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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Philosophie, gemeinsamer Nenner

Kurzinhalt: der kleinste gemeinsame Nenner der Philosophien

Textausschnitt: ... sei hier nur knapp festgestellt, daß eben dies, daß es keine rationale Begründung letzter Werte und Normen geben könne, den kleinsten gemeinsamen Nenner des überwältigenden Großteils der nichtepigonalen Philosophie des späten 19. und des 20. Jahrhunderts ausmacht und daß die Bedeutung der Transzendentalpragmatik darin besteht, daß sie eine der wenigen Philosophien ist, die diese Behauptung mit starken Argumenten in Frage stellt. (26; Fs) (notabene)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Relativismus, ontogenetisch; Orientierungskrise; Veblen; tiefere Schichten der Seele; Zerstörung des Potentials der Jugend; Nietzsche, Wittgenstein

Kurzinhalt: Unermeßlich ist in der Tat die Zerstörung des geistigen Entwicklungspotentials unserer Kultur, die man dem Relativismus zuzuschreiben hat ...

Textausschnitt: 20 Der geschilderte Prozeß der Ausbreitung des Relativismus gilt nicht nur phylogenetisch. Auch ontogenetisch läßt sich beobachten, wie junge Studenten - vorausgesetzt, daß sie noch nicht als überzeugte Relativisten die Schule verlassen - während der ersten Semester an der Universität in eine Orientierungskrise geraten und den Glauben an sittliche Werte verlieren: Das Studium der Philosophie scheint manche von ihnen auf eine Mondlandschaft zu versetzen, in der sie die Resultate ihrer eigenen Bewegungen nicht mehr vorhersehen können." (27)

21 "Auch wer den Eudämonismus in der Ethik scharf ablehnt, wird es ferner als Argument gegen die gegenwärtige Situation ansehen können, daß die Menschen, die schließlich zum Relativismus finden, nie und nimmer glücklich werden - es gibt in der menschlichen Seele Schichten, denen eine tiefere Befriedigung nur zuteil werden kann, wenn die normative Grundfrage gelöst wird, und das Leiden1, das eine Kultur insbesondere ihren jungen Menschen zufügt, indem sie ihnen keine substantiellen Lösungen jener Frage anbietet, ist ungeheuer: Sie verdammt gerade die Begabteren und Konsequenteren unter ihnen zu jenem Zynismus, aus dem es, wenn er einmal habituell geworden ist, keinen Ausbruch mehr gibt. Unermeßlich ist in der Tat die Zerstörung des geistigen Entwicklungspotentials unserer Kultur, die man dem Relativismus zuzuschreiben hat. Denn wenn ein junger Mensch sich schließlich davon überzeugt hat, daß es keine objektiven Werte gibt, dann wird er nicht motiviert sein, sein Bestes zu geben, um seine Talente voll auszuschöpfen. Höchstens extrinsische Faktoren wie die Aussicht auf Erfolg werden ihn bewegen, und solche Faktoren korrumpieren nicht nur moralisch - keiner geistigen Leistung, die sich primär ihnen verdankt, ist Dauer beschieden. Aber auch der einzelne, der sich dem Einfluß des Zeitgeistes zu entwinden vermag, wird in einer solchen Umgebung nicht all das leisten, was er leisten könnte - denn der menschliche Geist ist wesentlich intersubjektiv, und die Häufung bedeutender Kulturleistungen in bestimmten Epochen beweist aufs klarste, daß eine Begabung die andere fördert und mitreißt." (28f)

22 "Die Banalität, an der Nietzsche und Wittgenstein litten, war die der verdünnten Kultur ihrer Zeit, die einerseits nicht mehr christlich war, andererseits noch nicht den Mut aufbrachte, sich zum Verlust der eigenen Religion zu bekennen, und wenn der Eid gegen die Banalität das vornehmste Kennzeichen des Philosophen ist, dann war ihre Reaktion eine bedeutende philosophische Reaktion. Es ist aber schwer zu übersehen, daß Banalität heute das Hauptmerkmal des Relativismus geworden ist - und dies gibt in der Tat Anlaß zu Hoffnungen. Denn philosophische Persönlichkeiten müssen begreifen, daß dieser Relativismus nicht ihr Orientierungspunkt, sondern ihre Hauptzielscheibe sein muß; so würde ein Nietzsche heute seine Unzeitgemäßen Betrachtungen gegen die verschiedenen postmodernen Moden richten. Ihm könnte nicht der Sinn dafür abgehen, wie wenig an jenen Verkündern des Endes der Philosophie achtenswert ist, die sich von den Privilegien, die mit einer Philosophieprofessur verbunden sind, nicht zu trennen vermögen und die jene geistige und emotionale Anspannung verloren haben, die ihre Vorfahren kennzeichnete. Freilich ist dafür gesorgt, daß das negativistische intellektuelle Gefühl der Überlegenheit allem und jedem gegenüber, was substantieller als man selbst ist, der Wahn, alles durchschaut zu haben, was der eigene trübe Blick nicht in seiner ihm eigentümlichen Klarheit zu fassen vermag, nicht zu Seelenfrieden und Glück führt; aber wer sich einmal diese Optik zu eigen gemacht hat, der wird dieses Laster nur schwer wieder loswerden, so sehr er es auch wünschen mag. (31; Fs)

23 Der Veblen dieser relativistischen 'leisure class' - die glücklicherweise bei weitem nicht die Mehrzahl der Akademiker ausmacht, wenn auch eine laute Minderheit - steht noch aus.2 Themen für ihn dürften etwa sein der Geltungskonsum von je bedeutungsloseren und abgelegeneren, desto 'interessanteren' Ideen, eine ästhetische 'Sensibilität', die selbst nach den gediegensten Leistungen sich nie ganz als befriedigt ausgeben kann und die den Menschen adelnde Fähigkeit verloren hat, sich von Großem beeindrucken zu lassen, der Beziehungswahn und die irrationale Reiselust, die jede Gelegenheit zur Flucht vor sich selbst ergreift, die heteronome Abhängigkeit von der Anerkennung durch andere Klassengenossen, die letztlich ebensowenig geachtet werden, wie man im Grunde seiner Seele mit sich selbst zufrieden ist, das herabsetzende Gerede über Kollegen, die keinen Deut schlechter sind als man selbst und denen man bei dem nächsten Kongreß doch einen Sonderdruck mit der Hoffnung in die Hand drückt, ein gutes Wort darüber zu hören, eine zum Selbstzweck gewordene Machtgier, die sich über die letztliche Bedeutungslosigkeit der eigenen Position durch kleine Bosheiten im eigenen Machtbereich hinwegtröstet - alles Themen, die ausreichen dürften, um ein lesenswertes, wenn auch bedrükckendes soziologisches Buch zu schreiben." (31f)

24 "So wäre es durchaus wichtig, wenn allgemein begriffen würde, daß 'progressiv' und 'konservativ' einander nicht ausschließen, weil Fortschritte konsolidiert und bewahrt werden müssen, weil ein Überhandnehmen kulturabbauender Prozesse ohne den Aufbau von Institutionen, die die zerstörten ersetzen könnten, nur zum Verfall einer Kultur beitragen kann und weil schließlich die westliche Kultur zahlreiche Momente enthält, die gegen zentrifugale, sich als fortschrittlich tarnende Tendenzen verteidigt werden müssen - was freilich nur möglich sein wird, wenn in bestimmten anderen Bereichen, im Bewußtsein wie in den Institutionen, radikale (möglicherweise revolutionäre) Änderungen stattfinden. Letzteres nicht einzusehen macht die große geistige Grenze eines Konservatismus aus, der sich zunehmend an die Industriegesellschaft angepaßt hat, ohne begreifen zu wollen, daß deren immanente Entwicklungstendenzen schlicht und einfach nicht fortsetzbar sind, und der die Wertrationalität immer mehr durch Zweckrationalität ersetzt. Entscheidend wäre, daß statt einer Apologie des Status quo auf der einen und abstrakter Utopien auf der anderen Seite eine inhaltliche Diskussion darüber stattfände, was wert ist, bewahrt zu werden, und was konkret verändert werden muß, gerade wenn man jenes andere bewahren oder gar auf eine höhere Stufe bringen möchte." (34f)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Komplementarität; analytische Philosophie, Existenzialismus

