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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 6. Die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit erschaffen

Kurzinhalt: ... so ist ohne alle Frage die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit erschaffen. Denn was in der Zeit geschieht, geschieht sowohl nach als auch vor einer anderen Zeit, nach der bereits vergangenen, vor der noch zukünftigen. Aber ...

Textausschnitt: 6. Die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit erschaffen

6/1 Wenn man Ewigkeit und Zeit mit Recht so unterscheidet, daß es keine Zeit gibt ohne Wandel und Veränderlichkeit, während Ewigkeit keine Veränderung kennt, so ist klar, daß Zeiten nicht sein könnten ohne Kreatur, die durch Bewegung Veränderung hervorruft, eine Bewegung und Veränderung, bei der eins dem anderen weicht und folgt, da ein Zugleich unmöglich ist, woraus sich bei kürzerem oder längerem Verlauf die Zeit ergibt. Da nun Gott, in dessen Ewigkeit es keinerlei Wandlung gibt, Schöpfer und Ordner der Zeiten ist, kann man unmöglich sagen, er habe erst nach Ablaufvon Zeiten die Welt geschaffen. Man müßte sonst behaupten, es habe schon vor der Welt eine Kreatur gegeben, deren Bewegung den Zeitlauf in Gang gebracht hätte. Da nun die heiligen, durch und durch wahrhaftigen Schriften lehren, im Anfang habe Gott Himmel und Erde geschaffen, woraus deutlich zu ersehen ist, daß er vorher nichts erschuf-denn hätte er noch etwas vor allem anderen, was er schuf, geschaffen, müßte es von diesem heißen «im Anfang» -, so ist ohne alle Frage die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit erschaffen. Denn was in der Zeit geschieht, geschieht sowohl nach als auch vor einer anderen Zeit, nach der bereits vergangenen, vor der noch zukünftigen. Aber es konnte noch keine Zeit vergangen sein, weil es noch keine Kreatur gab, deren Wandlungen und Bewegungen ihren Lauf ermöglicht hätten. Mit der Zeit aber ist die Welt erschaffen, wenn zugleich mit ihrer Entstehung jene Wandlung und Bewegung hervorgerufen wurde. Darauf scheint hinzuweisen jene Anordnung der ersten sechs oder sieben Tage, bei denen von Morgen und Abend die Rede ist, die ihren Verlauf nahmen, bis alles, was Gott in ihnen schuf, am sechsten Tage vollendet und am siebten Tage jenes tief geheimnisvolle Ruhen Gottes angekündigt ward. Welcher Art aber diese Tage sind, das ist freilich unsereinem sehr schwer, wenn nicht unmöglich auszudenken, geschweige auszusprechen. (11; Fs)





-, so ist ohne alle Frage die Welt nicht in der Zeit, sondern mit der Zeit erschaffen. Denn was in der Zeit geschieht, geschieht sowohl nach als auch vor einer anderen Zeit, nach der bereits vergangenen, vor der noch zukünftigen. Aber es konnte noch keine Zeit vergangen sein, weil es noch keine Kreatur gab, deren Wandlungen und Bewegungen ihren Lauf ermöglicht hätten. Mit der Zeit aber ist die Welt erschaffen, wenn zugleich mit ihrer Entstehung jene Wandlung und Bewegung hervorgerufen wurde.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 10. Von der Einfachheit der dreieinigen göttlichen Wesens; Klare Aussagen über die Trinität

Kurzinhalt: Und diese Dreiheit ist der eine Gott und darum nicht weniger einfach, weil er eine Dreiheit ist.

Textausschnitt: 10. Von der Einfachheit der dreieinigen göttlichen Wesens.

11/10/1 Es gibt also ein Gut, das allein einfach und darum auch allein unwandelbar ist, und das ist Gott. Von diesem Gute ist alles geschaffen, was gut, aber nicht einfach und darum auch wandelbar ist. Geschaffen ist es, sage ich, das heißt gemacht, nicht erzeugt. Denn was von dem einfachen Gute erzeugt ist, ist gleichfalls einfach und ist dasselbe wie das, von welchem es erzeugt ist. Wir nennen diese zwei Vater und Sohn, und beide sind mit ihrem Geiste der eine Gott. Dieser Geist des Vateis und des Sohnes wird in der Heiligen Schrift in besonderem, ausschließlichem Sinne der Heilige Geist genannt. Er ist aber ein anderer als Vater und Sohn, da er weder der Vater ist noch der Sohn, aber man muß sagen: «ein anderer», nicht «ein anderes», denn auch er ist ein in gleicher Weise einfaches und in gleicher Weise unwandelbares Gut, dazu gleich ewig. Und diese Dreiheit ist der eine Gott und darum nicht weniger einfach, weil er eine Dreiheit ist. Denn nicht deswegen nennen wir dies wesenhafte Gut einfach, weil es etwa nur Vater ist oder nur Sohn oder nur Heiliger Geist, auch nicht deswegen, weil es etwa nur dem Namen nach und ohne personhaften Wesensunterschied eine Dreiheit ist, wie die ketzerischen Sabellianer meinten. Sondern darum heißt es einfach, weil es ist, was es hat, abgesehen von der Beziehung einer jeden Person auf die anderen. Denn gewiß hat der Vater den Sohn, aber er ist nicht selbst der Sohn, und der Sohn hat den Vater, aber ist nicht selbst der Vater. Spricht man also vom Vater, wie er an sich ist, und nicht in seinem Verhältnis zu einem der anderen, ist er das, was er hat. So nennt man ihn ja auch an sich leben-, dig, weil er das Leben hat und selbst dies Leben ist. (17f; Fs)

11/10/2 Einfach heißt also ein Wesen dann, wenn es ihm eigentümlich ist, nichts zu besitzen, was es auch verlieren könnte, oder wenn zwischen Besitzer und Besitz kein Unterschied besteht, während beispielsweise das Gefäß von der darin enthaltenen Flüssigkeit, ein Körper von seiner Farbe, die Luft von Licht und Wärme, die Seele von ihrer Weisheit zu unterscheiden ist. Denn von all diesen Dingen ist keins das, was es hat, das Gefäß nicht die Flüssigkeit, der Körper nicht die Farbe, die Luft nicht Licht oder Wärme, die Seele nicht Weisheit. Darum können sie auch dessen, was sie besitzen, beraubt werden und in andere Zustände oder Beschaffenheiten übergehen und sich wandeln, also etwa das Gefäß von der Flüssigkeit, die es an füllt, geleert, der Körper entfärbt werden, die Luft dunkel oder kalt und die Seele unweise werden. Aber auch dann, wenn ein Leib unverweslich ist, wie es den Heiligen bei der Auferstehung verheißen wird, so besitzt er zwar die unverlierbare Eigenschaft der Unverweslichkeit, aber er ist doch, da sein leibliches Wesen fortbesteht, nicht selbst Unverweslichkeit. Denn diese ist in den einzelnen Körperteilen überall ganz und nicht hier größer, dort kleiner; denn kein Teil ist unverweslicher als der andere. Ein Körper dagegen ist als ganzer größer als in einem Teile, und wenn ein Teil umfangreicher, ein anderer kleiner ist, so ist deswegen der umfangreichere nicht unverweslicher als der kleinere. So ist denn der Leib, der nicht überall ganz sein kann, etwas anderes als die Unverweslichkeit, die in ihm überall ganz ist, weil jeder Teil des unverweslichen Leibes, mag er auch sonst den anderen Teilen ungleich sein, in gleicher Weise unverweslich ist. So ist beispielsweise ein Finger kleiner als die ganze Hand, aber die Hand deshalb doch nicht unverweslicher als der Finger. Mögen Hand und Finger sonst ungleich sein, ist doch ihre Unverweslichkeit die gleiche. obwohl darum von einem unverweslichen Körper die Unverweslichkeit unabtrennbar ist, ist doch das Wesen, das seine Körperlichkeit ausmacht, etwas anderes als seine Eigenschaft, die ihn als unverweslich kennzeichnet. So ist er auch in diesem Falle nicht das, was er hat. Ebenso die Seele. Auch wenn sie immer weise ist, wie sie es, ewig erlöst, einmal sein wird, so wird sie doch nur durch Teilnahme an der unwandelbaren Weisheit, die etwas anderes ist als sie selber, weise sein. So würde ja auch die Luft, wenn das Licht, das sie durchflutet, niemals wiche, darum nicht dasselbe sein wie das erleuchtende Licht. Ieh sage das nicht, als meinte ich, die Seele sei ein Lufthauch, was einige, die sich kein unkörperliches Wesen denken konnten, gemeint haben. Doch sind sich die beiden bei aller sonstigen großen Verschiedenheit in einer Hinsicht ähnlich, nämlich darin, daß man nicht unpassend sagen kann, die unkörperliche Seele werde von dem unkörperlichen Licht der einfachen Gottesweisheit ebenso erleuchtet, wie der Luftkörper vom körperlichen Licht erleuchtet wird, und wie die Luft sich verfinstert, wenn das Licht sie verläßt - denn die Finsternis in allen irgendwie ausgedehnten Räumen ist nichts anderes als Luft ohne Licht -, so werde auch die Seele verdunkelt, wenn sie des Lichtes der Weisheit verlustig geht. (Fs; 19f)

11/10/3 Demgemäß nennt man einfach, was ursprünglich und wahrhaft göttlich ist, weil es bei ihm keinen Unterschied gibt von Wesen und Eigenschaft, und weil es nicht durch Teilnahme an anderem göttlich oder weise oder glückselig ist. Freilich wird der Geist der Weisheit in der Heiligen Schrift «vielfältig» genannt, weil er vieles in sich faßt; aber was er hat, das ist er selbst und ist alles das als der eine. Denn es gibt nicht viele Weisheiten, sondern nur eine, und in ihr befinden sich die unendlichen, für sie jedoch endlichen Schätze der geistigen Dinge, darunter alle unsichtbaren und unwandelbaren Ideen der sichtbaren und wandelbaren Dinge, die durch die Weisheit erschaffen worden sind. Denn Gott brachte nichts unwissend hervor, was man ja nicht einmal von einem menschlichen Künstler sagen kann. Hat er aber alles wissend hervorgebracht, hat er folglich auch nur hervorgebracht, was er kannte, und daraus ergibt sich etwas, was zwar den Menschengeist seltsam anmutet, aber doch wahr ist, daß nämlich diese Welt uns nicht bekannt sein könnte, wäre sie nicht, daß sie jedoch nicht sein könnte, wäre sie Gott nicht bekannt. (Fs; 20)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 21. Gottes schöpferisches Wissen und Wirken

Kurzinhalt: Sein Wissen wird nicht wie das unsere durch den Wandel der drei Zeiten, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, beeinflußt, denn «bei ihm ist kein Wechsel noch Schatten einer Veränderung». Seine Aufmerksamkeit geht nicht von einem Gedanken zum anderen ...

Textausschnitt: 21. Gottes schöpferisches Wissen und Wirken

1/22 Denn was sonst sollten wir darunter verstehen, wenn es jedesmal heißt: «Gott sah, daß es gut war», als die Anerkennung des Werkes, das der göttlichen Kunst, nämlich der Weisheit Gottes, entsprach? Gott aber hat es keineswegs erst, als es geschaffen war, als gut erkannt, sondern im Gegenteil, er hätte nichts geschaffen, wäre es ihm nicht schon vorher bekannt gewesen. Wenn er also sieht, daß gut ist, was nie entstanden wäre, hätte er es nicht schon vor seiner Entstehung gesehen, so lehrt, nicht lernt er, daß es gut ist. Ja, Plato wagte noch mehr zu sagen, nämlich, Gott sei nach Vollendung des Weltalls entzückt vor Freude gewesen. Auch er war sicher nicht so töricht zu meinen, Gottes Glückseligkeit sei durch die Neuheit seines Werks vermehrt worden, sondern wollte auf diese Weise nur zum Ausdruck bringen, daß ihm das Werk in seiner künstlerischen Vollendung ebenso gefallen habe wie vorher in der künstlerischen Intuition. Denn das Wissen Gottes kennt keinerlei Wandlung, als ob in ihm sich anders ausnähme, was noch nicht ist, als was bereits ist oder was einmal war. Nicht auf unsere Weise blickt er auf Künftiges voraus oder auf Gegenwärtiges hin oder auf Vergangenes zurück, sondern auf andere, von unserer Art zu denken weit und hoch verschiedene. Denn sein Denken bewegt sich nicht wandelbar von diesem zu jenem, sondern ist ein gänzlich unwandelbares Schauen. Was zeitlich abläuft, was also, weil zukünftig, noch nicht ist, weil gegenwärtig, eben jetzt ist und, weil vergangen, nicht mehr ist, er erfaßt es alles in ruhender und ewiger Gegenwart. Er erfaßt es auch nicht anders mit den Augen als mit dem Geiste, denn er besteht nicht aus Leib und Seele; auch nicht anders jetzt, anders vorher, anders nachher. Sein Wissen wird nicht wie das unsere durch den Wandel der drei Zeiten, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft, beeinflußt, denn «bei ihm ist kein Wechsel noch Schatten einer Veränderung». Seine Aufmerksamkeit geht nicht von einem Gedanken zum anderen über, sondern seine unkörperliche Anschauung hält alles zugleich wissend umfaßt. Denn er begreift die Zeiten ohne zeitliche Begriffe, wie er auch das Zeitliche bewegt ohne eigene zeitliche Bewegung. Ebenda also sah er, daß gut war, was er geschaffen, wo er sah, daß es gut war, es zu schaffen. Auch ward sein Wissen, als er's erschaffen sah, nicht verdoppelt oder irgendwie vermehrt, als wäre sein Wissen, bevor er's sichtbar schuf, geringer gewesen. Denn so vollkommen hätte er nicht schaffen können, wäre nicht sein Wissen so vollkommen gewesen, daß es durch Vollendung seines Werks keinen Zuwachs erfahren konnte. Wenn uns darum lediglich hätte mitgeteilt werden sollen, wer das Licht erschuf, hätte er genügt zu sagen: Gott schuf das Licht. Sollten wir auch erfahren, nicht nur wer es schuf, sondern auch wodurch er's schuf, genügte die Eröffnung: «Und Gott sprach: Es werde Licht, und es ward Licht»; denn dadurch wird uns kundgetan, daß Gott es nicht nur erschaffen, sondern durch sein Wort erschaffen hat. Weil es uns aber hochnötig war, dreierlei über das Geschaffene zur Kenntnis zu nehmen, nämlich wer es geschaffen, wodurch er's geschaffen und weshalb er's geschaffen, hören wir: «Gott sprach Es werde Licht, und es ward Licht. Und Gott sah, daß das Licht gut war. » Fragen wir also, wer es geschaffen hat, lautet die Antwort: «Gott», fragen wir, wodurch er's geschaffen, hören wir: «Er sprach: es werde, und es ward», fragen wir, weshalb, heißt's : «Weil es gut war. » Kein Urheber erhabener als Gott, keine Kunst wirksamer als Gottes Wort, kein Beweggrund besser, als daß vom guten Gotte Gutes geschaffen werde. Auch Plato nennt diesen Beweggrund der Weltschöpfung den einzig wahren, nämlich daß vom guten Gotte gute Werke hervorgebracht werden sollten. Vielleicht hat er dies gelesen, oder es von anderen, die es lasen, vernommen, oder aber er hat selbst mit hellem Geistesauge Gottes unsichtbares Wesen an den Werken der Schöpfung geschaut und erkannt, oder endlich es von denen, die es geschaut, gelernt. (32ff; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 23. Gegen des Origenes falsche Weltschöpfungslehre; Trinität in der Schöpfung

Kurzinhalt: Der Sinn der Welt nach Origenes: Einschränkung des Bösen

Textausschnitt: 23. Gegen des Origenes falsche Weltschöpfungslehre

11/23/1 Viel mehr muß man sich wundern, daß auch solche, die mit uns einen einzigen Ursprung aller Dinge annehmen und überzeugt sind, daß jedes Wesen, das nicht ist was Gott, nur von ihm, dem Schöpfer, herkommen kann, doch nicht schlicht und einfach glauben wollten, daß schlicht und einfach, ebendies der Grund der Weltentstehung sei, daß der gute Gott Gutes schuf und unter ihm Wesen sind, die zwar nicht Gott gleich, jedoch ebenfalls gut und von niemand anders geschaffen sind als dem guten Gott. Sondern sie sagen, die Seelen, also nicht etwa Teile Gottes, sondern von Gott geschaffen, hätten durch Abfall vom Schöpfer gesündigt und seien infolgedessen je nach Beschaffenheit ihrer Sünden, verschieden abgestuft vom Himmel bis herab zur Erde, gleichsam ir. die Fesseln verschiedenartiger Körper gelegt. So sei diese Welt entstanden und der Grund ihrer Erschaffung demnach nicht, daß Gutes hervorgebracht, sondern Böses eingeschränkt werden solle. Dies macht man mit Recht dem Origenes zum Vorwurf. Denn in seinem Werk, das den Titel trägt «Perl Archon», das ist «von den Anfängen», hat er so geurteilt, so geschrieben. Da muß ich mich doch mehr, als ich sagen kann, wundern, wie es möglich ist, daß ein in der kirchlichen Wissenschaft so gelehrter und bewanderter Mann nicht beachtet hat, zunächst, wie sehr dies dem Sinne der für uns maßgebenden Schrift zuwider ist. Denn wenn diese bei allen Werken Gottes die Worte hinzufügt: «Und Gott sah, daß es gut war» und nach Vollendung aller schließt: «Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe es war sehr gut », wollte sie zu erkennen geben, daß es keinen andern Grund der Erschaffung der Welt geben kann, als daß der gute Gott Gutes zu. schaffen beabsichtigte. Hätte niemand gesündigt, wäre die Welt mit lauter guten Wesen geschmückt und angefüllt, und weil die Sünde eintrat, ist darum doch nicht alles voller Sünden, da ja eine weit größere Zahl von Guten in den himmlischen Gefilden die Ordnung ihrer Natur bewahrt. Auch konnte der böse Wille, der die Ordnung der Natur nicht bewahren wollte, deswegen nicht etwa den Gesetzen des gerechten Gottes, der alles wohl ordnet, entlaufen. Denn wie ein Gemälde mit der schwarzen an rechter Stelle angebrachten Farbe, so ist das Weltall, könnte man es nur überschauen, auch mit den Sündern schön, wie sehr ihnen auch, für sich allein betrachtet, ihre Häßlichkeit Schande macht. (36f; Fs)

11/23/2 Sodann hätte Origenes und die seine Ansicht teilen sehen müssen, wenn seine Meinung richtig und die Welt geschaffen wäre, damit die Seelen zur Strafe für ihre Sünden Leiber empfingen, in die sie wie in Käfige peinlich eingeschlossen wären, und zwar je nach der Größe ihrer Sünden edlere und leichtere oder gröbere und schwerere Leiber, daß dann die Dämonen als die schlechtesten von allen auch die gröbsten und schwersten irdischen Körper hätten bekommen müssen, viel eher als die Menschen, zumal die guten. Nun aber, um zu zeigen, daß die Würdigkeit der Seelen nicht nach der Beschaffenheit der Leiber bemessen werden darf, hat der grundschlechte Dämon einen luftigen Leib erhalten, der Mensch aber, der jetzt zwar auch schlecht ist, doch längst nicht so bösartig, einen Leib aus Lehm, und das sogar vor seinem Sündenfall. Was aber ließe sich Törichteres denken als die Behauptung, der Grund dafür, daß nur diese eine Sonne die Welt erleuchtet, sei nicht etwa die Absicht des Künstlergottes, für Schönheit und Zier oder auch das Wohl der Körperwelt zu sorgen, sondern vielmehr der Umstand, daß nur eine Seele so gesündigt habe, daß sie zur Strafe gerade in diesen Körper eingeschlossen werden mußte? Aber wenn sich's nun so gemacht hätte, daß nicht eine, sondern zwei, oder auch nicht bloß zwei, sondern zehn oder hundert in gleicher oder ähnlicher Weise gesündigt hätten, dann müßte die Welt also hundert Sonnen haben! Wenn es nicht geschah, wäre das nicht der wunderbaren Fürsorge des Werkmeisters für das Wohl und den Schmuck der Körperwelt zu verdanken, vielmehr der besonderen Beschaffenheit der Sünde einer einzigen Seele, die sich dadurch eben diesen Körper verdiente. Wahrlich, nicht die Verirrung der Seelen, über die sie solch wunderliches Zeug reden, sondern die eigene Verirrung derer, die dergleichen unmöglichen Ansichten huldigen, müßte von Rechts wegen eingedämmt werden. (37f; Fs)

11/23/3 Da man nun bei jedem Geschöpf nach den drei vorhin erwähnten Punkten fragt, wer sie geschaffen und wodurch und wozu er sie geschaffen hat, worauf die Antwort lautet: «Gott, durchs Wort, und weil es gut ist», muß man weiter fragen, ob uns dadurch in geheimnisvollem Tiefsinn die Dreieinigkeit selber, Vater, Sohn und Heiliger Geist, angedeutet wird, oder ob irgend etwas dieser Auffassung unserer Schriftstelle im Wege steht. Doch das bedarf einer ausführlicheren UnterBuchung, und man muß uns nicht drängen, alles auf einmal darzulegen. (38f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 24. Die göttliche Dreieinigkeit im Schöpfungsbericht angedeutet

Kurzinhalt: ... daß in dem andeutenden Bericht über die göttlichen Werke, wenn wir hören, wer es war, der schuf, wodurch er schuf und weswegen er schuf, in geheimnisvoller Redeweise, um unsern Scharfsinn zu üben, auf die Dreieinigkeit hingewiesen wird.

Textausschnitt: 24. Die göttliche Dreieinigkeit im Schöpfungsbericht angedeutet

11/24/1 Wir glauben, halten fest und verkünden treulich, daß der Vater das Wort erzeugt hat, nämlich die Weisheit, durch die alles erschaffen ward, seinen eingeborenen Sohn, der Eine den Einen, der Ewige den Gleichewigen, der zuhöchst Gute den Gleichguten, und daß der Heilige Geist zugleich des Vaters und des Sohnes Geist ist, gleichen Wesens und gleichewig wie beide, und daß dies Ganze sowohl eine Dreiheit ist wegen der besonderen Art der Personen, als auch der eine Gott wegen seiner untrennbaren Gottheit, wie er auch der eine Allmächtige ist wegen seiner untrennbaren Allmacht. Das ist so zu verstehen, daß auch wenn man nach den einzelnen fragt, geantwortet werden muß, jeder von ihnen sei Gott und allmächtig; fragt man dagegen nach allen zugleich, lautet die Antwort: Nicht drei Götter sind's oder drei Allmächtige, sondern nur ein allmächtiger Gott; denn so groß ist in den Dreien die unteilbare Einheit, die in dieser Weise bezeugt werden wollte. Ob aber des guten Vaters und des guten Sohnes Heiliger Geist darum, weil er beiden gemeinsam ist, zutreffend die Güte beider genannt werden kann, darüber will ich nicht vorschnell ein gewagtes Urteil abgeben. Eher möchte ich mir herausnehmen, ihn die Heiligkeit der beiden zu nennen, aber nicht als Eigenschaft beider, sondern als wesenhaft wie sie und dritte Person der Dreieinigkeit. Denn das wird dadurch nahegelegt, daß zwar auch der Vater und der Sohn Geist, desgleichen Vater und Sohn auch heilig sind, dennoch der Heilige Geist in besonderem Sinne heilig genannt wird, gleichsam als die wesenhafte, gleichwesenhafte Heiligkeit beider. Wenn aber göttliche Güte nichts anderes ist als göttliche Heiligkeit, ist es gewiß auch aufmerksames Nachdenken und nicht dreiste Verwegenheit, die Vermutung auszusprechen, daß in dem andeutenden Bericht über die göttlichen Werke, wenn wir hören, wer es war, der schuf, wodurch er schuf und weswegen er schuf, in geheimnisvoller Redeweise, um unsern Scharfsinn zu üben, aufdie Dreieinigkeit hingewiesen wird. Denn als Vater des Wortes erkennen wir den, der sprach: «Es werde.» Was er aber, indem er so sprach, erschuf, ist fraglos durch das Wort geschaffen. Durch die Bemerkung endlich: «Gott sah, daß es gut war», wird klar genug angezeigt, daß Gott ohne jeden Zwang, ohne Verlangen nach irgendeinem Vorteil für sich, sondern aus lauter Güte schuf, was geschaffen ward, also weil es gut ist. Das wird erst nach vollbrachtem Werke gesagt, um zum Ausdruck zu bringen, daß das jedesmal Geschaffene der Güte entsprach, um derentwillen es geschaffen wurde. Versteht man nun unter dieser Güte mit Recht den Heiligen Geist, so wird uns hier in der Tat die ganze Dreieinigkeit in ihren Werken vor Augen geführt. Durch sie ward die heilige Stadt, die droben ist bei den heiligen Engeln, begründet, belehrt und beseligt. Fragt man nach ihrem Ursprung: Gott hat sie erbaut; nach dem Quell ihrer Weisheit: Gott erleuchtet sie; nach dem Grund ihrer Seligkeit: Gott ist's, . den sie genießt. Seiend wird sie gestaltet, betrachtend erleuchtet, anhangend beseligt. So ist, schaut und liebt sie. In der Ewigkeit Gottes hat sie ihren Bestand, in der Wahrheit Gottes leuchtet sie, in der Güte Gottes ist sie froh. (39; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 25. Die Dreiteilung der Philosophie ein Hinweis auf die Trinität

Kurzinhalt: Die drei Teile heißen Physik, Logik und Ethik... Daraus ist nicht zu schließen, daß man bei dieser Dreiteilung schon an Gott und die Dreieinigkeit gedacht habe, obschon Plato ...

