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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Krise, Kirche, Glaube; "Krise des Glauben"; H. Jedin; K. Rahner, Urs von Balthasar

Kurzinhalt: H. Jedin: «So paradox es klingen mag, nichts hat die Kirchentrennung so gefördert wie die Illusion, die sich über ihr Vorhandensein täuschte» ... während es heute um die Wahrheit des Christentums als solchem geht und dies mitten im Raum der Kirche.

Textausschnitt: 1. Die Krise des kirchlichen Glaubens1

5a Das Wort von der «Krise des Glaubens» wird heute so häufig gebraucht, daß es beinahe abgeschliffen wirkt. Trotzdem wird es durch die häufige Verwendung nicht falsch. Manche Wahrheit muß öfter wiederholt werden, zumal wenn deutlich wird, daß sie in ihrer Tiefe nicht erkannt ist oder nicht erkannt werden will. Es gehört nämlich auch dies zur Eigenart der heutigen Krisensituation, daß sie von vielen geflissentlich geleugnet wird wie etwa von dem amerikanischen Theologen Gregory Baum, der davon überzeugt ist, daß es um die Kirche noch nie so gut bestellt war wie in der Gegenwart2. (Fs)

Es ist für manche tatsächlich ein schwer vollziehbarer Gedanke, daß die Kirche wie jeder andere Organismus erkranken und in sich selbst ernstlich bedroht werden kann. Der mangelnde Blick dafür ist sogar ein Beweis für die besondere Tiefenwirkung dieser Krise, die in ihrer Bedrohlichkeit nur mit den ganz großen Notsituationen der Kirche zu vergleichen ist, etwa mit dem Versagen in der Reformation. Bezüglich dieses geschichtlichen Beispiels urteilt der Kirchenhistoriker H.Jedin: «So paradox es klingen mag, nichts hat die Kirchentrennung so gefördert wie die Illusion, die sich über ihr Vorhandensein täuschte»3. Dabei darf man verschärfend hinzufügen, daß es in der Reformation «nur» um die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen «Christentümern» und verschiedenen christlichen Kirchen ging, während es heute um die Wahrheit des Christentums als solchem geht und dies mitten im Raum der Kirche. (Fs) (notabene)

5b Wer die Entwicklung des christlich-katholischen Glaubensbewußtseins nach dem Zweiten Vatikanum ohne den Zweckoptimismus der berufsmäßigen Neuinterpreten verfolgt, kann die Frage kaum unterdrücken, ob die «mit den grandiosesten Ansprüchen auftretenden Neuinszenierungen» noch verdecken können, «wie nahe das ganze Unternehmen bereits dem Bankrott ist»4. Man kann heute jedenfalls die Behauptung Fr. Nietzsches nicht mehr gänzlich in den Wind schlagen, daß die Selbstauflösung des Christentums kommen werde5 und daß gerade diejenigen, die unablässig seinen Fortschritt beschwören, «seine besten Zerstörer»6 werden müßten. Man muß diese Behauptung wenigstens als Frage zulassen. (Fs)

5c Man vermag diese Frage neuerdings sogar bei K. Rahner aus der verhaltenen Formulierung zu entnehmen, daß es heute Leute gebe, die die Kirche «gewissermaßen zu unterwandern suchen, das heißt ihre Mentalität zum legitimen und amtlich anerkannten Bekenntnis... zu machen versuchen»7. Dabei ist die «eigentlich säkular gewordene Mentalität» gemeint, die die Kirche zu «einer Art moralischer Aufrüstung ... wandeln würde» und ihr «die Möglichkeit nähme, wahrhaft christlich zu sein». Rahner rechnet hier auch damit, daß «in der Überwindung dieser Tendenz die christlich bleibende katholische Kirche sehr klein werden würde»8. (Fs)

