Rang verschieden, aber gemeinsam ist ihnen, daß sie leidentliche Vermögen sind, sofern sie von etwas Wahrgenommenem bewegt werden. Damit ist auch schon die natürliche Verflochtenheit zwischen Denken und Streben im Subjekt ausgesprochen. Zur Tätigkeit des Verstandes braucht es Wollen, das Erkennen aber ist notwendige Voraussetzung des Wollens und Strebens: es kann nichts gewollt werden, was nicht zuvor erkannt ist (nil volitum nisi praecognitum); erst als Erkanntes ist das Ding Beweggrund meiner Wertung und praktischen Verhaltung. So an sich selbst betrachtet, zeigen also die seelischen Grundkräfte eine Ordnung, nach welcher der Verstand vornehmer ist als der Wille. Aber dem Gegenstande nach ist kein Primat des einen oder andern zu begründen. Denn beide gehen auf dasselbe Sein, der Verstand in Hinsicht auf seine geistige Erkennbarkeit, das Sein als Wahr, der Wille in Hinsicht auf seine Begehrbarkeit, das Sein als Gut. Darum ist der Wille die sittliche Grundkraft, aber angewiesen auf die vorgängige Funktion des erkennenden und urteilenden Vermögens. (60f; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Die sittliche Weltordnung

Titel: Die sittliche Weltordnung

Stichwort: Die menschliche Natur als Disposition für die Übernatur; Mond, Meer (Metapher für Selbst-Transzendenz)

Kurzinhalt: Die Natur des Menschen ist sich nicht selbst genug; sie ist defektiv in sich selbst, in der Natur ihres Willens, ihrer Freiheit ...; die Bestimmung des Ebenbildes Gottes liegt jenseits des Weltalls

Textausschnitt: 9/E5 Die Auslegung des Begriffes Natur bei Thomas ist so schwierig wie die des Vernunftbegriffs, weil im Gebrauch ihr Inhalt schwankt. ...
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10/E5 Für das Verständnis seiner Ethik ist am Begriff der Menschennatur eine grundsätzliche Verschiedenheit von der aristotelischen Auffassung notwendig zu beachten. Bei aller Enge des Anschlusses an den Griechen und die metaphysische Erotik der Neuplatoniker verläßt er diese Systeme gerade im Wesentlichsten, indem er das Weltsein als Schöpfungstat, das Menschenziel der liebenden Gottschauung als schlechthin jenseitig, die Menschennatur als Anlage und potentielle Bereitschaft für die Aufnahme einer im echten Sinne transzendenten, in freier Gnadenhaftigkeit sich schenkenden Ubernatur versteht . Das Geheimnis des geschaffenen Seins, einer uns unbegreiflich über dem Abgrund des Nichts vorhandenen gottähnlichen und -unähnlichen Wirkung ihres ewigen Ursachers, ist mit den Begriffen Potenz und Akt (in ihrem extremen Sinne reine Möglichkeit und reine Wirklichkeit) mehr nur festgestellt als erklärt. Aber diese Weise, das Natursein aufzufassen, hat die Tatsächlichkeit der Seinsbewegung, wie sie unserm geistigen Auge sich darstellt, auf ihrer Seite. Wir müssen beim Vergleich der Dinge ein Mehr und Weniger an Lebensgehalt, eine Stufung der Dinge nach ihrer Kapazität für das sie umgebende, zur Teilhabe stehende Sein und auch den durchgängigen Zug der niederen Lebenskreise nach dem je höheren und so für das Ganze ein Auslangen nach der Fülle des "Alles-zugleich-in-Einem" anerkennen. Den schlummernden Möglichkeiten reicht eine vorgängige Wirklichkeit die weckende, ziehende, aufrichtende Hand, um sie zur uranfänglich gemeinten Gestalt und Vollheit heraus- und heranzubilden. Auch der Mensch steht unter diesem Gesetz des Werde der du bist. Das alles hat die Antike schon gesagt, und sie hat der metaphysischen Begründung des weltinnerlichen Eros auch noch die religiöse Beseelung des Sittlichen durch den Gedanken der Nachfolge Gottes hinzugefügt. Thomas kennt das alles und verwendet es als Stoff zu seinem Bau, der indessen als Ganzes doch ein neues und anderes Gesetz in seinen Gliedern hat. (63f; Fs)
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11/E5 Die Natur des Menschen, sagt er, hängt von einer höheren ab, deshalb ist sie zu ihrer Vollendung nicht sich selbst genug. Sie ist nicht fertig, solang sie nur sie selbst ist, mag sie auch alles haben, was zu ihrem Begriff gehört. Dazu braucht es eine Teilhabe an der göttlichen Gutheit, die ihr kraft des eigenen Seins nicht möglich ist. Sie ist defektiv in sich selbst, in der Natur ihres Willens, ihrer Freiheit, ihres Verstandes, des "kleinen Lichtes", das eben ausreicht, "das Unserige" zu erkennen, aber gegen die offenbarsten Wahrheiten wie die Eule zur Sonne steht, vollends ermattet im Denken über Gott, das "unendliche Wesensmeer ". Sie ist überdies von der Erbsünde verwundet, kann sich aus sich selbst nicht rechtfertigen und bedarf dazu der Gnade, die als Besitz auch nur eines einzigen Menschen vom ganzen natürlichen All nicht aufgewogen wird. (64f; Fs)

12/E5 Aber dieses andern Seins ist der Mensch nicht nur bedürftig, sondern auch fähig, empfänglich, und er ist ihm zubestimmt und also pflichtig. Die Bestimmung des Ebenbildes Gottes liegt jenseits des Weltalls, als dessen Teil es da ist, und heißt - ipse Deus . Nata est ferri in Deum - es ist gottzügig von Natur. Wie alle geordneten Naturen ist es der Ort zweier sich begegnender Bewegungen, des Dranges zum eigenen Mittelpunkt und des exzentrischen zur höheren Form des Seins. Thomas gebraucht das Bild des bewegten Meeres, das zugleich dem Zug nach seinem Schwerpunkt und dem vom Mondeinfluß bestimmten Zentrum der Bewegung von Ebbe und Flut gehorcht . Folgenreich für die Ethik ist aber auch der weitere Gedanke, daß die Übernatur mit ihren Kräften nur dort ansetzen und wirken kann, wo die sittliche Verfassung bereits in ihrer gehörigen Ordnung ist. Der Grundsatz, daß die Gnade die Natur nicht aufhebt, sondern sie voraussetzt, verweist das moralische Streben und religiöse Leben mit allem Nachdruck auf den göttlichen Ernst der Endlichkeit. (65; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: Kommentar zu F1_027 - F1_043

Stichwort: S.th.1.q27 Kommentar: DIE GÖTTLICHEN HERVORGÄNGE

Kurzinhalt: In der vorliegenden Frage baut der hl. Thomas diese Lehre so auf: Es gilt, eine Art des Hervorgehens aufzuzeigen, die keine Trennung der Personen, d. h. keine Auflösung der Wesenseinheit in Gott bedeutet.

Textausschnitt: 27. FRAGE DIE GÖTTLICHEN HERVORGÄNGE

385a Die theologischen Spekulationen über die innergöttlichen Hervorgänge nahmen, wie gesagt, ihren Ausgang von der Frage: Wie kann unter Wahrung der Wesenseinheit in Gott eine Dreipersönlichkeit bestehen? In diesem Zusammenhang wird die Lehre von den göttlichen Hervorgängen schon in den ersten Ansätzen der theologischen Spekulation verwertet. Tertullian weist den Monarchianern gegenüber darauf hin, daß die Monarchie eines Königs nicht dadurch aufgehoben werde, daß der König einen Sohn zeugt, der dann an der königlichen Würde seines Vaters Anteil gewinnt. Wie aber in Gott der Ausgang des Sohnes aus dem Vater näherhin zu denken ist, führt Tertullian nicht weiter aus, wenn er auch gelegentlich schon andeutet, daß die Lösung in der Richtung eines intellektuellen innergöttlichen Lebensvorganges zu suchen sei. Erst Augustinus hat die heute allgemein angenommene Lösung gefunden. Für ihn ist der Sohn das innerlich vom Vater in der Erkenntnis Seiner eigenen Seinsvollkommenheit gesprochene WORT, das nicht aus dem Vater heraustritt, sondern wesentlich mit Ihm verbunden bleibt; der Heilige Geist ist die Vater und Sohn umspannende, von beiden ausgehende Liebe. (Fs)

385b Für die Ausgestaltung dieser Lehre waren verschiedene Ansatzpunkte in der Offenbarung gegeben. Wiederholt kehren in der Heiligen Schrift Ausdrücke wieder, die, wie Thomas sagt, "auf einen Hervorgang Bezug haben". Am bekanntesten ist das Wort des Herrn, mit dem Er den Heiligen Geist bezeichnet als "den Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht" (Jo 15, 26). Aber schon die Personennamen 'Vater', ,Sohn' und 'Geist' deuten auf ein Hervorgehen einer Person aus der anderen hin. Der Name 'Sohn' besagt zudem, daß das Hervorgehen der zweiten Person aus der ersten eine wirkliche Zeugung sei. Über die Art des Hervorgehens der dritten Person aus den beiden anderen macht die Offenbarung keine besonderen Aussagen; sie hebt nur hervor, daß es keine Zeugung sei; die zweite Person wird nämlich ausdrücklich als einziger und eingeborener Sohn bezeichnet. Das sog. Athanasianische Glaubensbekenntnis (5. Jhdt.) faßt dies so zusammen: "Der Vater ist von keinem gemacht, nicht erschaffen und nicht gezeugt. Der Sohn ist vom Vater allein, nicht gemacht, nicht erschaffen, sondern gezeugt. Der Heilige Geist ist von Vater und Sohn, nicht gemacht, nicht erschaffen, sondern ausgehend." (Fs)

385c Die zweite göttliche Person wird in der Offenbarung als das göttliche WORT (Logos) bezeichnet. Die altchristliche Tradition dachte bei dieser Bezeichnung in erster Linie an das äußere, offenbarende Wort. Der hl. Augustinus versteht es vorzüglich vom inneren, im Geiste geformten Wort. In seiner Erklärung des Prologs zum Johannesevangelium sagt er: "Auch wir haben Worte gesprochen, als wir redeten. War etwa ein solches Wort bei Gott? Sind nicht die Worte, welche wir gesprochen haben, verklungen und vergangen? ... Was für ein Wort ist also dasjenige, welches gesprochen wird und nicht vergeht? Es gibt ein Wort auch im Menschen selbst, das drinnen bleibt; denn nur der Schall geht aus dem Munde hervor. Es gibt ein Wort, welches wahrhaftig geistig gesprochen wird." In diesem innerlich gesprochenen Worte sah Augustinus ein Abbild des göttlichen WORTES. Damit war die psychologische Trinitätslehre begründet. (Fs)

386a In der vorliegenden Frage baut der hl. Thomas diese Lehre so auf: Es gilt, eine Art des Hervorgehens aufzuzeigen, die keine Trennung der Personen, d. h. keine Auflösung der Wesenseinheit in Gott bedeutet. Diese Art stellt Artikel 1 fest in der das innere Wort formenden Denktat des Geistes. Überträgt man diese Art des Hervorgehens auf Gott, dann zeigt sich auch, daß man diesen innergöttlichen Vorgang als Zeugung bezeichnen kann (Art. 2). Da jedes Geistwesen eine doppelte innenbleibende Lebenstätigkeit im Erkennen und Lieben ausübt, ist auch bei Gott noch ein zweiter innergöttlicher Hervorgang (Liebe) anzunehmen (Art. 3), der jedoch nicht Zeugung genannt werden kann (Art. 4). In diesen beiden Hervorgängen erschöpft sich das innertrinitarische Leben (Art. 5). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_027 Von der Hervorgängen der göttlichen Personen

Stichwort: Zeugung, generatio, Intellekt, Wort

Kurzinhalt: Das Verstehen ist bei uns nicht das Wesen des Verstandes selbst. Daher ist das Wort, das in uns gemäß der Verstandestätigkeit hervorgeht, nicht derselben Natur mit dem, von welchem es hervorgeht.

Textausschnitt: Zu 2. Das Verstehen ist bei uns nicht das Wesen des Verstandes selbst. Daher ist das Wort, das in uns gemäß der Verstandestätigkeit hervorgeht, nicht derselben Natur mit dem, von welchem es hervorgeht. Deshalb kommt ihm die Bewandtnis der Zeugung auch nicht im eigentlichen und vollen Sinne zu. Das göttliche Verstehen aber ist das Wesen des Verstehenden selbst (14, 4: Bd. 2); daher geht das hervorgehende Wort hervor als in derselben Natur für sich bestehend. Und deshalb wird es im eigentlichen Sinne gezeugt und Sohn genannt. Daher gebraucht auch die Schrift zur Bezeichnung des Hervorganges der göttlichen Weisheit jene [Namen], die zur Zeugung der Lebewesen gehören, nämlich Empfängnis und Geburt; denn es heißt Spr 8, 24 aus dem Munde der göttlichen Weisheit: Noch waren nicht die Abgründe und Ich war schon empfangen. Vor den Hügeln ward Ich geboren [7]. Bei unserm Verstande aber bedienen wir uns des Ausdrucks Empfängnis [= Begriff], insofern sich im Worte unseres Verstandes eine Ähnlichkeit mit dem verstandenen Wirklichen findet, mag sich auch die Gleichheit der Natur nicht finden. (11; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_027 Von der Hervorgängen der göttlichen Personen

Stichwort: Hervorgang (processio): Beleg in der Bibel; Hervorgang nach außen (Wirkung - Ursache): Arius, Sabellius; Analogie: Hervorgang im Intellekt

Kurzinhalt: Die göttliche Schrift gebraucht in den göttlichen Dingen Namen, die auf einen Hervorgang Bezug haben. Diesen Hervorgang aber haben die verschiedenen [Lehrer] verschieden aufgefaßt. Einige nämlich verstanden ...

Textausschnitt: ANTWORT: Die göttliche Schrift gebraucht in den göttlichen Dingen Namen, die auf einen Hervorgang Bezug haben. Diesen Hervorgang aber haben die verschiedenen [Lehrer] verschieden aufgefaßt. Einige nämlich verstanden diesen Hervorgang gemäß dem, wie die Wirkung hervorgeht von der Ursache. So verstand ihn Arius [2]; er sagte, der Sohn gehe vom Vater aus als dessen erstes Geschöpf, und der Heilige Geist gehe von Vater und Sohn aus als das Geschöpf beider. - Danach wäre weder der Sohn noch der Heilige Geist wahrer Gott. Das ist gegen das, was 1 Jo 5, 20 vom Sohne gesagt wird: [...] auf daß wir in dessen wahrem Sohne seien, dieser ist wahrer Gott. Und vom Heiligen Geiste heißt es 1 Kor 6, 19: Wisset ihr nicht, daß eure Glieder ein Tempel des Heiligen Geistes sind? Einen Tempel aber zu haben ist allein Gottes Sache. (4f; Fs)

Andere wieder verstanden diesen Hervorgang gemäß dem, daß die Ursache, wie man sagt, in die Wirkung hervorgeht, insofern sie diese bewegt oder ihr ihre Ähnlichkeit aufprägt. Und so verstand ihn Sabellius [3], welcher sagte, Gott Vater selbst werde Sohn genannt, insofern Er Fleisch annahm aus der Jungfrau. Und ebendenselben nennt er Heiligen Geist, insofern Er die vernunftbegabte Schöpfung heiligt und zum Leben bewegt. - Dieser Auffassung aber stehen die Worte des Herrn entgegen, der Jo 5, 19 von sich sagt: Aus sich kann der Sohn nichts tun; und vieles andere, woraus sich zeigen läßt, daß der Vater selbst nicht der ist, der der Sohn ist. (5; Fs)

Wenn man aber genau zusieht, so verstand jeder von diesen beiden unter Hervorgang etwas, das nach außen gerichtet ist. Also nahm keiner von ihnen einen Hervorgang in Gott selbst an [4]. Jeder Hervorgang aber erfolgt auf Grund einer Tätigkeit. Wie es daher auf Grund der Tätigkeit, welche auf einen Stoff außen abzielt, einen Hervorgang nach außen gibt, so wird auch auf Grund der Tätigkeit, die im Tätigen selbst bleibt, irgendwelcher Hervorgang nach innen angenommen. Am offensichtlichsten ist das beim Verstande, dessen Tätigkeit - das Verstehen nämlich - im Verstehenden bleibt.1 Wer immer nämlich versteht - in dem, daß er versteht, geht etwas in ihm hervor, nämlich der Begriff des verstandenen Wirklichen (eg: lat. Text: conceptio rei intellectae), der aus der Verstehenskraft hervorkommt und aus deren Erkenntnis hervorgeht. Diesen Begriff bezeichnet der Laut, und zwar heißt er [der Begriff] Wort des Herzens [inneres Wort] und wird bezeichnet durch das gesprochene Wort. (5f; Fs) (notabene)

Da aber Gott über alles ist, ist das, was in Gott ausgesagt wird, nicht zu verstehen nach der Weise der untersten Geschöpfe, welche die Körper sind, sondern nach der Ähnlichkeit der höchsten Geschöpfe, welche die verstandhaften Substanzen sind. Aber auch die von ihnen hergenommene Ähnlichkeit versagt noch vor der Darstellung des Göttlichen. Hervorgang ist also nicht so aufzufassen, wie er sich im Bereich der körperlichen Dinge findet, sei es auf Grund einer örtlichen Bewegung, sei es auf Grund des Wirkens einer Ursache auf eine äußere Wirkung - wie die Wärme von dem Wärmenden auf das Erwärmte [hervorgeht] -, sondern nach einem geistigen Ausfluß, wie von dem Sprechenden der des geistigen Wortes, das in diesem bleibt. Und so nimmt der katholische Glaube einen Hervorgang im Göttlichen an. (6; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_027 Von der Hervorgängen der göttlichen Personen

Stichwort: Hervorgang, processio: Wort - Wille (dazu Lonergan)

Kurzinhalt: Der Hervorgang des Wortes nun wird gemäß der Verstandestätigkeit genommen. Gemäß der Tätigkeit des Willens aber findet sich in uns noch ein anderer Hervorgang, nämlich der Hervorgang der Liebe ...

Textausschnitt: ANTWORT: Im Göttlichen gibt es zwei Hervorgänge, nämlich den Hervorgang des Wortes und noch einen anderen. Um das einzusehen, muß man bedenken, daß es im Göttlichen einen Hervorgang nur gibt gemäß jener Tätigkeit, die nicht auf etwas Äußeres abzielt, sondern im Tätigen selbst verbleibt. Tätigkeit dieser Art in der verstandhaften Natur aber ist die Tätigkeit des Verstandes und die Tätigkeit des Willens. Der Hervorgang des Wortes nun wird gemäß der Verstandestätigkeit genommen. Gemäß der Tätigkeit des Willens aber findet sich in uns noch ein anderer Hervorgang, nämlich der Hervorgang der Liebe, demgemäß das Geliebte im Liebenden ist, wie durch die Empfängnis des Wortes das ausgesprochene oder verstandene Wirkliche im Verstehenden ist. Daher wird auch im Göttlichen außer dem Hervorgang des Wortes noch ein anderer Hervorgang angenommen, der ein Hervorgang der Liebe ist. (13f; Fs)

Kommentar (20.07.08): Cf. Lonergan, Systematics LBTS_219b: [...]

221a Regarding that reality which is named 'the beloved in the lover' we are asking whether it is really the same as love, the act of loving, or whether perhaps it is really distinct from love and proceeds from love. If you say the former is the case, then 'the beloved in the lover' is constituted by love; if you say the latter is the case, then 'the beloved in the lover' is produced by love. (Fs) (notabene)

221b In favor of the former opinion is the first passage cited above: according to that passage, the beloved is said to be in the one who loves in accordance with the procession of love, just as the thing spoken or understood is in the one who understands it through the conception of the word. For 'the reality spoken or understood' is constituted in the one who understands through the word itself; in like manner, therefore, the 'beloved' is constituted in the lover through proceeding love itself. (Fs)

221d [...] But we take the trinitarian analogy from the fact that we experience in ourselves two processions, the first of which is within intellect, while the second is from intellect toward will. In the first procession, we judge because and according as we grasp the sufficiency of evidence. And in the second, we choose because and according as we judge. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_027 Von der Hervorgängen der göttlichen Personen

Stichwort: Hauch, Geist; Hervorgang (processio) der Liebe: keine Zeugung; das Gewollte ist nicht analog im Willen wie das Verstandene im Verstand

Kurzinhalt: Der Verstand kommt zum Vollzug dadurch, daß das verstandene Wirkliche seiner Ähnlichkeit, nach im Verstande ist; der Wille aber kommt zum Vollzug nicht dadurch, daß eine Ähnlichkeit des Gewollten im Wollenden ist ...

Textausschnitt: ANTWORT: Der Hervorgang der Liebe im Göttlichen darf nicht Zeugung heißen. Um das einzusehen, muß man bedenken, daß zwischen Verstand und Wille folgender Unterschied besteht: Der Verstand kommt zum Vollzug dadurch, daß das verstandene Wirkliche seiner Ähnlichkeit, nach im Verstande ist; der Wille aber kommt zum Vollzug nicht dadurch, daß eine Ähnlichkeit des Gewollten im Wollenden ist, sondern dadurch, daß der Wille eine gewisse Hinneigung hat zum gewollten Wirklichen. Der Hervorgang also, der nach dem Gesetze des Verstandes genommen wird, erfolgt auf Grund der Ähnlichkeit, und insoweit kann er die Bewandtnis der Zeugung haben, weil jedes Zeugende ein ihm Ähnliches zeugt. Der Hervorgang aber, welcher gemäß der Tätigkeit des Willens genommen wird, wird nicht betrachtet nach dem Gesichtspunkt der Ähnlichkeit, sondern mehr unter dem Gesichtspunkt von etwas, das auf ein anderes hintreibt und bewegt; was daher im Göttlichen nach Weise der Liebe hervorgeht, geht nicht als gezeugt oder als Sohn hervor, sondern eher als Hauch [ = Geist]. Mit diesem Namen wird eine gewisse Lebensbewegung und -antreibung bezeichnet, insofern jemand aus der Liebe heraus, wie man sagt, bewegt oder angetrieben wird, etwas zu tun. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_027 Von der Hervorgängen der göttlichen Personen

Stichwort: Zeugung, Hervorgang (processio); Ähnlichkeit: Wort, Verstand - Liebe, Geist

Kurzinhalt: Die Ähnlichkeit gehört in anderer Weise dem Worte zu und in anderer Weise der Liebe. Denn dem Worte gehört sie zu, insofern ...

Textausschnitt: Zu 2. Die Ähnlichkeit gehört in anderer Weise dem Worte zu und in anderer Weise der Liebe. Denn dem Worte gehört sie zu, insofern dieses eine gewisse Ähnlichkeit des verstandenen Wirklichen ist, wie das Gezeugte eine Ähnlichkeit des Zeugenden ist; der Liebe aber gehört sie nicht so zu, als wäre die Liebe selbst diese Ähnlichkeit, sondern insofern die Ähnlichkeit Grund der Liebe ist. Daher folgt nicht, daß die Liebe gezeugt, sondern daß der Gezeugte Grund der Liebe ist. (Fs)

Zu 3. Wir können Gott nur von den Geschöpfen her benennen (13, l: Bd. l). Weil aber bei den Geschöpfen eine Mitteilung der Natur nur durch Zeugung erfolgt, so hat der Hervorgang im Göttlichen keinen besonderen Namen außer dem der Zeugung. Daher ist der Hervorgang, der nicht Zeugung ist, ohne besonderen Namen geblieben. Doch kann er Hauchung heißen, da er der Hervorgang des Hauches [= Geistes] ist. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: Kommentar zu F1_027 - F1_043

Stichwort: Der zweite Hervorgang; "Frucht" des Willensaktes; das "Geliebte" im Liebenden; dazu: Lonergand

Kurzinhalt: Soll die psychologische Erklärung der göttlichen Hervorgänge ganz durchgeführt werden, dann muß man auch im Willensakt eine 'Frucht' aufzeigen, die mit dem ausgeprägten Erkenntnisbild des Verstandes verglichen werden kann

Textausschnitt: 3. UND 4. ARTIKEL Der zweite innergöttliche Hervorgang

390d Der Ausgang des WORTES läßt sich durch das Hervorgehen des ausgeprägten Erkenntnisbildes im menschlichen Erkennen verständlich machen. Für den zweiten innergöttlichen Hervorgang entsteht in der psychologischen Erklärung eine nicht geringe Schwierigkeit. Wir erfahren im Liebesakte zwar, daß dieser Akt als Lebensbetätigung von uns ausgeht, sind uns aber nicht bewußt, daß er fruchtbar ist wie das Erkennen und auch etwa ein 'Bild' des erstrebten Gegenstandes hervorbringt. Der Akt des Wollens oder Liebens selbst aber kann ebensowenig als Analogie des Hervorganges des Heiligen Geistes gefaßt werden wie der Erkenntnisakt ohne Sprechen des Wortes als Analogie zum Hervorgehen des Sohnes; in diesem Falle würden ja die hervorgehenden Personen als Verwirklichungen einer im Vater, bzw. in Vater und Sohn liegenden Möglichkeit verstanden; Erkennen, Wollen und Lieben verwirklichen nur die in den Fähigkeiten liegenden Möglichkeiten zu diesen Betätigungen. Eine solche Trinitätsauffassung ist aber mit der unbedingten Vollkommenheit des göttlichen Seins unvereinbar. Soll die psychologische Erklärung der göttlichen Hervorgänge ganz durchgeführt werden, dann muß man auch im Willensakt eine 'Frucht' aufzeigen, die mit dem ausgeprägten Erkenntnisbild des Verstandes verglichen werden kann. Thomas behauptet im 3. Artikel, der Wille bringe durch seine Betätigung etwas hervor, was er kurzweg als 'Liebe' bezeichnet. Diese 'Liebe* ist hier nicht der Liebesakt selbst, sie setzt diesen vielmehr voraus. In anderen Schriften bestimmt Thomas allerdings den Unterschied zwischen Erkennen und Wollen ausdrücklich dahin, daß das Erkennen ein Bild hervorbringt, das Wollen jedoch nicht: "Aus dem Willen geht nichts anderes hervor als die Tätigkeit des Wollens selbst. Im Erkennen dagegen geht etwas hervor, was sich von der Erkenntnistätigkeit selbst unterscheidet, da es von ihr hervorgebracht wird" (De Ver. 4, 2 ad 7). Dementsprechend glaubte er früher auch, der Heilige Geist sei der aus Gott hervorgehende Liebesakt : "Der Liebesakt selbst ist die Person des Heiligen Geistes" (1 Sent., dist. 32, q. 1, a. 1 ad 3 und an anderen Stellen). Wie der Wortlaut unseres Artikels der Summa bestätigt, hat Thomas seine Auffassung in diesem Punkte geändert. Noch deutlicher geht das aus 37, 1 hervor. Eine eingehende Begründung dafür hat er allerdings nie gegeben. Die späteren Thomisten haben darum versucht, diese Lücke auszufüllen und nachzuweisen, daß auch die Lebensbetätigung des Wollens fruchtbar ist. (Fs)

Kommentar (25.07.08): Cf. Lonergan, Systematics:
219b Summa theologiae, 1, q. 27, a. 3 c: '... in God there is procession only according to action that does not tend toward something extrinsic but remains within the agent itself. But such action in an intellectual nature is that of the intellect and that of the will. The procession of the word is considered in connection with the action of the intellect. However, another procession is found in us in connection with the operation of the will, namely, the procession of love, whereby the beloved is in the one who loves, just as the reality spoken or understood is in the one who understands through the conception of the word. Hence, in addition to the procession of the Word, another procession is to be posited in God, namely, the procession of Love.' (Fs)

219c Summa theologiae, 1, q. 37, a. 1 c: 'Just as from the fact that someone understands something, there comes forth in the one who understands some intellectual conception of the reality understood, which is called the word; so from the fact that someone loves something, there comes forth in the affection of the lover some impression, so to speak, of the reality loved, whereby the beloved is said to be in the one who loves, just as what is understood is in the one who understands. So it is that, when one understands and loves oneself, one is in oneself not only by an entitative identity, but also as what is understood is in the one who understands, and as the beloved is in the one who loves.' (Fs)

221a Regarding that reality which is named 'the beloved in the lover' we are asking whether it is really the same as love, the act of loving, or whether perhaps it is really distinct from love and proceeds from love. If you say the former is the case, then 'the beloved in the lover' is constituted by love; if you say the latter is the case, then 'the beloved in the lover' is produced by love. (Fs) (notabene)
221b In favor of the former opinion is the first passage cited above: according to that passage, the beloved is said to be in the one who loves in accordance with the procession of love, just as the thing spoken or understood is in the one who understands it through the conception of the word. For 'the reality spoken or understood' is constituted in the one who understands through the word itself; in like manner, therefore, the 'beloved' is constituted in the lover through proceeding love itself. (Fs)

221c In favor of the latter opinion is the second passage cited above: there, from the fact that someone understands, there issues forth in the one understanding a conception of the thing understood, and similarly from the fact that someone loves, there issues forth in the affection of the lover a kind of impression of the thing loved. For the word is produced by the act of understanding, and so, in like manner, 'the beloved in the lover' is produced by the act of loving. (Fs)

221d The importance of this question is that corresponding to these opposed opinions there are opposed theoretical systems. Some take the trinitarian analogy from determining that there are two processions in us, one within intellect and the other within will; so that, just as the act of understanding produces the word in the first procession, so the act of love produces the 'beloved in the lover' in the second; John of St Thomas1 and Thomists generally have been of this opinion. But we take the trinitarian analogy from the fact that we experience in ourselves two processions, the first of which is within intellect, while the second is from intellect toward will. In the first procession, we judge because and according as we grasp the sufficiency of evidence. And in the second, we choose because and according as we judge. (Fs) (notabene)

391a Der Wille richtet sich in der Zuneigung auf ein ganz bestimmtes Objekt. Diese Zuneigung setzt aber eine Verwandtschaft, eine gewisse Gleichheit zum Objekt voraus. Von Natur ist der menschliche Wille an kein Einzelobjekt so gebunden, daß er es notwendig lieben muß, d. h. er besitzt von Natur nicht die zur Liebe erforderliche innere Gleichheit zu bestimmten Einzeldingen, er muß sie also erst erwerben. Das geschieht nicht dadurch, daß das Erkennen dem Strebevermögen einen liebenswerten Gegenstand zeigt; als selbständige Fähigkeit muß der Wille selbst die Eignung zu jenem Objekt in sich tragen. Diese Eignung kann darum auch nur aus dem Liebesakt selbst hervorgehen. So stellt also der Liebesakt selbst die innere Gleichheit und Verwandtschaft mit dem Geliebten her. Das ist der Sinn der von Thomas so oft wiederholten Behauptung, das Geliebte sei im Liebenden wie das Erkannte im Erkennenden. Damit ist die innere Angleichung an das Geliebte gemeint, die der Liebesakt zum Ziele hat. In diesem Sinne ist also die 'Liebe' zu verstehen, die Thomas als vom Liebesakt hervorgebracht bezeichnet. Beim Erkennen hat die vom Erkenntnisakt ausgehende 'Frucht' einen eigenen Namen (ausgeprägtes Erkenntnisbild' oder 'inneres Wort'), im Wollen fehlt eine eigene Bezeichnung, Thomas redet darum nur von der hervorgehenden Liebe' zum Unterschied vom Liebesakt selbst. (Fs)

392a So läßt sich die Behauptung des hl. Thomas, daß auch aus dem Willensakt etwas im Wollenden hervorgehe, begreiflich machen. Allerdings läßt sich hier nicht mit unbedingter Sicherheit die sachliche Verschiedenheit des Willensaktes und der inneren Angleichung an das Geliebte nachweisen, wie dies für das Verhältnis von Erkenntnisakt und innerem Wort möglich ist. Immerhin genügt das Gesagte, um in Gott den Hervorgang einer persönlichen Liebe anzunehmen, wenn wir aus der Offenbarung neben der einen hervorgehenden Person, die sich als Gottes Wort bestimmen ließ, noch von einer anderen wissen. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: Kommentar zu F1_027 - F1_043

Stichwort: Hervorgänge (Hervorgang, processio); Deutung: Duns Scotus, Durandus und andere

Kurzinhalt: Von späteren Scholastikern wurde aber doch der Versuch unternommen, die innergöttlichen Hervorgänge anders zu deuten

Textausschnitt: 393b Von späteren Scholastikern wurde aber doch der Versuch unternommen, die innergöttlichen Hervorgänge anders zu deuten. Sie werden hier erwähnt, weil sich an ihnen der Wert der thomistischen Lösung verdeutlichen läßt. (Fs)

393c Der Grundgedanke, von dem die späteren Lösungen ausgehen, ist dieser: Erkennen und Wollen kommen als Lebensbetätigungen der göttlichen Natur allen drei Personen gemeinsam zu. Man darf sie also nicht zu einer Erklärung der göttlichen Hervorgänge heranziehen, weil diesen dem Vater, bzw. Vater und Sohn eigene Betätigungen zugrunde liegen müssen; nur vom Vater und vom Sohne geht eine andere Person hervor. (Fs)

393d Der Franziskanertheologe Johannes Duns Scotus (+ 1308) bemerkt außerdem, daß die innebleibenden Lebensbetätigungen an sich nichts hervorbringen, sondern sich letztlich im Erkenntnis- bzw. Liebesakt erschöpfen. Anderseits will er doch bei der psychologischen Erklärung der innergöttlichen Hervorgänge bleiben; darum nimmt er neben dem Erkennen und Wollen im göttlichen Verstand und Willen noch andere Tätigkeiten an, das Sprechen des Wortes und das Hauchen der Liebe. Mit Thomas stimmt er also darin überein, daß er den Sohn und den Geist aus dem Erkenntnis- und Willensvermögen hervorgehen läßt; der Unterschied besteht darin, daß er neben Erkennen und Wollen noch andere Lebensbetätigungen in diesen Fähigkeiten annimmt. Darin liegt zugleich die Schwäche seiner Erklärung. Es ist doch schwer einzusehen, wie eine einzige Lebenskraft zwei voneinander verschiedene Lebensbetätigungen ausüben kann. Zudem bleibt bei Scotus doch die Schwierigkeit bestehen, um deretwillen er die Erklärung des hl. Thomas aufgeben zu müssen glaubte. Wenn nämlich Sprechen und Hauchen zwar vom Erkennen und Wollen verschiedene Lebensbetätigungen sind, aber doch Betätigungen des Erkenntnis- und Willensvermögens, so werden sie ebendarum wieder zu allen drei Personen gemeinsamen Betätigungen. Die wirkliche Lösung der Schwierigkeit liegt darin, daß Erkennen und Wollen zwar allen drei Personen gemeinsame Lebensbetätigungen sind, die sich aber in den einzelnen Personen auf verschiedene Art verwirklichen. Der eine Erkenntnisakt ist z. B. im Vater Sprechen des WORTES, in Sohn und Geist einfaches Erkennen. (Fs)

394a Der Dominikaner Durandus a S. Porciano (+ 1334) ging über Scotus hinaus; er ließ aus der gleichen Grundschwierigkeit die psychologische Erklärung überhaupt fallen. Weil Erkennen und Wollen gemeinsam sind, folgerte er, müssen die innergöttlichen Hervorgänge gewissermaßen 'vor' dem Erkennen und Wollen liegen, d. h. sie sind in der Fruchtbarkeit der göttlichen Natur als solcher begründet, wie ja auch beim Menschen das Zeugungsvermögen nicht aus seiner Erkenntnis- oder Willensfähigkeit heraus erklärt werden kann, sondern nur aus der Fruchtbarkeit der Natur als solcher. (Fs)

394b Aber auch hiermit ist zur Lösung der eigentlichen Schwierigkeit nichts gewonnen. Werden die göttlichen Hervorgänge aus der Fruchtbarkeit der göttlichen Natur erklärt, dann muß auch vom Heiligen Geist eine Person ihren Ausgang nehmen, denn auch der Geist besitzt die allen dreien gemeinsame fruchtbare göttliche Natur. Die Erklärung des Durandus führt zudem notwendig zur Auffassung des hl. Thomas zurück, sobald man das göttliche Sein an sich, als in sich selbst ruhendes Erkennen (intelligere subsistens) auffaßt. Dann wird ein unmittelbar aus der Natur des Urprinzips hervorströmendes Sein zum Ausfluß des erkennenden Geistwesens, d. h. zum innerlich aus dem Erkennen hervorgehenden Worte. Es läßt sich hier also die gleiche Zurückführung auf die thomistische Lösung vornehmen, wie sie Thomas in der Antwort auf den zweiten Einwand bietet. (Fs)

394c Neben der thomistischen Lösung kommt eigentlich nur der Versuch in Betracht, die göttlichen Hervorgänge unmittelbar aus der Fruchtbarkeit der Natur zu erklären. Die griechischen Väter haben sich ja auch mit dem Hinweis auf diese Fruchtbarkeit begnügt. Nun ist die psychologische Erklärung sachlich nichts anderes als die genaue Umgrenzung, worin bei Gott, dem absoluten Geistwesen, diese Fruchtbarkeit besteht. Also ist eine andere Erklärung der Hervorgänge, als die thomistische, nicht möglich. Darum ist die psychologische Trinitätslehre auch mehr als eine bloße Hypothese, es kommt ihr absoluter Wert zu, sie gibt das eigentliche Wesen der innergöttlichen Hervorgänge an. Diese Einsicht, wie die Geburt des Sohnes und die Hauchung des Geistes zu verstehen sind, verdanken wir also nicht einer eindeutigen Aussage der Offenbarung selbst, sondern dem unermüdlichen, jahrhundertelangen Erforschen der von der Offenbarung gegebenen Anhaltspunkte. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: Kommentar zu F1_027 - F1_043

Stichwort: Dogmengeschichtliche Voraussetzung (Trinität): Summa theologiae I, qu. 27 -43

Kurzinhalt: Die wesentlichen Punkte der dogmengeschichtlichen Entwicklung faßten die Theologen des Vatikanischen Konzils zusammen zu einem Definitionsentwurf, der jedoch wegen der Unterbrechung des Konzils nicht definiert werden konnte: ...

Textausschnitt: DOGMENGESCHICHTLICHE VORAUSSETZUNGEN

379a Die Lehre des hl. Thomas über das Dogma der Allerheiligsten Dreifaltigkeit setzt eine lange Entwicklung im Glaubensbewußtsein der Kirche voraus. Man kann die thomistische Lehre in ihrem eigenen Wert nicht erfassen, wenn man sie nicht in diesem Zusammenhang sieht. Wir müssen darum zuvor die Entwicklung der kirchlichen Trinitätslehre in großen Strichen zeichnen. (Fs)

379b Die Kenntnis von der Dreipersönlichkeit Gottes verdanken wir erst der Offenbarung des Neuen Bundes. Der Gottesglaube des Alten Bundes ist beherrscht vom Gedanken an den einzigen Herrn der Welt, den Lenker alles irdischen Geschehens, den Bundesgott des auserwählten Volkes. Eine Vielheit der göttlichen Personen wurde den Gläubigen des Alten Bundes nicht geoffenbart; es wäre das, wie die Väter immer wieder hervorheben, eine zu große Gefahr des Abgleitens in die Vielgötterei der Heidenvölker gewesen. Und trotzdem fehlen in den Büchern des Alten Bundes nicht alle Beziehungen zum neutestamentlichen Glauben an die Allerheiligste Dreifaltigkeit. Der Alte Bund ist seinem Wesen nach die Vorbereitung auf den Neuen; schon aus diesem Grunde muß auch das Kerngeheimnis des Neuen Bundes, der Glaube an die Dreipersönlichkeit Gottes, wenn auch nur in Andeutungen, im Alten Bund vorbereitet sein. In der patristischen Literatur werden darüber hinaus sehr viele alttestamentliche Schriftstellen herangezogen, um die Gottheit der zweiten und dritten göttlichen Person zu beweisen. Die Väter gehen dabei schon von der Offenbarung des Neuen Bundes aus; sie betrachten in ihrem Kampf gegen die Irrlehrer die Schriften des Alten Bundes im Licht der neutestamentlichen Offenbarung. Nimmt man jedoch das Alte Testament für sich allein, versteht man es nur nach seinem unmittelbaren Wortsinn, so läßt sich aus ihm eine Mehrzahl der göttlichen Personen nicht nachweisen. Das gilt auch von den Stellen, an denen, wie im Buch der Sprüche und im Weisheitsbuch, von der göttlichen Weisheit als einer von Gott verschiedenen Person, oder, wie in den Prophezeiungen über den Messias, von diesem als von einer zweiten göttlichen Person die Rede zu sein scheint. Man kann diese Texte im Sinne einer bioßen Personifikation der göttlichen Weisheit verstehen; auch wenn von gottähnlichen Eigenschaften des Messiaskönigs gesprochen wird, ist doch nicht klar ersichtlich, ob es sich wirklich um eine vom Bundesgott verschiedene Person handelt. (Fs)

379c Im Neuen Testament ist der Glaube an die Dreifaltigkeit klar ausgesprochen. Seine Hauptstütze bildet der Taufbefehl Mt 28, 19: "Gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes." Ähnliche trinitarische Wendungen kehren auch in den übrigen neutestamentlichen Schriften wieder. (Fs)

380a Diese trinitarischen Formeln bilden von nun an das Grundschema für den Ausdruck des christlichen Gottesbegriffes. So sagt z. B. der hl. Irenäus von Lyon im zweiten Jahrhundert: "Das ist die rechte Ordnung unseres Glaubens, das Fundament des Gebäudes, die Festigung des Weges: Gott der Vater, ungeworden, unendlich, unsichtbar, ein Gott, Schöpfer des Alls. Das ist das erste Hauptstück unseres Glaubens. Das zweite Hauptstück sodann ist das WORT Gottes, der Sohn Gottes, Christus Jesus, unser Herr, der den Propheten erschienen ist... Der gleiche wurde am Ende der Zeiten Mensch..., um Gemeinschaft und Frieden zwischen Gott und den Menschen zu wirken. Das dritte Hauptstück ist der Heilige Geist, durch den die Propheten weissagten, und die Väter die göttlichen Dinge lernten... und der in der Fülle der Zeiten aufs neue über die Menschheit ausgegossen ward auf der ganzen Erde, die Menschen für Gott neuzuschaffen" (vgl. L. v. Rudloff, Das Zeugnis der Väter, 1937, S. 84; daselbst auch andere Zeugnisse). (Fs)

380b Dieser kirchliche Trinitätsglaube ist beim Versuch, ihn dem menschlichen Verständnis näherzubringen, mehrfach mißverstanden worden. Die Monarchianer (s. Anm. [3]) hoben mit ihrer Überbetonung der Einheit Gottes die Personverschiedenheit auf. Ihnen gegenüber suchten die Vertreter des kirchlichen Dogmas nachzuweisen, daß die Vielheit der Personen die Einheit Gottes nicht aufzuheben brauche, dabei ließen sie sich jedoch vielfach verleiten, den Sohn und den Heiligen Geist der ersten göttlichen Person unterzuordnen. So z. B. Tertullian (+ nach 220) und Origenes (+ 255). Jedoch hielten sie an der Gottheit aller drei Personen fest. Gerade darin unterscheiden sie sich von der zweiten häretischen Umdeutung des Dreifaltigkeitsglaubens, vom Arianismus (vgl. Anm. [2]), welcher Sohn und Geist dem Vater als Geschöpfe unterordnet. Den Monarchianismus überwand die Kirche vor allen Dingen dank der Wachsamkeit der römischen Bischöfe, den Arianismus durch die Entscheidungen der Konzilien von Nizäa (325) und Konstantinopel (381) und durch die unermüdlichen Kämpfe der griechischen Kirchenväter. Gerade die Auseinandersetzungen mit dem Arianismus haben die theologische Vertiefung des Dreifaltigkeitsglaubens gefördert. Die trinitarischen Schriften eines hl. Athanasius (+ 373), Basilius d. Gr. (+ 379), Gregor von Nazianz (+ 390), Gregor von Nyssa (+ nach 394) verdanken diesen Kämpfen ihre Entstehung; sie sind grundlegend für die gesamte spätere theologische Deutung des Dreifaltigkeitsgeheimnisses geworden. Auch das große Werk des hl. Augustinus (+ 430) über die Dreieinigkeit steht unter dem Zeichen des Kampfes gegen den Arianismus. Augustinus faßte darin die bisher geleistete theologische Arbeit zusammen, deutete sie in der ihm eigenen Weise und wurde zum eigentlichen Begründer der sogenannten psychologischen Trinitätslehre, d. h. jener Lehre, die den Hervorgang des Sohnes aus dem Vater als Akt des Erkennens, den Hervorgang des Geistes aus Vater und Sohn als Akt der gegenseitigen Liebe deutet. Diese Erklärung war durch einige frühere Schriftsteller, besonders durch Terlullian, vorbereitet worden; Augustinus baute sie aus; der Scholastik, besonders dem hl. Thomas blieb es vorbehalten, ihr mit Hilfe der aristotelischen Psychologie die letzte Vollendung zu geben. Für die abendländische Theologie ist das Werk des hl. Augustinus grundlegend geblieben. Im Morgenlande gab der hl. Johannes von Damaskus (+ 749) in seiner "Glaubenslehre" eine Zusammenfassung der trinitarischen Lehren der griechischen Väter. Vom Mittelalter an hat die theologische Deutung des hl. Augustinus auch auf die morgenländische Theologie Einfluß ausgeübt. (Fs)

381a Die Betonung der Wesenseinheit der drei göttlichen Personen gegen den Arianismus brachte es mit sich, daß manche Väter in der Erklärung des Geheimnisses von dieser Wesenseinheit ausgingen, um von ihr aus die Vielheit der Personen zu begreifen, während man bisher gewohnt war, den umgekehrten Weg zu geben, d. h. unter starker Betonung der Personverschiedenheit zu einem Verständnis der Wesenseinheit zu gelangen. Augustinus und die gesamte abendländische Theologie mit ihm hat sich für den ersten Standpunkt entschieden. Auf die Unterschiede, die sich daraus in der Lösung verschiedener theologischer Probleme ergeben, wird im Kommentar hinzuweisen sein, ebenso wie auf spätere irrige Auffassungen oder Erklärungen des Trinitätsgeheimnisses, die fast nur Abarten der großen Irrlehren des Altertums sind. (Fs)

381b Die wesentlichen Punkte der dogmengeschichtlichen Entwicklung faßten die Theologen des Vatikanischen Konzils zusammen zu einem Definitionsentwurf, der jedoch wegen der Unterbrechung des Konzils nicht definiert werden konnte: "Das höchste aller Geheimnisse, die wir im Licht des Glaubens bekennen, ist Gott selbst, der da ist einer Seinem Wesen nach, dreifaltig in den Personen: Der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Diese selige Dreifaltigkeit ist nach der ungetrübten Wahrheit des katholischen Glaubens ein Gott, weil die Wesenheit oder der Selbstand allen drei Personen gemeinsam und der Sache und der Zahl nach eins ist. Der Vater zeugt von Ewigkeit her den Sohn; dabei bringt Er nicht durch einen Ausfluß eine zweite, der Seinen ähnliche Wesenheit hervor, sondern Er teilt Ihm Seine eigene ganz einfache Wesenheit selbst mit. Auch der Heilige Geist geht von Vater und Sohn als einem Urgrund durch eine ewige Hauchung, nicht durch ein Neuentstehen des Wesens, sondern durch Mitteilung der gleichen einzigen Wesenheit hervor. So ist also diese der Zahl nach einzige Wesenheit oder Natur wirklich Vater, Sohn und Heiliger Geist, sie ist eins mit allen drei Personen zugleich und mit jeder einzelnen von ihnen, so daß die drei Personen voneinander wirklich verschieden sind, dem Wesen nach oder der Natur nach jedoch sind sie eins und dasselbe."

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_027 Von der Hervorgängen der göttlichen Personen

Stichwort: Zeugung (2 Arten): vom Nicht-Sein zum Sein - Geburt; Vater -> Sohn: Lebenstätigkeit (Verstehen), Ähnlichkeit, in derselben Natur

Kurzinhalt: Es geht nämlich hervor nach Art einer geistigen Tätigkeit, die ein Lebensvorgang ist; und von einem ihm verbundenen Grunde (Art. 1); und nach dem Gesetz der Ähnlichkeit, denn die Empfängnis des Verstandes ist die Ähnlichkeit des verstandenen Wirklichen;

Textausschnitt: Respondeo

ANTWORT: Der Hervorgang des Wortes im Göttlichen wird Zeugung genannt. Um das einzusehen, muß man wissen, daß wir den Ausdruck Zeugung in doppelter Bedeutung gebrauchen. Im allgemeinen für alles, was erzeugt und zerstört werden kann; und so ist Zeugung nichts anderes als eine Veränderung vom Nicht-Sein zum Sein. In anderer Weise im eigentlichen Sinne für die Lebewesen; und so bezeichnet Zeugung den Ursprung des Lebendigen aus einem lebendigen, ihm verbundenen Grunde [6]. Und diese [Zeugung] wird eigentlich Geburt genannt. Doch heißt nicht alles derartige gezeugt, sondern im eigentlichen Sinne nur das, was hervorgeht nach dem Gesetz der Ähnlichkeit. Deshalb hat es mit dem Haar nicht die Bewandtnis des Gezeugten oder des Kindes, sondern nur mit dem, was nach dem Gesetz der Ähnlichkeit hervorgeht; jedoch nicht jedweder Ähnlichkeit, denn mit den Würmern, welche aus Tieren entstehen, hat es nicht die Bewandtnis der Zeugung oder der Kindschaft, obwohl eine gattunggemäße Ähnlichkeit gegeben ist; sondern zum Begriff einer solchen Zeugung ist verlangt, daß etwas hervorgehe nach dem Gesetz der Ähnlichkeit in der Natur derselben Art, wie der Mensch hervorgeht vom Menschen und das Pferd vom Pferde. (9f; Fs)

Bei den Lebewesen also, die von der Möglichkeit zur Wirklichkeit des Lebens hervorgehen, wie bei Menschen und Tieren, schließt das Entstehen beide Zeugungsarten ein.1 Gäbe es aber ein Lebewesen, dessen Leben nicht von der Möglichkeit in die Wirklichkeit übergeht, so schließt ein Hervorgang, falls er in einem solchen Lebewesen statthat, die erste Art der Zeugung ganz und gar aus; wohl aber kann es jene Zeugungsart haben, die den Lebewesen eigentümlich ist. (10; Fs; tblVrw f.)

So also hat es mit dem Hervorgang des Wortes im Göttlichen die Bewandtnis der Zeugung. Es geht nämlich hervor nach Art einer geistigen Tätigkeit, die ein Lebensvorgang ist; und von einem ihm verbundenen Grunde (Art. 1); und nach dem Gesetz der Ähnlichkeit, denn die Empfängnis des Verstandes ist die Ähnlichkeit des verstandenen Wirklichen; und in derselben Natur daseiend, denn in Gott ist Verstehen und Sein dasselbe (14, 4: Bd. 2). Daher heißt der Hervorgang des Wortes im Göttlichen Zeugung und das Wort, das hervorgeht, wird Sohn genannt. (10; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_028 Von den göttlichen Beziehungen

Stichwort: Gott - Relationen; Einwand: kein Unterschied der Relationen, das diese mit dem Wesen eines sind; Contra: Tätigkeit, Erleiden -> beide Bewegung und doch verschieden

Kurzinhalt: Deshalb sagt er an jener Stelle, daß, wenn auch die Tätigkeit mit Bewegung gleichzusetzen ist und ebenso das Erleiden, dennoch nicht folge, daß Tätigkeit und Erleiden dasselbe seien; denn bei der Tätigkeit ist der Hinweis gegeben als das, ...

Textausschnitt: Objectio

1. Dinge, die mit ein und demselben Dritten gleich sind, sind auch untereinander gleich. Jede Beziehung aber, die in Gott da ist, ist sachlich eins mit der göttlichen Wesenheit. Also sind die Beziehungen voneinander nicht unterschieden. (Fs)

[...]


Zu 1. Nach dem Philosophen, im 3. Buch der Physik, gilt jener Satz, wonach Dinge, die demselben Dritten gleich sind, auch untereinander gleich sind, nur bei den Dingen, die sachlich und gedanklich dasselbe sind, wie Obergewand und Kleid; nicht aber bei den Dingen, die gedanklich unterschieden sind. Deshalb sagt er an jener Stelle, daß, wenn auch die Tätigkeit mit Bewegung gleichzusetzen ist und ebenso das Erleiden, dennoch nicht folge, daß Tätigkeit und Erleiden dasselbe seien; denn bei der Tätigkeit ist der Hinweis gegeben als das, von dem aus die Bewegung im Bewegbaren vorhanden ist, im Erleiden aber als das, was vom anderen stammt. Ähnlich [in unserem Falle]: Mag auch die Vaterschaft sachlich dasselbe sein mit der göttlichen Wesenheit und ebenso die Sohnschaft, so bedingen doch beide in ihrer eigentümlichen Bewandtnis entgegengesetzte Hinweise. Sie unterscheiden sich also voneinander. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_028 Von den göttlichen Beziehungen

Stichwort: Gott -Relationen; nur vier wirkliche Beziehungen; Wort, Wille - Verstand, Liebe; kein eigener Name für den Hervorgang der Liebe (aber: Hauchung)

Kurzinhalt: 4. ARTIKEL
Ob es in Gott nur vier wirkliche Beziehungen gibt: Vaterschaft, Sohnschaft, Hauchung und Hervorgang

Textausschnitt: ANTWORT: Nach dem Philosophen gründet alle Beziehung entweder auf der Ausdehnungsgröße, wie das Doppelte und die Hälfte; oder auf Tätigkeit und Erleiden, wie das Machende und das Gemachte, Vater und Sohn, Herr und Knecht u. dgl. Da es aber keine Ausdehnungsgröße in Gott gibt (Er ist nämlich ohne Größe groß, wie Augustinus sagt), bleibt also nur übrig, daß es in Gott keine andere wirkliche Beziehung geben kann als die auf Tätigkeit gegründete. Nicht aber auf jene Tätigkeiten, gemäß denen etwas nach außen von Gott hervorgeht, denn die Beziehungen Gottes zu den Geschöpfen sind nicht wirklicherweise in Ihm (Art. 1 Zu 3; 13, 7: Bd. 1). Bleibt also übrig, daß die wirklichen Beziehungen in Gott nur verstanden werden können gemäß jenen Tätigkeiten, denen gemäß ein Hervorgang in Gott nicht nach außen, sondern nach innen erfolgt. (Fs)

Dieserart Hervorgänge aber gibt es nur zwei (27, 5), deren einer angenommen wird gemäß der Tätigkeit des Verstandes, nämlich der Hervorgang des Wortes; der andere gemäß der Tätigkeit des Willens, nämlich der Hervorgang der Liebe. Auf Grund jedes der beiden Hervorgänge aber muß man zwei gegenüberstehende Beziehungen annehmen, deren eine dem zugehört, der vom Ursprungsgrund hervorgeht, die andere dem Ursprungsgrund selbst. Der Hervorgang des Wortes wird Zeugung genannt, und zwar gemäß deren eigentümlichem Wesen, wie es den lebendigen Dingen eigen ist. Die Beziehung des Ursprungsgrundes der Zeugung wird aber im Bereich der vollkommenen Lebewesen Vaterschaft genannt, die Beziehung dessen hingegen, der vom Ursprungsgrund hervorgeht, Sohnschaft. Der Hervorgang der Liebe jedoch hat keinen eigenen Namen (27, 4), infolgedessen auch nicht die Beziehungen, die diesem [Hervorgang] gemäß angenommen werden. Doch wird die Beziehung des Ursprungsgrundes dieses Hervorganges Hauchung genannt; die Beziehung des Hervorgehenden dagegen Hervorgang, wiewohl diese beiden Namen den Hervorgängen oder den Ursprüngen selbst zugehören und nicht den Beziehungen. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_028 Von den göttlichen Beziehungen

Stichwort: Gott - Relationen; Erkennender - Erkanntes -> Relation beim Menschen, aber nicht in Gott; Verstehen - Wort -> echte Relation in Gott (hervorgehend aus der Verstandestätigkeit)

Kurzinhalt: Und doch ist die Beziehung zum Wort eine wirkliche, weil das Wort verstanden wird als durch eine Verstandestätigkeit hervorgehend und nicht als das verstandene Wirkliche.