Textausschnitt: 25. Die Dreiteilung der Philosophie ein Hinweis auf die Trinität

11/25/1 Anscheinend haben die Philosophen auch aus diesem Grunde die Lehre von der Weisheit für dreiteilig erklärt, oder vielmehr sie als dreiteilig zu erkennen vermocht. Denn sie haben sie sich nicht so zurechtgelegt, sondern vielmehr so aufgefunden. Die drei Teile heißen Physik, Logik und Ethik. Die lateinischen Bezeichnungen dafür, die schon in vielen Schriften eingebürgert sind, lauten: Naturale, rationale und moralische Philosophie, auf deutsch: Naturlehre, Erkenntnislehre und Sittenlehre. Im achten Buche wurden sie schon kurz erwähnt. Daraus ist nicht zu schließen, daß man bei dieser Dreiteilung schon an Gott und die Dreieinigkeit gedacht habe, obschon Plato, der als erster die Einteilung entdeckt und empfohlen haben soll, in keinem andern als in Gott den Urheber aller Wesen, den Verleiher der Einsicht und Spender der Liebe, durch die man gut und selig lebt, erblickte. Jedenfalls, so weit auch ihre Ansichten über die Natur der Dinge, die rechte Weise, die Wahrheit zu erforschen, und das höchste Gut, das das Ziel all unsers Handelns sein muß, auseinandergehen, so richtet sich doch ihr ganzes Bemühen auf diese drei großen, allumfassenden Fragen. Wenn also auch bei ihnen in der Stellungnahme zu jeder dieser Fragen die größte Meinungsverschiedenheit zutage tritt, zweifelt doch keiner daran, daß es überhaupt eine Ursache der Natur, eine Weise des Erkennens und ein Ziel des Lebens gibt. Ein Dreifaches ist es auch, woraufes bei jedem Künstler ankommt, wenn er etwas leistet, die Natur, die Lehre und der Nutzen. Bei der Natur des Künstlers handelt es sich um seine Begabung, bei der Lehre um die Unterweisung, bei dem Nutzen um die Frucht. Ich weiß wohl, daß eigentlich die Frucht Sache des Genusses und der Nutzen Sache des Benutzens ist, und daß man die beiden insofern unterscheidet, daß wir von Genießen reden, wenn uns etwas an sich und nicht um eines anderen willen erfreut, von Benutzen aber, wenn wir etwas um eines anderen willen haben wollen - weshalb man alles Zeitliche mehr benutzen als genießen sollte, um den Genuß des Ewigen zu gewinnen, nicht wie man's verkehrt macht, wenn man das Geld genießen, Gott aber benutzen will, indem man nicht das Geld um Gottes willen hingibt, sondern Gott um Geldes willen verehrt. Trotzdem benutzen wir nach gewöhnlichem Sprachgebrauch auch die Früchte und genießen, was wir benutzen, werden doch Früchte insbesondere die Ackerfrüchte genannt, die wir ja alle zeitlich benutzen. In diesem Sinne möchte ich also, wo es sich um die drei Stücke handelt, auf die es bei einem menschlichen Künstler ankommt, also Natur, Lehre und Nutzen, von Nutzen reden. Das war es, was die Philosophen, die nach dem glückseligen Leben trachteten, auf die Dreiteilung der Wissenschaft brachte, nämlich in Naturphilosophie im Hinblick auf die Natur, rationale Philosophie im Hinblick auf die Lehre, Moralphilosophie im Hinblick auf den Nutzen. Wenn wir also unsere Natur von uns selber hätten, würden wir gewiß auch unsere eigene Weisheit selbst erzeugen und brauchten uns nicht zu bemühen, sie uns durch Belehrung, also durch Lernen woandersher anzueignen, auch würde uns unsere eigene Liebe, von uns ausgehend und uns zugewandt, zum glückseligen Leben genügen, und bedürften wir zu unserem Genuß keines anderen Gutes. Nun aber, da unsere Natur, um zu sein, Gott zum Urheber hat, müssen wir auch, um weise zu sein, ihn zum Lehrer haben, und um glückselig zu sein, wiederum ihn als Spender innerlichster Freuden. (40ff; Fs))

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 26. Dar Abbild der Trinität im Wesen der Menschen Felsengrund der Gewißheit; klassisches Argument gegen Relativismus und Skeptizismus

Kurzinhalt: Denn wie ich weiß, daß ich bin, weiß ich auch um eben dies mein Wissen. Und indem ich beides liebe, füge ich den Dingen, die ich weiß, als drittes von nicht geringerer Gewißheit die Liebe hinzu. Denn ich täusche mich nicht darin ...

Textausschnitt: 26. Dar Abbild der Trinität im Wesen der Menschen Felsengrund der Gewißheit

11/26/1 Und auch in uns selber finden wir ein Abbild Gottes, das ist jener höchsten Dreieinigkeit, zwar ihm nicht gleich, vielmehr weit von ihm abstehend, weil nichts gleich ewig, nichts - um in Kürze alles zu sagen - desselben Wesens ist wie Gott, gleichwohl Gott von Natur näher als alle anderen von ihm geschaffenen Dinge, ein Abbild, das durch Erneuerung noch vervollkommnet werden soll, um ihm dann ganz ähnlich zu werden. Denn wir sind, wissen, daß wir sind, und lieben dies unser Sein und Wissen. In diesen drei Stücken, die ich nannte, verwirrt uns kein falscher Schein der-Wahrheit. Denn wir erfassen sie nicht wie die Außendinge mit irgendeinem leiblichen Sinne wie die Farben, wenn wir sehen, die Töne, wenn wir hören, die Düfte, wenn wir riechen, das Schmackhafte, wenn wir schmekken, das Harte und Weiche, wenn wir tasten. Von diesen sinnenfälligen Dingen tragen wir auch die ihnen ganz ähnlichen, aber nicht mehr körperlichen Abbilder in unseren Gedanken, halten sie in der Erinnerung fest und werden durch sie zum Verlangen angeregt. Doch ohne das Gaukelspiel von Phantasien und Einbildungen fürchten zu müssen, bin ich dessen ganz gewiß, daß ich bin, weiß und liebe. Bei diesen Wahrheiten machen mir die Argumente der Akademiker keinerlei Sorge. Mögen sie sagen: Wie, wenn du dich täuschst? Wenn ich mich täusche, bin ich ja. Denn wer nicht ist, kann sich auch nicht täuschen; also bin ich, wenn ich mich täusche. Da ich demnach bin, wenn ich mich täusche, kann es keine Täuschung sein, daß ich bin; denn es steht fest, daß ich bin, wenn ich mich täusche. Da ich also, auch wenn ich mich täuschte, sein müßte, um mich täuschen zu können, täusche ich mich darin gewiß nicht, daß ich weiß: ich bin. Folglich täusche ich mich auch darin nicht, daß ich weiß: ich weiß es. Denn wie ich weiß, daß ich bin, weiß ich auch um eben dies mein Wissen. Und indem ich beides liebe, füge ich den Dingen, die ich weiß, als drittes von nicht geringerer Gewißheit die Liebe hinzu. Denn ich täusche mich nicht darin, daß ich liebe, wenn ich mich nicht in dem täusche, was ich liebe, obschon selbst, wenn dies auch falsch wäre, es doch wahr wäre, daß ich das Falsche liebte. Denn wie könnte man mich mit Recht tadeln und mit Recht von der Liebe zum Falschen zurückhalten, wenn es nicht wahr wäre, daß ich es liebte? Da aber in diesem Falle auch wahr und gewiß ist, was ich liebe, kann niemand bezweifeln, daß auch die Liebe zu dem, was ich liebe wahr und gewiß ist. Denn ebensowenig gibt es irgendwen, der nicht sein wollte, wie es irgendwen gibt, der nicht glückselig sein wollte. Denn wie kann einer glückselig sein, wenn er überhaupt nicht ist?

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 29. Über die Erkenntnis der Engel; Erkenntnis der Engel in Gott und in sich: Tageserkenntnis und Abenderkenntnis

Kurzinhalt: Diese heiligen Engel erlangen ihre Erkenntnis Gottes nicht durch tönende Worte, sondern durch die Gegenwart der unwandelbaren Wahrheit selbst, das ist durch sein eingeborenes Wort, und sie erkennen das Wort selbst und den Vater und den Heiligen Geist ...

Textausschnitt: 29. Über die Erkenntnis der Engel

11/29/1 Diese heiligen Engel erlangen ihre Erkenntnis Gottes nicht durch tönende Worte, sondern durch die Gegenwart der unwandelbaren Wahrheit selbst, das ist durch sein eingeborenes Wort, und sie erkennen das Wort selbst und den Vater und den Heiligen Geist der beiden, sowohl ihre untrennbare Dreieinigkeit als auch die einzelnen wesenhaften Personen in ihr, die doch nicht drei Götter sind, sondern nur ein Gott, so klar, daß dies ihnen besser bekannt ist, als wir uns selber kennen. Auch die Kreatur erkennen sie besser dort, nämlich in der Weisheit Gottes, gewissermaßen der schöpferischen Kunst, die sie hervorbrachte, als in ihr selbst, wie sie auf diese Weise auch sich selbst besser erkennen als in sich selbst, obschon es ihnen auch an der niederen Erkenntnis nicht fehlt. Denn sie sind geschaffen und nicht dasselbe wie er, der sie schuf. Jenes ist, wie wir oben bereits gesagt, gleichsam die Tageserkenntnis, dieses, also die Erkenntnis in sich selbst, gleichsam die Abenderkenntnis. Denn es ist ein großer Unterschied, ob etwas erkannt wird in der Idee, nach welcher es geschaffen ward, oder in sich selbst, wie man ja auch die Geradheit der Linien und die Richtigkeit geometrischer Figuren anders erfaßt, wenn man sie im Geiste schaut, als wenn man sie in Sand einzeichnet, oder die Gerechtigkeit in ihrer unwandelbaren Wahrheit anders als in der Seele eines Gerechten. So verhält sich's auch mit allem übrigen, also der Feste zwischen den oberen und unteren Wassern, die Himmel heißt, sowie der Sammlung der Wasser in der Tiefe, der Trockenlegung der Erde und Hervorbringung der Pflanzen und Bäume, ferner der Erschaffung von Sonne, Mond und Sternen, weiter der Erschaffung der wasserentsprossenen Tiere, nämlich der Vögel, Fische und Seeungeheuer, endlich der auf Erden laufenden und kriechenden Tiere und des Menschen selbst, der vornehmer ist als alle übrigen Erdendinge. All das wird von den Engeln anders im Worte Gottes erkannt, wo es seine unwandelbar beständigen Gründe und Ideen hat, nach denen es geschaffen ward, als in sich selber. Jenes ist die klarere, dieses die dunklere Erkenntnis, entsprechend der Erkenntnis der schöpferischen Kunst selbst und der Kunstwerke. Doch wenn man sich angesichts seiner Werke zum Lobe und zur Anbetung des Schöpfers erhebt, leuchtet gleichsam das Morgenrot auf im Geiste der Betrachter. (48f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 30. Die Bedeutung der Sechszahl für das Schöpfungwerk; Zahlenspekulation über die Zahl 6: 1+2+3=6; Ausdruck ver Vollkommenheit

Kurzinhalt: Denn die Sechszahl ist die erste, die aus der Summe ihrer Teile besteht, also aus ihrem Sechstel, ihrem Drittel und ihrer Hälfte, nämlich eins, zwei und drei, die addiert sechs ergeben.

Textausschnitt: 30. Die Bedeutung der Sechszahl für dar Schöpfungwerk

11/30/1 Diese Werke wurden aber, hören wir, in sechs Tagen, indem derselbe Tag sich sechsmal wiederholte, vollendet, und zwar wegen der Vollkommenheit der Sechszahl. Nicht als hätte Gott eines Zeitraums bedurft und könnte nicht alles zugleich schaffen, was sodann durch angemessene Bewegungen den Lauf der Zeiten bilden sollte, sondern weil durch die Sechszahl die Vollkommenheit der Werke angezeigt wird. Denn die Sechszahl ist die erste, die aus der Summe ihrer Teile besteht, also aus ihrem Sechstel, ihrem Drittel und ihrer Hälfte, nämlich eins, zwei und drei, die addiert sechs ergeben. Als Teile gelten in dieser Betrachtung der Zahlen diejenigen Zahlen, von denen man angeben kann, wievielmal sie in einer bestimmten größeren Zahl enthalten sind, also etwa zwei-, drei- oder viermal. Denn obwohl beispielsweise die Vier auch eine Art Teil der Neunzahl ist, kann man doch nicht sagen, daß diese ein Vielfaches von ihr wäre. Von der Eins aber trifft das zu, denn sie ist neunmal darin enthalten, auch von der Drei, die dreimal darin enthalten ist. Addiert man aber diese ihre beiden Teile, also den neunten und dritten, eins und drei, erhält man noch längst nicht die Gesamtzahl neun. Desgleichen ist vier auch eine Art Teil der Zehnzahl, aber diese nicht ihr Vielfaches, wohl aber ein Vielfaches der Eins, die ihr zehnter Teil ist. Sie hat auch einen fünften Teil, nämlich zwei, und einen zweiten, nämlich fünf. Aber diese drei Teilzahlen, nämlich der zehnte, fünfte und zweite Teil, also eins, zwei und fünf, ergeben addiert nicht ganz zehn, sondern nur acht. Die Teilzahlen der Zwölf dagegen ergeben addiert mehr als zwölf. Denn da ist der zwölfte Teil eins, der sechste zwei, der vierte drei, der dritte vier, der zweite sechs. Eins und zwei und drei und vier und sechs machen aber nicht zwölf, sondern mehr, nämlich sechzehn. Dies habe ich kurz erwähnt, um die Vollkommenheit der Sechszahl hervor zuheben, die, wie gesagt, die erste ist, die sich durch Addierung ihrer Teilzahlen ergibt. In dieser Sechszahl von Tagen hat Gott seine Werke vollendet. Man soll darum die Bedeutung der Zahl nicht geringschätzen. An vielen Stellen der Heiligen Schrift bekommt der aufmerksame Leser zu spüren, wie großer Wert darauf zu legen ist, und nicht umsonst ward zum Lobe Gottes gesagt: «Alles hast du nach Maß, Zahl und Gewicht geordnet.»

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 1. Von dem Wesen der guten und bösen Engel; Seligkeit: Gott anhangen; die anderen: Selbstüberhebung gegen Ewigkeit, nichtsnutzige Schlauheit gegen Wahrheit ... (von Engeln ausgesagt, gilt von Menschen)

Kurzinhalt: So zeigt sich mit aller Klarheit auch an dem Fehler der bösen Engel, Gott nicht anzuhangen, da jeder Fehler der Natur schadet, daß Gott ihre Natur so gut geschaffen hat, daß ihr nur eins schaden kann: Die Trennung von Gott.

Textausschnitt: 1. Von dem Wesen der guten und bösen Engel

12/1/1 Ehe ich von der Erschaffung des Menschen spreche, wo alsbald der Ursprung der beiden Staaten, soweit das Geschlecht der vernunftbegabten Sterblichen in Frage kommt, zutage treten wird, wie er schon im vorigen Buche bei den Engeln zutage trat, muß ich noch einiges von den Engeln sagen. Ich möchte nämlich, so gut ich's vermag, den Beweis führen, daß man nicht unschicklich und unpassend von einer Gemeinschaft zwischen Menschen und Engeln spricht, so daß folglich nicht von vier Staaten, nämlich zwei Engel- und zwei Menschenstaaten, sondern nur von zwei Staaten, das heißt Genossenschaften, mit Recht die Rede sein kann, von denen der eine aus den guten, der andere aus den bösen, und zwar sowohl Engeln wie Menschen besteht. (58; Fs)

12/1/2 Man darf nicht daran zweifeln, daß das entgegengesetzte Streben der guten und bösen Engel nicht in der Verschiedenheit ihres Wesens und Ursprungs begründet ist, da Gott, der gute Urheber und Schöpfer aller Wesen, sie beide geschaffen hat, sondern in der Verschiedenheit ihres Wollens und Begehrens. Denn die einen verharren standhaft bei dem allen gemeinsamen Gut, das für sie Gott selber ist, und bei seiner Ewigkeit, Wahrheit und Liebe; die andern, von ihrer eigenen Macht berauscht, fielen, als könnten sie ihr eigenes Gut sein, von dem höheren, allen gemeinsamen, beseligenden Gute auf sich selbst zurück, tauschten dünkelhafte Selbstüberhebung ein für die hoch erhabene Ewigkeit, nichtsnutzige Schlauheit für gewisseste Wahrheit, parteiische für allgemeine Liebe und wurden hochmütig, trügerisch, neidisch. Gott anhangen, das ist für die einen Grund der Seligkeit, so ergibt sich als Grund der Unseligkeit der anderen das Gegenteil: Gott nicht anhangen. Wenn also auf die Frage, warum die einen selig sind, die Antwort mit Recht lautet: Weil sie Gott anhangen, und auf die Frage, warum die andern unselig: Weil sie Gott nicht anhangen, so gibt es für die mit Vernunft und Geist begabte Kreatur kein anderes Gut, das selig machen kann, als Gott allein. Also, obschon nicht alle Geschöpfe glückselig sein können - denn wilde Tiere, Bäume, Felsen und dergleichen erlangen diese Gnadengabe nicht, sind auch nicht empfänglich dafür -, sind es doch diejenigen, die es sein können, nicht aus sich selbst, da sie aus nichts geschaffen sind, sondern durch den, der sie geschaffen hat. Gewinnen sie ihn, sind sie selig, verlieren sie ihn, unselig. Er aber, der durch kein anderes Gut, sondern durch sich selbst selig ist, kann darum nie unselig sein, weil er nie sich selbst verlieren kann. (58f; Fs)

12/1/3 Wir sagen also: Es gibt nur ein unwandelbares Gut, den einen, wahren, seligen Gott; dagegen, was er geschaffen hat, ist zwar gut, weil es von ihm stammt, doch auch wandelbar, weil es nicht aus ihm, sondern aus nichts erschaffen -ist. Obschon sie also nicht zuhöchst gut sind, da Gott ein höheres Gut ist als sie, stellen darum doch auch die wandelbaren Geschöpfe ein hohes Gut dar, da sie dem unwandelbaren Gut anhangen können, um selig zu sein. Denn dies ist für sie so sehr das Gut, daß sie ohne es notwendig unselig sein müssen. Und nicht etwa sind in der Gesamtheit der Schöpfung andere Wesen darum besser, weil sie nicht unselig sein können, sonst müßten ja die übrigen Glieder unsers Körpers darum besser sein als die Augen, weil sie nicht erblinden können. Aber wie ein empfindendes Geschöpf, auch wenn es Schmerzen leidet, besser ist als ein Stein, den nichts schmerzt, so ist ein vernünftiges Wesen, mag es auch unselig sein, vorzüglicher als ein Wesen, das keine
Vernunft, vielleicht auch keine Empfindung besitzt und darum für Unseligkeit nicht empfänglich ist. Demnach ist es für dies in solcher Vorzüglichkeit erschaffene Wesen, das zwar wandelbar ist, aber durch Anhangen an das unwandelbare Gut, den höchsten Gott, Glückseligkeit erlangt, das seine Bedürftigkeit nur befriedigen kann, wenn es glückselig wird, und solche Befriedung nur in Gott finden kann, für solch ein Wesen ist es fürwahr ein schlimmer Fehler, wenn es ihm nicht anhangt. Jeder Fehler aber schadet der Natur und ist demzufolge naturwidrig. Solch ein Wesen unterscheidet sich also von dem, das Gott anhangt, nicht durch seine Natur, sondern seine Fehlerhaftigkeit. Aber gerade durch den Fehler wird es deutlich, wie edel und preiswürdig die Natur an sich selber doch ist. Denn wessen Fehler man, wie es recht ist, tadelt, dessen Natur zollt man dadurch ohne Frage Anerkennung. Die Feststellung, daß durch den Fehler die löbliche Natur verunstaltet wird, ist ja der rechte Tadel. Wie man dadurch, daß man die Erblindung einen Augenfehler nennt, darauf hinweist, daß es die Natur der Augen ist zu sehen, dadurch daß man die Taubheit einen Fehler der Ohren heißt, bekundet, daß es ihre Natur ist zu hören, so wird dadurch, daß man erklärt, es sei ein Fehler der Engelnatur, Gott nicht anzuhangen, offen ausgesprochen, daß es ihr wesensgemäß ist, Gott anzuhangen. Darum, wer kann sich's ausdenken, wer es gebührend mit Worten erheben, welch hoher Ruhm es ist, Gott anzuhangen, um in ihm zu leben, in ihm weise und fröhlich zu sein und solch großes Gut ohne Tod, ohne Irrtum und ohne Beschwer zu genießen? So zeigt sich mit aller Klarheit auch an dem Fehler der bösen Engel, Gott nicht anzuhangen, da jeder Fehler der Natur schadet, daß Gott ihre Natur so gut geschaffen hat, daß ihr nur eins schaden kann: Die Trennung von Gott.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 2. Kein Wesen als solches ist Gott entgegengesetzt; Gegensatz: Sein - Nichtsein; essentia: Worterklärung

Kurzinhalt: Denn dem, was ist, steht das Nichtsein gegenüber. Deshalb also ist Gott, nämlich der höchsten Wesenheit und dem Urheber aller Wesen, die es irgend gibt, keine Wesenheit entgegengesetzt.

Textausschnitt: 2. Kein Wesen als solches ist Gott entgegengeset

12/2/1 Dies mag gesagt sein, damit nicht jemand meine, die abtrünnigen Engel, von denen die Rede ist, hätten ein anderes, aus einem andern Urgrund stammendes Wesen, und Gott sei nicht der Urheber ihres Wesens. Von diesem gottlosen Irrwahn wird man sich um so sicherer und leichter fernhalten, je besser man das Wort verstehen lernt, das Gott durch den Engel sprach, als er Moses zu den Kindern Israel sandte: «Ich bin, der ich bin.» Denn da Gott die höchste Wesenheit ist, das heißt zuhöchst ist und darum auch unwandelbar ist, hat er den Dingen, die er aus nichts erschuf, wohl ein Sein, aber nicht das höchste Sein gegeben, wie er selbst es besitzt. Und zwar verlieh er den einen einen höheren Grad des Seins als den anderen und stufte so die Naturen der Wesenheiten gegen einander ab. Wie man nämlich von dem Eigenschaftswort «weise» das Hauptwort «Weisheit» ableitet, so von dem Zeitwort «sein» oder «wesen» das Wort Wesenheit (essentia), ein freilich neues Wort, das die alten Lateiner noch nicht kannten, das aber zu unseren Zeiten in Brauch gekommen ist, um das griechische « Usia » wiederzugeben - denn davon ist Wesenheit die wörtliche Übersetzung. So ist denn dem Wesen, das zuhöchst ist und dessen Schöpfermacht alles, was ist, das Sein verdankt, kein Wesen entgegengesetzt, sondern nur das Nichtseiende. Denn dem, was ist, steht das Nichtsein gegenüber. Deshalb also ist Gott, nämlich der höchsten Wesenheit und dem Urheber aller Wesen, die es irgend gibt, keine Wesenheit entgegengesetzt. (61; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 6. Woher der böse Wille der bösen Engel?; der Ursprung des bösen Werkes; Umkehr der Richtung des Strebens als Ursprung des Bösen; Beispiel: schöner Leib

Kurzinhalt: Wie kann also eine gute Sache bösen Willen bewirken? Wie in aller Welt Gutes die Ursache von Bösem sein? Nein, nur dann, wenn der Wille sich vom Höheren ab- und dem Niederen zuwendet, wird er böse, nicht als wäre das böse, zu dem er sich hinwendet ...

Textausschnitt: 6. Woher der böse Wille der bösen Engel?

