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Autor: Balthasar, Hans Urs von

Buch: Theologie der Geschichte

Titel: Theologie der Geschichte

Stichwort: Wesen und Geschichte 1; das Faktische, Konkrete - d. Allgemein-Notwendige, Universale; Empirismus; Hegel: Ehrung/(Abwertung des Geschichtlich-Faktischen;

Kurzinhalt: Dieser beruhigenden Reduktion auf die Wesensgesetze gegenüber scheint das Faktisch-Historische, sofern es sich dieser Auflösung widersetzt, kaum etwas Positives, eher nur ein Denkhindernis zu bedeuten... Eine solche Schicksalsgemeinschaft von im Wesen kom

Textausschnitt: HINFÜHRUNG

a. Wesen und Geschichte

9a Menschliches Denken hat, seitdem es zu philosophieren gelernt hat, die Dinge zu erfassen gesucht durch eine grundsätzliche Zerlegung in zwei Elemente: das Faktische, das als solches das Einzelne, Sinnliche, Konkrete und Zufällige ist, und das Allgemein-Notwendige, dessen Universalität damit zusammenhängt, daß es das Abstrakte ist, das Gesetz und die Geltung, die vom Einzelfall absieht, um ihn übersteigend zu regeln. Dieses Schema steht am Ausgangspunkt des abendländischen Denkens und wandelt sich durch seine ganze Geschichte hindurch ab. Es scheint sowohl der Erkenntnis wie der Seinsstruktur zu entsprechen - beides wird von Platon wie von Aristoteles und ihren Nachfolgern als innig vereinigt angesehen - spiegelt es doch die Weise nicht unmittelbar intuierenden, sondern diskursiven Denkens wie die Weise der seienden Dinge, die immer Erscheinung einer (nach Gattung und Art gestuften) Wesensstruktur und -gesetzlichkeit sind. (Fs)

9b Nun lassen sich die beiden Momente wertmäßig ganz verschieden betonen: man kann den Ton auf die (relativ) allgemeinen und notwendigen Wesensgesetze legen, soweit, daß man das Faktische, Empirische, das in der Sinnenwelt begegnet, nur als eine etwas verworrene Kreuzung der gesetzhaften Linien betrachtet, die der Denker entknäuelt und - vielleicht ganz, vielleicht mehrerenteils — in Wesenhaftes auflöst. Gegen solche anscheinende Entwertung des Einzelfaktums durch die rationale Philosophie protestiert von jeher eine Gegenströmung, die man philosophiegeschichtlich Empirismus nennt und die das Wirkliche als das je-einmalige Konkrete und Geschichtliche ansieht, während die abstrakten Wesensgesetzlichkeiten dem unzureichenden Versuch unseres endlichen Denkvermögens entstammen, mit dem nie voll zu bewältigenden Faktischen zu Rande zu kommen. (Fs)