Textausschnitt: Objectio

1. Man muß in Gott die Beziehungen des Erkennenden zum Erkannten und des Wollenden zum Gewollten beachten. Diese scheinen wirkliche Beziehungen zu sein und sind unter den genannten nicht enthalten. Es sind also nicht nur vier wirkliche Beziehungen in Gott. (Fs)

[...]

Zu 1. Dort, wo Erkennender und Erkanntes, Wollender und Gewolltes verschieden sind, kann es eine wirkliche Beziehung sowohl der Wissenschaft zum gewußten Wirklichen wie auch des Wollenden zum gewollten Wirklichen geben. In Gott aber ist Erkennender und Erkanntes ganz und gar dasselbe, weil Er sich erkennend alles andere erkennt; dasselbe ist es mit dem Willen und dem Gewollten. Deshalb sind in Gott dieserart Beziehungen nicht wirklich, sowenig wie die Beziehung eines und desselben zu sich selbst. Und doch ist die Beziehung zum Wort eine wirkliche, weil das Wort verstanden wird als durch eine Verstandestätigkeit hervorgehend und nicht als das verstandene Wirkliche. Wenn wir nämlich den Stein erkennen, so wird das, was der Verstand aus dem verstandenen Wirklichen empfängt, Wort genannt. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_028 Von den göttlichen Beziehungen

Stichwort: Gott - Relationen; Beziehung in Gott zu den Dingen: keine Vielfalt der Beziehung in Gott, doch im Menschen (Stein erkennen; Erkennen erkennen)

Kurzinhalt: Bei uns werden die erkenntnisgemäßen Beziehungen ins unendliche vervielfacht, denn mit einem anderen Akt erkennt der Mensch den Stein und mit einem anderen Akt erkennt er, daß er den Stein erkennt, und wieder mit einem anderen Akt erkennt ...

Textausschnitt: Objectio

2. Die wirklichen Beziehungen in Gott werden verstanden gemäß dem erkenntnisgemäßen Hervorgang des Wortes. Die erkenntnisgemäßen Beziehungen aber werden nach Avicenna ins Unendliche vervielfacht. Also gibt es in Gott unendlich viele wirkliche Beziehungen. (Fs)

[... ]

Zu 2. Bei uns werden die erkenntnisgemäßen Beziehungen ins unendliche vervielfacht, denn mit einem anderen Akt erkennt der Mensch den Stein und mit einem anderen Akt erkennt er, daß er den Stein erkennt, und wieder mit einem anderen Akt erkennt er dieses Erkennen. Und so werden die Akte des Erkennens ins unendliche vervielfacht und folglich auch die erkannten Beziehungen. Das hat aber in Gott nicht statt, weil Er mit einem einzigen Akt alles erkennt. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_029 - Von den göttlichen Personen

Stichwort: Trinität; Person - Hypostase, Selbständigkeit, Wesenheit, Naturding

Kurzinhalt: Insofern sie nämlich in sich da ist und nicht in einem anderen, heißt sie Selbständigkeit; denn ... Insofern sie schließlich den Eigenschaften untergestellt ist, heißt sie Hypostase oder Substanz.

Textausschnitt: ANTWORT: Nach dem Philosophen wird Substanz in doppeltem Sinne gebraucht. Einmal heißt Substanz die Washeit des Wirklichen, die durch die Wesensbestimmung bezeichnet wird: dementsprechend sagen wir, daß die Wesensbestimmung die Substanz des Dinges bezeichnet. Diese Substanz nennen die Griechen usia, was wir mit Wesenheit wiedergeben können. - In anderer Weise wird Substanz genannt der Träger oder das Untergestellte, das in der Gattung der Substanz für sich besieht. Wenn wir dieses allgemein fassen, läßt es sich auch mit einem Namen benennen, der eine logische Beziehung bezeichnet, und so heißt es das Untergestellte. Außerdem wird sie noch mit drei Namen benannt, die ein Wirkliches bezeichnen, und zwar: Naturding, Selbständigkeit und Hypostase, entsprechend der dreifachen Weise, nach der sich die so benannte Substanz betrachten läßt. Insofern sie nämlich in sich da ist und nicht in einem anderen, heißt sie Selbständigkeit; denn von jenen Dingen sagen wir, sie seien selbständig, die nicht in einem anderen, sondern in sich selbst da sind. Insofern sie jedoch [als Träger] einer allgemeinen Natur untergestellt ist, heißt sie Naturding: so ist dieser Mensch ein Ding der menschlichen Natur. Insofern sie schließlich den Eigenschaften untergestellt ist, heißt sie Hypostase oder Substanz. - Was nun diese drei Namen allgemein für den Gesamtbereich der Substanzen bezeichnen, das bezeichnet der Name Person in der Gattung der vernunftbegabten Substanzen. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_029 - Von den göttlichen Personen

Stichwort: Trinität; Person: kein Ausdruck der Hl. Schrift

Kurzinhalt: Die Notwendigkeit, sich mit den Irrlehrern auseinanderzusetzen, zwang jedoch, neue Namen zu finden, die den alten Glauben von Gott bezeichneten.

Textausschnitt: 1. Dionysius sagt: Im allgemeinen darf man nicht wagen, von der überwesentlichen, verborgenen Göttlichkeit etwas auszusagen oder zu denken, außer dem, was in göttlicher Weise aus den heiligen Aussprüchen ausdrücklich offenbart ist. Der Name Person aber kommt in der Heiligen Schrift des Alten und des Neuen Bundes nicht vor. Also darf man den Namen Person im Göttlichen nicht verwenden [23]. (Fs)

[...]

Zu 1. Wenn auch der Name Person als von Gott gebraucht in den Schriften des Alten und Neuen Bundes nicht vorkommt, so wird doch das, was der Name bezeichnet, in vielfacher Weise in der Heiligen Schrift von Gott behauptet: nämlich daß Er im höchsten Maße durch sich seiend und in vollkommenster Weise erkennend ist. Wenn man aber von Gott buchstäblich nur das aussagen dürfte, was die Hl. Schrift von Gott überliefert, könnte niemals jemand in einer anderen Sprache von Gott sprechen als in jener, in der zu allererst die Schrift des Alten und des Neuen Bundes überliefert ist. Die Notwendigkeit, sich mit den Irrlehrern auseinanderzusetzen, zwang jedoch, neue Namen zu finden, die den alten Glauben von Gott bezeichneten. Auch liegt kein Grund vor, diese Neuheit zu vermeiden, da sie nicht weltlich ist und mit dem Sinn der Hl. Schrift nicht in Widerspruch steht. Der Apostel lehrt aber [nur], weltliche Neuerungen im Ausdruck zu vermeiden (1 Tim 6, 20). (Fs) (notabene)

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1 Tim 6, 20:
Timotheus, bewahre, was dir anvertraut ist. Halte dich fern von dem gottlosen Geschwätz und den falschen Lehren der sogenannten «Erkenntnis»!

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott der dreieinige

Titel: F1_029 - Von den göttlichen Personen

Stichwort: Göttliche Person : Bezeichnung für Wesenheit oder Beziehung?

Kurzinhalt: Und dementsprechend ist es richtig, daß der Name Person direkt die Beziehung, indirekt die Wesenheit bezeichnet, doch die Beziehung nicht, insofern sie Beziehung ist, sondern insofern sie bezeichnet wird nach der Weise der Hypostase.

Textausschnitt: ANTWORT: In bezug auf die Bedeutung dieses Namens [Person] im Göttlichen taucht die Schwierigkeit auf, daß er in der Mehrzahl von den Dreien ausgesagt wird, was gegen die Natur jener Namen ist, die die Wesenheit bezeichnen; auch wird er nicht als Auf-etwas-hin ausgesagt, wie die Namen, welche eine Beziehung bezeichnen. Daher schien es einigen1, daß der Name Person schlechthin, kraft des Ausdrucks, die Wesenheit im Göttlichen bezeichne, wie der Name Gott und der Name der Weise; doch wegen des Einwandes der Irrlehrer ist man auf Grund einer Konzilsentscheidung übereingekommen, daß er für das Beziehunghafte gelten könne, vor allem in der Mehrzahl oder mit einer Teilungspartikel, so wenn wir sagen: drei Personen oder: eine andere ist die Person des Vaters, eine andere die des Sohnes. In der Einzahl jedoch kann er genommen werden für das Beziehungslose und das Beziehunghafte [27]. - Doch das scheint kein genügender Grund. Denn weil der Name Person, kraft seiner Bezeichnung, im Göttlichen nur die Wesenheit bezeichnen kann, so wären dadurch, daß man drei Personen sagt, die Verdrehungen der Irrlehrer nicht zur Ruhe gekommen, sondern wäre ihnen nur Gelegenheit zu noch größeren Verdrehungen gegeben worden. (Fs)

Deshalb sagten andere, der Name Person bezeichne im Göttlichen zugleich die Wesenheit und die Beziehung. Unter ihnen sagten wieder einige,2 er bezeichne direkt die Substanz, indirekt die Beziehung; persona heißt nämlich gleichsam per se una: durch sich selbst eins; Einheit aber geht die Wesenheit an. In dem durch sich selbst dagegen liegt indirekt die Beziehung ausgedrückt; der Vater wird nämlich verstanden als durch sich selbst seiend, gleichsam durch die Beziehung unterschieden vom Sohne. - Einige aber sagten umgekehrt: es bezeichne direkt die Beziehung, indirekt die Wesenheit, denn in der Wesensbestimmung von Person stehe Natur abhängig. Und diese sind der Wahrheit schon näher gekommen. (Fs)

Um in dieser Frage zur Klarheit zu kommen, muß man bedenken, daß etwas in der Bezeichnung des weniger Allgemeinen gegeben ist, was jedoch nicht in der Bezeichnung des mehr Allgemeinen liegt; so ist vernunftbegabt eingeschlossen in der Bezeichnung Mensch, und ist doch nicht gegeben in der Bezeichnung Sinnenwesen. Es ist also etwas anderes, nach der Bedeutung von Sinnenwesen fragen, und etwas anderes, nach der Bedeutung von Sinnenwesen, das Mensch ist, fragen. Ebenso ist es etwas anderes, nach der Bedeutung des Namens Person im allgemeinen fragen und nach der Bedeutung von göttliche Person fragen. Person im allgemeinen bezeichnet nämlich die Einzelsubstanz vernunftbegabter Natur (Art. 1). Einzelwesen aber ist das, was in sich ununterschieden, von anderen aber unterschieden ist. Person also in irgendeiner Natur bezeichnet das, was in jener Natur [von den anderen Einzelwesen derselben Natur] unterschieden ist; so bezeichnet es in der menschlichen Natur dieses Fleisch und dieses Gebein und diese Seele, die die Vereinzelungsgründe des Menschen sind; sind diese auch nicht gegeben in der Bezeichnung Person, so sind sie doch gegeben in der Bezeichnung menschliche Person. Eine Unterscheidung im Göttlichen aber erfolgt nur durch die Ursprungsbeziehungen (28, 3). Die Beziehung im Göttlichen ist aber nicht wie eine Eigenschaft, die dem Träger innehaftet, sondern ist die göttliche Wesenheit selbst; sie ist daher für sich bestehend, wie die göttliche Wesenheit für sich bestehend ist. Wie also die Gottheit Gott ist, so ist die göttliche Vaterschaft Gott Vater, der eine göttliche Person ist. Göttliche Person bezeichnet nämlich die Beziehung als für sich bestehend. Und das heißt: die Beziehung bezeichnen nach der Weise der Substanz, die die in göttlicher Natur für sich bestehende Hypostase ist, wenn auch das in göttlicher Natur für sich Bestehende nichts anderes ist als die göttliche Natur selbst. (Fs) (notabene)

Und dementsprechend ist es richtig, daß der Name Person direkt die Beziehung, indirekt die Wesenheit bezeichnet, doch die Beziehung nicht, insofern sie Beziehung ist, sondern insofern sie bezeichnet wird nach der Weise der Hypostase. - In ähnlicher Weise bezeichnet er [der Name Person] auch die Wesenheit direkt, die Beziehung indirekt, insofern Wesenheit dasselbe ist wie Hypostase. Die Hypostase aber wird im Göttlichen bezeichnet als durch die Beziehung [von den anderen Hypostasen] unterschieden. Ebenso fällt die Beziehung, wenn sie nach der Weise der Beziehung bezeichnet ist, indirekt unter den Begriff Person. (Fs)

Danach läßt sich nun Folgendes sagen: Diese Bedeutung des Namens Person war vor den falschen Aufstellungen der Irrlehrer noch nicht erkannt; deshalb war auch der Name Person nur in Gebrauch wie einer der anderen beziehungslos gebrauchten Namen. Nachher aber ist der Name Person soweit angeglichen worden, daß er für einen beziehunghaften gelten konnte, und zwar aus der Angemessenheit seiner Bezeichnung heraus, so daß er ebendies, daß er als Beziehungsname gilt, nicht nur aus dem Gebrauch hat, sondern auch aus seiner Bedeutung. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Einheit, Verschiedenheit: Glauben - Wissen; Entsprechung, Differnez: Theologie - Philosophie, Glauben - Denken

Kurzinhalt: ... eine doppelte Ordnung der Wahrheit. Ihr Ursprung aber ist einer und derselbe; von beiden gilt das Wort: In deinem Lichte sehen wir das Licht. Sowohl die Ursätze der Vernunft wie die Wahrheiten des Glaubens haben ihre Zuverlässigkeit von der ...

Textausschnitt: Einleitung A. Glauben und Wissen

LIVa Die Forschung der menschlichen Vernunft gelangt nach Thomas schlußfolgernd zu der Wahrheit, daß Gott ist. Ihrem Lichte öffnen sich, wie die alten Philosophen zeigen, auch gewisse Seiten der Seinsweise Gottes. Andere Wahrheiten über Gott hingegen, die uns im christlichen Glauben gegeben sind, übersteigen die Kraft der Vernunft. So gibt es auf Seite des Menschen, der das Göttliche zu erkennen sucht, eine doppelte Ordnung der Wahrheit. Ihr Ursprung aber ist einer und derselbe; von beiden gilt das Wort: In deinem Lichte sehen wir das Licht. Sowohl die Ursätze der Vernunft wie die Wahrheiten des Glaubens haben ihre Zuverlässigkeit von der nämlichen göttlichen Quelle her. (Fs)

Aber in verschiedener Weise betrachten Philosoph und Theolog die Welt der Tatsachen und der Wahrheit. Wenn der eine das Feuer nach seiner Natur erforscht, so der andere als Ausdruck göttlichen Lebens und in der Beziehung auf seinen Urheber. Auch der Philosoph wird endlich zu Gott aufsteigen, aber seinen Ausgang nimmt er vom Geschöpf; dem Menschen des Glaubens indessen ist das Erste die Betrachtung Gottes, und von ihm aus wendet er sich zum Geschöpfe her, um es in seiner Zuordnung auf Gott zu erkennen. Vollkommener freilich ist die Betrachtungsweise des Theologen, weil näher dem Erkenntnisleben Gottes, der ja im Erkennen seiner selbst alles Seiende in der Schauung besitzt. Und darum, weil sie immer die höchste Ursache bedenkt, hat sie den Vorrang, dessentwegen die menschliche Philosophie zu ihr im dienenden Verhältnis steht (ipsi quasi principali philosophia hurnana deservit). (Fs)

LIVb Aber das eine wie das andere Verfahren ist unvollkommen im Vergleich mit der Schauungsweise in der Ewigkeit. "Das ist", sagt Thomas mit dem Buche Hiob, "nur stückweise gesprochen von Seinen Wegen, und da wir kaum einen kleinen Tropfen von Seinem Wort vernommen haben, wer wird vermögen, das Gedonner Seiner Größe zu schauen?" Ins Geheimnis führen beide Wege. Das Denken über das Seiende befähigt uns, durch die Erscheinungswelt die Wirklichkeit einer geistigen Ordnung zu erkennen und dieses unsichtbare Reich in uns aufzunehmen; aber Gott der Quellgrund, von dem wir erkennen, daß er ist, bleibt uns unbekannt nach der Frage, was Er ist. Die Kundgabe einer andern, nicht im Natursein enthaltenen Wirklichkeit, nämlich die im geschichtlichen Fortgang (paulatim) und in menschengemäßer Erscheinungsweise ergehende Offenbarungswelt, übersteigt die natürliche Sehkraft des menschlichen Verstandes und öffnet sich dem von Glaubenslicht erleuchteten Geiste; aber auch ihm verhüllt sich die letzte Tiefe der "verborgenen Gottheit". (Fs)

LVa Mit der ganzen Scholastik also teilt der Aquinate die Überzeugung von der letzten inneren Entsprechung zwischen Denken und Glauben, und ihren Nachweis empfängt er sowohl aus der Denkwissenschaft wie der Glaubenswissenschaft. Dennoch stellt er sich einer Verquickung der beiden entgegen. Nicht eine doppelte Wahrheit, wie die Averroisten, nimmt er an, auch nicht ein fauler Friede könnte ihm genügen. Was er übt und fordert, ist die lautere, strenge Entfaltung der Vernunft auf dem ganzen Felde ihrer Reichweite; denn nur mit einer selbständigen Philosophie, die zur Eroberung der Wahrheitswelt alle natürlichen Kräfte ansetzt, ist der Glaubenswissenschaft und am Ende auch dem Glauben selbst geholfen. Mit dieser von Albert schon vollzogenen Besonderung der Wege zur Wahrheit ist sowohl die frühere Alleingeltung entweder des Glaubens oder der Vernunft als auch der scheinbare Ausgleich durch Vermengung (bei Anselm) überwunden. (Fs)

LVb So ist bei Thomas Philosophie nicht Theologie, und seine Theologie nicht Philosophie. Aber beides ist da, und indem ein jedes nach seinem inneren Gesetze sich entfaltet, entsteht von beiden her ein einheitliches Gebilde, das dem Baume gleich, von Erde und Himmel versorgt, die Entsprechung des Unten und Oben offenbart. "Der Mensch arbeitet sich dank dem natürlichen Lichte der Vernunft an den Kreaturen hinauf zur Erkenntnis Gottes; die göttliche Wahrheit, die über den menschlichen Verstand erhaben ist, senkt sich offenbarungsweise in uns hinein." (Philos. Summe IV i.) Man darf, will man Thomas nicht im Grunde mißverstehen, dieses Eine Sinnganze in der Zweiheit von Bewegung - Hinauf und Herab - nicht auseinanderbrechen. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Seinswissenschaft, Ontologie; Denken - Sein (primum cognitum)

Kurzinhalt:
as Erste, was in die Begreifung des Verstandes fällt, ist: Seiend. (Primum, quod cadit in conceptionem intellectus, est ens.) Oder: Immer ist Seiend das Erste, was erkannt wird.

Textausschnitt: 1. Seinswissenschaft

LVb Man kann bei einem Rade nicht sagen, diese oder jene Speiche ist die erste, aber von der Nabe, daß sie für alle das Erste ist: Halt und Mitte, Ausgang und Mündung. So läßt sich das thomistische System von diesem oder jenem Teil aus betrachten, aber man würde immer auf etwas Wichtigeres, eine für alle gemeinsame und unerläßliche Voraussetzung geführt: das ist die Wissenschaft vom Sein - die Ontologie. (Fs)

LVIa Sie hat wie jede Wissenschaft ein logisches Verfahren nötig, d. h. sie muß mit den Mitteln unseres Erkenntnisvermögens, nach seinen Gesetzen und Regeln vorgehen, damit nach Möglichkeit der Gegenstand Besitz werde, so das Vermögen durchdringend wie von ihm durchdrungen. Nicht wird unsere Logik vom Sein der Dinge bestimmt, aber auch nicht das Sein der Dinge von unserer Logik. Beide verhalten sich zueinander ähnlich wie Ding und greifende Hand: jedes ist etwas für sich, aber das greifende Vermögen der Hand, abhängig vom Gesetz ihres Baues, hat sich, damit das Ding gegriffen werde, in der Anwendung nach dem Ding, seiner Art, seiner Form, seinem Bau zu richten. Oder nach dem drastischen Bilde Platons vom guten Dialektiker: er gleicht dem geschickten Koch, der sein Tier vorschneidet, ohne die Knochen zu zerschlagen, indem er den Gelenken folgt, wie die Natur sie vorgezeichnet hat. Indem wir also die Logik, die "die Kunst der Künste darum ist, weil sie in der Tätigkeit der Vernunft uns leitet", als Werkzeug für die Spekulation über das Sein gebrauchen, sprechen wir billig von Ontologie, einer echten Wissenschaft vom Sein. Sie ist dies bei Thomas noch aus einem andern Grunde: wegen des Ausgehens von der Erfahrung. Er fragt, was ist, und aus dem, wovon er gefunden, daß es ist, folgert er, was sich gehört. So, als Empiriker im höchsten Sinne, "steht er mit festen, markigen Knochen auf der wohlgegründeten, dauernden Erde". Alle Einzelwissenschaften, wie die Chemie oder Biologie, haben Seiendes zum Gegenstand, erforschen der Erfahrung gegebene Dinge, von denen wir aussagen können, daß Eines ihnen gemeinsam ist: daß sie sind, da sind, Sein haben. Dieses Sein ist die Urerfahrung, die wir an allem machen, was überhaupt für uns erfahrbar ist. Woran sie gemacht wird, das sind die bewegten, veränderlichen Dinge, die auf dem Wege der sinnlichen Empfängnis uns erregen, aber daß sie gemacht wird, nämlich als alle Einzeldinge übergreifende, sie unter ein allgemeinstes Eines befassende, das ist das Ursprünglichste, worin das Erfassende tätig oder betätigt ist. Um diese Binsenwahrheit zu entdecken, hat es einen Aristoteles gebraucht. Thomas bringt sie auf den Satz: Das Erste, was in die Begreifung des Verstandes fällt, ist: Seiend. (Primum, quod cadit in conceptionem intellectus, est ens.) Oder: Immer ist Seiend das Erste, was erkannt wird. (Ens semper est primum quod cognoscitur.) Dieses Sein also, das unsere Urerfahrung ausmacht, begründet eine Wissenschaft, die nicht über die einzelseienden Dinge hinweg, doch über sie hinaus, vielmehr, wie sich zeigen wird, eindringend in den Bau des Wirklichen, dem sie einbeschlossen sind, ihr Allgemeinsames ins Auge faßt. Sie ist nach Thomas "die Wissenschaft, welche Seiend und das ihm Folgliche betrachtet" (scientia, quae considerat ens et ea quae consequuntur ipsum). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Seinswissenschaft, Ontologie; Prinzipien, Axiome (prima principia, axiomata, dignitates); Omne ens est verum; Ens et verum convertuntur

Kurzinhalt: Das Seiende selbst zwingt uns zu dem Urteil: man kann etwas in der nämlichen Hinsicht nicht zugleich bejahen und verneinen. Dieses Urteil beruht auf den Begriffen von Seiend und Nichtseiend, ...

Textausschnitt: 2. Ursätzliches im Denken und Sein

LVIIa Unsere Ersterfassung - Seiend - ist in jeglichem, was wir auffassen, einbeschlossen. Im Grunde ist dieser ursprünglichste und allgemeinste Begriff schon das Urteil: Seiend ist, und es kann nicht zugleich nichtsein. Das ist das primum principium, der Ursatz, das ontologische Grundgesetz: ein Denk- und Seinsgesetz zugleich. Es ist im Sein selbst begründet, und es ist unbeweisbar. Das Seiende selbst zwingt uns zu dem Urteil: man kann etwas in der nämlichen Hinsicht nicht zugleich bejahen und verneinen. Dieses Urteil beruht auf den Begriffen von Seiend und Nichtseiend, auf ihm selbst beruhen alle andern Ursätze sonst, und sie lassen sich nicht weiter zurückführen als auf diesen unzurückführbar ersten: den Satz vom Widerspruch (principium contradictionis). Wie also die einfache Auffassung von Seiendem den Begriff Seiend mit sich bringt, so liegen auch in dem notwendig daraus erfolgenden Urteil, daß Seiend nicht zugleich auch Nichtseiend sein kann, weitere Gewißheiten einbeschlossen, welche gleich jener ersten durch sich selbst einsichtlich (evident) sind. Obgleich sie von ihr abhängig sind, so daß sie mit ihr stehen und fallen, sind sie doch "etwas durch sich selbst Offenbares, von dem sich nicht denken läßt, daß es nicht sei", und heißen gleichfalls prima principia (auch axiomata, dignitates). Solche Ursätze sind:

LVb Es gibt keine Wirkung ohne Ursache. (Ungewirktes Gewirktes ist nicht denkbar.)
LVIIIa
Das Ganze ist größer als sein Teil. (Sonst wäre es das Ganze und nicht das Ganze.)
Das Tätigsein folgt dem Wirklichsein. (Wo Feuer brennt, kann nicht Erwärmung nicht sein.)
Nichts kann die Ursache seiner selbst sein. (Es wäre sonst Ursache und Wirkung, also Nicht-Ursache, in Einem.)
Niemand gibt, was er nicht hat.
Dasjenige, weswegen etwas ein solches ist, ist es selbst noch mehr. (Propter quod unumquodque tale, ipsum magis. Gesundheit ist begehrenswert wegen des Lebens, also ist Leben es noch mehr. Oder: Abgeleitetes kann nicht größer sein als das Stammhafte.)
Unendliches kann vom Endlichen nicht erfaßt werden.
Aus der Möglichkeit kann etwas in die Wirklichkeit nur durch ein in Wirklichkeit Seiendes übergeführt werden.
Eins und ein anderes, die einem Dritten gleich sind, sind unter sich gleich.
Das Nichts hat keine Eigenschaften.

LVIIIb Diese trotz ihrer gemeinsamen Rückführbarkeit eigengültigen und nicht erst abgeleiteten Sätze gestatten Erklärung und Erläuterung, aber sie zu beweisen ist weder notwendig noch möglich, und zwar, wie Thomas sagt, nicht wegen Mangels, sondern Fülle des Lichts. Es verhält sich mit ihnen im Bereiche des zur Erkenntnis stehenden Seins ebenso wie mit dem sittlich Ursätzlichen im Bereiche des Handelns, wo der im Erstbegriffe Gut beschlossene Inhalt sich sogleich in dem Urteil entfaltet: Gut muß erstrebt und getan, Böse muß vermieden werden. (Fs) (notabene)

Das angegebene Erste Grundgesetz ist nach der Seite Seiend wie nach der Seite Denken zu betrachten. Im ersten Falle, ontologisch, lautet es: Seiend ist nicht zugleich nichtseiend; im zweiten, logisch, lautet es: man kann nicht vom nämlichen in der nämlichen Hinsicht zugleich bejahen und verneinen. (Und gleichso bald ontologischen, bald logischen Charakters sind die Sätze der aufgeführten Reihe.) Diese unterscheidbaren und nicht gefahrlos zu vermischenden Ordnungen sind aber nicht schlechthin getrennte Welten, sondern Ordnungen der Einen Wirklichkeit. Indem wir notgedrungen vom Seienden dieses oder jenes Allgemeingültige aussagen, bewegen wir uns in Gedanken und Urteilen, die uns von der erfahrenen Wirklichkeit auferlegt werden. So ist der Satz vom Widerspruch zweifellos unser Satz, subjektiv, nicht erst aus den Dingen gewonnen, aber nicht so subjektiv, daß er nicht von den Dingen bewahrheitet würde und zugleich als ihr Gesetz gelten könnte. Dasselbe zugleich vom nämlichen bejahen und verneinen ist uns deshalb unmöglich, weil in der Welt des Seienden etwas nicht zugleich sein und nicht sein kann. (Fs) (notabene)

LIXa Es zieht sich also etwas Ursätzliches durch Denken und Sein gemeinsam hindurch. Mehr noch: Denken und Sein, Erkennend-Seiendes und Erkannt-Seiendes, stehen überhaupt, nicht nur in Mensch und ihm gegebener Welt, in gegenseitiger Durchdringung (sie ist treffend auch mit compenetratio bezeichnet worden). Aus der Begegnung mit Seiend entstehen dem Verstande ursprüngliche Gewißheiten, weswegen er auch "Verhabung der Ursätze" (habitus principiorum) genannt wird. Das Denken ist auf Sein hin, das Sein auf Denklichkeit bestimmt. Das Seiende ist denklich (und wirklich auch gedacht) als ein solches, nämlich als seiend. Insofern ist jegliches Seiend gleich Wahr: Omne ens est verum. Oder: Jedes Seiend ist ein Wahr, das seiend ist. (Fs)

Aber diese Aussage von den Begriffen Seiend und Wahr gilt auch in ihrer Umkehrung: Jegliches Wahr ist seiend: Omne verum est ens. Oder: Jedes Wahr ist ein Seiend, das wahr ist. (Fs)

LIXb Also gilt auch der Satz: Seiend und Wahr sind in der Aussage des einen vom andern umkehrbar: Ens et verum convertuntur1. Vorgreifend setzen wir auch schon die Begründung her, die Thomas gibt: Seiend und Wahr sind umkehrbar, weil jedes Naturding durch seine Form gleichförmig wird mit der Gestaltnis in Gott (arti divinae conformatur). "Die Seinsbestimmtheit des Denkens ist letzterdings Denkbestimmtheit des Seins. Das Seiende ist in dem Maße Seiendes, in welchem es Geist und Gedanke ist. 'Ursprung ist das Denken' - archE gar HE noEsis (Aristoteles)2". (Fs) (notabene)

LIXc Fassen wir bündig zusammen! Die Urerfahrung Seiend trägt die Bestimmung Wahr mit sich. Jedes Wahr ist Wahr-sein eines Seienden, und jedes Seiende ist Seiendsein eines Wahr. Seiend und Wahr fallen (nicht begrifflich, aber) sachlich zusammen. Dieser ontologische Befund in seiner Schlichtheit und Ursprünglichkeit ist Grundlage und Voraussetzung dafür, daß wir von Wahrheit als Beziehung zwischen Ding und Denken, also von Erkenntniswahrheit sprechen können. Der Träger jenes Befundes ist der Verstand im allgemeinsten Sinne, also ein Denkend-Seiendes, entweder ein schlechthin unbedingter, allerfassender, der göttliche, oder der bedingte und beschränkte des Menschen oder irgendwelcher Verstandwesen, die weder Gott noch Mensch sind. (Fs)


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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Sein - Denken; Vernunft, Erkenntnis (Seinserfassung), Zeugung; Seele, Geistseele: quodammodo omnia fieri; kein Widerspruch: reductio in prima principia innata - r. in sensibilia; species intelligibilis - medium quo; universale post (ante) rem ...




Kurzinhalt: Erkenntnis innerhalb des Ganzen der natürlichen Seinsordnung kommt für Thomas durch einen zwischen Ding und Verstand sich abspielenden Vorgang zustande; sie ist eine Zeugung von zwei Seiten her.

Textausschnitt: LXa Die Weltwirklichkeit bietet sich uns in einer dreifachen Ordnung dar. Die erste ist die von uns vorgefundene der Naturordnung; die zweite die an der ersten durch unser Denken zustandekommende des Gedachtseins; die dritte die vom vernünftig handelnden Willen zu leistende des Seinsollens. Wir wissen um etwas außer uns, um uns selbst und um die Beziehung zwischen beiden. Der Welt des Seienden gehört jegliches an, und jene dreiheitliche Feststellung, die wir machen und notwendig machen müssen, ist bereits auch die Feststellung, daß das Seiende in irgendeiner Weise sich zu sich selbst verhält: indem es sich in sich begegnet, sich berührt, ergreift und durchdringt (per-ambulat). Genauer gesagt, wir finden uns in der Erfahrung: das Sein bietet sich uns dar als zugleich ein Sein der Verstehung und der Verstehbarkeit. Es ist ein Zustand oder Vorgang des Innewerdens seiner selbst. Was hiermit gemeint ist, wird näherhin aus einer berühmten Stelle bei Thomas (in der Philosophischen Summe IV 11) deutlich. Sie lautet:

"In den Dingen wird nach der Verschiedenheit ihrer Natur eine verschiedene Weise ihrer Ausströmung (emanatio) gefunden, so zwar daß, je höher im Range eine Natur (oder Wesenheit) ist, das, was ihr ausströmt, auch um so inwendiger ist." (Fs)

Unter allen Dingen halten nun die unbeseelten Körper die unterste Stelle. Bei ihnen kann es Ausströmungen nicht anders geben als durch die Wirktätigkeit eines Körpers auf einen andern hinüber: so wenn aus Feuer wieder Feuer erzeugt wird, indem von Feuer ein außenstehender Körper in Mitleidenschaft gezogen und in die Beschaffenheit und Art von Feuer überführt wird. (Fs)

LXIa Nach den unbeseelten Körpern halten die nächste Stelle die Pflanzen. Bei ihnen geht die Ausströmung bereits aus dem Innern hervor, insofern nämlich der innewohnende Saft der Pflanze zu Samen umgebildet wird und dieser Samen, wenn er der Erde anvertraut worden, wächst und wieder Pflanze wird. So findet sich hier schon der erste Grad von Leben: denn Lebewesen sind solche, die sich selbst zur Tätigkeit bewegen, während alles, was (bekommene Bewegung weitergebend) nur draußen ein anderes bewegen kann, völlig des Lebens ermangelt. Bei den Pflanzen aber ist dieses Kennzeichen des Lebens, daß das, was in ihnen ist, irgendeine Form bewegt. Dennoch ist das Leben der Pflanzen noch unvollkommen, weil ihre Ausströmung, obzwar sie von innen hervorgeht, allmählich doch aus dem Innern heraustritt, und das Ausströmende schließlich als etwas völlig Draußenseiendes befunden wird. Denn der Saft des Baumes, der anfänglich in ihm aufsteigt, wird Blüte, wird endlich Frucht, die vom Stamme gesondert, aber ihm noch verbunden ist; ist aber die Frucht vollendet, so trennt sie sich ganz vom Baume, fällt zur Erde und bringt durch Samenkraft eine andere Pflanze hervor. Ja, betrachtet man's genau, so ist auch das Urhebliche (principium) dieser ganzen Ausströmung im Außen anzusetzen: denn der Saft im Innern des Baumes wird durch die Wurzeln von der Erde hergeholt, aus der die Pflanze ihre Nahrung saugt.

LXIb Über das Pflanzenleben hinaus treffen wir einen höheren Grad von Leben an, nämlich das der Sinnenseele. Ihre eigentümliche Ausströmung nimmt zwar ihren Anfang von etwas draußen, aber sie kommt doch im Inneren zum Abschluß, und je weiter sie fortschreitet, um so weiter ins Innere gelangt sie: denn das Sinnfällige draußen führt seine Form den äußeren Sinnen zu, und von diesen dringt sie in die Vorstellungskraft und weiter in die Schatzkammer des Gedächtnisses. Dennoch gehören bei jedem Verlauf dieser Ausströmung Ausgang und Ende zu Verschiedenem: denn kein Sinnesvermögen sinnt auf sich selbst zurück (in seipsam reflectitur, so wie der Verstand). Also steht dieser Grad von Leben über dem Pflanzenleben um so höher, je mehr hier die Lebenstätigkeit im Inneren gesammelt bleibt. Aber doch ist es noch nicht vollkommenes Leben, weil die Ausströmung immer im Übergang von einem auf anderes geschieht.

LXIc Nun ist der höchste und vollkommene Grad von Leben der im Verstande: denn der Verstand sinnt auf sich selbst zurück und kann sich selbst verstehen. Aber auch im verstandlichen Leben findet man verschiedene Grade vor. Denn der menschliche Verstand kann sich zwar selbst erkennen, aber den ersten Anfang seiner Erkenntnis nimmt er von draußen, weil es Verstehung nicht ohne Vorstellungsbild gibt. Vollkommener also ist das verstehende Leben in den Engeln, bei denen der Verstand nicht von etwas draußen zur Erkennung seiner selbst fortschreitet, sondern über sich selbst hin (durch die eigene Wesenheit) sich erfaßt. Und selbst der Engel Leben gelangt noch nicht zur höchsten Vollkommenheit; denn obgleich das mit dem Verstand erschaute Wesensbild ihnen ganz innerlich ist, so ist dieses Wesensbild doch nicht ihre Wesenheit, weil in ihnen nicht das nämliche ist Denken und Sein (intelligere et esse). Mithin: der höchste Grad von Leben kommt Gott zu, in welchem nicht etwas anderes ist das Denken, etwas anderes das Sein. Und so muß denn in Gott das erfaßte Wesensbild die göttliche Wesenheit selber sein. ("Gott denkt, was er ist.") (Fs) (notabene)

LXIIa So sind nach Thomas im Seinsreiche als ganzem die Stufen des Seiens Stufen der tätigen Verinnerung bis in die Tiefe und Fülle seiner reinen Selbstbegreifung, die jenseits alles Einzelseienden das Leben Gottes ist. Ein und dieselbe Seinswirklichkeit, wie sie für uns da ist, ist zugleich verstehend und verstehbar. Das Menschenwesen findet sich auf einer bestimmten Stufe der lebendigen Selbsterfassung des Seins, und zwar in der Ordnung der verstehenden Wesenheiten auf der untersten. Unser Erkenntnisleben hat aus unserer Stellung im Seinsreich eine bestimmte, der Menschennatur eigenbehörige Verfassung. (Fs)

LXIIb Unsere Seele ist darauf angelegt, gewissermaßen "ein Spiegel des Alls" zu werden. Auf die Aktion der Dinge gegen uns her erfolgt eine Re-aktion, durch welche sowohl eine neue und eigentümliche Seinsweise der Außenwirklichkeit erzeugt wird, wie auch der Träger der Einwirkung, indem er diese innewird und verinnernd in seine eigene Seinsform überführt, erst zur vollen Wirklichkeit seiner zur Seinsverstehung bestimmten Natur gelangt. Nach Thomas - er spricht hier mit Aristoteles - ist die Seele als mit Erkenntniskraft begabte in der Lage, gleichsam alles werden zu können (quodammodo omnia fieri). Ihr Vermögen, zu erkennen, ist ein Vermögen, anderes zu werden, eine Befähigung (man höre in "fähig" das "fahen", greifig werden) für das andere. Das Leben dieses anderen irgendwie in sein eigenes zu ziehen, ohne jenes andere aufzuheben, zu versehren oder in irgendwelche Art von Mitleidenschaft zu versetzen, macht das innerste Wesen der Erkenntnis aus. Sie ist zugleich ein Vorgang der Veräußerung, weil das Ding nicht von vornherein Habe der Seele ist, und zugleich der Verinnerung, weil das Ding der Seinsweise der Seele anverwandelt wird. Es liegt im Erkennen - eben wegen dieses "Ein-anderes-werden" - nichts Selbstisches, ganz im Gegensatz zum Wollen, das immer den Zug nach einem zweckhaften Gut, also nach außen hat. "Es ist etwas von höherem Rang, in sich den Adel eines andern Seins (nämlich seine Wesensform) zu besitzen, als nur Beziehung zu einem adeligen Seienden zu haben, das draußen bleibt." (Fs)

LXIIIa Wieso geschieht nun dieses Anderes-werden, dieses Fremde-Formen-Haben der Seele im Erkennen? Erkennen weist sich über seine Natur selber aus: daß es nämlich ein Innelesen im Ding ist (intelligere = intus legere). Es hat den Charakter der Bestimmtheit durch den Gegenstand. Schon in seinem Auftreffen auf die Ursätze des Denkens muß es diese auch, wie gezeigt worden ist, als Seinsgesetze anerkennen. Die Ergreifbarkeit des Seins ist ihm natürliche Gewißheit, nicht nur etwas, was es guten Glaubens annimmt oder vertrauensvoll voraussetzt. Der Satz vom Widerspruch oder der Identität (a = a) ist schlechthin da, er zwingt von der Dingwelt her und zwingt im Verstande. Nun heißt aber Dingbestimmtheit des Erkennens nicht soviel als schlechthin Einssein von Ding und erkanntem Ding. Dieses Höchste von verstandlicher Ergreifung des Seins ereignet sich nur in der Selbsterfassung des Ich und mag in einem künftigen Leben der Vollendung Tatsache werden. Als die Menschen, die wir sind, erkennen wir nicht ohne Weg und Mittel, und eben diese Notwendigkeit bestimmt die Rangstufe unserer Natur, sofern sie eine erkennende ist. Alle unsere Seinsverstehung ruht nämlich auf sinnlichen Gegebenheiten auf und kommt zu ihrer höchsten, wesentlichen Leistung nur auf dem zwar unbewußt sich vollziehenden, aber doch unerläßlich von unserer Natur gebotenen Verfahren der Abstraktion. (Fs)

LXIIIb Man kennt aus der Geistesgeschichte mancherlei Verlegenheiten, die sinnliche Seite des Menschen und der Welt mit der geistigen in ein schickliches Verhältnis zu bringen. Bald ist die eine, bald die andere in Gefahr, um ihr Recht oder ihre Würde zu kommen. Nicht so bei Thomas: ihm hat das Leibliche und Sinnliche das Recht und die Würde des tragenden Fundaments in der Ordnung, der wir angehören. Das wird in seinem Begriff vom Menschen als einer Natureinheit aus Leib und Seele offenbar, und folgerecht auch in seiner Auffassung der Erkenntnis. Er sagt nicht wie Platon, schließlich sei nur die Seele der wahre Mensch, der Leib als ihr bloßes Werkzeug nicht zu seinem Wesen gehörig, sondern er nimmt sie als zusammengehörig für das Wesensganze Mensch, in dem die Geistseele die alles wirkende, ordnende und ausrichtende Form ist. Wenn es nun die natürliche Bestimmung dieser Geistseele ist, in grenzenloser Offenheit für die Weltwirklichkeit (nata omnia fieri) Seiendes nach Kräften aufzunehmen und erobernd zu durchdringen, solcherweise, daß in ihr die ganze Ordnung des Universums und seiner Ursachen sich abzeichne (ut in ea describatur totus ordo universi et causarum eius), so löst sie sich auch bei ihrer höchsten und tiefsten Tätigkeit, nämlich der denkenden Seinserfassung, nicht aus dem ursprünglichen Verbund mit der leiblichen Wesensseite des Menschen. Dieses gebundene Leib-Seele-Sein entspricht der Verfassung einer Welt, die bei aller Stofflichkeit im letzten Grunde aus einem geheimnisvollen denkerischen Entwürfe hervorgeht, so daß die Seele und die Welt komplementär sind von Natur. Das ist festzuhalten, wenn man die thomisti-sche Erkenntnislehre, die so wenig weit-flüchtig ist wie sein System von Sein und Sollen als ganzes, nicht verkennen will. (Fs)

LXIVa Wir fanden jene Ursätze des Denkens im Sein selbst vergründet. Wir haben sie schlechthin, nämlich als Teilhaber an der Einen Ordnung aller Natur, und es ist uns unmöglich, sie nicht zu haben. Was wir an Wahrheit und Erkenntnis uns gewinnen, besteht die Probe auf Gewißheit nur in der Rückführung auf diese Elemente. Darum spricht Thomas von der reductio in prima principia innata - also von angeborenen Ursätzen. Das ist aber mit einer notwendigen Unterscheidung gegen die Vertreter der üblich so genannten eingeborenen Ideen zu verstehen, die Thomas mit Nachdruck und vielen Gründen bekämpft. Fragt man ihn, ob wir unsere allgemeinsten, immergültigen Erkenntnisse lediglich einer außermenschlich entspringenden Einstrahlung verdanken, ob wir die Ursätze ohne weiteres, noch vor aller Begegnung mit der Welt der Gegenstände, die uns zu geistiger Stellungnahme, zu Begriffsbildung und Urteil veranlaßt, wie einen abgelösten, an und für sich wirksamen und zwingenden Text in unserer Seele vorfinden und lesen, ob wir die Begriffe Zahl und Recht und Schön und Gut und Wahr ohne jede Grundlage von Empfindung und Erfahrung der sinnlichen Welt in uns vorliegend finden, so antwortet er mit Nein. Daß er die prima principia angeboren nennt, will dies besagen: Im Unterschied von den Sinnen, die immer nur auf ein Einzelnes, ein Dies-da (hoc aliquid), ein Nichtnotwendiges und Stofflich-Ungedankliches gerichtet sind, hat der Verstand den Zug (intentio) zum Allgemeinsamen, Notwendigen und Gedanklichen, und das könnte so nicht sein, wenn diese vollkommenere Art der Seinserfassung nicht vorher in seiner Natur angelegt wäre - als Vermögen nämlich, am Stoffe Welt zu Wesensbegriffen und sicheren Urteilen zu gelangen. Seines angeborenen Rüstzeugs wird er inne, wenn er es gebraucht, und im Gebrauche erst wird es seine Wirklichkeit. Der Verstand als tätiger muß erst sein eigenes Licht auf seine eigene in ihm ruhende Gabe werfen, um so auch zum Bewußtsein der Ursätze, der von Natur ihm gegebenen Grundlage jedes Urteils, zu gelangen. (Fs) (notabene)

LXVa Da nun diese Ursätze eine natürliche Mitgift des Verstandes sind, nicht eigentlich Gegenstand als vielmehr Voraussetzung seiner Erkenntnistätigkeit, so ist der bei Thomas festzustellende Gegensatz der platonischen Methode der reductio in prima principia innata und der aristotelischen reductio in sensibilia, nämlich der Rückführung aller unserer Begriffe auf sinnliche Erfahrung, nicht auch ein Widerspruch; denn obgleich nach Thomas die sinnlichen Erfahrungen die Voraussetzung für jede Tätigkeit des Verstandes sind, auch für die aktuelle Gewinnung oder vielmehr Erwahrung der Ursätze, so gehören sie doch nicht zu seinem Wesen. (Fs)

LXVb Von unbeschränkter Geltung also ist der Satz: Nichts ist im Verstande, was nicht zuvor im Gesinn gewesen wäre (nihil est in intellectu, quod non prius fuerit in sensu). Das hierin ausgesprochene Gründen unseres höheren Erkenntnislebens auf dem niederen begreift in sich sowohl das volle Ernstnehmen der stofflichen Seite an Welt und Mensch als auch die Einsicht, daß unser geistiges Sein ohne den Rückhalt an der Sinneserfahrung der eigenen Sicherheit ermangelt - der Träumende unterscheidet sich vom Wachen durch die Unmöglichkeit des Zurückkommens auf die sensibilia, von denen losgerissen seine Vorstellungen ohne die Bestätigung aus der Wirklichkeit ihr wildes Spiel mit ihm treiben. Die ganze thomistische Erkenntnislehre beruht auf der Voraussetzung, daß sich das Sein als erkennbares und das Sein als erkennendes im Verhältnis urangelegter Entsprechung und gegenseitiger Zuordnung befinden. So gibt es ein echtes Ankommen unserer Geisteskraft bei der uns umgebenden Wirklichkeit, unsere letzten Funde tragen den Charakter der Gewißheit, mithin auch der Verpflichtung, und unsere Aussagen von den Dingen sind, mit Goethe zu sprechen, "nicht bloße Vorstellungsart", sondern wir fassen "die wirklichen Dinge in unserer Vorstellung". "Man suche nur nichts hinter den Phänomenen, sie selbst sind die Lehre" - dieses Wort des Deutschen trifft unbewußt die Überzeugung des Aquinaten, die lange vor ihm schon Augustin in seiner Weise ausgesprochen: daß die Erscheinung des Dinges auch schon die Antwort auf die Frage nach seinem Wesen sei. (Fs)

LXVIa Soweit es auf der Bahn, die von den Pythagoreern, von Anaxagoras, Platon und Aristoteles herführte, irgend möglich war, baute Thomas seine Gedanken über das Denken, das Sein und ihrer beider Verwobenheit aus dem Grunde der Erfahrung herauf, nicht von metaphysischen Ansätzen herab, und er nahm den Bereich jenseits dessen, was noch Natur zu nennen ist, so wenig als möglich in Anspruch. Diese Natur als Ganzes freilich nahm und erklärte er so wenig aus und durch sich selbst, daß er gerade in ihr den zwingenden Hinweis auf Über-Natur, den Ursacher und Urbildträger - Gott - erkannte. So kommt er auch in seiner Erkenntnislehre, so streng er der Erfahrung folgt, notwendig über Mensch und Ding auf ein überliegendes Drittes hinaus. Indem er den Erkenntnisvorgang von den Tatsachen des Bewußtseins aus verfolgt, gelangt er zur Anerkenntnis eines Urgrunds, der als reine alldenkende und allebendige Wirklichkeit jenseits unseres erfahrenden und denkenden Bewußtseins liegt. Er sagt mit Augustin: wir erkennen die Dinge, weil sie sind; die Dinge aber sind, weil Gott sie sieht. (Fs)

LXVIb Erkenntnis innerhalb des Ganzen der natürlichen Seinsordnung kommt für Thomas durch einen zwischen Ding und Verstand sich abspielenden Vorgang zustande; sie ist eine Zeugung von zwei Seiten her. Angereizt von der stofflichen Außenwelt erkennt das Gesinn nur Einzeldinge, aber ein anderes Vermögen unserer Natur vollzieht eine Verarbeitung, in welcher die von den Dingen in uns verursachten Anschauungsbilder (species sensibiles, phantasmata) gleichsam erst ihr Schweigen brechen und wie ein inneres Wort sich vernehmen lassen. Dieses tiefere Aufnehmen, das eigentliche Ergreifen, leistet unser Verstand, indem er unsere sinnlichen Vorstellungen mit seinem Lichte bestrahlt (illuminat), von ihnen das Stoffartige hinwegläutert (depurat) und etwas herauszieht, hervorsondert, losdenkt (abstrahit), was trotz solcher Entfernung vom Ding nun erst eigentlich ihm gerecht wird, weil es seine, des einzelbesonderen Dings, inneseiende Seinsform oder Wesenheit, seine allgemeine Natur darstellt: es ist das geläuterte begriffliche Erkenntnisbild (species intelligibilis, die letzte noch erfaßliche Bestimmtheit oder, nach alten deutschen Übersetzern, Gestaltnis des Gegenstands). Ich habe den Begriff, das Denkbild "Stein" nicht schon im Verstande (etwa als angeborene Idee), bevor ich das Anschauungsbild "Stein" empfangen habe, und ich habe dieses innere Anschauungsbild nicht, bevor ich es nicht gesehenem oder sonstwie sinnlich erfahrenem Stein abgewonnen habe. Wie aber steht es mit dem geistigen Erfassen der unkörperlichen Gegenstände, von denen der tätige Verstand doch keine Phantasmen haben kann? Wir denken, sagt Thomas, auch das Unstoffliche, solang wir die irdischen Menschen sind, nach Art und im Ähnlichkeitsverhältnis (analogice) der sinnlich erfahrbaren Welt, indem wir vermittels des erkannten Stofflichen auch das Unstoffliche uns verständlich machen, etwa auch die geistigsten Verhältnisse in sprachlicher Bildlichkeit darstellen. (Fs) (notabene)

LXVIIa Was nun ist es also, was vom Verstande schließlich und eigentlich erkannt wird? Wenn alles Erkennen als abbildende, abformende Tätigkeit zuletzt ein reines, stoff-entlöstes Denkbild hervorbringt: ist nun bloß unser inner-menschlicher, vom Außending hervorgereizter Eindruck, also das Ding, wie es in der Seele steht, erkannt, oder spricht unsere abgezogene Erkenntnisform in wahrer, verlässiger Abbildlichkeit das Ding an sich aus, wie es außerhalb der Seele ist? Thomas antwortet: das Denkbild ist nur ein Erkenntnismittel (medium quo) zur Erfassung des Erkenntnisgegenstands; es ist der Repräsentant des Dings an sich, und durch jenen wird dieses selbst erkannt - nach seiner eigenen Wesenheit (oder Washeit, quidditas) jenseits vom Bewußtsein des Erkennenden. (Also nicht Psychologismus und Phänomenalismus, sondern Realismus.) Hat das sinnliche Dingabbild in uns nur das einzelne, besondere Draußending erfaßt, so übermittelt sich uns im abgezogenen, gedachten Bilde seine wahre Natur, die draußen freilich nicht so wie in der erkennenden Seele da ist, als eine und allgemeine in der Abgelöstheit von dem und jenem Ding, sondern immer nur als im individuell Verstückten vorhandene: draußen gibt es nur bestimmte Einzelsteine, das aber, was insgemein ihre Natur ausmacht, der Stein, der sie alle sind, diese Wesenheit Stein eines jeden Steins ist nur in der Seele. Sie ist als Dingnatur das bestimmende Allgemeine in den einzelnen Trägern (universale in re), sie ist der vom Ding losgedachte Inbegriff im Denken (universale post rem), aber auch das Urvorbild des Dinges, schon eher als dieses bestehend gleich dem Plan des Kunstwerks im Geiste des Künstlers (universale ante rem, das Ding im göttlichen Verstande). (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Sein - Denken; Vernunft, Erkenntnis (Seinserfassung); intellectus et intelligibile in actu sunt unum; Phantasma: agenda instrumentalia; Verstand: intellectus possibilis - i. agens; Abstraktion (Schatz im Acker)


Kurzinhalt: ... der Ingrund des Dinges, soweit er verstehlicher Natur ist, fällt mit dem Inbild, als welches das Ding mein verstandenes ist, zusammen. Das Ding im Verstandenwerden und der Verstand im Verstehen schießen zu Einer Wirklichkeit ineinander.