12/6/1 Demnach ist dies die wahre Ursache der Seligkeit der guten Engel, daß sie dem anhangen, der zuhöchst ist. Fragt man aber nach der Ursache der Unseligkeit der bösen Engel, zeigt sich klärlich nur eine, die Abkehr von dem, der zuhöchst ist, und die Hinkehr zu sich selber, die nicht zuhöchst sind. Wie soll man diesen Fehler anders bezeichnen als Hochmut? «Hochmut ist ja der Anfang aller Sünde.» Sie wollten also ihre Kraft nicht in ihm bewahren, und obwohl sie mehr gewesen wären, hätten sie dem, der zuhöchst ist, angehangen, zogen sie ihm das geringere Sein, nämlich sich selber vor. Das ist das erste Versagen, der erste Mangel, der erste Fehler jener Natur, die so geschaffen ward, daß sie zwar nicht das höchste Sein besaß, aber doch, um Seligkeit zu erlangen, den, welcher zuhöchst ist, hätte genießen können, während sie, von ihm abgewandt, zwar nicht ihr Sein verlor, aber es verminderte und darum elend ward. Sucht man nach einer bewirkenden Ursache dieses bösen Willens, findet man keine. Denn was sollte es sein, das den bösen Willen hervorbringt, der seinerseits das böse Werk hervorbringt? Darum ist es der böse Wille, der das böse Werk vollbringt, aber nichts ist, was den bösen Willen bewirkt. Denn wenn da irgend etwas wäre, was als Ursache in Frage kommen könnte, hat es entweder auch einen Willen oder keinen. Hat es einen, dann sicher entweder einen guten oder bösen. Wenn einen guten, wird doch niemand so unsinnig sein zu glauben, daß der gute Wille einen bösen Willen hervorbrächte. Denn dann wäre ein guter Wille die Ursache der Sünde, und etwas Sinnloseres läßt sich nicht erdenken. Wenn aber jenes Etwas, das den bösen Willen verursachen soll, selbst einen bösen Willen hat, forsche ich folgerichtig nach der Ursache, die ihn hervorgebracht hat, und so fort, bis ich, um endlich meinen Fragen ein Ziel zu setzen, nach der Ursache des ersten bösen Willens frage. Es wäre aber nicht der erste böse Wille, wenn ihn ein anderer böser Wille hervorgebracht hätte. Das also ist der erste, den kein anderer hervorgebracht hat. Denn wäre ihm ein anderer vorausgegangen, der ihn bewirkt hätte, wäre er der erste, der den andern hervorbrachte. Antwortet man, nichts habe ihn hervorgebracht und darum sei er immer gewesen, so frage ich, ob er irgendeinem Wesen angehörte. Wenn keinem, konnte er selber auch nicht sein, wenn aber irgendeinem, so verschlechterte und verdarb er es, war ihm schädlich und beraubte es eines Gutes. Folglich konnte der böse Wille in keiner bösen Natur sein, sondern nur in einer guten, wenn auch wandelbaren, der dieser Fehler schaden konnte. Denn schadete er nicht, wär's auch kein Fehler gewesen und hätte man ihn auch keinen bösen Willen heißen dürfen. Schadete er aber, schadete er zweifellos dadurch, daß er Gutes fortnahm oder verminderte. So konnte der böse Wille unmöglich immer in einem Wesen vorhanden gewesen sein, da etwas natürlich Gutes vorher dagewesen sein mußte, das der böse Wille schädigen und wegnehmen konnte. War er also nicht immer, frage ich, wer ihn bewirkt hat. Es bleibt noch die Annahme übrig, daß den bösen Willen etwas hervorgebracht hat, in dem noch kein Wille war. Ich frage nun, ob dies etwas Höheres oder Niederes oder Gleiches war. War es höher, dann gewiß auch besser, hatte also gewiß nicht etwa keinen, sondern vielmehr guten Willen. Dasselbe müßte gelten, wenn es gleich gewesen wäre. Denn wenn ihrer zwei gleicherweise guten Willens sind, verursacht nicht eins im andern bösen Willen. So muß denn ein geringeres Etwas, das keinen Willen hatte, dem Engelwesen, das zuerst sündigte, den bösen Willen eingeflößt haben. Aber mag dieses sein, was es will, so geringwertig wie die unterste Erde, ist es eine Natur und ein Wesen, so ist es unfraglich auch gut und hat nach seiner Art und in seiner Ordnung Maß und Gestalt. (66ff; Fs)

12/6/2 Wie kann also eine gute Sache bösen Willen bewirken? Wie in aller Welt Gutes die Ursache von Bösem sein? Nein, nur dann, wenn der Wille sich vom Höheren ab- und dem Niederen zuwendet, wird er böse, nicht als wäre das böse, zu dem er sich hinwendet, sondern weil die Hinwendung selber verkehrt ist. Also machte nicht ein niederes Ding den Willen böse; sondern schlecht und ordnungswidrig, weil er selber böse ward, trachtete er nach dem niederen Ding. Nehmen wir an, daß zwei Menschen, die geistig und leiblich in gleicher Verfassung sind, denselben schönen Leib erblicken, und daß der eine durch diesen Anblick zu unerlaubtem Genuß verlockt wird, während der andere unentwegt in keuschem Willen verharrt, was sollen wir da als Ursache ansehen, daß wohl in dem einen, aber nicht in dem anderen böser Wille entsteht. Was verursacht ihn in dem erstgenannten? Doch nicht die Schönheit des Leibes, denn sie fiel beiden in gleicher Weise in die Augen, hatte aber nicht die gleiche Wirkung bei beiden. Oder war etwa das Fleisch des einen Betrachters die Ursache? Warum dann nicht auch das des andern? Oder war's der Geist? Warum denn nicht beider Geist? Wir setzten ja voraus, sie seien beide geistig und leiblich in gleicher Verfassung gewesen. Oder sollen wir sagen, der eine sei durch geheime Einflüsterung eines boshaften Geistes versucht worden? Als ob er nicht dieser Einflüsterung, diesem Zureden, wie man es sich auch denken mag, mit eigenem Willen zugestimmt hätte! Was diese Zustimmung, diesen bösen Willen, der dem schlimmen Zureden nachgab, in dem Manne hervorgebracht hat, danach fragen wir. Denn wir nehmen an, um auch diese Schwierigkeit aus dem Wege zu räumen, daß beide in derselben Weise versucht werden und der eine nachgibt und einwilligt, während der andere standhaft bleibt, der er war. Da zeigt sich doch klar, daß der eine von der Keuschheit nicht lassen wollte, der andere aber es wollte. Was war der Grund? Doch nur der eigene Wille, da ja in beiden die körper liche und geistige Beschaffenheit die gleiche war. Beider Augen sahen in gleicher Weise die Schönheit, beiden machte die gleiche geheime Versuchung zu schaffen. Wollen wir eine Ursache ausfindig machen, die in dem einen den eigenen bösen Willen hervorgebracht habe, finden wir auch bei genauem Zusehen nichts. Sagen wir nämlich, er selbst sei die Ursache - nun, was war er selbst vor seinem bösen Willen anders als eine gute Natur, geschaffen von Gott, dem unwandelbaren Gut? Wer also sagt, derjenige, der dem Versucher und bösen Berater im Unterschied von dem anderen zustimmte, sich des schönen Leibes zu bemächtigen, der beiden körperlich und geistig Bleichgestimmten Männern vor Augen stand, habe seinen bösen Willen selbst hervorgebracht, obwohl er vor seinem bösen Willen gut gewesen sei, der frage weiter, warum er ihn hervorgebracht hat. Darum, weil er eine Natur ist, oder weil er eine aus nichtserschaffene Natur ist? Er wird finden, daß der böse Wille nicht darin seinen Ursprung hat, daß der Sünder ein Naturwesen ist, sondern darin, daß es eine aus nichts geschaffene Natur ist. Denn wenn die Natur Ursache des bösen Willens wäre, müßten wir unweigerlich sagen, daß von Gutem Böses bewirkt werde, Gutes die Ursache des Bösen sei - falls nämlich die gute Natur den bösen Willen hervorbrächte. Aber wie kann das geschehen, daß eine gute, wenn auch wandelbare Natur, ehe sie bösen Willen hat, etwas Böses hervorbringt, nämlich den bösen Willen selbst? (68f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 7. Eine bewirkende Ursache des bösen Willens gibt es nicht; eg: inverses Wissen um das Böse

Kurzinhalt: Die Ursachen solchen Abfalls, die ja, wie gesagt, keine wirkenden, sondern versagenden sind, ausfindig machen wollen, hieße die Finsternis sehen, das Schweigen hören wollen. Beide sind uns freilich wohlbekannt, jene durch die Augen, dieses durch die ...

Textausschnitt: 7. Eine bewirkende Ursache des bösen Willens gibt es nicht

12/7/1 So frage mich niemand nach der bewirkenden Ursache des bösen Willens. Denn da gibt's keine bewirkende, sondern nur eine versagende, weil keine Wirkung, sondern nur Versagen. Denn abfallen von dem, das zuhöchst ist, zu dem, was geringer ist, ist der Anfang des bösen Willens. Die Ursachen solchen Abfalls, die ja, wie gesagt, keine wirkenden, sondern versagenden sind, ausfindig machen wollen, hieße die Finsternis sehen, das Schweigen hören wollen. Beide sind uns freilich wohlbekannt, jene durch die Augen, dieses durch die Ohren, aber nicht durch ihre Erscheinung, sondern durch Aufhebung der Erscheinung. Niemand suche also bei mir ein Wissen von dem, wovon ich weiß, daß ich's nicht weiß, er müßte denn lernen wollen, das nicht zu wissen, wovon man wissen muß, daß man's nicht wissen kann. Denn was man nicht durch Erscheinung, sondern durch deren Wegnahme zu wissen bekommt, weiß man, wenn's erlaubt ist, das zu sagen oder zu denken, in gewisser Weise durch Nichtwissen, um es durch Wissen nicht zu wissen. Denn wenn der scharfe Blick des leiblichen Auges die körperlichen Erscheinungen durchläuft, sieht er nirgendwo Finsternis, außer da, wo er aufhört zu sehen. Ebenso fällt die Wahrnehmung des Schweigens nicht etwa einem anderen Sinne zu, sondern allein den Ohren, doch nehmen sie es nur durch Nichthören wahr. Desgleichen erblickt auch unser Geist durch geistiges Erkennen die geistigen Formen. Doch wo sie fehlen, erkennt er durch Nichterkennen. Denn «wer kennt seine Sünden»? (69f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 8. Der böse Wille und die verkehrte Liebe; das böse liegt im Abfall vom eigentlichen Ziel aufgrund freien Willens

Kurzinhalt: Denn nicht des Goldes Fehler ist die Habgier, sondern des Menschen, der das Gold verkehrt liebt und von der Gerechtigkeit sich abwendet, die man dem Golde unvergleichlich vorziehen müßte.

Textausschnitt: 8. Der böse Wille und die verkehrte Liebe

12/8/1 Das weiß ich, daß Gottes Natur nie und nimmer und in keiner Hinsicht abfallen kann, daß aber abfallen kann, was aus nichts geschaffen ist. Je mehr es jedoch ist und Gutes wirkt - denn dann wirkt es wirklich etwas -, hat es bewirkende Ursachen; soweit es aber abfällt und infolgedessen Böses tut - dann aber ist nichtig, was er tut -, sind's nur versagende Ursachen. Desgleichen weiß ich, daß böser Wille nicht entstehen würde, wenn das Wesen, in welchem er entsteht, es nicht wollte, daß also der Abfall nicht notwendig, sondern freiwillig ist, weswegen ihm gerechte Strafe folgt. Denn nicht böse, das heißt, keine böse Natur ist das, zu dem man abfällt, aber der Abfall ist böse, böse darum, weil er sich gegen die Ordnung der Naturen vom höchsten Sein zum geringeren Sein abwendet. Denn nicht des Goldes Fehler ist die Habgier, sondern des Menschen, der das Gold verkehrt liebt und von der Gerechtigkeit sich abwendet, die man dem Golde unvergleichlich vorziehen müßte. Die Zuchtlosigkeit ist auch nicht ein Fehler schöner und lieblicher Körper, sondern der Seele, die in verkehrter Weise leibliche Genüsse liebt und darüber das Maßhalten vernachlässigt, das uns für Güter von weit höherer geistiger Schönheit und unvergänglicher Lieblichkeit empfänglich machen würde. Aufgeblasenheit ferner ist nicht ein Fehler des Lobes der Menschen, sondern der Seele, die das Lob der Menschen verkehrt liebt und darüber das Zeugnis des Gewissens verschmäht. Hochmut endlich ist nicht ein Fehler dessen, der Macht verleiht, oder auch der Macht selbst, sondern der Seele, die ihre eigene Macht verkehrt liebt und von der gerechteren des Mächtigeren nichts wissen will. Darum, wer verkehrt irgend etwas liebt, mag es auch seiner Natur nach gut sein, er wird, auch wenn er's erlangt, durch das Gut schlecht und elend, weil ihm darüber etwas Besseres verlorengeht. (70f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 7. Der Märtyrertod reinigt von SündenTaufe:

Kurzinhalt: Denn allen denen ... um des Bekenntnisses zu Christus willen den Tod erleiden, erwirkt er dieselbe Sündenvergebung, wie wenn sie mit dem heiligen Quellwasser der Taufe abgewaschen wären.

Textausschnitt: 7. Der Märtyrertod reinigt von Sünden

13/7/1 Denn allen denen, die, auch ohne das Bad der Wiedergeburt empfangen zu haben, um des Bekenntnisses zu Christus willen den Tod erleiden, erwirkt er dieselbe Sündenvergebung, wie wenn sie mit dem heiligen Quellwasser der Taufe abgewaschen wären. Denn der gesagt hat: «Es sei denn, daß jemand von neuem geboren werde aus Wasser und Geist, kann er nicht in das Reich Gottes kommen», hat die Märtyrer in einem anderen, nicht weniger allgemeingültigen Ausspruch ausgenommen, wenn er sagt: «Wer mich bekennet vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater», und an einer weiteren Stelle: «Wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.» Hierher gehört auch das Schriftwort: «Der Tod seiner Heiligen ist wen gehalten vor dem Herrn.» Was könnte auch köstlicher sein als ein Tod, durch den man sich Vergebung aller Sünden und eine Fülle von Verdiensten erwirbt? Denn die sich angesichts des bevorstehenden unvermeidlichen Todes taufen ließen und so nach Tilgung aller Sünden aus dem Leben schieden, haben kein so großes Verdienst wie diejenigen, die den Tod, obwohl sie es gekonnt hätten, nicht vermieden, weil sie lieber mit einem Christusbekenntnis ihr Leben beschließen als durch Verleugnung zu seiner Taufe gelangen wollten. Hätten sie das freilich getan, wäre ihnen auch diese durch Todesfurcht erpreßte Verleugnung im Taufbade vergeben worden, das ja selbst denen Vergebung bescherte, die den ungeheuren Frevel der Ermordung Christi begangen hatten. Doch wie hätten sie ohne die Gnadenfülle jenes Geistes, der «weht, wo er will», Christus so sehr lieben können, daß sie ihn trotz schwerster Todesdrohung, trotz in Aussicht gestellter Milde nicht verleugnen mochten? Vorausgeschickt und vorausgeleistet war freilich der gnadenspendende Tod des Heilandes, aber sie zögerten nicht, um Christus zu ergreifen, den eigenen Tod als Dankopfer darzubringen. So liefert der köstliche Tod der Heiligen den Beweis, daß der Tod, einst als Sündenstrafe verhängt, nun dem Zweck dienen mußte, desto reichlichere Früchte der Gerechtigkeit hervorzubringen. Doch ist der Tod nicht etwa deshalb als ein Gut zu betrachten, weil er durch Gottes Beistand, nicht aus eigener Macht, zu solchem Segen gewendet werden konnte, wie wir ihn uns noch einmal vor Augen stellen. Ihn, der einst Schreckmittel war, Sünde nicht zu begehen, nimmt man nun willig auf sich, keine Sünde zu begehen, begangene zu tilgen und die dem großen Siege gebührende Palme der Gerechtigkeit zu erlangen. (114; Fs))

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 13. Folgen der ersten Sünde; 14. Die Erbsünde

Kurzinhalt: Damals also fing das Fleisch an, «zu gelüsten wider den Geist», und mit diesem Widerstreit sind wir geboren. Aus jener ersten Sünde stammt der Ursprung des Todes, daher auch sein Kampf und Sieg in uns ...

Textausschnitt: 13. Folgen der ersten Sünde

13/13/1 Denn nachdem die Übertretung des Gebotes erfolgt und die göttliche Gnade von den Menschen entwichen war, setzte sie sogleich die Nacktheit ihrer Leiber in Verwirrung. Daher bedeckten sie mit Feigenblättern, die sie vielleicht in ihrer Aufregung zuerst wahrnahmen, ihre Schamteile. Es waren vorher dieselben Glieder gewesen, hatten aber noch nichts Beschämendes an sich. Jetzt spürten sie eine neue Regung ihres nun widerspenstigen Fleisches, gleichsam als strafenden Rückschlag ihres Ungehorsams. Denn die Seele, der ihre eigene, dem Bösen sich zuwendende Freiheit gefiel und der Dienst Gottes mißfiel, verlor die frühere Herrschaft über ihren Leib, und da sie den Herrn über sich eigenwillig verlassen, vermochte sie den Diener unter sich nicht mehr unter ihren Willen zu beugen und besaß nun nicht mehr ein fügsames Fleisch, wie sie es immer hätte haben können, wenn sie ihrem Gotte fügsam geblieben wäre. Damals also fing das Fleisch an, «zu gelüsten wider den Geist», und mit diesem Widerstreit sind wir geboren. Aus jener ersten Sünde stammt der Ursprung des Todes, daher auch sein Kampf und Sieg in uns, den wir in unsern Gliedern und unserer verderbten Natur zu spüren bekommen. (123f; Fs)

14. Die Erbsünde

Denn Gott, der Urheber der Naturen, nicht der Gebrechen, hat den Menschen wohl gut erschaffen, doch der, durch eigene Schuld verderbt und dafür von Gott gerecht verdammt, hat verderbte und verdammte Nachkommen erzeugt. Denn wir alle waren in jenem einen, waren damals alle jener eine, der durch das Weib in Sünde fiel, das aus ihm erschaffen ward, ehe es Sünde gab. Noch war nicht für die Einzelnen die Form geschaffen und ausgeteilt, in der jeder Einzelne leben sollte, aber im Samen war die Natur schon vorhanden, aus der wir durch Fortpflanzung hervorgehen sollten. Da diese nunmehr durch Sünde verdorben, von Todésbanden umstrickt und gerechterweise verdammt war, mußte hinfort ein Mensch vom andern in dieselbe Lage hineingeboren werden. So ist denn aus dem verkehrten Gebrauch des freien Willens die ganze Kette des Unheils entstanden, die mit nicht abreißendem Jammer das Menschengeschlecht, dessen Ursprung verderbt und gleichsam an Wurzelfäulnis erkrankt war, bis zum endgültigen Untergang im zweiten Tode führen sollte, ausgenommen nur diejenigen, die durch Gottes Gnade erlöst werden. (Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 1. Die Entstehung der beiden Staaten; 2. Was beißt «nach dem Fleisch leben?; Leben nach dem Fleisch - Leben nach dem Geist

Kurzinhalt: ... gibt es doch nicht mehr als nur zwei Arten menschlicher Gemeinschaft ... Der eine besteht aus den Menschen, die nach dem Fleisch, der andere aus denen, die nach dem Geist leben wollen ...

Textausschnitt: 1. Die Entstehung der beiden Staaten

14/1/1 Wie schon in den vorhergehenden Büchern gesagt, wollte Gott alle Menschen aus einem einzigen hervorgehen lassen, um so das Menschengeschlecht nicht nur durch Gleichheit der Natur gesellig zusammenzuschließen, sondern auch durch verwandtschaftliche Beziehungen mit dem Band des Friedens in Einheit und Eintracht zu verknüpfen. Auch davon war die Rede, daß dies Geschlecht in seinen einzelnen Gliedern nicht hätte sterben müssen, wenn nicht die beiden ersten, von denen der eine aus keinem, die andere aus jenem einen erschaffen ward, es sich durch ihren Ungehorsam als Strafe zugezogen hätten. Sie begingen eine so schwere Sünde, daß dadurch die menschliche Natur zum Schlechteren verkehrt ward, da Verstrickung in Sünde und Todeszwang auch auf die Nachkommenschaft überging. Die Herrschaft des Todes aber hat die Menschen derartig geknechtet, daß die verdiente Strafe alle auch in den zweiten Tod, der kein Ende hat, hineinreißen würde, wenn nicht Gottes unverdiente Gnade einige davor rettete. Obwohl darum auf dem Erdkreis so viele und große Völker mit mannigfachen Sitten und Bräuchen leben und sich durch eine Vielfalt von Sprachen, Waffen und Kleidern unterscheiden, gibt es doch nicht mehr als nur zwei Arten menschlicher Gemeinschaft, die wir mit unserer Heiligen Schrift sehr wohl zwei Staaten nennen können. Der eine besteht aus den Menschen, die nach dem Fleisch, der andere aus denen, die nach dem Geist leben wollen, jeder in dem seiner Art entsprechenden Frieden, und wenn sie erreichen, was sie anstreben, leben sie tatsächlich in diesem ihrer Art entsprechenden Frieden. (145; Fs))

2. Was beißt «nach dem Fleisch leben?

14/2/1 Zuerst müssen wir also sehen, was es heißt, nach dem Fleisch und nach dem Geist leben. Wer auf das, was wir sagten, nur einen flüchtigen Blick wirft und nicht daran denkt oder nicht genügend erwägt, wie die Heilige Schrift zu reden pflegt, der mag meinen, es seien bloß die epikureischen Philosophen, die nach dem Fleische leben, da sie das höchste Gut des Menschen in der Lust des Leibes erblickten, oder etwa auch noch andere, die so oder so das leibliche Wohl für das wahre Wohl des Menschen hielten, dazu die Masse derer, die nach keiner Philosophie fragen und, ihren Lüsten verfallen, nur solche Freuden kennen, die sie mit leiblichen Sinnen genießen können. Die Stoiker dagegen, die das höchste Gut des Menschen in seinem Geiste erblicken, seien es, die nach dem Geiste leben. Denn, so sagt man, der Menschengeist ist doch auch Geist. Achten wir dagegen auf die Redeweise der Schrift, so zeigt sich, daß auch diese wie die vorigen nach dem Fleische leben. Denn unter Fleisch versteht sie nicht nur den Leib irdischer und sterblicher Lebewesen, wie an der Stelle: «Nicht alles Fleisch ist einerlei Fleisch, sondern ein anderes Fleisch ist der Menschen, ein anderes des Viehs, ein anderes der Vögel, ein anderes der Fische», sondern sie gebraucht das Wort auch noch in mancherlei anderer Bedeutung. So nennt sie in einer dieser verschiedenen Redeweisen häufig den Menschen selber, das heißt die menschliche Natur, Fleisch, wie man eben nach dem Teile das Ganze zu benennen pflegt, etwa in dem Spruch: «Aus den Werken des Gesetzes wird kein Fleisch gerecht.» Das soll natürlich heißen: kein Mensch. Bald darauf sagt sie das deutlicher: «Durch das Gesetz wird niemand gerecht», und im Brief an die Galater: «Wir wissen, daß der Mensch durch des Gesetzes Werke nicht gerecht wird.» In diesem Sinne ist es auch zu verstehen, wenn man liest: «Und das Wort ward Fleisch», das heißt also: Mensch. Einige haben das freilich mißverstanden und daraus geschlossen, Christus habe eine menschliche Seele gefehlt. Aber wie bisweilen, wo das Ganze genannt wird, nur ein Teil gemeint ist, etwa in dem Wort der Maria Magdalena im Evangelium: «Sie haben meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben », wo sie ja nur von dem begrabenen Fleische Christi sprach, das sie aus der Grabkammer weggenommen wähnte, so ist auch, wenn nur ein Teil, also das Fleisch, genannt wird, oft das Ganze, nämlich der Mensch zu verstehen. So an den vorhin angeführten Stellen.