6a Eine ähnliche Besorgnis läßt H. Urs von Balthasar anklingen, wenn er von der «ikonoklastischen Zeit»9 in der heutigen Kirche spricht und von ihrem Zustand erklärt: «Die gleichen Abbruchmaschinen hämmern von außen und innen gegen ihre Mauern»10. Diese Beobachtung stimmt sehr genau mit dem Selbstbekenntnis eines Theologen anläßlich des Holländischen Pastoralkonzils überein, der sich über seine Arbeit in der Kirche äußerte. Von einem Journalisten gefragt, warum er seine gegen das Wesen und die Existenz der katholischen Kirche gerichtete kritische Tätigkeit nicht lieber außerhalb der Kirche betreibe, gab er die entwaffnende Antwort: «Ich keile lieber von innen heraus»11. Damit wollte er zu verstehen geben, daß ihm die Abbruchtätigkeit aus dem Inneren heraus erfolgreicher erscheine, was ja auch wohl zutrifft, wenn man sich einmal ein solches Ziel gesetzt hat. (Fs)

Die Frage, ob es sich bei der heute so genannten Reform nicht vielleicht doch um eine Deformierung der Kirche und ihres Glaubens handle, ob der erwünschte «Umbruch» nicht etwa ein Abbruch sei und ob die «Vorreiter» des Fortschritts in der Kirche nicht in Wirklichkeit nur eine abgesprengte Nachhut des in die Kirche bereits eingebrochenen Zeitgeistes seien, darf heute sachgemäß gestellt werden. (Fs)

6b Es ist eine Frage, auf deren Erörterung die Kirche in Krisenzeiten auch vom Neuen Testament verpflichtet wird; denn es ist ja wohl nicht anzunehmen, daß etwa das Gleichnis vom «guten Hirten und vom Mietling» (Joh 10,1-21) nicht auch für uns und unsere Situation gesprochen sei, oder daß die Mahnung an Timotheus, sich «nicht den Fabeleien hinzuwenden» (2 Tim 4,4), für uns keine Geltung mehr habe oder die Beschwörung der Apokalypse an die Gemeinden zur Abwehr der Irrlehre, zur Treue und Reinheit heute keine Bedeutung mehr hätten. Es ist im Gegenteil zu erkennen, daß sie für die Gegenwart in besonderer Weise bedeutsam werden. (Fs)

Die erwähnte Frage stellt sich in besonderer Weise angesichts des oben genannten Buches von H. Küng. Das umfang- und kenntnisreiche Werk, publizistisch mit ungewöhnlichem Einsatz propagiert und verbreitet, hat schon eine ganze Reihe von Stellungnahmen hervorge-. rufen. Die erste von ihnen erschien (von einem im Nachwort eigens mit Dank bedachten Berater des Autors) bereits zu einem Zeitpunkt, da das Buch noch nicht ausgeliefert und also der Kritik der Leser noch gar nicht zugänglich war12. (Fs)

6c Angesichts der Vielzahl der inzwischen erfolgten Beurteilungen des Buches könnte eine neuerliche Einlassung auf seinen Gegenstand fragwürdig und unnötig erscheinen. Trotzdem erweist sich das nochmalige Aufgreifen des Themas aus zwei Gründen als berechtigt: einmal zeigen die Stellungnahmen so starke Unterschiede (vom höchsten, Lob bis zur schärfsten Ablehnung reichend), daß ein nochmaliger genauerer Blick auf den Gegenstand klärend wirken könnte (zumal wenn er die bisher ergangenen Begutachtungen mitberücksichtigt); zum anderen ist eine solche weitere Erörterung dann nicht unangebracht, wenn man sie mit einem weiträumigen Hintergrund versieht und sie unter den Aspekt der Gesamtsituation des katholischen Glaubensbewußtseins stellt. Unter diesem Aspekt wird z. B. bald erkennbar, daß das Buch keineswegs einen völlig neuartigen Wurf darstellt, sondern nur aus den vielen Rinnsalen der nachkonziliaren Kritik am Glauben zusammengeflossen ist, die sich allerdings hier zu einem breiten und ausufernden Strom vereinen. Aus der nachkonziliaren Situation der Theologie entstanden und ihre Unklarheiten widerspiegelnd, erklärt sich z. T. auch schon die zwiespältige Aufnahme des Buches, die als «Hintergrund» für die Beurteilung nicht unwichtig ist. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: H. Küng, "Christ sein" - Kritik: Ratzinger, Rahner; Zwiespältigkeit im Urteil; Pluralismus, Relativismus


Kurzinhalt: Der Versuch, «mit Verbeugungen nach links und rechts allem Modernen wohlgesonnen zu bleiben, auch wenn es sich nicht vereinigen läßt», wird treffend als «Trapezakt» bezeichnet, der im Endergebnis deshalb nicht gelingt, weil die Wahrheitsfrage ...