10a Doch ist es ohne Zweifel so, daß die «rationalen» Systeme, sowohl im griechischen wie im christlichen Raum und bis zu Kant und Hegel, als die tragenden Pfeiler der hohen Philosophie galten, als die tiefere, gleichsam vornehmere Weise zu philosophieren, während der Empirismus, der die Kraft der eindringenden Abstraktion unterschätzt und bei den «sinnlichen Fakten» stehenbleibt, die oberflächliche Antithese dazu bildet, praktisch jedoch den immer erneuten Anlaß für wahre Philosophie, ihn zu überwinden. Eine solche Wertgebung liegt nahe; dennoch übergeht sie gewisse im Denken wie im Sein liegende Tatsachen, deren Vernachlässigung sich rächt. Sie liegt nahe, weil die tiefere Erklärung für alles, was in der Erscheinungswelt vor sich geht, immer in der Welt der Wesenheiten zu liegen scheint: das Unverständliche kann vom Weisen und Erfahrenen gedeutet werden als Darstellung der verborgenen Natur dieses Menschen, oder dieser Sippe, oder der Menschennatur überhaupt, an sich oder im Zusammentreffen mit gewissen kosmischen Gesetzen und Konstellationen, die den scheinbaren Zufall durchherrschen: welch zäher Glaube daran zeigt sich von den großen astrologischen Systemen der alten Hochkulturen bis herab zum abergläubischen Hängen am «Hundertjährigen Kalender»! Dieser beruhigenden Reduktion auf die Wesensgesetze gegenüber scheint das Faktisch-Historische, sofern es sich dieser Auflösung widersetzt, kaum etwas Positives, eher nur ein Denkhindernis zu bedeuten. Hegel hat den großartigen Versuch unternommen, das Reich der Fakten, die Geschichte, von der Vernunft her gesamthaft zu bewältigen, indem er die ganze Folge und Konstellation der Fakten in Natur- und Menschheitsgeschichte als die Erscheinung eines umgreifenden vernünftigen Geistes auslegte, der gerade auch als faktisch erscheinender vernünftig wäre. Das kann als die höchste Ehrung des Geschichtlich-Faktischen von der Vernunft her gedeuten werden, weil dieses jetzt nicht bloße Erscheinungswelt außerhalb der gesetzgebenden Vernunft ist, sondern sinnvolle Darstellung der Vernunft selbst (die also solcher Erscheinung bedarf, um Vernunft zu sein, sich selber zu sich selber zu vermitteln), es könnte aber mit ebensoviel Recht als eine letzte Abwertung des Faktisch-Geschichtlichen betrachtet werden, weil die Vernunft damit fertig geworden ist, somit für das Echt-Schöpferische und die Freiheit der handelnden Person kein Raum mehr verbleibt: Von Hegel mußte wenigstens ein Weg zu Marx führen. Aber dieser Weg ist für unsere Fragestellung kein Ausweg, denn der dialektische Materialismus ist nicht etwa die Ernstnahme der empirischen Fakten und Vorkommnisse, sondern erst recht ihre Tyrannisierung durch abstrakte und mechanische Ablaufgesetze, die nur an die Stelle der alten Essenzen und ihrer viel freieren ideologischen Gesetzlichkeit getreten sind. (Fs) (notabene)

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Autor: Balthasar, Hans Urs von

Buch: Theologie der Geschichte

Titel: Theologie der Geschichte

Stichwort: Wesen und Geschichte 2; Problem d. Gesamtdeutung d. Geschichte.; Dialektik: je-Einmaligkeit - Wesen; "demokratische" Schicksalsgemeinschaft aller Menschen; Kommunikation und Kommunion aller freien Personen von identischer metaphysischer Wesenheit; Adam

Kurzinhalt: ... philosophisch unmöglich, daß eine menschliche Person, die als solche nichts anderes ist als ein Exemplar der menschlichen Gattung oder Art ... zum schlechthin beherrschenden, und damit grundsätzlich überragenden Zentrum aller Personen und ...

Textausschnitt: 11a Wer das Geschichtliche in seiner Gesamtheit zu deuten unternimmt, muß, wenn er nicht in einen gnostischen Mythos fallen will, ein in ihr wirkendes und sich offenbarendes Gesamtsubjekt ansetzen, das zugleich eine allgemein normgebende Wesenheit ist. Eine solche kann nur entweder Gott selber sein, aber der bedarf keiner Geschichte, um sich zu sich selbst zu vermitteln, oder der Mensch, aber dieser ist, als freies, handelndes Subjekt je dieser Einzelne, der offenkundig die Geschichte im ganzen nicht überherrschen kann. Zwar gibt es die Dialektik des menschlichen Wesens zwischen der je-Einmaligkeit jeder konkreten Menschperson und der Allgemeinheit seiner Menschwesenheit, eine Dialektik, die deshalb so verwirrend ist, weil es zur Wesenheit gehört, sich nicht anders als in je-Einmaligkeit [eg: sic] zu verwirklichen und anders auch nicht denkbar zu sein, so daß nichts von der Einmaligkeit der geschichtlichen Einzelperson grundsätzlich außerhalb der Wesenheit, ontologisch betrachtet, fiele (daß durch die weiten und ungenauen Maschen einer logischen Wesensdefinition manches hindurchfallen kann, gehört zu deren Struktur). Diese Dialektik hat noch Thomas von Aquin veranlaßt, von einer individuatio ratione materiae zu sprechen, die Schwierigkeit innerhalb der Wesensstruktur allein aufzulösen1; jedenfalls führt sie, auf die Geschichte hin betrachtet, zum höchst geheimnisvollen Begriff einer Kommunikation und Kommunion aller freien Personen von identischer metaphysischer Wesenheit innerhalb der Wesenheit, so, daß diese, wenn sie als geschichtlich verwirklicht vorgestellt wird, sich in einer Schicksalsgemeinschaft der sie bildenden Personen ausfalten muß. (Fs)