Textausschnitt: LXVIIIa Thomas unterscheidet im Ding zwischen dem, was es zu diesem individuellen Ding hier macht (principium individuans) und dem, was ihm seine Natur oder Washeit ausmacht und dadurch es zum Ding einer bestimmten Art von Dingen macht (principium specificans). Obgleich nun der Verstand die wirklichen Dinge erkennt, in Abstreifung dessen, was ihre Einzelbesonderheit ausmacht (seclusis principiis individuantibus), so richtet sich doch die Weise, die Dinge zu erkennen, nach der Beschaffenheit des Erkennenden: gemäß seiner Eigentümlichkeit faßt er sie auf. Die scholastische Formel dafür lautet: Das Erkannte ist im Erkennenden nach Weise des Erkennenden (cognitum in cognoscente secundum modum cognoscentis). Oder, nach einem andern Satz bei Thomas: der Verstand faßt die Dinge nicht nach ihrer, sondern nach seiner Weise auf. Also erheben und gestalten wir aus der äußeren Wirklichkeit eine gedachte Wirklichkeit, die ein Erzeugnis unseres Denkens ist. Indem wir aber von der einen sinnlich mittels der Phantasmen Besitz nehmen, durch die andere aber die allgemeinen, artlichen Wesenheiten erheben, in denen das Einzelding gründet, sie mannigfach und je nach den Bedingungen des Wesungsstoffes in immer anderer Besonderheit darstellend, spiegelt unser Erkenntnisleben die Seinswelt völlig so wie sie geartet ist. (Fs)

LXIXa Spiegelt nur? Oder geschieht im Erkennen ein gegenseitiges Sichdurchdringen von Erkennendem und Erkanntem? Werden wir am Erkennbaren erst, sofern es uns in die Tätigkeit des Erkennens versetzt, eigentlich und wirklich wir selbst als Verstandwesen, und kommt auch das Ding erst durch das Dasein in uns zu dem Sein, das mit ihm und in ihm gemeint ist? In der Tat, für Thomas - hierin abhängig von seinem griechischen Meister - verhält es sich so. Was mittels des sinnlichen Eindrucks sich letztlich vom Ding uns mitteilt, das ist seine innere Wesungsform, seine Idee oder Intention. Das Verhältnis von Kunstwerk und Betrachter kann zum Beispiel dienen: das mit der Statue durch stoffliches Mittel Gemeinte, also die bedeutete Form, die innewohnende Idee, wird als die nämliche auch dem Betrachter wirklich, der für sie empfänglich ist, nämlich einer verstehenden Wesenheit, die frei aus sich herausgehen und in gewissem Sinne auch ein anderes, ja alles, wovon sie als Erkennendes sich ergreifen läßt, werden kann. Also der Ingrund des Dinges, soweit er verstehlicher Natur ist, fällt mit dem Inbild, als welches das Ding mein verstandenes ist, zusammen. Das Ding im Verstandenwerden und der Verstand im Verstehen schießen zu Einer Wirklichkeit ineinander. "Verstand und Verstehliches sind in der (Verstehungs-) Wirklichkeit Eines (intellectus et intelligibile in actu sunt unum)." "Die Tätigkeit des Verstandes besteht darin, daß das Wesen der verstandenen Sache im Verstehenden ist (actio intellectus consistit in hoc, quod ratio rei intellectae est in intelligente)." Dabei ist der Verstand sowohl in der passiven Rolle des Erfahrens gleich der leeren, aber beschreibbaren Tafel - "unser Verstehen ist gewissermaßen ein Erleiden (intelligere nostrum est pati quoddam)" - als in der aktiven des Lichtwerfens auf die sinnlichen Erfahrnisse, des Herausklärens ihrer unsinnlich-geistigen Gehalte. Die abbildlichen Phantasmen von den Außendingen sind werkzeuglich einwirkend (agenda instrumentalia) auf das erfahrende Vermögen der Verstehseele, und sie begegnet ihnen mit ihrem anwirkenden Vermögen, um aus der sinnlich-bildlichen Dingvertretung das unter den individuellen Bedingungen (condiciones individuales) vorhandene Verstehliche hervorzubringen. Der Verstand ist in der Möglichkeit zu allem (in potentia ad omnia), und insofern intellectus possibilis, aber er ist auch intellectus agens, als tätiger fähig, sich das Ding zur geistigen Leuchtung zu bringen in der Verstehung, sei es im einfachen Begriff, sei es im Urteil, so daß Verstand und Ding wie in einer Zündung mit und durch einander zu ihrer höchsten natürlichen Wirklichkeit gelangen. (Fs) (notabene)

LXXa Die Gezweiung des Seins in Denkbares und Denkendes schließt sich, wo und wann ein Verstand erkennt. Nichts anderes ist Erkenntnis als Aneinigung des erkannten Dings an den Erkennenden (unio rei cognitae ad cognoscentem), Kundwerdung dessen, was in der zur Erkenntnis gestellten Welt der Dinge gemeint ist, durch das innere Wort (verbum mentis) des verstehenden Verstandes, welches zwar nur in ihm vorhanden ist, aber für ihn wie für das Ding die Aussprechung ihrer urangelegten Sinnbezogenheit vollzieht. Im Denken wird die Welt inne ihrer selbst - in verschiedenen Stufen und Graden der Selbstdurchdringung, die nach einem Höchsten weisen, wo Verstand und Ding, Wesenheit und Dasein nicht mehr unterschieden sind. (Fs) (notabene)

LXXb So ist es schließlich die Abstraktion, die uns ins eigentlich Konkrete führt, in die bleibenden Artbilder der Dinge über der Flucht des - Konkreten. Sie sammelt aus der Zerstreuung, sie verfestigt das Fließende, sie findet den Schatz im Acker, sie erst ermöglicht uns das Glück, mit den Weltgehalten so innig übereinzukommen, als es unserer Natur in Raum und Zeit verstattet ist. Begriff und Definition sind der wahre Griff ans Ding (virtus comprehendens rem), das Urteil des Verstandes ist das Innewerden der Gültigkeit jener Beziehung zwischen Ding und Seele, die wir Wahrheit nennen. Durch unsere Sinne verbinden wir uns nur obenhin (superficialiter) den Dingen, der Verstand aber langt bis zur innersten Wesenheit durch (intellectus pertingit usque ad intimam rei quidditatem). Erkenntnis ist die edelste Weise, ein Ding zu haben oder zu behaupten, nämlich seiner unstofflichen Seinsform nach. (Fs) (notabene)

LXXc Und dennoch wäre Thomas verkannt, wollte man in seinem "Intellektualismus" die Melodie des "Wanderers" überhören, der unterwegs zum Ziel die Dinge auch bei klarster Sicht, gerade dieserhalb, in ihrer letzten Unergründlichkeit für das Auge seines Geistes liegen sieht. Wir können richtig definieren, die Washeit erfassen - aber wieviel können wir nicht definieren (das Nächste gerade, das Individuum, ist unaussagbar), und auch die erfaßte Washeit beläßt uns noch im Stande des Fragens und Suchens nach dem Letzten, in dem sie gründet. "Von allen Erkenntnisweisen ist die menschliche die niederste", weil sie auf die Zutracht der Sinne, auf Abstraktion und schlußfolgerndes Verfahren angewiesen ist. Unser Erkennen ist mühsam, in aller Mühsamkeit noch unvollkommen, und zu den festen Gewißheiten, die es uns eröffnet, gehört auch die Einsicht in die unausschreitbare Unendlichkeit dessen, was wir nicht wissen und doch zu wissen uns getrieben finden. "Die Erste Wahrheit liegt über die Seele hinaus (veritas prima est maior anima)." Dorthin sind wir gewiesen, und von dorther kommen uns Bescheide, die unserer Natur für sich allein versagt wären. "Aus alledem erhellt, daß die gerade den vornehmsten Dingen gegenüber so unvollkommene Erkenntnis doch auch die größte Vollkommenheit in die Seele bringt. Obgleich also die menschliche Vernunft das nicht völlig fassen kann, was über die Vernunft hinausgeht, so erwirbt sie sich immerhin ein reichliches Maß von Vollkommenheit, wenn sie diese Dinge irgendwie zum wenigsten im Glauben festhält." Der tiefste Drang in aller unserer Erkenntnisbemühung geht auf ein unmittelbares, wandelloses, alles völlig durchdringendes Schauen, und dieses eben ist dem "kleinen Lichte unserer Natur" (parvum lumen nobis connaturale), das freilich zu unserm Erkennen in Zeit und Raum genügt (sufficit ad nostrum intelligere), hienieden versagt. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Kategorien: Substanz und Akzidens; substantia prima - secunda; Hypostase, Person

Kurzinhalt: Es läßt sich eine erstige Substanz nicht von einer andern erstigen aussagen, also nicht: Peter ist Paul, wohl aber zweitige Substanz von einer erstigen, also: Peter ist Mensch, ...

Textausschnitt: LXXIa Betrachten wir das Sein an sich, indem wir auf Grund der seienden Dinge seine allgemeine Struktur ins Auge fassen, so findet sich an ihm, nach Thomas, eine doppelte Zusammensetzung: die von Möglichsein und Wirklichsein, die andere von Wesenheit und Dasein. Um diese beiden Angeln bewegt sich die Tür, die zwischen Gott und Welt und Welt und Gott hin und her dem Denken über das Letzte und Eigentliche den Weg bestimmt. (Fs)

a) Die Kategorien Substanz und Akzidens

LXXIb Aus praktischen Gründen scheint es geraten, einige der Griffe und Begriffe zu erkennen, mit denen Thomas, auch hierin auf der Spur des Aristoteles, sich deutlich macht, in welchen Weisen das Sein den Dingen zukommt. Unter diesen Klassen (modi) des Seins, die der Grieche in seinen zehn allgemeinsten begrifflichen Aussagen (Kategorien, praedicamenta) erfaßte, steht allen voran die Scheidung von Seiendem in Substanz und Akzidens (in unserer Übersetzung Selbtrage und Beischaft genannt). Wir finden an einem Ding, daß es warm oder hart oder grün, an einem Menschen, daß er musikalisch ist. Aber Temperatur, Dichte, Farbe, Musikalität sind nicht an und für sich selbst etwas, sondern ein Daran-, Dabeiseiendes. Sie sind nicht Dinge, sondern von Dingen Getragenes und können ohne solche Träger nicht sein. Anders das Sein dieser Träger, des erwärmten Wassers, des harten Steins, der grünen Pflanze, des musikalischen Menschen. Sie sind Substanzen, sie stehen in sich selbst, sie tragen sich selbst, sie sind in sich, nicht in einem andern. Dieses im Begriff Substanz erfaßte Selbständigsein ist sein wesentliches, hauptsächliches Merkmal, das auch auf übermenschliche Wesenheiten zutrifft, im überragenden Sinne auf Gott; nebensächliches Merkmal, das dem Substanzbegriff nur im Hinblick auf die geschöpflichen Substanzen zukommt, ist das Trägersein für Akzidenzien. (Fs)

LXXIIa Thomas war also nicht der Meinung, daß alles fließt. Mag das Wasser fließen - nicht so die Natur des Wassers, die etwas Bleibendes, Festes ist; die Formel H2O zeigt etwas Unveränderliches an. Das Schilf, das im Morgenwind rauscht, hat als In- und Für-sich-Bestehendes eine andere Weise des Seins als der Hauch, der es bewegt, und der Schimmer auf der Libelle, der sich nicht lösen kann, um selbst etwas zu sein, hat sein Dingsein nur in dem Ding Libelle. Das Akzidens geht über seinen Träger nicht hinaus, man soll es eher "eines Seienden" heißen als "ein Sein" (magis proprie dicitur entis quam ens). Diese Natur des Nebenbeiseienden ist auch im Bereich der Tätigkeit festzustellen. Die Sonne leuchtet an sich (per se) durch das Fenster herein, aber wenn ich den Vorhang zurückziehe, der ihr Licht abgehalten hat, so erfolgt es mit diesem Tun nebenher, beischaftlich (per accidens), daß ich das Zimmer erleuchte. (Fs)

LXXIIb Mit Aristoteles unterscheidet auch Thomas eine erstige und zweitige Substanz. Man nennt Substanz an erster Stelle (substantia prima) das tatsächlich daseiende Einzelwesen, etwa diesen Menschen Peter oder Paul, Substanz an zweiter Stelle (substantia secunda) diejenige allgemeine Daseinsweise, nach der ich von jenem Einzelding aussagen kann, was es ist, also von Peter oder Paul die Wesenheit Mensch. Es läßt sich eine erstige Substanz nicht von einer andern erstigen aussagen, also nicht: Peter ist Paul, wohl aber zweitige Substanz von einer erstigen, also: Peter ist Mensch, Paul ist vernunftbegabtes Lebewesen. (Fs) (notabene)

LXXIIIa An den erstigen Substanzen, den individualen, geschlossenen und selbständigen Einzelwesen, läßt sich dreierlei ins Auge fassen: 1. Das geschichtlich konkrete Für-sich-Dasein, etwa dieses individualen Seins Paul. 2. Die Natur oder Wesenheit, durch welche dieses Einzelsein als etwas Bestimmtes an der Wirklichkeit beteiligt ist, hier also die Wesenheit Mensch (humanitas). 3. Die geschlossene, fertige, sich abgrenzende Einzelwesigkeit des Dings, durch die es der besonderte Träger und selbständige Darsteller der auch von andern Dingen getragenen und dargestellten Wesenheit ist: die individuell, unmittelbar in und für sich bestehende Trage des in Gattung und Art bestimmten Seins, in der Sprache der Scholastik das Suppositum oder die Hypostase. (Fs)

LXXIIIb Die Hypostase kann eine vernünftige oder nicht vernünftige sein. Die Verbindung gewisser Elemente begründet dieses ganzheitliche Ding Stein, das ich als solches geschlossenes Zusammen Hypostase nennen kann. Aber das Zusammentreten der Elemente begründet nicht an sich auch immer schon ein ganzheitlich geschlossenes Ding, so beim Tiere nur den Körper, der noch nicht die Hypostase Tier ausmacht; so kräftig und wirksam diese Verbindung der Elemente ist (sie ist dies mehr noch als beim Stein, weil sie auf ein viel höheres Ding abzielt), zum ganzheitlichen Abschluß dieses Tierseins gehört noch etwas anderes, die Seele. Erst als diese Leib-Seele-Verbindung ist es Hypostase einer bestimmten Natur, z. B. der Natur Pferd. In Vollkommenheitsgraden aufsteigend bewegt sich das Substanz-Sein zur höchsten Art der Hypostase im vernunftbegabten Wesen. Diese Form des Für-sich-Seins, des Sich-selbst-Besitzens ist die Person. Persona est suppositum rationale. Sie ist durch die vernünftige Naturanlage Trägerin von freien Handlungen, von Rechten und Pflichten. Was immer fähig des Handelns ist, handelt als Hypostase (actus referuntur ad supposita), und weil ja das Tun nach dem Sein sich richtet, steigert sich die Freiheit und Selbstmächtigkeit des Handelns mit dem Seinsgrad der Hypostase. Weit mehr als dem Tiere, das dem Innenantrieb des Instinkts hörig ist, kommt der vernunftbegabten Natur das Durch-sich-selbst-Handeln (per se agere), die freie Aktivität, zu. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Seinsprinzipien: Materie und Form, Wirkursache und Zweckursache; actus primus, secundus; principium individuationis (tragische Rolle der Form); Ursachen (materia, forma, agens, finis, exemplaris); forma dat esse


Kurzinhalt: Die ganze physische Wirklichkeit stellt sich für Aristoteles-Thomas als ein System von Formen, von qualitativ differenzierenden und dynamisch den Weltprozeß aktivierenden Prinzipien dar. Eine uranfänglich schlummernde, gestaltlose Seinsmöglichkeit, ...

Textausschnitt: LXXIVa Wir wenden uns zwei Begriffspaaren zu, mit denen Aristoteles, in seiner Gefolgschaft Thomas, das in den bewegten Weltprozeß verstrickte physische Naturding nach seinem Aufbau zu verstehen suchte. Es sind dies Materie und Form, Wirkursache und Zweckursache. (Fs)

LXXIVb Um nicht von Anfang fehlzugehen, muß man Vorstellungen und Definitionen der Materie aus der populären Naturanschauung zunächst beiseite lassen. Worum es sich handelt, ist die Erfassung von zweierlei in jedem wirklichen Ding und jedem Vorgang von Wirklichung. Der Stoff einer Geige ist das Holz, aus dem sie gemacht ist; ihre Form oder Entelechie, also dasjenige, worauf es mit diesem Stofflichen hinauskommen soll, ist seine musikalische Verwendbarkeit. Spiele ich auf ihr, so wirklicht sich in den Tönen die Form dieses Stoffes. Diese Töne aber sind auch ihrerseits wieder Wesungsstoff, nämlich für die Melodie, die in ihnen, an diesem Woran der aufeinanderfolgenden Töne, als Form wirkt und sich wirklicht. Wiederum ist die Melodie der Wesungsstoff, an dem eine seelische Form des Spielers sich wirklichen kann, sei es Jubel, Klage oder Erbauung. Materie ist also alles, was im Werdeprozeß Grundlage ist, Form aber die das Neue aktualisierende Kraft. Wenn ich in meinem Denken auf einen ersten Ansatz oder Träger aller Gestaltung zurückgehe, so treffe ich ein Sein von schwächster Art (ens debile), eine reine Möglichkeit, ein Passivum ohne irgendwelche eigene Wirksamkeit. Das ist die materia prima, etwas Unbestimmtes, Bestimmung und Wirkung nur Aufnehmendes, das nie für sich allein da ist, sondern Sein und Dasein nur in einem bestimmten Seienden, in artikulierter Wirklichkeit und durch eine solche hat. Dieses bestimmende Element ist die Form. Sie ist der actus, das wirksame Gestaltende, sie bringt die Materie zum Sein (forma dat esse) und gibt ihr ein Gesicht. Dieses Wirken der Form am Woran Materie und dieses Versehenwerden der Materie mit Seinsbestimmtheit begründet oder konstituiert das Naturding und macht seine erstige Wirklichkeit (actus primus) aus. Nun erst kann von ihm als einem Seienden und Wesensein (esse substantiale) gesprochen werden. Aber die Form begründet zugleich auch die Wirkungsweise des Dings, denn es ist sein Wesensein, woraus ihm seine Tätigkeit erfolgt (agere sequitur esse), und eben dieses tätige, nach der wesentlichen Konstitution sich richtende In-Form-Sein ist seine zweitige Wirklichkeit (actus secundus). (Fs)

LXXVa Nun ist die Form nicht ein irgendwo selbständig, in physischer Dinghaftigkeit wesendes Sein. Sie hat die Natur der Idee, der Gestaltlichkeit, und steckt in den Möglichkeiten der Materie, wie nach Michelangelos Wort die schönsten Bildwerke im rohen Marmor enthalten sind. Die Materie ist in Hinordnung und Bereitschaft auf zahllose Formen, und dem Vermögen nach bestehen alle in ihr voraus. Aber nur eine einzige wird die Herrschaft über sie gewinnen und ganzheitlich sie durchwalten. Man könnte nach Thomas ohne diese Einzigkeit der substantialen Form nicht vom Ding als einer Einheit sprechen; eine Mehrheit solcher Formen in Einem und demselben annehmen, hieße die Einheit der Dingnatur zerstören. Er hält an dieser Auffassung mit aller Strenge fest, sowohl für die anorganischen Körper als für die Pflanzen und Tiere und besonders auch den Menschen. Bilden sich etwa im Bereich des Chemischen Gestaltungen, so vollzieht sich hier nach einer bestimmten Ordnung von Anziehung und Abstoßung das Aufkommen einer neuen Wesenheit immer unter der Herrschaft eines neuen Einheitsprinzips, eben der besonderen Wirklichkeitsidee, die wir Form nennen. Mögen die Stoffe, die sich verbinden, auch in virtueller Vielheit verbleiben, es ist doch eine reale Einheit das Ergebnis. Wasser zum Beispiel ist eine Form und als solche etwas anderes als die Elemente Wasserstoff und Sauerstoff, von denen ich weder das eine noch das andere für sich Wasser nennen kann; beide sind vor ihrem Zusammentreten substantiale Formen, aber nach der Einigung im Verhältnis von H2O sind sie nicht mehr diese eigenständigen Wirklichkeiten, sondern die neue wirkliche Form ist die eine Form Wasser. So ist auch das vollkommenste aller Mischwesen, der menschliche Körper, mit all den Substanzen, die sich in ihm einander verbinden, erfaßt, durchherrscht und in ein höheres Sein gehoben durch die Form, die wir Verstandseele nennen. (Fs)

LXXVb Materie und Form sind also die Wesenselemente des in Werden und Vergehen befindlichen natürlichen Dings. Ist aber die Materie, nämlich als die gemeinsame Urunterlage alles Stofflichen, nur die immer und überall gleiche, unterschiedslose Bühne für das Auftauchen und Verschwinden der Formen oder Entelechien? Wir finden doch auf Schritt und Tritt an Dingen von der nämlichen Wesenheit und Art zahlenmäßige Unterschiede und individuelle Abweichung des einen vom andern. Woher die besondere Prägung am Einzelseienden? Woran liegt es, daß eine und dieselbe Wesenheit in Sonderexistenzen auseinandersplittert, die zwar in der Wesungsform übereinkommen, so daß sie eine artliche Einheit bilden - wie die Hunde in der Spezies Hund -, die aber im einzelnen den Typus auf ihre vereinzelte, einmalige und unmittelbare Weise variieren? Offenkundig sind Wesenheit und Individualsein in den Naturdingen nicht dasselbe. Fragen wir nach dem Warum, so deutet Thomas auf den Träger der Form, die Materie, aber nicht als materia prima, sondern als diese bestimmte sinnliche, der Quantität fähige, zur Aufnahme von Form verschiedentlich bereits zugerüstete oder zu Form hin proportionierte, nämlich die materia (sensibilis) signata. Sie ist der Grund dafür, daß die Träger derselben Wesenheit zählbar sind und zum Beispiel die menschliche Natur nach den Maßgaben der aufnehmenden Leiblichkeit je ihre besonderliche Prägung empfängt. Die Seelen individuieren sich je nach den Körpern (secundum corpora), die zu ihrer Aufnahme beordnet sind, wie sie selbst zum Eingehen in diese sobestimmte Materie. (Fs)

LXXVIa Unter zwei Begriffen also erfaßt die aristotelisch-scholastische Anschauung das Sein und Werden in der Natur. Immer wird nach dem Schema dieses "Hylemorphismus" von einem Passiven ein Aktives aufgenommen, überall ist ein Tragendes, womit ein Getragenes in sein Vollsein sich wirklicht. Das Herrschende im Aufbau des Seins ist das Element der Form, aber es braucht, woran es herrscht, und diese Unterlage ist als principium individuationis nicht ohne den Charakter eines gewissen Rückherrschens in die Wirklichung der Form (weshalb man auch von ihrer tragischen Rolle gesprochen hat): Materie ist um der Form willen da, hinwieder ist die Form als immer nur an bestimmter Materie individuell gewirklichte in gewisser Hinsicht auch leidentlich im Spiel. Die ganze physische Wirklichkeit stellt sich für Aristoteles-Thomas als ein System von Formen, von qualitativ differenzierenden und dynamisch den Weltprozeß aktivierenden Prinzipien dar. Eine uranfänglich schlummernde, gestaltlose Seinsmöglichkeit, die materia prima, ist der Grund dafür, daß es gezeichnete Materie wie Fleisch und Knochen geben kann, Fleisch und Knochen in bestimmter Zumessung sind die Materie meiner Hand, diese Hand hat zur bestimmenden Form das Greifen, das Greifen empfängt je und je seine Form vom erstrebten Ding, dieses Streben wird informiert von meinem Willen, mein Wille vom Verstand. (Fs)
(notabene)

LXXVIIa Die Anschauung der Dinge, des Seins und des Werdens, nach Materie und Form enthält in sich bereits den Grundriß zu einer bestimmten Ausgestaltung der Idee der Ursächlichkeit. Es ist Materie, es ist Form, es ist Bewegung von der Form her, und es ist Richtung auf sie hin. Jede Ursache ist eine von diesen vieren: materia, die den Stoff zu einem Ding hergebende Ursache; forma, die gestaltlich wirksame, die Dingwesenheit begründende Ursache; agens, die als Anstoß etwas anderem Dasein verleihende Ursache; finis, der zweckliche Ziel- und Ruhepunkt, das Wozu und Woraufhin der Tätigkeit. Die Material- und Formalursache gehören als dem Ding inneseiende (causae intrinsecae) der Ordnung des Seins an, die Wirk- und Zweckursache als dem Ding außenseiende (causae extrinsecae) der Ordnung des Werdens. Zu diesen vier aristotelischen Ursachen kommt für Thomas noch ab fünfte die aus der platonischen Denkwelt stammende vorbildliche Ursache (causa exemplaris), nämlich die im Geiste der vernünftigen Wirkursache existierende Idee, der gedankliche Entwurf oder Typus, nach dem eine schöpferische oder künstlerische Tätigkeit sich vollzieht. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Möglichkeit, Wirklichkeit, Potenz, Akt; P.: nicht Nichts, ein Sein im Möge-Sein; Form als Bindeglied von Erkennen und Sein; actus primin, secundus (Verstandesseele - Fühlen, Erkennen, Wollen); potentia active, passiva; Grundsätze: actus prior ...

Kurzinhalt: So ist alles Geschaffene in diesem Spannungsverhältnis zwischen seinem Woher und Woraufhin, der Potenz und dem Akt. Seine Wirklichkeit ist niemals rein, unbedingt und selbstherrlich, sie bleibt verbunden und untermischt mit möglichem Sein: sie ist ...

Textausschnitt: LXXVIIb Nach dem Gesagten beruht die Dinglichkeit auf der Bindung von Materie und Form, das Geschehen auf der Herausführung eines Anlagehaften zum Volldasein, dem esse actu. Der Formbegriff wird uns als ein Bindeglied von Erkennen und Sein in die Hand gegeben, sofern die Form dem Ding sein Wesen, dem Geiste die Erkenntnis der dinglichen Wesenheit gibt: Seinsform und Erkenntnisform entsprechen sich im Verhältnis der Abbildlichkeit (similitudo). In dieser Erklärung des physischen Kompositums lag bereits die Anwendung jener aufbaulichen Urheiten (principia constitutionis) vor, mit denen die aristotelische Scholastik sowohl den Kern des Seins als den Nerv des Geschehens am Ganzen der Welt zu verstehen sucht. (Fs)

a) Möglichkeit und Wirklichkeit

LXXVIIIa Wie einer Leuchte, die das Geheimnis des bewegten Seins, der Veränderung und Vielheit erhellen soll, bedient sich Thomas der Lehre von Akt und Potenz. Man hat in ihr, mit vollem Recht, die Wurzel der thomistischen Welterklärung oder schlechthin das Wesen des Thomismus gesehen1. Bereits in der Betrachtung des menschlichen Erkenntnislebens ist sie uns begegnet: als Erkennende sind wir zunächst und wesentlich im passiven Stande des Aufnehmens einer nicht von uns geschaffenen Welt der Erkennbarkeit, die wir in der hinzukommenden Tätigkeit unseres beleuchtenden und ergreifenden Verstandes erst in die volle Wirklichkeit überführen. So wie hier ist im ganzen Weltgeschehen ein Vorgang der Entwicklung von Seinsanlage zu Seinsvollendung zu bemerken. Der für das Denken nicht weiter auflösbare, aber schlechthin und ausnahmslos sich bietende Eindruck der Verwirklichung - dieser Begriff allein schon sagt genug - nötigt uns, den Gesamtbereich des uns umgebenden Seins, das Verwirklichte, Vollendete, Ausgestaltete, aus seiner Seinsfülle Tätige von einem Schoßgrund her zu verstehen, in welchem es dies alles so nicht gewesen ist, aus dem es aber dazu werden konnte. Wir müssen einen Bezirk des Vermöglichen denken, in dem das Tatsächliche oder Aktuelle in gewisser Weise auch schon ein Seiendes war, als zum vollen Seien Bestimmtes, gleichsam anstehend und in Empfangsbereitschaft der Gestaltung harrend. Also auch das Potenzielle ist nicht ein Nichts, sondern ein Sein im Mögestand, ein Möge-Sein. (Fs)

LXXVIIIb Nichts Werdendes und nichts Gewordenes verliert die Beziehung zum Bereich seiner Angelegtheit noch die Abhängigkeit seines Seinsmaßes von ihm. So ist alles Geschaffene in diesem Spannungsverhältnis zwischen seinem Woher und Woraufhin, der Potenz und dem Akt. Seine Wirklichkeit ist niemals rein, unbedingt und selbstherrlich, sie bleibt verbunden und untermischt mit möglichem Sein: sie ist actus impurus. Im Wesen dieser Spannung von etwas zu etwas liegt es auch, daß das Wirklichsein, obwohl es der Zeit nach auf das mögliche Sein folgt, an und für sich dem möglichen Sein vorangehen muß, sowohl dem Begriff als der Natur und dem Range nach. Das gebaute Haus, das dasteht, war im Plane des Erbauers wirklich, bevor es im Stofflichen den wesenhaften, geistigen Plan sinnfällig machte, und es war vornehmer im ursachenden Gedanken, weil die Ursache immer vorzüglicher, adeliger (potior, nobilior) ist als das Gewirkte, und weil sie, je größer die Sphäre ihrer Wirkungen und je zusammengeraffter in ihr die Fülle der Kräfte, die sie ausströmt, um so höher in der Ordnung des Ursächlichen steht. (Fs)

LXXIXa Der Akt, die Wirke oder Wirklichung ist doppelt. Er ist ein erstiger Akt (actus primus), nämlich die das Sein verleihende Wesungsform, und ein zweitiger, nämlich die Tätigkeit. Spricht man z. B. vom Baum als in actu primo, so ist die in ihm wirkende Form des Seiens gemeint, in welcher seine Tätigkeit, das Tätigsein auf ein Ziel-Ende hin, begründet ist. Vom Baum in actu secundo spricht man im Hinblick auf seine Tätigkeit, das Wachsen, Blühen und Fruchten. (Akt im gewöhnlichen Sprachgebrauch meint dieses aus dem konsumtiven Sein erfolgende Tätigsein, die operatio.) Danach ist beim Menschen der actus primus die Verstandseele, der actus secundus das Erkennen, Fühlen und Wollen. (Fs)

LXXIXb Entsprechend dieser Zweiheit von Akt ist auch die Potenz in doppeltem Sinne zu betrachten. Es gibt ein Vermögen, Wirkung in anderem hervorzubringen (die potentia activa, wie die Farbe den Sehsinn erregt), und ein Vermögen, die Wirkung von einem andern her aufzunehmen oder in Form einer Tätigkeit zu erleiden (die potentia passiva, wie die Erreglichkeit des Sehsinns durch die Farbe). Oder ein anderes Beispiel: alle Kräfte des Wachstums in einem Lebewesen sind aktive Vermöglichkeiten, weil durch sie die aufgenommene Nahrung in Lebenstätigkeit verwandelt wird, passive sind die der Empfindung, weil sie durch sinnfällige Dinge angesprochen und in ihre Wirklichung versetzt werden. (Fs)

LXXIXc Man versteht nun einschlägige Grundsätze und Einteilungen bei Thomas wie diese:
Das Seiende wird unterschieden nach Möglichsein und Wirklichsein (ens dividitur per potentiam et actum). Der Akt, das In-Wirke-sein, ist der Entstehung und Zeit nach später als das In-der-Möglichkeit-sein. (So ist die Farbe in actu, d. h. wirklich-sichtbare Farbe, erst infolge der Wirksamkeit des Lichtes.) Aber logisch, der Erkenntnis nach, und ursächlich, dem Sein in der Natur nach, ist die Wirklichkeit früher als die Möglichkeit (actus prior est potentia). Die Möglichkeit der Farbe, zu scheinen, bedarf eines andern, das schon in der Wirklichkeit ist, des Lichtes. (Fs)

LXXXa Darum gilt auch: ein bloß Mögliches kann sich nicht aus sich selber wirklichen, es muß durch ein anderes, schon Wirkliches, gewirklicht werden (omne, quod est in potentia, reducitur ad actum per id, quod est actu ens). Hier ist zu bemerken, daß in der Erfassung des Seins nach Akt und Potenz das Kausalitätsprinzip begründet ist, das von Thomas in seiner ganzen Strenge festgehalten wird. Es lautet: keine Wirkung ist ohne Ursache; was immer geschieht, hat seine Ursache. Ihm verwandt sind die Sätze: Aus nichts wird nichts; die Wirkung ist immer in gemäßem Verhältnis zu ihrer Ursache und so die Ursache zu ihrer Wirkung; nichts ist in der Wirkung, was nicht eher irgendwie in der Ursache gewesen ist, sei es formell, nach seinem eigentümlichen Begriff (wie das erzeugte Lebewesen im erzeugenden), sei es virtuell, der hervorbringenden Kraft nach (wie das Kunstwerk im Künstler), sei es eminenterweise, einer höheren, überragenden Vollkommenheit nach (wie die Vollkommenheit eines Geschaffenen auf höhere Weise in der Vollkommenheit des Erschaffenden ist); endlich, die Ursache einer andern Ursache ist selbst auch die Ursache des von dieser andern Verursachten, also was ein anderes dazu bestimmt, eine Wirkung hervorzubringen, ist selber auch Ursache dieser Wirkung. - Man wird immer und überall bei Thomas, offen oder verborgen, der als Akt und Potenz erfaßten Struktur des Seins und Werdens begegnen, und wer sich nicht gleich ihm mit dieser Grundsicht in alles Geschöpfliche erfüllt hat, wird weder sein gleichermaßen statisches wie dynamisches Weltbild noch seine begriffliche Schauung der Wirklichkeit Gottes und der Ubernatur verstehen. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Gott und Schöpfung

Titel: Gott und Schöpfung

Stichwort: Wesenheit, Dasein, essentia, existentia; distinctio realis; Wesenheit existiert nicht aus sich selbst; actus purus, ens a se - ens ab alio; "Seinsnot"

Kurzinhalt: Thomas, .... daß auch er für die geschöpflichen Dinge gleich ihrer Zusammengesetztheit aus Potenz und Akt im selben Sinne, ja eben auf Grund dieses Verhältnisses, auch die ... aus Wesenheit und Existenz, Sosein und Dasein, angenommen hat.

Textausschnitt: LXXXb Die beiden Grundbedeutungen des metaphysischen Seinsbegriffes sind Wesenheit (Sosein) und Dasein - essentia und existentia. (Fs)

LXXXc Gebrauchen wir die Kopula "ist", etwa in dem Urteil "die Behauptung ist der Verneinung entgegengesetzt", so haben wir ein Sein der Gedachtheit, ein ens rationis. Dieser Art sind alle Begriffe, Urteile und Schlüsse, auch solche Begriffe, denen kein Ding entspricht, sondern sogar ein Mangel an Sein entsprechen kann, wie wenn ich sage "die Blindheit ist im Auge". So betrifft zwar das bloß im Verstande Seiende das dinghaft Seiende (es ist darum nur entis), aber es ist nicht so wie dieses ein Seiend (es ist nicht ens reale). (Fs)

LXXXIa Eine andere Bedeutung von Sein hat das "ist", wenn ich sage: die Sonne ist. Wiederum eine andere, wenn ich sage: Das Glühen der Sonne liegt in ihrem Sein begründet. - In diesen beiden Sätzen erscheinen die beiden Grundbedeutungen von Sein als ens reale. Ich rede im ersten vom tatsächlichen, dem Bewußtsein jenseitigen Dasein eines Dings, dem esse existentiae (sie ist am Himmel da und leuchtet). Ich rede im zweiten von dem, was die Befähigung zu Dasein und Wirklichkeit hat, von der Dingwesenheit oder Natur Sonne, dem esse essentiae. Es fällt nicht schwer, dieses Zweierlei von Sein, Essenz und Existenz, auseinanderzuhalten. Ist aber dieses an einem und demselben Ding Unterscheidbare - Wesenheit und Dasein - ein Zweierlei auch außer dem Verstande, der Sache nach?

LXXXIb Ist Grund zu einer distinctio realis? Die Frage scheint töricht oder doch müßig, als eine der berüchtigten Spitzfindigkeiten der Scholastik. Denn nie hat jemand Existenz ohne Etwasheit oder umgekehrt gesehen; immer ist die Wesenheit Rose in einer physisch existenten Rose da, und nur im Dasein dieses sinnfälligen Dinges verwirklicht sich die Wesenheit Rose. Nein, Wesenheit und Dasein sind nicht trennbar wie Ding von Ding. Dennoch können sie, wie scheidbar für den Verstand, auch sachlich, real, verschieden sein. Die Wesenheit ist ja nicht auch schon, gleichsam aus eigener Machtvollkommenheit, ihre Existenz, sondern hat sie und trägt sie. Daß beides im Tatsächlichen niemals auseinanderliegt, das besagt nicht, daß es auch dasselbe ist. Auch Materie und Form erscheinen nie getrennt, dennoch sind sie zwei verschiedene Realitäten im selben Ding; am Moses des Michelangelo ist etwas anderes die Kunstform, etwas anderes der Marmor, an dem sie gewirklicht ist. So kann, was faktisch nicht trennbar ist, dennoch sachlich etwas Verschiedenes sein. (Fs) (notabene)
LXXXIc Ob dies für Wesenheit und Dasein zutrifft, darum ging bereits in der Scholastik der Streit, und er dauert bis heute an. Was Thomas anlangt, so scheint kein Zweifel möglich, daß auch er für die geschöpflichen Dinge gleich ihrer Zusammengesetztheit aus Potenz und Akt im selben Sinne, ja eben auf Grund dieses Verhältnisses, auch die (innere, metaphysische) aus Wesenheit und Existenz, Sosein und Dasein, angenommen hat. Sie ist für ihn "im ganzen geschöpflichen Reiche die allgemeinste und tiefste, weil alles Materielle und Geistige umspannend und allein alles umfassend". (Manser.)

LXXXIIa Wesenheit und Dasein gehören zwei verschiedenen Ordnungen an: Wesenheit ist ewig und unveränderlich, Dasein bedingt und zeitlich; Wesenheit ist nicht durch ein anderes, wohl aber Dasein, wofür alles ursprüngliche Formsein und Formbleiben des Gezeugten und alles Daseingeben an die Form im Zeugen ein Beispiel ist. Kein tatsächliches Ding existiert schon kraft allein seiner Wesenheit, es ist nicht selbst Ursache seines Daseins als einer notwendigen Folge seiner Wesenheit, sondern hat das Dasein als empfangenes. Die Wesenheit ist es, die das Seien aufnimmt und trägt, und so verhält sich das Was des Dings zu seinem Hier-da-Sein wie die Potenz zum Akt. So verschieden die geschöpflichen Substanzen oder Wesenheiten auch sein mögen, vom Stein bis zum Engel, ihr Wassein bringt nicht von selbst auch ihre Existenz hervor. Die Ewigkeit und Notwendigkeit ihrer Idee, ihres Inhaltlichen, kommt nicht auch ihrem Existentsein zu. Das eben ist das Eigentümliche der Kreatur, daß sie nicht Wirklichkeit schlechthin (actus purus) ist, sondern aus Möglichkeit und Wirklichkeit gemischte, und daß sie nicht durch sich seiend (ens a se) ist, sondern seiend von anderm her (ens ab alio). Sie findet sich in einem Gespanntsein, einem Sein der Gezweiung. Indem das Geschöpf im Sein ist, ist es als Etwas, in Sosein da, dieses grenzende, engende Etwassein aber hindert es, schlechthin zu sein, nämlich alles zu sein, was ist und sein kann. (Diese wahre Seinsnot ist die Wurzel alles religiösen Strebens und Sichbindens an das nicht in Seinsnot befindliche Vollsein und Ganzsein und Alles-sein, der Grund aller natürlichen und nicht allein der mystischen Frömmigkeit.)

LXXXIIb Von dieser letzten Tragik alles Geschöpflichen, die aus allen Spaltungen des Seins uns angeweht hat, aus Akt und Potenz, Dasein und Wesenheit, Materie und Form, Ursache und Wirkung, erhebt Thomas durch das Ganze seines Riesenbaus, an dem kein Stein ist, der nicht der Stein eines Tempels wäre, sein Auge zu der reinen Wirklichkeit, die wir aus der unserigen nur wie aus dunklem Gleichnis erkennen. Vom Irdischen selbst, wie es ist oder doch sich uns gibt, wird ihm der Schluß auf Gott auferlegt. Er spricht von dieser alles überragenden Wirklichkeit, wie sie von uns her schlußweise gedacht werden muß, zugleich aber beugt er sich auf der Scheitelhöhe seiner Spekulation vor dem Mysterium der Gottheit, von der wir immer nur vergleichsweise reden können, und für deren Erkenntnis von uns aus das Höchste getan ist, wenn wir alles von ihr abgestreift haben, was auf Menschenweise im Stande unserer Wanderschaft saglich ist. "So ist es", sagt er, "daß wir von Ihm wissen, daß Er ist, obgleich Er uns unbekannt ist nach der Frage, was Er ist." Dem verhüllten Gott, der "latens Deitas", gilt auch sein schönster Hymnus, das eucharistische Adoro Te, das mit den Worten beginnt:

Ich bete an und beuge,
Gottheit, mich vor Dir:
Du der Tiefgeheime,
Bist in Zeichen hier.
All mein Wesen neigt sich,
Gibt sich ganz dahin,
Weil ich, Dich betrachtend,
Nichts als Armut bin

LXXXIIIa Nur ein Hinweis auf die Grundlagen des thomistischen Denkens sollte hier gegeben werden. Es schien uns erforderlich, um den mit der scholastischen Begriffswelt nicht Vertrauten die Begegnung mit Thomas zu erleichtern. Der erste Eindruck des Fremden und Labyrinthischen darf kein Hindernis sein, sich um die Breite und Tiefe eines Systems zu bemühen, das im Grunde schlicht und klar wie kein anderes eine Ordnung herstellt oder vielmehr aufdeckt, von der ein stiller, befreiender Zwang ausgeht, nach ihr uns selbst in Ordnung zu bringen.

LXXXIIIb Eine Einführung in den zweiten Band, für dessen Verständnis das hier Gesagte gleichfalls erforderlich ist, erörtert Thomas' Grundgedanken über das menschliche Sollen und die theoretischen Fundamente der auf Gott und seine Offenbarung verwiesenen Praxis des Lebens. (Fs)

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Autor: Thomas von Aquin

Buch: Erschaffung und Urzustand des Menschen

Titel: Anmerkung zu den Fragen 90-102

Stichwort: Geist: stofflich oder nicht; Franziskaner - Dominikaner; Roland von Cremona, Ibn Gebirol (Avencebrolis); Thomas von Aquin; materia: Substanz - Potenz; Zerstörung der Grundlage des Denkens (Substanz als Akzidens)

Kurzinhalt: Sobald aber die Form als Beiwesen erscheine, würde der Stoff, der doch eine reine Möglichkeit bilde, aufgehoben und die Logik gefährdet, da nur mehr Aussagen von akzidentellen Prädikaten möglich seien...

Textausschnitt: [5 ] Zu S. 9.

190c Thomas berührt hier die zu seiner Zeit die Geister stark bewegende Frage nach der stofflichen Zusammensetzung der geistigen Wesenheiten, der Engel und der Menschenseelen. Schon oben 50, 2 fragte er: "Besteht der Engel aus Stoff und Form?" Hier bei der Menschenseele stellt er diese Frage nicht ausdrücklich, löst sie aber nebenher bei Erweis ihrer Erschaffung. (Fs)

Unser Problem ist schon alt. Die älteren Väterschriften nehmen bei den geistigen Selbstandwesen eine feingestaltete Körperlichkeit, einen ätherischen Licht- oder Luftleib an. Noch Augustinus (+ 430), Faustus von Reji (um 432), Cassian, Gennadius von Massilia (+ 492), Claudianus Mamertus (+ 474), Basilius (+ 379) und andern ist diese Vorstellung vertraut. Platonische Gedankengänge von außergöttlichen rein geistigen Wesen, die weder in sich ein stoffliches Element bergen, noch an einen sie umgebenden Körper gebunden sind, bedingen bei Gregor von Nyssa und vielleicht Gregor von Nazianz eine Umstellung. Pseudo-Dionysius, der eigentliche Vater der christlichmittelalterlichen Engellehre, tritt mit allem Nachdruck für die Engel als völlig stofflose Wesen ein. Der von ihm beeinflußte Gregor der Große bezeichnet zwar die Natur der Engel im Verhältnis zu Gott als Körper und Johannes Damascenus als gröbere Wesenheiten, aber die mittelalterlichen Theologen haben diese Ausdrücke als das hingenommen, was sie sein sollten, als bildhafte Formen zur Wahrung der absoluten Einfachheit Gottes. Trotz der Unklarheiten einiger Autoren, insbesondere Bernards von Clairvaux (+ 1153), Rupperts von Deutz und des Petrus Lombardus (+ 1160) vertreten die Gottesgelehrten des 12. Jahrhunderts, soweit sie unsere Frage berühren, die Einfachheit der Engel. Allerdings fordert um 1150 Dominikus Gundissalinus, der Verarbeiter und Übersetzer neuplatonisch-arabischen Gedankengutes, unter dem Einfluß Ibn Gebirols ausdrücklich für Engel und Menschenseele eine geistige Materie. Da er aber in Segovia schrieb, blieben seine Ideen vorläufig ohne Einfluß auf die abendländische Geisteswelt. Die Summa eines Praepositinus von Cremona zeigt noch keinen diesbezüglichen Niederschlag, die Summa eines Wilhelm von Auxerre nur einen leisen Anflug. Zum eigentlichen Problem wird unsere Frage um 1230. Soweit wir wissen, ist Roland von Cremona, ein Dominikaner, der erste, der die Frage nach der stofflichen Zusammensetzung der Engel und Menschenseelen ausdrücklich stellt und bejaht. Dem christlichen Mittelalter war diese Lehre aus Augustinus' echten und ihm unterschobenen Schriften schon bekannt. Roland beruft sich aber neben Augustinus auch auf die "Philosophen". Damit eröffnet er uns die geistesgeschichtlichen Hintergründe, warum gerade damals dieses Problem in den Vordergrund trat. Kurz vorher war das christliche Abendland mit den Liber de Causis (vgl. Bd. 1 Anm. [53]) und dem Fons vitae Ibn Gebirols (50, 2: Bd. 4, S. 128 und 562) bekannt geworden. Roland ist der erste uns bekannte Schriftsteller, der diese beiden Quellen erwähnt, die beide die stoffliche Zusammensetzung der geistigen Substanzen vertreten, Ibn Gebirol sogar in langen, bestechenden Beweisführungen. (Fs)

191a Seit Roland setzt sich fast jeder Gottesgelehrte mit dieser Theorie auseinander, wobei ihren Anhängern, wenigstens in den ersten Jahrzehnten, nicht Augustinus, sondern Ibn Gebirol die Hauptbeweise liefert. Die beiden Schulen der Franziskaner und Dominikaner, die eigentlichen Träger des theologischen Lebens im dreizehnten Jahrhundert, zeigen keine einheitliche Haltung. Johannes von Rupella (+ 1245), der erste Franziskaner, lehnt den geistigen Stoff ab; seine Mitbrüder, Alexander von Hales (+ 1245) und vor allem Bonaventura und Wilhelm de la Mare (+ 1298) sind begeisterte Anhänger. Von den Dominikanern treten Roland von Cremona (um 1230), Vinzenz von Beauvais und Richard Fischacre (+ 1248 )für sie ein; Hugo von St. Cher (+ 1264), Albertus Magnus und Thomas verneinen sie, während Petrus von Tarantasia (+ 1276) beide Ansichten für gleich wahrscheinlich hält, die verneinende als die leichter verständliche, die bejahende als die scharfsinnigere bezeichnet. (Fs)

191b Uns interessiert hier vor allem die Auffassung des hl. Thomas und ihre Begründung. Als Hauptfundstellen kommen in Frage: De Ente et Essentia c. 5; 2 Sent., d. 3, q. 1, a. 1; CG., II, 2 n. 50; Quaest. Disp. de spir. Creat. a. 1 und de Anima; de Substantiis separatis 5—8; Summa Theol. I 50 2; 90, 2. (Fs)

192a Für Thomas ergibt sich die Unstofflichkeit der geistigen Wesenheiten notwendig aus ihrer geistigen Betätigung. Wo ihm die gegnerische Lehre entgegentritt, bezeichnet er meistens und auch mit Recht Ibn Gebirol als ihren eigentlichen Urheber und ihre Vertreter gelten ihm als dessen Anhänger. Seine Polemik richtet sich aber auch gegen Augustinus, vor allem, als seine Gegner, welche die streng kirchliche Richtung zu vertreten vorgaben, sich nunmehr und mit Recht auf Augustinus stützten. (Fs)

Ibn Gebirols Hauptgründe für das Dasein des geistigen Stoffes sind kurz diese: Dort ist Stoff vorhanden, wo sich seine Merkmale zeigen; es gehört aber zu seinen Merkmalen, Formen aufzunehmen; da auch die geistigen Wesenheiten Formenempfänger sind, so bergen sie in sich ein stoffliches Element. — Bestehen die Geister nicht aus Stoff und Form, so ist ihre Vielheit oder Verschiedenheit ausgeschlossen, die sie beide nur auf Grund des stofflichen Wesensbestandteiles besitzen. — Schöpfer und Geschöpf müssen verschieden sein. Der Schöpfer ist aber einfach. Also darf das Geschöpf nicht einfach und muß aus Stoff und Form zusammengesetzt sein. Jedes geschaffene Selbstandwesen hat seine Grenzen. Der Grund dieser Begrenztheit ist die Form, denn ein formloses Sein ist unbegrenzt. Also müssen auch die geistigen Substanzen aus Stoff und Form bestehen. (Fs) (notabene)
Alle diese Beweisgründe tauchen bei den Vertretern des geistigen Stoffes wie Dominikus Gundissalinus, Alexander von Hales und Bonaventura in irgendeiner Form wieder auf. (Fs)

192b Die Widerlegung des hl. Thomas geht von folgenden Grundgedanken aus:
Ibn Gebirol trage die begriffliche Verschiedenheit in die Dingwelt hinein; da unser Verstand bei den körperlichen und geistigen Wesenheiten etwas Gemeinsames und Verschiedenes erfasse, wolle er das Unterschiedene als Form und das Gemeinsame als Stoff bezeichnen, so daß Körper und Geist ein gemeinsamer Stoff zugrunde liege. — Ein solcher gemeinsamer Stoff sei unmöglich; denn sonst müßten Geist und Körperform denselben Stoffteilen oder verschiedenen Teilen verhaftet sein; ersteres sei deshalb abzulehnen, weil sonst ein und dasselbe Wesen zugleich Geist und Körper sei, letzteres, weil der Stoff erst durch die Ausdehnung, die dem Geistwesen fremd sei, in Teile zerlegt würde. (Fs)

Weiter betont Thomas mit Albert, der Geist sei in einem anderen Sinne Träger der Formen als der Stoff. Dort habe die Form als Erkenntnisform allgemeinen Charakter, hier sei sie individualisiert; dort werde die Form ohne Ortsbewegung aufgenommen, hier zeige sie sich mit einer Ortsbewegung verbunden; bei den geistigen Selbstandwesen sei die Form Erkenntnisgrund, bei den körperlichen Dingen Seinsgrund. (Fs) (notabene)

192c In seiner Schrift De Substantiis separatis sucht Thomas, auf breiter Grundlage und von den geschichtlichen Voraussetzungen aus, Ibn Gebirol zu widerlegen. Ibn Gebirol finde seinen Stoff, indem er vom Niederen zum Höheren vordringe, der Stoff sei aber als reine Möglichkeit nur ein unvollkommenes Sein, je weiter man also im Suchen nach dem Stoff voranschreite, um so näher aber komme man dem Nichtsein, und darin sieht Thomas einen folgenschweren methodischen Mißgriff. Ihn Gebirol setze die Gattung dem Stoff, den Artunterschied der Form gleich; der Körper sei nach ihm der Stoff aller körperlichen, die Substanz der Stoff aller substanziellen Wesen; so würden alle zur Substanz hinzutretenden Unterschiede zu eigenschaftlichen Bestimmungen. Sobald aber die Form als Beiwesen erscheine, würde der Stoff, der doch eine reine Möglichkeit bilde, aufgehoben und die Logik gefährdet, da nur mehr Aussagen von akzidentellen Prädikaten möglich seien; so würden auch die Begriffe Gattung, Art, Differenz zerstört. Die Naturphilosophie würde unmöglich, da ein Entstehen und Vergehen der Dinge ausgeschlossen sei; ja die Grundlagen der ganzen Philosophie brächen zusammen, weil die Einheit und das Sein der Einzeldinge in ihrer Verschiedenheit zueinander hinfällig würden. Ibn Gebirol käme gemäß seiner Grundhaltung zu einer unendlichen Reihe von Stoffen und zu einem allgemeinen einfachen Stoff, die beide abzulehnen seien. Das bisher vom hl. Thomas Gesagte richtet sich gegen die Methode Ibn Gebirols, gegen die Unhaltbarkeit seiner Folgerungen und die Unzulässigkeit seiner Stoffauffassung. Aber er nimmt auch im Einzelnen Stellung zu seinen Beweisen: Da verneint er zunächst den Satz, daß ohne Stoff eine Vielheit von Geistwesen unmöglich sei. Man dürfe nicht jeder Vollkommenheit einen Stoff als Träger zuweisen. Eine Vollkommenheit sei nicht immer von dem Sein, dem sie angehöre, real verschieden; der Träger einer Form könne nicht allgemein als Materie gekennzeichnet werden. Das Verhältnis zwischen Substanz und Körperlichkeit oder Substanz und Geistigkeit sei nicht das von Stoff und Form oder Träger und Eigenschaft, sondern das von Gattung und Artunterschied. Der Seinsbegriff finde sich in den verschiedenen Klassen der Dinge in verschiedener Weise verwirklicht. Die Verschiedenheit der geistigen Wesenheiten vom höchsten Wesen gründe nicht in dem Vorhandensein von Stoff und Form, sondern im Verhältnis von Wesensanlage und Erfüllung, Wesenheit und Dasein, die allen endlichen Wesen, auch den geistigen zukäme. Die Begrenztheit der endlichen Wesenheiten sei darin zu suchen, daß ihr Sein auf ein bestimmtes Maß beschränkt bleibe. (Fs)

193a Wie wir aus der Erwiderung des hl. Thomas sehen, geht es in der ganzen Kontroverse im Grunde genommen um den Begriff des Stoffes. Nach Ibn Gebirol ist er der Substanz der Dinge nahezu gleich, jenes Sein, das aus dem göttlichen Wesen unmittelbar hervorgeht und Wesensgrund und Ausgangspunkt aller endlichen Selbstandwesen darstellt, also bereits etwas, wenn er auch hier und da ihren Möglichkeitscharakter betont. Der ganz im Banne Ibn Gebirols stehende Dominikus Gundissalinus bezeichnet den Stoff als erste in sich existierende Substanz, als Träger der Verschiedenheit, als der Zahl nach einen, der da ist die alle Formen aufnehmende Substanz, die die Wesenheit aller Formen konstituierende Substanz. (Fs)

193b Die übrigen Vertreter der Zusammensetzung der geistigen Wesenheiten gehen freilich nicht so weit. Sie sprechen bei den Geistwesen von einem geistigen Stoff, der ohne Ausdehnung und vom Stoff des Feuers verschieden sei. Freilich bezeichnet ihn Bonaventura auch als feingestalteten Körper, den er aber näherhin als Träger der Veränderung, nicht aber der Ausdehnung beschreibt. Bei ihm ist dieser Stoff, in sich betrachtet, weder körperlich noch geistig, fähig, körperliche und geistige Formen aufzunehmen. Ist er aber einmal von einer dieser Formen gestaltet, dann ist damit die andere ausgeschlossen. Tritt die geistige Form ein, dann gibt sie dem Stoff ihren verschiedenen geistigen Gehalt, macht sie jeder Ausdehnung unfähig und zum Träger der geistigen Gehaben. Wird der Stoff von der körperlichen Form gestaltet, dann ist damit seine Geistigkeit ausgeschlossen und es erfolgt seine Ausdehnung auf einzelne Teile. (Fs)

194a Bei den Gegnern der Zusammensetzung der geistigen Wesenheiten, besonders bei Thomas von Aquin, gilt der Stoff als reine Anlage, als etwas noch nicht Seiendes und den Dingen noch nicht vorauf Existierendes. Thomas sieht im Stoff einen nur den körperlichen Dingen zukommenden Wesensbestandteil, der in sich ohne jede Form ist und keine artliche Körpernatur besitzt. Allerdings bezeichnet er auch einmal die Empfänglichkeit, die Potenz in der geistigen Substanz als Stoff, betont aber zugleich, es sei eine uneigentliche Redeweise. Diese Verschiedenheit der Stoffauffassung bei beiden Richtungen liegt in den grundverschiedenen philosophischen Voraussetzungen. Die Vertreter des geistigen Stoffes stehen auf augustinisch-neuplatonisch-arabisch-jüdischer Grundlage. Thomas dagegen auf aristotelischer. Neuplatonisch-augustinische und aristotelische Denkweise messen sich hier. Der ersteren entspricht die Betonung der absoluten Einfachheit Gottes, indem sie ihr die stoffliche Bestimmtheit alles Geschaffenen, auch der Geistwesen entgegensetzen. Ihr ist der Urstoff etwas bereits Erfülltes, wenigstens mit einer allgemeinen Form Behaftetes, aus dem dann durch Hinzutreten der Elementarformen die Einzelkörper entstehen. Für die letztere Denkweise ist der Stoff etwas rein Anlagehaftes, noch nicht Seiendes, das Schwächste, Unvollkommenste, nahe beim Nichts liegende, den Dingen nicht vorausexistierende Sein, das sich unmittelbar mit der Wesensform verbindet. (Fs)

194b Bei aller Verschiedenheit der philosophischen Grundlagen und der Annahme bzw. Ablehnung des geistigen Stoffes sind beide Richtungen in der dogmatischen Stellung einig. Beiden gelten Engel und Menschenseele einfach, geistig und unsterblich. Allerdings ist diese Einfachheit keine absolute; eine solche kommt nur Gott zu. Bei der näheren Deutung dieser relativen Einfachheit gehen beide auseinander. Während Thomas und seine Anhänger in der Wesensordnung der geistigen Substanzen nur die Zusammensetzung aus Wesenheit und Dasein, höchstens noch aus Wesenheit und Selbständigkeit zulassen, vertreten die Freunde des geistigen Stoffes noch eine Zusammensetzung aus Stoff und Form. Die Auffassung vom geistigen Stoff im Wesensaufbau der geistigen Substanzen hielt sich in der katholischen Theologie bis zum Beginn der Neuzeit. Seither ist sie aufgegeben und die Lehre des hl. Thomas die allein maßgebende. (Fs)

Kommentar (21.03.11): Zu den Absätzen oben; nicht uninteressant, obwohl der Verfasser eine Thomas nicht adäquate Auffassung von Sein vertritt, etwa wenn er von der Zusammensetzung aus Wesenheit und Dasein spricht.