14/2/2 Auf mancherlei Weise also spricht die göttliche Schrift vom Fleische, und es wäre zu umständlich, alles zu erforschen und zusammenzustellen'. Um nun zu ergründen, was es heißt, «nach dem Fleische leben», womit sicherlich etwas Böses gemeint ist, obwohl die Natur des Fleisches an sich nicht böse ist, wollen wir sorgfältig jene Stelle aus dem Briefe des Apostels Paulus an die Galater ins Auge fassen, wo er sagt: «Offenbar aber sind die Werke des Fleisches, nämlich Hurerei, Unreinigkeit, Üppigkeit, Abgötterei, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zwietracht, Ketzerei, Neid, Trunksucht, Völlerei und dergleichen, wovon ich euch zuvor gesagt habe und sage noch zuvor, daß, die solches tun, werden das Reich Gottes nicht ererben.» Dieser eine Spruch des apostolischen Briefes, als Ganzes betrachtet und, soweit hier erforderlich, erwogen, genügt, die Frage zu beantworten, was es bedeutet, nach dem Fleische zu leben. Denn unter den Werken des Fleisches, von denen der Apostel sagt, sie seien offenbar, und die er aufzählt und verurteilt, treffen wir nicht nur solche an, die zur Fleischeslust gehören, wie Hurerei, Unreinigkeit, Üppigkeit, Trunksucht und Völlerei, sondern auch solche, welche wir als Geistessünden kennen, die mit Fleischeslust nichts zu schaffen haben. Denn wer sieht nicht ein, daß Götzendienst, Zauberei, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Zwietracht, Ketzerei und Neid mehr Geistes- als Fleischessünden sind? Kann es doch vorkommen, daß jemand um Götzendienstes oder ketzerischen Irrtums willen auf leibliche Genüsse verzichtet. Dennoch wird auch solch ein Mensch, mag er seine fleischlichen Lüste noch so sehr zu zähmen und zügeln scheinen, durch das gewichtige Apostelwort als nach dem Fleische lebend gekennzeichnet, und gerade dadurch, daß er sich der Lüste des Fleisches enthält, kommt es zutage, daß er verdammliche Fleischeswerke verrichtet. Wer hegt Feindschaft anderswo als im Geiste? Oder wer sagt zu seinem Feinde oder einem, den er für seinen Feind hält: Du hast ein böses Fleisch wider mich und nicht vielmehr einen bösen Geist? Und endlich, wie jeder, hörte er etwas von Fleischlichkeit, um einmal dieses Wort zu bilden, alsbald an das Fleisch denken würde, wird auch niemand bezweifeln, daß Zornmütigkeit ihren Sitz im Gemüt, also im Geiste hat. Wie könnte der Lehrer der Völker im Glauben und in der Wahrheit all dies und anderes derart Werke des Fleisches nennen, wenn er nicht nach der Redefigur, die einen Teil für das Ganze nimmt, unter dem Worte Fleisch den Menschen selber verstanden wissen wollte?

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 3. Nicht das Fleisch ist die Ursache der Sünde

Kurzinhalt: Denn nicht darum weil er Fleisch besitzt, das dem Teufel abgeht, sondern weil er nach sich selber, also nach dem Menschen lebte, ist der Mensch dem Teufel ähnlich geworden

Textausschnitt: 3. Nicht das Fleisch in die Ursache der Sünde

14/3/1 Sagt nun jemand im Hinblick auf die sittlichen Übelstände, das Fleisch sei Ursache aller Sünden, weil es die mit Fleisch behaftete Seele ist, die so schlecht lebt, hat er doch nicht die ganze Natur des Menschen sorgfältig ins Auge gefaßt. Wohl ist es wahr, daß «der vergängliche Leib die Seele beschwert», und deswegen sagt auch derselbe Apostel von diesem vergänglichen Leibe, den er vorher mit den Worten erwähnte: «Wenn auch unser äußerlicher Mensch verdirbt», die folgenden Sätze: «Wir wissen, daß wir, wenn unser irdisches Wohnhaus abgebrochen wird, einen Bau haben, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht, das ewig ist, im Himmel. Und wir seufzen darüber, voll Verlangen, mit unserer Behausung, die vom Himmel ist, überkleidet zu werden, jedoch so, daß wir, damit bekleidet, nicht nackt erfunden werden. Denn dieweil wir noch in dieser Hütte sind, seufzen wir und sind beschwert, da wir lieber nicht entkleidet, sondern überkleidet werden wollten, auf daß das Sterbliche verschlungen werde vom Leben.» Wir werden also in der Tat vom vergänglichen Leibe beschwert; da wir jedoch wissen, daß als Ursache dieser Beschwernis nicht die Natur und das Wesen des Leibes, sondern seine Vergänglichkeit in Frage kommt, wollen wir nicht des Leibes beraubt, sondern mit Unsterblichkeit bekleidet werden. Wenn das geschieht, wird der Leib noch dasein, aber uns nicht mehr beschweren, weil er dann nicht mehr vergänglich ist. fetzt also « beschwert noch der vergängliche Leib die Seele, und die irdische Behausung drückt nieder den vieles erwägenden Sinn. » Doch die da meinen, alle Übel der Seele stammten vom Leibe, befinden sich im Irrtum. (157f; Fs)
14/3/2 Vergil freilich scheint in folgenden klangvollen Versen die Ansicht Platos wiederzugeben, wenn er dichtet:

«Feurig nennt' ich die Kraft und himmlisch den Ursprung der Seelen,
wenn nur nicht der Leiber beschwerliche Lasten sie drückten,
und die irdisch-todverfallenen Glieder sie schwächten.» Indem er sodann zu verstehen geben will, daß die vier bekannten Gemütsstörungen, Begierde, Furcht, Freude und Schmerz, als Wurzeln aller Sünden und Laster vom Leibe herkommen, fügt er hinzu:
«Darum ist Furcht ihr Teil, Begierde, Schmerz auch und Freude,
schauen nicht auf zum Licht, im düsteren Kerker verschlossen.» (158; Fs)

14/3/3 Doch unser Glaube lehrt anders. Denn die Vergänglichkeit des Leibes, die die Seele beschwert, ist nicht die Ursache der ersten Sünde, sondern ihre Strafe, und nicht das vergängliche Fleisch hat die Seele sündig gemacht, sondern die sündige Seele machte das Fleisch vergänglich. Mögen auch aus dieser Verderbnis des Fleisches manche Lockungen zur Sünde, ja auch sündhafte Begierden selber entspringen, so darf man doch nicht alle Fehler eines bösen Lebens dem Fleische zur Last legen, sonst müßte ja der Teufel von ihnen allen frei sein, da er kein Fleisch hat. Aber obwohl man den Teufel keinen Hurer oder Trunkenbold nennen und ihn auch sonst keines der Laster bezichtigen kann, die zur Fleischeslust gerechnet werden, zu denen er freilich insgeheim auch rät und anstachelt, ist er doch im höchsten Grade hochmütig und neidisch. Diese Laster halten ihn dermaßen im Bann, daß er um ihretwillen in den Kerkern der dämmerigen Luft eingesperrt und zur ewigen Verdammnis bestimmt ist. Und eben diese Laster, die im Teufel die Herrschaft haben, teilt der Apostel dem Fleische zu, das der Teufel gewiß nicht hat. Denn er sagt, Feindschaft, Hader, Eifersucht, Zorn, Neid seien Werke des Fleisches; aber Haupt und Wurzel all dieses Bösen ist der Hochmut, der auch ohne Fleisch im Teufel regiert. Wer ist auch mehr als er den Heiligen feind? Wer gehässiger gegen sie, erbitterter, eifersüchtiger, neidischer? Und all das ist er ohne Fleisch. Nur darum also kann man hier von Fleischeswerken reden, weil es Werke des Menschen sind, den der Apostel, wie ich sagte, als Fleisch bezeichnet. Denn nicht darum weil er Fleisch besitzt, das dem Teufel abgeht, sondern weil er nach sich selber, also nach dem Menschen lebte, ist der Mensch dem Teufel ähnlich geworden. Auch der wollte ja nach sich selber leben, als er «nicht in der Wahrheit bestand» und nicht aus dem, «was Gottes ist», sondern aus seinem Eigenen Lüge redete, er, der nicht nur ein Lügner, sondern auch der Vater der Lüge ist. Er zuerst hat ja gelogen, und wie die Sünde, so ist auch die Lüge von ihm ausgegangen. (158f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 4. Was es heißt «nach dem Menschen leben» - Lüge; nach Gott leben - Wahrheit

Kurzinhalt: Lebt man also nicht so, wie man seiner anerschaffenen Natur nach leben sollte, so ist das Lüge. Denn der Mensch will glückselig sein, ohne doch so zu leben, daß er es sein kann. Gibt es etwas Verlogeneres als solchen Willen?

Textausschnitt: 14/4/1 Lebt also der Mensch nach dem Menschen und nicht nach Gott, ist er dem Teufel ähnlich. Denn auch der Engel sollte nicht nach dem Engel, sondern nach Gott leben, um in der Wahrheit zu bestehen und aus dem, was Gottes ist, Wahrheit, nicht aus seinem Eigenen Lüge zu reden. Auch vom Menschen sagt ja derselbeApostel an anderer Stelle: «Wenn aber die Wahrheit Gottes in meiner Lüge mächtig wird.» Unser ist demnach die Lüge, die Wahrheit Gottes. Lebt also der Mensch nach der Wahrheit, lebt er nicht nach sich selber, sondern nach Gott. Denn Gott ist's, der gesagt hat: «Ich bin die Wahrheit.» Lebt er aber nach sich selber, das ist nach dem Menschen und nicht nach Gott, lebt er unfraglich auch nach der Lüge. Das soll nicht heißen, daß der Mensch selber Lüge wäre. Denn sein Urheber und Schöpfer ist Gott, der gewiß nicht Urheber und Schöpfer der Lüge ist. Aber der Mensch war recht geschaffen und mußte demzufolge nicht nach sich selbst, sondern nach dem, der ihn schuf, leben, also nicht seinen eigenen, sondern des Schöpfers Willen tun. Lebt man also nicht so, wie man seiner anerschaffenen Natur nach leben sollte, so ist das Lüge. Denn der Mensch will glückselig sein, ohne doch so zu leben, daß er es sein kann. Gibt es etwas Verlogeneres als solchen Willen? So kann man nicht ohne Grund sagen, alle Sünde sei Lüge. Denn wenn wir sündigen, wollen wir stets, daß es uns wohl, und nicht, daß es uns übel ergehe. Darin also besteht die Lüge, daß, was um unseres Wohlergehens willen geschieht, vielmehr übles Ergehen zur Folge hat, was zur Verbesserung unserer Lage geschieht, sie nur verschlechtert. Und woher das? Daher, weil dem Menschen Wohlergehen nur von Gott, den er durch seine Sünde
DER AUFRUHR DES FLEISCHES 161 verläßt, zuteil werden kann, nicht durch sich selber, da er, wenn er nach sich selber lebt, nur sündigt. (160f; Fs)
14/4/2 Wenn wir also sagten, dadurch seien zwei verschiedene und einander entgegengesetzte Staaten entstanden, daß die einen nach dem Fleisch, die andern nach dem Geiste leben, so kann man das auch so ausdrücken, daß die einen nach dem Menschen, die andern nach Gott leben. Ganz unzweideutig sagt ja Paulus zu den Korinthern: () So ist denn der seelische Mensch nicht etwas anderes als der fleischliche, sondern beides ist dasselbe, nämlich der nach dem Menschen lebende Mensch.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 6. Die Beschaffenheit der Afekte hängt vom Willen ab

Kurzinhalt: Begierde, Freude, Traurigkeit, Furch als Modi des rechten oder falschen Willens

Textausschnitt: 14/6/1 Es kommt vielmehr auf die Beschaffenheit des menschlichen Willens an. Ist er verkehrt, hat er auch diese verkehrten Regungen; ist er aber recht, werden sie nicht nur unschuldig, sondern auch lobenswert sein. Denn in ihnen allen ist Wille, vielmehr allesamt sind sie nichts anders als Willensrichtungen. Denn was ist Begierde und Lust anders als Wille, der bejaht, was wir wollen, was Furcht und Traurigkeit anders als Wille, der verneint, was wir nicht wollen? Äußert sich die Bejahung im Streben nach dem, was wir wollen, nennen wir's Begierde, äußert sie sich im Genuß dessen, was wir wollen, Lust. Desgleichen, wollen wir nicht, daß etwas uns trifft, und verneinen wir es deswegen, heißt solcher Wille Furcht, trifft uns dagegen etwas wider Willen, und verneinen wir es deswegen, heißt solcher Wille Traurigkeit. Kurz, je nach der Verschiedenheit der Dinge, die man erstrebt oder flieht, bald angezogen, bald abgestoßen, wendet und wandelt sich der Wille in diese oder jene Gemütsbewegungen. Ein Mensch also, der nach Gott und nicht nach dem Menschen lebt, ist notwendig Liebhaber des Guten, woraus sich die Folge ergibt, daß er das Böse haßt. Und da niemand von Natur, sondern jeder nur durch eigene Verfehlung böse ist, muß, wer nach Gott lebt, die Bösen «mit rechtem Ernst hassen», das heißt, er soll weder um der Sünde willen den Menschen hassen, noch um des Menschen willen die Sünde lieben, sondern die Sünde hassen und den Menschen lieben. Ist aber der Mensch von der Sünde genesen, ist alles liebenswert und bleibt nichts, was man noch hassen müßte. (164; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 7. Die verschiedenen Bezeichnungen der Schrift für Liebe - die rechte Liebe

Kurzinhalt: Der rechte Wille also ist die gute Liebe und der verkehrte Wille die böse Liebe.

Textausschnitt: Der rechte Wille also ist die gute Liebe und der verkehrte Wille die böse Liebe. Liebe, die danach lechzt zu besitzen, was sie liebt, ist Begierde, die es besitzt und genießt, Freude, die flieht, was ihr zuwider ist, Furcht, die das ihr Widerwärtige fühlt, Traurigkeit. All das ist bös, wenn die Liebe böse ist, gut, wenn sie gut ist. Belegen wir das soeben Gesagte durch die Schrift. Wir hören, daß der Apostel «begehrt, abzuscheiden und bei Christo zu sein», ferner: « Meine Seele begehrt verlangend nach deinen Gerichten », oder wie es vielleicht besser auszudrücken wäre, sie verlangt begierig nach deinen Gerichten, endlich: «Begierde nach Weisheit führt zur Herrschaft.» Doch hat sich der Sprachgebrauch festgesetzt, daß wenn von Begehren oder Begierde die Rede ist,

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Affekte, Gefühle bei den Stoikern: der Weise kennt keine Traurigkeit

Kurzinhalt: Die Affekte. Sprachgebrauch der Stoiker, der Umgangssprache und der Heiligen Schrift

Textausschnitt: 14/8/1 Denn was die Griechen Wohlgestimmtheiten (eupatheiai), Cicero auf lateinisch Ruhelagen (constantiae) der Seele nannte, deren gibt es nach den Stoikern drei, die im Geiste des Weisen den drei Gemütsstörungen entsprechen, nämlich anstelle der Begierde den (vernünftigen) Willen, anstelle der Freude (laetitia) das Frohgemüt (gaudium), anstelle der Furcht die Vorsicht. Dem Unbehagen aber oder dem Schmerz, wofür wir, um Zweideutigkeit zu vermeiden, lieber Traurigkeit sagen wollten, behaupteten sie, könne im Geiste des Weisen nichts entsprechen. Denn der Wille, so sagen sie, strebt nach dem Guten, und das eben ist's, was der Weise tut; das Frohgemüt ist Folge des erlangten Guten, und der Weise erlangt es immer; die Vorsicht meidet das Übel, wie der Weise es vermeiden muß. Da nun die Traurigkeit von dem Übel herrührt, das eingetroffen ist, den Weisen aber, wie sie meinen, kein Übel treffen kann, so kann es, lehren sie, auch in seinem Geiste nichts geben, was ihr entspricht. Sie behaupten also, nur der Weise wolle, sei frohgemut und sehe sich vor, der Tor aber könne nichts weiter als begehren, sich freuen, sich fürchten und traurig sein. Jenes seien die drei Ruhelagen der Seele, dies nach Cicero die vier Störungen, nach,den meisten anderen die Leidenschaften (passiones).

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Gefühle, Affekte: alle Seelenregungen können für Christen recht sein

Kurzinhalt: 9. Die Affekte in christlicher Beleuchtung

Textausschnitt: Doch was die Frage nach den Gemütserregungen anlangt, haben wir diesen Philosophen im neunten Buche unsers Werkes bereits Antwort gegeben und gezeigt, daß es ihnen mehr um Worte als um Sachen, mehr um Streit als Wahrheit zu tun ist. Bei uns aber empfinden im Einklang mit den heiligen Schriften und der gesunden Lehre die Bürger des heiligen Gottesstaates, die auf der Pilgerreise dieses Lebens nach Gott leben, Furcht und Verlangen, Schmerz und Freude, und weil ihre Liebe recht ist, sind auch all diese ihre Seelenregungen recht. Sie fürchten die ewige Pein und begehren das ewige heben, trauern hüben, weil sie noch bei sich selbst aufseufzen und auf die Kindschaft, ihres Leibes Erlösung warten, und freuen sich in Hoffnung auf drüben, da das Wort in Erfüllung gehen wird: «Der Tod ist verschlungen in den Sieg.»
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14/9/3 Sind diese Gemütsbewegungen, diese Affekte, die aus gutem Willen und heiliger Liebe hervorgehen, Laster zu nennen, so mag man meinethalben wahre Laster Tugenden nennen. Doch wer wird sich herausnehmen, solche Gefühle, wenn sie in vernünftigen Bahnen sich halten und nur da, wo es frommt, hervortreten, krankhaft oder sündige Leidenschaften zu heißen? So hat auch der Herr selber, als er sich herabließ, in Knechtsgestalt ein menschliches, aber sündloses Leben zu führen, ihnen Raum gegeben, wo er es für recht hielt. Denn hatte er einen wahren menschlichen Leib und eine wahre menschliche Seele, dann auch gewiß keine falschen Gefühle. Wenn also von ihm im Evangelium erzählt wird, daß er über die Herzenshärtigkeit der Juden zürnte und sich betrübte, daß er gesagt hat:

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Ungetrübt war die Liebe zu Gott und der Gatten untereinander ...

Kurzinhalt: 10. Vor dem Sündenfall der ersten Menschen keine Beunruhigung durch Afekte

Textausschnitt: 14/10/1 Aber ob der erste Mensch oder die ersten Menschen -es war ja ein Ehepaar - in ihrem beseelten Leibe schon vor dem Sündenfall diese Affekte hatten, die wir in unserm geistlichen Leibe, nachdem alle Sünde ausgekehrt und abgetan ist, nicht mehr haben werden, danach fragt man nicht ohne Grund. Denn hatten sie sie, wie konnten sie dann glückselig sein an jener denkwürdigen Stätte des Glücks, dem Paradiese? Kann man denn jemanden vollkommen glückselig nennen, wenn er von Furcht oder Schmerz beunruhigt wird? Doch was konnten sie fürchten oder worüber Schmerz empfinden bei der Fülle köstlicher Güter, wo weder Tod noch irgendein körperliches Übelbefinden drohte, wo nichts fehlte, was guter Wille hätte erlangen mögen, wo es nichts gab, was Leib oder Seele des glücklichen Menschen hätte verletzen können? Ungetrübt war die Liebe zu Gott und der Gatten untereinander, die in inniger, treuer Gemeinschaft lebten, und aus dieser Liebe erwuchs die schönste Freude, da, was geliebt ward, stets auch genossen werden konnte. In ruhiger Sicherheit ward die Sünde gemieden, und solange dies andauerte,

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Sündenfall (Sünde) als Abfall des Willens; der Wille, der aus dem Nichts geschaffen wurde

Kurzinhalt: 11. Vom Sündenfall der ersten Menschen und Evas und Adams Rolle

Textausschnitt: Der gute Wille also ist Gottes Werk, denn der Mensch ist mit ihm von Gott geschaffen. Der erste böse Wille aber, der allen bösen Werken im Menschen voraufging, war mehr Abfall vom Werke Gottes zu eigenen Werken als selbst ein Werk, und darum sind's böse Werke, weil der Mensch sie nach sich selber tut und nicht nach Gott. Der böse Baum sozusagen, an dem diese Werke als böse Früchte wachsen, ist der Wille oder auch der Mensch selbst, sofern er bösen Willens ist. Obwohl nun der böse Wille nicht naturgemäß, sondern als Gebrechen naturwidrig ist, haftet er doch an der Natur, deren Gebrechen er ist, weil er ohne Natur nicht sein kann, aber an einer Natur, die Gott aus nichts geschaffen, nicht an der, die der Schöpferaus sich selbst erzeugt hat wie das Wort, durch welches alles geschaffen ward. Denn wohl hat Gott den Menschen aus Erdenstaub gebildet, aber die Erde selbst und aller irdische Stoffstammt aus dem Nichts, und auch eine aus nichts geschaffene Seele verlieh Gott dem Leibe, als er den Menschen schuf.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Hochmut, Demut, Abfall: Abfall als Fall aus der Spannung zu Gott; der böse Wille beginnt mit dem Hochmut

Kurzinhalt: 13. Der bösen Tat Adams ging der böte Wille vorauf / Definition von Hochmut; Was aber ist Hochmut anders als Streben nach falscher Hoheit?

Textausschnitt: Aber sie fingen erst an, insgeheim böse zu sein, um dann in offenen Ungehorsam zu fallen. Denn sie hätten das böse Werk nicht vollbracht, wäre nicht böser Wille voraufgegangen. Womit aber begann der böse Wille? Keine andere Antwort ist möglich als: mit Hochmut. Denn «Hochmut ist der Anfang aller Sünde.» Was aber ist Hochmut anders als Streben nach falscher Hoheit? Denn das ist falsche Hoheit, vom Urgrund sich zu lösen, dem der Geist eingewurzelt sein soll, um gewissermaßen sein eigener Urgrund zu werden und zu sein. Das geschieht, wenn der Geist sich selbst zu sehr gefällt. Dann aber gefällt er so sich selbst, wenn er sich von jenem unwandelbaren Gut abwendet, das ihm mehr gefallen sollte als er sich selbst. (183; Fs)
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So wurde das böse Werk,jene Übertretung durch Genuß der verbotenen Speise, von solchen vollbracht, die bereits böse waren. Wo anders sollte diese böse Frucht auch wachsen, wenn nicht an einem bösen Baum? Daß aber der Baum böse wurde, geschah wider die Natur, denn nur durch fehlsamen Willen, der widernatürlich ist, konnte es geschehen. Aber nur die aus nichts erschaffene Natur konnte durch Verfehlung verdorben werden. Daß sie Natur ist, hat sie also daher, daß sie von Gott geschaffen ist, daß sie aber von dem, was sie ist, abfällt, daher, daß sie aus nichts geschaffen ist. Doch fiel der Mensch nicht so, daß er nun überhaupt zu nichts geworden wäre, sondern, zu sich selbst hinneigend, ward er minderwertig im Vergleich zu früher, als er dem, der zuhöchst ist, noch anhing. Gott verlassen und bei sich selbst sein oder sich selbst gefallen, heißt also nicht nichts sein, sondern sich dem Nichts nähern. Darum nennt die Heilige Schrift die Hochmütigen auch selbstgefällig. Gut aber ist's, sein Herz droben zu haben, nicht jedoch bei sich selbst, denn das wäre Hochmut, sondern bei Gott. Das ist der Gehorsam, das Kennzeichen der Demütigen. Seltsam! Demut hat etwas an sich, was das Herz emporhebt, und Hochmut etwas, was das Herz herabzieht. Es scheint zwar ein Widerspruch zu sein, daß der Hochmut nach unten, die Demut nach oben führen soll. Aber fromme Demut unterwirft sich dem Höheren, und nichts ist höher als Gott. (184; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Strafe: der Geist wird fleischlich

Kurzinhalt: 15. Die Vergeltung der Ungehorsams; Ungehorsam wird mit Ungehorsam vergolten; eg: interessant, weil das gleichsam eine Erklärung von der Erfahrung des Menschen aus ist.

Textausschnitt: Darauf folgte die gerechte Verdammnis. Sie bewirkte, daß der Mensch, der durch Erfüllung des Gebotes auch seinem Fleische nach geistlich geworden wäre, nun statt dessen seinem Geiste nach fleischlich wurde, daß er, der in eigenem Hochmut an sich selbst Gefallen gehabt hatte, durch GottesGerechtigkeit sich selber überlassen wurde. Dies nun freilich nicht so, daß er sich selber in voller Gewalt gehabt hätte, sondern, mit sich selbst in Zwiespalt, mußte er unter dessen Herrschaft, dem er bei seinem Sündenfalle nachgegeben hatte, statt der begehrten Freiheit harte und jämmerliche Knechtschaft eintauschen. Aus eigenem Willen geistlich tot, mußte er nun wider Willen leiblich sterben und, da er das ewige Leben preisgegeben, obendrein, wenn die Gnade ihn nicht rettete, zum ewigen Tode verdammt werden.
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Endlich, um es kurz zu sagen, was geschah bei der Bestrafung jener Sünde anders, als daß Ungehorsam mit Ungehorsam vergolten ward? Denn worin sonst besteht des Menschen Elend wenn nicht im eigenen Ungehorsam gegen sich selbst, da er nun will, was er nicht kann, während er einst nicht wollte, was er konnte? Denn obwohl er im Paradiese vor dem Sündenfall nicht alles konnte, wollte er doch auch nicht, was er nicht konnte, und konnte darum alles, was er wollte. Jetzt aber sehen wir es an seiner Nachkommenschaft, und die göttliche Schrift bezeugt es auch: «Der Mensch ist geworden wie ein Nichts.» Denn wer zählt es auf, wie vieles er will, was er doch nicht kann, weil er sich selbst nicht gehorcht, das ist, weil der Geist und das unter ihm stehende Fleisch seinem Willen nicht gehorcht? Wie oft wird der Geist wider seinen Willen erregt, leidet das Fleisch, wird alt und stirbt, und wieviel anderes müssen wir noch erdulden, was wir widerwillig nicht zu erdulden brauchten, wenn unsere Natur unserm Willen in jeder Weise und in ...