Kurzinhalt: Szientismus (analytische Philosophie), Existenzialismus: Gemeinsamkeiten in aller Verschiedenheit

Textausschnitt: Sehr zu Recht erkennt Apel im westlichen Komplementaritätssystem eine ideologische Ausprägung der Trennung von Kirche und Staat sowie, damit zusammenhängend, von privatem und öffentlichem Leben. Zweitens ist es eine wichtige Einsicht Apels, die zwei einander scheinbar entgegengesetzten Strömungen von analytischer Philosophie und Existenzialismus als komplementär begriffen zu haben - es entspricht allgemein der Antithesis einer dialektischen Entwicklung, daß sie in sich gedoppelt ist. Denn sosehr etwa Szientismus - eine der typischsten Erscheinungen der analytischen Philosophie - und Existenzialismus einander entgegengesetzt zu sein scheinen, sosehr kommen sie doch in der Überzeugung überein, daß eine rationale Begründung von Wertfragen nicht möglich sei: Der Szientismus übernimmt in dieser Version den Part der Analyse der wertfreien Wissenschaft, der Existenzialismus gibt sich mit den irrationalen und nur subjektiv gültigen Entscheidungen für die Werte ab, die die eigene Lebensführung bestimmen sollen. (59; Fs)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Sprachanalyse, Sprachphilosophie; Dilemma

Kurzinhalt: Frage nach der Rechtfertigung der Prinzipien dieser normativen Sprache; Frage nach der philosophischen Relevanz der Umgangssprache

Textausschnitt: Allerdings steht die Sprachanalyse vor folgendem Dilemma. Soll, wie in der Anfangsphase der analytischen Philosophie, eine normative Sprache konstruiert werden, stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung der Prinzipien dieser normativen Sprache; diese werden gewöhnlich aus einer abstrahierenden Analyse der Wissenschaftsprache bezogen, und es ist daher alles andere als eine Überraschung, sondern vielmehr ein Zirkel, daß auf der Basis dieser Prinzipien die Sprache der exakten Wissenschaft ausgezeichnet werden muß. Oder aber es wird wie in der Spätphase der analytischen Philosophie eine konkrete Umgangssprache analysiert; dann aber fragt man sich, was aus dieser Analyse philosophisch Relevantes folgen soll. Jedenfalls sind mit der Methode der analytischen Philosophie sowohl dogmatische als auch skeptische, sowohl rationalistische als auch empiristische, sowohl realistische als auch idealistische Positionen kompatibel: Die Methode als solche hat nicht zur Lösung klassischer Streitfragen geführt. " (71)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Parallelismus; Wittgenstein , Heidegger

Kurzinhalt: "Tractatus" u. "Sein und Zeit" halten beide an einer Form von Transzendentalphilosophie fest; Wittgenstein und Heidegger als typische Repräsentanten der zwei philosoph. Richtungen

Textausschnitt: Jedenfalls fällt es nicht schwer, einen Parallelismus in der Entwicklung jener zwei Denker zu erkennen, die gewissermaßen paradigmatisch für die analytische und die hermeneutische Philosophie stehen und allgemein als die einflußreichsten Philosophen des 20. Jahrhunderts gelten: Wittgenstein und Heidegger. (72; Fs)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus

Kurzinhalt: 3 Gründe für den Erfolg des Werkes " Tractatus logico-philosophicus"

Textausschnitt: Was den 'Tractatus logico-philosophicus' angeht, dem ich mich zuerst zuwenden will, so sind seine geistigen Wurzeln zweifelsohne erstens im Triumphzug der modernen Wissenschaft und ihrer scheinbaren Emanzipation von der Philosophie (die sich in der Vergangenheit zu Unrecht häufig die Beantwortung einzelwissenschaftlicher Fragen angemaßt hatte), zweitens in der Neubegründung der Logik, wie sie durch Denker wie Frege, Russell, Whitehead geleistet wurde, und drittens in der Erfahrung der raschen Aullösung traditioneller Normensysteme zu sehen. Diese drei Faktoren suggerieren geradezu die Auffassung, objektive, d. h. intersubjektiv verbindliche Wahrheit sei nur in den logisch begründeten empirischen Naturwissenschaften zu erzielen, nicht aber bei Wertfragen. (73; Fs) (notabene)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Wittgenstein; Tractatus logico-philosophicus, Intersubjektivität

Kurzinhalt: Zusammenhanb zwischen Intersubjektivität und Tractatus

Textausschnitt: Bezeichnenderweise und in Übereinstimmung mit dem Grundcharakter der modernen Philosophie, die Kategorie des Subjekts durch die der Intersubjektivität ersetzen zu wollen, versucht Wittgenstein nicht, die Kluft zwischen Welt und Bewußtsein, sondern diejenige zwischen Welt und Sprache zu überbrücken.
... Die subjektive Kategorie der Evidenz müsse dadurch entbehrlich gemacht werden, 'daß die Sprache selbst jeden logischen Fehler vermeidet' ...

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Wittgenstein; Tractatus logico-philosophicus, Isomorphismus

Kurzinhalt: Annahme des Tractatus: Isomorphismus zwischen Sätzen und Welt; Logik als gemeinsames Band zwischen Welt und Sprache; Sinnlosigkeit der meisten Sätze und Fragen der Philosophie

Textausschnitt: Der 'Tractatus' geht bekanntlich davon aus, daß jedem Satz eine mögliche Tatsache entspricht; ist diese Tatsache der Fall, ist der Satz wahr, ansonsten falsch. Zwischen elementaren Sätzen und Tatsachen besteht ein Isomorphismus; zusammengesetzte Sätze sind Wahrheitsfunktionen elementarer Sätze. Aber wie kann ein Isomorphismus zwischen Welt und Sätzen bestehen? ... Diese logische Form ist die gemeinsame Grundlage von Welt und Sprache. Nur durch sie kann ein Satz überhaupt wahr oder falsch sein

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Wittgenstein; Tractatus, Logik, Hegel

Kurzinhalt: Änlichkeit der Funktion der Logik im Tractatus mit dem Logischen Hegels; Verschiedenheit zwischen beiden

Textausschnitt: Es mag überraschen, aber es ist offenkundig, daß Wittgensteins logische Form in ihrer Funktion dem Logischen Hegels entspricht, das, als gemeinsame Struktur von Natur und Geist, die Erkennbarkeit der Natur durch den Geist sicherstellt und die Grenzen sinnvoller Fragen festlegt. Auch Wittgensteins Logik 'ist transcendental' (6.13).

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Wittgenstein; Inkonsistenz, Logik

Kurzinhalt: Inkonsistenz der W. Logik durch die sinnvolle Möglichkeit der Reflexion

Textausschnitt: Zweitens ist die logische Form Wittgensteins von dem Logischen Hegels inhaltlich dadurch unterschieden, daß sie völlig irreflexiv ist. ... 'Der Satz kann die gesamte Wirklichkeit darstellen, aber er kann nicht das darstellen, was er mit der Wirklichkeit gemein haben muß, um sie darstellen zu können - die logische Form.' Die Begründung lautet: 'Um die logische Form darstellen zu können, müßten wir uns mit dem Satze außerhalb der Logik aufstellen können, das heißt außerhalb der Welt.' ... Konsequenz, daß alle Sätze des 'Tractatus', die entweder über Sätze im allgemeinen (und damit auch über sich) oder über das sprechen, was Sätzen und der Welt gemeinsam ist, sinnlos sind - und das ist bei weitem der größere Teil der Sätze der Schrift. Es spricht für die Größe Wittgensteins ....