195a Vgl.: E. Filthaut, Roland von Cremona etc., Vechta 1936, 97; g. Kledneidam, Das Problem der hylomorphen Zusammensetzung der geistigen Substanzen im dreizehnten Jahrhundert, behandelt bis Thomas von Aquin, Breslau 1930; M. Wittmann, Die Stellung des hl. Thomas von Aquin zu Avencebrol, Bäumker, Beiträge, Münster 1930. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_075 - Der Mensch, wie er aus einer geistigen und einer körperlichen Substanz zusammengesetzt ist

Stichwort: Seele; Sind die Seelen der Tiere selbständig? Unterschied: Plato - Aristoteles; sinnliche Wahrnehmung: Veränderung des Körpers, keine Tätigkeit durch sich selbst

Kurzinhalt: Daraus ergibt sich, daß die Seelen der Tiere, da sie nicht an und für sich tätig sind, auch nicht selbständig sind. Denn auf gleiche Weise hat jedwedes Ding Sein und Tätigkeit.

Textausschnitt: ANTWORT: Die Philosophen des Altertums haben zwischen Sinn und Verstand keinen Unterschied gemacht und beides einem körperlichen Grunde zugeschrieben (Art. 1; 50, 1: Bd. 4) [10]. — Plato aber machte einen Unterschied zwischen Verstand und Sinn, führte jedoch beides auf einen unkörperlichen Grund zurück, indem er behauptete, wie das Denken, so komme auch das sinnliche Erkennen der Seele als solcher zu.1 Daraus folgte dann, daß auch die Seelen der Tiere selbständig sind. Aristoteles dagegen stellte die Lehre auf, daß von den Tätigkeiten der Seele nur das Denken ohne körperliches Organ ausgeübt wird. Das sinnliche Wahrnehmen jedoch und die darauf folgenden Tätigkeiten der sinnlichen Seele gehen offensichtlich mit einer Veränderung des Körpers vor sich. So wird beim Sehen das Auge durch das Abbild der Farbe verändert.2 Ein Gleiches tritt bei den anderen Sinnen in Erscheinung. Und so ist es klar, daß die Sinnenseele keine eigene Tätigkeit durch sich selbst hat, sondern daß jede Tätigkeit der Sinnenseele Sache des Zusammengefügten ist. Daraus ergibt sich, daß die Seelen der Tiere, da sie nicht an und für sich tätig sind, auch nicht selbständig sind. Denn auf gleiche Weise hat jedwedes Ding Sein und Tätigkeit. (Fs; tblStw: Seele) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_075 - Der Mensch, wie er aus einer geistigen und einer körperlichen Substanz zusammengesetzt ist

Stichwort: Ist die Seele der [ganze] Mensch? materia (non) signata; der Mensch als aus Leib und Seele Zusammengesetztes

Kurzinhalt: Die Wesensbestimmung drückt aber bei den Naturdingen nicht bloß die Form aus, sondern Form und Stoff. Daher ist der Stoff in den Naturdingen ein Teil der Art, zwar nicht der "bezeichnete" Stoff, welcher Grund der Vereinzelung ist, sondern der ...

Textausschnitt: ANTWORT: Der Satz: "Die Seele ist der Mensch" kann auf zweifache Weise verstanden werden. Einmal so: "Der Mensch" ist die Seele; aber "dieser Mensch" ist nicht die Seele, sondern das aus Seele und Leib Zusammengesetzte, z. B. Sokrates. Dies sage ich deswegen, weil einige behauptet haben, die Form allein gehöre zum Wesen der Art, der Stoff aber sei ein Teil des Einzelwesens und nicht der Art.1 — Das kann nun freilich nicht wahr sein. Denn zur Natur der Art gehört, was durch die Wesensbestimmung ausgedrückt wird. Die Wesensbestimmung drückt aber bei den Naturdingen nicht bloß die Form aus, sondern Form und Stoff. Daher ist der Stoff in den Naturdingen ein Teil der Art, zwar nicht der "bezeichnete" Stoff, welcher Grund der Vereinzelung ist, sondern der allgemeine Stoff [15]. (Fs)

Wie es nämlich zum Begriff "dieses Menschen" gehört, daß er aus dieser Seele und diesem Fleisch und Gebein besteht, so gehört es zum Begriff "des Menschen", daß er aus Seele und Fleisch und Gebein besteht. Denn zum Wesensgehalt der Art muß gehören, was immer gemeinsam zum Wesensgehalt aller in der Art enthaltenen Einzeldinge gehört. (Fs)

Der Satz kann aber auch so verstanden werden, daß "diese Seele" "dieser Mensch" ist. Das könnte aufrecht erhalten werden, wenn man annähme, daß die Tätigkeit der Sinnenseele der letzteren eigentümlich wäre unter Ausschluß des Körpers, weil dann alle Tätigkeiten, die dem Menschen zugeschrieben werden, der Seele allein zukämen. Jedes Ding ist aber das, wodurch die Tätigkeiten dieses Dinges ausgeübt werden. Deshalb ist der Mensch das, wodurch die Tätigkeiten des Menschen vollzogen werden. — Nun ist aber (Art. 3) gezeigt worden, daß das sinnliche Wahrnehmen nicht ausschließlich eine Tätigkeit der Seele ist. Da also das sinnliche Wahrnehmen eine Tätigkeit des Menschen ist, wenn auch nicht eine nur ihm eigene, so liegt auf der Hand, daß der Mensch nicht nur Seele ist, sondern etwas aus Seele und Leib Zusammengesetztes. — Plato freilich, der behauptet hat, das sinnliche Wahrnehmen sei der Seele eigentümlich, konnte die Ansicht aufstellen, der Mensch sei "eine Seele, die sich des Leibes bedient". (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über Seiendes und Wesenheit

Titel: Über Seiendes und Wesenheit

Stichwort: Gliederung, Kapitel 1; Begriffe: Seiendes, Wesenheit, Washeit (Definition), Sosein, Form Natur (Boethius)

Kurzinhalt: [...] folgende synonyme Bezeichnungen: Als Gegenstand der Definition heißt sie bei den Philosophen 'Washeit', bei Aristoteles auch 'Sosein' und 'Form', als die Bestimmtheit des Dinges (in dem, was es ist). [ 7] 'Natur' heißt sie bei Boethius ...

Textausschnitt: Kapitel I

[3] Das Kapitel I legt dar, [3] was die Begriffe 'Seiendes' und 'Wesenheit' bedeuten, und zwar im Anschluß an Aristoteles: 'Seiendes' liegt in zwei Bedeutungen vor,
1) nach den zehn Kategorien (sc. als reales Seiendes),
2) nach der Wahrheit in den Aussagen (sc. als logisches, mentales Seiendes). (X; Fs)

Nach der zweiten Bedeutung kann auch nicht real Existierendes ein Seiendes sein; z.B. werden auch Verneinung und Privation von etwas ausgesagt. (XI; Fs)

[4] Die 'Wesenheit' nun wird vom Seienden in der ersten Bedeutung (d.h. vom realen Seienden) her gewonnen. [5] Sie betrifft jeweils eine gemeinsame Natur von Seiendem innerhalb der verschiedenen kategorialen Gattungen (und diese Natur ist sowohl Seins- als auch Erkenntnisprinzip jedes Dinges). [6] Daraus ergeben sich folgende synonyme Bezeichnungen: Als Gegenstand der Definition heißt sie bei den Philosophen 'Washeit', bei Aristoteles auch 'Sosein' und 'Form', als die Bestimmtheit des Dinges (in dem, was es ist). [ 7] 'Natur' heißt sie bei Boethius als Prinzip der Vernunfterkenntnis, [8] bei Aristoteles auch als Seinsprinzip ('wodurch jedes Ding ein Seiendes ist'). (So tritt hier der oben [2] angedeutete seinsursächliche Aspekt der Wesenheit hervor.) (XI; Fs)

[9] Nach der Einteilung des Seienden in Substanzen und Akzidenzien, und der Substanzen in zusammengesetzte (physische) und abgetrennte (transzendente, metaphysische) müssen in all dem verschiedenen Seienden auch entsprechend verschiedene Wesenheiten vorliegen. (XI; Fs)

[10] Das weitere Vorgehen der Untersuchung wird so festgelegt, daß zuerst die Wesenheit der zusammengesetzten Substanz betrachtet werden muß, weil sie unserer Vernunft leichter zugänglich ist, wenn auch die der einfachen, abgetrennten Substanz in höherer Weise Wesenheit ist als die der zusammengesetzten Substanz. (XI; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über Seiendes und Wesenheit

Titel: Über Seiendes und Wesenheit

Stichwort: Gliederung, Kapitel 2; Wesen, Wesenheit; Problem des Allgemeinen; Materie, Individuationsprinzip, materia signata; Individuum - Art - Gattung (nicht wie ein Teil zum Ganzen)

Kurzinhalt: Gattung, Artunterschied und Art verhalten sich also zu Materie, Form und Zusammengesetztem nur analog, nicht identisch, da sie jeweils das ganze Ding (wenn auch nach verschiedenen Seiten hin) bezeichnen.

Textausschnitt: Kapitel II untersucht dann, [11] - [15], wie die Wesenheit in den aus Form und Materie zusammengesetzten Substanzen vorliegt, und legt dar, daß bei ihnen die Wesenheit ebenfalls zusammengesetzt sein, d.h. Form und Materie umfassen muß. (XI; Fs)

[16] Dafür spricht auch dies Argument, daß das Sein der zusammengesetzten Substanz nicht nur zur Form, auch nicht nur zur Materie, sondern zum zusammengesetzten, ganzen Seienden gehört. Die Wesenheit ist aber das Seinsprinzip, wodurch das Seiende ist. Also muß sie nach beiden, Form und Materie, bezeichnet werden, wenn auch nur die Form die Seinsursache ist (die dem Ding 'das Sein gibt'). (XI; Fs)

[17] Erläuterndes Beispiel aus der Physik, wo Körper mit bestimmten Eigenschaften (z. B. Geschmack) nicht nur nach dem einen hauptsächlichen der konstitutiven Bestandteile bezeichnet werden, sondern nach der Zusammensetzung aus beiden. (XIf; Fs)

[18] Im folgenden werden verschiedene Bedeutungen der Wesenheit herausgestellt. Die Tatsache, daß die Wesenheit auch die Materie des Einzeldinges umfaßt, führt zunächst zu dem Problem der Allgemeinheit der Wesenheit (weil sie ebenso wie das Einzelding aus Form und Materie zusammengesetzt ist und mit ihm identisch zu sein scheint). Wenn die Materie Individuationsprinzip ist, dann kann scheinbar die Wesenheit nicht allgemein sein, und es vom Allgemeinen, der Art (Species), keine Definition geben, da Objekt der Definition die Wesenheit ist. (XII; Fs)

[19] Das Problem wird dann durch folgende Unterscheidungen aufgelöst: Die Materie hat zwei Bedeutungen:
- als individuelle, durch die drei Dimensionen quantitativ bestimmte, (hier und jetzt) 'anzeigbare' Materie, und
- als 'nicht anzeigbare' Materie desselben Dinges qua Art (Species). (XII; Fs)

Dementsprechend hat die Wesenheit ebenfalls zwei Bedeutungen:
- als Wesenheit des individuellen Dinges und
- als Wesenheit von dessen Art (Species). (XII; Fs)

(Definierbar ist die Wesenheit eines Dinges nicht qua Individuums, sondern der Art nach.) Da nun nur die 'anzeigbare' Materie Individuationsprinzip ist, kann es durchaus eine Wesensdefinition der allgemeinen Art (Species) geben. (XII; Fs)

[20] Individuum und Art, wie auch die ihnen entsprechende Wesenheit, nach den beiden Bedeutungen, unterscheiden sich gerade durch die anzeigbare und nicht anzeigbare Materie. (XII; Fs)

[21] Wie zwischen Individuum und Art, so besteht auch analogerweise wieder zwischen Art und Gattung ein Verhältnis des Anzeigbaren und Nicht-Anzeigbaren. Doch erfolgt die Anzeigbarkeit hier und dort auf verschiedene Weise. (XIIf; Fs)

[22] Dabei verhält sich die Art zum Individuum nicht wie ein Teil zum Ganzen, als ob sie die prägenden (individuierenden) Merkmale ausschlöße. Vielmehr ist die Art das ganze Ding und schließt die prägenden Merkmale des Individuums schon unbestimmterweise ein. Ebenso ist auch die Gattung nicht Teil der Art, sondern steht wie diese für das ganze Ding und enthält unbestimmterweise die prägenden (spezifizierenden) Merkmale der Art. (XIII; Fs)

[23] - [26] Erläutert wird dies durch das Beispiel mit den zwei Bedeutungen, die der Begriff 'Körper' haben kann, [24] der an sich eine Substanz mit drei Dimensionen bezeichnet (die hier gleichsam als substantielle Form fungieren). [25] Diese Substanz schließt nun in einer Bedeutung jede weitere Formvollendung aus und ist dann ein Teil des Lebewesens. [26] In einer anderen Bedeutung jedoch schließt es [sic; er??] weitere Formen, nämlich des Lebens u.ä.m., ein und steht dann für das ganze Lebewesen, als Gattung. (XIII; Fs)

[27] Allgemein gesprochen, verhält sich die Gattung eines Dinges zu dessen Art (z.B. Lebewesen zu Mensch) nicht wie ein Teil zum ganzen Ding, sondern wieder wie das ganze Ding, das gegenüber der Art noch ungeprägt ist, aber die weitere spezifische Prägung und Formvollendung unbestimmterweise einschließt. (XIII; Fs)

[28] Näher gesehen, bedeutet zwar die Gattung das ganze Ding, jedoch mehr nach seiner materiellen Seite hin, wenn sie auch nicht mit der Materie identisch ist. (XIII; Fs) (notabene)
[29] Ebenso bedeutet der Artunterschied das ganze Ding, aber mehr nach der Seite der Form hin, ohne wiederum mit dieser identisch zu sein. Und die Art (Species) bezeichnet ein Ding gleicherweise mit den beiden Ursachen, Materie und Form (ohne mit ihnen identisch zu sein). (XIII; Fs) (notabene)

[30] Gattung, Artunterschied und Art verhalten sich also zu Materie, Form und Zusammengesetztem nur analog, nicht identisch, da sie jeweils das ganze Ding (wenn auch nach verschiedenen Seiten hin) bezeichnen. (XIII; Fs)

[31] In gewissem Sinne ist zwar die Wesensdefinition aus den definitorischen Begriffen (Gattung und Unterschied) 'zusammengesetzt', aber nicht wie aus Teilen. (XIII; Fs)

[32] Daraus folgt nicht, daß die Gattung verschiedener Arten eine numerische (individuelle) Einheit hätte; denn ihre Einheit, in welcher sie ein ganzes Ding vorstellt, rührt nur von jener Unbestimmtheit (Ungeprägtheit) gegenüber den Arten her. (XIIIf; Fs)

[33] Dadurch daß die Gattung die besondere Prägung der Art unbestimmt einschließt, und die Art die besondere Prägung des Individuums, kann auch die Wesenheit der Art so betrachtet werden, daß sie das besondere Gepräge des Individuums unbestimmt einschließt. Dieses kann aber auch von ihrer Betrachtung ausgeschlossen werden. Je nachdem ergeben sich zwei Bedeutungen der Wesenheit (wie oben erwähnt). (XIV; Fs)

1) als Wesenheit der Art eines Dinges, wonach sie für das Ding als ganzes steht und das Individuelle, auch die individuelle, 'anzeigbare' Materie, unbestimmt einschließt, und
2) [34] als Wesenheit des individuellen Dinges, die nur einen Teil desselben ausmacht, weil sie das Individuelle, wie auch die 'anzeigbare' Materie (als nicht zur Wesenheit gehörig) ausschließt. (Im Ding gibt es neben dem Wesentlichen, Notwendigen, auch Nicht-Wesentliches, Kontingentes, Akzidentelles.) (XIV; Fs)

[35] Der Begriff, der die Wesenheit als Teil des individuellen Dinges bezeichnet, kann von diesem nicht ausgesagt werden, da der Teil vom Ganzen nicht aussagbar ist. (XIV; Fs)

[36] Bezeichnet wird die Wesenheit 'als Ganzes' durch den Artbegriff (z.B. homo), dagegen 'als Teil' durch den Wesensbegriff der Art (humanitas), zu dem dann der Wesensbegriff der Gattung (animalitas) und des Unterschiedes (rationalitas) gehört. (XIV; Fs)

[37] Zusammenfassend gesehen, entsprechen den zwei verschiedenen Bezeichnungen der Wesenheit, durch den Artbegriff (z. B. homo) und den Wesensbegriff der Art (humanitas), die zwei (o. gen.) verschiedenen Bedeutungen der Wesenheit, sofern sie einmal als ganzes Ding und zum andern als Teil desselben betrachtet werden kann. Während die Wesenheit nach dem Artbegriff (homo) vom ganzen individuellen Ding (Sokrates) ausgesagt werden kann, ist dies nach dem Wesensbegriff der Art (humanitas) nicht mehr möglich. (XIV; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über Seiendes und Wesenheit

Titel: Über Seiendes und Wesenheit

Stichwort:

Kurzinhalt:

Textausschnitt: Kapitel III
Das Kapitel III untersucht nun [38], wie sich die allgemeinen Begriffe der Gattung, des Artunterschiedes und der Art zur Wesenheit verhalten, und stellt zunächst fest, daß die allgemeinen, definitorischen Begriffe, die immer vom ganzen Ding ausgesagt werden, nicht von der Wesenheit (in der zweiten Bedeutung) als Teil des Dinges ausgesagt werden können. Als solche wird sie nur vom Wesensbegriff der Art bezeichnet (s. o.). (XV; Fs)
Kommentar (30.06.11): Cf. Kommentar zum Text [38].
[39] Gattung, Unterschied und Art kommen der Wesenheit auch nicht in der platonischen Auffassung zu, wonach sie eine eigene Substanz außerhalb der empirischen Einzeldinge wäre; denn bei dieser Auffassung hätte sie für die Dinge keine ursächliche Funktion mehr, weder als Seins-, noch als Erkenntnisursache. (XV; Fs)
[40] Also können die allgemeinen, definitorischen Begriffe der Wesenheit nur insofern zukommen, als diese für das ganze Ding steht und dabei die Geprägtheit des Individuum(s) unbestimmterweise einschließt (d. h. nach der ersten Bedeutung). (XV; Fs)
[41] Die so begriffene Wesenheit kann in zweifacher Bedeutung verstanden werden, a) ohne das Sein in etwas, b) mit dem Sein in etwas:
a) Die Wesenheit, ohne das Sein betrachtet, betrifft das, was ihr an sich zukommt. Bei dieser 'absoluten Betrachtung' wird von dem Akzidentellen abgesehen, das sich durch das Sein der Wesenheit in einem Ding ergibt. (XV; Fs)
[42] Daher kommt auch das Eines- oder Vieles-sein nicht der Wesenheit selbst zu. Sonst würde das eine das andere ausschließen, während doch beides der Wesenheit akzidentell zukommen kann. (XV; Fs)
[43] b) Die Wesenheit, mit dem Sein betrachtet, steht auch mit dem Akzidentellen in Bezug, das sich ergibt, sofern sie in etwas ist. (XV; Fs)
[44] Dabei wird weiter zwischen dem Sein der Wesenheit im Einzelding und in der Seele unterschieden. Doch eignet der Wesenheit in absoluter Betrachtung weder das Eines-, noch das Vieles-sein, das ihr durch das Sein in den Einzeldingen zufällt. (XV; Fs)
[45] Wenn aber auch die absolute Betrachtung der Wesenheit vom Sein in etwas absieht, so schließt sie dieses von der Wesenheit nicht aus, die ja (nach der o. gen. ersten Bedeutung) für das ganze individuelle Ding steht und von ihm ausgesagt wird. (XVf; Fs)
[46-48] Was nun die definitorischen Begriffe in ihrer Allgemeinheit betrifft, mit den Merkmalen der Einheit und Gemeinsamkeit, so können sie nur der Wesenheit mit ihrem Sein in der menschlichen Vernunft zukommen, die vom Einzelnen absieht und die Wesenheit in allgemeiner Einheit begreift. (XVI; Fs)
Kommentar (30.06.11): zu oben: Die Wesenheit in der Vernunft ist allgemein nur insofern, als die Vernunft als vielen zuschreibbar erkennt (Beispiel "körperliche Statue" im Text oben.)
[49] Trotz der Allgemeinheit, welche die Wesenheit in der Vernunft hat, wird sie doch von jedem Menschen einzeln eingesehen. (XVI; Fs)
[50] Kritik an Averroes' Lehre, wonach die Erkenntnis der Wesenheit, in ihrer allgemeinen Einheit, von einer einzigen, überindividuellen Vernunft verursacht werde. (XVI; Fs)
[51] Der Artbegriff kommt in seiner abstrakten Allgemeinheit - d.h. in der Intention als Art (Species) - der Wesenheit in absoluter Bedeutung nicht zu; denn diese wird vom Individuum ausgesagt, der abstrakte Artbegriff dagegen als solcher nicht (z.B. läßt sich nicht aussagen: Sokrates ist die Art, der Mensch). (XVI; Fs)1
[52] In der Intention der Allgemeinheit (als Gattung, Art) ist zwar die der Aussagbarkeit eingeschlossen, aber nicht umgekehrt. (Wenn z.B. die Gattung ausgesagt wird, dann nicht auch die Intention der Gattung). (XVI; Fs)
Kommentar (30.06.11): zu oben ???
[53] Ergebnis: In ihrer abstrakten Allgemeinheit kommen die definitorischen Begriffe nicht der Wesenheit in absoluter Betrachtung zu, sondern nur akzidentell, sofern die Wesenheit ihr Sein in der Vernunft hat. (XVI; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über Seiendes und Wesenheit

Titel: Über Seiendes und Wesenheit

Stichwort:

Kurzinhalt:

Textausschnitt: Das Kapitel IV

Das Kapitel IV geht [54] zur Untersuchung der Wesenheit in den abgetrennten Substanzen über, d.h. was sie bei der Seele, beim Vernunftwesen ('Intelligenz') und der ersten Ursache (Gott) ist. (XVI; Fs)

[55] Alle Philosophen stimmen darin überein, daß nur die erste Ursache in sich gänzlich einfach ist, die anderen abgetrennten Substanzen hingegen zusammengesetzt. Indes nehmen Avicebron und andere für das Vernunftwesen und die Seele eine Zusammensetzung aus Form und Materie an. Doch läßt sich diese Annahme nicht halten. (XVI; Fs)

[56-58] Argumente und Widerlegung eines Einwandes. So bleibt nur übrig, daß die Vernunftwesen aus Form und Sein zusammengesetzt sind. (XVII; Fs)

[59] Die weitere Untersuchung geht von der Feststellung aus, daß bei einer Zusammensetzung aus zwei Prinzipien dasjenige, das Seinsursache für anderes ist, von ihm dem Sein nach unabhängig ist. (XVII; Fs)

[60] So verhält sich nun die Form als Seinsursache gegenüber der Materie und ist daher von dieser dem Sein nach unabhängig. (Dies gilt in höchstem Maße von der ersten Form, der ersten Ursache, Gott.) (XVII; Fs)

[61] Wenn einige Formen sich an Materie finden, so nur deshalb, weil sie von der ersten Ursache zu weit entfernt sind. (XVII; Fs)

[62] Andere Formen, die der ersten Ursache am nächsten stehen, sind ohne Materie. Zu ihnen gehören die Vernunftwesen. (XVII; Fs)

[63] Es ergeben sich folgende Unterschiede zwischen der Wesenheit in der zusammengesetzten und in der einfachen Substanz: Die Wesenheit der zusammengesetzten Substanz umfaßt Form und Materie (und ist somit selbst auch zusammengesetzt), während die der einfachen Substanz nur Form ist. (XVII; Fs)

[64] Ferner kann die Wesenheit von der zusammengesetzten Substanz als ganzer und als Teil betrachtet werden, je nachdem ob in ihr die 'anzeigbare' Materie unbestimmt eingeschlossen oder überhaupt ausgeschlossen sein soll. (XVII; Fs)

[65] Dagegen bedeutet die Wesenheit der einfachen Substanz diese immer als ganze und d.h. als Form, da es außer der Form hier keine Materie gibt. (XVII; Fs)

[66] Ein weiterer Unterschied ist der, daß die Wesenheit einer Art (Species) der zusammengesetzten Substanzen in einer Vielheit von Individuen auftritt, die sich auf verschiedene Materien verteilt. Dagegen ist bei den abgetrennten Substanzen, die keine Materie mehr haben, jedes Individuum eine eigene Art (Species). (XVII; Fs)

[67] Die abgetrennten Substanzen, die nicht mehr aus Form und Materie zusammengesetzt und insofern einfach sind, haben doch eine Zusammensetzung anderer Art, nämlich aus Potenz und Akt. Bei ihnen sind nämlich Wesenheit und Sein verschieden; denn das Sein ist kein Bestandteil der Wesenheit, und diese wird ohne das Sein eingesehen. (Wesenheit und Sein verhalten sich zueinander wie Potenz und Akt.) (XVIIf; Fs)

[68] Nur bei der ersten Substanz, der ersten Ursache, ist das Sein mit ihrer Wesenheit identisch. [69] Weitere Bestimmungen zur ersten Substanz. (XVIII; Fs)

[70] Bei den anderen abgetrennten Substanzen hingegen kommt zur Wesenheit oder Form das Sein als von ihr verschieden hinzu (so daß sie aus Form und Sein zusammengesetzt sind). (XVIII; Fs)

[71] Beweis, daß es eine erste Ursache, Gott, gibt. [72] Und diese Ursache muß eine erste sein, deren Wesenheit das Sein selbst ist und mit Gott gleichgesetzt wird. (XVIII; Fs)

[73] Da die zusammengesetzten Substanzen von der ersten Ursache das Sein empfangen, müssen sie sich in ihrer Wesenheit / Form potentiell gegenüber dem empfangenen Sein als Akt verhalten. (XVIII; Fs)

[74] Somit sind die abgetrennten Substanzen (außer der ersten) aus Potenz und Akt zusammengesetzt, nicht aber aus Materie und Form. (XVIII; Fs)

[75] Jede abgetrennte Substanz von solcher Art ist als Vernunftwesen mit ihrer Wesenheit identisch. Das Sein hat sie als das, wodurch sie ist, die Wesenheit aber als das, was sie ist. (XVIII; Fs) (notabene)

[76] Durch die Zusammensetzung aus Potenz und Akt läßt sich die Vielfalt von Vernunftwesen erklären, und zwar in der Weise, daß die je höheren Wesen, die der ersten Ursache (dem reinen Akt) immer näher kommen, mehr Wirklichkeit (Aktualität) und weniger Möglichkeit (Potentialität) haben. (XVIII; Fs)

[77] In dieser Rangordnung folgt die menschliche Seele an unterster Stelle und ist nur Möglichkeit, als 'mögliche Vernunft', gegenüber der aktuellen Erkenntnis der intelligiblen Formen. (XVIII; Fs)

[78] Daher verbindet sich mit ihr ein materieller Körper (der ihr zum Übergang zu aktueller Erkenntnis dient). Mit dem Körper bildet sie ein Zusammengesetztes, den Menschen. Das Sein eignet dem ganzen Menschen, wird aber von der Seele verursacht und hängt nicht vom Körper ab (der vielmehr am Sein teilhat) (XVIII; Fs)

[79] Unterhalb der Formen der Vernunftwesen und Seelen folgen in der Rangordnung die körperlichen Formen, die der (ersten) Materie immer näher kommen und damit immer weniger Aktualität zeigen. Auf unterster Stufe finden sich die Formen der Elemente, als gewisse aktive und passive Qualitäten von ihnen. (XVIIIf; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_075 - Der Mensch, wie er aus einer geistigen und einer körperlichen Substanz zusammengesetzt ist

Stichwort: Ist die Seele aus Stoff und Form zusammengesetzt? 2 Argumente: 1 Form - Wirklichkeit, Möglichkeit - nicht Wirklichkeit; 2 Seele, Verstand; (wenn zusammengesetzt -> Formen der Dinge einzelbestimmt in ihr (Bsp.: Stein; recipitur in eo per modum recipientis)

Kurzinhalt: Denn die Form als Form ist Wirklichkeit; was aber nur in Möglichkeit ist, kann nicht Teil der Wirklichkeit sein, da die Möglichkeit der Wirklichkeit widerstreitet, als gegen die Wirklichkeit unterschieden.

Textausschnitt: ANTWORT: Die Seele besitzt keinen Stoff. Das läßt sich auf zweifache Weise ersehen. Erstens aus der Natur der Seele im allgemeinen. Es gehört nämlich zum Wesen der Seele, daß sie die Form eines Körpers ist. Sie ist also Form entweder in ihrer Ganzheit oder mit einem Teil von ihr. Ist sie ganz Form, so kann ein Teil von ihr unmöglich Stoff sein, wenn man Stoff ein nur in Möglichkeit Seiendes nennt. Denn die Form als Form ist Wirklichkeit; was aber nur in Möglichkeit ist, kann nicht Teil der Wirklichkeit sein, da die Möglichkeit der Wirklichkeit widerstreitet, als gegen die Wirklichkeit unterschieden. Wenn aber die Seele mit einem Teil von ihr Form ist, so werden wir eben diesen Teil Seele nennen; und jenen Stoff, dessen Wirklichkeit sie zuerst ist, werden wir das "Erstbeseelte" nennen. (Fs)

Zweitens im besondern aus dem Wesen der menschlichen Seele, sofern sie verstandbegabt ist. Es ist nämlich klar, daß alles, was in etwas aufgenommen wird, nach Weise des Aufnehmenden in dieses aufgenommen wird.1 Ein jedes Ding wird aber so erkannt, wie seine Form im Erkennenden ist. Nun erkennt aber die Verstandesseele das Ding in seiner Natur, diese rein für sich genommen, den Stein z. B., sofern er rein für sich Stein ist. Es ist somit die Form des Steines rein für sich, nach der eigenen Wesensbestimmtheit, in der Verstandesseele. Die Verstandesseele ist also reine Form, nicht aber etwas aus Stoff und Form Zusammengesetztes. — Wäre nämlich die Verstandesseele aus Stoff und Form zusammengesetzt, so würden die Formen der Dinge als einzelbestimmte in sie aufgenommen werden, und folglich würde sie nur Einzelnes erkennen, wie dies bei den Sinnesvermögen der Fall ist, die die Formen der Dinge in das körperliche Organ aufnehmen. Denn der Stoff ist Grund der Vereinzelung der Formen. Es ergibt sich also, daß die Verstandesseele und jede verstandbegabte Substanz, die die Formen rein für sich erkennt, der Zusammensetzung aus Form und Stoff entbehrt. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_075 - Der Mensch, wie er aus einer geistigen und einer körperlichen Substanz zusammengesetzt ist

Stichwort: Antwort auf: Seele ist in Möglichkeit, also materia; Angemessenheit: Möglichkeit - Wirklichkeit (verschiedene Wirklichkeiten -> versch. Möglichkeiten); materia <> einzelbestimmte Formen - Verstand <> abgelöste Formen

Kurzinhalt: Nun ist aber die aufnehmende Möglichkeit in der Verstandesseele von der aufnehmenden Möglichkeit des ersten Stoffes verschieden, was sich aus der Verschiedenheit des Aufgenommenen ergibt. Denn der erste Stoff nimmt einzelbestimmte Formen auf, der ...

Textausschnitt: Ad objectiones

Zu 1. Die erste Wirklichkeit ist der allumfassende Grund aller Wirklichkeiten, weil sie unendlich ist, der Kraft nach "im voraus alles in sich enthaltend" (Dionysius). Darum teilt sie sich den Dingen mit, nicht wie ein Teil, sondern durch einen Erguß ihres Wirkens nach außen [17]. Die Möglichkeit aber muß, da sie die Wirklichkeit aufnehmen soll, der Wirklichkeit angemessen sein. Der aufgenommenen Wirklichkeiten jedoch, die von der ersten unendlichen Wirklichkeit ausgehen und gewisse Teilhaben an ihr sind, gibt es verschiedene. Daher kann es nicht eine einzige Möglichkeit geben, die alle Wirklichkeiten aufnähme, wie es nur eine Wirklichkeit gibt, die alle an ihr teilhabenden Wirklichkeiten ausströmt. Denn sonst würde jene aufnehmende Möglichkeit der Wirkkraft der ersten Wirklichkeit gleichkommen. Nun ist aber die aufnehmende Möglichkeit in der Verstandesseele von der aufnehmenden Möglichkeit des ersten Stoffes verschieden, was sich aus der Verschiedenheit des Aufgenommenen ergibt. Denn der erste Stoff nimmt einzelbestimmte Formen auf, der Verstand dagegen abgelöste. Daher ist das Vorhandensein einer solchen Möglichkeit in der verstandbegabten Seele kein Beweis dafür, daß die Seele aus Stoff und Form zusammengesetzt ist. (Fs) (notabene)

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5. ARTIKEL
Ist die Seele aus Stoff und Form zusammengesetzt?

1. Die Möglichkeit wird gegen die Wirklichkeit unterschieden. Alles, was immer aber in Wirklichkeit ist, hat teil an der ersten Wirklichkeit, die Gott ist: durch Teilhabe an Ihm ist nach der Lehre des Dionysius alles gut, seiend und lebend. Folglich nimmt alles, was in Möglichkeit ist, teil an der ersten Möglichkeit. Nun ist aber die erste Möglichkeit der erste Stoff. Da also die menschliche Seele in gewisser Weise in Möglichkeit ist — was daraus hervorgeht, daß der Mensch zuweilen in Möglichkeit erkennend ist —, so scheint die menschliche Seele am ersten Stoff teilzuhaben und dieser ein Teil von ihr zu sein. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_075, Ist die Seele aus Stoff und Form zusammengesetzt?; zusammengesetzte Dinge: 4 Ursachen; selbständige, geistige Formen: keine Formursache u. geschöpfliche Wirkursache (nicht: physische Möglichkeit -> Wirklichkeit); cf. (eg): forma dat esse

Kurzinhalt: Bei den selbständigen, stofflosen Formen fällt sowohl der formliche Grund als auch die geschöpfliche Wirkursache weg, ersterer, weil sie durch sich selbst das Sosein haben, und letztere, weil ...

Textausschnitt: [18] Zu S. 22.

Hinsichtlich der aus Stoff und Form zusammengesetzten Dinge sind, abgesehen von der Erstursache, Gott, drei, bzw. vier Ursachen zu unterscheiden: 1. die stoffliche oder Material-Ursache: der erste Stoff; 2. die förmliche, bestimmtheitliche oder Formal-Ursache: die Wesensform; 3. die Wirkursache ("das Tätige"): der Erzeuger des stofflichen Wesens; 4. die Zweckursache, der zulieb gehandelt, das Ding ins Dasein gesetzt wird. Stoff und Form verursachen sich gegenseitig, sich einander hingebend und so das Wesensganze bildend. Beider Verursachung vollzieht sich anfänglich unter dem Einfluß der Wirkursache, die den Stoff verändert, d. h. von der bisher besessenen Wesensform zu der neuen Form hinüberführt und dem Wesensganzen Dasein gibt. Das Dasein hängt auch von der Form ab, sofern diese bestimmend ist für die Artnatur oder Wesenheit, der das Dasein entspricht. Auf diese Weise verwirklicht die Wirkursache die Absicht oder das Vorhaben der Zweckursache, die also durch die Wirkursache tätig ist. Bei den selbständigen, stofflosen Formen fällt sowohl der formliche Grund als auch die geschöpfliche Wirkursache weg, ersterer, weil sie durch sich selbst das Sosein haben, und letztere, weil unmittelbare Ursache ihres Daseins die erste Ursache, Gott selbst ist, der sie durch Seinen Schöpferakt nicht von der physischen Möglichkeit zur Wirklichkeit, sondern vom Nichtsein zur Daseinswirklichkeit führt. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_075a5, Ist die Seele aus Stoff und Form zusammengesetzt?; Boethius: Stoff, Form, Wesen; Thomas, Unterschied: Wesen, Dasein (essentia, esse)

Kurzinhalt: Indem Thomas hier die geschaffenen Substanzen aus Form (= Wesenheit) und mitgeteiltem Sein (= Dasein) als aus Möglichkeit und Wirklichkeit zusammengesetzt sein läßt und ... lehrt er einschlußweise den sachlichen Unterschied zwischen Wesen und Dasein ...

Textausschnitt: [19] Zu S. 23.

19a Wenn auch die menschliche Seele nicht aus Stoff und Form zusammengesetzt ist (s. d. Antw.), so ist sie doch nicht reine Wirklichkeit — das ist Gott allein —, sondern als "mitgeteiltes", von Gott geschaffenes Seiendes ist sie ein beschränktes Wesen, eine Wesenheit oder Form, die ihrerseits in Möglichkeit zum Dasein ist. Dieses Dasein, das der Wesenheit gegenüber Wirklichkeit ist, ist begrenzt durch die Wesenheit, in die es aufgenommen ist. Die Seele ist also — und das gilt von jedem geschaffenen Seienden — zusammengesetzt aus Möglichkeit und Wirklichkeit. Und zwar gilt die Möglichkeit oder die Wesenheit als "das, was ist", die Daseinswirklichkeit als "das, wodurch etwas ist", eine Unterscheidung, die von Boethius (+ 525) stammt. — Da diese Unterscheidung auch S. 479 und Anm. [16] (am Schluß) gemacht wird, diene folgendes zur Übersicht:

1. Stoff und Form sind je "das, wodurch" das zusammengesetzte Wesen ist, und zwar der Stoff der verwirklichungsmögliche, die Form der verwirklichende Wesensgrund oder Wesensbestandteil eben mit Rücksicht auf das Wesensganze, das nun als "das, was ist", gilt.
2. Im Gegensatz zum Vollselbständigen (suppositum), d. h. zum Natur- oder Wesensträger, als dem, "was ist und tätig ist", ist die Natur oder die Wesenheit "das, wodurch" das Vollselbständige ist und tätig ist.

3. Wesenheit und Dasein verhalten sich zueinander wie "das, was" und "das, wodurch" das daseiende Wesen da ist. — .

19b Indem Thomas hier die geschaffenen Substanzen aus Form (= Wesenheit) und mitgeteiltem Sein (= Dasein) als aus Möglichkeit und Wirklichkeit zusammengesetzt sein läßt und in der Antwort Möglichkeit und Wirklichkeit als sich widerstreitend bezeichnet, lehrt er einschlußweise den sachlichen Unterschied zwischen Wesen und Dasein beim geschaffenen Seienden. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_075a6, Ist die Menschenseele zerstörbar?; Möglichkeit zum Nicht-Sein; potentia: activa, passiva; Zusammengesetztes: Hinordnung zum Anderssein (nur nebenbei Möglichkeit zum Nichtsein) ; Gott, Geschöpfe ("gehorsame" Möglichkeit; Seele ewiges Sein)

Kurzinhalt: Leidentliche Möglichkeit zum Nichtsein besitzt das Ding nicht, weil diese Möglichkeit oder Hinordnung keinen Zielpunkt hätte. Wohl aber ist ein aus Teilen zusammengesetztes Wesen zerstörbar, sofern es nebenbei die Hinordnung zum Nichtsein, tatsächlich ...

Textausschnitt: [21] Zu S. 28.

Ad objectiones

Zu 2. Wie man von einem Ding nicht sagt, es könne erschaffen werden auf Grund einer leidentlichen Möglichkeit, sondern nur auf Grund des tätigen Vermögens des Erschaffenden, der etwas aus nichts hervorbringen kann, so besagt auch der Ausdruck "Es kann etwas ins Nichts zurückkehren" nicht, daß das Geschöpf die Möglichkeit zum Nicht-sein hätte, sondern daß der Schöpfer die Macht besitzt, das Sein nicht [weiter] einzugießen. Es wird aber etwas zerstörbar genannt, sofern in ihm die Möglichkeit zum Nicht-sein ist [21]. (Fs)

Anmerkung:

Potentia passiva bedeutet hier die Möglichkeit oder Anlage, auf Grund deren etwas an einem Ding geschehen kann: leidentliche Möglichkeit; potentia activa bedeutet die Möglichkeit, das Vermögen oder die Macht, zu wirken: tätiges Vermögen. Wie nun der Ausdruck "erschaffen werden können" nur besagt, daß das Ding vom Schöpfer aus dem Nichts ins Dasein gesetzt werden kann, nicht aber, daß das Ding selbst die leidentliche Möglichkeit hierzu hätte, so besagt auch der Ausdruck "ins Nichts zurückkehren können" nur, daß der Schöpfer angesichts seiner unbedingten Oberherrschaft aufhören kann, dem Ding das Sein weiter zufließen zu lassen, nicht aber, daß das Ding die Möglichkeit oder Anlage zum Nichtsein hätte. Leidentliche Möglichkeit zum Erschaffenwerden besitzt das Ding nicht, weil es vor seiner Erschaffung noch nicht ist, diese Möglichkeit also keinen Träger hätte. (Man könnte hier allenfalls von einer metaphysischen Möglichkeit reden, die dasselbe ist wie die metaphysische Seinsheit des Daseinsmöglichen, nicht aber von einer physischen, wie man auch die Veränderung vom Nichtsein zum Sein, die Erschaffung, d. h. eben das Erschaffenwerden des Dinges metaphysische Veränderung nennt.) Leidentliche Möglichkeit zum Nichtsein besitzt das Ding nicht, weil diese Möglichkeit oder Hinordnung keinen Zielpunkt hätte. Wohl aber ist ein aus Teilen zusammengesetztes Wesen zerstörbar, sofern es nebenbei die Hinordnung zum Nichtsein, tatsächlich aber die Hinordnung zum Anderssein hat (s. S. 482 ff.). — Wie jedem geschaffenen Ding, so kann nun freilich der Schöpfer auch der menschlichen Seele angesichts Seiner unbedingten Oberherrschaft das Dasein entziehen. Wenn die menschliche Seele auch naturnotwendig immer im Sein verharrt, so ist die Notwendigkeit doch keine unbedingte. Da auch sie aus Wesenheit und Sein zusammengesetzt ist, die nicht unbedingt notwendig, sondern zufällig (contingenter) miteinander verbunden sind, ist sie wie beim Empfang ihres Daseins auf die Schöpfertat, so bei der Fortdauer desselben ständig auf den erhaltenden Einfluß Gottes angewiesen. Würde dieser Einfluß entzogen dann hörte sie durch Vernichtung auf zu sein. Diese Vernichtung geschähe somit rein negativ durch Entziehung des erhaltenden Einflusses. Deshalb ist die Möglichkeit der Vernichtung auch keine Hiaordnung zum Nichtsein, sondern nur eine "gehorsame" Möglichkeit Gott gegenüber, der über seine Geschöpfe die unbedingte Oberherrschaft hat. Da jedoch Gott auf die Geschöpfe so einwirkt, wie es ihrer Natur entspricht, die menschliche Seele als substantielles geistiges Wesen aber eine natürliche Hinordnung zum immerdauernden Sein hat und somit ihrer Natur nach fordert, daß ihr der erhaltende Einfluß Gottes immerdar zuteil werde, vernichtet Gott tatsächlich die Seele nicht, obgleich dies an und für sich im besagten Sinn möglich wäre (vgl. GrPh 1, 365 f.). (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_075a7, Ist die Seele von derselben Art wie der Engel?; Gattung, Art (entgegengesetzte Unterschiede); Engel, Menschenseele: nicht zwei Arten einer Gattung (Seele nicht artbildend)

Kurzinhalt: Engel und Menschenseele sind nun aber nicht zwei Arten in derselben Weise wie z. B. Mensch und Tier. Denn ... Sodann kommen Mensch und Engel nicht in einer nächsten, sondern erst in der obersten Gattung Substanz überein.

Textausschnitt: [23] Zu S. 30.

Eine Verschiedenheit der Art und der Artnatur bedeutet eine Verschiedenheit in der Seinsvollkommenheit. Die Arten entstehen logisch aus der Gattung durch die die Gattung aufteilenden Unterschiede, die einander entgegengesetzt sind. Von entgegengesetzten Unterschieden bezeichnet aber der eine eine Seinsvollkommenheit, die der andere ausschließt, so daß die eine Art die Seinsvollkommenheit "hat", die die andere nicht hat, deren sie gleichsam "beraubt ist". Aus der Gattung "Sinnenwesen" werden durch die Unterschiede "vernünftig" und "unvernünftig" die Arten "vernünftiges Sinnenwesen" (Mensch) und "unvernünftiges Sinnenwesen" (Tier) gebildet. Mensch und Tier stehen zueinander im Verhältnis des Vollkommenen zum Unvollkommenen. Im Menschen hat das Sinnenwesen eine Vollkommenheit, deren es im Tier beraubt ist; beraubt, sofern Sinnenwesen an sich wenigstens in logischer Möglichkeit ist, vernünftiges Sinnenwesen zu werden. Dieser Möglichkeit ist es aber im Tier beraubt. — Engel und Menschenseele sind nun aber nicht zwei Arten in derselben Weise wie z. B. Mensch und Tier. Denn einmal bildet nicht die Seele, die eine unvollständige Natur ist, die Art, sondern der aus Seele und Leib zusammengesetzte Mensch (s. Zu 3); die Seele gehört nur durch Zurückführung in die Art (vgl. Anm. [50]). Sodann kommen Mensch und Engel nicht in einer nächsten, sondern erst in der obersten Gattung Substanz überein. (Über Gattung, Art, den "Baum des Porphyrius", siehe GrPh 1, 77 ff.) (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a1c, Ist der Urgrund des Verstehens als Form mit dem Körper vereint?; Aristoteles, Thomas: Glückseligkeit, Glück (Verstand: Besitz d. allbefriedigenden Gutes - Wille: Streben danach u. Besitz); Wille - Liebe

Kurzinhalt: Demnach besteht das metaphysische Wesen der Glückseligkeit in einer Tätigkeit des Verstandes, der durch sein Erkennen den Gegenstand der Glückseligkeit erfaßt und besitzt. Daraus ergibt sich dann für den Willen

Textausschnitt: [31] Zu S. 41.

31a In seiner Abhandlung 'Von der Wahrheit' (2, 2) schreibt Thomas: "Das ist die höchste Vollkommenheit, zu der nach den Philosophen die Seele gelangen kann: daß in sie [dadurch, daß sie erkennend die Dinge unstofflich in sich aufnimmt] die gesamte Ordnung des Alls und seiner Ursachen hineingeschrieben wird; das haben sie auch als das letzte Ziel des Menschen hingestellt, das nach uns im Schauen Gottes bestehen wird. Denn wie Gregor sagt: Was schauen wohl die nicht, die den alles Schauenden schauen?" (Fs)

31b Nach Aristoteles-Thomas besteht die Glückseligkeit ihrem Wesen nach in der Tätigkeit des Verstandes, der die gesamte Ordnung des Alls und seiner Ursachen, bzw. die Wesenheit Gottes erkennt. Der Zustand der Glückseligkeit besteht nämlich wesentlich in dem Besitz des Gegenstandes der Glückseligkeit. Dieser Besitz aber besteht in einer Tätigkeit. Denn das Geschöpf hat seine endgültige Vervollkommnung durch die Tätigkeit. Diese ist die schlechthin letzte Vollkommenheit, die das Geschöpf erreicht. Die Glückseligkeit ist also ihrem Wesen nach jene Tätigkeit, durch die das vernünftige Geschöpf den Gegenstand seiner Glückseligkeit besitzt. Da nun dieser Gegenstand Gott, ein geistiges Gut ist, das nur durch die geistigen Vermögen, Verstand und Willen, erfaßt werden kann, muß die Glückseligkeit in einer Tätigkeit dieser Vermögen bestehen. Nun kommt es aber dem Willen seiner Natur nach nicht zu, das Gute zu erfassen und zu besitzen. Denn er zieht die Dinge nicht an sich, sondern wird von ihnen angezogen. Er strebt nach dem Guten, das noch nicht im Besitz ist, und er erfreut sich an dessen Besitz. Wohl aber kommt es dem Verstande zu, das Gute zu erfassen und zu besitzen. Denn er zieht die Dinge erkenntnismäßig an sich, da das Erkennen dadurch geschieht, daß der Erkennende das Ding erkenntnismäßig in sich aufnimmt. Demnach besteht das metaphysische Wesen der Glückseligkeit in einer Tätigkeit des Verstandes, der durch sein Erkennen den Gegenstand der Glückseligkeit erfaßt und besitzt. Daraus ergibt sich dann für den Willen die vollkommene Liebe zum höchsten Gut und der vollkommene Genuß in seinem Besitz. Und darin besteht die notwendige Eigenschaft der Glückseligkeit, denn diese ist Besitz des allbefriedigenden Gutes. (Fs; tblStw: Glück) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a1ad1, Ist der Urgrund des Verstehens als Form mit dem Körper vereint?; menschl. Seele - Zeugung; Eltern, substantiellen Erzeugung (4-faches); terminus: qui, quo, secundarius

Kurzinhalt: Die Eltern bringen nämlich durch die Zeugung die Vereinigung von Leib und Seele hervor, und so bringen sie den Menschen hervor ... den Menschen bringen sie hervor durch die Seele, die sie zwar nicht hervorbringen, wohl aber mit dem Körper vereinigen ...

Textausschnitt: Ad objectiones

Zu 1. Wie der Philosoph sagt, ist die letzte der Naturformen, bei der die Betrachtung der Naturphilosophie haltmacht, nämlich die menschliche Seele, zwar getrennt [stofflos], aber doch im Stoff. Er beweist dies damit, daß "der Mensch — und die Sonne — aus dem Stoff den Menschen erzeugt".1 Und zwar ist sie getrennt hinsichtlich der Verstehkraft; denn die Verstehkraft ist nicht Kraft eines körperlichen Organs, wie die Sehkraft Wirklichkeit des Auges ist. Das Denken ist nämlich eine Tätigkeit, die nicht wie die Sehtätigkeit durch ein körperliches Organ ausgeübt werden kann. Im Stoff aber ist sie, soweit die Seele selbst, der diese Kraft angehört, Form des Körpers und Endpunkt der menschlichen Zeugung ist [33]. In diesem Sinne also ' sagt der Philosoph, der Verstand sei "getrennt", weil er keine Kraft eines körperlichen Organs ist.2 (Fs) (notabene)

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[33] Zu S. 43.