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Einheit von Vernunft und Zeugunsorganen vor dem Sündenfall

Kurzinhalt: 19. Zorn und Begehrlichkeit müssen von der Vernunft in Schranken gehalten werden

Textausschnitt: .. diese Teile, sage ich, waren im Paradiese vor dem Sündenfall noch nicht fehlerhaft. Sie trachteten nämlich noch nicht nach dem, was rechtem Wollen widersprach, und brauchten deswegen auch nicht mit den Zügeln der leitenden Vernunft zurückgehalten zu werden. Denn wenn sie jetzt sich so zu betätigen trachten und von denen, die maßvoll, gerecht und fromm leben, bald leichter, bald schwerer durch Bändigung und Eindämmung in Schranken gehalten werden müssen, so ist das nicht natürliche Gesundheit, sondern verschuldete Schwäche. Wenn aber das Schamgefühl die Werke, die Zorn und andere Leidenschaften in Worten und Taten vollbringen, nicht dermaßen verbirgt wie das, was der Geschlechtstrieb vollbringt, so ist der Grund der, daß bei allem Übrigen die Glieder des Leibes nicht direkt von den Leidenschaften selbst, sondern von dem ihnen nachgebenden Willen in Bewegung gesetzt werden, der also beim Gebrauch der Glieder Herr und Gebieter bleibt. Denn wer ein zorniges Wort ausstößt oder jemanden schlägt, kann das nur, wenn Zunge oder Hand auf Willensgeheiß die erforderlichen Bewegungen verrichten, Glieder also, die, auch ohne daß Zorn dabei im Spiele ist, vom Willen bewegt werden. Aber die Geschlechtsteile hat die Wollust dermaßen mit Beschlag belegt, daß sie nicht bewegt werden können, wenn diese fehlt und nicht, sei es von selbst, sei es irgendwie angereizt, in Erregung versetzt ist. Das ist es, dessen man sich schämt und weswegen man errötend den Blicken anderer ausweicht; und leichter erträgt jemand eine Zuschauermenge, wenn er gegen einen Mitmenschen ungerechten Zorn ausläßt, als einen einzigen Zuschauer, wenn er von seinem Gattenrecht Gebrauch macht. (195; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Scham

Kurzinhalt: 20. Selbst die schamlosen Kyniker schämten sich

Textausschnitt: Es schämt sich also die menschliche Natur ohne Frage der Wollust und das mit Recht. Denn deren Widerspenstigkeit, die die Geschlechtsglieder ausschließlich den eigenen Regungen unterwarf, dagegen sie der Verfügung des Willens entzog, zeigt hinlänglich, was der erste Ungehorsam des Menschen ihm eingetragen hat, und das mußte sich vor allem an dem Körperteil offenbaren, vermittels dessen die Natur sich fortpflanzt, die durch jene erste und schwere Sünde zum Schlechteren verkehrt wurde. Ihrem Bann wird niemand entrissen, es sei denn, daß das, was jener Eine, in dem alle beschlossen waren, zum allgemeinen Verderben beging und wofür er durch Gottes Gerechtigkeit bestraft ward, durch Gottes Gnade in jedem Einzelnen gesühnt wird.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Vermehrung vor dem Sündenfall; Scham; Ursache der Scham

Kurzinhalt: 23. Auch ohne Sündenfall hätten sich die Menschen im Paradiese vermehrt, aber ohne unreine Begierden

Textausschnitt: 15/23/1 Wer aber behauptet, wenn sie nicht gesündigt hätten, würden sie sich nicht zusammengetan und Nachkommenschaft erzeugt haben, sagt nichts anderes als, die Menschen hätten sündigen müssen, um die Zahl der Heiligen voll zu machen. Denn wenn sie ohne Sünde allein geblieben wären, weil sie, wie man meint, nicht zeugen konnten, wenn sie nicht sündigten, mußte, sollten nicht bloß zwei gerechte Menschen da sein, sondern viele, notwendig die Sünde eintreten. Kann man das unmöglich glauben, ist vielmehr anzunehmen, daß die Zahl der Heiligen, auch wenn niemand gesündigt hätte, groß genug geworden wäre, um zur Vollendung des seligen Gottesstaates auszureichen, wie sie jetzt durch Gottes Gnade aus der Menge der Sünder gesammelt wird, solange noch die Kinder dieser Welt zeugen und gezeugt werden. (200; Fs)
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selbst. Die Fleischeslust dagegen, von der jetzt die Rede ist, wird darum als so beschämend empfunden, weil hier der Geist weder sich selbst so wirksam Befehl erteilt, daß sie sich überhaupt nicht regt, noch auch dem ganzen Leibe, so daß auch die Schamglieder mehr vom Willen als der Lust beherrscht werden; denn wäre das der Fall, brauchte man sich ihrer nicht zu schämen. Nun aber muß der Geist sich schämen, daß ihm der Körper Widerstand leistet, der ihm doch wegen seiner niederen Natur unterworfen ist. Denn wenn er sich bei den anderen Leidenschaften selbst widersteht, schämt er sich deshalb nicht so sehr, weil er es hier selbst ist, der sich besiegt, wenn er besiegt wird. Mag das auch ordnungswidrig und sündhaft sein, weil der Geist von den Teilen überwunden wird, die der Vernunft unterworfen sein sollten, so sind es immerhin seine eigenen Teile und wird er, wie gesagt, von sich selbst besiegt. Überwindet er sich jedoch so, wie es der Ordnung entspricht, daß seine unvernünftigen Regungen der höheren Einsicht und Vernunft sich unterwerfen, während diese selbst Gott unterworfen ist, so ist das lobenswert und tugendhaft. Dennoch schämt der Geist sich weniger, wenn er unter dem Einfluß seiner eigenen fehlerhaften Teile sich selbst nicht gehorcht, als wenn der Leib, der doch etwas von ihm Verschiedenes und. ihm Untergeordnetes ist und von ihm sein natürliches Leben hat, seinem Willen und Befehl nicht nachkommt.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Gründung des irdischen Staates

Kurzinhalt: 5. Kain und Abel, Romulus und Remus; Der erste Gründer des irdischen Staates also war ein Brudermörder; teuflische Neid, den die Bösen wider die Guten hegen,

Textausschnitt: 15/5/1 Der erste Gründer des irdischen Staates also war ein Brudermörder, denn er tötete, von Neid übermannt, seinen Bruder, der als Bürger des ewigen Staates auf dieser Erde ein Fremdling war. So ist es kein Wunder, daß lange hernach bei Gründung der Stadt, die das Haupt des irdischen Staates, von dem wir reden, werden und über so viele Völker herrschen sollte, diesem ersten Vorbild und Archetyp, wie die Griechen es nennen, das Abbild in seiner Art entsprach. Denn auch hier ereignete sich dieselbe Schandtat, wie sie einer ihrer Dichter gekennzeichnet hat: «Kaum errichtet, troffen die Mauern vom Blute des Bruders.» Denn Rom ward begründet, als nach dem Zeugnis der römischen Geschichte Remus von seinem Bruder Romulus umgebracht wurde, nur daß in diesem Falle beide Bürger des irdischen Staates waren. ... () Doch die beiden Brüder Kain und Abel hegten nicht das gleiche Begehren nach irdischen Dingen, und nicht deshalb beneidete der eine, der den Mord beging, den anderen, weil seine Herrschaft eingeschränkt worden wäre, wenn beide herrschten - denn Abel trachtete nicht nach Herrschaft in dem Staate, den sein Bruder gründete'-, sondern es war jener teuflische Neid, den die Bösen wider die Guten hegen, aus keinem anderen Grunde, als weil diese gut sind und sie selber böse. Denn keineswegs wird der Besitz an Gutheit dadurch verringert, daß ein Genosse hinzutritt oder dabei bleibt, vielmehr ist Gutheit ein Besitz, von dem gilt: je größer die Teilnehmerzahl, um so einträchtiger die unteilbare Liebe der Genossen. ja, diesen Besitz kann niemand haben, der ihn nicht mit anderen teilen will, und um so reichlicher wird man seiner teilhaftig, je reicher die Liebe ist, die man dem Genossen zuwendet. jener Streit also, der zwischen - Remus und Romulus ausbrach, macht kund, wie der irdische Staat in sich selbst zwiespältig ist, während der Streit zwischen Kain und Abel die Feindschaft zwischen den beiden Staaten, dem Staate Gottes und dem der Menschen, aufdeckt. Es kämpfen demnach gegeneinander Böse und Böse, und ebenso kämpfen gegeneinander Böse und Gute. Gute und Gute jedoch können, wenn sie vollkommen sind, nicht miteinander kämpfen. Die Fortschreitenden aber und noch nicht Vollkommenen können es insofern, als jeder Gute mit dem Teil seines Wesens gegen den andern kämpft, mit dem er auch sich selbst bekämpft. Begehrt doch auch in einem und demselben Menschen das Fleisch wider den Geist und den Geist wider das Fleisch.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Die Guten gebrauchen die Welt, um Gott zu genießen

Kurzinhalt: 7. Gottes Warnung und Kains Verstocktheit

Textausschnitt: Nicht liebende Fürsorge beseelt ihn dabei, sondern Herrschsucht. Denn die Guten gebrauchen die Welt zu dem Zweck, um Gott zu genießen; die Bösen dagegen wollen Gott gebrauchen, um die Welt zu genießen, wofern sie überhaupt glauben, daß er ist und sich um die menschlichen Verhältnisse kümmert.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 4. In diesem armseligen Leben findet niemand das höchste Gut, auch nicht der Tugendhafte

Kurzinhalt: eg: Schilderung des Übels und der Mühsal des Menschen im Kampf dagegen; höchstens mit Gottes Hilfe so weit, daß der Geist dem wider ihn gelüstenden Fleisch nicht weicht

Textausschnitt: 19/4/1 Fragt man nun uns, was der Gottesstaat zu all dem sage, und vor allem, was er über das höchste Gut und Übel für eine Meinung habe, so gibt er zur Antwort, das ewige Leben sei das höchste Gut, der ewige Tod aber das größte Übel. Um jenes zu erlangen und diesem zu entgehen, müsse man recht leben. Deswegen heißt es in der Schrift:« Der Gerechte lebt aus dem Glauben.» Denn wir sehen unser Gut noch nicht, müssen es also glaubend suchen, können auch nicht aus eigener Kraft recht leben, wenn der nicht unserm Glauben und Gebet beisteht, der uns denGlauben einflößte, daß wir seine Hilfe nötig haben. Jene aber, die meinen, das Endziel des Guten und Bösen sei in diesem Leben zu finden, suchen das höchste Gut entweder im Leibe oder in der Seele oder in beiden. Ich will es etwas ausführlicher darlegen. ...
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19/4/2 Denn wer vermöchte es wohl, und ergösse sich seine Beredsamkeit wie ein Strom, das Elend dieses Lebens zu schildern? Wie ergreifend klagte Cicero in seiner Trostschrift über den Tod der Tochter! Und doch konnte die Kunst seiner Rede nicht genügen. Denken wir etwa an jene ursprünglichen Güter der Natur. Wann, wo und wie wäre es wohl in diesem Leben mit ihnen so gut bestellt, daß sie nicht, Ungewissen Zufallen ausgesetzt, unsicher schwankten? Der Schmerz widerstreitet der Lust, die Unruhe der Ruhe; aber gibt es einen Schmerz, eine Unruhe, die den Leib des Weisen nicht befallen könnte? Verlust oder Schwächung von Gliedern zerstört des Menschen Unversehrtheit, Entstellung seine Schönheit, Siechtum seine Gesundheit, Mattigkeit seine Kraft, Steifheit oder Lähmung seine Beweglichkeit; und was von alledem könnte nicht auch über des Weisen Leiblichkeit hereinbrechen? Auch Haltung und Bewegung des Körpers, wenn sie würdig und angemessen sind, rechnet man zu den ursprünglichen Gütern der Natur; aber was dann, wenn irgendein Leiden die Glieder schmählich erzittern läßt? Was dann, ...
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19/4/3 Wie steht es ferner mit der Tugend selbst, die nicht zu den ursprünglichen Naturgütern gehört, da sie erst später, durch Belehrung eingeführt, zu ihnen hinzutritt? Sie beansprucht den Vorrang unter allen menschlichen Gütern und kann doch hienieden nichts weiter tun, als ohne Aufhören mit den Lastern kämpfen, und zwar nicht denen, die draußen, sondern drinnen sind, nicht fremden, sondern durchaus selbsteigenen. Zumal gilt das von jener Tugend, die auf griechisch Sophrosyne heißt, dem Maßhalten, wodurch die fleischlichen Begierden gezügelt werden, daß sie nicht den Geist zur Einwilligung in allerlei Schandtaten verleiten. ... Was aber wollen wir anderes erreichen, die wir nach der Vollendung im Besitz des höchsten Gutes trachten, als daß das Fleisch nicht mehr wider den Geist gelüste und das Gebrechen, wider das den Geist gelüstet, in uns ausgetilgt werde? Aber in diesem Erdenleben, wenn wir uns noch so sehr bemühen, erreichen wir's nicht, bringen es höchstens mit Gottes Hilfe so weit, daß der Geist dem wider ihn gelüstenden Fleisch nicht weicht und unterliegt und wir uns nicht dazu hinreißen lassen, in die Sünde einzuwilligen.
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19/4/4 Sodann jene Tugend, die man Klugheit heißt, muß sie nicht ihre ganze Wachsamkeit aufbieten, das Gute vom Übel zu unterscheiden, damit beim Trachten nach jenem und beim Ausweichen vor diesem kein Irrtum sich einschleicht? Bezeugt nicht auch sie dadurch, daß wir von Übeln umgeben sind und die Übel in uns tragen? Denn sie lehrt uns, daß es übel ist, in die Sünde einzuwilligen, aber gut, der Lust zum Sündigen nicht nachzugeben. Doch können dies Übel, in welches einzuwilligen Klugheit uns abrät, Mäßigung uns abhält, weder Klugheit noch Mäßigung aus unserm Leben beseitigen. Und macht uns nicht auch die Gerechtigkeit klar, deren Amt es ist, jedem das Seine zuzuteilen - wodurch im Menschen selbst die rechte Naturordnung aufgerichtet wird: die Seele Gott Untertan, das Fleisch der Seele und somit Seele und Fleisch Gott - daß sie bei diesem ihrem Werke sich mehr abmüht als bereits in der Vollendung des Werkes ruht? Denn um so weniger ist die Seele Gott untertan, je weniger sie Gott mit ihren Gedanken erfaßt, und um so weniger das Fleisch der Seele untertan, je mehr es gegen den Geist gelüstet. Solange also diese Schwäche, diese Pest, dieses Siechtum in uns steckt, wie können wir da wagen zu behaupten, wir seien schon gesund, und wenn noch nicht gesund, wir seien gar endgültig glückselig! ...

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 10. Bewährung in den Nöten und Versuchungen des Erdenlebens erlangt seligen Frieden

Kurzinhalt: die wahre Tugend: Sich-Ausrichten auf das Ende

Textausschnitt: ... Wird uns sterblichen Menschen also in dieser vergänglichen Erdenwelt Friede zuteil, soweit es ihn hier überhaupt gibt, so gebraucht die Tugend, wenn wir recht leben, seine Gaben recht, wird er uns dagegen versagt, macht sie auch von den Übeln, die der Mensch dann erdulden muß, guten Gebrauch. Das aber ist die wahre Tugend, die alles Gute, von dem sie guten Gebrauch macht, und all ihr Tun beim guten Gebrauch sowohl der Güter als auch der Übel, dazu auch sich selbst ausrichtet auf jenes Ende, wo uns solch großer Friede zuteil werden wird, wie er besser und größer nicht sein kann. (545f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Die Natur des Teufels

Kurzinhalt: eg: interessant: die natur des Teufels ist, soweit Natur, nicht schlecht

Textausschnitt: So gibt es wohl eine Natur, in der nichts Böses ist, auch eine, in der nichts Böses sein kann, aber keine Natur kann existieren, in der nichts Gutes ist. Darum ist auch die Natur des Teufels, soweit sie Natur ist, nicht schlecht, sondern nur die Verkehrtheit macht sie schlecht. So «bestand er nicht in der Wahrheit», aber dem Gericht der Wahrheit entging er nicht. Er verharrte nicht in der Ruhe der Ordnung, aber entfloh nicht der Macht des Ordners. Das Gute, das Gott ihm in seiner Natur verlieh, entzieht ihn nicht der Gerechtigkeit Gottes, die ihn der Strafe überliefert; doch verfolgt Gott damit nicht das Gute, das er erschuf, sondern das Böse, das jener beging. Denn er tilgt nicht ganz, was er der Natur verliehen, sondern nimmt etwas weg und läßt etwas bestehen, so daß einer bleibt, den das Weggenommene schmerzt. Gerade der Schmerz bezeugt, daß Gutes weggenommen und Gutes geblieben ist. Wäre nichts Gutes geblieben, gäbe es ja keinen Schmerz über den Verlust des Guten. Denn wer sündigt, ist um so schlechter, wenn er sich auch noch freut über den Verlust der Rechtschaffenheit; wer dagegen Pein erleidet, der ist, falls er nicht dadurch etwas Gutes gewinnt, betrübt über den Verlust des Wohlbefindens.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 14. Die Friedensordnung und das letzte Ziel

Kurzinhalt: Und da er, solange er in diesem sterblichen Leibe weilt, ... wandelt er im Glauben und nicht im Schauen

Textausschnitt: 19/14/1 Aller Gebrauch zeitlicher Dinge zielt also im irdischen Staate auf den Genuß irdischen Friedens ab, im himmlischen Staate aber auf den Genuß des ewigen Friedens. Wären wir demnach vernunftlose Lebewesen, würden wir nichts begehren als das geordnete Verhältnis der Körperteile und die Ruhelage der Triebe, also nichts als Ruhe des Fleisches undFülle von Genüssen,da mit leiblicher Friede dem Frieden der Seele förderlich sei. Denn fehlt der leibliche Friede, wird auch der Friede im vernunftlosen Seelenleben behindert, weil die Ruhelage der Triebe nicht erreicht werden kann. Beides zusammen aber fördert den Frieden zwischen Seele und Leib, nämlich den Frieden des geordneten Lebens und Wohlbefindens. Denn wie die Lebewesen zu erkennen geben, daß sie den Frieden des Leibes lieben, da sie den Schmerz fliehen, sowie den Frieden der Seele, da sie zur Befriedigung der Bedürfnisse ihrer Triebe der Lust nachgehen, so zeigen sie durch ihre Flucht vor dem Tode deutlich an, wie sehr sie auch den Frieden lieben, der Seele und Leib in Freundschaft verbindet. Doch weil der Mensch eine vernünftige Seele besitzt, ordnet er all das, was er mit den Tieren gemeinsam hat, dem Frieden der vernünftigen Seele unter, urteilt demnach mit dem Geiste und handelt dementsprechend so, daß sich eine geordnete Übereinstimmung von Erkennen und Handeln ergibt, die wir den Frieden der vernünftigen Seele nannten. Um seinetwillen muß erwünschen, weder von Schmerz belästigt, noch von Verlangen beunruhigt, noch vom Tode aufgelöst zu werden. Denn nur dann kann er Nützliches erkennen und sein Leben und Verhalten nach dieser Erkenntnis einrichten. Doch damit er nicht gerade durch sein Erkenntnisstreben infolge der Schwäche des menschlichen Geistes verderblichen Irrtümern verfällt, bedarf er der göttlichen Unterweisung, der er in Sicherheit gehorcht, und der göttlichen Unterstützung, um in Freiheit zu gehorchen. Und da er, solange er in diesem sterblichen Leibe weilt, fern vom Herrn dahinpilgert, wandelt er im Glauben und nicht im Schauen. So muß denn aller Friede, der Friede des Leibes und der Seele sowie der zwischen Leib und Seele, gerichtet sein auf jenen Frieden, der den sterblichen Menschen mit dem unsterblichen Gott verbindet; dann besitzt er den im Glauben geordneten Gehorsam gegen das göttliche Gesetz.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 17. Der irdische und himmlische Staat und ihre Beziehung zum irdischen Frieden

Kurzinhalt: Da ja das sterbliche Leben beiden Staaten gemeinsam ist, kann zwischen ihnen in allen darauf bezüglichen Angelegenheiten Eintracht bestehen ... außer: Vielgötterei

Textausschnitt: Da ja das sterbliche Leben beiden Staaten gemeinsam ist, kann zwischen ihnen in allen darauf bezüglichen Angelegenheiten Eintracht bestehen. Nun hatte aber auch der irdische Staat seine Weisen, die jedoch von der göttlichen Lehre verworfen werden. Sie mutmaßten oder glaubten, von Dämonen betrogen, wirklich, man bedürfe für die menschlichen Angelegenheiten des Beistandes vieler Götter,
... So benutzt auch der himmlische Staat während seiner Erdenpilgerschaft den irdischen Frieden, sichert und befördert in allen Angelegenheiten, die die sterbliche Natur der Menschen betreffen, die menschliche Willensübereinstimmung, soweit es unbeschadet der Frömmigkeit und Religion möglich ist,

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 18. Der Gottesstaat verwirft den Zweifel der Akademiker

Kurzinhalt: so weist der Gottesstaat solchen Zweifel mit Abscheu als Narrheit von sich.

Textausschnitt: 19/18/1 Was aber jene Unterscheidung anlangt, die Varro auf die neuen Akademiker angewendet hat, die alles für ungewiß halten, so weist der Gottesstaat solchen Zweifel mit Abscheu als Narrheit von sich. Denn er hat von den Dingen, die man mit dem Geiste und Verstande erfaßt, ein zwar wegen des vergänglichen Leibes, der die Seele beschwert, beschränktes Wissen -denn unser Wissen ist, wie der Apostel sagt, nur «Stückwerk» -, doch ein durchaus sicheres. Er verläßt sich auf die Sinne, deren sich der Geist durch Vermittlung des Leibes bedient, überall da, wo eine Evidenz vorliegt, weil der, welcher ihnen niemals glaubt, einer weit jämmerlicheren Täuschung verfällt. Er vertraut auch den heiligen Schriften,

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 19. Die äußere Lebensführung im Gottesstaat

Kurzinhalt: So ist es Liebe zur Wahrheit, die die heilige Ruhe sucht, aber Zwang der Liebe, der die geschäftige, aber gottwohlgefällige Unruhe auf sich nimmt

Textausschnitt: Was aber jene drei Arten der Lebensführung anlangt, die müßige, die geschäftige und die aus beiden zusammengesetzte, so kann man zwar unbeschadet des Glaubens auf jede dieser Weisen sein Leben zubringen und den ewigen Lohn erlangen, doch muß jeder darauf achten, was er um der Liebe zur Wahrheit willen festhalten und was er um der Liebespflicht willen tun muß. Demnach darf niemand so müßig sein, daß er in seiner Muße das Wohl des Nächsten vergißt, aber auch nicht so geschäftig, daß er die geistliche Betrachtung versäumt. ... Nicht der ist also ein rechter Bischof, der vorzustehen, sondern der beizustehen gewillt ist. So ist denn das Streben nach Wahrheitserkenntnis, wie es zu einer löblichen Muße gehört, niemandem verwehrt, aber ein höheres Amt, wie es zur Leitung des Volkes nötig ist, mag wohl in geziemender Weise bekleidet und verwaltet werden, doch wäre es unziemlich, danach zu streben. So ist es Liebe zur Wahrheit, die die heilige Ruhe sucht, aber Zwang der Liebe, der die geschäftige, aber gottwohlgefällige Unruhe auf sich nimmt. Legt niemand diese Bürde auf, mag man seine Muße der Erforschung und Betrachtung der Wahrheit widmen, wird sie aber auferlegt, soll man sie um des Zwanges der Liebe willen übernehmen. Doch darf man auch in diesem Falle nicht aufhören, sich an der Wahrheit zu freuen, denn sonst würde jener heilige Genuß fehlen und dieser Zwang niederdrücken.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 20. Glückseligkeit während des Erdenlebens nur in Hoffnung

Kurzinhalt: Diesseitiger Besitz aber ohne Hoffnung auf das Jenseits ist falsches Glück und großes Elend; Glaube, Hoffnung

Textausschnitt: ... Doch kann man den, welcher von seinem gegenwärtigen Leben rechten Gebrauch macht und es auf das Ziel jenes Lebens einstellt, das er glühend liebt und in festem Glauben erhofft, auch jetzt schon sinnvoll glückselig nennen, freilich mehr in Hoffnung auf das Jenseits als im Besitz des Diesseits. Diesseitiger Besitz aber ohne Hoffnung auf das Jenseits ist falsches Glück und großes Elend, denn da macht man von den wahren Gütern der Seele keinen Gebrauch. Das aber ist keine wahre Weisheit, die ihr Auge bei dem, was sie klug unterscheidet, tapfer ausführt, maßvoll beschränkt und gerecht verteilt, nicht auf jenes Ziel richtet, wo Gott alles in allem sein wird in unwandelbarer Ewigkeit und vollkommenem Frieden.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 21. Nach Ciceros Definition war Rom überhaupt kein Staat

Kurzinhalt: Gerechtigkeit und Staat; Dient darum ein Mensch Gott nicht, was kann es dann in ihm noch für Gerechtigkeit geben?