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Logischer Positivismus, Inkonsistenz

Kurzinhalt: Dialektische Inkonsistenz der Grundgedanken des Logischen Positivismus; Beispiel: nur Sätze der Naturwissenschaft könnten wahr sein ...; weder analytisch noch empirisch

Textausschnitt: In der Tat kann kein Zweifel sein, daß die Grundgedanken des Logischen Positivismus - etwa nur die Sätze der Naturwissenschaft könnten wahr sein, oder es gebe keine synthetischen Sätze a priori - sämtlich dialektisch inkonsistent sind - sie widersprechen in dem, was sie sind, dem, was sie sagen. So ist der Satz, nur Sätze der Naturwissenschaft könnten wahr sein, offenbar selbst kein naturwissenschaftlicher Satz, also falsch oder sinnlos; es ist also keine wahre oder sinnvolle Behauptung, nur Sätze der Naturwissenschaft könnten wahr sein. Auch ist der Satz, es gebe keine synthetischen Sätze a piori ...
Auch ist der Satz, es gebe keine synthetischen Sätze a piori, offenkundig ein synthetischer Satz a priori.

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Logik, Philosophie

Kurzinhalt: Irrtum, die Philosophie auf Logik zu reduzieren; Fichte

Textausschnitt: Es ist eine der im strengsten Sinne des Wortes irrationalsten, ja bei allem Anschein der Vernunft wahnhaftesten Lehren dieses Jahrhunderts, anzunehmen, daß die Philosophie auf Logik reduziert werden könne. ... selbst wenn nachgewiesen werden könnte, daß die formale Logik allgemein gelte und daß sie einer philosophischen Begründung weder bedürfe noch fähig sei, das Problem materialer philosophischer Prinzipien ungelöst bliebe. Denn die Logik kann nur lehren, was aus bestimmten Annahmen folgt, nicht, ob diese Annahmen selbst richtig sind.

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Induktion, Falsifikation; Popper

Kurzinhalt: auch Induktion setzt synthetische Sätze a priori voraus; Konstanz der Naturgesetze

Textausschnitt: Man wird daher Poppers Einwände gegen die Induktion (1935) als stringent anerkennen müssen. Nicht heißt dies aber, daß Poppers Falsifikationismus das Problem der Begründung der Rationalität wissenschaftlicher Theorien zu lösen vermöchte, ohne selbst synthetische Sätze a priori vorauszusetzen. Denn in Wahrheit setzt auch die These, es sei rationaler, einer bisher bewährten Theorie T1 als einer falsifizierten Theorie T2; zu folgen, voraus, daß es so etwas wie konstante Naturgesetze gibt. ...

Kurz: Auch der Falsifikationsgedanke setzt voraus, daß es konstante Naturgesetze gibt, und dieser Satz, der so etwas wie die moderne Naturwissenschaft, ja planende Erfahrung erst möglich macht, muß als synthetischer Satz a priori eingestuft werden.

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Popper; Zweckrationalität, Wertrationalität; Kritischer Rationalismus

Kurzinhalt: Hauptmangel des Zweckrationalität, die die Wertrationalität: Unfähigkeit der Begründung normativer Prinzipien in Ethik und Ästhetik; Zweckrationalität - Drittes Reich

Textausschnitt: Das Hauptproblem ist, wie beim Szientismus, die Unfähigkeit auch dieses Ansatzes, die normativen Prinzipien der Ethik und Ästhetik zu begründen. Was innerhalb des Kritischen Rationalismus begründet werden kann, sind nur hypothetische Imperative; es kann - freilich mit der oben angegebenen Einschränkung - aufgrund empirischer Sätze gezeigt werden, warum es sinnvoll ist, a zu tun, wenn man b erreichen will. Aber damit kann man nur die Frage beantworten, welche Mittel zu einem bestimmten Zweck tauglich sind. Nicht kann innerhalb dieses Ansatzes die Frage beantwortet werden, welche Zwecke oder Werte gut sind. ()

Rational ist in dieser Perspektive nur die Wahl der Mittel, nicht die Zwecksetzung selbst ()

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Sozialwissenschaften, Werte

Kurzinhalt: Als deskriptive Wissenschaften können Sozialwissenschaften keine Begründung von Werten geben

Textausschnitt: Als deskriptive Wissenschaften können die Sozialwissenschaften nur beschreiben, welche Werte bestimmte Gesellschaften haben; sie können bestenfalls - im Funktionalismus und in der Systemtheorie - erklären, was die Funktion bestimmter Werte für das Bestehen einer Gesellschaftsform ist. Aber als Sozialwissenschaften können sie gewiß nicht entscheiden, ob die Werte der christlichen Urgemeinde oder die der SS besser sind. (Sie können höchstens feststellen, daß die Werte des Christentums länger überlebt haben als die der SS, ebenso freilich, daß die Werte der SS länger Bestand hatten als die der Weißen Rose.)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Wittgenstein, 'Philosophischen Untersuchungen'

Kurzinhalt: 'Philosophischen Untersuchungen' im Unterschied zum 'Tractatus'; Sprachspiel; Lernen einer Sprache als Abrichten (Abrichtungsprozeß )

Textausschnitt: Statt der einen logischen Form steht im Spätwerk eine unvermittelte Pluralität von Sprachspielmonaden im Zentrum ()
Das traditionelle Referenzmodell der Sprachphilosophie, nach dem Wörter Dinge, Sätze Tatsachen repräsentieren und dem Wittgenstein noch im 'Tractatus' angehangen hatte, lehnt er nunmehr ab ()
Das Lehren der Sprache sei ein Abrichten (I § 5) - es gebe keine Bedeutungen, die jemand unabhängig von diesem Abrichtungsprozeß erfassen könne. ()

[LBMT 65/X: 'Seit der Veröffentlichung von Wittgensteins 'Philosophische Untersuchungen' gibt es einen wachsenden Konsens, daß die Bedeutsamkeit der Sprache wesentlich öffentlich und nur im abgeleiteten Sinne privat sei.]

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Wittgenstein, 'Philosophischen Untersuchungen'; Inkonsistenz

Kurzinhalt: dialektische Inkonsistenzen in den 'Philosophischen Untersuchungen'; Hexe

Textausschnitt: Ja, die 'Philosophischen Untersuchungen' sind voller dialektischer Inkonsistenzen, ja im Grunde sind sie eine einzige dialektische Inkonsistenz. Ständig wird der traditionellen Philosophie (einschließlich der des 'Tractatus') vorgeworfen, zu Unrecht normativ zu sein, ohne daß begriffen wird, daß dieser Vorwürfe solcher selbst eine normative Kompetenz der Philosophie voraussetzt. Wie kann denn mit Recht behauptet werden, daß alle Sprachspiele auch ohne philosophische Kontrolle glänzend funktionierten, und zugleich dasjenige der traditionellen Philosophie einer erbitterten Kritik unterzogen werden? Und wie kann ein Satz

()selbst die normative Dimension, die dem 'Tractatus' mit Bezug auf die Erkenntnistheorie verblieb, ist inzwischen ganz geschwunden, und dies läßt sich schwerlich anders denn als Rückfall bewerten. Denn während nach dem 'Tractatus' der Satz 'Diese Frau ist eine Hexe' immerhin noch als sinnlos abgetan werden konnte, bleibt auf dem Standpunkt der 'Philosophischen Untersuchungen' nichts anderes übrig, als den Gebrauch dieser Äußerung in einem bestimmten Sprachspiel zu analysieren.

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: skeptisches Paradox; Hume, Wittgenstein

Kurzinhalt: Unter skeptischer Lösung versteht Kripke (); Abrichten, Sprachspiel; Richtigkeit des common sense; ordinary language philosophy; Hawking; Abrichtungsprozeß

Textausschnitt: Unter skeptischer Lösung versteht Kripke (66 f.) im Gegensatz zu einer 'straight solution' eine Lösung, die anerkennt, daß das vom Skeptiker aufgeworfene Problem unlösbar sei, die aber meint, unsere gewöhnliche Praxis, die durch dieses Problem in Frage gestellt worden sei, bestehe trotzdem zu Recht, weil sie seiner Lösung und damit einer Rechtfertigung im traditionellen Sinne nicht bedürfe. So kann laut Hume Kausalität nicht ontologisch rekonstruiert werden, sondern stammt einfach aus dem Gefühl des gewohnheitsmäßigen Übergangs zwischen unseren Ideen von zwei verschiedenen Ereignistypen. Ahnlich ist nach Wittgenstein die Frage 'was meint jemand mit etwas?' nicht mit Bezug auf ein an sich bestehendes Reich der Bedeutungen, sondern nur mit Rückgriff auf die Abrichtung in einem Sprachspiel zu beantworten.