Textausschnitt: 9a Eine ähnliche «Halbherzigkeit», vor allem in der Diskussion mit den modernen Humanisten, stellt auch J. Ratzinger in seiner Kritik fest1. Der Versuch, «mit Verbeugungen nach links und rechts allem Modernen wohlgesonnen zu bleiben, auch wenn es sich nicht vereinigen läßt», wird treffend als «Trapezakt» bezeichnet, der im Endergebnis deshalb nicht gelingt, weil die Wahrheitsfrage unerörtert bleibt. Noch gravierender ist der Einwand, den Ratzinger gegen die exegetische Ausgangsposition des Buches erhebt, die im Grunde einen «Rückweg ins 19. Jahrhundert»2 bedeutet. Ebenso gewichtig erscheinen die Beweise für die in diesem Buche zutage tretende «souveräne Verachtung genauerer dogmengeschichtlicher Untersuchungen», die jede Verteidigung des wissenschaftlichen Anspruchs dieses Buches zunichte machen. Dasselbe aber gilt auch für den in dem Buch aufgestellten Glaubensanspruch. Auch die Antwort auf die gestellte Frage nach dem spezifisch Christlichen in der Ethik «zerrinnt schließlich ins Vage, ins 'Situationsgerechte'.» So ist das Schlußurteil der von Ratzinger mit großer Akribie geführten Auseinandersetzung zutreffend, daß «das Buch im Zentrum sicher das nicht sagt, was die Kirche glaubt»3. (Fs)

9b Am diffizilsten und problemreichsten ist wohl die Kritik K. Rahners ausgefallen4. Rahner geht nur zögernd an die Auseinandersetzung heran, weil er zunächst fürchtet, daß seine Stellungnahme weitere Argumente «gegen Küng für administrative und disziplinäre Maßnahmen Roms»5 liefern könnte (was andere, die kirchenpolitischen Realitäten kennende Theologen für unwahrscheinlich halten). Zudem ist er von einem Umstand sehr beeindruckt, der ihm persönlich eine definitive Stellungnahme als schwierig erscheinen läßt; das ist der Umfang, die Komplexität und Vielschichtigkeit dieses Buches. Dieser Umstand bestimmt ihn zu dem Eingeständnis: «Ich habe Küngs Buch von 667 Seiten aufmerksam gelesen. Aber ich habe es bisher nur einmal gelesen. Man müßte es nochmals lesen...»6. Deshalb will Rahner auch keine abschliessende Stellungnahme bieten, sondern nur «Rückfragen an Küng... und Aufforderungen an seine Leser» stellen, das Buch «genau und kritisch zu lesen»7. (Fs)

9c Trotz dieser Zurückhaltung, die bei einem so kenntnisreichen und überlegenen Theologen nicht ganz plausibel wirkt (sie müßte, grundsätzlich angewandt, das theologische Gespräch bald ins Stocken bringen; sie würde den Befürwortern des Buches, die sich selbst jedenfalls keine solche Zurückhaltung auferlegen, ein unangemessenes Übergewicht verschaffen und sie müßte in dem Falle, in dem es sich um glaubensirrige Lehren handelte, die informationsbedürftigen Gläubigen in gefährlicher Unkenntnis lassen), kommt Rahner doch zu einigen sehr harten Fragen an den Autor, bei denen sich stellenweise schon der Übergang von der rhetorischen Frageform in die Form assertorischer Aussage abzeichnet. Das geschieht etwa in der Bemerkung: «Ich kann die Frage nicht unterdrücken, ob Küngs Buch in jeder Hinsicht 'orthodox' ist». Und weiter: «Die Frage ist die, wie weit Küng mit seiner Christologie faktisch kommt, ob er auf die Weise, wie er faktisch eine solche Aufstiegschristologie betreibt, das verpflichtende Dogma der Christologie wirklich einholt»8. Rahner will damit zu bedenken geben, daß das dauernde Reden von der Maßgeblichkeit Jesu für den Menschen, von seiner Einmaligkeit, Unersetzbarkeit und Einzigartigkeit nicht genügt, um die Glaubensaussage der Kirche von Christus als «derselbe Gott und Mensch zumal» (so das Konzil von Ephesus: DS 253) zu treffen und das abgründige Geheimnis des Gottmenschen zur Sprache zu bringen. Das sind schon nicht mehr zweiflerische Fragten, sondern nüchterne Feststellungen, die sich schließlich in der Überzeugung ausdrücken: Der Autor «scheint mir mehr von den schon zur Zeit des Modernismus gegebenen Voraussetzungen und Problemen auszugehen, als es an sich vielleicht bei der heutigen Situation der Theologie... und Philosophie zu erwarten wäre. Der Versuch scheint mir auf halbem Wege steckengeblieben zu sein»9. Der Hinweis auf den Modernismus besagt nichts Geringes bei Rahner, der diese Etikettierung einmal als lieblos bezeichnet hat und ihren Gebrauch bedauerte10. (Fs)