Textausschnitt: ... Darum, wenn Staat Volkssache ist und ein Volk durch Rechtsgleichheit verbunden sein muß, Recht aber nicht sein kann, wo keine Gerechtigkeit ist, ergibt sich unweigerlich der Schluß: Wo keine Gerechtigkeit, da auch kein Staat. Nun ist Gerechtigkeit die Tugend, die jedem das Seine gibt. Was ist das aber für eine Gerechtigkeit unter Menschen, welche die Menschen selber dem wahren Gott entzieht und unreinen Dämonen unterstellt? ... Wenn aber der Menschengeist Gott dient, herrscht er in rechter Weise über den Leib und herrscht die Gott als Herrn unterworfene geistige Vernunft in rechter Weise über die Begierde und die übrigen Leidenschaften. Dient darum ein Mensch Gott nicht, was kann es dann in ihm noch für Gerechtigkeit geben? Denn wenn er Gott nicht dienstbar ist, kann der Geist unmöglich in rechter Weise über den Leib oder die menschliche Vernunft über die Leidenschaften gebieten. Und wenn in solch einem Menschen keinerlei Gerechtigkeit ist, dann auch zweifellos nicht in einem Kreise, der aus lauter solchen Menschen besteht. Hier gibt es also jene Rechtsgleichheit nicht, die aus einer Menschenmenge ein Volk macht, dessen Sache, wie es heißt, der Staat ist.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 25. Wahre Tugend nur, wo wahre Gottesverehrung

Kurzinhalt: Wenn Geist und Vernunft nicht ihrerseits Gott so dienen, ... können sie über Leib und Leidenschaften unmöglich so gebieten, wie es recht ist; die Tugend der Strebelosen: Tugend als Laster

Textausschnitt: 19/25/1 Mag es immerhin den Anschein haben, als geböte der Geist in löblicher Weise über den Leib und die Vernunft über die Leidenschaften, muß man doch sagen: Wenn Geist und Vernunft nicht ihrerseits Gott so dienen, wie er selbst seinen Dienst befohlen hat, können sie über Leib und Leidenschaften unmöglich so gebieten, wie es recht ist. Was für ein Herr über Leib und Leidenschaften wäre auch ein Geist, der von Gott nichts weiß und seinem Gebot nicht Untertan, sondern der Verführung der lasterhaftesten Dämonen preisgegeben ist? Darum sind die Tugenden, die zu besitzen er sich einbildet, und durch die er dem Leib und den Leidenschaften gebietet, wenn er sich nicht Gott, sondern den Erwerb und Besitz anderer Güter, es mögen sein, welche sie wollen, als Ziel setzt, selber vielmehr Laster als Tugenden. Mögen auch manche sie dann für wahre und rechtschaffene Tugenden halten, wenn sie nicht um irgendeines anderen Gutes willen, sondern nur um ihrer selbst willen angestrebt werden, so sind sie doch auch in diesem Falle aufgeblasen und hochmütig, also nicht als Tugenden, sondern als Laster anzusehen. Denn wie das, was dem Fleische Leben verleiht, nicht vom Fleisch stammt, sondern höher ist als Fleisch, so ist auch nicht vom Menschen, sondern höher als der Mensch, was dem Menschen und nicht nur dem Menschen, sondern auch allen erdenklichen himmlischen Mächten und Kräften das glückselige Leben verleiht. (579f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 26. Der zeitliche Frieden des Weltstaates ist auch für das Gottesvolk von Wert

Kurzinhalt: Wie also die Seele das Leben des Fleisches ist, so ist Gott das glückselige Leben des Menschen; eg: Gott als quais-formale Bestimmung des Menschen

Textausschnitt: 19/26/1 Wie also die Seele das Leben des Fleisches ist, so ist Gott das glückselige Leben des Menschen. Davon sagen die heiligen Schriften der Hebräer:« Glückselig das Volk, dessen Herr Gott ist.» Unselig also ein Volk, das diesem Gott entfremdet ist. Doch liebt auch solch ein Volk seine Art Frieden, den man nicht schelten soll. Es wird ihn freilich am Ende nicht mehr besitzen, weil es vor dem Ende sich seiner nicht recht bedient. Daß es ihn aber einstweilen in diesem Leben besitze, daran haben auch wir Interesse. Denn solange die beiden Staaten miteinander vermischt sind, bedienen auch wir uns des Friedens Babylons. Zwar wird das Gottesvolk durch den Glauben von Babylon befreit, doch muß es einstweilen noch bei ihm als Pilgrim weilen. Deswegen ermahnte auch der Apostel die Kirche, für seine Könige und Würdenträger zu beten, und fügte hinzu: «Auf daß wir ein ruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Liebe.» Und auch der Prophet Jeremia, der dem alten Gottesvolk die Gefangenschaft vorhersagte und ihm im Namen Gottes befahl, gehorsam nach Babylon zu gehen und durch solche Geduld seinem Gott zu dienen, mahnte es, für dies Babylon zu beten. Denn, so sagte er, «ihr Friede ist auch euer Friede», wobei er natürlich nur an den zeitlichen Frieden dachte, der Guten und Bösen gemeinsam ist. (580f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 27. Die Unvollkommenheit des irdischen Friedens

Kurzinhalt: Friede auf Erden: Trost im Elend als Freude an der Glückseligkeit; kein Friede, solange man noch die Leidenschaften beherrschen muss; Gerechtigkeit: dass Gott dem Menschen gebietet

Textausschnitt: ... Denn wahrlich, wenn die Vernunft auch über die Leidenschaften herrscht, so doch nicht ohne Kampf, und an diesem Ort der Schwachheit schleicht sich selbst dann, wenn sie tapfer kämpft und den besiegten und unterworfenen Feinden gebietet, immer wieder etwas ein, was zur Sünde Anlaß gibt, wenn nicht in leichtfertiger Tat, so doch in leichtentschlüpftem Wort und flüchtigem Gedanken. Solange man also noch Leidenschaften beherrschen muß, gibt es keinen vollkommenen Frieden. Denn leisten sie noch Widerstand, müssen sie in gefahrvollem Ringen niedergekämpft werden, und sind sie besiegt, kann man doch nicht in sicherer Ruhe über sie triumphieren, sondern muß sie in wachsamer Beherrschung niederhalten. Wer könnte inmitten all dieser Versuchungen, von denen Gottes Wort kurz und knapp sagt: «Ist nicht Versuchung des Menschen Leben auf Erden?» sich vermessen, solch ein Leben zu fuhren, daß er nicht mehr zu Gott rufen müßte: «Vergib uns unsere Schuld?» ... Hienieden also gibt es für jedermann nur eine Gerechtigkeit, nämlich die, daß Gott dem gehorsamen Menschen gebietet, ferner, daß der Geist dem Leibe, die Vernunft aber den Leidenschaften trotz ihres Sträubens gebietet, sie entweder unterwerfend oder sich ihrer erwehrend, und daß man von Gott Gnade zu Verdiensten und Verzeihung für die Sünden erbittet und Dank sagt für die empfangenen Güter. In jenem endgültigen Frieden aber, auf welchen diese Gerechtigkeit abzielt und um deswillen sie geübt werden muß, wird die in Unsterblichkeit und Unvergänglichkeit genesene Natur keine Leidenschaften mehr kennen und keiner von uns weder mit einem anderen noch mit sich selbst streiten müssen.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 6. Jesu Zeugnis von der ersten und zweiten Auferstehung (Auferstehung der Seelen u. d. Leiber)

Kurzinhalt: Die erste ist das Werk der Barmherzigkeit, die zweite des Gerichts

Textausschnitt: 20/6/1 Darauf spricht Christus weiter: «Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben. Denn wie der Vater das Leben hat in ihm selber, so hat er auch dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in ihm selber.» (eg: Joh 5:24) Hier spricht er noch nicht von der zweiten Auferstehung, also der der Leiber, die erst am Ende erfolgen soll, sondern der ersten, die schon jetzt ist. Um sie deutlich zu kennzeichnen, sagt er ja: «Es kommt die Stunde und ist schon jetzt.» Da handelt sich's also nicht um die Auferstehung der Leiber, sondern der Seelen. Denn auch die Seelen haben ihren Tod, den Tod in Gottlosigkeit und Sünden, und solche Tote meint der Herr, wenn er spricht: «Laß die Toten ihre Toten begraben», womit er sagen will, daß die geistlich Toten die leiblich Toten begraben sollen. Also in bezug auf diese durch Gottlosigkeit und Ungerechtigkeit geistlich Toten spricht er: ()
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nicht ins Gericht, sondern er ist vom Tode zumLeben hindurchgedrungen.» Also, wer an der ersten Auferstehung teilhat, durch die man vom Tode zum Leben hindurchdringt, der wird nicht in die Verdammnis kommen, die hier mit dem Wort Gericht bezeichnet wird. So auch an unserer jetzigen Stelle, in der es heißt: «Die aber Böses getan haben, zur Auferstehung des Gerichts», das ist der Verdammnis. Wer also nicht in der zweiten Auferstehung verdammt werden will, möge in der ersten aufstehen. Denn «es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören, und die sie hören werden, die werden leben», also nicht in die Verdammnis kommen, die der zweite Tod heißt. In diesen Tod werden nach der künftigen zweiten leiblichen Auferstehung diejenigen gestürzt werden, die in der ersten, der Auferstehung der Seelen, nicht aufstehen.

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 7. Von der ersten Auferstehung und den tausend Jahren der Johannesapokalypse

Kurzinhalt: 1000 Jahre; Gleichnis vom Starken

Textausschnitt: 20/7/2 Der Herr Jesus Christus selber sagte einmal: «Es kann niemand einem Starken in sein Haus fallen und seinen Hausrat rauben, wenn er den Starken nicht zuvor gebunden hat.» Unter dem Starken soll der Teufel verstanden werden, der es fertigbrachte, das menschliche Geschlecht gefangenzuhalten, unter dem Hausrat aber, den Christus ihm zu rauben sich anschickte, die künftigen Gläubigen, die der Teufel bisher in mancherlei Sünde und Gottlosigkeit verstrickt und sich zu eigen gemacht hatte. Diesen Starken also zu binden, sah der Apostel in der Apokalypse den Engel vom Himmel fahren, der den Schlüssel des Abgrundes und eine Kette in seiner Hand hatte. «Und er griff», hören wir, «den Drachen, die alte Schlange, welche heißt der Teufel und Satan, und band ihn tausend Jahre». Das soll bedeuten:

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 10. Die erste Auferstehung ist nicht eine leibliche

Kurzinhalt: Denn nach dem inneren Menschen, nicht nach dem äußeren sind auferstanden, zu denen er sagt: Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so suchet, was droben ist.

Textausschnitt: Es gibt Ausleger, die meinen, es könne nur von einer leiblichen Auferstehung die Rede sein, und die infolgedessen dafür eintreten, auch die erste Auferstehung werde eine leibliche sein. Denn, so sagen sie, nur wer fällt, steht auf. Es fallen aber beim Sterben nur die Leiber hin, weswegen man im Lateinischen
nach dem Wort für fallen «cadere» die Leiche «cadaver» benennt. So kann es, sagen sie, keine Auferstehung der Seelen geben, sondern nur der Leiber. Aber was wollen sie dem Apostel erwidern, der doch offenkundig von einer Auferstehung der Seelen spricht? Denn nach dem inneren Menschen, nicht nach dem äußeren sind auferstanden, zu denen er sagt: «Seid ihr nun mit Christus auferstanden, so suchet, was droben ist.» Dasselbe sagt er anderswo mit anderen Worten: «Auf daß, gleichwie Christus ist auferstanden von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, also laßt auch uns in einem neuen Leben wandeln.» Auch jener Spruch gehört hierher: «Wache auf, der du schläfst, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten.» Wenn sie aber sagen, wer nicht falle, könne auch nicht aufstehen, und darum beziehe sich die Auferstehung nur auf die Leiber und nicht auf die Seelen, weil es .ein Fallen nur bei Leibern gebe, so können sie, scheint's, nicht hören. Denn heißt es nicht

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 11. Was unter Gog und Magog zu verstehen ist (Offenbarung)

Kurzinhalt: Gog heißt «Dach» und Magog «vom Dache her»

Textausschnitt: Und wenn tausend Jahre vollendet sind», heißt es weiter in der Offenbarung Johannes' «wird der Satan aus seinem Gefängnis losgelassen und ausgehen, zu verführen die Völker an den vier Enden der Erde, den Gog und Magog, sie zu versammeln zum Streit, und ihre Zahl ist wie der Sand am Meer.»
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Die Bedeutung dieser Namen ist, wie wir uns haben sagen lassen, die: Gog heißt «Dach» und Magog «vom Dache her». Es wäre hier also ein Haus und ein aus dem Hause Hervorkommender bezeichnet. Es handelt sich demnach um die Völker, in denen, wie wir schon sahen, der Teufel wie in einem Abgrund eingeschlossen ist, und er selbst ist es, der sich gewissermaßen aus ihnen erhebt und hervorgeht. So sind sie das «Dach» und der Teufel der «vom Dach» Herkommende. Oder wenn wir beide Namen auf die Völker beziehen, also nicht nur den einen auf die Völker und den anderen auf den Teufel, dann sind sie zunächst das Dach, weil in ihnen der alte Feind jetzt noch gewissermaßen eingeschlossen und verdeckt ist, aber sie werden auch «vom Dache her» sein, wenn sie aus dem verborgenen zum offenen Hasse hervorbrechen. Wenn es aber heißt:

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: Sterben, Schmerz: Beispiel für die Denkweise Augustinus'

Kurzinhalt: 3. Muß nicht körperlicher Schmerz zuletzt zum Tode führen?; Was sie nicht erfahren haben, meinen sie, könne auch nicht existieren

Textausschnitt: 21/3/1 Aber, so versichern sie, solch einen Leib, der zwar Schmerz empfinden, aber nicht sterben kann, gibt es überhaupt nicht. Wirklich ? Woher wissen wir das ? Wer kann mit Sicherheit von den Dämonen sagen, ob es nicht auch ein leiblicher Schmerz ist, wenn sie gestehen, daß sie von großen Qualen gepeinigt werden ? Antwortet man, es gebe keinen irdischen, also greif-und sichtbaren Leib, oder mit einem Worte gesagt, kein Fleisch, das wohl Schmerz empfinden, aber nicht sterben könne, so sagt man nichts anderes, als was die Menschen durch Sinneswahrnehmung und äußere Erfahrung festgestellt zu haben glauben. Denn sie wissen von keinem Fleisch, das nicht sterblich wäre, und ihre ganze Weisheit ist die: Was sie nicht erfahren haben, meinen sie, könne auch nicht existieren. Wie aber kann man vernünftigerweise den Schmerz zu einem Beweisgrund für das Sterben machen, da er doch vielmehr ein Anzeichen des Lebens ist ? Denn wenn wir uns auch fragen, ob das Leben immer fortdauern kann, ist es doch gewiß, daß alles, was Schmerz empfindet, lebt, und daß Schmerz nur in einem lebenden Wesen vorkommen kann. So ist es zwar notwendig, daß, wer Schmerz fühlt, auch lebt, nicht aber, daß Schmerz tötet. Denn nicht einmal diese unsere sterblichen und darum dem Tode verfallenen Leiber tötet jeder Schmerz, und wenn es schon einen Schmerz gibt, der sie töten kann, so ist der Grund der, daß die Seele in der Art mit unserm Leibe verbunden ist, daß sie dem höchsten Schmerz weichen und dann entweichen muß. Denn das Gefüge der Glieder und belebten Körperteile ist so schwach, daß es einen Angriff, welcher großen oder äußersten Schmerz verursacht, nicht aushalten kann. Dereinst aber wird die Seele mit solch einem Leibe und auf solche Weise verknüpft sein, daß das Band durch keine noch so lange Zeitdauer aufgelöst und ebenso auch durch keinen Schmerz zerrissen werden kann. Mag es darum auch jetzt kein Fleisch geben, das schmerzempfindlich ist, aber nicht sterben kann, so wird doch dereinst das Fleisch ganz anders sein als jetzt, wie ja auch der Tod dann ganz anders als jetzt sein wird. Denn dann gibt es nicht etwa keinen, sondern den ewigen Tod, und die Seele wird weder leben können ohne Gott noch auch durch Sterben von den körperlichen Schmerzen erlöst werden. Der erste Tod treibt die Seele wider Willen aus dem Leibe, der zweite Tod hält sie wider Willen im Leibe fest; der erste aber sowie der zweite Tod haben gemeinsam, daß durch sie die Seele von ihrem Leibe etwas erleidet, was sie nicht will. (676f; Fs)

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Autor: Augustinus

Buch: Vom Gottesstaat, Buch 11-22

Titel: Buch 11, Ursprung der beiden Staaten in der Engelwelt

Stichwort: 4. Wie viel wunderbare Eigenschaften finden sich doch an manchen Dingen!

Kurzinhalt: Magnetstein (Magnet), Kalkstein, andere wunderbar e Dinge,

Textausschnitt: 21/4/4 Viele Leute bei uns, zumal Goldschmiede und Gemmenschneider, besitzen den Diamantstein. Das ist ein Stein, dem weder Eisen noch Feuer noch sonst irgendeine Gewalt etwas anhaben kann, wie man versichert, außer Bocksblut. Doch wie ist es ? Wundern sich die, welche ihn besitzen und kennen, ebenso wie die, welchen man seine Macht zum erstenmal zeigt ? Gewiß nicht. Denen sie aber nicht gezeigt wird, die glauben vielleicht gar nicht daran, oder wenn sie es glauben, staunen sie über das Unbekannte. Glückt es ihnen dann, es kennenzulernen, staunen sie zunächst noch über das Ungewohnte, doch haben sie sich erst daran gewöhnt, schwindet allmählich der Anreiz zum Staunen. Vom Magnetstein wissen wir, daß er mit wunderbarer Kraft Eisen anzieht. Als ich es das erste Mal sah, erschrak ich heftig. Denn da erblickte ich,daß ein eisernerRing von dem Stein angezogen und in der Schwebe gehalten wurde. Sodann war's, als hätte er dem angezogenen Eisen seine Kraft verliehen und mitgeteilt, so daß dieser Ring, wenn man ihn einem anderen näherte, auch den emporhob, worauf nun, wie der erste am Stein, der zweite am ersten Ring hing. Noch ein dritter und vierter kamen hinzu, und schon entstand eine Art Kette miteinander verbundener Ringe, die nicht etwa ineinander geschachtelt waren, sondern äußerlich aneinander hingen. Wer staunte nicht über solche Kraft des Steins, die dieser nicht bloß in sich trägt, sondern mit der er auch noch viele angehängte Glieder durchdringt und mit unsichtbaren Fesseln zusammenhält ? Doch noch weit wunderbarer ist, was ich von meinem Bruder und Mitbischof Severus von Mileve von diesem Stein erfahren habe. Er erzählt, er habe gesehen, wie Batha-narius, früher Comes von Afrika, bei dem der Bischof einstmals speiste, solch einen Stein hervorgeholt, ihn unter eine Silberplatte gehalten und dann ein Stück Eisen auf das Silber gelegt habe. Als er darauf die Hand mit dem Stein unter der Platte bewegte, bewegte sich oben entsprechend auch das Eisen, und obwohl das Silber, dem nichts geschah, dazwischen war, wurde mit größter Schnelligkeit der Stein unten von Menschenhand und das Eisen oben vom Stein hin und her gerissen. Ich sage hier, was ich teils selbst sah, teils von einem Manne hörte, dem ich so fest glaube, als hätte ich's selbst gesehen. Ich will auch sagen, was ich sonst noch von jenem Magneten gelesen habe. Legt man neben ihn einen Diamanten, so zieht er das Eisen nicht an, und hat er es schon angezogen, so daß es sich ihm nähert, stößt er es sogleich zurück. Indien sendet uns diese Steine. Aber wie wir aufhören, uns darüber zu wundern, wenn wir sie kennen, wird das erst recht für jene gelten, von denen sie kommen. Vorausgesetzt, daß man sie dort ebenso leicht haben kann wie bei uns den Kalkstein, über den wir uns nicht wundern, wenn er wunderbarerweise durch Wasser erhitzt wird, womit man doch sonst das Feuer löscht, aber nicht erhitzt wird durch öl, das das Feuer auflodern läßt. (682f; Fs)

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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Augustinus; Vergleich: De beata vita (Über das Glück) - Confessiones (Bekenntnisse)

Kurzinhalt: Liegt in den Bekenntnissen durchgängig der Hauptakzent auf moralischen Gesichtspunkten, ... so berichtet Augustin in De beata vita vergleichsweise nüchtern neutralisierend.