12a Eine solche Schicksalsgemeinschaft von im Wesen kommunizierenden freien Personen aber kann, wenigstens philosophisch, niemals anders als «demokratisch» gedacht werden. Jede Person hat am metaphysischen Menschenwesen den genau gleichen Anteil (auch der Verblödete, auch das vorzeitig verstorbene Kind), wenngleich die Entfaltungsbreite eine sehr verschiedene sein kann. Philosophisch läßt sich allenfalls feststellen, daß der Einzelne in seiner persönlichen Vernunft und Freiheit in einer Solidarität mit allen Menschen stehen muß, daß seine Entscheidungen somit für die Gesamtheit nicht ohne Widerhall sind, daß aber kein Einzelner sich über die andern beherrschend erheben könnte, ohne deren Menschsein metaphysisch zu gefährden und seiner Würde zu entthronen. Man dürfte deshalb schwerlich der Meinung sein können, daß die relative Eminenz Adams über alle seine Nachkommen und das damit gegebene Dogma der Erbsünde etwa schon der spekulativen Vernunft zugänglich und auffindbar sei. Diese könnte höchstens bis zu der unvollkommenen Auslegung gelangen, bei der manche protestantische Denker mit Vorliebe stehenbleiben (Kierkegaard, Emil Brunner): jeder Mensch ist Adam, jeder hat gleichviel Anteil am ursprünglichen Abfall von Gott und an der gemeinsamen Schuld. Es ist aber philosophisch unmöglich, daß eine menschliche Person, die als solche nichts anderes ist als ein Exemplar der menschlichen Gattung oder Art (wobei es zur Würde dieser Art gehört, daß alle ihre Exemplare einmalige Personen sind) zum schlechthin beherrschenden, und damit grundsätzlich überragenden Zentrum aller Personen und ihrer Geschichte erhoben zu werden und gar sich selber dazu zu erheben vermag. So kann von der tieferen Reflexion zwar der negative, der Schuldaspekt kraft der Verflechtung von personalen und sozialen Faktoren gesehen, der positive Aspekt der Erlösung des Gesamtgeschlechtes aber nur so einer Einzelperson (als Religionsstifter und «Erlöser») zugetraut werden, daß diese die religiöse Genialität besitzt, erstmals einen grundsätzlich allgemeinen und für alle beschreitbaren «Pfad der Erlösung» erspürt und aufgewiesen zu haben. Ein solcher Weg darf nur in einem äußerlichen Sinn geschichtlich sein, [eg: vonseiten einer Philosophie] er muß, wenn er wirklich für Alle Geltung besitzen soll, als allgemeiner und gültiger Weg in der Wesenheit wurzeln: des Menschen, des Schicksals, des Kosmos im ganzen. (Fs)

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Autor: Balthasar, Hans Urs von

Buch: Theologie der Geschichte

Titel: Theologie der Geschichte

Stichwort: Das schlechthin Einmalige

Kurzinhalt:

Textausschnitt: b. Das schlechthin Einmalige

13a Diese nichtüberschreitbare Grenze, die von der philosophischen Reflexion aufgestellt wird und innegehalten werden muß, ist zugleich das, was eine volle Entfaltung des Poles der Faktizität und Geschichtlichkeit in Dingen und Welt niederhält zugunsten des Poles der allgemeinen Wesenheiten. Diese Schranke zu sprengen vermöchte nur ein dem philosophischen Denken un-erfindliches [eg: sic ] und unvermutbares Wunder: die seinshafte Verbindung Gottes und des Menschen in einem Subjekt, das als solches nur ein absolut einmaliges sein könnte, weil seine menschliche Personalität1, ohne gebrochen oder überspannt zu werden, emporgenommen wäre in die sich in ihr inkarnierende und offenbarende göttliche Person. Dennoch dürfte diese Empornahme in das personale innergöttliche Leben nicht die Entrückung eines Individuums aus dem Kreise der Mit-Individuen sein (etwa so, wie Elias von den Menschen weg im Feuerwagen entrissen wurde), sie dürfte auch keine Übersetzung eines normalen Menschenwesens in einen höheren Wesensrang sein: eine solche wäre von der Schöpfung her unmöglich, wäre die arianische Häresie und höbe im gleichen Zuge das auf, was sie zu begründen vorgäbe: die Erlösung der geschöpflichen, gewöhnlichen menschlichen Natur. (Fs) (notabene)