Die menschliche Seele kann Endpunkt und Ziel der menschlichen Zeugung genannt werden, obgleich sie unmittelbar von Gott hervorgebracht wird (vgl. 75, 6 Zu 1 u. S. 484). Das Ziel der substantiellen Erzeugung ist nämlich ein vierfaches: die substantielle Form, das aus Stoff und Form zusammengesetzte Wesen, das für sich seiende Ganze, und dessen Eigenschaften. Das Ganze wird dadurch hervorgebracht, daß die Form mit dem Stoff verbunden wird. Und nun ist das für sich seiende Ganze oder das Vollselbständige (vgl. Anm. [16]) das Ziel, was eigentlich und schlechthin hervorgebracht wird (terminus qui). Form und Wesenheit sind Ziel als das, wodurch das Ganze hervorgebracht wird (terminus quo). Denn sie sind das, "wodurch" das Vollselbständige ist. Das Vollselbständige ist aber das, was schlechthin ist. Die Eigenschaften endlich sind Ziel der Erzeugung als das, was vom Erzeugenden notwendig mit hervorgebracht werden muß (terminus secundarius), weil sie mit dem Ganzen notwendig verknüpft sind. Damit nun die substantielle Form Ziel der Erzeugung sei als das, wodurch ein Ganzes hervorgebracht wird, genügt es, daß sie durch die Zeugung mit dem Stoff vereinigt wird, auch wenn sie, wie die menschliche Seele, nicht durch die Zeugung hervorgebracht wird. Die Eltern bringen nämlich durch die Zeugung die Vereinigung von Leib und Seele hervor, und so bringen sie den Menschen hervor; denn der Mensch ist das aus Leib und Seele bestehende Ganze. Und den Menschen bringen sie hervor durch die Seele, die sie zwar nicht hervorbringen, wohl aber mit dem Körper vereinigen (vgl. S. 500). (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a1ad5, Ist der Urgrund des Verstehens als Form mit dem Körper vereint?; Sein (esse): unteilbar; das Sein kommt der Seele mittelbar durch das Ganze zu; Seele als Teilsubstanz; Auferstehung der Leiber

Kurzinhalt: Käme es der Seele unmittelbar zu, als Dasein für die Seele allein, dann wäre diese keine unvollständige Teilsubstanz mehr, sondern eine vollständige Substanz für sich, und sie könnte mit dem Leib nicht mehr zu einer Substanz vereint werden.

Textausschnitt: Zu 5. Die Seele teilt jenes Sein, in dem sie selbst Bestand hat, dem körperlichen Stoff mit. Aus letzterem und der Verstandesseele entsteht eine Einheit in der Weise, daß jenes Sein, das dem zusammengesetzten Ganzen gehört, auch der Seele selbst eigen ist. Das ist bei den anderen Formen, die nicht selbständig sind, nicht der Fall. Deswegen besteht die menschliche Seele weiter in ihrem Sein, nachdem der Leib zerstört ist, nicht aber die anderen Formen [34]. (Fs)

[34] Zu S. 43.

Das Sein ist seiner Natur nach unteilbar, so daß jedes Wesen, auch das zusammengesetzte Körperwesen, nur ein Sein hat, durch das alle seine Teile, sowohl die Wesensteile, Stoff und Form, als auch die Ganzheitsteile, seiend sind. Obgleich also die vernünftige Seele als geistige Substanz ein Fürsichsein ohne den Körper hat, ist doch das Sein, durch das die Seele für sich ist, für das aus Leib und Seele bestehende Ganze gegeben. Es ist ein vollständiges Sein, gegeben, um den aus Leib und Seele bestehenden Menschen dasein zu machen. Es kommt der Seele nur mittelbar durch das Ganze zu: daher macht es die für sich allein seiende Seele dasein als Teil. Käme es der Seele unmittelbar zu, als Dasein für die Seele allein, dann wäre diese keine unvollständige Teilsubstanz mehr, sondern eine vollständige Substanz für sich, und sie könnte mit dem Leib nicht mehr zu einer Substanz vereint werden. Es besitzt also auch die vom Körper getrennte Seele das Dasein des Ganzen, das infolgedessen bei der Wiedervereinigung der Seele mit dem Leibe am Tage der Auferstehung der Leiber beide zusammen dasein machen wird. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a2ad4, Wird der Urgrund des Verstehens vervielfacht entsprechend der Vermehrung der Körper?; Erkennen (stofflich: Sinn, Einbildungskraft): Art, Gattung im Hier und Jetzt; Erkennen (unstofflich, Verstand): Natur in d. Allgemeinheit; Beispiel: Stein

Kurzinhalt: "Das Ding wird sinnlich wahrgenommen in der Verfassung, die es außerhalb der Seele hat: in seiner Besonderheit. Die Natur des Dinges dagegen, die vom Verstand erkannt wird, ist zwar außerhalb der Seele, sie hat aber außerhalb der Seele nicht jene ...

Textausschnitt: Zu 4. Ob es nur einen Verstand gibt oder mehrere: das, was erkannt wird, ist nur eines. Was nämlich erkannt wird, ist nicht im Verstand nach seinem Ansich, sondern nach seiner Ähnlichkeit: "denn nicht der Stein ist in der Seele, sondern das Erkenntnisbild des Steines" (Aristoteles). Und doch ist der Stein das, was erkannt wird, nicht aber das Erkenntnisbild des Steines, es sei denn, daß der Verstand sich über sich selbst zurückbeugt. Sonst bezögen sich die Wissenschaften nicht auf die Dinge, sondern auf die Erkenntnisbilder.1 Es kann aber demselben Ding Verschiedenes durch verschiedene Formen ähnlich werden. Und weil das Erkennen durch Verähnlichung des Erkennenden mit dem erkannten Ding stattfindet, folgt, daß ein und dasselbe von verschiedenen Erkennenden erkannt werden kann, wie es beim Sinn in Erscheinung tritt. Denn mehrere sehen dieselbe Farbe gemäß verschiedener Ähnlichkeiten. Und ebenso erkennen mehrere Verstandesvermögen den einen Verstandesgegenstand. Und nur der Unterschied ist zwischen Sinn und Verstand — nach der Lehre des Aristoteles2 —, daß das Ding sinnlich wahrgenommen wird in jener Verfassung, die es außerhalb der Seele hat: in seiner Besonderung. Die Natur des Dinges aber, die vom Verstand erkannt wird, ist zwar außerhalb der Seele, sie hat jedoch außerhalb der Seele nicht jene Weise zu sein, in der sie erkannt wird. Die gemeinsame Natur wird nämlich vom Verstand unter Ausschluß der vereinzelnden Ursachen erkannt: diese Seinsweise aber hat sie nicht außerhalb der Seele [37]. — Nach der Lehre des Plato aber ist das vom Verstand erkannte Ding in derselben Weise außerhalb der Seele, wie es erkannt wird. Er nahm nämlich vom Stoff getrennte Dingnaturen an.3 (Fs) (notabene)

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[37] Zu S. 52.

Die Mehrzahl der Verstandesseelen (und der Verstandesvermögen) ist weder ein Hindernis für die Erkenntnis des Allgemeinen durch den einzelnen Verstand (wie der 3. Einwand dartun will), noch hebt sie die Einheitlichkeit und den allgemeinen Charakter des Verstandesgegenstandes auf (wie der 4. Einwand behauptet). Ersteres nicht, denn "nicht die Vereinzelung des Verstehenden oder des Erkenntnisbildes schließt die Erkenntnis des Allgemeinen aus", sondern die Stofflichkeit derselben. Erkennendes und Erkenntnisbild (Erkenntnisform) sind immer einzelgezählt. Ist aber das Erkennende wie z. B. der äußere Sinn und die Einbildungskraft stofflich, d. h. subjektiv im Sein und Tätigsein auf ein körperliches Organ angewiesen, dann nimmt es die Erkenntnisform stofflich und beschränkt auf: und es erkennt demnach die "Art- oder Gattungsnatur", z. B. den Menschen oder das Sinnenwesen, in ihrer Beschränkung auf das Hier und Jetzt, in ihrer stofflichen Einzelbestimmtheit. Ist dagegen das Erkennende unstofflich wie der Verstand, so nimmt es die Form unstofflich auf, losgelöst von den stofflichen Bedingungen: und dann erkennt es die Natur in ihrer Allgemeinheit. Deshalb aber geht die Einheitlichkeit und der allgemeine Charakter des Verstandesgegenstandes bei der Annahme von mehreren Verstandesvermögen nicht verloren, weil der einzelne Verstand den Gegenstand nicht nach seinem "natürlichen" Sein, sondern im Erkenntnis- oder Ähnlichkeitsbild nach seinem "geistigen" Sein (vgl. 78, 3) aufnimmt. So erkennen auf Grund dieser einzelbestimmten Erkenntnisbilder alle einzelnen Verstandesseelen einen und denselben Gegenstand, und weil sie als unstoffliche Erkenntnisträger die Erkenntnisbilder unstofflich aufgenommen haben, auch denselben allgemeinen Gegenstand. (Fs) (notabene)

426a Sehr bemerkenswert sind die Angaben, die Thomas in diesem Zusammenhang über die Natur der Gegenstände unserer Erkenntnisvermögen macht und die festgehalten zu werden verdienen. Erstens: "Der Stein ist nicht in der Seele, sondern das Erkenntnisbild des Steines. Und doch ist der Stein das, was erkannt wird, nicht aber das Erkenntnisbild des Steines, es sei denn, daß der Verstand sich über sich selbst zurückbeugt. Sonst gäbe es keine Wissenschaft von den Dingen, sondern von den geistigen Erkenntnisbildern." Also auf Grund des Erkenntnisbildes, das in der Seele ist, wird das erkannt, was außerhalb derselben ist. Unser Wissen hat vornehmlich die Dinge der Außenwelt zum Gegenstand, nicht die Bilder im Erkennenden (vgl. 85, 2). Zweitens: "Das Ding wird sinnlich wahrgenommen in der Verfassung, die es außerhalb der Seele hat: in seiner Besonderheit. Die Natur des Dinges dagegen, die vom Verstand erkannt wird, ist zwar außerhalb der Seele, sie hat aber außerhalb der Seele nicht jene Seinsweise, gemäß der sie erkannt wird." Deutlich ist hier zum Ausdruck gebracht, daß das, was die Sinne erkennen, außerhalb der Seele liegt, und daß die Sinne ihren Gegenstand in der Verfassung erkennen, die er außerhalb der Seele hat. Sicherlich erfassen also die Sinne nicht irgendein Bild des Außendinges oder sonst etwas in den Sinnen selbst Entstandenes. Und auch die "Natur" des Dinges, die Wesenheit des körperlichen Dinges (der Verstand erkennt die Naturen oder Wesenheiten der körperlichen Dinge in ihrem Freisein von den vereinzelnden Merkmalen) ist außerhalb der Seele, wenn sie auch nicht in der Seinsweise dort ist, in der sie im Erkennenden ist und erkannt wird. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a3c, Gibt es außer der Verstandesseele im Menschen noch andere der Wesenheit nach verschiedene Seelen?; Leben, Bewegung, Selbstbewegung (nicht als Ganzes: zugleich Möglichkeit und Wirklichkeit, nur durch seine Teile)

Kurzinhalt: Damit sich etwas als Ganzes selbst bewege, d. h. sich selbst aus dem Zustande der Möglichkeit herausziehe und in die Wirklichkeit überführe, müßte ein und dasselbe in derselben Beziehung zugleich im Zustande der Wirklichkeit und der Möglichkeit sein.

Textausschnitt: [40] Zu S. 56.

So findet die Selbstbewegung des Lebewesens durch seine verschiedenen Teile statt. Denn jedes geschöpfliche Leben ist Selbstbewegung, die durch einen Übergang aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit geschieht. Es kann sich aber nichts als Ganzes in dieser Weise bewegen. Damit sich etwas als Ganzes selbst bewege, d. h. sich selbst aus dem Zustande der Möglichkeit herausziehe und in die Wirklichkeit überführe, müßte ein und dasselbe in derselben Beziehung zugleich im Zustande der Wirklichkeit und der Möglichkeit sein. Denn was sich bewegt, bewegt und wird bewegt in derselben Beziehung. Sofern es bewegt wird, ist es leidend, empfangend und somit im Zustande der Möglichkeit; sofern es aber in derselben Beziehung bewegt, ist es in derselben Beziehung nicht leidend, nicht im Zustande der Möglichkeit, sondern tätig, wirkend und somit im Zustande der Wirklichkeit. Daher kann sich etwas in dieser Weise nicht als Ganzes, sondern nur durch seine Teile selbst bewegen. Und so wird die Selbstbewegung vom Lebenden ausgesagt. Das Lebende besteht aus Teilen, von denen der eine den andern bewegt. Der eine Teil, der im Zustand der Wirklichkeit ist, bewegt einen andern Teil, der dem ersten gegenüber im Zustand der Möglichkeit ist. Diese Teile sind entweder verschiedene Substanzteile, verschiedene Organe des lebenden Körpers, oder verschiedene Vermögen, deren eines das andere bewegt, wie der Wille den Verstand; oder es sind in einem und demselben Vermögen verschiedene Möglichkeiten zu verschiedenen Tätigkeiten, deren eine die andere verwirklicht; so bewegt der Verstand sich selbst von der Erkenntnis der Vordersätze zur Erkenntnis des Schlußsatzes. Da aber der bewegende Teil nur dadurch bewegt, daß er selbst wirksam wird, d. h. aus dem Zustand der Möglichkeit in den der Wirklichkeit, der Wirksamkeit übergeht, muß er auch bewegt werden, und zwar immer wieder von einem andern. Es muß also die Selbstbewegung des Lebenden, das sich durch seine Teile bewegt, von außen beginnen, und zwar von einem Beweger, der das Lebende bewegt und bestimmt, sich selbst zu bewegen. So bewegt und bestimmt der Erzeuger das von ihm Erzeugte dazu, sich selbst zu bewegen; die äußeren Einflüsse des Lichtes, der Luft, der Feuchtigkeit bewegen die Pflanze so, daß sie sich selbst bewegt (vgl. GrPh 1, 272 f.). (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a3ad3, Gibt es außer der Verstandesseele im Menschen noch andere der Wesenheit nach verschiedene Seelen?; Seele - Leibesfrucht; Zeugung (Aristoteles, Thomas: Embryo, pflanzliche Seele; 40 Tage nach Empfängnis: Seele, Gott)

Kurzinhalt: ... und es entstehe mit der entsprechenden Organisation und den entsprechenden Lebenstätigkeiten eine rein sinnliche Seele, die dann am vierzigsten Tage nach der Empfängnis ... durch die von Gott geschaffene menschliche Seele ersetzt werde.

Textausschnitt: Zu 3. Die Leibesfrucht hat zuerst eine Seele, die nur sinnlich ist. Wenn diese abgelegt wird, kommt eine vollkommenere Seele, die zugleich sinnlich und verstandbegabt ist, wie später (118, 2 Zu 2: Bd. 8) ausführlicher dargetan wird [42]. (Fs) (notabene)

[42] Zu S. 60.

Aristoteles und die alten Scholastiker glaubten, bei der Zeugung entstehe zuerst eine rein pflanzliche Organisation und ein rein pflanzliches Leben und dementsprechend eine pflanzliche oder ernährende Seele. Durch die weitere Entwicklung des Embryo gehe dann diese Seele unter, und es entstehe mit der entsprechenden Organisation und den entsprechenden Lebenstätigkeiten eine rein sinnliche Seele, die dann am vierzigsten Tage nach der Empfängnis (nach der Befruchtung des Eies) durch die von Gott geschaffene menschliche Seele ersetzt werde. Diese Ansicht stützten sie auf die Meinung, daß am menschlichen Embryo zuerst nur eine pflanzliche Organisation und ein pflanzliches Leben erscheine; später erscheine dann die Organisation der Sinnenwesen und zeigten sich aus dem Sinneserkennen hervorgehende Bewegungen; und erst am vierzigsten Tage habe der Embryo eine menschliche Gestaltung. Man kann jedoch sehr gut mit den Neueren annehmen, daß schon bald nach der Befruchtung, wenn die Zellteilung beginnt, die eigenartige menschliche Mikroorganisation und damit auch die ihr entsprechende menschliche Seele vorhanden ist, ohne daß ihr im Embryo andere Seelen vorhergehen (vgl. W. Stockums, Historisch-Kritisches über die Frage: .'Wann entsteht die geistige Seele?" Philos. Jahrb., Fulda 1924, S. 225 ff.)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a4ad1, Ist im Menschen noch eine andere Form außer der Verstandesseele?; Körper : Seele wie Leuchtendes - Licht; Möglichkeit (potentia) d. Körpers durch die S.; 1., 2., Wirklichkeit

Kurzinhalt: ... schließt der Untergrund, zu dem die Seele sich als Wirklichkeit verhält ... die Seele bereits ein, wie das Leuchtende das Licht einschließt... Durch die Seele ist also dem Körper auch gegeben, in Möglichkeit Leben zu haben, so daß ...

Textausschnitt: Zu 1. Aristoteles sagt nicht einfach, die Seele sei "die Wirklichkeit eines Körpers", sondern "die Wirklichkeit eines natürlichen, gegliederten Körpers, der in Möglichkeit Leben hat"; und von einer solchen Möglichkeit "wird die Seele nicht zurückgewiesen". Daher ist es klar, daß in dem, dessen Wirklichkeit die Seele ist, auch die Seele mit einbegriffen ist, wie man ja auch sagt: die Wärme ist die Wirklichkeit des Warmen, und das Licht ist die Wirklichkeit des Leuchtenden; nicht als ob das Leuchtende etwas für sich wäre ohne das Licht, sondern weil es durch das Licht leuchtend ist. Ebenso sagt man auch: die Seele ist "die Wirklichkeit eines Körpers" usw., weil durch die Seele der Körper sowohl Körper, als auch gegliedert, als auch in Möglichkeit Leben habend ist. Die erste Wirklichkeit ist aber in Möglichkeit in Hinsicht auf die zweite Wirklichkeit, d. h. die Tätigkeit [45]. Von einer solchen Möglichkeit nämlich wird die Seele 'nicht zurückgewiesen', d. h. nicht ausgeschlossen.1 (Fs) (notabene)

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[45] Zu S. 65.

In der Wesensbestimmung der Seele, die Aristoteles gibt, schließt der Untergrund, zu dem die Seele sich als Wirklichkeit verhält, der natürliche, gegliederte, in Möglichkeit Leben habende Körper, die Seele bereits ein, wie das Leuchtende das Licht einschließt. Denn einzig durch die Seele und nicht schon vorher durch eine andere Form oder Wirklichkeit hat der Körper, bzw. der erste Stoff die verschiedenen Seinsstufen, das Substanzsein, Körper-, Gegliedert- und Lebendigsein. Durch die Seele ist also dem Körper auch gegeben, in Möglichkeit Leben zu haben, so daß von dieser Möglichkeit die Seele nicht abgelehnt oder ausgeschlossen, sondern vielmehr eingeschlossen wird. Durch die Seele besitzt das Lebewesen das substantielle Leben, das Leben in erster Wirklichkeit und ist in Möglichkeit zum Leben in zweiter Wirklichkeit, zur Lebenstätigkeit (vgl. S. 505 f.). Indem die Seele die verschiedenen Seinsstufen mitteilt, verwirklicht und bestimmt sie als Wesensform den ersten Stoff. Als Seele dagegen, d. h. als Urgrund des Lebens bestimmt und verwirklicht sie genau gesprochen den gegliederten Körper. Denn wenn die Seele auch dem Untergrund, dem sie mitgeteilt wird, alle Seinsgrade gibt, so setzt sie als Urgrund des Lebens den gegliederten, d. h. mit Organen oder Lebenswerkzeugen versehenen Körper voraus: die substantielle Bestimmtheit des Lebens kann nur einem Körper, und zwar nur einem organisierten Körper mitgeteilt werden. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a5c, Ist es angemessen, daß die Verstandesseele mit einem solchen Körper vereint ist?; Verbindung: Seele - Leib (Begründung: Vestand angewiesen auf Sinne); Tastsinn als Grundsinn; Sinne - Hand, die das Wirkliche abtastet

Kurzinhalt: Im Tastsinn erleben wir am ursprünglichsten den seinsmäßigen Druck der Dinge auf unser leiblich-seelisches Subjekt ... Daß der Tastsinn der Ursinn ist, daß alle anderen Sinne eine Abwandlung des Tastsinnes sind: diese aristotelische Einsicht ...

Textausschnitt: [47] Zu S. 70.

Indem Thomas die Tatsache der Vereinigung der menschlichen Seele mit einem zu ihr passenden Körper dadurch begründet, daß er mit Aristoteles unser Verstandeserkennen auf die Sinne angewiesen sein läßt und unter den Sinnen den Tastsinn als den Grundsinn bezeichnet, enthüllt er nicht nur den Sinn der Verbindung der Seele mit dem Leib: der Leib ist das Werkzeug der auf der niedersten Stufe der Verstandeswesen stehenden menschlichen Seele, er lehrt damit auch die seinsmäßige Gegebenheit unserer Verstandesgegenstände, das Verankertsein unserer Verstandeserkenntnis in der körperlichen Außenwelt. "In der Sinneserkenntnis haben wir Menschen das Kriterium des realen Daseins. Wenn Aristoteles den Tastsinn in den Vordergrund stellt, so muß dies als eine phänomenologische Leistung ersten Ranges gelten. Denn gerade der Tastsinn, dieser Grundsinn nach Aristoteles und Thomas von Aquin, ist die Empfindung für Druck und Widerstand, mithin in besonderer Weise das Erlebnis des Leidens, des von außen Verändertwerdens. Im Tastsinn erleben wir am ursprünglichsten den seinsmäßigen Druck der Dinge auf unser leiblich-seelisches Subjekt ... Daß der Tastsinn der Ursinn ist, daß alle anderen Sinne eine Abwandlung des Tastsinnes sind: diese aristotelische Einsicht ist durch die moderne Sinnes-Physiologie in vielfacher Weise bestätigt worden. So wird die reale existierende Welt gewissermaßen abgetastet. Die grundlegende Bedeutung des Tastsinnes als der Druck- und Widerstandsempfindung für die menschliche Erkenntnis überhaupt spricht Thomas im Anschluß an Aristoteles (De An., II 9) folgendermaßen aus: '... Unter allen Lebewesen besitzt der Mensch den höchstentwickelten Tastsinn ...' [siehe den letzten Abschnitt der Antwort]. Im selben Artikel (ad 4) findet sich das aristotelische Wort von der Hand als dem organum organorum. Alle Sinneswerkzeuge sind Abwandlungen der erfassenden Hand, die das Wirkliche abtastet, und die Leistung hängt vom Fingerspitzengefühl ab" (G. Söhngen, Sein und Gegenstand, S. 131 f.).

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Anmerkungen zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: F1_076a5ad1, Ist es angemessen, daß die Verstandesseele mit einem solchen Körper vereint ist?; Gnade, Urzustand, Unsterblichkeit; posse non mori - non posse mori; Übergang in den Endzustand ohne Tod; Sündenfall

Kurzinhalt: ... Urzustand ... daß der Mensch, obwohl seine leibliche Natur zur Auflösung hindrängte, dennoch ohne vorherigen Tod in den Endzustand eingehe, wenn er die von Gott auferlegte Prüfung bestehe. Sie ermöglichte ihm also, vom Tode freizubleiben ...

Textausschnitt: Zu 1. Diesem Einwand möchte vielleicht einer ausweichen wollen, indem er sagt, der Körper des Menschen sei vor dem Sündenfall unzerstörbar gewesen. — Diese Antwort scheint jedoch nicht zu genügen. Denn der Leib des Menschen war vor dem Sündenfall nicht von Natur aus unsterblich, sondern durch ein Geschenk der göttlichen Gnade. Sonst wäre ihm die Unsterblichkeit durch die Sünde ebensowenig entzogen worden wie dem gefallenen Engel [48]. (Fs)

[48] Zu S. 70.

Der Mensch ist von Natur aus sterblich und war es auch im begnadeten Urzustand, den der katholische Glaube lehrt. Die Vereinigung der Seele mit dem Leibe hängt eben von einer bestimmten Stoffanlage des Körpers ab. Diese ist aber veränderlich und zerstörbar sowohl durch äußere Eingriffe als auch durch die fortwährende Lebenstätigkeit. Die Gnadengabe der Unsterblichkeit, die der Mensch im Urzustand besaß (vgl. 97, 1 Antw.: Bd. 7), sollte demnach bewirken, daß der Mensch, obwohl seine leibliche Natur zur Auflösung hindrängte, dennoch ohne vorherigen Tod in den Endzustand eingehe, wenn er die von Gott auferlegte Prüfung bestehe. Sie ermöglichte ihm also, vom Tode freizubleiben (posse non mori). Eine Unmöglichkeit, zu sterben (non posse mori), wird erst nach der Auferstehung des Fleisches eintreten. Zwar werden dann auch die Leiber der Gottlosen unverweslich und unsterblich sein, jedoch nicht an den Vorzügen der Leiber der Seligen, an der Verklärung teilnehmen. Gerade durch diese aber ist die Unsterblichkeit erst ein besonderes Gnadengeschenk Gottes (vgl. Fr. Diekamp, Katholische Dogmatik, 2. Bd., 1921, S. 116. u. 3. Bd., 1922, S. 386 ff.; M. J. Scheeben, Die Mysterien des Christentums, 1912 3, S. 568 ff.). — Wäre durch den Sündenfall die Unzerstörbarkeit des menschlichen Leibes verlorengegangen, so hätte die Sünde eine wesentliche Veränderung der Natur bewirkt, eine Lehre, die die katholische Kirche ablehnt. Wie die Gnade die Natur voraussetzt und auf ihr aufbaut, so läßt auch der Wegfall des Gnadenzustandes die Natur in ihrem Wesen unversehrt bestehen. Deswegen behielten auch die gefallenen Engel ihre natürliche Unzerstörbarkeit bei, während der Leib des ersten Menschen im Gnadenzustand an sich zerstörbar blieb. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_075 - Der Mensch, wie er aus einer geistigen und einer körperlichen Substanz zusammengesetzt ist

Stichwort: F1_075a6c, Ist die Menschenseele zerstörbar?

Kurzinhalt:

Textausschnitt: ANTWORT: Man muß notwendig sagen: Die menschliche Seele, die wir den Grund des Verstehens nennen, ist unzerstörbar. Auf zweifache Weise wird etwas zerstört. Einmal an und für sich, sodann mitfolgend. Es ist aber unmöglich, daß etwas Selbständiges mit-erzeugt oder mit-zerstört wird, d. h. dadurch, daß "ein anderes erzeugt oder zerstört wird. Denn Erzeugt- und Zerstörtwerden kommt einem Wesen auf dieselbe Weise zu, wie das Sein, das es durch Erzeugung erwirbt und durch Zerstörung verliert. Was daher an und für sich das Sein hat, kann nur an und für sich zerstört oder erzeugt werden. Was aber nicht selbständig ist, wie die Akzidentien und die stofflichen Formen [vgl. Art. 2 Zu 1 u. 2], von dem sagt man, es entstehe und vergehe durch Erzeugung und Zerstörung des Zusammengesetzten. — Nun ist aber oben (Art. 2 u. 3) gezeigt worden, daß die Seelen der Tiere nicht selbständig sind, sondern nur die menschliche Seele. Daher werden die Seelen der Tiere zerstört bei der Zerstörung der Körper; die menschliche Seele dagegen könnte nur zerstört werden, wenn sie an und für sich zerstört würde. (Fs) (notabene)
Das ist aber ganz und gar unmöglich, nicht nur bei ihr, sondern bei jedwedem Selbständigen, das nur Form ist. Denn es liegt auf der Hand: was einem Ding an und für sich zukommt, ist von ihm nicht zu trennen. Das Sein kommt aber der Form, die Wirklichkeit ist, an und für sich zu. Daher erwirbt der Stoff insofern das Sein in Wirklichkeit, als er die Form erwirbt; und insofern unterliegt er der Zerstörung, als die Form von ihm getrennt wird. Nun ist es aber unmöglich, daß eine Form von sich selbst getrennt wird. Folglich kann eine selbständige Form unmöglich aufhören zu sein. (Fs) (notabene)
Aber auch zugegeben, die Seele wäre, wie manche sagen, aus Stoff und Form zusammengesetzt, so müßte man dennoch daran festhalten, daß sie unzerstörbar ist. Denn Zerstörung findet sich nur, wo Gegensatz anzutreffen ist. Erzeugungen und Zerstörungen kommen nämlich aus Entgegengesetztem und gehen auf Entgegengesetztes. Daher sind die Himmelskörper, die keinen dem Gegensatz unterworfenen Stoff haben, unzerstörbar; in der Verstandesseele jedoch kann es keinen Gegensatz geben. Sie nimmt nämlich auf nach Weise ihres Seins; was aber in ihr Aufnahme findet, ist frei von Gegensatz. Denn auch die Begriffe von Entgegengesetztem sind im Verstand nicht einander entgegengesetzt; es gibt vielmehr nur ein Wissen von Entgegengesetztem. Folglich ist es unmöglich, daß die Verstandesseele zerstörbar ist. (Fs)
Ein Zeichen für diese Tatsache kann man auch darin erblicken, daß jedes Ding naturhaft auf seine Weise nach dem Sein verlangt. Bei den erkennenden Dingen folgt das Verlangen der Erkenntnis. Nun erkennt aber der Sinn das Sein nur unter dem "Hier und Jetzt"; der Verstand jedoch erfaßt das Sein rein für sich und durch alle Zeit hindurch. Deshalb verlangt alles, was Verstand besitzt, von Natur aus, immer zu sein. Ein natürliches Verlangen kann aber nicht vergeblich sein. Jede verstandbegabte Substanz ist somit unzerstörbar. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_076 - Die Seele in ihrer Vereinigung mit dem Körper

Stichwort: F1_076a1c; Ist der Urgrund des Verstehens als Form mit dem Körper vereint?; Verstandesseele als Form d. Leibes; Verstand (Teil d. Sokrates); Phantasiebilder : Verstand wie Farben : Gesichtssinn (Aristoteles vs. Averroes)

Kurzinhalt: Nichts wirkt, sofern es nicht wirklich ist. Wodurch also etwas wirklich ist, dadurch wirkt es. Nun ist aber offenbar das Erste, wodurch der Leib lebt, die Seele... Es ergibt sich also, daß der Verstand, durch den Sokrates denkt, ein Teil des Sokrates ...

Textausschnitt: ANTWORT: Man muß notwendig sagen: Der Verstand, der der Urgrund der Verstehtätigkeit ist, ist die Form des menschlichen Körpers. Denn das, wodurch etwas zuerst tätig ist, ist Form dessen, dem die Tätigkeit zugeschrieben wird, wie das, wodurch der Leib zuerst geheilt wird, die Gesundheit, und das Erste, wodurch die Seele weiß, das Wissen ist. Daher ist die Gesundheit eine Form des Leibes und das Wissen eine Form der Seele. Der Grund hierfür ist dieser: Nichts wirkt, sofern es nicht wirklich ist. Wodurch also etwas wirklich ist, dadurch wirkt es. Nun ist aber offenbar das Erste, wodurch der Leib lebt, die Seele. Und weil sich das Leben auf den verschiedenen Stufen der Lebewesen durch verschiedene Tätigkeiten kundtut, ist das, wodurch wir zuerst jede einzelne dieser Lebenstätigkeiten ausführen, die Seele. Denn die Seele ist das Erste, wodurch wir uns nähren, sinnlich wahrnehmen, uns räumlich bewegen, und ebenso das Erste, wodurch wir verstehen [oder denken]. Dieser Grund also, durch den zuerst wir denken - werde er nun Verstand oder verstandbegabte Seele genannt -, ist die Form des Leibes. — Und das ist die Beweisführung des Aristoteles.1 (Fs) (notabene)

Wollte aber einer sagen, die Verstandesseele sei nicht, die Form des Leibes, so muß er ausfindig machen, auf welche Weise jene Tätigkeit, d. i. das Denken, Tätigkeit dieses Menschen ist. Ein jeder macht nämlich die Erfahrung, daß er selbst es ist, der denkt. Nach der Lehre des Philosophen wird aber eine Tätigkeit einem Wesen auf dreifache Weise beigelegt. Man sagt nämlich, etwas bewege oder sei tätig entweder mit seinem Ganzen: wie der Arzt heilt; oder mit einem Teil: wie der Mensch mit dem Auge sieht; oder nebenbei: wie man von einem Weißen sagt, es baue, weil es dem Bauenden nebenbei [zufällig] zukommt, weiß zu sein. Wenn wir nun sagen: Sokrates oder Plato denkt, so ist klar, daß ihm dies nicht zufällig beigelegt wird. Denn es wird ihm beigelegt, sofern er Mensch ist, was wesentlich von ihm ausgesagt wird. Man muß also entweder sagen: Sokrates denkt mit seinem Ganzen, wie Plato behauptet hat, indem er sagte, der Mensch sei verstandbegabte Seele. Oder man muß sagen, der Verstand sei ein Teil des Sokrates. Nun ist aber ersteres unhaltbar, wie oben (75, 4) gezeigt wurde, und zwar deswegen, weil es derselbe Mensch ist, der von sich erkennt, daß er sowohl denkt, als auch sinnlich wahrnimmt. Letzteres aber geschieht nicht ohne den Körper. Deshalb muß der Körper ein Teil des Menschen sein. Es ergibt sich also, daß der Verstand, durch den Sokrates denkt, ein Teil des Sokrates ist, und zwar so, daß der Verstand auf irgendeine Weise mit dem Körper des Sokrates vereint ist. (Fs)

Kommentar (14.04.11): zu oben: eine klassische Analyse der Interiorität.

Von dieser Vereinigung behauptet nun der Erklärer [Averroes], sie finde durch das geistige Erkenntnisbild statt. Letzteres habe einen doppelten Träger, einmal den möglichen Verstand [27], sodann die Phantasiebilder, die in den körperlichen Organen sind. Durch das geistige Erkenntnisbild stehe also der mögliche Verstand mit dem Körper dieses oder jenes Menschen in Zusammenhang. — Indes, dieser Zusammenhang oder diese Vereinigung genügt nicht, damit die Tätigkeit des Verstandes die Tätigkeit des Sokrates sei. Dies wird klar durch einen Vergleich mit den Sinnen, von denen Aristoteles ausgeht, um das, was des Verstandes ist, zu erforschen. Die Phantasiebilder, so sagt er, verhalten sich zum Verstand wie die Farben zum Gesichtssinn. Wie nun die Abbilder der Farben im Gesichtssinn sind, so sind die Abbilder der Phantasiebilder im möglichen Verstand. Nun wird man aber doch offenbar deswegen, weil die Farben, deren Ähnlichkeiten im Gesichtssinn sind, der Wand anhaften, die Sehtätigkeit nicht der Wand zuschreiben; wir sagen nämlich nicht: die Wand sieht, sondern vielmehr: die Wand wird gesehen. Daraus also, daß die Abbilder der Phantasiebilder im möglichen Verstand sind, folgt nicht, daß Sokrates, in dem die Phantasiebilder sind, denkt, sondern daß er oder seine Phantasiebilder gedacht werden [28]. (Fs) (notabene)

Kommentar (21.04.11): Beim letzten Satz oben wäre als Prämisse zu ergänzen: "Daraus also, dass die Abbilder der Phantasiebilder im möglichen Verstand sind" und der mögliche Vestand gleichsam außerhalb Sokrates' ist ...

Andere haben behaupten wollen, der Verstand sei als Beweger mit dem Körper vereint; und so entstehe aus dem Verstand und dem Körper eine Einheit, so daß man die Tätigkeit des Verstandes dem Ganzen beilegen könne. — Dies ist jedoch aus vielfachen Gründen hinfällig. Erstens, weil der Verstand den Körper nur durch das Strebevermögen bewegt, für dessen Bewegung die Tätigkeit des Verstandes vorausgesetzt wird [29]. Nicht deshalb also denkt Sokrates, weil er vom Verstand bewegt wird, sondern eher umgekehrt: weil er denkt, wird er vom Verstand bewegt. — Zweitens, Sokrates ist ein bestimmtes Einzelwesen in einer Natur, deren Wesen eins ist, zusammengesetzt aus Stoff und Form. Wenn nun der Verstand nicht seine [des Sokrates] Form ist, liegt er außerhalb seiner Wesenheit; und so verhält sich der Verstand zum ganzen Sokrates wie der Beweger zum Bewegten. Nun ist aber das Denken eine im Tätigen ruhende und nicht eine auf ein anderes übergehende Tätigkeit, wie z. B. das Erwärmen [30]. Also kann man das Denken dem Sokrates nicht deswegen zuschreiben, weil er vom Verstand bewegt wird. — Drittens, die Tätigkeit des Bewegers wird niemals dem Bewegten beigelegt, es sei denn als einem Werkzeug; so wie die Tätigkeit des Schreiners der Säge zugeschrieben wird. Wenn man also dem Sokrates das Denken zuspricht, weil es die Tätigkeit seines Bewegers ist, so folgt, daß man es ihm als einem Werkzeug beilegt. Dies widerspricht aber der Lehre des Philosophen, welcher will, daß das Denken nicht durch ein körperliches Werkzeug vor sich geht. — Viertens, wenn man auch die Tätigkeit eines Teiles dem Ganzen zuschreibt, wie die Tätigkeit des Auges dem Menschen, so schreibt man sie doch niemals einem andern Teile zu, es sei denn etwa nebenbei. Wir sagen nämlich nicht: die Hand sieht, deswegen weil das Auge sieht. Wenn also aus Verstand und Sokrates auf besagte Weise eine Einheit entsteht, so kann die Tätigkeit des Verstandes dem Sokrates nicht zugeschrieben werden. Ist aber Sokrates ein Ganzes, das sich aus der Vereinigung des Verstandes mit dem übrigen Sokrates zusammensetzt, und vereinigt sich der Verstand mit dem übrigen Sokrates dennoch nur als Beweger, so ist Sokrates keine Einheit schlechthin und folglich auch kein Seiendes schlechthin. Denn so ist etwas ein Seiendes, wie es eine Einheit ist. (Fs)

Es bleibt also einzig die von Aristoteles vertretene Auffassung übrig: daß dieser Mensch denkt [oder versteht], weil der Urgrund des Verstehens seine Form ist. So erhellt aus der Tätigkeit des Verstandes selbst, daß der Urgrund des Verstehens als Form mit dem Körper vereint ist. (Fs)
Dasselbe läßt sich aber auch vom Wesen der menschlichen Art her deutlich machen. Die Natur eines jeden Dinges offenbart sich nämlich in seiner Tätigkeit. Nun ist aber die eigentümliche Tätigkeit des Menschen, sofern er Mensch ist, das Denken; denn durch sie überragt er alle Sinnenwesen. Daher hat auch Aristoteles in diese Tätigkeit, als die dem Menschen eigentümliche, die Endseligkeit gesetzt [31]. Der Mensch muß also von demjenigen seine Artbestimmtheit erhalten, das der Urgrund dieser Tätigkeit ist. Jedes Ding erhält aber seine Artbestimmtheit durch die eigene Form. Es ergibt sich also, daß der Urgrund des Verstehens die dem Menschen eigentümliche Form ist. (Fs) (notabene)

Man muß jedoch in Betracht ziehen: je edler eine Form ist, desto mehr beherrscht sie den körperlichen Stoff, desto weniger ist sie ihm eingesenkt, und desto mehr überragt sie ihn mit ihrer Kraft. Daher sehen wir, daß die Form des gemischten Körpers eine Tätigkeit hat, die nicht von den grundstoffliehen Beschaffenheiten verursacht wird. Und je höher man steigt im Adel der Formen, desto mehr findet man, daß die Kraft der Form den Grundstoff überragt: so überragt ihn die Pflanzenseele mehr als die Form des Metalls, die sinnliche Seele mehr als die Pflanzenseele. Die menschliche Seele aber ist die höchste im Adel der Formen. Daher überragt sie mit ihrer Kraft so sehr den körperlichen Stoff, daß sie eine Tätigkeit und eine Kraft besitzt, an denen der körperliche Stoff in keiner Weise teilhat. Und diese Kraft wird Verstand genannt [32]. (Fs) (notabene)
Man muß aber beachten: wenn jemand behaupten wollte, die Seele sei aus Stoff und Form zusammengesetzt, so könnte er in keiner Weise die Seele Form des Leibes nennen. Denn da die Form Wirklichkeit, der Stoff aber ein nur in Möglichkeit Seiendes ist, kann in keiner Weise das, was aus Stoff und Form zusammengesetzt ist, seiner Ganzheit nach Form eines anderen sein. Ist dieses aber nur mit etwas von sich Form, so nennen wir das, was Form ist, Seele; und das, dessen Form es ist, nennen wir das "Erstbeseelte" (75, 5). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_076 - Die Seele in ihrer Vereinigung mit dem Körper

Stichwort: F1_076a3ad1; Seele (Sinnenseele, Verstandesseele) - Unzerstörbarkeit; Gattung, Art; Leibesfrucht: erst nur sinnlich (nach dem damaligen Naturverständnis)

Kurzinhalt:

Textausschnitt: Zu 1. Die sinnliche Seele [im Menschen] hat die Unzerstörbarkeit nicht deswegen, weil sie sinnlich ist: sondern deswegen, weil sie verstehend ist, gebührt ihr Unzerstörbarkeit. Wenn also eine Seele nur sinnlich ist, ist sie zerstörbar. Hat sie aber mit dem Sinnlichsein auch noch Verstehen, so ist sie unzerstörbar. Denn wenn auch das Sinnlichsein keine Unzerstörbarkeit verleiht, so kann es doch dem Verstehenden die Unzerstörbarkeit nicht nehmen. (Fs) (notabene)

Zu 2. Nicht die Formen werden in die Gattung oder die Art gestellt, sondern die zusammengesetzten Wesen.1 Der Mensch aber ist zerstörbar wie auch die anderen Sinnenwesen. Daher bewirkt der Unterschied von "zerstörbar — unzerstörbar", der von den Formen herkommt, nicht, daß der Mensch sich der Gattung nach von den anderen Sinnenwesen unterscheide. (Fs) (notabene)

Zu 3. Die Leibesfrucht hat zuerst eine Seele, die nur sinnlich ist. Wenn diese abgelegt wird, kommt eine vollkommenere Seele, die zugleich sinnlich und verstandbegabt ist, wie später (118, 2 Zu 2: Bd. 8) ausführlicher dargetan wird [42]. (Fs) (notabene)

Zu 4. Es geht nicht an, entsprechend den verschiedenen logischen Begriffen oder Auffassungen, die der Weise des Erkennens folgen, eine Verschiedenheit in den Naturdingen anzunehmen. Denn die Vernunft kann ein und dasselbe auf verschiedene Weisen auffassen. Weil nun die Verstandesseele, wie gesagt (Antw.), der Kraft nach das enthält, was die sinnliche Seele besitzt und dazu noch mehr, kann die Vernunft das, was zur Kraft der Sinnenseele gehört, gesondert betrachten, gleichsam als etwas Unvollkommenes und Stoffliches. Und weil sie findet, daß dies dem Menschen und den anderen Sinnenwesen gemeinsam ist, bildet sie daraus den Gattungsbegriff. Das aber, worin die Verstandesseele die Sinnenseele überragt, nimmt sie gleichsam als das Formgebende und Vervollständigende und bildet daraus den Artunterschied des Menschen [43]. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_076 - Die Seele in ihrer Vereinigung mit dem Körper

Stichwort: F1_076a4ad1; Mensch - Seele (noch andere Formen?); Definition: S. als "die Wirklichkeit eines natürlichen, gegliederten Körpers, der in Möglichkeit Leben hat"; Bild: Licht, Leuchtendes -> S., Körper; Bewegung - Seele

Kurzinhalt: Daher ist es klar, daß in dem, dessen Wirklichkeit die Seele ist, auch die Seele mit einbegriffen ist, wie man ja auch sagt: die Wärme ist die Wirklichkeit des Warmen, und das Licht ist die Wirklichkeit des Leuchtenden; nicht als ob das Leuchtende ...

Textausschnitt: Zu 1. Aristoteles sagt nicht einfach, die Seele sei "die Wirklichkeit eines Körpers", sondern "die Wirklichkeit eines natürlichen, gegliederten Körpers, der in Möglichkeit Leben hat"; und von einer solchen Möglichkeit "wird die Seele nicht zurückgewiesen". Daher ist es klar, daß in dem, dessen Wirklichkeit die Seele ist, auch die Seele mit einbegriffen ist, wie man ja auch sagt: die Wärme ist die Wirklichkeit des Warmen, und das Licht ist die Wirklichkeit des Leuchtenden; nicht als ob das Leuchtende etwas für sich wäre ohne das Licht, sondern weil es durch das Licht leuchtend ist. Ebenso sagt man auch: die Seele ist "die Wirklichkeit eines Körpers" usw., weil durch die Seele der Körper sowohl Körper, als auch gegliedert, als auch in Möglichkeit Leben habend ist. Die erste Wirklichkeit ist aber in Möglichkeit in Hinsicht auf die zweite Wirklichkeit, d. h. die Tätigkeit [45]. Von einer solchen Möglichkeit nämlich wird die Seele 'nicht zurückgewiesen', d. h. nicht ausgeschlossen.1 (Fs; tblStw: Seele) (notabene)

Zu 2. Die Seele bewegt den Leib nicht durch ihr Sein, sofern sie mit dem Leib als Form vereint ist, sondern durch ihre Bewegkraft,2 deren Tätigkeit voraussetzt, daß der Leib durch die Seele bereits in die Wirklichkeit gesetzt ist, so daß die Seele durch die Bewegkraft der bewegende Teil und der beseelte Leib der bewegte Teil ist. (Fs)

Zu 3. In der Stoffwelt sehen wir verschiedene Stufen der Vollkommenheit: Sein, Leben, sinnliches und verstandliches Erkennen. Stets ist aber das Folgende, das über das Vorhergehende kommt, das Vollkommenere. Die Form also, die dem Stoff nur den ersten Vollkommenheitsgrad gibt, ist die unvollkommenste; die Form jedoch, die sowohl den ersten als auch den zweiten, den dritten usw. verleiht, ist die vollkommenste und dennoch unmittelbar mit dem Stoff verbunden. (Fs)

Zu 4. Avicenna hat behauptet, die substantiellen Formen der Grundstoffe blieben unversehrt in dem Gemischten zurück. Die Mischung aber geschehe, sofern die einander entgegengesetzten Beschaffenheiten der Grundstoffe auf einen mittleren Grad gebracht würden. — Das ist jedoch unmöglich. Denn die verschiedenen Formen der Grundstoffe können nur in verschiedenen Stoffteilen sein, für deren Verschiedensein man Ausdehnungen annehmen muß, ohne die der Stoff nicht teilbar sein kann.3 Nun findet sich aber ein der Ausdehnung unterworfener Stoff nur im Körper. Verschiedene Körper können jedoch nicht an demselben Orte sein. Daraus folgt, daß die Grundstoffe im Gemischten der Lage nach geschieden sind. Und so ist es keine wahre Mischung, die auf das Ganze geht, sondern eine Mischung dem Augenschein nach, die die kleinsten nebeneinanderliegenden Teile umfaßt. (Fs)

Averroes aber war der Auffassung, die Formen der Grundstoffe seien wegen ihrer Unvollkommenheit in der Mitte zwischen den substantiellen und den akzidentellen Formen; sie nähmen daher ein Mehr und Weniger an, würden darum in der Mischung abgeschwächt und auf eine mittlere Stärke herabgesetzt; und es bilde sich aus ihnen eine einzige Form. — Das ist aber erst recht unmöglich. Denn das substantielle Sein eines jeden Dinges steht in Unteilbarkeit, und jede Zugabe oder Wegnahme ändert die Art wie bei den Zahlen (Aristoteles) [45a]. (Fs)

Deshalb ist es unmöglich, daß irgendeine substantielle Form ein Mehr oder Weniger annimmt. — Nicht weniger unmöglich ist es, daß es ein Mittleres gibt zwischen Substanz und Akzidens. Deshalb muß man mit dem Philosophen sagen, daß die Formen der Grundstoffe nicht in Wirklichkeit, sondern der Kraft nach im Gemischten bleiben. Es bleiben nämlich die den Grundstoffen eigenen Beschaffenheiten, wenn auch in geminderter Stärke; und in diesen ist die Kraft der grundstofflichen Formen enthalten. Eine derartige Mischungsbeschaffenheit ist dann die eigentliche Zubereitung auf die substantielle Form des gemischten Körpers, z. B. auf die Form des Steines oder auf jedwede Seele [46]. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_076 - Die Seele in ihrer Vereinigung mit dem Körper

Stichwort: F1_076a6c; Seele - Körper: Art d. Verbindung: substantiell nicht akzidentell

Kurzinhalt: Wenn aber die Verstandesseele mit dem Leib als substantielle Form vereint ist (Art. 1), so ist es unmöglich, daß irgendeine akzidentelle Zubereitung vermittelnd zwischen Seele und Leib oder zwischen irgendwelche substantielle Form und ihren Stoff tritt.

Textausschnitt: ANTWORT: Wäre die Seele mit dem Körper nur als Beweger vereint, so stünde nichts im Wege, ja es wäre vielmehr notwendig, daß irgendwelche Zubereitungen zwischen Seele und Körper vermittelten: das Vermögen nämlich auf Seiten der Seele, durch das sie den Körper bewegt; und eine gewisse Bereitschaft auf seiten des Körpers, durch die der Körper für die Seele bewegbar ist (75, 3 Zu 3). (Fs; tblStw: Seele)

Wenn aber die Verstandesseele mit dem Leib als substantielle Form vereint ist (Art. 1), so ist es unmöglich, daß irgendeine akzidentelle Zubereitung vermittelnd zwischen Seele und Leib oder zwischen irgendwelche substantielle Form und ihren Stoff tritt. Der Grund hierfür ist folgender. Da der Stoff nach einer gewissen Ordnung in Möglichkeit zu allen Wirklichkeiten ist, so muß das, was schlechthin das Erste unter den Wirklichkeiten ist, auch als zuerst im Stoffe seiend gedacht werden. Das Erste unter allen Wirklichkeiten ist aber das Sein. Also ist es unmöglich, den Stoff früher warm oder ausgedehnt, als in Wirklichkeit seiend zu denken. Das In-Wirklichkeit-sein hat er aber durch die substantielle Form, die das Sein schlechthin gibt (Art. 4). Deshalb ist es unmöglich, daß irgendwelche akzidentelle Zubereitungen im Stoff vorhanden sind vor der substantiellen Form; folglich auch vor der Seele. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Das Ersterfasste: Seiendes; zeitlich, analytisch zuerst; something-there (Beispiel: Kind erfasst die Bedeutung von "heiß", nicht von "seiend")

Kurzinhalt: What the Intellect First Conceives Is Being ... The concept of being is the analytical beginning point of all human intellectual activity apropos of sensible things.

Textausschnitt: Paragraph 1

2a Apropos of what he does in (1), we must make clear the sense of the claim that "being and essence are what is first conceived by the intellect." Why does he say that the intellect first conceives both being and essence? Why not being alone, or essence alone? What is the meaning of "first"? What is the content of this first concept? (Fs) (notabene)

2b To begin with, we must notice that in other works he says that what the intellect first conceives is being, making no mention of essence.1 What, then, does it mean to say that what the intellect first conceives is being? And why is "and essence" added here? (Fs)

What the Intellect First Conceives Is Being.