Textausschnitt: 84b Vor allem letzteres läßt sich unschwer aus einem Vergleich etwa des Paragraphen 4 mit entsprechenden Stellen aus den Bekenntnissen ersehen. Wie jene hat auch dieser Abschnitt aus der Vorrede den Charakter einer Lebensbeichte. Sie wendet sich einem persönlichen Adressaten zu, spricht sich diesem gegenüber aus und kehrt so das im Vorspann angerissene Typologische ins Individuelle. Gleichwohl: welch ein Unterschied in Aussage, Form und Stimmung! Liegt in den Bekenntnissen durchgängig der Hauptakzent auf moralischen Gesichtspunkten, sind demzufolge Personen, Gedanken und Ereignisse wertbesetzt, so berichtet Augustin in De beata vita vergleichsweise nüchtern neutralisierend. Als Beispiel eines solchen Vergleichs mögen die parallelen Passagen über seine manichäischen Irrtümer dienen. In De beata vita heißt es (1,4): Incidi in homines, quibus lux ista, quae oculis cernitur, inter summa et divina colenda videretur. In conf. 5,6,1 findet sich dagegen: Itaque incidi in homines superbe delirantes, vernales nimis et loquaces ... Gleiche psychologische Grunderfahrung liegt beiden Berichten zugrunde: incidi, »ich bin hereingefallen«. In De beata vita freilich wird die Tatsache nur trocken konstatiert. Die Manichäer werden sachlich charakterisierend umschrieben, so daß erkennbar ist, um wen es sich handelt, so daß zugleich in knapper Fassung ein Kernpunkt ihrer Lehre umrissen wird: das sichtbare Licht ist etwas Göttliches. Die Wertung ist dem Leser überlassen. - Auch in den Bekenntnissen umschreibt Augustin den Manichäismus. Doch hier gibt die Sentenz kaum sachlichen Aufschluß. Vage Adjektive mit geringem Aussagewert, aber von intensiv abwertendem Bedeutungsgehalt, versehen die nachfolgenden Erläuterungen von vornherein mit negativen Vorzeichen. Der Leser wird rhetorisch eingestimmt, er tritt affektiv wertorientiert in die nachfolgende Erörterung ein. (Fs)

85a Sind die Bekenntnisse im Berichtgehalt ständig individuell auf psychologische Motivation hin angelegt, zugleich aber wertbesetzt, so geht in die Darstellung immerzu auch das Urteil über die eigene Handlungsweise mit ein: Der Bericht wird zum Gericht. Es sind Schuldbekenntnisse. Andrerseits erscheint die Wendung des Berichtenden zu Wahrheit in Glauben und Denken als durch Gottes Gnade und Fügung zuwege gebracht. Augustin beschreibt sofern seinen Weg vom Bösen zum Guten als Akt der Erlösung durch Gott. Damit ist der Grundansatz seines Bekenntnisses religiös. Anders steht es mit unserem Dialog. Die psychologische Einsicht in die eigene Lage läßt diese als individuelle Erscheinungsweise einer zuvor typisch durchleuchteten Allgemeinsituation (§ 1 und 2) hervortreten. Schon das Bild von der Seefahrt auf stürmischem Meer, vom Glanz der trügerischen Oberfläche, von unzuverlässigen Gestirnen als Navigationshilfen erzeugt eine lebendige Impression der objektiven Mächte, die den Denker verwirren und in die Irre gehen lassen, denen er also passiv ausgesetzt ist. Für die »Lage, in die sie heiteren Sinns verstrickt sind«, sind die Menschen daher nicht eigentlich selbst verantwortlich. Der moralisch wertende Akzent bleibt aus: als Gegebenes wird hingenommen, was einer unerklärbaren Gewalt, gemischt aus Notwendigkeit, Natur, Gott und Neigung, entspringt, so als sei es etwas Überindividuelles, das mit der eigenen sittlichen Verantwortung nicht unmittelbar etwas zu tun habe, sondern nur das Lebensschicksal regiere, es determinativ bestimme. Andererseits ist es nun gerade die Wendung zu Wert und Wahrheit, die als eigene Aktivität und Leistung hervortritt. Einsicht ist hier nicht Resultat eines überwältigenden Gnadenaktes, sondern der eigenen Bemühung, mit Hilfe der denkerischen Auseinandersetzung auszubrechen aus dem Zwang, den die Lebensbedingungen, um nicht zu sagen die objektiven Verhältnisse, ihm aufnötigen. Selbst dort, wo Augustin an der Tatsache nicht vorbeisehen kann, daß außer seiner Person liegende Einflüsse den letzten Anstoß zum philosophischen Lebensweg gaben, bemüht er sich, wie man zeigen kann, mit formalen wie rhetorischen Mitteln, den Eindruck der Passivität abzumildern, den Leser nicht in Zweifel kommen zu lassen, daß es aufs eigene Tun ankomme. (Fs)

86a Gerade das Bekehrungserlebnis selbst erfährt in beiden Werken eine durchaus unterschiedliche Deutung. Ist es in den Bekenntnissen die in dramatische Form gekleidete Szene im Garten, in der dargestellt wird, wie ein Offenbarungsspruch die Worte Tolle, lege ihm zu Ohren bringt, die den letzten Anstoß geben, so erscheint es in unserem Dialog als die reife Frucht langer eigener Bemühung um platonisches und neuplatonisches Schrifttum, das in letzter Konsequenz die Wahrheit der Schrift rechtfertigt. Der letzte Anstoß geht von einer äußeren Situation aus, seiner Krankheit, die nicht eigens akzentuiert in Erscheinung tritt, die im Grunde auch nur verkürzt, was als Prozeß schon selbst vom Autor in Gang gebracht war. Auch die Bekenntnisse leben von den Berichten über philosophische Auseinandersetzungen und Gedankengänge. Aber hier ist es nicht eigentlich die philosophische Reflexion, die ihn am Ende zur Wahrheit, zum rechten Leben führt: sie erscheint vielmehr lediglich als »Raub des ägyptischen Goldes« (7,9,15) - wie sehr es auch eben dieses Gold sein mag, das Augustin fortgesetzt verarbeitet. Was er ins Bewußtsein drängen möchte, ist aber etwas anderes: der unmittelbare Eindruck einer von außen wirkenden göttlichen Gnade. Genau diesen Gesichtspunkt freilich bemüht er sich in unserem Dialog abzuschwächen. Was also ist die Tendenz, die diesen Einzelzügen zugrunde liegt? In den Bekenntnissen ist das Böse im Handeln des Menschen der Ausgangspunkt, und die Güte der göttlichen Gnade hat die Erlösung bewirkt. In De beata vita sehen wir die Position auf charakteristische Weise verändert. Ausgangspunkt ist die objektiv geschilderte Verwirrung durch äußere Mächte, denen der Mensch mehr oder weniger schuldlos preisgegeben ist. Die selbständige Aktivität des Menschen bewirkt die Heimkehr. Im Gegensatz zu der religiös betonten Einstellung des Autors zur eigenen Lebensgeschichte in den Bekenntnissen betrachten wir daher die Selbstortung Augustins in unserem Dialog als philosophisch motiviert. Gerade der Ausfall so charakteristisch christlich-religiöser Begriffe und Motivationen wie Schuld, Gnade, Erlösung hebt den Lebensbericht in unserem Dialog von den Bekenntnissen ab. Um so mehr kommt die platonisch-neuplatonische Denkweise zum Vorschein: der Ausgang von einer Welt der necessitas, im Sein abgefallen von der klaren und idealen Wahrheit des noetischen Ursprungs, die Heimkehr daher des Menschen zu seiner wahren Heimat, wo er als Geistwesen, als Seele seinen Ursprung hat, durch einen Prozeß der permanenten Selbstverwirklichung, die sich der Verwirrung und Verirrung in die dunklen Gefilde selbst enthebt. (Fs)

88a Dies ist auch der Grund, warum sich Augustin bereits im ersten Satz dieses Werkes fragt: Kämen denn soviel weniger Menschen zum Hafen der Philosophie, wenn ein von Vernunft bestimmter Kurs und reiner Wille dort hinführten? Augustin hat seine Erfahrungen mit Meer und Sturm. Allzu viele sind es nicht, die auf diesem Wege den sicheren Hafen erreichen. Sollten nicht Vernunft und Wille wenigstens dasselbe leisten können? Natürlich sind Vernunft und Wille nicht alles. Dennoch: vernünftig wäre nur ein Weg der Vernunft, ein Weg für alle einsichtig, jedem gangbar, ein Weg, der aller Zustimmung finden könnte. (Fs)

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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Augustinus: Wahrheit, Wahrheitsbegriff - Stoa (oikeosis, Sensualismus); Evidenz durch Bewusstseinstatsachen

Kurzinhalt: Mag die Anregung zur augustinischen Evidenztheorie auch von der Stoa gekommen sein: ihre inhaltliche Beziehung auf »Bewußtseinstatsachen« ist jenseits der Denkmöglichkeiten der Stoa ...

Textausschnitt: 91c Unmittelbar beeinflußt ist Augustins Wahrheitsbegriff von der Stoa, deren Methode der Wahrheitsfindung und -sicherung in seine Methode der Gesprächsführung auf charakteristische Weise eingeht. Zwei Grundvorstellungen bestimmen das stoische Denken in dieser Frage: Zum einen ist es die von Aristoteles herrührende Auffassung von der natürlichen Verwandtschaft aller Menschen (oikeiosis), die den Gedanken nahelegt, darüber, was wahr sei, müßten alle Menschen natürlicherweise übereinstimmen. Da ein jeder den gleichen Logos repräsentiert, können Meinungsverschiedenheiten über das, was objektiv wahr ist, eigentlich nicht aufkommen; und umgekehrt: wo Meinungsverschiedenheiten nicht ausgeräumt werden können, da muß die Wahrheit fern sein. Daraus wird als erstes Wahrheitskriterium der Zwang abgeleitet, über eine in Frage stehende Sache die Übereinstimmung aller herbeizuführen - Konsenszwang. Der »consensus omnium hominum« mag zwar nicht immer und überall herbeiführbar sein, in dem Maße aber, in dem er herbeigeführt werden kann, ist er unabdingbar. Von dieser Regel ist Augustin in seinem Bemühen, gemeinsam verbindliche Ausgangspunkte und Resultate der Überlegungen zu finden, direkt beeinflußt. (Fs) (notabene)

92a Die zweite Grundvorstellung für stoisches Denken in der Wahrheitsfrage entspringt deren sensualistischer Denkweise. Derzufolge ist wahr, was die Sinne unmittelbar, evident und unwidersprechlich darbieten. Dabei müssen nur bestimmte Bedingungen eingehalten werden, die verhindern sollen, daß man sich durch die Sinne täuschen läßt. Prinzipiell aber liefern die Sinne Wahrheit. Auch von dem letztgenannten Wahrheitskriterium läßt sich Augustin beeindrucken. Freilich nimmt er hier eine Modifikation vor. Die neuere Akademie, deren Anhänger Augustin gewesen war, hatte mit guten Gründen die Evidenz der »kataleptischen Vorstellungen« bestritten. Damit hatte sie eine radikale Skepsis gegenüber der Möglichkeit von Wahrheit in Gang gebracht. Augustin macht sich diese Kritik der Sinneserfahrung zu eigen, freilich ohne den Evidenzgedanken völlig zu verwerfen. Er entdeckt die Evidenz neu - im Bewußtsein nämlich, das bestimmte Gegebenheiten und Sachverhalt« unwidersprechlich bereithält. Im Denken des Menschen sind ganz deutlich Strukturen, Normierungen und klar zu wissende Einzeldata vorgeprägt und daher hervorholbar. Sie allein sind »evident«. (Fs)

92b Mit solchen Bewußtseinstatsachen läßt er zum Beispiel die Diskussion im Dialog anheben: »Weißt du, daß du lebst?« oder »Wir wollen glücklich sein«. Derartige elementare Gewißheiten finden sich zahlreich: »So wie die Tatsache, daß wir leben, nicht nur wahr, sondern auch gewiß ist, so ist vieles wahr und gewiß« (enchir. 7,20). Die methodische Regel der Wahrheitsfindung in bezug auf Ungewisse Meinungen besteht nach Augustin darin, von solchen Gewißheiten auszugehen und von da aus Schritt um Schritt in logisch schlüssiger Weise ins Ungewisse vorzudringen. So bemerkt er etwa in den Vorbemerkungen zu De Trinitate (2,2): »Wenn du in meinen Schriften etwas findest, was dir nicht gewiß zu sein scheint, dann nimm es als sichere Wahrheit erst an, wenn dir seine Gewißheit einleuchtet.« Der Ausgangspunkt schon muß gesichert sein, wenn Wahrheit überhaupt zutage treten soll. Als Weiterung solch gewisser Einsichten folgt: »Wenn aber mit wahren und gewissen Sätzen solche, die noch ungewiß sind, in folgerichtigem Zusammenhang verbunden werden, dann müssen auch diese (bisher Ungewissen Sätze) unbedingt gewiß werden« (doctr. christ. 2,34,52). (Fs)

93a Mag die Anregung zur augustinischen Evidenztheorie auch von der Stoa gekommen sein: ihre inhaltliche Beziehung auf »Bewußtseinstatsachen« ist jenseits der Denkmöglichkeiten der Stoa und hat mit den kataleptischen Wahrnehmungen nichts mehr gemein. Hier schlägt vielmehr originär platonisches Denken durch: mit solchen Argumenten hatte schon Sokrates sich gegen den Relativismus der Sophisten zur Wehr gesetzt. Mit dem Selbstbewußtsein des Menschen sind bestimmte apriorische Grundstrukturen mitgegeben. Das Wissen darum stellt zugleich die Grundlage der platonischen Lehre von den ewigen Ideen her. Bei den Stoikern hingegen, wie übrigens auch bei Aristoteles, ist die Seele eine »leere Tafel«, in die die Wahrnehmungen eingeschrieben werden. Bei Augustin ist sie gerade dies nicht, hat sie vielmehr von vornherein inhaltliche Bestimmungen in sich aufgenommen, die als Bewußtseinstatsachen wieder hervorgeholt und evident gemacht werden können. Dieser neu gewonnenen Sicht evidenter Wahrheit ordnet sich auch der Konsenszwang unter: Was unter Bezug auf das in jedem einzelnen unmittelbar einleuchtend Wahre aufgefunden wird, das wird durch die Zustimmung aller abgesichert. Damit überschreitet die augustinische Methode des »Lehrgesprächs« jede bloß pädagogische Intention: es dient nicht primär der Vermittlung von längst schon Gedachtem, sondern der Entwicklung des philosophischen Gedankens selbst. (Fs)

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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Augustinus; Glück (Merkmal: Wandelbar - Unwandelbar); Weisheit - Torheit; frugalitas - nequitia; Seinsfülle - Seinsmangel

Kurzinhalt: »Glücklich ist, wer hat, was er begehrt.« ... Zu fragen ist also näherhin nach den Kriterien für das, worauf sich die Begierde richten sol

Textausschnitt: 94b »Glücklich ist, wer hat, was er begehrt.« So eingängig diese Bestimmung ist, so formal und inhaltslos ist sie auch. Sie ist in durchaus gegensätzlichem Sinne verwendbar - und entsprechend auch verwendet worden. Die auf dem Lustprinzip gründende Glückslehre Epikurs konnte sich ihrer ebenso bedienen wie die am sittlichen Apriori sich orientierende Theorie Platons, der pragmatische Eudämonismus des Aristoteles wie gleichfalls das rigoristische Naturrecht der Stoa. Liegt Glück in der Befriedigung des Leibes oder jenes Geistvermögens, das bei Augustin Seele heißt? Zu fragen ist also näherhin nach den Kriterien für das, worauf sich die Begierde richten soll. Monnicas Einwurf, glücklich sei, wer etwas Gutes begehre und es besitze, unglücklich aber, wer Schlechtes begehre, ist trotz der begeisterten Zustimmung Augustins nicht viel aufschlußreicher: denn nun ist das Problem auf die Frage verlagert, was gut sei und was schlecht. Des Licentius rasche Forderung, es müsse nun doch gesagt werden, was einer denn begehren dürfe, ist daher berechtigt, auch wenn Augustin sie zunächst scharf zurückweist. Er kommt nicht umhin, ihr Rechnung zu tragen, und so ergibt sich als erstes Merkmal »richtigen« Begehrens, es sei auf das zu richten, »das er haben kann, so oft er es begehrt ... es muß also ewig dauern, darf weder von Fortuna abhängig noch irgendwelchen Zufällen unterworfen sein.« Damit sind die Würfel bereits gefallen. Augustin hat sich entschieden. Wofür?

95a Im 8. Kapitel schon hatte er mit Hilfe zweifelhafter Etymologien Grundzüge einer Seins- und Wertlehre vorgetragen, die ihre Herkunft nicht verleugnet. »Ein Nichts ist nämlich all das, was fließt, was sich auflöst, was verströmt, was gewissermaßen dauernd sich verliert ... Etwas ist nämlich nur, sofern es Dauer hat, feststeht, sich immer gleich bleibt, wie zum Beispiel die Tugend .. .« Unverkennbar: platonische Seinsphilosophie ist das, was er hier vorträgt. Sein ist das, was sich in allem Wandel durchhält, was der Veränderung trotzt, was sich gleichbleibt, das immutabiliter esse. Von solcher Art aber ist nur der Geist. Was aber ist hier unter Geist zu verstehen? Sicher nicht das geschichtlich sich wandelnde Denken, das sich nach dem soziokulturellen Umfeld richtet. Nicht auch der permanente Verarbeitungsprozeß von Vorstellungen der Sinneswahrnehmungen. All das ist abhängig von Raum und Zeit, wandelbar und der Veränderung ausgesetzt. Manche moderne Anthropologen sind so sehr von dem Eindruck dieser »Geschichtlichkeit des Menschen« fasziniert, daß sie sich ein Selbstidentisches, Unwandelbares im Geist gar nicht mehr denken können, alles vielmehr dem Fluß der Zeit preisgegeben wähnen. Aber - so hatte Platon gesehen - wie kann ich denn Veränderung und Wandel überhaupt wahrnehmen? Doch nur dadurch, daß ich das, was sich ändert, auf etwas beziehe, das sich gleichbleibt. Allem Wandel muß ein Selbstidentisches als Substrat zugrunde gelegt werden, an dem Wandel statthat - zum Beispiel das Selbstbewußtsein, das als »ich denke«, wie Kant meint, »alle meine Vorstellungen muß begleiten können«. Aber nicht nur formal geht als Möglichkeitsbedingung aller Veränderung ein sich gleich Bleibendes voraus, auch inhaltlich läßt sich im Denken einiges ausmachen, das allem Wandel zugrunde liegt. So hat die Mathematik zum Beispiel ihre zeitlos gültigen Bestimmungen und Regeln, die Natur ihre Gesetze, der menschliche Geist apriorische Strukturen wie Einheit - Vielheit, Kausalität, Zweck, Wesen usw., ohne die überhaupt nicht gedacht, auch kein Wandel wahrgenommen und geordnet werden kann. Es gibt sittliche Vorbegriffe, die allen Erscheinungen moralischer Metamorphosen einer Kultur als ewig gültiger Sinnbezug zugrunde gelegt werden müssen und ohne die weder moralische Handlungen noch moralische Wertungen möglich sind, wie etwa Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichheit usw. Inbegriff dieses im menschlichen Denken selbst anwesenden Zeugnisses von Identischem und Unwandelbarem ist für die platonische Tradition der Geist, und da dies allem Wandel zugrunde liegt, ist es zugleich auch das Sein. Das aber, was sich ändert und wandelt, was fließt und zerfließt, kurzum: was Raum und Zeit unterworfen ist, das ist »eher Nichtsein als Sein«. Dies aber ist die Bedingung der Körperwelt. Daher galt die Welt sinnenfälliger Erscheinung für Platon als Ort des Seinsschwundes. Aristoteles nannte das Prinzip des Werdens und Vergehens stéresis, »Beraubung«, und der Neuplatonismus verband mit ihm noch die genuin platonische Seinsbewertung, denn beraubt ist die Körperwelt ihrer Selbstidentität, die sie in ihrem noetischen Ursprung noch hat. Was der »Beraubung« unterliegt, ist Sein in der Stufe des Abfalls vom wahren Sein, eine Beraubung, die bis zum Nichtsein gehen kann. (Fs)

96a Wie eindringlich sich Augustin die Substanz des Seins- und Selbstverständnis berührenden Grundgedankens platonisch-neuplatonischen Philosophierens zu eigen gemacht hat, zeigen die Paragraphen 22-30. Hier greift er auf seine in Paragraph 8 vorgetragene Deutung von frugalitas und nequitia zurück, um im Gegensatzpaar »Mangel« und »Fülle« die zugrunde liegenden Begriffe »Nichtsein« und »Sein« nochmals zu erörtern und in Korrelation zu Glück und Unglück zu stellen. Wer glücklich werden will, muß sich wahre Güter verschaffen, Güter also, die im platonischen Sinne »Sein« haben im Gegensatz zu bloßen Scheingütern. Gemäß dem zugrunde liegenden Seinsbegriff sind dies Güter, die nicht von äußeren Bedingungen abhängen die also Raum und Zeit nicht unterworfen sind; der Wille habe sich auf »sichere Ziele« zu richten, meint Augustin, das sei »was die Tugend verlange und was Weisheit anrate« (§ 25). Wer solche wahren Güter begehrt, sei weise. Denn er leide keinen Mangel an dem, was er begehre: den Gütern des Geistes, und im Geist ruhe das Glück. Möge es dem Weisen daher auch an den Gütern des Leibes mangeln: da er das Glück in dauerhaften Gütern suche, leide er dort keinen Mangel, wo das Glück zu finden ist. Anders der Reiche. Wie sehr er auch mit irdischen Gütern gesegnet sei: die Unsicherheit dieser Güter lasse Furcht aufkommen, alles zu verlieren, worin sein Glück bestehe. Und diese Furcht sei Mangel an Weisheit. Dieser aber sei gleichbedeutend mit Torheit. So ist also Weisheit der Vollbesitz an dem, was Sein hat: Seinsfülle, sowie Torheit der Armut gleichzusetzen ist: Seinsmangel. Das, was der reiche Tor besitzt, ist nur scheinbar etwas Wirkliches. Tatsächlich ist es die Abwesenheit von Wirklichem, Mangel an Sein also, dem er sein Unglück verdankt, so wie die Finsternis nichts anderes meint wie die Abwesenheit des Lichtes, wie Nacktheit nur soviel heißt wie »ohne Kleider sein«. »Mangel ist eine Bezeichnung für Nicht-haben.« (Fs) (notabene)

97a In all diesen Bestimmungen und Bildern prägt sich die frische und lebendige Einsicht aus, die Augustin aus der Abwendung von manichäischem und skeptischem Denken gewonnen hat. War für den Manichäismus das »Böse«, das Körperliche nämlich, eine eigene Substanz, hatte die »Akademie« alle Substanz in Frage gestellt, so weiß sich nun Augustin mit dem Neuplatonismus einig: Substanz hat allein der Geist. Alles, was nicht Geist ist, ist des Seins beraubt und ermangelt des Seins. Wenn Augustin daher in bezug auf die Frage nach dem Glück verlangt, das Begehren habe sich auf das zu richten, was ewig ist und dauert, so heißt dies nichts anderes, als daß allein zu begehren sei, was wahres Sein hat. Das aber ist geistiger Natur. Nur noetische Werte -in Augustins Sprechweise: Güter der Seele - sind wirklich, können den Menschen erfüllen, sein wesentlich auf Dauerhaftes gerichtetes Begehren stillen, machen ihn glücklich. Sofort schlägt der Autor von da aus die Brücke zum Gottesbegriff. Er legt ihn auf den platonischen Seinsbegriff hin aus, so daß sein Gottes- und sein Seinsbegriff zusammenfallen: Gott ist ewig und von zeitloser Dauer. Und so ergibt sich folgerichtig: Glücklich ist, wer Gott besitzt. Gott haben -das heißt Sein haben, das heißt Geist haben. Sofern man Geist hat, hat man Gott. Das heißt: jeder hat Gott.

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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Glück; Augustinus: Identifikation: Seinsbegriff - Gottesbegriff; Seele: Platon, Aristoteles;

Kurzinhalt: Die Identifikation des Seins- und Gottesbegriffs ist eine wesentlich eigenständige Leistung des jungen Augustin, wenngleich auch dieser Gedanke bereits vorgeformt und vorbereitet war.

Textausschnitt: 98a Die Identifikation des Seins- und Gottesbegriffs ist eine wesentlich eigenständige Leistung des jungen Augustin, wenngleich auch dieser Gedanke bereits vorgeformt und vorbereitet war. Sie machte den religiösen Gottesgedanken rational und erschloß damit das philosophische Denken für das Christentum. Die Koinzidenz von Gottes in die Geschichte gesprochenem Wort und Gottes ewigem Wort - dem Logos - hielt die »vera religio« in einem eigentümlichen Schwebezustand zwischen einem philosophisch platten Naturalismus und einem ebenso trivialen mythischen Supranaturalismus. Es ist schwer zu entscheiden, ob man den durch diese Identifikation eingeleiteten Prozeß eine Christianisierung Platons oder eine Platonisierung des Christentums nennen soll. Soviel nur ist sicher, daß dadurch auf eigentümliche Weise der Transzendenzgedanke verschärft wurde und einen ganz eigenen Akzent erhielt. Platons Logos war zwar auch immer als transmundan, jenseits der Welt zeitlichen Wandels, verstanden worden; Aristoteles hatte ihn sogar in Verruf gebracht mit dem Hinweis, sein Lehrmeister habe ihn als eigenständige Substanz separat für sich gedacht, als ob der Geist für sich in der Welt spazierenginge. Aber das war eine Mißdeutung gewesen. Die ewigen Ideen Platons waren deshalb jenseitig, weil, von der Welt der Erscheinung her gesehen, ihr unwandelbares Sein unbegreiflich erschien - ließ doch keine Reduktion des Veränderlichen je das Ewige hervortreten, das gleichwohl in allem Wandelbaren geschaut und vorausgesetzt werden mußte. Keine Abstraktion wurde ihrer habhaft - und doch waren sie da. Sie mußten also etwas Eigenes, eben etwas Transzendentes sein. Gleichwohl: waren sie auch ihrer eigentümlichen Natur und Seinsweise nach transzendent, so waren sie doch zugleich der Welt immanent; im wandelbaren Denken des Menschen wurden sie geschaut, in den Prozessen der Veränderung hielten sie sich sichtbar durch. Sie waren im menschlichen Geist - und der Geist war im Körper. So war dem Transzendenzgedanken der Gedanke der Immanenz stets benachbart. (Fs)

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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Seele: Antike (Platon, Aristoteles, Plotin); Augustinus:

Kurzinhalt: Im Begriff der Seele hat so das Noetische ganz die Überhand gewonnen; der Transzendenzgedanke verschärft sich dadurch, denn Leib und Seele sind nun nicht mehr nur modal, sondern auch substantiell geschieden.