()Insbesondere gibt es nichts dem common sense Entgegengesetzteres als den Versuch der ordinary language philosophy, Philosophie auf Sprachanalyse zu reduzieren. Gewiß ist die Sprache als geronnener Geist ein Schatz wichtiger Einsichten; Etymologien wie die Analyse ihrer Struktur können die Philosophie immer wieder beflügeln. Aber etwa zu glauben, das Grundproblem der Ethik ließe sich dadurch lösen, daß man feststellt, wie das Wort 'gut' gebraucht werde, ist ein an Abwegigkeit kaum zu übertreffender Vorschlag, ja eine der krudesten Formen des naturalistischen Fehlschlusses, mit dem nicht nur die Philosophie, sondern auch der common sense endgültig abdankt, der stets wußte, daß Sachprobleme mehr sind als Wortprobleme.

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Autor: Hösle, Vittorio

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Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Sprachspiele, Inkommensurabilität

Kurzinhalt: Sprachspiel, Inkonsistenz, pluralistische Philosophie

Textausschnitt: () daß jede radikal pluralistische Philosophie dialektisch widersprüchlich ist. Wie kann jemand, der sich den Zugang zu einer anderen - subjektiven oder intersubjektiven - Monade im Prinzip versperrt, denn wissen, daß diese zweite Monade nicht mit einer dritten bestens kommunizieren kann?

()Woher will er wissen, daß der universelle Anspruch dieses Sprachspiels, das Wesen aller Sprachspiele zu erfassen, unbegründet ist, ohne sei es in es einzudringen, was nach seinen Voraussetzungen unmöglich ist, sei es allgemeine apriorische Aussagen über das Wesen aller Sprachspiele zu fällen, was ebenfalls unmöglich sein soll

()Wittgenstein begreift nicht, daß er für seine Destruktion der Philosophie jenen Allgemeinheitsanspruch immer schon präsupponiert, den er mit seiner Sprachspieltheorie zerstören will - sein Sprachspiel, das die Philosophie zur Bescheidenheit anhalten möchte, kann dies nur, weil es sich genau denselben Metastandpunkt anmaßt, den es der Philosophie vorwirft.

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Heidegger; Sein und Zeit; Intersubjektivität

Kurzinhalt: Existenzialien; Dasein als In-der-Welt-sein; Dinge als Zuhandenes; Zeug; die Anderen; das Mitsein; drei Weisen des In-Seins: Befindlichkeit, Verstehens und Rede

Textausschnitt: () Von Wichtigkeit ist ferner, daß Heidegger die anderen nicht in Absetzung von dem einzelnen Ich versteht - 'die Anderen sind vielmehr die, von denen man selbst sich zumeist nicht unterscheidet, unter denen man auch ist' (118). Ebendeswegen ist das Mitsein ein für das In-der-Welt-sein konstitutives Existenzial (121). Erst dieses Mitsein ermöglicht ein Seins- und Selbstverständnis. Erkenntnis einschließlich der Selbsterkenntnis geht dem Mitsein nicht voraus, sondern ist nur vor dessen Hintergrund denkbar ...

() Auf der Basis dieser Überlegungen kann Heidegger die Konzeption jener 'Einfühlung' zurückweisen, die 'erst die Brücke schlagen (soll) von dem zunächst allein gegebenen eigenen Subjekt zu dem zunächst überhaupt verschlossenen anderen Subjekt' (124); vielmehr sei es so, daß die Einfühlung das Mitsein nicht konstituiere, sondern voraussetze (125).

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Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Heidegger, Apel; Subjekt-Objekt-Relation, Subjekt-Subjekt-Relation

Kurzinhalt: Sein und Zeit; Subjekt-Objekt-Relation; Negation der Autonomie des denkenden Subjekts; Befreiung vom Man

Textausschnitt: () Mit einer Eindringlichkeit und begrifflichen Schärfe, wie sie es vor 'Sein und Zeit' nicht gegeben hat, arbeitet Heidegger heraus, daß die Subjekt-Objekt-Relation immer schon getragen ist von einer Subjekt-Subjekt-Relation (um mich hier einer traditionellen Terminologie zu bedienen, die Heidegger selbst verwerfen würde). Andererseits ist in ihr in nuce schon jene Negation der Autonomie des denkenden Subjekts enthalten, die die Spätphilosophie Heideggers kennzeichnet: Dem Gerede könne man sich, so scheint es auf den ersten Blick, ebensowenig wie Wittgensteins Lebensformen entziehen.

() Allerdings erkennt der zweite Abschnitt von 'Sein und Zeit' eine Befreiung vom Man an, die den Erfolg des Buches entscheidend mitbegründet hat: das eigentliche Selbstsein im Vorlaufen zum Tode. In diesem Erfassen der eigenen Faktizität und Endlichkeit, in dieser 'Entschlossenheit' entreißt sich das Dasein dem Verfallensein an die Alltäglichkeit.

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Flanagan, Josef

Stichwort: Sein und Zeit; Schuldbegriff; Hitler, Franziskus

Kurzinhalt:

Textausschnitt: () Bezeichnend für den ethischen Nihilismus, der 'Sein und Zeit' ebenso wie dem Szientismus zugrunde liegt, ist Heideggers Analyse der Begriffe von Schuld und Gewissen. ...

() Was an Heideggers Ausführungen stört, ist, daß er den traditionellen Schuldbegriff praktisch eliminiert - auf der Grundlage des Begriffsgefüges von 'Sein und Zeit' läßt sich nicht anders urteilen, als daß Adolf Hitler und Franziskus von Assisi gleichermaßen schuldig geworden sind. Im ontologischen Entwurf von 'Sein und Zeit' haben ethische Normen keinen Platz - auf der einen Seite stehen die faktischen Üblichkeiten des Man, auf der anderen der Formalismus der Entschlossenheit. Es ist nicht übertrieben, wenn man feststellt, daß diese beiden Momente weltgeschichtlich in dem verzweifelten Aufschrei jener orientierungslos gewordenen Kleinbürger zusammengetroffen sind, der die Nationalsozialisten an die Macht gespült hat ...

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Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Sein und Zeit; Kritik; Zeitlichkeit

Kurzinhalt: viele Entitäten lassen sich nicht als zeitlich interpretieren; dialektischen Inkonsistenz

Textausschnitt: () In der Tat können Heideggers brillante Phänomenanalysen trotz ihres tiefen Wahrheitsgehalts nicht darüber hinwegtäuschen, daß er, wenn auch mit umgekehrtem Vorzeichen, denselben Fehler begeht, den er der traditionellen Ontologie vorwirft - daß auch er Regionalontologie mit unbegründeten fundamentalontologischen Ansprüchen betreibt ...

() Normen und Werte aber, mathematische Entitäten, ja selbst Naturgesetze sind unter keinen Umständen als zeitlich zu interpretieren, und es spricht nicht für die Angemessenheit von Heideggers Zugang, daß er diese Phänomene im wesentlichen ignoriert.

() ... dialektischen Inkonsistenz: Es ist nicht möglich, jede Erkenntnis für geschichtlich zu halten, ohne daß sich damit auch diese Erkenntnis als geschichtlich und damit als im Prinzip schon überholt erweist.

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Flanagan, Josef

Stichwort: Objektivität, Autonomie, Inkonsistenz; Heidegger

Kurzinhalt:

Textausschnitt: () Genau diese Einheit von Objektivität und Autonomie wird aber von Heidegger zerstört - die Wendung zur Objektivität, die an sich zu begrüßen wäre, bedeutet bei ihm einen Abschied von der Autonomie. Ebendeswegen können Heideggers Behauptungen nicht irgendwie methodisch kontrolliert werden - wenn sie argumentativ rekonstruiert werden könnten, wäre dies ja ein Zeichen, daß sie das Produkt der neuzeitlichen Subjektivität und so vom Sein entfernt wären. Aber ebendeswegen schlägt Heideggers Objektivismus in den ungeheuersten Subjektivismus um, den die Philosophie dieses Jahrhunderts hervorgebracht hat

() die ganze Theorie von der Seinsvergessenheit will ja ein Argument dafür abgeben, warum wir nicht argumentieren wollen dürfen - sie präsupponiert also das, was sie verwirft. Wäre Heidegger wirklich konsequent, hätte er die Philosophie aufgegeben - er hätte entweder gedichtet oder das Denken dadurch zur Vollendung gebracht, daß er geschwiegen hätte.