14a So konnte die Erhebung «eines» Menschen in den Rang des Einmaligen, des Monogenes doch nur sein die tiefere Herabsenkung Gottes selbst, sein Abstieg, seine Erniedrigung, seine Kenose bis zu diesem bindenden Eingehen in «einen» Menschen, der, obwohl der Einzige, nicht aufhört Mensch unter Menschen zu sein. Dies nicht in einer äußerlichen Anpassung, wie eine oberflächliche Deutung der Kenosisstelle in Phil 2,6—7 nahelegen könnte — als ob Christus an sich etwas viel Besseres wäre, und trotzdem das «Aussehen» und das «Benehmen» eines gewöhnlichen Menschen angenommen hätte — sondern in einem innerlichen «Angeglichenwerden seinen Brüdern in allem» (Hebr 2,17), einem «Mitleidenkönnen an unsern Hinfälligkeiten, da er in jeder Hinsicht durcherprobt wurde in völliger Angleichung an uns, die Sünde allein ausgenommen» (Hebr 4,15). Das beidemale gebrauchte Wort besagt sowohl Gleichheit wie Ähnlichkeit wie den Übergang zwischen beiden, die Angleichung bis zum Zusammenfall. (Fs)

14b Die Erhöhung Christi über die übrigen «Brüder» und Teilnehmer der Menschennatur darf also nicht einseitig so ausgelegt werden, daß die Einmaligkeit die Kommunion im Gemeinsamen gefährdet, die Analogie im Konkret-Historischen die Identität im Wesen aufsaugt. Wenn Karl Barth den Menschen Christus definiert als «den Menschen für die Menschen», die übrige Menschheit dagegen beschreibt als «den Menschen mit den Menschen», so ist damit zwar etwas sehr Tiefes ausgesagt (daß die Menschennatur Christi ganz in Anspruch genommen ist von der Erlösungsaktion Gottes, und von daher zu deuten ist), doch besteht die Gefahr, daß Christus und die Menschen nur noch analog im Wesen übereinkommen. Die nächste Folge wäre dann, daß die «Brüder» nicht mehr so, wie die katholische Lehre es vorsieht, an der Aktion Gottes in Christus, Menschwerdung, Kreuz und Auferstehung, würden teilnehmen können. Damit die Analogie zwischen der Einmaligkeit Christi und unserer vielmaligen Menschlichkeit die Identität der Natur nicht aufhebe, muß die Ascensio der menschlichen Natur in Gott tiefer begründet werden im Descensus Gottes in die menschliche Natur. Dann erst wird auch verständlich, warum in der Einmaligkeit Christi beschlossen sein kann die Erlösung unserer Vielmaligkeit: die Menschheit Christi ist, wie Thomas sagt, das instrumentum conjunctum für das Heil der Menschennatur im ganzen. (Fs) (notabene)