Textausschnitt: 99a Ihren charakteristischen Ausdruck hat diese Doppelheit von Immanenz und Transzendenz im Begriff der Seele bei Platon und Aristoteles, und in bezug auf die Seele wird die Akzentverlagerung augustinischen Denkens auch besonders deutlich sichtbar, weswegen wir auf diesen Sachverhalt hier näher eingehen. Obwohl das Geisthafte an der Seele etwas gänzlich Eigenes und vom Animalischen Verschiedenes ist, denkt sich Platon die Seele als etwas Zusammengemischtes aus »Gleich und Ungleich«, das heißt aus dem Identischen und Ewigen und dem Wandelbar-Zeitlichen (Tim. 35a). Auch Aristoteles dachte noch so (eth. Nic. 1,13). Daß trotz aller Differenzierung in die »Seelenteile« die Einheit nicht aufgegeben wird, beruht nicht zuletzt auf dem griechischen Erbe beider Denker. Das Denken der Griechen ist von alters her vitalistisch. Alle Bewegung toten Stoffs schien ihnen auf Leben als der eigentlichen Spontanursache (und damit Erstursache) zurückzugehen. Alles was bewegt war, ohne sichtbar mechanisch bewegt zu sein, galt als belebt. Dieses Leben sahen sie für identisch an mit der Seele, die damit nominell den Charakter einer Spontanursache erhielt. So galt der Begriff Psyche für beides: Leben und Seele. Die Seele war Vitalprinzip. (Fs)

100a Obwohl Platon wie Aristoteles durchschauten, daß die Spontaneität des Lebendigen nur scheinbar spontan und damit von außen unbeeinflußt war, daß vielmehr in Wahrheit der Logos es ist, der die vitalistische Seele steuert, hielten sie an der Sprechweise fest. Sie verlagerten lediglich das Moment der Spontaneität vom vitalistischen Seelenteil auf ein anderes Moment an der Seele, auf das ihr zugrundeliegend noetische Prinzip (vgl. Aristot. de an. 2,2. 414 a 13). Leben und Seele blieben identisch, das Wesen der lebenserzeugenden Kraft aber wurde anders bestimmt. So entstand eine Psychologie, die zwar einerseits Animalisches (das alte Vitalprinzip) und Noetisches (die neugefaßte Erstursache) zusammendachte und vom Physischen abhob, in der Reflexion aber das Animalische eigentlich dem Körper, das Noetische dem Geist zurechnete. Dadurch wurde der Seele eine Art Vermittlungsrolle zwischen den heterogenen Elementen, aus denen sie selbst als zusammengesetzt galt, zugedacht. Diese Denkweise tradierte sich in die Spätantike. Noch Plotin sieht die Seele »auf der Grenzscheide zwischen den Welten«, das heißt sie ist noetischen Ursprungs, dem Leibhaften aber zugeneigt. (Fs)

100b Aus diesem Denken erklärt sich, warum Augustin so unbefangen in Paragraph 7 Seele und Leben identifizieren kann. Insofern ist die alte Denkweise noch ganz unreflektiert präsent. Wenn es aber um die Bestimmung der Seele geht, da sieht er sie »ganz und gar unkörperlich«, ebenso wie Gott, dem sie am nächsten von allen Dingen steht. Wo daher in unserem Text von Seele die Rede ist, ist stets das höchste, das noetische Seelenvermögen gemeint, das Vermögen zu denken, Wahrheit zu erkennen und Werte zu erfassen. Sämtliche Bezüge zur empirisch bestimmten Natur des Menschen fallen unter diesem Betrachte aus dem Begriff der Seele heraus. Diese werden vielmehr dem Körperlichen zugerechnet und unterliegen sofern auch den abwertenden Bestimmungen, die für den Leib als eigentlich »Nichtseiendem« zu treffen sind. Im Begriff der Seele hat so das Noetische ganz die Überhand gewonnen; der Transzendenzgedanke verschärft sich dadurch, denn Leib und Seele sind nun nicht mehr nur modal, sondern auch substantiell geschieden. (Fs)

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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: Gott - Seele; Gott-Suchen = Gott-nicht-Haben (Augustinus, Gnade); Teilhabe (Platon);
ontisch-ethischer Rigorismus

Kurzinhalt: Es ist die gesteigerte Transzendenz der Gottesidee, die Augustin die Gleichung »Gott-Suchen = Gott-nicht-Haben« nahelegt, den ganzen vorherigen Argumentationsaufbau hinfällig macht und damit das Glück ins Jenseits der Erfahrung zu verweisen scheint ...

Textausschnitt: 101a Dieselbe Trennung bahnt sich auch im Hinblick auf den mit dem Sein identisch gesetzten Gottesbegriff im Verhältnis zur Seele an, ohne daß sie freilich zu letzter Konsequenz gediehe und mit der Einschränkung, daß diese Separation im Schlußmonolog teilweise wieder rückgängig gemacht wird. Augustin vergißt zwar nie, daß die Seele von allen Dingen Gott am nächsten ist: ist sie doch aus demselben »Stoff« gemacht wie Gott - das Sein - selbst: ewiger, unwandelbarer Geist. Aber er vergißt gelegentlich, daß die Seele seinen eigenen Vorbegriffen nach nichts ist als das Sein in der Vereinzelung und Verfremdung. Unter dem Eindruck bibel-christlicher Vorstellungen denkt er sich auch Gott und die Seele als separate und das heißt in gewisser Hinsicht voneinander unabhängige Substanzen. Es bahnt sich eine Tendenz an, die platonische Seinskontinuität aufzulösen. Diese doppelte Separation führt zu merklichen Spannungen im systematischen Aufbau des Dialogs. So bringt ihn ganz zu Anfang schon die durchaus berechtigte Frage in Schwierigkeiten, wieso man die Nahrung um des Körpers willen für notwendig halte, da man sie doch um des Lebens willen verlange. Denn einerseits hatte er Leben und Seele traditionell identifiziert, andererseits Seele vom Körper scharf getrennt und sie dem Geisthaften zugerechnet. Damit war der Begriff des Lebens einsinnig identisch geworden mit dem Geist. Dann aber wird es unsinnig, körperliche Nahrung um des Lebens willen zu verlangen, obwohl eben das ein recht sicherer Ausgangspunkt zu sein schien. Augustin löst diese Schwierigkeit nicht auf, sondern rettet sich in eine Ausflucht: Nahrung wird um dessentwillen verlangt, das man »wachsen sieht«. Als ob wachsen und zunehmen nicht gerade eine Lebensäußerung sei. Die Ausflucht kann nicht gelingen, sie verschleiert nur die Aporie. Es ist die Einsinnigkeit der Identifikation von Seele und Geist also, die Augustin in Schwierigkeiten bringt und somit die Separation von Seele und Leib erfordert, als ob nicht diese beiden auch noch partiell identisch wären. Die Verschärfung der Transzendenz des Noetischen gegenüber dem Physischen erweist ihre Schattenseiten. (Fs)

102a So wundern wir uns nicht, das gleiche Problem bei der Behandlung des Verhältnisses Gott-Seele wiederkehren zu sehen, so daß sogar der Beweis gegen den Relativismus und Skeptizismus (§ 14) wieder in Frage gestellt werden muß (§20). In Paragraph 12 hatte sich als Resultat ergeben: »Wer Gott besitzt, ist glücklich.« Auf die Frage, wer denn nun Gott besitze, einigte man sich in Paragraph 18 auf die Antwort: »Gott besitzt, wer ein gutes Leben führt.« So schien also der Schluß nahezuliegen: Wer ein gutes Leben führt, ist glücklich, eine schlüssige Antwort, wie es schien, zumal inhaltlich der Begriff »gutes Leben« zuvor geklärt worden war. Gleichwohl: die Einführung des Gottesbegriffes in diesem Zusammenhang auf Grund der Identifikation von Sein und Gott sprengt den Beweisgang. Zwar führt jeder ein gutes Leben, der Gott besitzt, und ist daher glücklich, aber nicht jeder, der ein gutes Leben führt, besitzt deshalb auch schon Gott: führt er doch auch schon ein gutes Leben, wenn er Gott nur sucht. Und da nur glücklich ist, wer Gott besitzt, wird die Antwort erzwungen, nicht jeder, der ein gutes Leben führt, ist glücklich. Es ist die gesteigerte Transzendenz der Gottesidee, die Augustin die Gleichung »Gott-Suchen = Gott-nicht-Haben« nahelegt, den ganzen vorherigen Argumentationsaufbau hinfällig macht und damit das Glück ins Jenseits der Erfahrung zu verweisen scheint. Wenn es zwischen Unglück und Glück, zwischen Mangel und Fülle so wenig ein »Mittleres« gibt wie zwischen Tod und Leben, dann treten die Gegensatzpaare so schroff auseinander, daß der prozeßhafte Übergang der Gottsuche eigentlich unmotiviert erscheint: ein kontinuierlicher Aufbau des Seins mit fließenden oder auch strukturierten Übergängen und damit der Möglichkeit von Entwicklung und Läuterung scheint undenkbar. In Platons Denken ist all dies noch möglich. Sein Teilhabebegriff hätte die Lösung nahegelegt. Teilhabe meint, das Seiende strebt zum Sein, erreicht es aber nicht adäquat. So hat es nur einen Teil, ist nur partiell ähnlich, bleibt aber von der Vollkommenheit unendlich weit zurück. Wer Gott sucht, hätte Platon gesagt, hat an Gott teil, hat ihn aber nicht. In diesem beschränkten Maße hat er auch am Glück teil, er hat es aber nicht als Ganzes und Vollkommenes. Das gute Leben, das der Gottsuchende führt, signifiziert diese Teilhabe, diese teilweise sich äußernde »Habe Gottes«. Gott-Haben und -nicht-Haben sind natürlich Gegensätze - aber keine, die nicht vermittelt werden könnten. Alles menschliche Bemühen um Wahrheit, Glück, Gott ist der lebendige Beweis solcher Vermittlung, die bei allem Stückwerk und bloß partiellen Gelingens als Teilhabe sowohl Teil wie auch Anteil ist. Und so gibt es zwischen Gott und Welt, Seele und Leib zwar kein »Mittleres« als eigenes Ding, wohl aber Vermittlung. Schöpfung ist solche Vermittlung von Gott zu den Dingen wie der gute Wille von den Menschen zu Gott. So hätte Augustin also sagen können: glücklich wird, wer Gott sucht, ein gutes Leben führt, wem Gott sich daher teilgibt (»sich gnädig zuneigt«); der Weg zum Glück ist der des stufenweisen Aufstiegs vom minder vollkommenen zum vollkommeneren Leben - ein Weg des »Gottsuchens« oder, neuplatonisch gesprochen, der »Selbstverwirklichung« des Menschen. Statt diesem, auf dem philosophischen Hintergrunde augustinischen Denkens wohlbegründeten Lösungsversuch der Aporie des Gottsuchens wendet sich das Gespräch einem anderen Ausweg zu, der naheliegend erscheint: wer Gott sucht, dem ist Gott gnädig, wem Gott gnädig ist, dem schenkt er Glück. Bezeichnenderweise ist es die Mutter, die diesen religiöser Sprache entlehnten Begriff einführt, wie sie auch sonst theologisch, nicht philosophisch argumentiert. Zugleich gibt sie freilich dem Gedanken eine Wendung, die ihn rational verbindlich machen könnte. Gnade versteht sie nämlich nicht als die willkürlich geschenkte Zuneigung Gottes, sondern als die spezifische Form eines allgemeinen Seinszustandes: Alle Menschen besitzen Gott, die einen, die ein gutes Leben führen, haben einen gnädigen Gott, die aber ein schlechtes Leben führen, haben Gott gegen sich. Ohne Gott, das heißt ohne Sein, ist niemand. Das ist die allgemeine Seinsverfassung jedes Seienden, daß Gott - das Sein selbst - ihm innewohnt. Denen, die ein gutes Leben führen, das heißt ihrer Seinsverfassung entsprechend leben, nämlich ihrem geistigen habitus gemäß sich verhalten, diesen erscheint Gott zugewendet (propitius), sofern sie sich ihm zuwenden. Die aber, die seinsfremd, nämlich geistlos, das heißt gottlos leben, sind Gott abgewendet, und so erscheint Gott gegen sie (adversarius). (Fs) (notabene)

104a Ein solcher Gnadenbegriff, der das Willkürmoment Gott ab- und dem Menschen zurechnet, Gott vielmehr als die ursprüngliche, jedem Menschen eigene Parusie des wahren Seins begreift, so wie ja auch nach dem Johannesevangelium (Joh. 1,9) der Logos das wahre Licht ist, das jeden Menschen erleuchtet, der in diese Welt kommt, ein solcher Gnadenbegriff ist, wie leicht einzusehen ist, dem platonischen Begriff der Teilhabe urverwandt. Um so bezeichnender ist es, daß Augustin den Einwurf dieses Gnadenbegriffs in die Diskussion unterläuft, nicht weil dieser seinen Intentionen zuwiderliefe - er kommt später darauf zurück -, sondern weil er ihm nichts zur Klärung beizutragen scheint. Deswegen aber sieht er darin keine Lösung, weil Gott-Haben für ihn nicht dasselbe bedeuten kann wie die Gnade respektive wie die Teilgabe. Gott haben - das ist für ihn der Vollbesitz göttlichen Geistes (35): Erst wenn wir der Wahrheit und des »höchsten Maßes« völlig inne sind, haben wir Gott und sind glücklich. Es ist der aus der Transzendenz Gottes gegenüber allem Unvollkommenen erwachsende Absolutheitsanspruch, der ihn auf »Teillösungen« verzichten läßt, ein - wenn man so will - ontisch-ethischer Rigorismus. (Fs)

105a Unter diesem Aspekt könnte man meinen, Augustin halte das Glück unter raum-zeitlichen Bedingungen überhaupt nicht für erreichbar. Er hat seine Gesprächsrunde zwar in den Hafen der Philosphie geführt, er hat also demonstriert, daß es einen »von der Vernunft eingerichteten Zugang« (ratione institutus cursus) auch für die vielen gibt: wer aber gelangt von da auf das Festland des Glücks? Wer wird des »Festlandes«, des dauerhaften und sicheren Seins, habhaft? Geht der Weg nur bis hierher und nicht weiter? In den Retractationes bedauert Augustin, daß er in De beata vita noch die Ansicht vertreten habe, das Glück sei im Diesseits erreichbar. Wenn sich Augustin selbst richtig interpretiert - eine Textstelle, aus der die Auffassung von der Diesseitigkeit des Glücks mit Sicherheit hervorginge, gibt es in unserem Dialog nicht -, dann kann sich das nur auf die wenigen Menschen beziehen, von denen er in Paragraph 1 spricht. Soviel aber hat die Analyse ergeben: volles Glück, Vollbesitz Gottes setzt unter den rigoristischen Begriffsbestimmungen bereits in diesem Frühwerk eigentlich den Menschen als absolut transmundanes Wesen voraus - was er sicher nicht ist. So ist von da aus der spätere Weg Augustins in eine religiöse Heils- und Erlösungslehre verständlich, weil durch sie scheinbar nur zu vermitteln ist, was hier bereits philosophisch-begrifflich auseinandergerissen scheint. (Fs)

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Autor: Augustinus, Aurelius

Buch: Über das Glück

Titel: Über das Glück

Stichwort: frugalitas, Fülle - Maß, sophrosyne; Gott als höchstes Maß -> Wesensmitte der Seele

Kurzinhalt: So ist also die aristotelische Maßidee der »richtigen Mitte« stets auch auf die platonische Maßidee des dem Menschen eingeborenen Urbildes seines eigenen Denkens angewiesen: ...

Textausschnitt: 105b Liefert so der rationale Diskurs in unserem Dialog in gewisser Hinsicht den Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung des augustinischen Denkens, sofern Lücken im Verständnis des Seinsaufbaus erkennbar werden, die später durch religiöse Formeln geschlossen werden müssen, so liefert uns Augustin zugleich auch die Beispiele, wie durch philosophische Reflexion das vordergründig Auseinandergerückte wieder vermittelt werden kann. Eines dieser Beispiele ist seine Darstellung der Maßidee. Sie macht im Fortgang des Gesprächs eine Entwicklung durch, ohne daß dieser Prozeß Augustin selbst bewußt gewesen sein muß. Augustin beginnt mit dem aristotelisch-stoischen Maßbegriff; tragend aber wird eine Maßvorstellung aus ganz anderer Quelle, deren metaphysischer Hintergrund als eigentliche Basis der Antworten Augustins erneut hervortritt und so die Substanz seines Denkens nochmals enthüllt. (Fs)

106a Vorgeben läßt sich Augustin den Begriff des Maßes von Cicero. Von ihm übernimmt er die Bestimmung, dit frugalitas sei die höchste Tugend. Nun deckt sich der Begriff der frugalitas in etwa mit dem aristotelischen Begriff der sophrosyne, meint also die besonnen-maßvolle Haltung, die Aristoteles zum Wesen jedes tugendgemäßen Lebens erklärt hat und die als (freilich nicht mathematisch zu verstehende) Mitte zwischen den Extrempositionen des Zuviel und Zuwenig charakterisiert ist. Der Begriff des Maßes ist sofern quantitativ abwägend, ist eine formale Bestimmung, die äußerliche Wertkriterien liefert, über die inhaltliche Füllung des jeweiligen Tugendbegriffs aber nichts ausmacht, diese vielmehr voraussetzt. Augustin erweckt den Anschein, als wolle er den platonischen Begriff der Fülle, den er mittels seiner Etymologie im Begriff der frugalitas entdeckt zu haben glaubt (frugalitas - Fruchtbarkeit - Fülle), auf den so formal gefaßten Maßbegriff hin auslegen. Kein Zweifel, daß dies den Intentionen Platons entgegen wäre, die gerade im Neuplatonismus offen zutage getreten waren, wenn Plotin die Schöpfung am Bilde des überfließenden Seinsquells zu erläutern suchte. Hier war Fülle gerade Überfülle, Fülle im Überfluß: das Sein ist so »reich«, daß es sich ständig an das Nichtsein mitteilen muß, ohne doch etwas von seiner Fülle zu verlieren: Emanation. Augustins Maßbegriff versucht demgegenüber scheinbar die Fülle auf das »nicht mehr und nicht weniger« festzulegen, das in sich stabil bleibt und so den Eindruck statischer Seinsverfassung vermittelt. Entsprechend hatte auch in der stoischen Tugendlehre der Weise »standhaft« zu sein: ein Bild in sich ruhender, unveränderbarer Ordnung. (Fs)

106b Sosehr sich aber Augustin auch in den Paragraphen 31-33 müht, solch stoisches Maß als Wesensbestimmung seiner Glückslehre zu vermitteln, bereits in Paragraph 34 wird dieses vordergründige Verständnis rhetorisch überrannt. Mit Blick auf christliche Trinitätsvorstellungen bestimmt er: »Daß es aber Wahrheit überhaupt gibt, beruht auf dem höchsten Maß, von dem sie ausgeht und zu dem sie sich zu ihrer Vollendung zurückwendet.« Hier wird die Voraussetzung benannt, deren der aristotelisch-stoische Maßbegriff immer bedarf: die inhaltlich maßgebende Idee Platons, die als apriorische »Bewußtseinstatsache« das Denken des Menschen in den Akten des Erkennens und sittlichen Handelns normativ bestimmt, die als das dem Menschen eigentümliche Sein des Geistes aber auch die immanente Wesensmitte seiner Seele ausmacht, sein eigenes »Selbst«, so daß durch dieses eingeborene »Maß« allein sichere Erkenntnis und freies Handeln möglich wird. Ohne dieses »Maß« gäbe es keine Gewißheit und Wahrheit: dann träfen die Sinneswahrnehmungen auf eine »leere Tafel« im menschlichen Erkenntnisvermögen, dann wäre es Zufallsergebnis, was an Vorstellungen und Bildern entstünde, ohne jede Möglichkeit zu verifizieren, das heißt zu vergleichen, wie die entstandenen Bilder beschaffen sein müssen, und ohne die Möglichkeit, einzuordnen und Urteile zu fällen. Jede Wissenschaft als nach streng methodischen Regeln der Verknüpfung und Begründung operierendes Denken wäre unmöglich: der Mensch wäre wie das Tier in dem, was er aufnimmt, fremdbestimmt durch Zufall und Neigung. Ohne dieses »Maß« gäbe es auch keine Freiheit sittlichen Handelns. Die Orientierungsmöglichkeit für das, was richtiges und was falsches Handeln, was gut und was böse ist, fiele aus; ohne solche Orientierung aber wäre der Mensch seiner kausalbestimmten animalischen Natur hilflos preisgegeben, ohne Möglichkeit, das Handeln selbstverantwortlich zu steuern und zu bestimmen: auch hier wäre der Mensch fremdbestimmt, sofern man das Vermögen, zu denken und sittlich zu handeln, als das Eigentliche, das »Selbst« des Menschen ansieht. So ist also die aristotelische Maßidee der »richtigen Mitte« stets auch auf die platonische Maßidee des dem Menschen eingeborenen Urbildes seines eigenen Denkens angewiesen: denn wie könnte man sonst erkennen, was eine »richtige« Mitte, was ein Zuviel, was ein Zuwenig ist, wenn ich all dies nicht beziehe auf ein Maßgebendes, das alle abgeleiteten Maße normiert, so wie das Pariser Ur-Meter allen Zollstöcken der Welt als Urmaß zugrunde gelegt wird? Wenn das Denken des Menschen daher von diesem »höchsten Maß« abfällt, wird es unwahr, weil preisgegeben dem pondus simulacrorum, das nun an Stelle des dem Menschen einwohnenden Geistes Denken und Handeln bestimmt. Umgekehrt: wenn sich der Geist zu diesem ihm wesenseigenen Maß zurückwendet, dann wird er wahr, vervollkommnet er seine Wahrheit. (Fs)

107a Wie aber? Macht nicht gerade diese Vorprägung durch eine inhaltlich-apriorische Normierung den Menschen unfrei und unfroh? Ist er nun nicht erst recht seiner Freiheit beraubt, wenn er, mag er sich drehen und wenden, wie er will, stets auf Weisung, Richtung, Ordnung stößt? Wo bleibt denn nun seine Spontaneität, sein Eigenes, wenn er eine Marionette ist in der Hand eines Gottes, der seinen normativen Abdruck in der menschlichen Seele hinterlassen hat und will, daß alles so sei wie er? (Fs)

107b Gott, das höchste Maß, ist für Augustin Spontaneität schlechthin, »das höchste Maß ist durch sich selbst Maß«; das heißt, es ist nicht weiter auf etwas anderes zurückführbar. In dieser Wendung »durch sich selbst Maß« kommt noch immer der platonische, aus dem vitalistischen Denken der Griechen entwickelte Begriff der Selbstbewegung als Ausdruck der Erstursächlichkeit zum Vorschein. Das höchste Maß ist das, was allem Maß gibt, aber an nichts Maß nimmt. Wäre es dem Menschen gegenüber, in dessen Geist sich dieses Maß ausprägt, ein Fremdes und Äußerliches, dann wäre der menschliche Geist in der Tat fremdbestimmt. Soll daher das der Seele eingeprägte Maß als ihr eigenes gelten können, dann nur, wenn Gott ihr nichts Fremdes und Äußerliches ist, sondern die Seele selbst göttlich ist, ihr so verwandt, daß Gott als die Wesensmitte der Seele selbst betrachtet werden muß. Die Transzendenz Gottes darf Gott nicht substantiell von der Seele scheiden. Gott muß vielmehr - bei aller qualitativen Differenz, durch die Gott als das Sein selbst alles Seiende überragt - zugleich auch identisch sein mit der Seele: Geist vom Geiste. So ist es also die göttliche Sonne selbst, die »in die Augen unseres Inneren Glanz gießt« und »aus der alle Wahrheit kommt, die wir reden« (35). Der Satz, alles sei Gottes Eigentum, zeigt in dieser Hinsicht Gott als das je Eigene von allem: das Sein selbst in der Einschränkung des Einzelseienden. So ist Abfall von Gott also Selbstentfremdung und Rückwendung zu Gott Heimkehr, wie Augustin immer wieder einschärft. Daher macht die volle Zuwendung zu Gott den Menschen glücklich, weil sie sein Innerstes und Eigenstes befriedigt und erfüllt. (Fs) (notabene)

108a Solange der Mensch freilich noch auf der Suche ist, vermag er Gott zu verfehlen. Noch wird er nicht aus der Fülle gesättigt, noch hat er das ihm innewohnende Maß nicht erreicht, noch mangelt ihm das Glück in seiner Vollkommenheit. Denn Gott ist der Seele zwar ganz nah - als Ziel ihres Weges aber zugleich fern. Eine eigentümliche Spannung liegt über dem Leben des Menschen: daß er das, was er immer schon ist, zugleich immer noch werden muß, daß er Gott hat und nicht hat zugleich, daß ihm Gott als Aufgabe gegeben ist. Der Mensch hat sich selbst nicht, solange er Gott nicht hat, und darum »ist unruhig unser Herz, bis es ruht in Dir«. (Fs; E08 05.12.2008)

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