3a In the Summa of Theology, in a context in which he had just mentioned Boethius' distinction between what is self evident to all and what is self evident to the wise, St. Thomas writes: "In the case of things which are apprehended by all men, there is an order. For what is first apprehended is being, the understanding of which is included in everything, whatever it may be, which anyone apprehends."2 From this, and from what he writes elsewhere,3 it is clear that whatever else he may mean by "first," he means not simply temporally first, but, more importantly, analytically first. Thus, the meaning or concept of the temporally first word we learn to use contains, though implicitly, the meaning or concept which we attach later to the word "being." When one's intellect first begins to function, even in a context which is conceivable as temporally prior to one's learning to use his first word, whatever else it may grasp in conception about sensible things, it grasps that concept to which one later on attaches the word "being." (Fs) (notabene)

3b To make this clear, one must consider the following. Human knowledge about real things is by sense and by intellect; knowledge by sense focuses on unique features of individuals, knowledge by intellect on shared features; knowledge by sense is temporally prior to knowledge by intellect, and knowledge about sensible things is temporally prior to knowledge about nonsensible things. Thus, our temporally first knowledge is sense knowledge about sensible things. Knowledge by intellect is dependent on knowledge by sense as on an origin; since this is so, our temporally first knowledge by intellect is about things which are sensed. (Fs)

3c At this point two things are to be noticed: (1) that our temporally first concept bears explicitly on a sense experience, and implicitly includes the concept of being; and (2) that the expression "analytically first" in the claim that the concept of being is our analytically first concept can be given a clearer and fuller meaning in terms of a reference to the intellect's three operations. First, since our temporally first knowledge is sense knowledge about sensible things, then the human knower first grasps these sensible things by means of their sensible qualities. By virtue of their sensible qualities these things are first actual for, or present to, human sense. And it is through their first actuality for, or first presence to, human sense that these things become first actual for, or first present to, the human intellect. They become first present to the human intellect as something-there, i.e., as something asserting itself, as something different from us and confronting us, as something doing things to our senses. This means that our temporally first knowledge by intellect is a knowledge the content of which is rooted in a sense experience. (Fs)

4a Consider, for example, a child who is just learning to talk, and who has just burned his finger on the kitchen stove. His mother, pointing to the stove, says, "Hot!"; the child soon learns to do the same thing. What, now, do both mother and child intend to communicate by the word hot when they point to the kitchen stove and say that it is hot? That that thing, which the child will later learn to call by the name stove, and by many other names—e.g., thing, something, something-there—is a thing which, when one touches it with his finger, burns the finger. They are explicitly concerned with communicating the fact that the kitchen stove burns the finger. They are not explicitly concerned with communicating the fact that the kitchen stove is something-there, though knowledge of this fact is the least possible knowledge presupposed by and implied in knowledge of the fact that it bums the finger. Thus, our temporally first intellectual knowledge can be described as a knowledge whose explicit content is rooted in some sense experience or other, the implicit content of which is at least what can be expressed as something-there, i.e., being. J. Maritain puts it briefly and clearly:

5a This [being] is the first of all concepts, because it springs in the mind at the first awakening of thought, at the first intelligible coming to grips with the experience of sense by transcending sense.... The first idea formed by a child is not the idea of being; but the idea of being is implicit in the first idea which the child forms.4 (Fs)

5b Secondly, knowledge by intellect takes place by three different acts: (1) simple apprehension, the result of which is a concept; (2) composition and division, the result of which is a proposition; and (3) reasoning, the result of which is an argument. These three acts are so related to one another that the second cannot occur if the first does not; or can the third if the second does not; also, if the first does not, either can the third. This is to say that if simple apprehension does not occur, no intellectual activity at all occurs; or that whenever intellectual activity of any sort at all occurs, simple apprehension always occurs. This is also to say that propositions are per se constituents of arguments; and concepts, of propositions; i.e., just as propositions are analytically prior to arguments, so too concepts are analytically prior to propositions. Similarly, the concept of being, that which we expressed above as something-there, is so related to all our concepts about sensible things that nothing other than it can be conceived if it is not conceived; or whenever whatever else is conceived about sensible things, something-there is always conceived. Thus, something-there is a per se constituent of, or is analytically prior to, all other concepts about sensible things; but not vice versa. Thus, further, whenever the intellect does anything at all apropos of sensible things, it conceives something-there. The concept of being is the analytical beginning point of all human intellectual activity apropos of sensible things. (Fs)

6a One can make an approach toward establishing that something-there expresses the content of our analytically first concept about sensible things by considering the human intellect's natural passing from potentiality to actuality in its acquisition of knowledge. The human intellect moves from knowing nothing to knowing something; humans are born with no knowledge; they are born only with powers for acquiring knowledge. In moving from no knowledge about sensible things to knowledge about them, the human intellect functions through the senses to move first to some (as opposed to a complete) knowledge; then, as one's sense experience with sensible things grows, to progressively more and more knowledge about them. But what is the least the intellect can possibly come to know about sensible things, when it first comes to know anything at all about them? Perhaps one can say: next to nothing. But to know next to nothing about sensible things, and to know this by intellect, is to know about them something which is at the highest possible level of universality. Knowledge by intellect is from the outset a universal knowledge; and the least possible knowledge by intellect is the most universal possible knowledge. It is such, therefore, that it is applicable to any and every individual sensible thing of any and every sort, but without expressing anything which is proper to, or distinctive of, any individual or sort. When the intellect first conceives the sensible thing, what can the intellect conceive about a sensible thing less than this, namely, something-there (where 'there' takes on its meaning in one's recognition, however implicit, that something other than himself is asserting itself, is doing things to his senses). For the intellect to conceive less than this would, clearly, imply that the intellect's first concept was uttered at once about things which are there and about things which are not there. This is clearly impossible; for 'what is not there' can be taken to mean (1) absolute nothing, which is of itself inconceivable; it is conceivable only in terms of a reference to what is there; or (2) something nonsensible, which we conceive only after, and in terms of a reference to, what is there. (Fs)

7a One must keep in mind that what is said about what it is that the intellect first (both temporally and analytically) conceives about sensible things—namely, the concept of being—is said by way of analysis. One must, therefore, be careful to remind himself of what this means. It means that in order to come to an understanding of that first concept, one will employ many concepts and distinctions made after that first concept. These concepts and distinctions will have a precision and distinctness which that first concept did not have. And some of these concepts and distinctions will be used in talking about the content of that first concept; one must guard against attributing the precision and distinctness of these to the content of that first concept. For example, one will use the distinction between sense knowledge and intellectual knowledge; the distinction among conceiving, composing and dividing, and reasoning; the notion of the most universal possible; which have already been used in some way in what has been written above. (Fs)

7b It means that one will also use other concepts and distinctions, for example, the distinction between a word and the concept to which we attach the word; the distinction between the time when the first concept is formed by the intellect and the time when that first conception is given a verbal formulation; the distinction between signifying things as a whole and signifying them as a part; the different ways in which we know something which is a whole; the distinction between essence and existence. The last three distinctions just named will be used below at a more appropriate place (see pages 199-203). (Fs)

7c Since humans use words to give their ideas a more precise, a more elaborated, and a less emotionally hindered expression than can be given them by the crying of a hungry baby, or by a laugh, or by the movement of a hand, one might ask: When is the word "being" attached to the intellect's first concept? We attach words to concepts about sensible things, so that the words stand for these things through the mediacy of the concepts. It would be difficult, impossible perhaps, to determine when, in the lifetime of a given individual, the individual first attaches the word "being" to that which was his first conception about sensible things. (Fs)

8a When one says, here and now—i.e., in making an analysis—that the intellect first grasps a sensible thing as something-there, it should be made clear that this first grasp did not, then and there, receive the verbal formulation "something-there." This verbal formulation, like the verbal formulation "being" (and like any verbal formulation in respect to its corresponding conception),5 is attached to the first conception of the intellect only after one has heard the formulation used by others, and has heard it so used a sufficient number of times to allow him to gather that the user of the word has in his own mind attached the word to this first conception. The first verbal formulation was almost certainly a formulation bearing on the sensible quality through which the sensible things was being grasped by sense when the intellect first began to function; and this first verbal formulation was a formulation given to him ready-made: given to him, most likely, by his parents; ready-made, from the language spoken by his parents. For example, "hot" may have been a given child's first verbal formulation (see page 4). (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Das Ersterfasste: Seiendes und Wesen ("something-there"); Wesen: Prinzip d. unabhängigen Existenz, P. d Wissens

Kurzinhalt: ... "something-there" ... something different from us and confronting us (this is rooted in essence as principle of independent existence), something doing things to our senses (this is rooted in essence as principle of knowability).

Textausschnitt: What the Intellect First Conceives Is Being and Essence.

8b Among all the words we use apropos of sensible things, the meaning of the word "being" is analytically first. But the word "being," used apropos of sensible things, has many meanings, as will be seen below; and its first meaning—i.e., the meaning first conceived by the intellect—is a meaning which one can formulate in this way: what has essence. (It must be noticed that one can also formulate the meaning of the word "essence" in terms of the meanings of the word "being," as is in fact done by St. Thomas in chapter one; see page 44, [5] in the text of the treatise; also page 45.) This—i.e., what has essence—is real being, is something-there (some things have no essence—e.g., blindness—and are therefore not real beings); this is the being of the categories. Things which are not real things are of themselves inconceivable; being which has no essence is of itself inconceivable; it is conceivable only after, and in terms of a reference to, being which has essence. (Fs) (notabene)

9a This can perhaps be made clearer if one considers in some way, at this point, what the word "essence" means (more will be said below). Whatever else it means, it means a certain quality with a twofold aspect: (1) that within things by which things exist independently of our knowing that they exist—i.e., a principle of independent existence—and (2) that within things by which things cause us to know them, i.e., a principle of knowability. We have already in some way expressed this idea above (see page 4; also page 6) in attempting to give a clear meaning to the expression "something-there" as representing the intellect's first concept: something different from us and confronting us (this is rooted in essence as principle of independent existence), something doing things to our senses (this is rooted in essence as principle of knowability). Essence, thus, is simultaneously that in things whereby things are there and whereby they are knowable. If things were not there, then they could not cause us to know them; the source of their being there is the source of their causing us to know them; this source is called essence. To be sure, things which are not there can be known; but only in terms of something other than themselves, only in terms of things which are there. And this in a way similar to the way in which sight grasps color by virtue of light, but light by virtue of nothing other than light itself. Essence can be described as being related to the human intellect as light is to sight; and what has essence is grasped by the intellect in the way in which what emits light is grasped by sight. (Fs) (notabene)

10a Thus, the analytical beginning point of our intellectual knowledge about sensible things is a grasp of being, but of being which has essence. And this is why St. Thomas adds here: "and essence." (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Metaphysik (Aufgabe, Beschreibung, ökonomisches Vorgehen), Bedeutung von Wörtern; "Seiendes" (analytisch zuerst, implizite in allen W. enthalten); M. (Gegenstand): Seiendes als Seiendes

Kurzinhalt: ... metaphysics attempts to clarify—i.e., to record and to give clear and precise formulations to—the different meanings of these widely used words, ... (2) metaphysics attempts an investigation of extramental immaterial things (the separated substances),

Textausschnitt: Paragraph 2

10b Apropos of the tasks he enumerates in (2), it is important to notice that it is one thing to investigate the meanings of the words "being" and "essence," and quite another thing to investigate the being and essence of diverse sorts of real thing. This is clear from the obvious fact that one can know what the words "being" and "essence" mean, and have no idea what the being and essence of some real thing—e.g., man—might be. The same thing is the case with other words. For example, one can know what the word "cause" means, yet have no idea what the cause of some given fact might be; or what the word "existence" means, yet have no idea what existence might be. The following questions are suggested by the things just said: Why does metaphysics bother about investigating the meanings of words, since metaphysics is from the outset an attempt to investigate real things? Why does St. Thomas here limit his investigation of the meanings of words to but two, namely, "being" and "essence"? (Fs) (notabene)

10c The third task mentioned by St. Thomas in (2) suggests the following questions: What are logical intentions? Why does St. Thomas consider the question of the relation of being and essence to logical intentions? Why does St. Thomas choose to consider but three of them, namely, genus, species, and specific difference? What does St. Thomas take to be the difference between logic and metaphysics?

Metaphysics and the Investigation of the Meanings of Words

11a To begin with, one must notice that there are certain words which have a very wide use in the discourse of daily life, apropos of things like bread and butter, clothes, houses, taxes, who's running for president, how to avoid temptations, in the various sciences like physics, chemistry, biology, psychology, and in the various branches of philosophy like natural philosophy, moral philosophy, philosophy of art. As used in everyday discourse, the meanings of these words are left uninvestigated or unanalyzed. As used in the various sciences and in the various branches of philosophy, their meanings are not differentiated; that is, no one of the sciences, nor any one of the branches of philosophy, takes it upon itself to record, in precise formulations, the different meanings which a same word has as it is used apropos of their (i.e., its own and that of others) proper, but different, subject matters. That a same word might have different meanings as it is used apropos of different subject matters is suggested by the difference itself in the subject matters. But the meanings of these words should not remain uninvestigated; otherwise there will remain a certain indeterminateness, a certain incompleteness, in human knowledge. (Fs)

11b Among these widely used words (e.g., principle, cause, element, necessary, contingent, good, true, beautiful, one, many), as they are used in everyday discourse, the word "being" (the more usual English equivalent is the word "thing") is first, analytically first. That is, the meaning of the word "being" is included in the meanings of the others, but not vice versa. And not only is its meaning included in the meanings of widely used words but it is also included as well in the meanings of all (however widely or not widely used) the words of everyday discourse. Thus, the meaning of no such word will be fully and explicitly understood unless the meaning of the word "being" is fully and explicitly understood. (Of course, for the purposes of one's everyday life, it is not necessary to have a full and explicit understanding of the meanings of the words one uses.) Further, since propositions and reasonings are composed of words, the truth of no everyday proposition, nor of any everyday reasoning, will be fully and explicitly understood unless the meaning of the word "being" is fully and explicitly understood. Since the meaning of the word "being" is the analytical beginning point of everyday intellectual knowledge, and since everyday intellectual knowledge is in some sense the beginning point of all intellectual knowledge, it is desirable and indeed necessary to make no mistakes about its meaning; for a small error at a beginning point easily becomes a great one in the end. (Fs)

12a Commenting on Aristotle's Metaphysics, St. Thomas writes:

Because the particular sciences [i.e., any science about real things other than metaphysics] put aside the investigation of some things which need to be investigated, it was necessary that there be a science, a universal and first science, which would investigate the things which the particular sciences do not consider. These put-aside things appear to be both the common notions or aspects which follow on common being (which none of the particular sciences considers, since they do not belong to any one of the particular sciences any more than to any other, but commonly to all of them) and also the separated substances, which transcend the scope of the consideration of all the particular sciences. And thus Aristotle, handing down to us such a science, moves on, after his investigation of the common notions, to a particularized treatment of the separated substances, to the knowledge of which are ordered not only the things which have been treated so far in this science [metaphysics], but also things which are treated in other sciences.1

12b His words lead to this description of metaphysics: metaphysics is concerned with left-overs, i.e., with pursuits which are left over in the sense that they are outside, or beyond, the scope, the methods, the interest, of the various sciences and of the various other branches of philosophy. (That metaphysics is beyond them is clear from the simple fact that metaphysics investigates things which depend on sensible matter neither for being nor for being known.) These left-over pursuits are basically two: (1) metaphysics attempts to clarify—i.e., to record and to give clear and precise formulations to—the different meanings of these widely used words, both for the sake of this clarification itself and for the sake of its own metaphysical scientific procedures; (2) metaphysics attempts an investigation of extramental immaterial things (the separated substances), especially of what is first among all things. That the latter is beyond them is obvious. That the former—i.e., the attempt at clarification—is beyond them is indicated by the simple fact that no one of them undertakes this attempt. Further, there is no reason why any one of them, in preference to any other should attempt this task, seeing that these words are used by all of them (or at least by more than one of them). And it would be superfluous for each of them to do this. Hence, this clarificatory task ought to fall to a separate science, to a science whose subject matter includes in some way all other subject matters, to a universal or encompassing science—metaphysics. Thus, it has become a function of metaphysics to observe, and to see what words are such that they are used not only in everyday discourse, but in the various sciences (some or all), and in the other branches of philosophy (some or all), and to clarify their meanings. (Fs)

13a But metaphysics does not pursue this clarification only for the sake of the clarification itself. Metaphysics from the outset is an attempt to acquire knowledge about the existence and the characteristics of the first among all things; from the outset its intention is to use these words for its own purposes, that is, it attempts to elaborate for these words meanings which are suitable for metaphysical scientific procedures. It elaborates these meanings in a way such that they represent some sort of continuity in terms of an extension. Extended meanings of this sort, especially those which are extensions of the meanings of words used in the discourse of everyday life, are very valuable because they are extensions of what everybody already knows in some way, and because they are thereby in contact with the something-there which is grasped in our analytically first concept. These extensions have the great advantage of putting us into an uncommon and enviable position: we know at least in some way, and from the very beginning of our attempt at doing metaphysics, what we are talking about; and what we are talking about is things-there, i.e., the things given to us in sense experience. (Fs)

14a What makes a meaning suitable for metaphysical scientific procedures? (We referred to such suitability in the immediately preceding paragraph.) One must recall how being as being is established as the subject of metaphysics:2 if first philosophy, or metaphysics, has as its prime intention to come to a scientific knowledge of the first cause (i.e., of what is first among all things), and if something exists which is immaterial (e.g., the human soul), and if first philosophy is to be a science, then being as being (and not material being, or some other part of the whole of being) must be the subject. This is necessary in order to have an adequately universal effect in terms of which to come to a knowledge of the first cause. Any meaning or notion which, like that of being as being, is independent of sensible matter, and which is known to be realized extramentally apart from matter, can be used as a means through which to acquire more knowledge about the first cause. Any such notion is among the common notions referred to in the text quoted just above from St. Thomas' Commentary on Aristotle's Metaphysics. (Fs)

14b Thus, the clarificatory function of metaphysics has at least this twofold orientation: (1) toward lessening a certain indeterminateness and incompleteness in human knowledge, by undertaking a task which no other science undertakes; and (2) toward metaphysics itself for which it elaborates meanings suitable for scientific procedures. (Fs)

15a It is to be noticed that it is the concern of metaphysics to rise as quickly and as economically as possible to a proved knowledge of the existence and of the characteristics of the first among all things. If metaphysics can accomplish this by, for example, simply tracing the meanings of a same word as it is used in everyday discourse, i.e., without tracing its different meanings through the various sciences and through the various other parts of philosophy, there is no reason why it should not. Metaphysics can complete its tracing of words at leisure, i.e., after its primary task has been accomplished. To be sure, it is hoped that this leisurely tracing will afford additional paths to a knowledge of the existence and of the characteristics of the first among all things, paths which will serve to strengthen its initial economical one. (Fs) (notabene)

15b The tracing which St. Thomas proposes in his treatise On Being and Essence is a highly economical one. He proposes to trace the meanings of but two words—namely, "being" and "essence"—and that of the word "being" at the level of everyday discourse. His reason for this proposal is at least twofold: (1) the fact that the grasp of being, or of something-there, is the analytical beginning point of everyday intellectual knowledge, and (2) the fact that metaphysics is from the outset an attempt to rise to a knowledge of a first cause which is something real, i.e., real in a sense at least as strong as the sense in which the referent of the expression "something-there" is real. (Fs)

15c There are other reasons why metaphysics bothers about the meanings of words, especially that of the word "being." For example, (1) to avoid errors which come from not being careful about the ways in which words function, like the claim of Parmenides and Melissus that being is one; (2) to identify, in terms of what everybody knows, what metaphysics is primarily about as about a subject (see pages 56-58). (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Metaphysik, Logik; erste, zweite Intention (prima - secunda intellecta); Art, Gattung, spezifische Differenz; logische Intentionen (Relationen, die im Verstand existieren)

Kurzinhalt: Most simply described ... logical intentions are relations discoverable by the mind among its many different grasps of real things... (secunda intellecta); for the intellect comes to know them by reflecting on itself, by knowing that it knows and the ...

Textausschnitt: Second Intentions, Logic, and Metaphysics

16a The genus, the species, and the difference represent diverse intellectual grasps or expressions of things. Each expresses the thing as to what the thing is—i.e., as to its essence—but each in a different way: the genus expresses the common part of what the thing is; the difference, the proper or distinctive part; the species, the whole thing, i.e., the whole of what the thing is. The two remaining predicables—namely, property and accident—are not expressive of what a thing is. Since St. Thomas' effort in this treatise is a most economical one and since it begins by focusing on the analytical beginning point of human intellectual knowledge, it is clear why he chooses to consider only those logical intentions which relate to the intellect's first operation, simple apprehension. And since the analytical beginning point of human intellectual knowledge is a grasp of being and essence, it is clear why he chooses to consider only those logical intentions which relate to our grasp of what things are; it is clear, therefore, why he does not consider the intentions property and accident. (Fs) (notabene)

16b It is precisely because of the fact that we, as human knowers, have many different grasps of things, that logical intentions enter the domain of human knowledge. In an intellect which grasps everything by but one concept, there would be no place for logical intentions. Most simply described (i.e., at the level of the intellect's first operation, simple apprehension), logical intentions are relations discoverable by the mind among its many different grasps of real things. (Fs) (notabene)

16c It is the view of St. Thomas that the things which logic investigates as its subject are intentions which are only secondly known; they have come to be called second intentions. He explains what he understands by such intentions:
What is first known (prima intellecta) are things outside the soul, the things which first draw the intellect to knowledge. But the intentions which follow on our mode of knowing are said to be secondly known (secunda intellecta); for the intellect comes to know them by reflecting on itself, by knowing that it knows and the mode of its knowing.1

17a Then, in what immediately follows, he offers genus, species (also second substances) as examples of such intentions. (Fs)

17b To make clear what logical, or second, intentions are, one must begin by noticing that they are opposed to first intentions. First intentions are meanings or concepts derived from, or at least verified in, extramental, or real, things. For example, the meaning we derive from those things which are men, and to which we attach the word "man," i.e., the meaning "rational animal"; the meaning we derive from those things which are animals, and to which we attach the word "animal," i.e., the meaning "sensitive organism." Second intentions are meanings derived from, or verified in, first intentional meanings; second intentions are characteristics which belong to meanings derived from real things (i.e., to first intentions), not only because of these meanings but also because these meanings are in the grasp of a human intellect. If one compares the meaning which he attaches to the word "animal" with the meaning he attaches to the word "man" (this presupposes a possession of each meaning), it is easy to see that the meaning of the word "animal" is part of the meaning of the word "man." For a meaning to be part of another meaning is a second intention, a characteristic (here a relation) discoverable by the intellect between two possessed meanings, a relation which belongs to first intentional meanings both because of the meanings themselves and because these meanings are known by a human intellect. If we consider the meaning we attach to the word "dog," it is easy to see that the meaning of the word "animal" is part of its meaning as well as part of the meaning of the word "man." It is thus the (or a) common part of the meaning of both. This is roughly what it is for a meaning to be a genus. If some meaning A is part of some meaning D and also part of some meaning M, then A is, roughly speaking, the (or a) genus of D and M. (Fs)

18a It is to be noticed that the first intentional meanings being compared exist in a human intellect. Second intentional relations are, therefore, relations between terms which exist in the intellect. The relations themselves, therefore, exist in the intellect. Second intentional relations are not real relations; they are not relations which belong to things outside the mind precisely as outside the mind; for example, Jack's being one inch taller than Paul; Paul's being Jack's father. Nor are second intentional relations characteristics which belong to things because of, and only because of, what these things are, i.e., only because of the first intentional meanings derived from these things; for example, the incorruptibility of the human soul; such characteristics are first intentions. Second intentional relations are characteristics which belong to things as known, not to things as things. (Fs)

18b The following points will help to clarify the preceding. (1) If being a genus belonged to animal as animal (i.e., to animal because of, and only because of, what the word "animal" means), then only the meaning of the word "animal" could be a genus. But this is clearly not the case. One can find any number of meanings which are related to other meanings as their genus. For example, the meaning of the word "body" is a genus in relation to the meaning of the word "organism" (i.e., living body) and to that of the expression "nonliving body"; the meaning of the word "organism" is a genus in relation to the meanings of the words "plant" and "animal."
18c (2) One must notice the difference between (a) what it is to be a genus and (b) that which is a genus. The former is a second intention; the latter, a first intention. To be a genus is to have a relation of a certain sort (genericity) to other meanings. Animal has such a relation to man and dog. And it is because of this relation that animal is called a genus; and this in a way similar to the way in which Paul is called Jack's father because of the relation (real) of fatherhood. One must notice the same distinction between what it is to be a species (specificity) and that which is a species; also between what it is to be a specific difference and that which is a specific difference. (Fs) (notabene)

19a (3) Out of the preceding, one has a clear way of pointing out what logic is about. Logic considers questions like (a) what does it mean to be a genus, a species, a specific difference, and (b) what belongs to—i.e., what are the properties or more generally the per se accidents of—a genus as genus, a species as species, a specific difference as specific difference. Some science other than logic considers questions like (a) what is the genus animal—i.e., what does it mean to be an animal—and (b) what belongs to animal as animal (philosophy of nature); and questions like (a) what is the genus triangle—i.e., what does it mean to be a triangle—and (b) what belongs to triangle as triangle (mathematics); and questions like (a) what is the genus substance—i.e., what does it mean to be a substance—and (b) what belongs to substance as substance (metaphysics). An example of a simple proof in the logic of the first operation of the intellect, simple apprehension, will be of some help here:

To show: A category cannot have a specific difference.
Proof: A specific difference is what differentiates
species in a same genus.
Thus, whatever has a specific difference must
have a genus. But a category is a genus which
has no genus of itself. Therefore, a category
cannot have a specific difference.

19b (4) It will be helpful to mention other examples of second intentions. Apropos of the first operation of the intellect: to be a universal, a predicable, a category, a definition. For the second operation of the intellect: to be a proposition, a subject, a predicate, a copula, a contradictory, a contrary; to be true, false, implied. For the third operation of the intellect: to be a deduction, an induction, a syllogism, a necessary syllogism, a middle term, a major term, a minor term, a fallacy, the subject of a science. (Fs)

20a From the preceding, one can understand that whenever a human knower confronts a knowable thing, the knowledge which is a result of this confrontation bears the stamp of the knower. The knowledge which is a result of this confrontation has characteristics deriving from the extramental things which are said to be known, but this knowledge also has characteristics deriving from our condition as beings who know extramental things in terms of a great number of different grasps or concepts or meanings. It is important, therefore, to be aware of what enters our knowledge from our condition as human knowers. This is important in order to avoid attributing to things what does not belong to them. And this is why St. Thomas considers the question of the relation of being and essence to logical intentions. (Fs) (notabene)

20b From the preceding, one can also understand what St. Thomas takes to be the difference between logic and metaphysics, indeed between logic and the whole of philosophy. Whereas the whole of philosophy is about real things, from different points of view, logic is about second intentions, which are not real things. Whereas logic and metaphysics can be said to be about all things (excluding God) as about a subject, metaphysics is about them as things, i.e., about those common features of things which are essential to and intrinsic to them, and which they have independently of our way of knowing them. But logic is about them as known, i.e., about those common features of things which are only incidental to them, which we come to attribute to them not as their own but precisely because of the way in which we know them, which we understand therefore to belong to what enters our knowledge from our condition as human knowers. (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Wissen, Wesen; Ordnung der Erkenntnis; processus in determinando - demonstrando; universalia per praedicationem (o. secundum simplicem apprehensionem) - in causando; Beispiel (Sprache); Wissenschaft

Kurzinhalt: The Order of Determination: From What Is Easier to What Is More Difficult ... The general rule of the order of determination is this obvious one: begin with those matters which are for us the easiest and then pass on to the more difficult, except ...

Textausschnitt: Paragraph 3

22b Apropos of what he does in (3), it will be helpful to consider, in a general way, how one can advance more suitably (perhaps most suitably) in the acquisition of knowledge. What comes immediately to mind is St. Thomas' distinction (but not his alone) between the order of determination (ordo or processus in determinando) and the order of demonstration (processus in demonstrando). 1

The Order of Determination: From What Is Easier to What Is More Difficult

22c Very generally described, the order of determination is the order in which one takes up topics in his pursuit of knowledge, whether knowledge in general or in some particular domain, i.e., the order in which one makes determinations about (investigates) the topics he is pursuing. The order of demonstration (see page 27) refers to what one does when one does science about each of the topics set into order within the order of determination. (Fs)
22d The general rule of the order of determination is this obvious one: begin with those matters which are for us the easiest and then pass on to the more difficult, except when the more difficult is necessary for what is to follow. For example, logic, both formal and material, is certainly not the easiest of disciplines, yet most men must study and master it before they can master the other sciences. No science can be mastered without a firm grasp of the ins and outs of valid and true and necessary reasoning, and not all men are naturally endowed with a grasp firm enough. (Fs)

23a In applying this general rule, one looks to man's knowing equipment, his senses and his intellect, and to the relation between them; one also looks to the knowable objects themselves, especially to their accessibility to human investigation. Sense knowledge is easier than intellectual knowledge. Since intellectual knowledge takes its origin in sense knowledge, intellectual knowledge about sensibly perceivable things is easier than intellectual knowledge about things removed from sense observation. And this appears to be what St. Thomas has in mind when he writes in chapter two: "But because the essences of the simple substances are more hidden from us, we ought to begin with the essences of composed substances, so that we may progress more suitably in learning from what is easier" (see page 49, [13] in the text of the treatise). But God and the other simple substances are not the only knowable objects which can be described as things removed from sense observation. Concepts, or the meanings we attach to words, are also such objects. And there are other objects which, unlike God and the other simple substances and concepts, are in themselves sensible, but which can nonetheless be said to be removed from sense observation, either because they are too small to observe—e.g., subatomic particles—or because they are too far away, e.g., celestial bodies. (Fs)

23b The application of this general rule—namely, to begin with what is easier and then pass on to the more difficult—can be summarized by two apparently opposed statements, on which St. Thomas comments in several places: 2
(1) What is particular is easier than what is universal.
(2) What is more universal is easier than what is particular. (Fs)

24a (1) takes into account all of man's knowing equipment, both the senses and the intellect; it is saying simply that sense knowledge, which is a grasp of particulars in the sense of individuals, is easier for us than intellectual knowledge, which is a grasp of universals; it is easier, for example, to look at and see a tree than to know what a tree is. (2) is a statement at the level of intellectual knowledge; it is saying that the more universal is easier for us than the particular in the sense of less universal; this is so because the more universal is the less detailed; for example, triangle is less detailed than right triangle, for the definition of right triangle includes that of triangle but adds a detail, namely, that of including an interior angle which is a right angle. (Fs)

24b In his Commentary on Aristotle's Metaphysics3 St. Thomas gives both (1) and (2) an interpretation at the level of intellectual knowledge. He does this in terms of a distinction between two sorts of universal: (a) universals which are, or can be used as, predicates; these are products of the intellect's first operation, simple apprehension (universalia per praedicationem or secundum simplicem apprehensionem); and (b) universals which are causes or explanatory factors in the real world (universalia in causando). Apropos of (a) he points out that we know the more universal in some way (aliquo modo, he writes) before we know the less universal. He gives the universal "being" as an example, from which one can conclude with some measure of certainty that by aliquo modo he means "in an implicit and unworded way" (see pages 4-5, 8). That is, whatever else we may know about sensible things when we first come to know anything at all about them, we know that they are something-there, at least implicitly; this, therefore, is what is easiest for us at the level of intellectual knowledge. (Fs)

24c Apropos of learning to use a language, we must notice that the words first learned are very restricted in their applicability in proportion to one's restricted experience of the sensible world, e.g., the word "hot." Words with more universal meanings are learned later on. This is to say that the simply apprehended universals, especially being, which are implicitly grasped, but unworded, whenever anything at all is grasped about sensible things, become worded. However, though worded, they remain unanalyzed; that is, one knows how to use these words in different everyday situations or contexts, and knows how to use them accurately; but one is unable to give a precise formulation of their meanings, and this is so primarily because there is nothing in everyday situations which requires that a man reflect on them and give them precise formulations. It is not until one begins to bother about doing things like philosophy that he finds himself in a situation which requires such reflection and such attempts at precise formulation. (Fs)

25a But the doing of philosophy does not end with reflection on, and analysis of, these simply apprehended universals. This is only its beginning point. Its goal is a knowledge of the real causes of real things, of all real things at all possible levels of universality, including the highest, and at all levels of our experience with them. That is, philosophy does not terminate in a precise formulation of the meanings of the word "being," for its goal is to understand the being of real things, of all real things; it does not terminate in a precise formulation of the meanings of the word "cause," for its goal is to come to an understanding of the causes of real things, of all the causes, both intrinsic and extrinsic, of all real things. And its goal is not only the causes appropriate to this and that given sort of thing (even if all the sorts of things were known)—i.e., not only particular causes—but also causes common to all the sorts of things, i.e., universal causes. (Fs)

25b Since the investigation of the causes of real things cannot, obviously, be accomplished by simply analyzing the meanings of words, and since such an investigation requires careful observation of, or experience with, real things, it is clear that this investigation will grow only in proportion as our experience with the world grows, and that it will begin with those things which lend themselves most easily or readily to our careful observation. Such things are things which are sensibly observable. We will come to know the causes of things removed from sense observation, in all the senses of "things-removed-from-sense-observation" (see page 23), only later on, if at all, as our experience with the world broadens and reveals to us different sorts of things. And lastly, we will come to know the universal causes of all things only when our experience with things reveals to us that which they all have in common, and which is such that it requires universal causes. And this is why St. Thomas writes that the investigation of the causes (and of the properties) of things proceeds in an order which can be described as the opposite of that which is found in our simple apprehension of things:

Things which are more universal in simple apprehension are known first, for being is what first falls into the intellect, as Avicenna says, ... But in the investigation of natural properties and causes, those which are less common are known first; because it is through particular causes, which are appropriate to some one genus or species, that we arrive at universal causes. Things which are universal in causing are posteriorly known by us (though priorly known according to nature), although things which are universal in predication are in some way known by us before things which are less universal (though not known before singular things). For knowledge of the senses which grasp singular things precedes in us intellectual knowledge which grasps universal things.4

26a What one does in pursuing the topics within a given science, as we have seen, is to begin with the more universal, the more universal being easier because it is less detailed, and proceed to what is progressively less and less universal, this being more difficult because more detailed (this is the order of determination within a given science). Now, what one does in doing science about each of the topics set into order within the order of determination (this is the order of demonstration) is somewhat different. First of all, the order of the movement in the order of demonstration is not from topic to topic; it is rather from the subject of the science to its definition, then to its properties, and lastly to its extrinsic causes (if it has any), and this movement within the confines of a single given topic. The mind moves with a view to formulating an acceptable and fruitful definition of the subject; that is, a definition which squares with the observed or introspected facts, and which will reveal necessary connections between the subject and its properties; a definition which can be used, further, to establish the existence and the characteristics of the extrinsic causes of the subject (in those cases in which it becomes clear that the subject must have extrinsic causes). Secondly, one is not moving from the more universal to the less universal; rather, one maintains the same level of universality. That is, in moving from the subject to its definition one does not produce a definition which is less universal than the subject. Such a definition would be, clearly, unacceptable. Nor does one proceed to properties and extrinsic causes which are less universal than the subject, for these, too, would be unacceptable. What one must do is to maintain the same level of universality, for this alone guarantees that the definition is the definition of the subject, and that the properties and extrinsic causes are the properties and the extrinsic causes of the subject. This is what is meant when it is often said that the subject, its definition, its properties, and its extrinsic causes must be commensurately universal. (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Ordnung d. Erkenntnis: vom Seienden zur Wesenheit (1 zusammengesetz -> einfach, 2 posterior -> prior;); Beispiel (Rechteck); Seiendes: Ersterfasstes

Kurzinhalt: From the Meaning of the Word "Being" to That of the Word "Essence" ... the meanings of the word "being" are many ... in relation to the meaning of the word "essence ... all of us ... know in some way the many meanings of the word "being" ...

Textausschnitt: From the Meaning of the Word "Being" to That of the Word "Essence"

28a St. Thomas' reason for clarifying the meaning of the word "being" before that of the word "essence" is but another application of the general rule of the order of determination, namely, "so that, beginning with what is easier, we may progress more suitably in learning. ..." To proceed in this way is (1) to proceed from what is composed to what is simple, and (2) from what is posterior to what is prior, and (3) this is to proceed from what is easier to what is more difficult. (Fs) (notabene)

28b (1) From what is composed to what is simple. The meaning of the word "being" in relation to the meaning of the word "essence" is as what is composed to what is simple. What is simple is as something one in the relation in which it is simple. What is composed is as something multiple in the relation in which it is composed. For example, consider a rectangle which has been divided into two parts, each of which has been left undivided. The rectangle can now be described as composed of two parts, and so as something multiple in relation to these parts. But each of the parts, viewed precisely as a part, is actually undivided, and can therefore be described as something simple, that is, as not composed; and so as something one. Now divide the parts, which entails considering each of them as in its own turn a whole. Each part can now be described as itself composed of parts, and so as something multiple in relation to its parts. And so, a whole in relation to its parts is something composed, and so is something multiple; a part in relation to its whole is something simple, and so is something one. Applied to the words "being" and "essence," this is to say that the meanings of the word "being" are many (at least two, in the context here) in relation to the meaning of the word "essence." It is also to say that the meaning of the word "essence" is one in relation to the many meanings of the word "being"; that is, it is to say that one of the many meanings of the word "being" is the meaning from which the meaning of the word "essence" is taken. (Fs)

29a (2) From the posterior to the prior. Our grasp of the many meanings of the word "being" in relation to our grasp of what we later call by the name "essence" is as what is posterior to what is prior. The word "being" used apropos of being which has essence is analytically (and temporally) prior to all other meanings of the word "being"; and this is why our grasp of what we later call by the name "essence" is analytically prior to all meanings of the word "being" other than its first meaning. (Fs)

We have pointed out that the meaning to which we later give the name "being" is grasped in the temporally first meaning which a child forms, but that it is implicit and that it is unworded; recall the example of hot. The same thing is to be pointed out about the meaning to which we later give the name essence; it, too, is grasped in the temporally first meaning which a child forms, but it is implicit and it is left unworded. The same thing is to be said about the meaning to which we later give the name "existence."

29b Any process of analysis is such that it begins with a given that is composed or multiple, and seeks to distinguish each of its many elements and their interrelations. The word "being" is a given with many elements, a word with many interrelated meanings. The elements of a composite are analytically prior to the composite. It is obviously easier to know a composed thing, in the sense of identifying it as a composed thing, than it is to know its simple components, for its simple components come to be known only after the effort and pain of analysis. (Fs)

29c (3) From what is easier. Human knowledge can advance only when it begins with what is easier for us men to know. And clearly what is known by all men, or by most men, is to be counted among the things which are easier for us to know. It is a fact of experience that we, all of us (or better, most of us), know in some way the many meanings of the word "being"; for we use this multiplicity, and with great accuracy, in everyday discourse. It is also a fact of experience that all of us do not know this multiplicity precisely as analyzed, i.e., we have not reflected on the ways in which we use the word "being" (or the expressions "what is" and "it is"), or have we taken the trouble to notice the precise differences among them and to formulate or articulate these differences. For, although we know how to use these many meanings, we are hard put to it to formulate them in answer to questions of the form, "But what exactly did you mean by the word 'being' when you just used it?" Clearly, then, an unanalyzed knowledge of the many meanings of the word "being" is to be counted among the things which are easier for us to know. To know this multiplicity as analyzed means, among other things, to know the meaning of the word "essence" as analyzed. (Fs) (notabene)

30a It is important to notice that St. Thomas at this point is concerned with the meanings of words, those of the word "being" and those of the word "essence"; he is not at this point concerned with the essences of real things. This is why it is not acceptable to interpret St. Thomas' reason for proceeding from the meaning of being to that of essence in terms of the distinction between essence and existence, as some do,1 following Cajetan. What they say is, or at least appears to be, acceptable, in a different context, in a context in which one has already established the distinction between essence and existence in real beings; or at least in a context in which one is concerned with the difference between the question What is it? and the question Is it? The context, at this point in On Being and Essence, is one in which the meanings of the word "being" are about to be looked at, meanings which in fact extend in their use beyond the realm of real beings (where alone the distinction between essence and existence applies) into the realm of beings of the mind. All one needs at this point is to be able to use the word "being," and/or its verb form "is," in everyday discourse. (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Seiendes: Analyse d. Verwendung in d. Sprache: real, Vernunftding, wahr o. falsch in d. Aussage; Negation, Privation, "nichts" ist (Privation: relative Negation ); Beispiel (Jack, Höhe, fehlender Knopf, Kobold ...); something there

Kurzinhalt: ... "Being": (1) Apropos of Real Things and (2) Apropos of the Truth of Propositions ... If a thing (in this case Jack) is there, in the sense of being there at all rather than in the sense of being there and not here, we call it a being. Thus ...

Textausschnitt: Two Uses of the Word "Being": (1) Apropos of Real Things and (2) Apropos of the Truth of Propositions

31a It was pointed out above that most of us know the many meanings of the word "being"; for we use this multiplicity of meanings, and with great accuracy, in everyday discourse. Yet our knowledge of this multiplicity is an unanalyzed knowledge. This unanalyzed knowledge will readily lend itself to analysis if we begin with a consideration of things with which we are familiar. We are all familiar, to some extent at least, with the things appearing in the following list:

(a) Jack
(b) Jack's height
(c) the missing button on Jack's shirt; Jack's blindness
(d) nothing
(e) centaurs, phoenixes, witches, goblins
(f) genera, species, differences
(g) human souls, angels, God

31b What follows is an attempt to come to some understanding of three fundamental uses of the word "being": (a) real being, (b) being of reason, and (c) being as true (or true being, or propositional being). Though St. Thomas does not here discuss being of reason, we shall touch on it as an aid to understanding the distinction which he does discuss, namely, propositional being as opposed to real being.1

31c Consider, now, whether we would in fact say, or at least be willing to say, that any member of the above list of seven is a being, or a thing (the word "thing" is more usual than the word "being," and an equivalent of it); or be willing to say of it, "it is," which is the same thing. Or, perhaps better, consider whether we would in fact, or at least be willing to, call by the word "being" or by the word "thing" anything for which we already have a word, but a word other than the word "being" or the word "thing." And consider why, i.e., consider what we mean by the word "being" or by the word "thing" when we predicate it. We shall limit this consideration to the above list of seven. (Fs)

32a We would certainly call Jack a being (by Jack I mean this man, the one I'm pointing to, here and now before me). Why, now, would we call Jack a being? Clearly, because he is, in the sense of he exists. Or (which is to ask the same question) what do we mean by the word "being" when we say, "Jack is a being"? Clearly, we mean he is in the sense of he exists. Anything of which we say, or of which we are willing to say, "it is," in the sense of it exists, we also say, or are willing to say, of it, "it is a being." (Fs) (notabene)

32b Perhaps this can be made clearer. If a thing (in this case Jack) is there, in the sense of being there at all rather than in the sense of being there and not here, we call it a being. Thus, to call Jack a being, or to say of him, "he is," is to say that he is there in the sense just described. This is what everybody understands by the word "being," that which is, i.e., that which is there. Perhaps this too can be made clearer. That which is, in the sense of that which is there, is first of all something present to, or given to, and grasped by the senses, something seen, heard, tasted, etc.; something experienced. (Fs)

32c We would not in fact, it seems, call Jack's height a being. Or would we at first be willing. On reflection, however, and perhaps with some hesitation, we would not be unwilling to say that it is something which is there in part of the sense described above—i.e., there as opposed to not there at all—but not in the sense in which we say that Jack is there, i.e., simply or without qualification. We would want to make a qualification; we would say it is there in something which is there simply, in this case in Jack. The word "in" would mean as a modification or characteristic of. (Fs)

33a We would not call the missing button on Jack's shirt a being. Yet we would without hesitation refer to it as something which is there. Consider a mother addressing her four-year-old, just returned home from an afternoon of rough outdoor play. "How many missing buttons are there on your shirt today?" "I think there are three of them, Mother." But we would immediately point out that we do not mean is there in the sense in which Jack is there, nor in the sense in which Jack's height is there. We mean simply to call attention to the fact of the absence or privation of what in other circumstances would very likely be there in the way in which a part of Jack, say Jack's hand, is there, namely, the button. A button, like Jack's hand, is there as something positive (in St. Thomas' words a button posits [hence our word positive] something in reality: "aliquid in re ponit"), rather than as the absence of something positive. From this point of view, then, we would just as readily say that the missing button is something which is not there (and this is why we would not call it a being) as that it is something which is there; the missing button, from this point of view, is something we can talk about rather than something which is there. Similarly, in referring to Jack's blindness as something which is there, we mean to call attention to the fact of the absence of sight, which in other circumstances was, or may have been, there in the eye in the way in which Jack's height is now in Jack. (Fs)

33b Though we would not call nothing a being, we would nonetheless, in certain circumstances, say that nothing is there with as little hesitation as we say that the missing button is there. Consider being sent to the living room to get the dog, discovering on arrival that it is not there, and exclaiming, "There is nothing in the living room!" It is clear that "there is" is not used in the sense in which we use it when we say that Jack is there, or in the sense in which we would say that Jack's height is there, or, lastly, in exactly the sense in which we would say blindness is there. For the word "blindness" is used to call attention to the absence of sight, and sight is a characteristic of something; whereas the exclamation "There is nothing in the living room!" is used to call attention to the absence of the dog, and the dog is rather a something than a characteristic of something. Moreover, to speak of the dog's absence from the living room is to indicate that the dog is to be found elsewhere; to speak of Jack's blindness, of the absence of sight in his eyes, is not to indicate that his sight is to be found elsewhere. (Fs)

34a In other circumstances we would deny that nothing is there. Consider being asked the question, "Does nothing exist?" A characteristic response would be to say, "Look out there, and you will see that many things exist; there are trees, dogs, etc." This response indicates that the question was taken to mean, "Is it true that there is nothing in existence?" Consider, now, the question, "Can nothing exist?" There are at least two possible characteristic responses, according to at least two possible interpretations of the sense of the question: (1) "Yes, nothing can exist" in the sense of "Yes, it is possible that there be nothing in existence, i.e., it is not necessary that any of these things which I see about me be in existence, though it is a fact that they do exist." (2) "No, nothing cannot exist" in the sense of "No, that which is an absence of all things which exist simply, i.e., in the way in which Jack exists, cannot exist." To use the word "nothing" in this last sense—i.e., in the sense of an absence of all things which exist simply—is not to indicate that these simply existing things are to be found elsewhere any more than to speak of the absence of sight in a blind man's eyes is to indicate that his sight is to be found elsewhere. Absence, here, is absence in a strong sense, in the sense of a negation; and negation, here, may be taken in at least two senses, which give us two strong senses of the word "nothing:" (1) what does not exist and (2) what neither is nor can be. We would not call nothing, in either of these senses, a being. Nor would we say that nothing, in either of these senses, is an absence which is there; though we would speak of privations, like blindness, as absences which are there. The word "blindness" is taken to refer to an absence in a subject, ultimately in something positive which is there simply, i.e., in the way in which Jack is there. It is because the subject of a privation is there that we say that the absence is there, meaning in the subject which is there. But if all simply existing things are negated, and this is what is intended by the word "nothing" in both its strong senses, we do not speak of an absence which is there. Such an absence is not an absence in a simply existing subject; it is the absence of simply existing subjects, of all of them. Privations have been called relative negations, i.e., negations in things; nothing has been called absolute negation, i.e., the negation of things, of all of them. (Fs; tblStw: Negation, Privation)

35a As regards centaurs, phoenixes, and such, and the logical intentions—genus, species, and difference—we would not say that any of these is a being, that any of these is there, in the sense described above (see page 32). We, would, however, say that they are beings of (i.e., produced by) and in (i.e., modifications or characteristics of) the mind (and of the imagination). Logical intentions are of the mind in the sense that they are relations which the mind discovers among its concepts. Witches, phoenixes, and such are of the mind in the sense that the mind invents or creates them. (Fs)

35b Apropos of human souls, angels, and God, we would certainly say that each is a being, that each is something which is there; but in a sense partly like, and partly unlike, the sense in which we say Jack is there. Jack is there sensibly; they are not. We cannot see, feel, touch, or hear them. And not only can we not see them, but they are such in themselves that they are not sensibly perceivable. But each is something which is there simply, i.e., in the way in which Jack is there as opposed to the way in which Jack's height is there. (Fs)

36a To summarize, now, and to clarify: of Jack and of Jack's height we would say that each is something which is there as something positive (aliquid in re ponit) and as something sensibly perceived. Of human souls, of angels, and of God, we would say that each is something which is there as something positive, but not as something sensibly perceived. What is important here is that we would say of each of them that it is something which is there as something positive. Of Jack's blindness, and of the missing button on his shirt, we would say that each is an absence which is there, but this is only to say that neither is something positive which is there. If we would say that each is there, but not as an absence, "there" would mean in the mind; and "in the mind" would mean in the mind in knowledge, i.e., as a known content. So, too, if we would say that nothing is there; or that centaurs, phoenixes, and such are there; or that logical intentions are there; "there" would mean in the mind. If therefore, we say of a thing "it is," in the sense of being there as something positive, it is a real being (or a categorical or predicamental being); if we say of a thing "it is," in the sense of being in the mind, it is a being of reason. (Fs) (notabene)

36b But there is a third way in which we say of a thing "it is."2 Consider two men disputing the statement that a phoenix is a mythical bird. "It is not," says the one. "It is," replies the other. "It is not," emphasizes the first. "It is," insists the other. Notice that one of these men has said of the phoenix "it is." Is "it is" being used here in the sense of real being? Clearly not. First of all, the phoenix is an imaginary being, or a being of reason. Secondly, the context of the dispute indicates that "it is" said of the phoenix means, It is a mythical bird, in the sense of If is true that the phoenix is a mythical bird; or, in this sense, namely, the statement "the phoenix is a mythical bird" is a true statement. The "is" of "it is" is the copula, the predicate not being explicitly stated. Here, "to be" means to be true. Here, to say "it is" is to insist that phoenix is a suitable subject for the predicate, mythical bird. Thus, not only is "it is" not used here in the sense of real being, but it is also not used in the sense of being of reason. "It is" is here used simply in the sense of it is true. (Fs)

37a It is to be noticed that of anything at all for which we have a word we can say "it is" in this third sense of "it is." That is, we can make true affirmative statements, or at least statements which we feel are true, about anything for which we have a word, whether it is a real being or a being of reason. Anything, therefore, which is the subject of a true affirmative proposition can be said to be a true being or a propositional being, i.e., a being in a third sense of the word. A true being or a propositional being is anything which has a true affirmative statement made about it, precisely as having that statement made about it. (Fs) (notabene)

37b Thus, whether a thing is something which is there (real being) or not (being of reason), it is in any case something one can make statements about. One can make statements about beings of reason as well as about real beings; and precisely as having statements made about them, they are all in the mind. This is why one can say that both beings of reason and propositional beings, as such, are only in the mind. Still one must not say that propositional beings are the same as beings of reason; for beings of reason are found among the products of all three of the intellect's operations, whereas propositional beings pertain to the intellect's second operation, composing and dividing. Moreover, beings of reason can exist only in the mind, whereas what has a statement made about it can be real. (Fs) (notabene)

38a The word "being" means what is; and "what is" means what is there (real being); but "what is" also means what is true. The proposition "it is" means it is there, but "it is" also means it is true. These are the two uses of the word "being" (and of the word "is") which St. Thomas appears to have in mind when he writes here: "the word 'being,' taken without qualifiers, has two uses." (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Seiendes: 1 real, Vernunftding, wahr in der Aussage (Proposition); 2 essentiell, akzidentell; 3 Substanz, Akzidenz; 4 aktuell, potentiell

Kurzinhalt: We have seen four divisions of the uses of the word "being" (these are divisions as well of uses of the word "is"): ... To summarize, now, and to clarifiy: (1) The main point of division I is to focus on two basic uses of the word "being" when ...

Textausschnitt: Other Uses of the Word "Being"

38b In his Commentary on Aristotle's Metaphysics St. Thomas discusses a number of uses of the word "being." In addition to its use apropos of real beings and the truth of propositions, there is its use (1) in an essential sense as opposed to an accidental sense, its use (2) apropos of substances and accidents, and its use (3) in a potential sense as opposed to an actual sense:

He [Aristotle] says therefore that the word "being" is sometimes used essentially, sometimes accidentally. And we must note that this division of the word "being" is not the same as its division into substance and accident ...1 Then he divides the word "being" into potency and act ...2

38c (1) Essential (secundum se or per se) as opposed to accidental (secundum accidens or per accidens). When we talk about things, we talk about them in statements or propositions; and in propositions a predicate is said of a subject. Sometimes the predicate is, or at least belongs as a part to, what the subject is; e.g., man is an animal, man is a substance; whiteness is a color, whiteness is an accident. Being an animal and being a substance belong as a part to what man is. Being a color and being an accident belong as a part to what whiteness is. The "is" in such propositions has the sense of is essentially; e.g., "man is an animal" has the sense of man is essentially an animal. Sometimes the predicate does not belong to what the subject is; e.g., man is white, man is thin; whiteness is round, whiteness is human. The "is" in such propositions does not have the sense of is essentially; rather it has the sense of is accidentally, the sense of happens to be. (Fs) (notabene)

39a This can be put in another way. Combining predicates with subjects, we get the following descriptions: (a) the animal man, (b) the substance man, (c) the color whiteness, (d) the accident whiteness; and each of the four is said to be a being in an essential sense. We also get the following descriptions: (e) the white man, (f) the thin man, (g) the round whiteness, (h) the human whiteness; and each of these is said to be a being in an accidental sense. (Fs)

39b The preceding can perhaps be made clearer if it is put in this way. Would we call any of the combinations just listed a being; e.g., would we call the animal man a being? Since each is something which is there as something positive, we would readily say that each of the eight is a being, but not in the same sense. We would immediately notice a basic difference between the first four, on the one hand, and the last four, on the other. In (a), whereas being an animal does not include in its explicit meaning being a man, being a man does include being an animal. The same thing is to be noted about the two notions expressed in (b), (c), and (d); one of each set of two includes in its explicit meaning the other; the two are essentially connected. And this is why, when each combination is called a being, it is called a being in an essential sense. In the last four neither of the two notions includes the other; the two are only accidentally connected. And this is why, when each of these combinations is called a being, it is called a being in an accidental sense. (Fs)

40a Thus, when a thing (whether it is there in the sense in which Jack is there, or in the sense in which Jack's height is there) is described in terms of one or more of those of its characteristics which pertain to what it is, it is called, so described, a being in an essential sense. When, on the other hand, it is described in terms of characteristics, one at least of which does not pertain to what it is, it is called, so described, a being in an accidental sense, if it is called a being at all. (Fs)

40b (2) Substance and accidents. If we say that man is a substance, not only do we see that being a substance belongs to what man is but we also understand what being a substance means. Indeed, we must understand what it means before we can see that it belongs to what man is. To be a substance means to be what is or what exists, to be there simply and as something positive, in the sense in which Jack is there (see page 32). So, too, if we say that whiteness is an accident, not only do we see that being an accident belongs to what whiteness is but we also understand what being an accident means. To be an accident means to be what exists in something which is what exists simply, to be there as something positive in what is there simply, to be there in the sense in which Jack's height is there. An accident is such that it is dependent on a subject, ultimately a substance, in which to exist. A substance is such that it is independent of a subject in which to exist; there is no subject in which it exists, for it is the existing subject; this is what it means to say that substance is what exists. What exists is substance; what exists in substance is accident. And this is why we readily predicate the word "being" of things which are there in the way in which Jack is there, and, only after hesitating and reflecting, of things which are there in the way in which Jack's height is there. (Fs)

41a It is to be noticed that to say that a substance is independent in its existence is to attribute to it but a relative independence. A substance is not absolutely independent; if it were, it would be God. Its independence is only an independence of a subject in which to exist; it may have any number of other sorts of dependencies. For example, Jack depends on food, air, sunlight, God, all the while being independent of a subject. (Fs)

41b (3) Actual and potential. The word "being" (or the word "is") is used in an actual sense when it is used apropos of things which are there in the sense we have in mind when we say, "There is a man on the comer," when there in fact is a man on the corner; i.e., in the sense of being there at all as opposed to being there rather than somewhere else. It is used in a potential sense when it is used apropos of things which are not there in the sense in which there is a man on the corner, but things which can be there in that way; e.g., as when with an acorn in my hand I say, "There's an oak tree in my hand," or as when with a five-dollar bill in my hand, which I have marked for clever investment, I say, "There's a million dollars in my hand." (Fs) (notabene)

41c It is to be noted that things of which we use the word "being" in a potential sense are such that considered per se they actually are not, like nothing (in its strongest sense; see page 35); but unlike nothing, they are such per se that they can be there actually. Nothing per se neither is nor can be. One must also notice that although things of which we use the word "being" in a potential sense do not actually exist per se, they do actually exist; but they exist per accidens, where per accidens means by virtue of the actual existence of another; e.g., the oak tree exists per accidens, i.e., by virtue of the actual existence of the acorn which I hold in my hand. Nothing, on the contrary, exists neither per se nor per accidens. (Fs)

41d We have seen four divisions of the uses of the word "being" (these are divisions as well of uses of the word "is"):

I. "being"
1) real
2) of reason
3) true

II. "being"
4) essential (per se)
5) accidental (per accidens)

III. "being"
6) substance
7) accident

IV. "being"
8) acutal
9) potential

42a To summarize, now, and to clarifiy: (1) The main point of division I is to focus on two basic uses of the word "being" when this word is used by itself or simply, i.e., without expressed verbal qualifiers of any kind. This, namely without expressed verbal qualifiers, is what St. Thomas means by the expression per se when he writes, "ens per se dicitur dupliciter," which we have translated in (4) (see page 21) as: "the word 'being,' taken without qualifiers, has two uses." The word "being," used by itself or simply, means what is; and it is used first of all in the sense of what is there; it is used secondly in the sense of what is true. The proposition "it is" is used first of all in the sense of it is there; it refers first of all to real things. "It is" is used secondly in the sense of it is true; in this sense it is used to insist on the truth of propositions. We do not use the word "being" by itself or simply (or the word "is") apropos of beings of reason. We qualify it to make it say being of reason, or we qualify it to make it say non-being, where the being which is negated means what is there. (Fs)

42b (2) Divisions II, III, and IV are divisions of uses of the word "being" apropos of real beings. Their main point is to focus on the fact that the word "being," by itself or simply (so, too, the word "is"), is used first of all apropos of substances (secondly, apropos of accidents), first of all apropos of substances designated or described in terms of characteristics pertaining to what they are (secondly, apropos of substances designated in terms of characteristics not pertaining to what they are), first of all apropos of substances which are there actually (secondly, apropos of those which are there potentially). (Fs)


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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Seiendes - Substanz

Kurzinhalt: Further Remarks on Being as First Conceived by the Intellect ... what is there actually is first predicated of substances. It is clear that the word "substance" does not mean the same as the word "being"; the word "substance" includes, but ...