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Gadamer; 2 Vorwürfe

Kurzinhalt: man könne immer nur anders, nie besser verstehen

Textausschnitt: () ... Selbstaufhebung: Denn Gadamer beraubt sich damit des Rechts, demjenigen, der ihm Absurditäten unterstellt, sagen zu können: 'Es tut mir leid, aber Sie haben mich mißverstanden'; seine Position kann im Grunde gar nicht mehr intersubjektiv diskutiert werden, weil eine solche Diskussion zumindest als regulative Idee immer schon voraussetzt, daß es so etwas wie eine objektive Interpretation gebe.

() Zweitens ist Gadamer der Vorwurf zu machen, daß seine Theorie auch mit Bezug auf die interessantere Dimension des Verstehens, die sich nicht mit der Welt subjektiver Meinungen, sondern objektiver Probleme befaßt, jeden Wahrheitskriteriums ermangle.

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Gadamer, Heidegger; Wirkungsgeschichte, Seinsgeschichte

Kurzinhalt: Preisgabe der Autonomie der Vernunft

Textausschnitt: Gadamers Begriff der Wirkungsgeschichte ersetzt ganz wie Heideggers Seinsgeschichte die Suche nach inneren Wahrheitskriterien durch die Faktizität dessen, was sich durchsetzt; die Klassiker sind in dieser Perspektive nicht groß, weil sie ernstzunehmende Lösungsvorschläge für objektive Probleme gemacht haben, sondern weil sie die Wirkungsgeschichte bestimmt haben ...

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Gadamer, Heidegger, Wittgensein; Gemeinsamkeiten; Geltungsproblem

Kurzinhalt: Lösung des Geltungsproblems durch Intersubjektivität; intersubjektive Lösung des Geltungsproblems; Abrichtungsprozeß

Textausschnitt: Das Interessante an den genannten Positionen ist freilich, daß die beiden gemeinsamen Punkte enger zusammenhängen, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Im Grunde soll nämlich die intersubjektive Instanz das Geltungsproblem lösen ...

()... Ersetzung der spezifisch normativen Dimension der Geltung durch etwas Faktisches ...

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Autor: Hösle, Vittorio

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Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Transzendentalpragmatik; Grundgedanke, Leugnung geltungstheoretischer Reflexion; Apel

Kurzinhalt: Der Grundgedanke der Transzendentalpragmatik: Verbindung von Intersubjektivität und Reflexion; reflexive - irreflexive Transzendentalphilosophie (Kant, Fichte); endlich, absolut; inkonsistent

Textausschnitt: ()
Die Entdeckung zahlreicher zum begrifflichen Umfeld von Intersubjektivität gehöriger Phänomene und Probleme macht die bleibende Leistung der Moderne aus, hinter die es kein Zurück mehr geben kann. Andererseits sind fast alle nachhegelschen Philosophien inkonsistent. Sie sind selbstwidersprüchlich, weil sie das, was sie selbst präsupponieren - die Möglichkeit philosophischer Wahrheit -, entweder ausdrücklich negieren oder zumindest nicht begründend einholen.
()
Die Pointe der Transzendentalpragmatik besteht nun darin, den Gedanken der Intersubjektivität mit demjenigen der Reflexion zu verbinden - sie ist eine reflexive Transzendentalphilosophie der Intersubjektivität.
()
Kants Ansatz mag dabei als irreflexive Transzendentalphilosophie der Subjektivität, derjenige des frühen Peirce als irreflexive Transzendentalphilosophie der Intersubjektivität bezeichnet werden.
()
Alle die genannten Philosophien sind endliche Transzendentalphilosophien - denn das begründungstheoretische Prinzip, sei es Subjektivität oder Intersubjektivität, ist ihnen nicht das Prinzip des Seins. Um eine absolute Transzendentalphilosophie handelt es sich dann

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Ethik, Schwierigkeit der Begründung, naturalistischer Fehlschluß; Apel

Kurzinhalt: Ethik, naturalistischer Fehlschluß, keine Begründung der Ethik in d . modernen Philosophie; Kant, Ethik - Mathematik; Tatsachenebene, Wert- Sollensebene

Textausschnitt: Auszug (s. unten):

() ... daß ... keine der wirkungsmächtigen modernen Philosophien die Ethik in wirklich befriedigender Weise zu begründen versucht. Im Marxismus ist die Ethik Teil der Geschichtsphilosophie; und im Szientismus und Kritischen Rationalismus hat sie als objektive Theorie ebensowenig Raum wie im Existenzialismus und in der Hermeneutik.
() ... sind doch, aufgrund des Verbotes des naturalistischen Fehlschlusses, normative Sätze auf empirische Sätze nicht zurückführbar (bzw. auf empirische Sätze nur dann, wenn diese mit apriorischen verbunden sind: So kann die Norm 'Unter den Bedingungen c sollst du a tun' aus dem empirischen Satz 'Unter den Bedingungen c ist a ein notwendiges Mittel für b' nur in Verbindung mit dem normativen Satz 'Du sollst b tun' hergeleitet werden).
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2.4. Letztbegründung und Ethik

191 "Apels Anspruch, eine Begründung der Ethik zu leisten, ist zweifelsohne seine philosophisch originellste und weltanschaulich wichtigste Leistung. Wir haben ja gesehen, daß von Peirce' marginalen Überlegungen abgesehen keine der wirkungsmächtigen modernen Philosophien die Ethik in wirklich befriedigender Weise zu begründen versucht. Im Marxismus ist die Ethik Teil der Geschichtsphilosophie; und im Szientismus und Kritischen Rationalismus hat sie als objektive Theorie ebensowenig Raum wie im Existenzialismus und in der Hermeneutik. (123; Fs)

192 Die bedeutendsten ethischen Theorien des 20. Jahrhunderts - Moores und Schelers Wertethiken - verzichten von vornherein auf eine Begründung: Werte werden demnach in Intuitionen erfaßt, die argumentativ nicht ausweisbar sind. In der Tat ist nicht zu leugnen, daß eine Begründung der Ethik besonderen Schwierigkeiten ausgesetzt ist. Denn einerseits kann sie nicht empirisch sein - sind doch, aufgrund des Verbotes des naturalistischen Fehlschlusses,1 normative Sätze auf empirische Sätze nicht zurückführbar (bzw. auf empirische Sätze nur dann, wenn diese mit apriorischen verbunden sind: So kann die Norm 'Unter den Bedingungen c sollst du a tun' aus dem empirischen Satz 'Unter den Bedingungen c ist a ein notwendiges Mittel für b' nur in Verbindung mit dem normativen Satz 'Du sollst b tun' hergeleitet werden). (123; Fs)

193 Ebensowenig ist an eine Deduktion im Sinne der ersten Kritik Kants zu denken: Unmoralisches Handeln macht Erfahrung nicht unmöglich; und so ist es kein Zufall, daß Kant in der zweiten Kritik auf eine Deduktion des kategorischen Imperativs verzichtet hat. Andererseits folgen ethische Sätze sicher nicht aus der formalen Logik - wo ist der analytische Widerspruch in dem doch wohl unethischen Satz 'Töte so viele Menschen wie möglich, ohne dich dabei erwischen zu lassen'? (123f; Fs)

194 Der Vergleich von Ethik und Mathematik, der in der Tradition zu den verbreitetsten Gemeinplätzen zählt,2 legt seit der Entwicklung der nichteuklidischen Geometrien relativistische Konsequenzen für die Ethik nahe.3 Denn so wie es, unter Zugrundelegung verschiedener geometrischer Axiome, verschiedene Systeme geben kann, die alle gleichermaßen konsistent sind, so scheint es auch in der Ethik möglich zu sein, aus verschiedenen Axiomen verschiedene Normensysteme abzuleiten; dabei wäre es völlig unmöglich, rational zu entscheiden, welches der Axiomensysteme das richtige sei - es wären, sofern sie nur konsistent sind, alle gleichberechtigt, das Normensystem des Christentums nicht anders als das Normensystem des Nationalsozialismus. (124; Fs)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Apel, Letztbegründung, Axiom, Prinzip, Definition, Transzendentalphilosophie, Münchhausentrilemma