10a Diese knappen, keine Vollständigkeit beanspruchenden Hinweise auf den Stand der Diskussion lassen ein Phänomen deutlich werden, das eigentlich in seiner schlichten Vorgegebenheit von niemandem bestritten werden kann und das trotzdem von großer Tragweite ist: die Theologen und die an den Glaubensfragen interessierten Gläubigen sind heute nicht nur im Urteil über die Glaubenswahrheiten zwiespältiger Auffassung, sie gehen vielmehr (sozusagen noch ein zweites Mal) auseinander, nämlich in der Beurteilung dieser tiefgreifenden Zwiespältigkeit der Glaubensstandpunkte; die einen sehen sie als natürlichen und legitimen Ausdruck der Vielgestaltigkeit des Glaubens in der Kirche an, die anderen als gefährliche Auflösungserscheinungen. (Fs)

10b So bieten die gegensätzlichen Stellungnahmen zu dem Buch «Christ sein» ein Spiegelbild des heutigen Pluralismus in der Kirche, der nicht mehr nur die Theologie, sondern auch den Glauben betrifft. Ein solcher Pluralismus kann nicht einfach als Schicksal hingenommen werden, wenn er die Kräfte in der Kirche nicht neutralisieren soll. Gegenüber allen Verharmlosungsversuchen eines solchen Pluralismus, der kein Einheitsprinzip mehr angeben kann, spricht ein Soziologe wie P. L.Berger die ernste Warnung aus: «Ich halte den Pluralismus, nicht irgendeinen dunklen Sündenfall des Geistes, für die eigentliche Ursache der schwindenden Plausibilität der Religionen»11. Aber es ist ungemein schwer, gegen ihn anzugehen; denn wenn die Sprachenverwirrung einmal eingetreten ist, kann man sich «in einer Zunge» den vielen anderen Sprachen nicht mehr verständlich machen. Trotzdem muß der Versuch mit den Mitteln des Denkens immer wieder unternommen werden. Es erscheint auch nicht ganz aussichtslos, wenn man bedenkt, daß der Pluralismus, der ja nur eine Spielart des Relativismus ist, zutiefst im Widerspruch gegen die Wahrheit und das Denken steht. Das zeigt sich gerade auch an der Art und dem Vorgehen des Buches «Christ sein». (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Trinität, trinitarische Analogie; Vatikan I: Offenbarung, Glaube, analoges Verständnis; philosophische (eins, wahr, gut) - theologische A.: Verstehen - processio d. Wortes, Liebe - p. von Vater u. Sohn;

Kurzinhalt: ... although the theological analogies afford a fuller and more intimate knowledge of God, they are more imperfect and obscure than philosophical analogies... The philosophical analogy is not only confirmed by such additions but is also marvelously ...