15a Nun zeigt sich die Lösung für unser Ausgangsproblem zwischen dem Geschichtlich-Konkreten und dem Abstrakt-Gesetzlichen. Es ist evident, daß wenn «einer von uns» seinshaft eins ist mit Gottes Wort und Gottes erlösender Tat, er ebendadurch als dieser Einmalige erhöht ist zur Norm unseres Wesens wie unserer konkreten Geschichte, der aller Individuen wie der des Geschlechts. Was aber wird dann aus den Wesensgesetzen der Natur? Und weil zur Natur die Je-Einmaligkeit der Person gehört, ihre Freiheit und Vernunft, ihre Religiosität: was wird aus den personalen geschichtlichen Akten und «Situationen» und den in ihnen gelegenen Gesetzlichkeiten? Zwei Dinge gilt es hier festzuhalten: die Einmaligkeit des Gottmenschen, der von Natur aus Norm der Menschheit wird (und diese Natur ist konkret eins mit der Würde und «Verdienstlichkeit» ihrer Akte), ist rein menschlich gesehen eben doch die Einmaligkeit eines Menschen. Die absolute Einmaligkeit Gottes, die sich mit der Menschheit Jesu vereint, bedient sich, um zu erscheinen, der durch das Menschsein gegebenen relativen Einmaligkeit dieser geschichtlichen Persönlichkeit. Der Akt, womit die absolute Einmaligkeit Gottes von der relativen Einmaligkeit einer menschlichen Persönlichkeit Besitz ergreift, beruht auf der Schöpfungsanalogie; diese ist Voraussetzung dafür, daß die an der absoluten Einmaligkeit Gottes partizipierende Einmaligkeit des Erlösers von den vielmaligen Menschen überhaupt verstanden werden kann. Man ist also gezwungen zu sagen, daß die abstrakte Allgemeingültigkeit der in der Menschennatur gründenden normativen Gesetze, sofern Jesus Christus wahrer Mensch ist, in ihm die Assumptio in die Einigung mit der Person des göttlichen Wortes mitvollzogen hat. Diese Erhöhung bedeutet weder eine Zerstörung der Allgemeingültigkeit dieser Gesetze (denn die Menschennatur soll ja erlöst, nicht vernichtet werden), noch ihre gleichgültige Beibehaltung neben der konkreten Norm Jesu Christi: vielmehr sind in ihm die abstrakten Wesensgesetze, ohne aufgehoben zu werden, seiner christologischen Einmaligkeit eingeordnet und unterstellt und durch sie geregelt und geformt. Weder kann man natürliche Metaphysik, natürliche Ethik, natürliches Recht, natürliche Geschichtswissenschaft betreiben, als wäre Christus nicht die konkrete Norm von allem, noch kann man eine beziehungslose «doppelte Wahrheit» aufstellen, indem man die weltlichen Fachleute und die Theologen über den gleichen Gegenstand forschen läßt, ohne daß die beiden Methoden sich je begegneten und kreuzten, noch kann man endlich die weltlichen Wissenschaften in Theologie aufgehen lassen, als sei diese deshalb allein zuständig, weil Christus die alleinige konkrete Norm ist. Gerade weil Christus absolut einmalige Norm ist, bleibt seine Gegenwart den innerweltlichen Normen inkommensurabel, und es läßt sich kein endgültiges innerweltliches Abkommen zwischen der Theologie und den übrigen Fakultäten treffen. Mag man immer die Verweigerung eines solchen Abkommens der Theologie als Hochmut auslegen, sie ist nichts anderes als eine methodische Forderung ihres Gegenstandes. (Fs) (notabene)

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Autor: Balthasar, Hans Urs von

Buch: Theologie der Geschichte

Titel: Theologie der Geschichte

Stichwort: c. Das Einmalige als geschichtliche Norm

Kurzinhalt:

Textausschnitt: c. Das Einmalige als geschichtliche Norm

c. Das Einmalige als geschichtliche Norm
17a Die Formel, die sich ergab, ist ebenso hart wie geheimnisvoll. Hart ist sie, weil sie alle innerweltliche Norm, ihre Geltung, ihre Anwendung und Erforschung dem «individuellen Gesetz» der Einmaligkeit Jesu Christi als der Offenbarung des freien, konkreten Willens Gottes über der Welt unterstellt. Geheimnisvoll ist sie, weil sie diesen Anspruch auf Herrschaft (kyriôtes) erhebt aus dem von keiner wissenschaftlichen Warte aus zu überblickenden und zu beurteilenden Mysterium der seinshaften (hypostatischen) Einigung der göttlichen und der menschlichen Natur in Christus, welches Mysterium nunmehr sein Licht und seinen Schatten steiler oder flacher über alle innerweltlichen Geltungen ausbreitet. Denn nicht alles steht in gleicher Nähe zum Zentrum der gottmenschlichen Einigung, und so entsteht wiederum eine Analogie zwischen Gebieten, in denen die Einmaligkeit Christi die abstrakt-allgemeinen Gesetzlichkeiten1 schlechterdings überstrahlt und praktisch ersetzt, und andern Gebieten, deren relative Autonomie praktisch unangetastet verharrt und die sich gleichsam nur einer gelegentlichen indirekten Aufsichtnahme unterziehen müssen. (Fs) (notabene)
17b Warum eine solche Analogie besteht, lehrt der Blick auf ihr Zentrum, auf Jesus Christus selber. Kraft der hypostatischen Einigung ist nichts an ihm, was nicht der Selbstoffenbarung Gottes diente. Er ist als Zentrum der Welt und ihrer Geschichte der Schlüssel zur Deutung nicht nur der Schöpfung, sondern ebenso Gottes. Er ist es nicht allein durch seine Lehre, durch die von ihm vertretene (allgemeine oder besondere) Wahrheit, sondern vor allem und wesenhaft durch seine Existenz. Man kann sein Wort von seiner Existenz nicht trennen; es besitzt seine Wahrheit nur im Zusammenhang seines Lebens, seines Einsatzes für die Wahrheit und Liebe des Vaters bis in den Tod am Kreuz. Ohne Kreuz, und das heißt zugleich ohne Eucharistie, wäre sein Wort nicht wahr, es wäre nicht jenes Zeugnis über den Vater, das das Mit-Zeugnis des Vaters in sich enthält (Joh 8,17), das zweieinige christologische Wort, das Offenbarung des dreieinigen Lebens ist und die souveräne Forderung in sich trägt, geglaubt und befolgt zu werden. Diese Identität von Wort und Existenz ist nicht aus einer fanatischen Selbstvergöttlichung entstanden, die die offenbaren Symptome des Wahnsinns an sich tragen müßte, sondern ist Dienst und Gehorsam dem Vater gegenüber und trägt alle Merkmale dieses Gehorsams. All das ist an der historischen Existenz Jesu nachprüfbar, diese einmalige, besondere Logik, die Christo-Logik, ist für die sich nicht verschließende menschliche Einsicht wahrhaft einsichtig, ganz abgesehen noch von dem zweiten Beweis Christi für seine Sendung: aus der Konkordanz von Weissagung und Erfüllung (der auch den Beweis der eschatologischen Charismatik, der vom Messias zu wirkenden Wunder in sich enthält: Lk 4 usf.), wodurch er die heilsgeschichtliche Entwicklungslinie als auf seinen Höhepunkt hingeordnet, seinem erfüllenden Sinn Untertan und somit seiner Einmaligkeit zugehörig erweist. (Fs) (notabene)
18a Durch diese beiden, streng zusammengeordneten Beweise für die Wahrheit seines Anspruchs beweist Jesus Christus, daß er als der Einmalige zugleich der Herr aller geschöpflichen Normen im Wesensreich und in der Geschichte sein darf. Es gibt also, wo es darum geht, ihn zu erfassen, gar keine Möglichkeit der Abstraktion, des Absehens vom Einzelfall, des Einklammerns unwesentlicher Zufälligkeiten der historischen Darlebung, [eg: sic] weil gerade in der Einmaligkeit das Wesentliche und Normative liegt. In welche Dimension hinein wollte man denn abstrahieren? Weder in die des Allgemein-Menschlichen läßt sein Wort sich auslegen, weil dessen Inhalt sich keinesfalls aus dem Allgemein-Menschlichen ergibt (als ob es bloß eines besonderen Tiefsinns bedurft hätte, um diese allgemeine Wahrheit zu entdecken), noch in die Dimension des allgemeinen Verhältnisses zwischen Gott und Welt, wie es mit der Schöpfung gegeben zu sein scheint, weil Gott sein Verhältnis zur Welt nur dort aufrechterhalten will, wo Jesus Christus der Mittelpunkt dieses Verhältnisses, der Inhalt und Vollzug des ewigen Bundes selber ist. Theologie im strengen Sinn kann also nirgends abstrahieren, überall nur den normativen Inhalt aus dem nicht einzuklammernden Faktum hervorleuchten lassen. Und wo sie sich (was in jedem ihrer Zweige vorkommen wird) allgemeiner Wahrheiten, Sätze und Methoden bedienen muß, dort muß sie zusehen, daß dies alles streng der Anschauung und Deutung des Einmaligen untergeordnet bleibt. (Fs) (notabene)