Kurzinhalt: Argument der Letztbegründung; Möglichkeitsbedingung von Konventionen (Intersubjektivität), intersubjektive Einheit der Interpretation, Trilemma, Aristoteles, Satz d. Widerspruchs

Textausschnitt: () Unter Letztbegründung versteht Apel die Begründung von Prinzipien - eine Begründung, die nicht formallogisch zu leisten ist, da die formale Logik nur die Begründung aus Prinzipien, die Deduktion von Theoremen aus Axiomen zu leisten vermag. Aber lassen sich Prinzipien begründen? Offenbar steht dieser Anspruch Apels im Gegensatz sowohl zum Intuitionismus ...
()
Apel strebt ... eine transzendentale Theorie der Intersubjektivität an - d. h. eine Transformation der Kantischen Position, die 'den ''höchsten Punkt'', mit Bezug auf den die transzendentale Reflexion anzusetzen ist, nicht in der ''methodisch solipsistisch'' angesetzten ''Einheit des Gegenstandsbewußtseins und des Selbstbewußtseins'' erblickt, sondern in der ''intersubjektiven Einheit der Interpretation'' qua Sinnverständnis und qua Wahrheitskonsens'
()
Wer argumentiert, setzt immer schon voraus, daß er im Diskurs zu wahren Ergebnissen gelangen kann, d. h. daß es Wahrheit gibt. Er setzt ferner voraus, daß der Gesprächspartner, mit dem er redet, im Prinzip der Erkenntnis der Wahrheit fähig ist; er hat ihn damit im emphatischen Sinne als Person anerkannt. Die Argumentationssituation ist für jeden Argumentierenden unhintergehbar; ein Versuch, mit dem Anspruch auf Wahrheit sich aus dieser Situation herauszureflektieren, ist hoffnungslos inkonsistent. 'Wer nämlich ...
()
Das Trilemma besagt, eine letzte Begründung sei nicht möglich, denn entweder werde der begründende Satz selbst begründet - das aber führe in den infiniten Regreß oder zu einem Zirkelbeweis; oder aber man verzichte auf seine Begründung - das aber sei dogmatisch und beliebig.
()
Bekanntlich belegt für Aristoteles die Forderung, alles zu beweisen, einen Mangel an philosophischer Bildung (1006 a 5 ff). Der Sinn von Beweis setze nämlich voraus, daß es nicht für alles einen Beweis gebe; dies sei prinzipiell unmöglich, da dies in den infiniten Regreß führen würde. Was nun gerade den Satz des Widerspruchs angehe, so sei es leicht einzusehen, daß jeder, der ...

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

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Flanagan, Josef

Stichwort: Apel, Letztbegründung, Reflexions-Einsicht, transzendentalpragmatisch

Kurzinhalt: Letztbegründung, nichtdeduktive, Aristoteles, Descartes; cogito, ergo sum; pragmatischer Selbstwiderspruch, Wittgenstein, Kuhlmann

Textausschnitt: () Im Anschluß an Aristoteles strebt Apel eine 'philosophische Letztbegründung auf nichtdeduktivem Wege' an, die methodisch dadurch abgesichert werden soll, daß als letztbegründet jene Sätze zu gelten haben, die 'weder ohne Selbstwiderspruch durch Kritik in Frage gestellt werden können noch ohne Voraussetzung ihrer selbst deduktiv begründet werden können'
()
hält Apel die Behauptung 'cogito, sed non sum' nicht für semantisch, sondern für pragmatisch widersprüchlich; der Widerspruch bestehe nicht zwischen den zwei Teilen des Satzes, sondern zeige sich nur aufgrund einer Reflexion des Sprechenden auf das, was Bedingung der Möglichkeit seines Sprechens sei.
()
Ja, Wittgenstein akzeptiert - wenn auch ohne transzendentale Interpretation - den Gedanken, daß Argumente ein System voraussetzen. ... Das System ist nicht so sehr der Ausgangspunkt, als das Lebenselement der Argumente.

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Kommunikationsgemeinschaft, Ethik, apriori, Begründung

Kurzinhalt: Kommunikationsgemeinschaft, real, ideal, 2 Prinzipien der Ethik, Apel, Kuhlmann, 4 Normen

Textausschnitt: () Aus dieser doppelten Kommunikationsgemeinschaft leitet Apel zwei regulative Prinzipien der Ethik ab. 'Erstens muß es in allem Tun und Lassen darum gehen, das Überleben der menschlichen Gattung als der realen Kommunikationsgemeinschaft sicherzustellen, zweitens darum, in der realen die ideale Kommunikationsgemeinschaft zu verwirklichen.
()
Argumentiere rational! ...
Bemühe dich um einen vernünftigen Konsens! ...
Bemühe dich in allen Fällen, in denen deine Interessen mit denen anderer kollidieren könnten, um einen vernünftigen praktischen Konsens mit ihnen! ...
Bemühe dich stets darum, zur (langfristigen) Realisierung solcher Verhältnisse beizutragen, die der Realisierung der idealen Kommunikationsgemeinschaft näherkommen, und trage stets dafür Sorge, daß die schon existierenden Bedingungen der möglichen Realisierung einer idealen Kommunikationsgemeinschaft bewahrt werden!'

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, Voraussetzungen, Genesis, Geltung, Ethik

Kurzinhalt: Genetische Voraussetzungen; wenn a, dann b; Aversion, Gereiztheit, Zynismus, Genesis, Geltung, hypothetischer, kategorischer Imperativ, Selbstaufopferung

Textausschnitt: () Die gereizte Reaktion, der man diesem Schlagwort gegenüber allenthalben begegnet, ist offenkundig, und man kann zugeben, daß das Wort mißverständlich ist: Es scheint zu unterstellen, es gehe hier um infallible Erkenntnis, ja um den Abschluß des Projektes der Philosophie. ... es geht dabei vielmehr um die einfache Frage, ob jede nicht-empirische Erkenntnis hypothetisch sei.
()
Können wir immer nur sagen: Wenn a, dann b; oder gibt es Fälle, bei denen wir, ohne irgendwelche im Prinzip beliebige Voraussetzungen, sagen können: a gilt ohne Wenn und Aber.
()
Genesis und Geltung sind hier, wie überall, zu unterscheiden - ihre Verwechslung ist eine der Hauptursachen für geistige Verwirrungen ...
()
Es ist stets genetisch voraussetzungsvoller, geltungstheoretisch weniger voraussetzungsvoll zu denken.
()
Warum ist das Problem der Letztbegründung so wichtig? Wie schon gesagt, kann allein dann, wenn es eine nicht-hypothetische Erkenntnis gibt, sinnvollerweise von einem kategorischen Imperativ ausgegangen werden - andernfalls gibt es nur hypothetische Imperative, die besagen: 'Wenn du a willst, mußt du b tun'. Welches a ich aber will, hängt ganz von mir ab - es gibt kein Kriterium dafür

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, Intuition, Gewissen

Kurzinhalt: Genetische Voraussetzung, Intuition, 3 Bedeutungen, unbewußte Wahrnehmung, genetischer Reduktionist

Textausschnitt: () ... hat die traditionelle Philosophie mit Begriffen wie Intuition ein Erkenntnisvermögen postuliert, das nichtempirische erste Prinzipien ohne jede argumentative Vermittlung unmittelbar erfaßt.
()
Hier ist Intuition mit Methode kompatibel, dort ist sie die Negation jedes methodisch kontrollierten Vorgehens, eben weil Methode Vermittlung impliziert, jene Intuition aber reine Unmittelbarkeit ist

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, Voraussetzungen

Kurzinhalt: genetische Voraussetzungen, skeptische Ader, Relativist

Textausschnitt: () Fragt man sich, welche genetischen Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit jemand Interesse an dem Problem der Letztbegründung entwickelt ... so lassen sich ein hoher moralischer Sinn und ein Unwille, sich mit Glaubenstatsachen oder gar Meinungen zufriedenzugeben
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Relativist ... seine Position kann in einem gewissen Sinne gar nicht in Frage gestellt werden