Textausschnitt: 27 The Trinitarian Analogy

681c Concerning the mysteries hidden in God, the [First] Vatican Council teaches three things: (1) that they cannot be known by us without divine revelation; (2) that, given revelation and faith, human reason, enlightened by faith, can with God's help acquire some understanding, and indeed a most fruitful understanding, of these mysteries by way of analogy with what it knows naturally; (3) that never in this life can we have an understanding of these mysteries comparable to the understanding we have of those truths which constitute the proper object of our human reason. (Fs) (notabene)

683a For a better understanding of this, the following should be noted: (1) although in this life we do not know what God is, we do have a knowledge of him through analogies that are imperfect; (2) some analogies are philosophical, by which, apart from any revelation, we can form some conception of God and demonstrate his existence, while other analogies are theological, by means of which we try to acquire some measure of understanding of the mysteries revealed by God; (3) the philosophical analogies of being and intellect and love are complemented and perfected by the theological analogies of word and proceeding love; and (4) although the theological analogies afford a fuller and more intimate knowledge of God, they are more imperfect and obscure than philosophical analogies. (Fs) (notabene)

683b The reason for the first observation above is that if God is not known by his essence, then he is known through some less perfect medium. But to know what is perfect through a less perfect medium is to know by way of an imperfect analogy. (Fs) (notabene)

683c The reason for the second observation is that as faith is something superadded to our natural knowledge, so does theology add something to our philosophical knowledge. But faith is not a knowledge of God by his essence, and therefore theology, which is based on faith, can only contribute additional imperfect analogies. (Fs)

683d The reason for the third observation is that theological analogies proceed along generally the same lines as philosophical analogies. Apart from the negative predications in our natural knowledge of God (for example, that God is not material, not in time, not mutable, cannot not be, cannot be multiple), we find that all the other divine attributes come down to this, that to an infinite degree and in an ineffable manner God is being, one, true, and good by reason of his unrestricted act of being, understanding, and loving. To these a theological analogy is added, not in order to make assertions that are quite novel, but to venture to say something about this ineffable manner itself. For concerning the divine manner of understanding, it asserts that the infinite act of understanding utters a word, as does our understanding, and concerning the divine manner of loving it asserts that the infinite act of loving proceeds, like ours, from understanding and an inner word. The philosophical analogy is not only confirmed by such additions but is also marvelously perfected by them. There is no more profound characteristic within us than the irresistible drive of our reason to form concepts and judgments, and there is nothing more personal to us than the rational responsibility to will and choose. When, therefore, such intellectual emanations are ascribed to God, the one whom philosophy has shown to be so remote from us in his infinite perfection, theological understanding believes to be very near to us in this familiar deep-seated characteristic. (Fs) (notabene)

685a With regard to the fourth observation, there is a limitation that is common to both philosophical and theological analogy, and a further limitation that belongs only to theological analogy. (Fs)

685b The limitation common to both consists in the fact that in this life our knowledge of God is analogical. Not having a quidditative knowledge of God through the divine essence, both philosophers and theologians form concepts of God by way of comparisons which they know quite well to be imperfect, though they won't know just how imperfect until they reach the beatific vision. Therefore, just as philosophers do not know what God is, neither do theologians know what a divine procession is or a divine immanent relation or a divine person; for in God essence and procession and relation and person are one and the same reality. So it is that without quidditative knowledge the degree to which analogies are imperfect is also unknown. And there is the further fact that conclusions follow from these analogies (more readily and more clearly from the theological) which we know to be compatible only insofar as they are derived with certitude from premises that are certain, and imply no obvious contradiction. (Fs) (notabene)

685c The limitation peculiar to theological analogy is the fact that it is not strictly demonstrable. And for a long time now it has been quite clear what cannot be established with certitude by the light of reason alone. Yet even presupposing revelation and faith, one cannot conclude to the trinitarian analogy by a strict process of reasoning. It is true, of course, that on the basis of this analogy many conclusions follow which are either matters of faith or are deduced with certitude from faith. But this sort of argumentation, however productive of an understanding - and indeed of a most fruitful understanding - of the trinitarian mystery, falls far short of being a demonstration. As even a beginner at logic knows quite well, the following inference is invalid: If A exists, then B exists; but B exists; therefore A exists. See Summa theologiae, 1, q. 32, a. 1, ad 2m. (Fs) (notabene)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - das Prinzip «Vieldeutigkeit»; Toleranz - Monopol; Pluralismus - Inkonsequenz d. Denkens; Nietzsche: «Begriffs- und Wertunsauberkeit»; Auferstehung - Naturgesetze (Erscheinungsberichten); K. Rahner ; Gnosis





Kurzinhalt: So fungieren der Pluralismus- und der Toleranzgedanke, wie heute häufig festzustellen, nur als Schutzbehauptungen zum Zwecke eines um so einseitigeren und hartnäckigeren Monopolanspruchs der eigenen Weltanschauung.