19a Es ist schwer auszumachen, an welcher Stelle das Abstrakte und Kategoriale innerhalb der Konkretheit der Religion Christi ein spürbares Eigengewicht erhält. In der unmittelbaren Nähe des Herrn gibt es so etwas jedenfalls nicht. So wenig Jesus unter die Kategorie der «Erlösergestalten» fällt, so wenig fällt Maria unter die Kategorie der «Gottesgebärerinnen», der Madonnen, die zugleich jungfräulich und mütterlich zu sein pflegen, unter den Archetypus des «Marianischen überhaupt», der vielleicht seine reinste Verkörperung in der Mutter Jesu gewonnen hat. Kann man Johannes den Täufer unter die Kategorie der «Vorläufer»stellen und dadurch irgendeine vertiefte Kenntnis seines Wesens gewinnen, oder bedeutet das Heranrücken dieser Kategorie nicht bereits ein Verfehlen seiner Einmaligkeit? Und wie steht es mit den Propheten? Ist Ezechiel ein Individuum aus dem Artbegriff «jüdische Propheten», und sind die letztern eine Art innerhalb der religionsphilosophischen Kategorie «Prophet überhaupt», die dann der allgemeinen Religionssoziologie, wie Max Weber sie erfolgreich entfaltet hat, untersteht? Sind die Apostel Exemplare eines begrifflichen Urbildes «Jüngerschaft», das sich in ihnen so gut wie in andern Exemplaren ausdrücken kann? Ist etwa das besondere Verhältnis Jesus-Petrus erhellbar durch das allgemeine zwischen Meister und Jünger, ist die Weise, wie Petrus sein Amt ausübt, verständlich zu machen durch die allgemeine «Psychologie des beauftragten Menschen»? Ist der Glaube eines Christen ein «Fall von Glaube überhaupt», dessen Erforschung einer menschlichen Verhaltenswissenschaft obliegt? Man wird diese Fragen alle mit Nein beantworten müssen, nicht deshalb, weil hier überall nicht eine echte Analogie zwischen dem allgemein menschlichen Gesetz und dem christlichen Sonderfall bestünde, sondern deshalb, weil der Sonderfall - und dies von der Einmaligkeit Christi her — so beschaffen ist, daß er in seiner geschichtlichen Einzelheit zur konkreten Norm der abstrakten Norm geworden ist. Man kann zum Beispiel im Fall des Propheten oder des Apostels den Übergang deutlich feststellen, den Punkt, an welchem der Gehalt der allgemeinen Kategorie so zurücktritt und verblaßt, daß er dem geschichtlich-einmaligen Gehalt gegenüber praktisch belanglos wird, obwohl der allgemeine Gehalt nicht zerstört wird (gratia non destruit naturam), sondern über sich hinaus erhöht und vollendet (elevat et perficit). (Fs) (notabene)
20a In Jesus Christus ist der Logos nicht mehr das die Geschichte regierende und ihren Sinn stiftende Reich der Ideen, Geltungen und Gesetze, er ist selber Geschichte. Im Leben Christi fällt das Faktische mit dem Normativen nicht nur «faktisch», sondern «notwendig» zusammen, weil das Faktum zugleich Auslegung Gottes und gottmenschliches Urbild alles echten Menschentums für Gott ist. Die Fakten sind nicht nur ein phänomenales Gleichnis für eine dahinterstehende Lehre, die daraus abstrahiert werden könnte (wie zum Teil noch die alexandrinische Theologie meinte), sie sind, in ihrer Tiefe und Ganzheit gefaßt, der Sinn selbst. Das geschichtliche Leben des Logos — zu dem sein Tod und seine Auferstehung und Himmelfahrt gehören — ist als solches die eigentliche Ideenwelt, die alle Geschichte normiert, unmittelbar oder reduktiv, aber nicht aus einer ungeschichtlichen Höhe, sondern aus der lebendigen Mitte der Geschichte selbst. Von der höchsten und abschließenden Perspektive aus betrachtet ist es der Quellpunkt des Geschichtlichen überhaupt, von wo alle Geschichte vor und nach Christus ausgeht und worin sie ihre Mitte behält. (Fs) (notabene)