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, Münchhausentrilemma

Kurzinhalt: Inkonsistenz, Selbstwiderspruch, Letztbegründung: analytische, empirisch, Unmöglichkeitsbehauptung

Textausschnitt: () Das Münchhausentrilemma behauptet. Letztbegründung sei unmöglich. Gemeint ist damit, daß es keine nicht-hypothetische apriorische Erkenntnis, also keine notwendig zu akzeptierenden synthetischen Sätze a priori geben könne.
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Alle apriorische Erkenntnis ist in dieser Perspektive bedingt, keine unbedingt (absolut). Daraus folgt, daß es keine Letztbegründung geben könne. Aber eben dieses Resultat ist verdächtig. Denn wie kann nach dem Münchhausentrilemma eine Aussage überhaupt in einem mehr als hypothetischen Sinne widerlegt werden?
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Wie kann der Satz 'Letztbegründung ist unmöglich' - der offenbar weder analytisch noch empirisch ist - in irgendeinem voraussetzungslosen Sinn als wahr gelten? Offenbar ist der Satz 'Letztbegründung ist unmöglich' selbstwidersprüchlich.

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Regress, infinit, Widerspruch

Kurzinhalt: Inkonsistenz des infiniten Regresses, Konstanzprinzip, allgemeine Struktur der stets gleichen Wiederholung

Textausschnitt: 264 Damit reduziert sich die Kontingenzbehauptung auf den infiniten Regreß sich ständig zurücknehmender Behauptungen 'Unter bestimmten nicht notwendig wahren Voraussetzungen gilt, daß man nicht letztbegründen kann, daß es keine letztbegründete Erkenntnis gibt; aber selbst diese Beziehung gilt nur unter bestimmten nicht notwendig wahren Voraussetzungen usw. usf.'. Man kann, auch ohne radikaler Sinnkritiker zu sein, Zweifel daran haben, daß eine solche Behauptung, die im Grunde nichts behauptet, sinnvoll ist. Ja, mehr noch: Wenn man über das unscheinbare Wörtchen 'usw.' reflektiert, dann erkennt man, daß man den infiniten Regreß - der, würde er wirklich durchgeführt, unaussprechbar und unerkennbar wäre - nur dadurch bewältigt, daß man ihn auf eine allgemeine Struktur der stets gleichen Wiederholung zurückführt. Damit ist aber ein Konstanzprinzip präsupponiert, der dem Sinn (wenn es einen solchen gibt) der Kontingenzaussage dialektisch widerspricht. Kurz: Der infinite Regreß ist als Figur nur faßbar, wenn man eine allgemeine Struktur als solche behaupten kann (und zwar nicht bloß hypothetisch, weil dasselbe Problem sich erneut stellen würde). Ebendies ist aber nur möglich, wenn man den infiniten Regreß in den Sätzen q, non-t usw. transzendiert und sich dazu durchringt, gegen alle infinitistischen Vorurteile der Moderne zu behaupten: 3. non-p ist falsch (oder sinnlos); p ist wahr; r ist wahr: Es ist notwendig, daß es nicht-hypothetische apriorische Erkenntnis gibt; es ist letztbegründet, daß es Letztbegründung gibt. (158; Fs)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, Methode, Beweise, Tautologie, Notwendigkeitsaussage

Kurzinhalt: negativer, apagogischer Beweis; Mathematik; pragmatischer, performativer Widerspruch; reflexive Argumente

Textausschnitt: 3.1.3. Zur Methode der Letztbegründung

266 Auffällig ist zunächst, daß der Beweis für die Notwendigkeit von Letztbegründung ein negativer Beweis ist. Auch wenn ein Denker vom Range Kants negative Beweise in der Philosophie, anders als in der Mathematik, für unzulässig hält (KdrV B 817 ff./A 789 ff), ist es leicht zu begreifen, daß Letztbegründung (die bei Kant nicht zufallig keine Rolle spielt) nicht auf einem direkten Beweis basieren kann. Denn dieser führt in der Tat in den infiniten Regreß; und wenn man den Abbruch des Beweisverfahrens in einer Form der Intuition vermeiden möchte, bleibt als Beweisform nur der indirekte Beweis übrig. Für die Notwendigkeit apagogischer Beweise in der Philosophie ist hiermit selbst ein apagogischer Beweis geführt; die Theorie ist somit selbstkonsistent. (Natürlich ist nicht ausgeschlossen, daß sich die Philosophie nach der reflexiv-apagogischen Begründung ihrer Prinzipien für ihre Konkretisierung des direkten Beweises bediene.) (159; Fs)

267 Klar ist allerdings, daß der apagogische Beweis in der Philosophie von demjenigen in der Mathematik spezifisch unterschieden ist. Denn in der Mathematik bleibt auch der negative Beweis erstens an die axiomatisch-deduktive Form gebunden, setzt also bestimmte im Rahmen der Theorie unbeweisbare Axiome voraus; und zweitens ist der Gegenstand des mathematischen Beweises - etwa Mengen, Zahlen, Punkte - von der Tätigkeit des Beweises unterschieden, während im Letztbegründungsbeweis Tätigkeit und Gegenstand, Subjekt und Objekt koindizieren: Der Beweis beweist in letztbegründeter Form, daß es letztbegründete Beweise gibt. (159; Fs)

268 Als apagogisch muß der Beweis der Notwendigkeitsaussage in der Unmöglichkeits- und der Kontingenzaussage Widersprüche erkennen - und zwar Widersprüche nicht zu anderen vorausgesetzten Sätzen (sonst wäre der Beweis ja hypothetisch), sondern in ihnen selbst. Da aber die Notwendigkeitsaussage keine Tautologie ist, kann der Widerspruch in jenen Aussagen nicht semantischer Natur sein - er muß pragmatischer (oder performativer) Natur sein.1 Der Widerspruch besteht also nicht zwischen zwei Satzteilen, etwa Subjekt und Prädikat, sondern zwischen dem, was der Satz als Satz, der ernst genommen werden will, immer schon präsupponiert, und dem, was er behauptet, zwischen dem, was er ist, und dem, was er sagt. (159f; Fs)

269 So ist die Aussage 'Letztbegründung ist unmöglich' eine Aussage, die ihrer Form nach, als Unmöglichkeitsaussage, beansprucht, letztbegründet zu sein; die Möglichkeit einer solchen letztbegründeten Erkenntnis wird aber von ihr in ihrer expliziten Aussage geleugnet. Ähnlich bestreitet die Aussage 'Nur unter Voraussetzungen gilt, daß nur unter Voraussetzungen gilt, daß nur unter Voraussetzungen gilt usw.', daß eine voraussetzungsunabhängige Aussage möglich ist; mit dem 'usw.' setzt sie aber voraus, daß es ein allgemeines Prinzip gibt, das den infiniten Regreß allgemeinverbindlich regelt. (Ohne ein solches Prinzip könnte der Satz gar nicht mitgeteilt werden, da es unendlicher Zeit bedürfte, um ihn zu fassen.) (160; Fs)

270 Natürlich kann jeder pragmatische Widerspruch in einen semantischen überführt werden, wenn man das in der Satzform Implizierte expliziert; aber man verfehlt die Pointe reflexiver Argumente, wenn man sie axiomatisiert und etwa sagt: Der Beweis setze eben voraus, daß z. B. Sätze Wahrheitsansprüche erheben, und diese Voraussetzung sei eine beliebige Hypothese (also keine notwendig wahre Voraussetzung). Denn auf diese Weise fällt man von der reflexiven Ebene auf die axiomatische zurück, deren Überschreitung gerade der Sinn des Letztbegründungsbeweises ist; indem man sich weigert, darauf zu reflektieren, daß der eigene Einwand Wahrheit und Letztbegründung immer schon voraussetzt, zeigt man, daß man den Sinn des Beweises nicht begriffen hat. Ebenso verfehlt man die Pointe, wenn man im Sinne des späten Husserl erklärt, es handle sich hier um eine Intuition; denn Intuitionen sind notwendig unvermittelt, während der Witz des Letztbegründungsbeweises in einer recht komplexen Argumentation besteht. Reflexive Argumente sind ein Drittes zu Deduktion und Intuition; und wer sie im Sinne der einen oder der anderen verkürzt, geht an ihrem Wesen vorbei. (160; Fs)