Textausschnitt: 3. Das Prinzip «Vieldeutigkeit»

11a An sich ist auch der Autor des Buches, den wörtlichen Bekundungen nach zu schließen, ein Verfechter dieses modernen Pluralismus' im Glaubensdenken. Deshalb bezeichnet er zu Beginn seinen Entwurf recht bescheiden auch nur als einen unter vielen möglichen und fordert für ihn jene Toleranz, auf die sich das pluralistische Denken immer beruft, wenn es um seine eigenen Thesen geht. Pluralismus und Toleranzdenken sind dann auch in dem Buch so stark entwickelt, daß hier selbst der traditionelle Glaubensgrundsatz «extra ecclesiam nulla salus», dessen richtige Deutung gewiß ihre Schwierigkeiten hat, der aber auch heute noch mit einem guten Sinn erfüllt werden kann1, förmlich aufgegeben wird. Daraufhin können im ersten Teil des Buches die nichtchristlichen Weltreligionen als legitime Heilswege ausgegeben werden (die Frage, ob es sich um «außerordentliche» oder «ordentliche» Heilswege handelt, gilt dem Autor als unnützer Gelehrtenstreit: S.83), wenn auch nicht alles in ihnen Wahrheit ist (S.96). Aber auch das Christentum ist weder die Wahrheit noch hat es sie zu eigen. Es ist auch nur auf der Suche nach Wahrheit, die sich in freier Diskussion, im Geben und Nehmen der Religionen einfinden soll. Ja, bei dem Vergleich zwischen den Weltreligionen und dem Christentum kommt dieses im ganzen wegen seines bisherigen Versagens in der zurückliegenden Geschichte schlechter weg. (Fs)

11b In bezug auf die Beurteilung der eigenen Geschichte des Christentums und der wirklichen Kirche (einschließlich ihres heutigen Standes) schlägt dann aber der Toleranzgedanke wie auch das Pluralismusprinzip merkwürdigerweise ins Gegenteil um. Das wirkliche Christentum und die konkrete (vor allem die katholische) Kirche haben nach vielen, mit Ironie und Sarkasmus vorgetragenen Aussagen des Buches keinen Anspruch darauf, in den Pluralismus einbezogen und unter den Schutz der Toleranz gestellt zu werden; denn die Kirche der Neuzeit hat das Evangelium kompromittiert (S.26). Das bisherige Christentum verdient wegen seiner Unmündigkeit die Bezeichnung «Papageienchristentum» (S. 115). Die Kirche hat in der Vergangenheit zwar Liebe gepredigt, aber Haß gesät (S. 162). In ihr spielen Dogmen, Canones und Politik eine wichtigere Rolle als Jesus (S. 503). Sie gehört zu den «Subkulturen» und zu den Organisationen des «ungleichzeitigen Bewußtseins» (S. 509). Die der Modernität nicht zugetanen Theologen sind Vertreter einer «abgestandenen neuscholastischen Denzinger Theologie» (S. 25) oder besseren Falles «mäßig moderne Theologen, denen es manchmal mehr um die Formeln und um ihr eigenes kleines System geht»(S. 509). Die praktizierenden Christen, die auf den Wandel in der Moderne nicht vorbereitet waren, stellen ein «ängstliches, im Glauben unmündiges und kritikloses Kirchenvolk», dar (S. 509). Das Vorgehen Roms in Lehrfragen gilt als «Inquisitionspolitik» (S. 672). So ist das Endurteil nicht überraschend, daß die «Kirche weit hinter ihrem eigenen Auftrag zurückgeblieben» ist (S. 511), ja daß sie weithin «ihren Auftrag verraten» hat (S. 511). (Fs)