21a Von der Geschichtlichkeit der Christusoffenbarung her gewinnt auf diese Weise der geschichtliche Pol der menschlichen Existenz eine Aufwertung, die sie zum Teil aus einer unberechtigten Gefangenschaft bei der ungeschichtlichen Wesensphilosophie befreit, zum Teil über das rein Philosophische hinaus an der theologischen Faktizität teilnehmen läßt. Nun hat freilich auch die neue religiöse Existenzphilosophie einen Schritt über das alte platonische Schema hinaus getan, indem sie in einer Art Umkehrung die Sphäre des Wesens, des Logos, sich in der Tiefe öffnen läßt auf die sie fundierende Sphäre der Existenz, als Ek-sistenz des Wesens in Zeit und Geschichte hinein, sofern das Zu-kommen des Seins (esse accidens sagte die arabische Scholastik), das Zeit-haben, religiös das Offenstehen für den ankommenden Willen und Befehl Gottes jenes Geschehen ist, in welchem Menschsein sich allererst grundlegt. Ob nun ein solches Denken in dem Sinne vom Christlichen herkommt, daß es als dessen Säkularisation zu bezeichnen ist (somit als illegitime Übertragung ursprünglichen Offenbarungsgutes auf die Ebene der allgemeinen geschöpflichen Wahrheit und der philosophischen Spekulation), oder ob es, was tiefer und gerechter zu sein scheint, als eine legitime Beschreibung von Verhaltungsweisen zu gelten hat, die im Lichte der Offenbarung aus der Konsequenz christlichen Existierens aufscheinen: in jedem Fall ist der theologische Denker veranlaßt, das existenz-philosophische Anliegen als ein seinem eigenen seltsam verwandtes anzuerkennen. Er wird aber nicht oder doch nicht vor allem (wie es etwa Bultmann tut) die Ergebnisse der Existenzphilosophie als gesicherte natürliche Begrifflichkeiten hinnehmen (ähnlich wie die Scholastik die griechischen Denkschemata übernahm), um daraus ein vielleicht geeigneteres Werkzeug zur Interpretation der Offenbarung zu gewinnen, er wird, was etwas ganz anderes ist, den existenzphilosophischen Anliegen mit einem genuin theologischen Ansatz begegnen, sich also um eine eigenständige, von keiner Zeitströmung beeinflußte Existenztheologie (eine Tautologie!) bemühen. Ob diese die Existenzphilosophie überholt, indem sie sie negativ als eine Zerfallsform eines ursprünglich theologischen Anliegens entlarvt, oder ob sie ihr positiv die letzten Fundierungen bietet, die sie aus sich selber nicht zu erarbeiten vermag, wird den Theologen wenig bekümmern. Denn nicht im Seitenblick auf Philosophie sollte die Theologie sich darstellen, sondern im Gehorsamsblick auf Jesus Christus, dessen Stehen in Zeit und Geschichte sie unmittelbar zu beschreiben hat als Kern und Norm aller Geschichtlichkeit. (Fs) (notabene)
22a Die Frage nach diesem Stehen Christi in Zeit und Geschichte wird sich nicht klären lassen ohne die zweite Frage: nach dem Verhältnis seiner Existenz zur Geschichte der Welt und der Menschheit. Sie muß sogleich in zwei Aspekte zerfallen: die «Voraussetzung» von Geschichte überhaupt und von Heilsgeschichte im besonderen für die Möglichkeit der Geschichtlichkeit Christi, und die Voraussetzung der Geschichtlichkeit Christi für die Möglichkeit von Geschichte überhaupt und für Heilsgeschichte im besondern. Im ersten Aspekt erscheint das Leben Christi in dem Sinne als Erfüllung der Geschichte, daß es sich individuell als deren Fülle darlebt, daß also Geschichte überhaupt (mitsamt der Heilsgeschichte) und Geschichte Christi im Verhältnis von Verheißung und Erfüllung stehen. Im zweiten Aspekt, der aus dem ersten notwendig folgt, tritt die in der Kategorie der Erfüllung enthaltene Kategorie der Normierung hervor: das Leben Christi wird Norm jedes geschichtlichen Lebens und somit jeder Geschichte überhaupt. Dieses Normverhältnis kann wieder nach zwei Seiten betrachtet werden: als Qualität dessen, der Norm ist, also Christi, in der ihm selbst zukommenden, seiner persönlichen Geschichtlichkeit anhaftenden Universalität in bezug auf jede Geschichte. Aber auch als Qualität des durch Christus Normierten: des Christen und der Kirche, schließlich des Menschen und der Geschichte im ganzen. Es ergeben sich somit für diese Studie vier Teile:
1. Die Zeit Christi,
2. Der Einschluß der Geschichte in das Leben Christi,
3. Die Person Christi als Norm der Geschichte,
4. Die Geschichte unter der Norm Christi. (Fs) (notabene)

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