Textausschnitt: Further Remarks on Being as First Conceived by the Intellect

43a In terms of a reference to the uses of being as real, of reason, true, actual, and potential, one can express the content of being as first conceived in this way: what is actually there. Recall that our first intellectual knowledge is a knowledge whose explicit content is rooted in a sense experience and whose implicit content is being (see page 4). This implicitly grasped content, that to which we referred before as something-there, can now be expressed as real actual being, i.e., what is there actually. It is not to be expressed as what can be there (potential being), for what can be there is conceivable only by reference to what is there actually. Nor is it to be expressed as what is there as an absence (being of reason), for this too is conceivable only by reference to what is there actually. Nor, lastly, is it to be expressed as what is in the sense of what is true, for to make a true statement about what is there obviously presupposes a grasp of what is there, since conception is analytically prior to judgment. (Fs)

43b In terms of a reference to substance and accident, one can express that of which we first predicate the content of being as first conceived: what is there actually is first predicated of substances. It is clear that the word "substance" does not mean the same as the word "being"; the word "substance" includes, but adds to, the meaning of the word "being." But it is also clear that the meaning of the word "being" is first predicated of that of which we also predicate the word "substance." A sign of this is the easily observable fact that when we say of something that it is a being, we say this without hesitation only of that which is a substance. Only that which is a substance is a being without qualification, or simply; i.e., without the qualification of being in another, as is an accident. If it is not a substance, we hesitate to call it a being. We do not hesitate to call Jack a being, but we do hesitate, at first at least, to call Jack's height a being. Further, if we consider the word "being" used as subject of a sentence, we can easily observe that when we say something about a being, we say it about those things which are substances; for example, when we say all beings are God's effects, all beings refers to all substances. (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Wesen: Washeit, Form, Natur (Boethius, Aristoteles)

Kurzinhalt: Essence ... is what all that is real being has, and all that is true being has not; and the name "essence" is taken from its fundamental character as that through which and in which a real being is there: "But it is called essence from the fact that ...

Textausschnitt: Meanings of the Word "Essence"

46a Having noted that the word "being" (and the word "is") is used apropos of real beings and apropos of true beings (i.e., to signify the truth of propositions), St. Thomas points out in (5) that the meaning of the word "essence" is taken from the word "being" used in the first way, i.e., from its use apropos of real beings. This means that essence is that which all that is real being has. The meaning of the word "essence" can perhaps more clearly and precisely be formulated in terms of a reference to both of the uses of the word "being" distinguished in (4); thus, essence is that which all that is real being has and all that is true being has not. It can also be formulated in terms of a reference to beings of reason; thus, essence is that which real beings have, and beings of reason have not. (Fs)

46b What follows in (6) through (11) can be taken as answers to the question which one naturally wants to ask apropos of the meaning of the word "essence" given in (5). The question is this, Well, what is it that all that is real being has, and all that is true being has not?
46c The answer proposed in (6) is this: something by virtue of which real beings can be differentiated from one another and can be placed into one or other of the ten categories which were discovered, apparently, by Aristotle's philosophical reflections on everyday discourse (in any case recorded by him) and which are easily recognized as present in everyday English. Placeability into a category is being taken here in the sense in which a genus or a species is placed into a category, as opposed to the sense in which a principle or a part is placed into a category; e.g., prime matter is placed into the category of substance as a principle of substance, not as a species or a genus of substance. This description of essence goes by the name "essence."

47a The answer given in (7) is this: something which can furnish the answer to the question "What is it?" This description goes by the name "quiddity." That by which a real being can be placed into a category is what is put into the definition which expresses what the thing is (hence the name "quiddity"). This is what St. Thomas, following Aristotle, often calls the quod quid erat esse, or quod quid est esse, or quod quid est, or simply quid (rei).1 And it is to be distinguished from the quid nominis at least in this respect: to ask the question "What is it?" (the question about the quiddity of a real being) presupposes knowledge of the fact of the existence of the being; whereas the question "What does the word mean?" (the question of the quid nominis) is presupposed to asking the question "Is there such a thing?" (the question of an est). (Fs)

47b In (8) we are told that essence is something which constitutes the total determination or identity of a real being, in the sense of the totality of the thing's shared characteristics. This description, Avicenna's, goes by the name "form," not in the sense of the form of the part (forma partis), which is nothing other than the substantial form2 of a real being, and which is but part of its total identity, but in the sense of the form of the whole (forma totius), which is nothing other than what is expressed in the definition. (Fs)

47c In (9) we are told essence is something by which real beings can be grasped by the intellect, i.e., by which they are intelligible. This description, Boethius', goes by the name "nature." A real being is intelligible only by virtue of its essence, which is expressed in its definition. (Fs)

47d In (10) essence is something by which real beings are ordered to the performance of their proper operations or activities. This description, Aristotle's, goes by the name "nature." What a real thing does is determined by what it is. (Fs)

48a In (11) essence is something by virtue of which real beings are there as something positive. This description goes by the name "essence." And it is to be taken as the most fundamental of the answers to the question "What is it that all that is real being has, and all that is true being has not?" For, first of all, their being there as something positive is that by which real beings can be differentiated from one another (the answer given in [6]); it is that which furnishes the content of their definition (the answer in [7]); it is that which constitutes their total identity (the answer in [8]); it is that by which they are graspable by the intellect (the answer in [9]); it is that whereby they are ordered to the performance of their proper activities (the answer in [10]). Secondly, beings of reason can be said to share with real beings, at least in some way, though not per se, the following: (a) placeability in a genus and in a species—e.g., the relation genus is placed in the genus "logical intentions of the intellect's first operation"—(of course, beings of reason are not placed in a genus within one or other of the ten categories recorded by Aristotle); (b) definability of some kind; (c) a total identity of some kind; (d) a graspability by the intellect of some kind; and (e) the fact that they do according to what they are, e.g., a centaur is thought to do according to what it is thought to be. What beings of reason lack (and this is what true being, considered precisely as true being, also lacks) is being there as something positive; what they lack is something by virtue of which to be there. (Fs) (notabene)

48b Essence, thus, is what all that is real being has, and all that is true being has not; and the name "essence" is taken from its fundamental character as that through which and in which a real being is there: "But it is called essence from the fact that through it and in it a real being has existence." (Fs) (notabene)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Seiendes - analoges Wort; logische Intentionen; univok, äquivok, analog (Beispiel: gesund); Substanz, Akzidenz

Kurzinhalt: The word "being" is an analogical word. Its first predication and meaning is apropos of real being which is actual substance ... As regards the word "being," substance is prior to accident in our knowledge (intellectual) as well as in their reality...

Textausschnitt: The Word "Being" Is an Analogical Word.

52b St. Thomas' reason (perhaps) here for maintaining that essence is properly in substances, but only in some way with qualification in accidents, invites one to ask the question, What is an analogical word? An analogical word is conveniently understood in reference to the univocal word and to the equivocal word.1 A univocal word is a word said of many things with a meaning wholly the same; for example, the word "animal" said of John, Fido, and this horse is said of each with wholly the same meaning, namely, sensitive organism. An equivocal word is a word said of many things with meanings wholly diverse, for example, the word "pen" said of the writing instrument and of the enclosure for swine. An analogical word is a word said of many things with a meaning which is partly the same and partly different; different because each meaning includes a different relation; the same because each meaning includes a same meaning (which is for us humans, in some given context, the first meaning of the word) as a same point of reference. For example, the word "healthy" is said of many things in this way. Healthy said of animal is included in the meaning of healthy said of medicine; healthy said of medicine means cause of health in the animal. Further, healthy said of urine means sign of health in the animal; healthy said of climate means conservative of health in the animal. Healthy said of animal is the first meaning of the word "healthy," and it is included in all posterior meanings of the word "healthy."

53a The word "being" is an analogical word. Its first predication and meaning is apropos of real being which is actual substance (see page 40-42). The meaning of the word "being" so predicated is included in all posterior meanings of the word "being." For example, being said of accident means that which exists in being (the word "being" in the expression that which exists in being is being as said of substance) (for convenience, we shall use the word "substance" to stand for real being which is actual substance); being said of blindness, a privation, means absence of sight, and sight is an accident which is what exists in being (being, as said of substance); being said of nothing means negation of being (being, as said of substance).2 (Fs) (notabene)

53b The extension of an analogical word from its first predication and meaning to its posterior predications and meanings indicates what is first in our knowledge and what is posterior in our knowledge. It also points to the fact that we name things according as we know them, so that we name first what we know first. It is to be noted again that what is first in our knowledge, in the context of analogical words, may or may not be what is first in the reality of the things of which the analogical word is said (see page 51). As regards the word "being," substance is prior to accident in our knowledge (intellectual) as well as in their reality. It is prior to accident in our knowledge in at least two senses: (1) in the sense that our temporally first knowledge (all our knowledge by intellect is via sense experience) is a knowledge whose explicit content is a sense experience (not an intellectual grasp) of a sensible accident and whose implicit content is an intellectual grasp of something-there, i.e., being without qualification (see pages 4-5); (2) in the sense that it is included in the definition of the essence of an accident (see page 50). It is prior to accident in their reality in the sense that substance is that on which accidents depend, at least as on a proper subject, for their existence. The word "substance" (as well as the word "being") is said of composed substances before it is said of simple substances, since composed substances are prior in our knowledge; in their reality, however, simple substances are prior to composed substances. The word "essence" is used first to designate the essence of substances, then that of accidents; the essence of material substances, then that of immaterial substances. (Fs)

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Autor: Thomas Aquinas

Buch: Aquinas on Being and Essence

Titel: Aquinas on Being and Essence

Stichwort: Seiendes, logische (zweite) Intentionen; Philosophie (Dinge, nicht bloß Begriffe), Logik (nicht zweite Intentionen, sondern um ihre Relationen)

Kurzinhalt: ... intentions can be described as certain sorts of relations among anything and everything involved in the human way of knowing, so long as at least one of the relata is a concept... logic investigates secunda intellecta ... and not secundas intentiones.

Textausschnitt: Further Remarks on Second Intentions

54a Having considered the character of the analogical word, by way of contrast with the univocal and the equivocal word, one can very conveniently expand, and thereby make clearer, the notion of a second intention. (Fs)

54b The description of second intention given above (see pages 16-20) is but a first description, i.e., a description in terms of a reference to the first context in which one notices second intentions. This is the context of first intentions, of concepts about things in the real world. (Fs)

55a As one pursues an investigation of second intentions in the study of logic, relations among second intentions themselves are very quickly noticed. For example, it is easy to notice the relation of genus between the second intention supposition, on the one hand, and its ordinarily distinguished types—namely, proper and improper supposition (metaphor)—on the other hand. The relation of genus is also noticed within proper supposition, between proper, on the one hand, and its types—namely, real, logical, and material—on the other hand. Such relations are clearly second intentions arising out of the plurality of our concepts, in this case a plurality of second intentions based immediately on a plurality of first intentions. At this point, one can give a second description of second intention, a description in terms of a reference to a second and broader context. Second intentions are certain sorts of relations among any sorts of concepts, whether first intentions or not. (Fs)

55b There is a third context in which one can describe second intentions, a context conveniently exemplified by the analogical word. For a proper understanding of this context one must notice carefully that the human way of knowing (the human way of knowing is what gives rise to second intentions) involves not only (1) a plurality of concepts (we cannot know reality by but one concept) but also (2) the formation of this plurality with dependence on referents in the real world (our knowledge in this respect is quite unlike that of God) and (3) the use of words. In this context second intentions can be described as certain sorts of relations among anything and everything involved in the human way of knowing, so long as at least one of the relata is a concept. Thus the analogical word (so too the univocal word and the equivocal word) involves a triadic relation, a relation among three terms, only one of which is a concept; the other two are a word and the referents. In the case of the analogical word (as the word "healthy" previously discussed) the relation goes by the name of analogy, and is described as the relation which obtains among a word, concept, and referent when the same word is said of different referents with a concept or meaning which is partly the same and partly different (see page 53 for the exact sense of this partial sameness and partial difference). (Fs)

Kommentar (22/07/11): also im Beispiel "gesund" oben: Wort: gesund; Concept (Bedeutung): Inhalt von gesund; Referenten: Gesichtsfarbe, Medizin usw.

56a It is clear that the three contexts and the three corresponding descriptions of second intention are so related that the second includes the first, and the third the second; hence the third also the first. Thus the third description of second intention is to be taken as the most inclusive one. (Fs)

56b Apart from expanding, and thereby making clearer, the notion of a second intention, it is important to notice that it is in a sense misleading to say that logic is about second intentions as about a subject. For second intentions are concepts about certain sorts of relations among anything and everything involved in the human way of knowing. It is rather the noticed relations themselves which are the subject of logic. Here, as in any case in which the intellect is concerned to investigate something or other, it forms concepts about those things. But the concepts are the means by which the investigation is carried on, and not the things themselves which are investigated. Just as philosophy is not about first intentions, but rather about things in the real world by means of different sorts of first intentions; so too, logic is not about second intentions, but rather about the noticed relations themselves. And second intentions become the means by which the investigation is carried on. Most properly put, logic investigates secunda intellecta (see text on page 17), and not secundas intentiones. (Fs)

Kommentar (22/07/11): cf. secunda prima, secunda: 16c; zum Absatz oben mit anderen Worten; der Philosophie geht es um Wirklichkeit, nicht um Worte, die diese Wirklichkeit beschreiben, der Logik geht es um das in der Reflexion erfasste, die Beziehungen des so Erfassten und nicht bloß um die Bestimmung von Gattung, Art usw.

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_075a1; menschl Seele - Engel; Thomas: 2 Gründe, weshalb sie nicht zur selben Art gehören (Erkennen, Individuation); Origenes

Kurzinhalt: Origenes (+ 254) hatte gelehrt, Engel und Menschenseelen seien ursprünglich gleichartig gewesen ... Thomas gibt zwei Gründe an, weshalb Engel und Menschenseele nicht zur selben Art gehören können, freilich ohne die Gründe weiter zu entwickeln:

Textausschnitt: 7. ARTIKEL -- Menschenseele und Engel nicht von derselben Art

485a Die Selbständigkeit und die sie begründende übersinnliche Erkenntnisweise, die die menschliche Seele besitzt, legt es nahe, letztere mit den körperlosen Wesen, den Engeln, in Vergleich zu setzen. Die Engel, deren Dasein der Glaube lehrt, sind vollselbständige Wesen, "getrennt bestehende", d. h. in keiner Wesensbeziehung zum Körper stehende Formen. (Fs)
485b Origenes (+ 254) hatte gelehrt, Engel und Menschenseelen seien ursprünglich gleichartig gewesen; erst auf ihre freie Willensentscheidung für oder gegen Gott hin seien, je nach dem Grade ihrer Hinkehr zu Gott oder ihrer Abkehr von Ihm, verschiedene Arten verstandbegabter Wesen, Engel und Menschenseelen, entstanden (vgl. 47, 2: Bd. 4). (Fs)

485c Thomas gibt zwei Gründe an, weshalb Engel und Menschenseele nicht zur selben Art gehören können, freilich ohne die Gründe weiter zu entwickeln: den einen im 'Anderseits', wo er auf die Verschiedenheit der beiden eigentümlichen Verstandestätigkeit hinweist, die nach dem Grundsatz, daß das Tätigsein sich nach dem Sein richtet, auf eine Verschiedenheit in der Artnatur beider schließen läßt. Der Verstand des Engels sammelt seine Erkenntnisse von Gott nicht wie der Verstand des Menschen aus den sinnfälligen Dingen, sondern erkennt Gott natürlicherweise mittels seiner eigenen Substanz (vgl. 56, 3: Bd. 4). Der andere Grund ist in der Antwort enthalten, gilt aber geradeswegs für die Artverschiedenheit der einzelnen "getrennt bestehenden" Formen und nur nebenbei für die Artverschiedenheit des Engels und der menschlichen Seele. Da Thomas auch hier wieder die von ihm bereits im 5. Art. zurückgewiesene Ansicht der Franziskanerschule von der Zusammensetzung der körperlosen Wesen aus Form und Stofl berücksichtigt, spricht er zunächst vom körperlosen Wesen, das diese Zusammensetzung nicht hat, sondern einfach Form ist. Weil dieser Form der Untergrund, der Stoff fehlt, durch den allein nach seiner Lehre eine zahlenmäßige Vervielfältigung der Formen unter Beibehaltung derselben Art möglich ist, ist sie notwendig die einzige ihrer Art. Die Form, die ganz allgemein das ist, wodurch ein Wesen das ist, was es ist, ist eben der Grund der Artbestimmtheit; Veränderungen an der Form verändern die Art. Sind daher viele reine Formen, so sind sie artlich verschieden. Sie unterscheiden sich durch sich selbst; jede ist eine Art für sich, die einzige Verwirklichung ihrer Art. Anders verhält es sich mit den Formen, die in den Stoff aufgenommen werden, wovon gleich die Rede sein wird. (Fs)

486a Weil seine Gegner trotz ihrer Ansicht von der Zusammensetzung der Geistwesen aus Form und Stoff neben seiner Lehre von der Unzerstörbarkeit auch die von der Artverschiedenheit der Engel und der Menschenseelen teilen, sucht Thomas sodann auch von deren Standpunkt aus seine Lehre zu begründen. Bildet nämlich, so sagt er, die Form den inneren Grund der stofflichen Verschiedenheit der zusammengesetzten Geistwesen, dann liegt — wie bei seiner eigenen Auffassung von der Einfachheit derselben — eine Verschiedenheit der Art vor: eben weil die Form der Grund der Artbestimmtheit ist. Wird aber der Stoff als der Grund der Verschiedenheit der Formen bezeichnet, so fehlt diesem, weil die geistigen Wesen auch nach Ansicht derer, die sie aus Form und Stoff zusammengesetzt sein lassen, keine Ausdehnung besitzen, gerade die Bestimmung, durch die allein der Stoff bei den körperlichen Dingen Grund der nur zahlenmäßigen Vervielfältigung derselben, unter Wahrung der artlichen Einheit, ist und sein kann: es fehlt dem Stoff (des Geistwesens) die Beziehung zur Ausdehnung, durch die er in der Körperwelt von jedem andern Stoff geschieden, d. h. selbst vereinzelt und so imstande ist, die in ihn aufgenommene Form und das ganze Wesen zahlenmäßig zu vereinzeln. Es fehlt somit den Geistwesen, auch wenn man sie aus Form und (unausgedehntem) Stoff zusammengesetzt sein läßt, der Grund einer rein zahlenmäßigen Vereinzelung, und folglich sind sie einzeln artlich verschieden. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_075a1/2; Individuation (Stoff, materia prima, Quantität, Ausdehnung)

Kurzinhalt: Der Stoff, der die Körpersubstanz der Zahl nach unterscheidet und vereinzelt, ist also nicht der Stoff an und für sich... Dies ist vielmehr der durch die Hinordnung zur Ausdehnung bestimmte und geteilte Stoff.

Textausschnitt: Der Stoff als Grund der Vereinzelung

486b Was die "Teilung des Stoffes gemäß der Ausdehnung", bzw. den durch die Ausdehnung bezeichneten Stoff als Grund (wurzelhaften Grund, principium individuationis radicale) der Einzelheit körperlicher, aus Stoff und Form zusammengesetzter Substanzen angeht, sei, da Thomas immer wieder davon spricht, folgendes bemerkt. Der Stoff ist an und für sich der allen körperlichen Substanzen gemeinsame, ganz unbestimmte Untergrund. In den Einzeldingen jedoch vervielfältigt er die Form und die ganze Substanz rein der Zahl nach, ohne eine Artveränderung zu verursachen, weil er die artbestimmenden Formen nicht als solche, sondern rein dem aufnehmenden Untergrund nach voneinander verschieden macht: die Form ist diese und jene, einzig weil sie in diesem und jenem Stoffe ist; jede hat zu einem durch die Ausdehnung bezeichneten Stoff eine wesenhafte Beziehung, die ihr innerlich ist und ihr bleibt, auch dann, wenn sie, wie die Menschenseele, vom Stoff getrennt wird. Dieser Stoff verhindert auch als letzter unmitteilbarer Untergrund jede weitere Vervielfältigung: er macht die Substanz zu einer unteilbaren und an weitere Untergeordnete unmitteilbaren; und das heißt: er macht sie zum Einzelding. Denn Einzelding ist das an Untergeordnete Unmitteilbare (die Art dagegen ist an Untergeordnete, an Einzeldinge mitteilbar, das Menschsein z. B. an die einzelnen Menschen). Der Stoff, der die Körpersubstanz der Zahl nach unterscheidet und vereinzelt, ist also nicht der Stoff an und für sich. Denn dieser ist unbestimmt und allen körperlichen Dingen gemeinsam; er kann daher als solcher nicht Grund der Einzelheit, Grund des zahlenmäßigen Unterschiedes sein. Dies ist vielmehr der durch die Hinordnung zur Ausdehnung bestimmte und geteilte Stoff. Unter allen Akzidentien unterscheidet nämlich einzig die Ausdehnung durch ihr Wesen sich selbst der Zahl nach von jeder andern Ausdehnung derselben Art, und zwar durch die Stellung, die Ordnung des Nebeneinander; aus ihrem Wesen heraus besagt die Ausdehnung Teile, die durch die bloße Stellung schon der Zahl nach voneinander verschieden sind. Sie hat also aus sich selbst eine Weise der Vereinzelung. Daher ist sie notwendige Bedingung zur Vereinzelung der Substanz als ganz allgemein geforderte Ausdehnung, die die Stoffteile bezeichnet und als geteilte Ausdehnung sie voneinander abteilt. Unter dieser Voraussetzung dient der Stoff als Grund der Einzelheit. Denn durch sein eigenes Wesen (als letzter Untergrund) ist er jetzt jedem anderen Stoff, von dem er abgeteilt ist, unmitteilbar; er ist daher auch durch sich selbst vereinzelt und geeignet, die Form und die Substanz zu vereinzeln. Wodurch besitzt aber der Stoff die Hinordnung zur Ausdehnung, durch die er imstande ist, Grund der Einzelheit zu sein? Um dies zu erkennen, muß man auf die Erzeugung der körperlichen Substanz zurückgehen. Nach thomistischer Lehre verliert bei der Erzeugung einer Substanz jedesmal eine andere ihre substantielle Form, während der erste Stoff zurückbleibt und den Untergrund bildet für die substantielle Form, die der neuen Substanz die Artbestimmtheit gibt. Die Erzeugung eines Wesens bedeutet also immer die Zerstörung eines andern. Es findet eine Auflösung bis zum ersten Stoff statt, so daß weder eine substantielle noch eine akzidentelle Form verbleibt. Sobald aber die bisherige substantielle Form und deren akzidentelle Formen aufhören, den Stoff zu bestimmen, wird vom Erzeugenden alsogleich eine neue substantielle Form mit den ihr entsprechenden akzidentellen Formen hervorgebracht. Nun geht aber der Zerstörung der alten Substanz stets eine beschaffenheitliche Veränderung vorher, durch die an der zu zerstörenden Substanz Akzidentien hervorgebracht werden, die diesen Untergrund so zubereiten, daß er seine substantielle Form verlieren muß, um eine andere zu erwerben. Deshalb werden diese Akzidentien die vorhergehenden Stoffzubereitungen genannt. Sie gehen zwar auch mit der alten substantiellen Form unter. Kraft dieser untergehenden Zubereitungen jedoch ist der Stoff genügend vorbereitet, die neue substantielle Form mit den ihr entsprechenden Akzidentien aufzunehmen. Denn dadurch, daß das Erzeugende an der zu zerstörenden Substanz allmählich immer mehr und mehr die der zu erzeugenden Substanz entsprechenden Beschaffenheiten hervorbringt als vorhergehende Stoffzubereitung für die neue substantielle Form, gelangt das Erzeugende dazu, durch die Zeugungstat die neue Substanz zu verursachen und mit ihr auch deren eigentümliche Beschaffenheiten und sonstige Akzidentien als nächste Stoffzubereitung für die neue Form. So steigert z. B. die elektrische Kraft, die Wasser zersetzt, an dem einen Teil der Wassermolekel immer mehr und mehr die dem Wasserstoff zukommende, an dem andern Teil ebenso die dem Sauerstoff zukommende Beschaffenheit. Die der je zuhöchst gesteigerten Beschaffenheit entsprechende neue Beschaffenheit aber wird von der elektrischen Kraft im Augenblick der Zeugung an den neu entstandenen Substanzen von Wasserstoff und Sauerstoff hervorgebracht als nächste Stoffzubereitung für deren Formen. Diese die Aufnahme der neuen substantiellen Form begleitenden nächsten Stoffzubereitungen sind die eigentümlichen Akzidentien der neuen Substanz, die mit ihr fest verknüpft sind und endgültig ihren Stoff geeignet machen für die neue substantielle Form. Sie sind die Vollendung der vorhergehenden Stoffzubereitungen. Als stofflich vorbereitende Ursachen gehen sie der Form vorher; diese hängt von ihnen ab, denn sie kann dem Stoff die neue Wirklichkeit nur geben kraft dieser Akzidentien. Umgekehrt aber werden dieselben Akzidentien von der substantiellen Form verursacht und hängen von ihr ab als von ihrer Formalursache im Sein: die Ursachen sind sich gegenseitig Ursachen (vgl. Anm. [52]). (Fs)

488a Nun geht aber unter den Akzidentien selbst die Ausdehnung als das erste Akzidens allen übrigen als Zubereitung zu ihnen vorher. Denn nur mittels der Ausdehnung kommen die übrigen körperlichen Akzidentien der Substanz zu. Der Stoff ist nämlich nur zubereitet zu dieser der Zahl nach bestimmten Form, weil er zubereitet ist zu dieser Ausdehnung, ebenso wie er nur zubereitet ist zu dieser Art von Form, weil er zu den Akzidentien zubereitet ist, die von dieser Art gefordert sind. Infolgedessen ist der Stoff schon unterschieden von dem übrigen Stoff und geschieden, d. h. als abzuteilend gezeichnet, bevor die neue Ausdehnung tatsächlich da ist, ja auch bevor die neu zu erzeugende substantielle Form da ist, weil er kraft der vorhergegangenen Stoffzubereitung sich gerade auf diese Ausdehnung bezieht und sie fordert. So ist, wenn Wasser zersetzt wird, der Stoff der Wassermolekel durch die vorhergegangene Steigerung der dem Wasserstoff und dem Sauerstoff entsprechenden Beschaffenheiten in zwei Teile geschieden, deren einer nun Wasserstoff und der andere Sauerstoff wird. Ebenso ist, wenn ein Mensch stirbt, sein Stoff in viele Teile geschieden, entsprechend den organischen Stoffen, die dann entstehen. Das Gezeichnetwerden durch die Ausdehnung geschieht demnach nicht durch die dem Ding tatsächlich innehaftende Ausdehnung, denn Größe und Gestalt können wechseln am Einzelding, dieses bleibt aber dennoch dasselbe. Das Gezeichnetsein [eg: geschieht] vielmehr in einer wesenhaften Beziehung des Stoffes zu einer nicht bestimmt begrenzten Ausdehnung, d. h. zur Ausdehnung, sofern sie auf die Einzelheitsbestimmung einen Einfluß hat, nicht nach ihrer bestimmten Größe und Gestalt, sondern einzig als durch die Stellung von jeder andern Ausdehnung unterschiedene und geschiedene. (Fs)

Kommentar (23.11.11): zu oben: "Der Stoff ist nämlich nur zubereitet zu dieser der Zahl nach bestimmten Form ..." Kann die Form der Zahl nach bestimmt sein?
Zum Beispiel mit dem Wasser: wie in der Infinitesimalrechnung sind die Übergänge nicht zu fassen.

488b In solcher Weise läßt die thomistische Philosophie den durch die Ausdehnung gezeichneten Stoff wurzelhaften Grund der Einzelheit und damit Grund der zahlenmäßigen Vervielfältigung der körperlichen Substanzen innerhalb derselben Art sein. Die Ausdehnung ist nicht der Grund der Einzelheit, sie ist nur die Bedingung dazu, daß der Stoff als Grund der Einzelheit dienen kann. — Wo aber die Ausdehnung fehlt, so sagt Thomas, da kann auch von einer zahlenmäßigen Vervielfältigung der Substanzen innerhalb derselben Art keine Rede sein, da sind die einzelnen Substanzen artlich verschieden, selbst wenn sie, wie die Franziskanertheologen wollen, aus Form und (unausgedehntem) Stoff zusammengesetzt sein sollten (vgl. zum Ganzen GrPh 1, 236 ff.; ferner G. M. Manser, Das Wesen des Thomismus, 1935, S. 617 ff.; J. Assenmacher, Die Geschichte des Individuationsprinzips in der Scholastik, 1926). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_075 allgemein

Kurzinhalt: Daß der Mensch eine Seele hat, weist Thomas nicht eigens nach... Leben findet sich 'bei uns' in körperlichen Wesen. Deshalb ist die zunächstliegende Frage die: ist die Seele ein Körper?

Textausschnitt: 75. FRAGE --DIE SEELE AN SICH BETRACHTET

473a Daß der Mensch eine Seele hat, weist Thomas nicht eigens nach. Der Mensch ist ein Lebewesen. Lebewesen aber haben eine Seele. "Beseelt nennen wir das, was lebt; unbeseelte Dinge dagegen jene, die des Lebens entbehren" (Art. 1 Antw.). Thomas geht also von der allgemeinen Überzeugung der Menschen aus. Die Lebensäußerungen — es werden in derselben Antwort als die hauptsächlichsten Erkenntnis und Bewegung angegeben — müssen auf einen ihnen entsprechenden Wesensgrund zurückgeführt werden. Sie sind Akzidentien, die kommen und gehen, müssen also einen substantiellen, beharrenden Träger und Untergrund haben. "Die Seele wird der erste Lebensgrund in jenen Wesen genannt, die bei uns leben" (ebd.). Wiederum wird die Auffassung des gesunden Menschenverstandes als Bürge angerufen. Übrigens ist ja die Erforschung des Wesens der Seele selbst ein ständiger Nachweis ihres Vorhandenseins. (Fs)

473b Leben findet sich 'bei uns' in körperlichen Wesen. Deshalb ist die zunächstliegende Frage die: ist die Seele ein Körper? (1. Art.) In ihrer "sich über die sinnliche Vorstellung nicht erhebenden" Denkart haben die Naturphilosophen des Altertums (vgl. Anm. [2]) diese Ansicht vertreten. Da dieselbe abgelehnt wird, folgt die zweite Frage nach der Unabhängigkeit vom Körper oder der Selbständigkeit der menschlichen Seele (Art. 2), der sich die Frage nach der diesbezüglichen Beschaffenheit der Tierseelen anschließt (Art. 3). Der Menschenseele muß eine gewisse Selbständigkeit zugesprochen werden, so daß die Frage auftauchen kann, ob die Seele nicht der ganze Mensch ist (Art. 4). Da dieselbe verneint, vielmehr das aus Seele und Leib Zusammengesetzte als 'der Mensch' erkannt wird, erhebt sich die weitere Frage, ob die Seele selbst nicht auch eine Zusammensetzung aus Stoff und Form ist (Art. 5). Sie wird aber als etwas Einfaches erwiesen, wodurch sich die Fragen nach ihrer Fortdauer nach dem Tode des Menschen (Art. 6) und nach ihrem Verhältnis zur Wesenheit des reinen Geistes oder Engels (Art. 7) von selbst ergeben. So läßt sich eine stetige Aufwärtsentwicklung vom rein Körperlichen bis zum rein Geistigen hinsichtlich der Frage nach der Wesenheit der Seele beobachten. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_076 allgemein

Kurzinhalt: Es sind also meistens Gegner der thomistischen Lehre, die in der 76. Untersuchung die Einzelfragen veranlaßt haben.

Textausschnitt: 76. FRAGE -- DIE SEELE IN IHRER VEREINIGUNG MIT DEM LEIBE

490a Was bei der Betrachtung der Seele in ihrem Ansich wiederholt angedeutet worden ist, kommt jetzt ausführlich zur Darstellung: die Art und Weise ihrer Verbindung mit dem Leibe. Im 1. Artikel wird die Seele gegen Plato und Averroes (Ibn-Roschd, 1126—1198), den "Erklärer" des Aristoteles, als Form des Leibes erwiesen. Da aber zu seiner Zeit namentlich die sogenannten lateinischen Averroisten an der Universität zu Paris, Siger von Brabant (+ 1282) und Boethius von Dazien (+ 1284), an der von ihrem Meister aufgebrachten Meinung festhielten, es gebe für alle Menschen nur ein Verstandeswesen, an dem jeder einzelne teilnehme, verteidigt Thomas im 2. Artikel eine Mehrheit der Verstandesseelen gemäß der Zahl der menschlichen Leiber. Hat somit jeder Mensch seine eigene Seele, so besitzt er doch nur diese eine; die Auffassung Platos, daß in jedem Menschen drei Seelen, außer der vernünftigen auch noch eine Sinnen- und eine Ernährungsseele sei, muß abgelehnt werden (Art. 3). Aber auch die Ansicht der Franziskanertheologen, daß außer der vernünftigen Seele noch eine substantielle Form im Menschen sei, lehnt Thomas energisch ab (Art. 4). Als Urgrund der geistigen Erkenntnistätigkeit besitzt die Seele einen Leib, der ihrem Wesen entspricht, der so beschaffen ist, daß er ihr bei ihrer auf die Sinne und damit auf den Körper angewiesenen Verstandestätigkeit dienlich sein kann (Art. 5). In den beiden folgenden Artikeln werden jene widerlegt, die irgendein Mittelding zwischen Seele und Leib einschalten, sei es ein Akzidens oder einen Körper. Im letzten Artikel wird die Anwesenheit der Seele in jedem Teil des Körpers verteidigt und näher bestimmt. Es sind also meistens Gegner der thomistischen Lehre, die in der 76. Untersuchung die Einzelfragen veranlaßt haben. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_076a1; Seele als erster Lebensgrund; Verstandestätigkeit -> Wesen d. S.; Averroes (falsche Interpretation von Aristoteles): "getrennter" Verstand; Plato: S. als "Lenker" d. Leibes; S. u. Leib als Teilgründe

Kurzinhalt: ... Lehre des Aristoteles gerechtfertigt ... nach der die verstandbegabte Seele der formliche, der Körper der stoffliche Teilgrund, das aus Seele und Körper Zusammengesetzte aber der einheitliche Ganzgrund der dem Menschen zukommenden Tätigkeiten ist ...

Textausschnitt: 1. ARTIKEL -- Der Grund der Verstandestätigkeit Form des menschlichen Leibes

490b Thomas gibt zuerst die Beweisführung des Aristoteles. Nach dieser ist die menschliche Seele als erster Lebensgrund das Erste, wodurch wir die verschiedenen menschlichen Tätigkeiten, namentlich die Denktätigkeit, ausführen; anderseits ist die Wesensform das Erste, wodurch ein Ding in Wirklichkeit ist (Sosein und Dasein hat) und tätig ist. Folglich ist die menschliche Seele, sofern sie Grund der Verstandestätigkeit ist, mit dem Leib als Form vereint. Es ist wiederum die der Erfahrung zugängliche Tätigkeit der Seele, von der aus auf ihre Wesenheit geschlossen wird. — Die Gegner berücksichtigend, fährt Thomas fort: wenn der Grund der Verstandestätigkeit nicht als Form mit dem Leib vereint ist, auf welche Weise kann dann das Denken noch Tätigkeit des einzelnen Menschen sein, "da doch ein jeder die Erfahrung macht, daß er selbst es ist, der denkt"? Weil der Mensch nicht mit seinem Ganzen denkt — er ist nicht allein verstandbegabte Seele, wie bereits 75, 4 gegen Plato dargetan wurde: er verrichtet auch noch andere Tätigkeiten, an denen der Leib beteiligt ist —, so kann der Grund der Denktätigkeit, die verstandbegabte Seele, nur ein Teil des Menschen sein, der mit dem andern Teil, dem Leib, vereint ist. (Fs) (notabene)

491a Wie soll nun aber diese Vereinigung in einer beiden Wesensteilen gerecht werdenden Weise statthaben? Averroes hatte, die Lehre des Aristoteles von dem "getrennten" Verstand, der zwar unabhängig vom Leib, aber doch nicht außerhalb desselben Dasein hat, mißverstehend, angenommen, es komme für alle Menschen nur ein Verstandeswesen in Betracht, mit dem der einzelne Mensch in der Weise in Verbindung trete, daß die geistigen Erkenntnisbilder, mittels deren der Mensch denkt, sowohl in diesem getrennt bestehenden Verstand als auch in der Phantasie und damit in einem körperlichen Organ des Einzelnen ihren Sitz hätten. Plato und seine Anhänger hielten die Seele für den Beweger des Leibes, in dem sie gleichsam als sein Lenker wohne. Beide Auffassungen sind jedoch aus mehreren Gründen unhaltbar, so daß die Lehre des Aristoteles gerechtfertigt erscheint, nach der die verstandbegabte Seele der formliche, der Körper der stoffliche Teilgrund, das aus Seele und Körper Zusammengesetzte aber der einheitliche Ganzgrund der dem Menschen zukommenden Tätigkeiten ist (vgl. S. 479 ff.). (Fs) (notabene)

Der Wichtigkeit der Sache entsprechend, fügt Thomas noch eine weitere Begründung bei, indem er auf den im 'Anderseits' ausgesprochenen Gedanken zurückgreift: der Urgrund der dem Menschen eigentümlichen Tätigkeit gibt diesem die Artbestimmung. Und da in jedem Ding die Form das Artbestimmende ist, muß der Urgrund der Verstandestätigkeit als der dem Menschen eigentümlichen Tätigkeit die Wesensform des Menschen sein. (Fs)

491b Wenn nun auch die menschliche Seele als Urgrund der Verstandestätigkeit Form des Leibes ist, so bleibt doch zurecht bestehen (was in der 75. Frage wiederholt ausgesprochen wurde), daß dieser Urgrund der Verstandestätigkeit, der entferntere, substantielle sowohl: die verstandbegabte Seele, als auch der unmittelbare, akzidentelle: das Verstandesvermögen, unabhängig vom körperlichen Stoff ist, da ja schon jede Form als solche den Stoff überragt, die menschliche Seele aber "die höchste im Adel der Formen ist". Den eigentlichen Beweis für die Stoffunabhängigkeit der Verstandesseele brachten die Artikel 2 u. 5 der 75. Frage. (Fs) (notabene)

491c Zum Schluß wird noch gesagt, daß, wenn die Seele selbst, wie die Franziskanertheologen lehrten, aus Form und Stoff zusammengesetzt wäre, sie dann nicht in ihrer Ganzheit als Form des Leibes gelten könnte, da sie doch dem körperlichen Stoff gegenüber Wirklichkeit ist. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_076a2; Unmöglichkeit der Annanhme: ein Verstand für alle

Kurzinhalt: so gibt es bei Annahme nur eines Verstandes bloß einen Denkenden; und da das Denken nicht wie die Sinneswahrnehmung mit Hilfe eines körperlichen Organes stattfindet, auch nur eine Denktätigkeit: alle Menschen wären ein Denkender mit einer Denktätigkeit.

Textausschnitt: 2. ARTIKEL -- Vielheit der Menschenseelen

492a Das Ansehen, das die Verteidiger der Einzigkeit des Verstandes (eines Verstandeswesens) zu seiner Zeit besaßen, und der Umstand, daß diese Lehre folgerichtig zur Aufhebung der persönlichen Verantwortung und der persönlichen Unsterblichkeit des Einzelnen führen müßte, veranlaßt den hl. Thomas, in einem eigenen Artikel die Vielheit der verstandbegabten Seelen zu verteidigen: 1. Nach der Ansicht Platos ist die verstandbegabte Seele der ganze Mensch. Wenn nun Sokrates und Plato nur einen Verstand haben, sind sie ein Mensch und unterscheiden sich nicht substantiell, sondern nur ganz nebensächlich voneinander. 2. Nach Aristoteles ist die Seele Wesensform. Es ist aber unmöglich, daß mehrere der Zahl nach verschiedene Wesen nur eine Form haben: sie hätten nur ein Sein, da die Form das Sein gibt. 3. Wie immer man sich aber auch den einzigen Verstand mit diesem und jenem Menschen vereint denken mag: da der Verstand im Menschen das Haupttätige und alles andere, worin oder wodurch sich der Verstand in dem Einzelnen betätigen soll, Werkzeug ist, so gibt es bei Annahme nur eines Verstandes bloß einen Denkenden; und da das Denken nicht wie die Sinneswahrnehmung mit Hilfe eines körperlichen Organes stattfindet, auch nur eine Denktätigkeit: alle Menschen wären ein Denkender mit einer Denktätigkeit. Wenn der Gegenstand wechselt, ist freilich auch eine neue Denktätigkeit da, aber das beweist noch keine Mehrheit von Denkenden. Auch die Verschiedenheit der Phantasiebilder in den einzelnen Menschen spräche weder für die Verschiedenheit der Denktätigkeiten noch für die der Denkenden (vgl. Art. 2). Denn die Phantasiebilder sind nicht die Form, mittels derer der Verstand erkennt, sondern die aus den Phantasiebildern mit Hilfe des tätigen Verstandes gewonnenen geistigen Erkenntnisbilder (vgl. Fr. 85). Und zwar wird gewöhnlich aus mehreren Phantasiebildern in einem Menschen ein geistiges Erkenntnisbild gewonnen, das einer Denktätigkeit dient, so daß die Verschiedenheit der Phantasiebilder in den einzelnen Menschen auch aus diesem Grund nicht für eine Verschiedenheit der Denktätigkeit in Betracht kommen könnte. "Es ergibt sich also, daß es ganz und gar unmöglich und ungereimt ist, nur einen Verstand für alle Menschen anzunehmen."

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_076a3; Gnostiker, Manichäer: 3 Wesensgründe im Menschen; Thomas: nur eine Seele, weil: a) Form gibt das Sein; b) logische Aussage, 3 Arten: S ist P (Mensch ist ein Lebewesen: metaphysische Wesensteile;

Kurzinhalt: Der innere Kampf, den wir in uns erfahren, wenn ... beweist keine von der vernünftigen Seele sachlich verschiedene sinnliche Seele. Er beweist vielmehr die Einheit beider. Denn wir erfahren in uns nicht zwei Bewußtseinsträger, deren einer gegen ...

Textausschnitt: 3. ARTIKEL -- Die Verstandesseele die einzige Seele im Menschen

492b Ob Plato die drei Seelen als sachlich voneinander verschiedene Substanzen ansah oder ob er sie nur der Kraft nach voneinander unterschied, steht nicht fest. Einige Gnostiker und mittelalterliche Platoniker nahmen im Menschen drei voneinander verschiedene Seelen an. Viele Gnostiker und die Manichäer unterschieden im Menschen drei Wesensgründe: einen Leib, eine gute und eine böse Seele (Trichotomismus). Andere, wie Apollinaris (um 375), Occam (+ 1347), Günther (+ 1861) und Baltzer (+ 1871) sprachen von zwei sachlich verschiedenen Seelen im Menschen, von einer vernünftigen und einer sinnlichen. Demgegenüber beruft sich Thomas darauf, daß der Mensch nur ein einziges Lebewesen ist. Er hat also nur eine Wesensform. Denn die Form gibt dem Ding schlechthin Sein und Einheit. Wesensform des Menschen ist aber die vernünftige Seele (Art. 1). Folglich hat der Mensch nur diese eine vernünftige Seele. Hätte er der dreifachen Lebenstätigkeit entsprechend drei Seelen, also drei Formen, so wäre die Einheit seines Wesens aufgehoben. Diese bezeugt ihm aber, wie im 1. Artikel hervorgehoben ist, sein Bewußtsein: "Es ist derselbe Mensch, der von sich erkennt, daß er sowohl denkt als auch sinnlich erkennt." "Die Seele ist das Erste, wodurch wir uns ernähren, sinnlich wahrnehmen, uns räumlich bewegen, und ebenso das Erste, wodurch wir denken" (ebd.). — Derselbe Mensch also, der sich durch den auf sich selbst zurückgehenden Verstand als denkend erkennt, erkennt sich auch, ebenfalls durch den Verstand und mittels des Tast- und Gemeinsinnes, als sinnlich empfindenden Körper, der sich ernährt und wächst. Der innere Kampf, den wir in uns erfahren, wenn das sinnliche Begehren zu einem sinnlichen Gut hinneigt, das dem geistigen, vom Willen erstrebten Gut entgegen ist, beweist keine von der vernünftigen Seele sachlich verschiedene sinnliche Seele. Er beweist vielmehr die Einheit beider. Denn wir erfahren in uns nicht zwei Bewußtseinsträger, deren einer gegen den anderen kämpft, sondern einen und denselben, der nach zwei verschiedenen Seiten gezogen wird (vgl. GrPh 1, 348). (Fs)

Kommentar (25.11.11): zu oben: schönes Beispiel für Thomas' Wissen um Interiorität.

493a Zu dem zweiten Beweis, der sich auf die logische Aussageweise stützt, sei folgendes bemerkt: Leiten sich in einem Satz Satzgegenstand (Subjekt, S) und Satzaussage (Prädikat, P) von Formen oder Bestimmtheiten her, die sachlich voneinander verschieden sind, so liegt entweder eine zufällige Aussage vor: wenn nämlich die Formen nicht aufeinander hingeordnet sind; oder eine Aussage 'an und für sich', und zwar nach der zweiten Aussageweise des 'an und für sich': wenn die Formen so aufeinander hingeordnet sind, daß infolge dieser »Hinordnung das S in der Begriffsbestimmung des P steht. Ist aber die Form, von der S und P hergenommen werden, nur im Begriff zweifach auffaßbar, sachlich jedoch eine und dieselbe, so liegt eine Aussage nach der ersten Aussageweise des 'an und für sich', eine wesentliche Aussage vor. Im ersten Fall bezeichnet das P ein Akzidens des S, im zweiten eine Eigentümlichkeit und im dritten einen Wesensbestandteil. Bei dem Satz: das Weiße ist süß, handelt es sich um eine zufällige Aussage: die in Betracht kommenden Formen Weiß und Süß sind sachlich verschieden und haben keinerlei Hinordnung zueinander, und Süß-sein ist ein Akzidens des Weißen. Bei dem Satz: der Körper, der eine Oberfläche hat, ist gefärbt, handelt es sich um eine Aussage nach der zweiten Weise des 'an und für sich': die Formen, von denen sich S und P herleiten, Oberfläche und Farbe, sind sachlich voneinander verschieden und aufeinander hingeordnet, so daß das S in der Begriffsbestimmung des P steht und das P eine Eigentümlichkeit des S bezeichnet: die Oberfläche ist Voraussetzung der Farbe: ohne einen Körper mit einer Oberfläche ist ein Gefärbtsem nicht denkbar; und gefärbt zu sein ist dem Körper, der eine Oberfläche hat, eigentümlich. Wenn sich demnach in dem Satz: der Mensch ist ein Sinnenwesen, S und P von zwei sachlich verschiedenen Formen herleiten würden, m. a. W. wenn Verstandes- und Sinnenseele in demselben Menschen sachlich voneinander verschieden wären, so läge entweder eine zufällige Aussage vor oder eine Aussage 'an und für sich' nach der zweiten Weise des 'an und für sich'. Keines von beiden aber trifft in Wirklichkeit zu. Ersteres nicht, denn 'Sinnenwesen' wird vom Menschen wesentlich ausgesagt, 'Sinnenwesen' ist metaphysischer Wesensbestandteil des Menschen und nicht ein Akzidens; letzteres nicht, denn nicht 'Mensch' steht in der Wesensbestimmung von 'Sinnenwesen', sondern umgekehrt; noch ist 'Sinnenwesen' als metaphysischer Wesensteil eine Eigentümlichkeit des Menschen. Es liegt also eine wesentliche Aussage nach der ersten Weise des 'an und für sich' vor. Infolgedessen sind Verstandes- und Sinnenseele im Menschen nicht zwei sachlich verschiedene Formen, sondern eine und dieselbe und können nur begrifflich unterschieden werden. — (Fs)

494a Was den Einfluß der verschiedenen Lebenstätigkeiten aufeinander angeht, so weiß z. B. jeder aus eigener Erfahrung, daß nach der Mahlzeit der Verstand zu angestrengtem Denken weniger aufgelegt ist. Da dann der ganze Organismus damit beschäftigt ist, die Speisen zu verarbeiten und zu assimilieren, wird das Gehirn behindert, der Phantasie zu dienen (vgl. auch Anm. [12]). (Fs)

494b Zum Schluß sagt Thomas, die Verstandesseele sei zugleich Sinnen- und Nährseele, sofern sie als die vollkommenste unter den Seelen 'der Kraft nach' alles das enthält und leistet, was die Sinnenseele im Tier und die Nährseele in der Pflanze enthält und leistet. In der vernünftigen menschlichen Seele ist, wie man heute sagt, die ernährende und die sinnliche Seele als solche in höherer Weise enthalten. Denn auch die diesen Seelen eigentümlichen Tätigkeiten sind als solche im Menschen und haben die vernünftige Seele als Lebensgrund. Die eine Seele ist zugleich der Grund des vernünftigen, des sinnlichen und des ernährenden Lebens. Sie ist also zugleich vernünftig, sinnlich und ernährend. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: Kommentar zu: Thomas Summa Thomasausgabe Band06

Stichwort: Kommentar zu F1_076a4; Franziskanertheologen (Scotus: Mehrheit von substantiellen Formen; Suarez; Thomas: Seele als einzige Form; die S. enthält die Formen der organischen Formen in höherer Weise in sich (Eiweißform, Lezithinform)

Kurzinhalt: ... hätte der Untergrund, der die Seele aufnimmt, schon die substantielle Form der Körperlichkeit, die ihm das artbestimmende substantielle Körpersein gibt, so könnte ihn die Seele nicht mehr substantiell, sondern nebensächlich als akzidentelle Form ...

Textausschnitt: 4. ARTIKEL -- Die Verstandesseele die einzige Wesensform im Menschen

494c Mit allem Nachdruck tritt Thomas, dem Ansehen entsprechend, das seine Gegner zu seiner Zeit hatten, der Annahme einer doppelten Wesensform im Menschen entgegen. Die Franziskanertheologen, später besonders Scotus (+ 1308), nahmen eine Mehrheit von substantiellen Formen in demselben Stoff an. Nach ihnen ist der Untergrund, der die Seele aufnimmt, schon artbestimmt als Körper durch die substantielle Form der Körperlichkeit, die ihm das Körpersein verleiht. Die Seele aber, als höhere Form, ordnet sich diese niedere Form unter, indem sie deren Sein durch ihr Sein vervollständigt. Noch später lehrten Franz Suarez, S. J. (1548—1617), und seine Schüler, der erste Stoff habe im Lebewesen zwar keine substantielle Form, er habe aber aus sich bereits eine, wenn auch unvollendete Seinswirklichkeit, ein unvollständiges, substantielles Dasein, welches durch das Dasein, das mit der Seele eins ist, vollendet und vervollständigt werde. (Fs) (notabene)

495a Der Beweis für die Einzigkeit der Form im Menschen ergibt sich aus dem bisher schon über die Verstandesseele als Wesensform und als einzige Seele im Menschen Gesagten und wird im 'Anderseits' positiv gestaltet: die Seele ist ein Ding, ein substantielles Sein, eine substantielle Form; während er in der Antwort negativ geführt wird: hätte der Untergrund, der die Seele aufnimmt, schon die substantielle Form der Körperlichkeit, die ihm das artbestimmende substantielle Körpersein gibt, so könnte ihn die Seele nicht mehr substantiell, sondern nebensächlich als akzidentelle Form bestimmen, sie gäbe ihm nicht das Sein schlechthin, sondern nur ein akzidentelles Sein. "Das ist aber offensichtlich falsch." Der erste Stoff ist eben als solcher auch im Lebewesen reine Möglichkeit, und die substantielle Form — beim Lebewesen die entsprechende Seele, sei sie nur ernährend oder zugleich sinnlich oder noch dazu vernünftig wie beim Menschen — ist die erste substantielle Wirklichkeit. Wäre der erste Stoff nicht reine Möglichkeit, so hätte er schon eine substantielle Seinswirklichkeit, sein substantielles Sein, und könnte daher dieses Sein nicht mehr von der Form bekommen. Er wäre schon durch das substantielle Sein, das mit ihm eins ist, eine für sich seiende Substanz. Die Form könnte ihn somit nicht mehr substantiell und hauptsächlich, sondern nur nebensächlich als akzidentelle Form bestimmen. Sie könnte ihm nicht mehr das erste, hauptsächliche, sondern nur ein zweites hinzukommendes, nebensächliches Sein geben. Die Widerlegung des Suarez s. GrPh 1, 356. (Fs) (notabene)

495b Als einzige substantielle Form im Menschen enthält, wie Thomas weiter sagt, die Verstandesseele nicht nur die Sinnen- und die Nährseele, sondern auch alle niederen Formen, die Formen der Elemente, aus denen sich der lebende Körper zusammensetzt, 'der Kraft nach' in sich. Heute unterscheidet man, den Ergebnissen der Naturwissenschaften Rechnung tragend, nächste Elemente des lebenden Körpers, aus denen er, chemisch betrachtet, zunächst zusammengesetzt ist, und entferntere Elemente. Jene sind die vielatomigen Kohlenstoffverbindungen, die sogenannten 'organischen' Substanzen; diese sind die Elemente der 'organischen' Substanzen: hauptsächlich Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und Stickstoff. Diese entfernteren Elemente sind im lebenden Körper nur 'der Kraft nach', d. h. ihren Beschaffenheiten nach. Und zwar bleiben die Beschaffenheiten dieser Elemente als solche nicht der Zahl nach in der Verbindung — da eine substantielle Veränderung und somit eine Auflösung bis zum ersten Stoff stattfindet —, sondern nur der Art nach, wenn auch innerlich verändert, d. h. ausgeglichen und gegeneinander abgeschwächt (auf einen mittleren Grad gebracht; vgl. Zu 4). Die nächsten Elemente, wie Eiweiß, Lezithin, Nuklein usw., sind als solche in höherer Weise im lebenden Körper enthalten. Die eine lebende Substanz ist in ihren verschiedenen Teilen wirklich Eiweiß, Lezithin usw.; und diesen Teilen kommen die eigentümlichen Tätigkeiten und die eigentümlichen chemischen Beschaffenheiten der 'organischen' Substanzen zu. Der lebende Körper ist nach seinen verschiedenen Teilen wirklich Ursprung der eigentümlichen Tätigkeiten aller dieser Substanzen. Folglich enthält die Seele als seine Form die Formen der verschiedenen organischen Substanzen als solche in höherer Weise in sich. Sie ist in höherer Weise Eiweißform, Lezithinform usw. So bestimmt sie auch die verschiedenen Substanzteile des lebenden Körpers in verschiedener Weise. Als Eiweißform bestimmt sie diesen und als Lezithinform jenen Teil. Daher ist auch die Ungleichartigkeit des lebenden Körpers, die dieser notwendig fordert, nicht nur eine akzidentelle nach den Beschaffenheiten oder chemischen Kräften, sondern auch eine substantielle. Diese Ungleichartigkeit ist jedoch einer doppelten höheren, übergreifenden Gleichartigkeit unterworfen: einer substantiellen, die darin besteht, daß dieselbe Seele die ganze Substanz substantiell bestimmt und verwirklicht, und einer akzidentellen durch die Seelenvermögen der Ernährung und des Wachstums, die gleichmäßig über den ganzen Körper verbreitet sind und denen die physischen und chemischen Kräfte der verschiedenen Teile untergeordnet sind. Diese höhere akzidentelle Gleichartigkeit ist die Stoffzubereitung, die erfordert ist, damit der ganze lebende Körper von einer Seele zu einer Substanz bestimmt ist (vgl. GrPh 1, 268). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_076 - Die Seele in ihrer Vereinigung mit dem Körper

Stichwort: F1_076a7c; Platoniker: Seele als Beweger d. Körpers? Form - Einessein - Sein;

Kurzinhalt: Auf dieselbe Weise hat etwas das Einessein wie das Sein. Nun bewirkt aber die Form durch sich selbst, daß das Ding in Wirklichkeit ist, da sie durch ihr Wesen Wirklichkeit ist, und sie gibt das Sein nicht durch irgendein Mittelding. Daher ...