12a An solchen, hier gar nicht vollständig aufgeführten Behauptungen läßt sich ersehen, daß der das Buch durchgehend kennzeichnende Pluralismus- und Toleranzgedanke denkerisch nicht durchgehalten wird. Er muß mindestens eine Ausnahme machen, nämlich bezüglich der konkreten Kirche und des in der Tradition überlieferten Christentums. Weil aber in dem Feuer dieser Kritik alles irgendwie angesengt wird, auch die Religionen und Weltanschauungen, bleibt am Ende nur die eigene Meinung und Lehre in Geltung, das Programm «Christ sein als radikales Menschsein» (S. 545/594), das als authentische Interpretation des biblischen Christentums und als einzige Zukunftschance der Kirche ausgegeben wird. So fungieren der Pluralismus- und der Toleranzgedanke, wie heute häufig festzustellen, nur als Schutzbehauptungen zum Zwecke eines um so einseitigeren und hartnäckigeren Monopolanspruchs der eigenen Weltanschauung. (Fs)

12b Aber das Spiel mit dem Pluralismusgedanken hat eine weitere einschneidende Folge für die Bestimmung des eigenen Standpunktes. Wer nämlich allen und jedem entgegenkommen will (und sei es auch nur faktisch und unter Einbeziehung mancher Inkonsequenz), der ist denkerisch nicht in der Lage, selbst eindeutige Stellung zu beziehen und in den entscheidenden Fragen verbindliche Antworten zu geben. Das unkritische Umgehen mit dem Pluralismusgedanken wechselt heute vielfach, besonders aber in diesem Buche, in die Vieldeutigkeit des Redens über, die hier geradezu zum Prinzip erhoben erscheint. Dadurch werden alle entscheidenden Gedanken des Buches in das Zwielicht der Doppel- und Mehrdeutigkeit gerückt. Daraufhin kommt es zur Entwicklung einer gewissen literarischen Technik, die so geartet ist, daß jedem Satz (sei es an anderer Stelle, sei es im gleichen Zusammenhang) ein Gegensatz, ein Nach- oder Beisatz beinahe gegenteiligen Sinnes zur Seite gegeben ist, so daß nicht mehr genau zu erkennen ist, was der Autor nun wirklich und letztlich meint. (Fs)

13a Das ist jene Zweideutigkeit im Reden und Argumentieren, die Fr. Nietzsche einmal sehr hart als «Begriffs- und Wertunsauberkeit» bezeichnet hat und als «Feigheit vor jedem rechtschaffenen Ja und Nein»2. Es liegt nicht zuletzt an diesem Umstand, daß die Verständigung über heutige theologische Positionen wie gerade auch über dieses Buch schwierig wird. So kommt es, daß der Verteidiger dieses Buches dem Kritiker auf jede Einrede ein Gegenzitat aufweisen kann, mit dem scheinbar jede Beanstandungsmöglichkeit widerlegt ist. Wer etwa kritisch vermerkt, daß in dem Buch die Tradition der Kirche völlig mißdeutet oder verlassen ist (wofür sich viele Beispiele aus dem Bereich der Trinitätslehre, der Christologie, der Ekklesiologie u. a. beibringen ließen), dem wird die Aussage entgegengehalten, daß «kein Theologe ungestraft die große Tradition vernachlässigen wird» (S. 124). Wer einwendet, daß hier die Substanz des christlichen Glaubens preisgegeben werde, bekommt gesagt, daß es gerade nicht um einen Ausverkauf des Christlichen gehe, sondern um seine Reform und um den feineren Schliff des «Diamanten» (S. 28). Wer etwa das Bedenken anmeldet, daß hier das Christusdogma geschmälert werde, wird mit einer Fülle von Aussagen über die Einzigartigkeit Jesu, über seine Unersetzbarkeit und Unübertreffbarkeit als Stellvertreter Gottes konfrontiert, die vor allem dem nicht geübten Blick des Laien in der Theologie unanfechtbar erscheinen müssen. Und trotzdem sind die Superlative weder eine Einholung noch eine authentische Interpretation des Dogmas der Kirche, welches besagt, daß Christus wahrer Gott und wahrer Mensch in einer (göttlichen) Person ist. (Fs)