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, synthetisch, Sätze, Kant, Ulrici

Kurzinhalt: analytisch, synthetische Sätze a priori; Kuhlmann - Kant; Gottesbeweis, Mangel der drei Kantischen Kritiken, Ulrici

Textausschnitt: () Wie gesagt, sind letztbegründete Sätze Sätze, deren Negationen pragmatisch widersprüchlich sind. Sie sind keine analytischen Sätze, da ihre Negation nicht semantisch widersprüchlich ist; da aber in ihrer Negation doch ein Widerspruch besteht ...
()
Denn nach Kant ist die Verbindung von Subjekt und Prädikat in den synthetischen Sätzen a priori nur durch ein Drittes möglich - die Anschauung bei den Sätzen der Mathematik und die Möglichkeit der Erfahrung bei den Grundsätzen des reinen Verstandes ...
()
Der Beweis der Gültigkeit synthetischer Sätze a priori bedarf also nach Kant weiterer Voraussetzungen als dieser Sätze selbst; ja, Kant hält es ausdrücklich für undenkbar, daß ein nicht analytisch falscher Satz in sich widersprüchlich sein könne, daß es einen anderen Widerspruch geben könne als den zwischen Subjekt und Prädikat

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, Apel, Logik

Kurzinhalt: Apels Letztbegründungsformel, petitio principii, formale Logik

Textausschnitt: So trifft Apels Letztbegründungsformel durchaus das Wesentliche. Danach hat ein Satz p als letztbegründet zu gelten, wenn er
a) nicht ohne pragmatischen Selbstwiderspruch bestritten und
b) nicht ohne daß seine Geltung vorausgesetzt würde, bewiesen werden kann.
()
unter petitio principii versteht man in der Regel den Beweis eines Satzes unter Rückgriff auf ihn als Prämisse, also um einen Vorgang auf der objektivierten propositionalen Ebene; das Voraussetzungsverhältnis, von dem hier die Rede ist, spielt sich aber auf der performativen Ebene ab.

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Autor: Hösle, Vittorio

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Flanagan, Josef

Stichwort: Letztbegründung, Widerspruchssatz, petitio principii

Kurzinhalt: Widerspruchsprinzip, Leugner, Perennierung der Adoleszenzkrise, petitio principii: Letztbegründung, formaler Beweis

Textausschnitt: () ... wer den Widerspruchssatz aufgibt, beraubt sich selbst der Möglichkeit, eine andere Position immanent zu kritisieren
()
der Leugner des Widerspruchssatzes hingegen behauptet nichts. Es ist daher töricht, diese Position widerlegen zu wollen; man kann denjenigen, der, um dem Letztbegründungsbeweis zu entgehen, sich auf sie zurückzieht, nur als bestaunenswerten Gegenstand ansehen, der einer psychischen Krankheit - dem Wirbel der eigenen Subjektivität - verfallen ist.
()
Hier ist es von Bedeutung, zwischen der petitio principii im Beweis letztbegründeter Sätze und innerhalb eines formalen Beweises zu unterscheiden ...
()
Daß ein letztbegründeter Satz sich selbst präsupponiert, heißt somit, daß auch seine Negation ihn präsupponiert. Genau dies gilt aber bei einer petitio principii im gewöhnlichen Sinne nicht

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Fallibilismuskontroverse, Pankritizismus, Gewissheitserlebnis, Inkonsistenz

Kurzinhalt: Antinomie vom Lügner (Kreter); empirische, fallible Erkenntnissen, Albert, Pankritizismus führt zu Dogmatismus; Fehler im Beweis - ungültige Axiome, Bild: Unendlichkeit, Linie; Kreis, Polygon (Cusanus)

Textausschnitt: () Denn wer von Letztbegründung spricht, beansprucht keineswegs infallible Einsichten; er behauptet nur, daß eine nicht-hypothetische Erkenntnis möglich ist, die anderer Art ist als die in den axiomatisch-deduktiven Wissenschaften erreichte.
()
Die transzendentalpragmatische Kritik am Fallibilismusprinzip gipfelt in der Behauptung, dieses Prinzip führe zu einer dem Lügner verwandten Antinomie, was von den Fallibilisten energisch bestritten wird.
()
Apel ... unterscheidet ... zwischen empirischen und somit falliblen Erkenntnissen und Erkenntnissen über die Bedingung der Möglichkeit empirischer Erkenntnis, die selbst nicht fallibel sind, insofern sie selbst erst erlauben, festzustellen, wann eine Erkenntnis als fallibel gelten kann und wann nicht
()
gerade für einen universellen Fallibilisten leicht ist, sich prinzipiell gegen jede Kritik zu immunisieren: Denn nach ihm können wir ja nie sicher sein, daß wir uns geirrt haben. Insofern führt gerade der Pankritizismus zum härtesten Dogmatismus zurück
()
muß man sagen, daß der radikale Fallibilist nichts zerstört, sondern gar nichts behauptet. Der radikale Fallibilismus ist eine so schwache, nichtssagende Theorie, daß man wohl urteilen muß, sie sei gar nicht falsch, sondern sinnlos ..
()
... Gewißheitserlebnis der großen Philosophen zugrunde (etwa Parmenides', Descartes', Spinozas, Fichtes, Hegels) ... erkannten sie doch mit absoluter Sicherheit, daß aus dem Sein oder der Vernunft nicht herausgeschritten werden könne.

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Autor: Hösle, Vittorio

Buch: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie

Titel: Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie
Flanagan, Josef

Stichwort: Selbstwiderspruch, Letztbegründung, Struktur, reflexiv

Kurzinhalt: Witz, pragmatischer, dialektischer Widerspruch, 3 Ebenen, Letztbegründungsbeweis: Bewegung im Absoluten, Drittes; Struktur des Letztbegründungsbeweises: reflexiv, doch objektiv

Textausschnitt: Ähnlich wird im Philogelos, einer spätantiken Witzsammlung, folgende Anekdote erzählt (§ 193): Zu einem Grobian kam einst ein Freund, um ihn zu besuchen. Auf sein Klopfen antwortete der Grobian unwirsch: 'Ich bin nicht da.' Der andere lachte und sagte, er höre doch, daß er da sei, worauf der Grobian wütend entgegnete: 'O du gemeiner Kerl! Wenn es mein Diener gesagt hätte, hättest es du ihm geglaubt. Ich aber komme dir nicht glaubwürdiger vor als er?' Der Witz beruht hier also nicht so sehr auf dem pragmatischen Widerspruch als auf der Unfähigkeit des Grobians, ihn zu fassen. Wie ein moderner Semantiker abstrahiert der Grobian völlig von dem Selbstbezug sowie von der Situation, in der er spricht, und ärgert sich darüber, daß seiner Aussage weniger geglaubt werde als der semantisch äquivalenten seines Dieners.
()
So kann man m. E. drei verschiedene Niveaus pragmatischer Widersprüche unterscheiden: Erstens ...
()
Drittens gibt es aber Sätze, die qua Sätze, unabhängig von einer bestimmten Situation und einer bestimmten Person, unhintergehbar sind. Beispiele sind Sätze wie 'Es gibt etwas', 'Es gibt wahre Sätze'
()
Im Philosophen, der den Letztbegründungsbeweis denkt, ist das Absolute präsent; er hat teil an einer Struktur, die das Prinzip alles Seins, aller Erkenntnis, allen Weites ist.
()
Die dem Letztbegründungsbeweis zuzuordnende Struktur ist daher eine reflexive, sich selbst begründende, sich als sich selbst begründend begründende Struktur, die sich in dem, der sie denkt, selbst denkt. Es kommt alles darauf an, das Absolute nicht ... als einen dem endlichen Denken äußerlichen Gegenstand zu fassen - es ist vielmehr das Wesen des Denkens, sein innerster Kern, dem das Denken sich nicht als einem übermächtigen Objekt zu unterwerfen hat, sondern in dem allein es frei ist.

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