Textausschnitt: ANTWORT: Wäre die Seele, wie die Platoniker wollen, einzig als Beweger mit dem Leib vereint, so könnte man füglich sagen, zwischen die Seele des Menschen oder sonst eines Lebewesens und den Körper träten irgendwelche andere Körper als Mittel dazwischen. Es kommt nämlich dem Beweger zu, etwas Entferntes durch näherstehende Mittelglieder zu bewegen. (Fs)

Ist aber die Seele mit dem Leib als Form vereint, wie (Art. 1) schon gesagt worden ist, so ist es unmöglich, daß sie mittels irgendeines Körpers mit ihm vereint ist. Der Grund hierfür ist dieser. Auf dieselbe Weise hat etwas das Einessein wie das Sein. Nun bewirkt aber die Form durch sich selbst, daß das Ding in Wirklichkeit ist, da sie durch ihr Wesen Wirklichkeit ist, und sie gibt das Sein nicht durch irgendein Mittelding. Daher kommt die Einheit des aus Stoff und Form zusammengesetzten Dinges von ebendieser Form her, die durch sich selbst mit dem Stoff als dessen Wirklichkeit vereint ist. Und es gibt kein anderes Einendes als das Wirkende, das macht, daß der Stoff in Wirklichkeit ist (Aristoteles). (Fs)

Daraus ergibt sich aber, daß die Meinungen jener falsch sind, die behauptet haben, irgendwelche Körper seien die Vermittler zwischen der Seele und dem Leib des Menschen. Zu diesen gehörten die Platoniker, welche sagten, die Verstandesseele sei von Natur aus mit einem unzerstörbaren Körper vereint, von dem sie niemals getrennt werde und durch dessen Vermittlung sie mit dem zerstörbaren Leib des Menschen vereint sei. — Andere haben gesagt, sie sei mit dem Leib mittels eines körperhaften Hauches vereint. — Wieder andere behaupteten, sie sei mit dem Leib mittels des Lichtes vereint, von dem sie sagen, es sei ein Körper und habe die Natur der fünften Wesenheit; und zwar so, daß die ernährende Seele mit dem Körper mittels des Lichtes des Sternenhimmels vereint sei, die Sinnenseele mittels des Lichtes des Kristallhimmels und die Verstandesseele mittels des Lichtes des Feuerhimmels. Das ist aber offenbar erdichtet und lächerlich, einmal weil das Licht kein Körper ist; sodann, weil die fünfte Wesenheit, da sie unveränderlich ist, nicht stofflich in die Zusammensetzung eines gemischten Körpers eingeht, sondern nur der Kraft nach; und endlich weil die Seele unmittelbar mit dem Leib als die Form mit dem Stoff vereint ist [53]. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_076 - Die Seele in ihrer Vereinigung mit dem Körper

Stichwort: F1_076a8c; Ganzheit d. Seele in jedem Teil d. Körpers? Vereinigung v. Seele/Leib: nicht als Beweger, sondern substantielle Form (Wirklichkeit); akzidentelle Form (Beispiel: Haus); dreifache Teilung u. Ganzheit (Größe [BeispieL Weiß], Begriff, Kraft)

Kurzinhalt: genügt es zu sagen, daß die Seele ganz in jedem Teile des Körpers ist nach der Ganzheit der Vollkommenheit und der Wesenheit, nicht aber nach der Kräfteganzheit. Denn sie ist nicht mit einem jeden ihrer Vermögen in jedwedem Teil des Leibes, sondern ...

Textausschnitt: ANTWORT: Wäre die Seele, wie an anderen Stellen schon gesagt worden ist, mit dem Leibe nur als Beweger vereint (75, 1), so könnte man sagen, sie sei nicht in jedem Teile des Leibes, sondern nur in dem einen, durch den sie die anderen bewegt. — Weil aber die Seele mit dem Leib als Form vereint ist, muß sie sowohl im ganzen Körper als auch in jedem Teil des Körpers sein. Sie ist nämlich nicht eine akzidentelle Form des Körpers, sondern die substantielle Form. Die substantielle Form ist aber nicht nur die Vollkommenheit des Ganzen, sondern auch jedweden Teiles. Da nämlich das Ganze aus Teilen besteht, so ist jene Form des Ganzen, die nicht den einzelnen Teilen des Körpers das Sein gibt, eine Form, die nur Zusammensetzung und Ordnung ist, wie die Form eines Hauses. Und eine solche Form ist nur eine akzidentelle Form. Die Seele ist aber substantielle Form; deshalb ist sie notwendig nicht nur Form und Wirklichkeit des Ganzen, sondern auch jedweden Teiles. Wie man daher, wenn die Seele geschieden ist, die Leiche nur mehr dem Namen nach als Tier oder Mensch bezeichnet, in der Weise, wie man von einem gemalten oder steinernen Tier spricht, so ist es auch mit Hand und Auge, Fleisch und Bein, wie der Philosoph sagt. Zeichen dessen ist, daß nach dem Scheiden der Seele kein Teil des Körpers seine eigentümliche Verrichtung mehr hat, während doch alles, was seine Artbestimmung behält, auch die der Art entsprechende Tätigkeit behält. — Die Wirklichkeit ist aber in dem, dessen Wirklichkeit sie ist. Deshalb muß die Seele im ganzen Körper und in jedem seiner Teile sein. (Fs)

Daß sie ganz in jedem seiner Teile ist, läßt sich auch aus folgendem ersehen. Da immer nur ein Ganzes in Teile zerfällt, gibt es, wie eine dreifache Teilung so auch eine dreifache Ganzheit. Es gibt ein Ganzes, das in Größenteile zerfällt, wie eine ganze Linie oder ein ganzer Körper. Ein anderes Ganzes läßt sich zerlegen in Begriffs- und Wesensteile. So läßt sich das begrifflich Bestimmte in die Teile der Begriffsbestimmung, und das Zusammengesetzte in Stoff und Form auflösen. Ein drittes Ganzes ist das der Kräfte, das in die einzelnen Teilkräfte zerfällt. (Fs)

Die erste Art der Ganzheit kommt den Formen nicht zu, es sei denn nebenbei, und zwar nur jenen Formen, die ein unterschiedsloses Verhalten dem Größenganzen und seinen Teilen gegenüber haben. So verhält sich die Weiße, soweit es auf ihr Wesen ankommt, gleichmäßig, ob sie nun all der ganzen Oberfläche oder an irgendeinem Teil der Oberfläche ist. Deshalb wird bei einer Teilung der Oberfläche die Weiße nur nebenbei geteilt. Eine Form aber, die eine Verschiedenheit der Teile verlangt, wie die Seele und namentlich die Seele der vollkommenen Sinnenwesen,1 verhält sich nicht gleichmäßig zum Ganzen und zu den Teilen. Deshalb wird sie auch durch die Teilung der Ausdehnung nicht nebenbei geteilt. Es kann also die Größenganzheit weder an sich noch nebenbei der Seele zugesprochen werden. — Die zweite Ganzheit jedoch, die die Vollkommenheit des Begriffes und der Wesenheit berücksichtigt, kommt den Formen eigentlich und an sich zu. Ebenso auch die Kräfteganzheit; denn die Form ist Grund der Tätigkeit. (Fs)

Wenn also gefragt würde, ob die Weiße ganz an der ganzen Oberfläche und an jedem ihrer Teile ist, müßte man unterscheiden: denkt man an die Größenganzheit, die der Weiße nur nebenbei zukommt, so ist sie nicht ganz an jedem Teil der Oberfläche. Dasselbe ist von der Kräfteganzheit zu sagen. Denn mehr vermag den Gesichtssinn eine Weiße zu bewegen, die an der ganzen Oberfläche ist, als eine Weiße, die nur an einem Teilchen derselben ist. Ist aber die Ganzheit der Art und der Wesenheit gemeint, so ist die ganze Weiße an jedem Teile der Oberfläche. (Fs)

Weil nun aber, wie [eben] gesagt wurde, die Seele die Größenganzheit weder an sich, noch nebenbei besitzt, genügt es zu sagen, daß die Seele ganz in jedem Teile des Körpers ist nach der Ganzheit der Vollkommenheit und der Wesenheit, nicht aber nach der Kräfteganzheit. Denn sie ist nicht mit einem jeden ihrer Vermögen in jedwedem Teil des Leibes, sondern mit dem Gesichtssinn im Auge, mit dem Gehör im Ohr usw. (Fs)

Man muß jedoch beachten, daß die Seele, weil sie eine Verschiedenheit der Teile verlangt, sich nicht auf dieselbe Weise zum Ganzen und zu den Teilen verhält, sondern zum Ganzen zuerst und an sich als zu dem ihr eigentümlichen und angemessenen Vervollkommnungsfähigen; zu den Teilen jedoch erst nachher, sofern diese eine Hinordnung auf das Ganze haben. (Fs)

Ad objectiones
Zu 1. Der Philosoph spricht von der Bewegkraft der Seele [nicht von der Seele selbst] [55]. (Fs)

Zu 2. Die Seele ist die Wirklichkeit eines gegliederten Körpers als des ersten und angemessenen Vervollkommnungsfähigen.2

Zu 3. Lebewesen ist, was sich zusammensetzt aus einer Seele und einem ganzen Körper, der ihr erstes und angemessenes Vervollkommnungsfähiges ist. Auf solche Weise ist aber die Seele nicht im Teil. Deshalb braucht auch der Teil des Lebewesens nicht Lebewesen zu sein. (Fs)

Zu 4. Die Seele besitzt einige Vermögen, sofern sie über die ganze Fassungskraft des Körpers hinausgeht, nämlich Verstand und Willen. Deshalb sagt man von diesen Vermögen, sie seien in keinem Teile des Körpers. Andere Vermögen jedoch sind der Seele und dem Leib gemeinsam;3 weshalb nicht jedes von diesen Vermögen überall dort zu sein braucht, wo die Seele ist, sondern einzig in jenem Teil des Körpers, der der Tätigkeit eines solchen Vermögens angemessen ist. (Fs)
Zu 5. Der eine Teil des Körpers wird wichtiger genannt als der andere, je nach der
Verschiedenheit der Vermögen, deren Organe die Teile des Körpers sind. Denn der wichtigere Teil des Körpers ist der, der das Organ des wichtigeren Vermögens ist oder auch demselben Vermögen wichtigere Dienste leistet. (Fs; E12; 24.01.2012)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_077 - Die Vermögen der Seele im Allgemeinen

Stichwort: F1_077q1,- Wesenheit der Seele - Vermögen; F1_077a1ad3Aufteilung des Seins in Wirklichkeit und Möglichkeit -> nur bei Gott: Grund der Tätigkeit = Wesen Gottes; Seele als Form: "letzte" Wirklichkeit; erste, zweite W.

Kurzinhalt: Wenn nun die Wesenheit der Seele selbst der unmittelbare Tätigkeitsgrund wäre, hätte das, was eine Seele hat, die Lebensätigkeiten immer in Wirklichkeit, wie das, was eine Seele tat, immer in Wirklichkeit lebendig ist.

Textausschnitt: ANTWORT: Es ist unmöglich zu sagen, die Wesenheit der Seele sei ihr Vermögen, wenn auch einige dies behauptet haben. Das läßt sich einstweilen1 auf doppelte Weise zeigen. Erstens: da Möglichkeit und Wirklichkeit das Sein und jedwede Seinsgattung aufteilen, müssen Möglichkeit und Wirklichkeit auf dieselbe Gattung bezogen werden. Wenn deshalb eine Wirklichkeit nicht in der Gattung der Substanz ist, kann auch die Möglichkeit, die auf jene Wirklichkeit hinbenannt wird, nicht in der Gattung der Substanz sein. Nun ist aber die Tätigkeit der Seele nicht in der Gattung der Substanz; sondern nur bei Gott ist es so, daß Seine Tätigkeit Seine Substanz ist. Daher ist das Vermögen Gottes [eg: Dei potentia], welches Tätigkeitsgrund ist, Gottes Wesen selbst. Dies kann aber weder bei der Seele noch bei irgendeinem Geschöpf wahr sein, wie oben (54, 3: Bd. 4) auch vom Engel sagt worden ist. (Fs) (notabene)

Kommentar (25.01.12): Zu oben: "Nun ist aber die Tätigkeit der Seele nicht in der Gattung der Substanz." Das wir hier nicht erklärt.

Zweitens erscheint dies auch unmöglich bei der Seele. Denn die Seele ist ihrer Wesenheit nach Wirklichkeit. Wenn nun die Wesenheit der Seele selbst der unmittelbare Tätigkeitsgrund wäre, hätte das, was eine Seele hat, die Lebensätigkeiten immer in Wirklichkeit, wie das, was eine Seele tat, immer in Wirklichkeit lebendig ist. — Sie ist nämlich, sofern sie Form ist, nicht Wirklichkeit, die auf weitere Wirklichkeit hingeordnet ist, sondern sie ist das letzte Halteziel der Zeugung. Daß sie daher noch zu anderer Wirklichkeit in Möglichkeit sei, das gebührt ihr nicht kraft Ihrer Wesenheit, sofern sie Form ist, sondern [nur] kraft Ihres Vermögens. Und so wird die Seele selbst, sofern sie Trägerin ihres Vermögens ist, 'die erste' auf die zweite Wirklichkeit [d. i. die Tätigkeit] hingeordnete 'Wirklichkeit' genannt. — Nun findet sich aber, daß das, was eine Seele hat, nicht immer in der Wirklichkeit der Lebenstätigkeiten ist. Daher heißt es auch in der Wesensbestimmung der Seele, daß sie "die Wirklichkeit eines Körpers" ist, "der Leben in Möglichkeit hat"; von dieser Möglichkeit jedoch "wird die Seele nicht abgelehnt" [vgl. 76, 4 Zu 1]. — Es bleibt also nur übrig, daß die Wesenheit der Seele nicht ihr Vermögen ist. Denn nichts ist seinem Wirklichkeitsein nach, sofern es Wirklichkeit ist, in Möglichkeit. (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_077 - Die Vermögen der Seele im Allgemeinen

Stichwort: F1_077q1,- Wesenheit der Seele - Vermögen; Tätigkeit u. Sein kommen dem Zusammengesetzten zu

Kurzinhalt: Das Zusammengesetzte hat jedoch durch die substantielle Form das Sein in substantieller Weise; durch die Wirkkraft aber, die der substantiellen Form folgt, ist es tätig. Deshalb verhält sich die akzidentelle Tätigkeitsform zur substantiellen Form des ...

Textausschnitt: Einwand
3. Die substantielle Form ist einfacher als die akzidentelle. Zeichen dessen ist, daß die substantielle Form sich nicht steigern oder abschwächen läßt, sondern in Unteilbarkeit steht.1 Nun ist aber die akzidentelle Form selbst ihre Wirkkraft. Also noch viel mehr die substantielle Form, die Seele, die ihrige. (Fs)
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Zu 3. Die Tätigkeit wie auch das Sein kommt dem Zusammengesetzten zu; denn dem Daseienden kommt es zu, tätig zu sein. Das Zusammengesetzte hat jedoch durch die substantielle Form das Sein in substantieller Weise; durch die Wirkkraft aber, die der substantiellen Form folgt, ist es tätig. Deshalb verhält sich die akzidentelle Tätigkeitsform zur substantiellen Form des Tätigen (z. B. die Wärme zur Form des Feuers), wie sich das Vermögen der Seele zur Seele verhält [57]. (Fs; tblStw: )

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_077 - Die Vermögen der Seele im Allgemeinen

Stichwort:

Kurzinhalt:

Textausschnitt: Einwand
4. Das Sinnesvermögen ist das, wodurch wir sinnlich wahrnehmen, das Verstandesvermögen das, wodurch wir denken. Nun ist aber "das, wodurch wir zuerst sinnlich wahrnehmen und denken, die Seele" (Aristoteles). Folglich ist die Seele dasselbe wie ihre Vermögen. (Fs)

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Zu 4. Daß die akzidentelle Form Tätigkeitsgrund ist, das hat sie von der substantiellen Form. Deshalb ist die substantielle Form der erste Tätigkeitsgrund, aber nicht der nächste. In diesem Sinne sagt der Philosoph, daß das, "wodurch wir denken und sinnlich wahrnehmen, die Seele ist". (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Wesen und Ausstattung des Menschen

Titel: F1_077 - Die Vermögen der Seele im Allgemeinen

Stichwort:

Kurzinhalt:

Textausschnitt:

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Der neue Bund und die Gnade, I-II 106-114

Titel: F12_106 - Vom Gesetz des Evangeliums oder dem Neuen Gesetz, in sich selbst betrachtet (mit Einleitung)

Stichwort: Einleitung zu Bd. 14 d. Dt. Thomasausgabe 1; Gesetz des Evangelium - Ordnungsdenken; Leben als geheimnisvolles Zusammenspiel von Bindung und Freiheit; Gesetz u. Gnade als Hilfe; Christus als Weg; Gesetz als Gnade, Gnade als Gesetz; Warnung vor Buchstaben-

Kurzinhalt: ... auffallend, daß weder Christus noch Paulus in ihrer Verkündigung den Ausdruck „Neues Gesetz" kennen ... So wird Gesetz Gnade, und Gnade wird Gesetz — wahrlich eine kühne Gleichung, wohl die kühnste Gleichung ...

Textausschnitt: EINLEITUNG
Wo aber die Sünde überhandnahm, erwies sich die Gnade noch überschwenglicher.
Röm 5, 20.

E7a Im Bewußtsein einer Menschheit, die noch wesentlich dachte und fühlte, war die Namensgebung bei der Geburt eines Menschen eine Sache von schicksalhafter Bedeutung. Das gilt für die Sagen und Mythen der Griechen, Römer und Germanen, das gilt in einem viel tieferen Sinne von der Namensgebung in der Geschichte des auserwählten Volkes. Wie oft treffen wir hier auf den Vorgang, daß Gott Selbst den Namen dessen bestimmt, den Er zu einem besonderen Amte oder Auftrage erwählt hat. So bestimmt Er unter vielen anderen durch Seinen Boten ausdrücklich auch den Namen des Mannes, der Seinem Eingeborenen die Wege bereiten sollte zu den Herzen Seiner Menschenkinder. Lk 1, 13 heißt es: „Dein Weib Elisabeth wird dir einen Sohn gebären, den sollst du Johannes nennen", wiewohl doch keiner in der ganzen Verwandtschaft des Vaters diesen Namen trug (V. 61). Wir müssen also von vornherein annehmen, daß der Name Johannes in besonderer Weise die tieferen Absichten Gottes ausspricht, nicht nur für die Person des Vorläufers, sondern für die Führung Seines auserwählten Volkes und darüber hinaus für das Schicksal der gesamten Menschheit. Johannes aber bedeutet soviel wie: Gott ist gnädig. So steht also nach Gottes Anordnung und die letzten Motive Seiner Vorsehung offenbarend über dem Portal des Neuen Bundes das in der Gestalt des Johannes zum Symbol bestimmte Wort: Gott ist gnädig! Herrlicher könnte der göttliche Sinn der gesamten Heilsgeschichte, insbesondere aber der des Neuen Bundes nicht ausgesprochen werden als durch dieses eine Wort: Gott ist gnädig! Damit haben wir zugleich die Klammer, die die beiden Traktate des vorliegenden Bandes in der einen Wirklichkeit der Gnade zusammenfaßt. (Fs)

7b Die Theologie, die Thomas über das „Neue Gesetz" entwickelt, weist ganz in dieselbe Richtung. Gleich auf den ersten Seiten unseres Bandes sagt er über das „Neue Gesetz" ganz große Dinge. „Das, was seine [des Neuen Gesetzes] ganze Kraft ausmacht, ist die Gnade des Heiligen Geistes... Und so ist das Neue Gesetz hauptsächlich des Heiligen Geistes Gnade selbst, die den Christgläubigen gegeben wird" (S. 5). Ja, „im Evangelium ist nichts enthalten, was nicht zur Gnade des Heiligen Geistes gehören würde" (S. 6). So ist das Neue Gesetz im eigensten Sinne „das Gesetz der Gnade" (S. 13); es ist „nicht nur das Gesetz Christi, sondern auch das Gesetz des Heiligen Geistes" (S. 19) — Aussagen, die Thomas immer neu variiert. Wir sind gewohnt, in der Verbindung „Gesetz und Gnade" eine Antithese oder gar eine Antinomie zu sehen. Gesetz ist unbeugsam, unerbittlich, hart, gnadenlos; ist das, was den Menschen hemmt, bedrängt, in ständiger Furcht hält. So ungefähr sieht Paulus in der Tat das Gesetz des Alten Bundes. Das Gesetz des Neuen Bundes dagegen ist ganz Gnade, Gnade des Heiligen Geistes, der die personhafte LIEBE ist. „Daher wird das Neue Gesetz, das hauptsächlich in der geistigen, ins Herz eingesenkten Gnade besteht, das 'Gesetz der Liebe' genannt" (S. 26). Altes und Neues Gesetz unterscheiden sich nach Augustinus/Thomas wie Furcht und Liebe, wie zeitliche und ewige Verheißung, wie äußeres Werk und innere Tat des Glaubens (S. 22/26). (Fs)

8a Das Neue Gesetz korrespondiert in seiner alles bisher Dagewesene transzendierenden „Neuheit" haarscharf mit der nova creatura, der „Neuschöpfung" bei Paulus (2 Kor 5,17; Gal 6,15), mit der „Neuheit des Lebens" (Röm 6, 4), mit der „Neuheit des Geistes" (Röm 7,6), mit der „Neuheit der Gesinnung" (Röm 12,2); denn Paulus ist ja nur der von Gott berufene Künder und Deuter des Neuen, das Christus uns im Auftrage des Vaters mit Seinem „Neuen Gesetz" gebracht hat. (Fs)

8b Nun ist es aber auffallend, daß weder Christus noch Paulus in ihrer Verkündigung den Ausdruck „Neues Gesetz" kennen. Wieso kommt dann Thomas dazu, die „Frohbotschaft" der biblischen Berichte über das Leben Jesu unter den von den Jahrtausenden her so sehr belasteten Begriff des Gesetzes zu bringen? Wie kann man überhaupt das göttlich-flutende Leben, das in den Evangelien nur ein schwaches, mehr menschlich-göttliches als gott-menschliches Echo gefunden hat (vgl. S. 9 f.), in einen Begriff einfangen wollen! Und noch dazu in den starren Begriff des Gesetzes! (Fs; tblStw: Recht) (notabene)

8c Die Antwort auf diese Frage liegt zutiefst im Ordnungsdenken des hl. Thomas begründet; der nähere Grund aber liegt in der Systematik seiner Sittenlehre und in dem ihm eigentümlichen Begriff von „Gesetz". Nacheinander untersucht er im ersten Teil des zweiten Buches der Summa Ziel und Wesen der menschlichen Handlung, ihre inneren Quellen und Gefährdungen und schließlich auch die äußeren Hilfen, die es dem Menschen ermöglichen und erleichtern sollen, das Ebenbild Gottes, das er in sich trägt, zur Entfaltung und Vollendung zu führen (Prolog zu I-II: Bd. 9). Zu diesen äußeren Hilfen, die es dem Menschen möglich und leicht machen, in seiner sittlichen Lebensführung den rechten Weg nicht zu verfehlen, zählt Thomas Gesetz und Gnade. (Fs) (notabene)

9a Das menschliche Leben ist nicht vollendete Willkür, sondern ein geheimnisvolles Zusammenspiel von Bindung und Freiheit. Es ist gefährlich, wo die Bindung unterschlagen, es ist Sicherheit und Seligkeit, wo sie in Freiheit bejaht wird. Der Mensch ist sich nicht selbst Gesetz, sein Wille ist nicht eins mit seinem Wesen, seiner Natur, sonst könnte er dieser seiner Natur nicht zuwiderhandeln. Zudem kennt er nach der ersten verhängnisvollen Entgleisung seinen Weg schlecht; er braucht neue Wegweiser und Verkehrsregeln, die ihm in dem Wirrwarr der unendlich vielen Möglichkeiten seinen Weg mit Sicherheit finden helfen. Eine solche Hilfe will das Gesetz sein. Nichts weiter. (Fs) (notabene)

9b Thomas behandelt in Fr. 91 (Bd. 13) die verschiedenen Wirklichkeiten, auf die der Begriff des Gesetzes Anwendung finden kann: Die Lex aeterna, das „ewige Gesetz", das identisch ist mit dem im Geiste Gottes lebendigen Weltenplan, der sich in der göttlichen Vorsehung auswirkt; das „Naturgesetz", das mit der unveränderlichen Natur der Wesen selbst gegeben ist und daher seine immanente Sanktion in sich selbst trägt, so daß es nie ungestraft verleugnet wird; das „menschliche Gesetz", das im Gewissen nur so weit verpflichtet, als es dem Naturgesetz (und dem positiv-göttlichen Gesetz) nicht widerstreitet; schließlich das „göttliche Gesetz", das von Gott ausdrücklich durch Offenbarung gegeben ist und in die beiden Phasen des Alten und Neuen Gesetzes unterschieden wird. (Fs) (notabene)

9c Gesetz ist also Hilfe, Wegweiser. So verschieden demnach die Wege sein können, so verschieden werden die Wegweiser sein. Das „Neue Gesetz" ist der von Gott Selbst aufgestellte Wegweiser, der den „Neuen Weg" zeigt. Das Ziel ist dasselbe wie das des Alten Bundes (S. 24), der neue Weg aber ist Christus: „ICH bin der Weg", sagt Er von Sich Selbst (Jo 14,6). Daher gilt vom „Neuen Gesetz" dasselbe, was wir von Christus, dem menschgewordenen Gottessohne, sagen müssen: Es ist „im höchsten Grade geistig" (S. 12); es ist „das Gesetz der Freiheit" (S. 46), „denn schon — meint Thomas (S. 53) — stand die Zeit vollkommener Freiheit unmittelbar bevor, so daß alles, was in sich nicht notwendig zur Tugend gehört, völlig ihrem [der Jünger] freien Ermessen überlassen werden konnte". Das alles aber wird überstrahlt von der das innerste Wesen Christi und Gottes offenbarenden Wirklichkeit der Gnade, dem „vornehmsten Geschenk" der Liebe Gottes (S. 163). Kein Wunder, daß das Neue Gesetz wie von selbst einmündet in den „weit erhabeneren Weg", von dem Paulus 1 Kor 12,31 spricht. (Fs; tblStw: Gnade)

10a So wird Gesetz Gnade, und Gnade wird Gesetz — wahrlich eine kühne Gleichung, wohl die kühnste Gleichung, die je in der Geschichte der Menschheit für die Sphäre des Sittlichen aufgestellt wurde. Nur zu begreiflich, daß — bei der menschlichen Schwäche für das verlockend Rationale des Buchstabens — selbst im neuen christlichen Äon immer wieder die Versuchung auftauchte, das Gesetz stärker zu betonen als die Gnade und so in den „Geist der Knechtschaft und der Furcht" (Röm 8,15) zurückzufallen. Diese Gefahr signalisiert Thomas durch zwei große Warnungstafeln. So schreibt er gleich im zweiten Artikel der ersten Frage dieses Bandes: „Auch der Buchstabe des Evangeliums würde töten, wenn nicht innerlich die heilende Glaubensgnade zugegen wäre" (S. 9). Ausdrücklich stellt er im selben Artikel fest: Glaubensurkunden und Gebote sind zweitrangig, entscheidend ist „die innerlich verliehene Gnade des Heiligen Geistes", der mit der Gnade erst das vorbehaltlose Ja zu dem im „Gesetz" ausgesprochenen Willen des Vaters schenkt. (Fs) (notabene)

10b Die zweite Warnungstafel vor dem dem Evangelium innerlich fremden Buchstabengeist und der daraus folgenden rein formalen Deutung oder Anwendung des Neuen Gesetzes stellt Thomas auf in 107, 4, wo er mit einem ernsten Worte Augustins vor der willkürlichen Häufung von Vorschriften warnt, „damit der Wandel der Gläubigen nicht zu sehr belastet werde" und die Lage der Christen schließlich nicht unerträglicher werde, als die der Juden war (S. 39 f.). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über Seiendes und Wesenheit

Titel: Über Seiendes und Wesenheit

Stichwort: s Kapitel V

Kurzinhalt: Kapitel

Textausschnitt: Kapitel V

Das Kapitel V legt im Zusammenhang dar, [80] wie sich die Wesenheit auf verschiedene Weise bei den verschiedenen Substanzen vorfindet, und zwar sowohl bei den materiellen wie auch bei den immateriellen, zusammengesetzten Substanzen und bei der einfachen, ersten Substanz. (XVIX; Fs)
a) Bei der ersten Substanz, Gott, fällt die Wesenheit mit dem Sein selbst in eins zusammen. Sie ist Individuum nicht mehr einer Gattung oder Art. (XVIX; Fs)
[81] Es wäre aber ein Irrtum, Gottes Sein mit dem allgemeinen Sein zu identifizieren, das als formales Merkmal allem Seienden eignet. (XVIX; Fs)
[82] Dadurch, daß Gott das Sein selbst ist, fehlen ihm nicht die übrigen Vollkommenheiten die auch in allen Gattungen des Seienden auftreten, sondern Er hat alle, aber in erhabenerer Weise, indem sie in einfacher Einheit (und als erste Ursache) in Ihm sind. (XVIX; Fs)
b)
[83] Bei den übrigen abgetrennten Substanzen, d.h. den Vemunftwesen, und den Seelen, sind Sein und Wesenheit verschieden, wobei ihre Wesenheiten Formen ohne Materie sind. Ihr Sein, als von der ersten Ursache (Gott) empfangenes, ist ein verursachtes, endliches. Die Vernunftwesen sind daher 'nach oben zu' endlich, wegen des endlichen Seins, das sie empfangen haben, 'nach unten zu' aber unendlich, weil ihre Formen durch keine Materie begrenzt sind. (XVIX; Fs)
[84] Die menschliche Seele hat ihre Individuation nur 'gelegenheitsweise' aus der Materie - sofern sie ihren Anfang im Körper hat - jedoch eigentlicherweise aus sich selbst, d.h. aus ihrem selbständigen Sein, das nicht vom Körper abhängt und fortbesteht, wenn dieser zugrunde geht. (XVIX; Fs)
[85] Was die definitorische Bestimmung der immateriellen, vernunftbegabten Substanzen betrifft, so fallen sie in eine Gattung (der Substanz) und bilden Arten nach Artunterschieden. Diese sind uns ihrer eigentlichen Natur nach unbekannt, wie bei den sinnlichen Substanzen. Doch während wir sie bei ihnen wenigstens akzidentell aus ihren Wirkungen bestimmen, ist uns bei den vernunftbegabten Substanzen nicht einmal dies möglich. (XVIXf; Fs)
[86-89] Gattung und Artunterschied ergeben sich bei den immateriellen und den sinnlichen Substanzen auf verschiedene Weise. (XX; Fs)
[90] Auch muß bei den immateriellen Substanzen nicht, wie bei den sinnlichen, die Einteilung in Arten immer durch entgegengesetzte Unterschiede erfolgen. (XX; Fs)
c)
[91] Bei den aus Materie und Form zusammengesetzten Substanzen ist nicht nur das Sein endlich und begrenzt, weil von der ersten Ursache empfangen, sondern auch die Wesenheit, weil sie in der individuellen, geprägten Materie aufgenommen ist. Daher sind diese Substanzen sowohl 'nach oben', als auch 'nach unten zu' begrenzt. Ferner tritt hier jede Art in vielen Individuen auf, verteilt auf verschiedene, geprägte Materien. (XX; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Über Seiendes und Wesenheit

Titel: Über Seiendes und Wesenheit

Stichwort:

Kurzinhalt:

Textausschnitt: Kapitel VI
Das Kapitel VI handelt schließlich [92] von der Wesenheit bei den Akzidenzien. (XX; Fs)
[93] Die akzidentelle Wesenheit ist im Vergleich mit der substantiellen unvollkommen, was sich in einer Unvollkommenheit ihrer Definition widerspiegelt; denn die Definition des Akzidens muß (durch Hinzufügung) dessen Subjekt aufnehmen. Darin zeigt sich das vom Subjekt abhängige Sein des Akzidens an, im Gegensatz zum substantiellen Sein des Subjekts selbst, das sich aus der Zusammensetzung aus Materie und Form ergibt. (XX; Fs)
[94] Ähnlich zeigt sich auch die Unvollkommenheit der Form des Subjekts selbst, die allein noch nicht dessen Wesenheit ausmacht, in der Definition der Form dadurch an, daß sie die Materie (durch Hinzufügung) mit aufnehmen muß. (XX; Fs)
[95] Doch besteht der Unterschied zwischen der substantiellen und der akzidentellen Form darin, daß sich aus der Verbindung der substantiellen Form und Materie, die beide für sich nicht selbständig existieren, das substantielle Sein ergibt. (XX; Fs)
[96] Dagegen ist bei der akzidentellen Form das, was zu ihr hinzukommt, schon eine Substanz, die für sich selbständig existiert und dem Akzidens vorhergeht. Daher verursacht die Verbindung des Akzidens mit dem Subjekt, der Substanz, kein substantielles Sein, sondern nur ein akzidentelles. (XXf; Fs)
[97] Ferner ergibt die Verbindung kein an sich Eines, sondern nur ein akzidentelles, auch keine Wesenheit. Das Akzidens ist also weder selbst eine vollständige Wesenheit, noch Teil einer solchen, und weil selber nur ein unvollkommenes Seiendes, hat es auch nur eine unvollkommene Wesenheit. (XXI; Fs)
[98] Die Substanz ist Ursache für die Akzidenzien an ihr, und zwar (XXI; Fs)
[99] durch die Materie und Formursache. (XXI; Fs)
[100] Daher gibt es Akzidenzien, die von der Form, und solche (XXI; Fs)
[101], die von der Materie abhängen, sei es durch deren Zuordnung zur Form in spezifischem oder in allgemeinem (genetischem) Sinne. (XXI; Fs)
[102] Die der Materie folgenden Akzidenzien sind individuelle, (XXI; Fs)
[103] die der Form folgenden dagegen gehören zur Art (Species) oder Gattung. (XXI; Fs)
[104] Diese Akzidenzien sind teils aus der Form selbst bewirkt, teils nur geeignet, Wirkungen von einer äußeren Ursache aufzunehmen. (XXI; Fs)
[105] Was die Definition der Akzidenzien angeht, so fällt die Gattung der konkret verstandenen Akzidenzien (z.B. des Weißen), zusammen mit ihrem Subjekt, in die Substanz-Kategorie. (XXI; Fs)
[106] Nur die der abstrakt verstandenen Akzidenzien (z.B. der Weiße) fällt in die betreffende Akzidens-Kategorie. (XXI; Fs)
[107] Bei den Akzidenzien im abstrakten Sinne wird die Gattung (anders als bei der Definition der Substanzen) nicht aus der Materie, sondern aus der kategorialen Seinsweise des betreffenden Akzidens gewonnen und (XXI; Fs)
[108] der Artunterschied nicht aus der Form, sondern aus dem Subjekt (das hier für die Ursache steht). (XXI; Fs)
[109] Wenn aber die Akzidenzien in konkretem Sinne verstanden werden, verhält es sich umgekehrt: Dann nimmt das Subjekt die Stelle der Gattung ein (während die kategoriale Seinsweise des Akzidens den Artunterschied ergibt). (XXI; Fs)
[110] Ähnlich verhält es sich, wenn ein Akzidens eines Akzidens definiert wird. (Dann fällt das zugrundeliegende Akzidens als Konkretes wieder in die Substanz-Kategorie und macht die Gattung in der Definition aus.) (XXI; Fs)
[111] Wo die Ursache der Akzidenzien nicht bekannt ist, muß man die Artunterschiede aus den Wirkungen (der unbekannten Ursachen) gewinnen. [112] Schlußbemerkung. (XXIf; Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Der neue Bund und die Gnade, I-II 106-114

Titel: F12_106 - Vom Gesetz des Evangeliums oder dem Neuen Gesetz, in sich selbst betrachtet (mit Einleitung)

Stichwort: Einleitung zu Bd. 14 d. Dt. Thomasausgabe 2; Gnade als zweite Natur und Gesetz Christi; Heteronomie d. vom Geiste erfassten Menschen; Gnade als Licht; Tranktat über d. Gesetz als Einleitung zu T. über Gnade; finitum capax infiniti; Mensch als Torso

Kurzinhalt: Gesetz und Gnade sind nur noch insofern „äußere" Hilfen zu nennen, als ihr Ursprung außerhalb des Menschen in Gott und in Christus liegt ... Für diese Menschen hört Gesetz auf, Gesetz zu sein, Pflicht wird innerste Neigung, Opfer wird zur seligen ...

Textausschnitt: E10c Eigentlich hört nun das Gesetz auf, zu den äußeren Hilfen zu zählen. Gesetz und Gnade sind nur noch insofern „äußere" Hilfen zu nennen, als ihr Ursprung außerhalb des Menschen in Gott und in Christus liegt. In Wirklichkeit wirkt die Gnade als „zweite Natur" und ist das „Gesetz" Christi so in den Willen des Begnadeten eingegangen, mit ihm eins geworden, daß es gar nicht mehr als Gesetz erlebt wird, seinen Charakter als Gesetz völlig verliert. Auf diesen radikalen Wandel in der Natur des Gesetzes selbst weist Thomas sofort im ersten Artikel des Traktates mit Energie hin (S. 4 f.) und stützt sich dabei auf ein Wort des Hebräerbriefes, der sich seinerseits auf eine Weissagung des Propheten Jeremias beruft: „Ich werde Meine Satzungen in ihr Inneres legen, spricht der Herr, in ihr Herz werde Ich sie schreiben." Immer neu stellt Thomas diesen Immanenz-Charakter des Neuen Gesetzes heraus (vgl. S. 5 f., 9 f., 26 f., 31 40 44 67). Schon für Augustin, den Thomas in der Antwort des ersten Artikels anführt, stehen sich Altes und Neues Gesetz gegenüber wie das Gesetz auf den kalten, steinernen Tafeln des Moses und das Gesetz des Glaubens mitten im lebendigen, liebenden Herzen der Gläubigen (vgl. auch 106, 2 Zu 3). So wandelt sich die Heteronomie des Gesetzes in die relative Autonomie des vom Heiligen Geiste erfaßten Menschen, die als Teilhabe an der absoluten Autonomie Gottes aus der Gnade fließt und den Menschen, der durch die Gnade „ein Geist wird mit Gott" (1 Kor 6,17), jeder Kreatur überlegen macht (I 112, 1 Zu 4: Bd. 8). Für diese Menschen hört Gesetz auf, Gesetz zu sein, Pflicht wird innerste Neigung, Opfer wird zur seligen Notwendigkeit, Gebot wird in der Erfüllung zum Gebet, Furcht wandelt sich in Liebe („Die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus" — 1 Jo 4,18), in der Liebe aber wird der heilige Wille Gottes zum ausschließlichen „Gesetz" des menschlichen Lebens, das göttliche Ebenbild im Menschen nähert sich seinem Urbild, insofern nun auch der menschliche Wille gnadenhaft eins wird mit der Lex aeterna, dem „ewigen Gesetz", so wie dieses „ewige Gesetz" eins ist mit dem Willen und dem Wesen Gottes selbst. Auf dem Wege über das Neue Gesetz kehrt der Mensch zurück zu seinem Ursprung. „Denn das Gesetz (das Alte) ist durch Moses gegeben; Gnade und Wahrheit (charis kai alEtheai — der Inbegriff des „Neuen Gesetzes") ist durch Jesus Christus geworden" (Jo 1,17). (Fs)

12a „Vornehmlich ist das Neue Gesetz Gnade des Heiligen Geistes" (S. 12). Daher folgt völlig organisch und ohne jede innere Zäsur auf den Traktat über das „Neue Gesetz" der über die Gnade. Ja, man könnte die drei Fragen über das Neue Gesetz geradezu als Einleitung zum Gnadentraktat verstehen, gewissermaßen als die Verankerung der Gnadenwirklichkeit in der konkreten, von Gott gelenkten Heilsgeschichte der Menschheit. Alles, was Thomas in diesen 54 Artikeln sagt, ist wie ein Hoheslied auf die absolute Spontaneität der zuvorkommenden Liebe Gottes. Durch die Gnade hebt Gott den Menschen zu Sich empor, macht ihn stark zur innigsten Teilnahme an Seinem persönlichsten, dreifaltigen Leben. Das Endliche wird fähig des Unendlichen, finitum capax infiniti, der Mensch wird „Gottes mächtig durch die Gnade". Das ist nach Thomas nicht einmal so wunderbar, da doch die Seele des Menschen von vornherein, „von Natur aus" auf die Gnade entworfen (S. 206), von Gott Selbst zur innigsten Gemeinschaft, zur „Kommunion" mit Gott bestimmt ist durch die Gnade (S. 150). Durch sie wird der Mensch in der Wurzel seines Seins geheilt und geheiligt. Dabei ist jede Gnade der Eigenart des einzelnen denkbar vollkommen angepaßt. Sie kommt nicht als ein Fremdes in die Seele, sondern als der Seele eigenstes Eigen (S. 26). Nie also bedeutet die Gnade geistige Vergewaltigung. Unendlich stark, weil sie aus der unendlichen Kraft der Liebe Gottes stammt, ist sie doch wieder unendlich zart, weil sie im Herzen des Vaters ihre Heimat hat, und wir mit ihr. So bedeutet sie auch keine irgendwie geartete Beeinträchtigung der menschlichen Freiheit, ganz im Gegenteil: unter dem sanften Walten der Gnade blüht die Freiheit des Menschen erst auf zu ihrer letzten strahlenden Kraft, in libertatem gloriae filiorum Dei — „zur Freiheit der Herrlichkeit der Söhne Gottes" (Röm 8, 21). (Fs)

12b Die Gnade ist ein „Licht" — wie oft wählt Thomas diese Bezeichnung, die in seiner Sicht viel mehr ist als bloße Metapher oder Symbol (vgl. Sachverzeichnis) —, und dieses Licht heilt, kräftigt, durchklärt den ganzen inneren Menschen (S. 122 f.), legt die geistigen Energien frei, die von der Schöpfung her in ihm schlummern, ent-bindet alle Kräfte der Seele, die von der Sünde her mit mancherlei unwürdigen Fesseln gebunden waren. Die Gnade ist wie ein Feuer; auch dieses Bild ist Thomas nicht fremd. Das Feuer scheint in die Natur des von ihm durchglühten Eisens einzugehen, es in sich selbst einzuverwandeln. So wird das von Natur dunkle Eisen licht, das von Natur kalte Eisen wird heiß, das von Natur harte Eisen wird weich. Ganz analog sind die Wirkungen der Gnade in der Seele des Menschen. Unter ihrem geheimnisvollen Einfluß schwinden die für uns selbst und für unsere Mitmenschen oft unheimlichen Dunkelheiten unserer Seele mehr und mehr: „Wir werden verwandelt in dasselbe Bild (Gottes) von Klarheit zu Klarheit wie durch den Geist des Herrn" (2 Kor 3,18); die Hybris des kalten Verstandes wird besiegt durch die zur Metanoia, zum radikalen Umdenken entschlossene, ganz neue, ganz demütige, ganz göttliche Liebe des Herzens; die Härte des widerspenstigen Willens, der sich aufbäumt gegen jede Bevormundung von außen, wird abgelöst durch das Wunder einer alle inneren Widerstände überwindenden, vorbehaltlosen Hingabe, die dem leisesten Wink Gottes offensteht. Wer auch nur in etwa ahnt, wie schwer der Geist des Menschen, weil er Geist ist, sich selbst aufgibt, den mag es nicht wundernehmen, daß Thomas die Bekehrung eines Menschen höher stellt als die Schöpfung einer neuen Welt (S. 202) und die geringste, dem einzelnen von Gott geschenkte Gnade höher schätzt als die im gesamten Universum aufgespeicherten natürlichen Werte (S. 203). (Fs; tblStw: Metapher) (notabene)
13a Ohne Gnade aber bleibt die Natur des Menschen ein Torso, bleiben Verstand und Wille, Eros und Sexus unerlöst, voneinander isoliert, bleibt das doppelte Gesetz in den Gliedern (Röm 7,23), bleiben „zwei Seelen wohnen in der Brust" (Goethe), kommen weder die einzelnen noch die Völker untereinander zur inneren Klarheit und Ausgeglichenheit, zur Eintracht, zum Frieden. Ohne Gnade sein heißt leben „ohne Hoffnung und ohne Gott in dieser Welt" (Eph 2, 12). (Fs; tblStw: Metaphe) (notabene)

13b Gegenüber diesen Feststellungen von letzter Wucht und Dringlichkeit bleibt die göttliche Verwaltung der Gnade, wie Thomas sie im einzelnen darzulegen versucht, nur noch insofern bedeutsam, als erst aus ihr die ganze Länge und Breite und Höhe und Tiefe der „alle Erkenntnis übersteigenden Liebe Christi" (Eph 3, 18 f.) in den göttlichen Dimensionen des Gnaden-Kosmos mit seinen besonderen Gesetzen, Gesetzen der Liebe und der Freiheit, aufleuchtet. Wie für das Gesamtwerk des hl. Thomas, so gilt gerade für seinen Gnadentraktat, daß Gott in ihm wirklich „das A und das O, der Erste und der Letzte, der Anfang und das Ende" ist (Offb 22, 13). Wahrlich, ein einziges Hoheslied „zum Lobe der Herrlichkeit Seiner Gnade" (Eph 1, 12). (Fs)

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Autor: Thomas, Aquin von

Buch: Der neue Bund und die Gnade, I-II 106-114

Titel: F12_106 - Vom Gesetz des Evangeliums oder dem Neuen Gesetz, in sich selbst betrachtet (mit Einleitung)

Stichwort: Sth12q106a1; 1. Ist das Neue Gesetz ein geschriebenes Gesetz?; Neuer Bund: das Vorzüglichste (Gnade d. Hl. Geistes), Vorbereitung (Belehrung), Auswirkung

Kurzinhalt: Ein jeglich Ding scheint das zu sein, was in ihm das Vorzüglichste ist ... Das Vorzüglichste aber im Gesetz des Neuen Bundes ... ist die Gnade des Heiligen Geistes ... so ist das Neue Gesetz hauptsächlich ... die Gnade des Heiligen Geistes Gnade selbst...

Textausschnitt: 106. FRAGE
VOM GESETZ DES EVANGELIUMS ODER DEM NEUEN GESETZ, IN SICH SELBST BETRACHTET

Im folgenden ist eine Erwägung anzustellen über das Gesetz des Evangeliums, das auch das Neue Gesetz genannt wird;und zwar zuerst das Neue Gesetz an sich, zweitens das Neue Gesetz im Vergleich zum Alten Gesetz, drittens das, was im Neuen Gesetz enthalten ist. (Fs)

Zum Ersten ergeben sich vier Einzelfragen:
1. Wie ist es beschaffen, geschrieben oder eingegeben?
2. Von seiner Kraft: Macht es gerecht?
3. Von seinem Anfang: Hätte es schon zu Beginn der Welt gegeben werden müssen?
4. Von seiner Dauer: Wird es bis ans Ende der Welt dauern oder muß ihm noch ein anderes Gesetz folgen?

1. ARTIKEL
Ist das Neue Gesetz ein geschriebenes Gesetz?

1. Das Neue Gesetz ist das Evangelium selbst. Das Evangelium aber ist geschrieben: „Dies aber ist geschrieben, damit ihr glaubt" (Jo 20,31). Also ist das Neue Gesetz ein geschriebenes Gesetz. (Fs)

2. Das eingegebene Gesetz ist das Naturgesetz; nach Röm 2,14 f.: „Von Natur aus erfüllen das Gesetz, die das Werk des Gesetzes in ihren Herzen eingeschrieben tragen." Wäre also das Gesetz des Evangeliums ein eingegebenes Gesetz, so würde es sich nicht vom Naturgesetz unterscheiden [1]. (Fs)

3. Das Gesetz des Evangeliums ist denen eigen, die im Stand des Neuen Bundes leben. Das eingegebene Gesetz aber ist denen gemeinsam, die im Neuen und im Alten Bunde leben. Es heißt nämlich Wsh 7, 27: Die göttliche Weisheit „überträgt sich von Geschlecht zu Geschlecht in heilige Seelen und macht sie zu Freunden Gottes und zu Propheten". Also ist das Neue Gesetz nicht das eingegebene Gesetz. (Fs)

ANDERSEITS ist das Neue Gesetz das Gesetz des Neuen Bundes. Das Gesetz des Neuen Bundes aber ist ins Herz eingegeben. Der Apostel führt nämlich Hb 8,8 die Stelle aus Jer 31,31 an: „Siehe, es werden Tage kommen, spricht der Herr, da werde Ich über das Haus Israel und das Haus Juda einen Neuen Bund vollbringen." Und er erklärt (Hb 8,10 nach Jer 31,33), was für ein Bund das sei: „Dies ist der Bund, den Ich mit dem Hause Israel schließen werde: Ich werde meine Gesetze in ihren Geist geben und sie in ihr Herz schreiben." Also ist das Neue Gesetz ein eingegebenes Gesetz. (Fs)

Respondeo

ANTWORT: Ein jeglich Ding scheint das zu sein, was in ihm das Vorzüglichste ist (Aristoteles). Das Vorzüglichste aber im Gesetz des Neuen Bundes, das, was seine ganze Kraft ausmacht, ist die Gnade des Heiligen Geistes, die durch den Glauben an Christus verliehen wird. Und so ist das Neue Gesetz hauptsächlich des Heiligen Geistes Gnade selbst, die den Christgläubigen gegeben wird. Das spricht der Apostel offensichtlich Röm 3,27 aus: „Wo ist also dein Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch was für ein Gesetz? Durch das der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens." Er nennt nämlich die Gnade des Glaubens „Gesetz". Noch ausdrücklicher heißt es Röm 8,2: „Das Gesetz des Geistes des Lebens hat mich in Christus Jesus vom Gesetze der Sünde und des Todes befreit." Daher sagt auch Augustinus im 'Buch vom Geist und Buchstaben': „Wie das Gesetz der Werke auf Steintafeln geschrieben wurde, so ist das Gesetz des Glaubens in die Herzen der Gläubigen geschrieben." Und an anderer Stelle sagt er im selben Buche: „Was sind die Gesetze Gottes, die Gott selbst in die Herzen geschrieben hat, wenn nicht die Gegenwart des Heiligen Geistes selbst?" (Fs)

Das Neue Gesetz hat aber auch einiges, was auf die Gnade des Heiligen Geistes vorbereitet, und einiges, was zum Auswirken dieser Gnade gehört. Das sind gleichsam zweitrangige Dinge im Neuen Gesetz. Über sie müssen die Gläubigen in Wort und Schrift belehrt werden, sowohl in bezug auf das, was sie glauben, als auch in bezug auf das, was sie tun sollen. So muß man also sagen: Das Neue Gesetz ist hauptsächlich ein eingegebenes Gesetz, und erst in zweiter Linie ein geschriebenes Gesetz. (Fs)

Ad objectiones

Zu 1. Im Evangelium ist nichts enthalten, was nicht zur Gnade des Heiligen Geistes gehören würde, ob es nun ihren Empfang vorbereitet oder ihre Auswirkung ordnet. Zur Vorbereitung des Verstandes durch den Glauben, durch den die Gnade des Heiligen Geistes verliehen wird, enthält das Evangelium jene Wahrheiten, die zur Offenbarung der göttlichen und menschlichen Natur Christi gehören. Zur Vorbereitung des Herzens aber ist im Evangelium das enthalten, was zur Verachtung der Welt gehört; denn durch sie wird der Mensch der Gnade des Heiligen Geistes fähig. „Die Welt" nämlich, d. h. die Liebhaber der Welt, „kann den Heiligen Geist nicht fassen" (Jo 14,17). Die Auswirkung der geistlichen Gnade aber besteht im tugendhaften Handeln, zu dem das Neue Testament die Menschen auf vielfache Weise ermahnt [2]. (Fs) (notabene)

Zu 2. Auf zweifache Weise ist etwas dem Menschen eingegeben: einmal als etwas, das zur Natur des Menschen gehört, und so ist das Naturgesetz dem Menschen eingegeben; auf andere Weise ist etwas dem Menschen eingegeben als gnadenhafte Zugabe zu seiner Natur, und auf diese Weise ist das Neue Gesetz dem Menschen eingegeben. Und zwar zeigt es nicht nur, was zu tun sei, an, sondern hilft auch, es zu erfüllen. (Fs) (notabene)

Zu 3. Niemand besaß jemals die Gnade des Heiligen Geistes, es sei denn durch den ausdrücklichen oder einschließenden Glauben an Christus. Kraft des Glaubens an Christus aber gehört der Mensch zum Neuen Bund. Wem immer daher das Gesetz der Gnade eingegeben wurde, der gehörte dadurch zum Neuen Bund [3]. (Fs) (notabene)

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