13b Um das Gesagte an einem einzigen Satz zu erhellen, sei beispielhaft auf die Aussage über die Auferstehung Jesu hingewiesen, an der der Verfasser besonders eindringlich zeigen möchte, daß die Auferstehung nicht die Bedeutsamkeit des Kreuzes (R. Bultmann) und das Weitergehen der Sache Jesu (W. Marxsen) meine, sondern ein «(für den Glauben) wirkliches Geschehen» (S. 341). Darüber heißt es zusammenfassend: «Daß Gott dort eingreift, wo menschlich gesehen alles zu Ende ist, das ist - bei aller Wahrung der Naturgesetze - das wahre Wunder der Auferweckung: das Wunder des Anfangs eines neuen Lebens aus dem Tod» (S. 339). Aber durch die in Parenthese gesetzten Worte «bei aller Wahrung der Naturgesetze» ist diese Auferstehung auf keinen Fall mehr die von der Kirche gelehrte «resurrectio carnis», weshalb der Autor auch (gegen alle Regeln der historischen Methode) das leere Grab als «legendäre Entfaltung der vorgängigen Auferweckungskunde» (S.354) abtut. Aber «bei aller Wahrung der Naturgesetze» geraten auch die Erscheinungen des Auferstandenen vor den Jüngern, an denen der Autor verbal festhält, ebenso in ein undurchdringliches Zwielicht. Deshalb wird auch nur von «Erscheinungsberichten» (S. 340) und «Erscheinungsaussagen» (S.353) gesprochen, für welche ebenfalls die Forderung gilt, daß sich dabei nichts Außergewöhnliches im menschlichen Raum und in der menschlichen Zeit ereignet haben kann. (Fs)

14a So bleibt völlig unklar, auf welchen Grund hin die Apostel als «Zeugen» der Auferstehung bezeichnet werden können. Darum wird zuletzt auch nicht geklärt, wer oder was auferstanden ist. Zwar wird (unter Ablehnung der Identität des Leibes) an einer Identität der Person Jesu festgehalten. Aber dann ist wiederum der Personbegriff völlig vage, wenn gesagt wird, daß es dabei nur um die «bleibende Bedeutung des ganzen Lebens und Geschicks» Jesu geht (S. 340). So ist schließlich die Auferweckung Jesu nur «Sterben in Gott hinein» (S. 348). Zwischen Tod und Auferstehung besteht kein zeitlicher Unterschied (S.349). Auferstehung ist zuletzt die endgültige Rettung des Menschen durch Gott (S. 349). Der Sinn der Botschaft von der Auferstehung liegt dann nur darin, daß der Mensch «seinem Tod getrost entgegengehen kann» (S.35O). Aber gerade an dieser Aussage wird deutlich, daß dieses Verständnis von Auferstehung nichts spezifisch Christliches mehr an sich hat; denn Trostempfindungen angesichts des Todes müssen auch den NichtChristen zugebilligt werden, die keinen Auferstehungsglauben kennen. Wenn in diesem Zusammenhang dann noch der Begriff des «Wunders» benützt wird, so ist auch dies eine völlig unbestimmte Formel, die für jedes göttliche Tun stehen kann, das sich verborgen am Menschen vollzieht. Auch der Trost des Heiden angesichts des Todes wäre solch ein Wunder. (Fs)

14b Die mangelnde Eindeutigkeit dieses Buches zeigt sich aber nicht nur im Sprachlichen und Denkerischen, sondern auch im Bereich des Ethischen und des Willentlichen. Damit ist aber nicht die in einem solchen Buch wie selbstverständlich zu erwartende Ablehnung objektiver Normen und der philosophisch unbedarfte Rekurs auf den moralischen Pragmatismus («Richtig ist, was dem Menschen hilft»: S.553) gemeint, sondern die Unentschiedenheit in der Einstellung zur Glaubensgemeinschaft der Kirche. Das sei beispielhaft an dem Problem aufgewiesen, das sich der Autor selbst am Schluß seiner vielen negativen Äußerungen über die Kirche stellt. Es ist die Frage: Warum noch in der Kirche bleiben? Die Frage drängt sich ja auch förmlich auf, weil man doch gegenüber einer Institution, die nach dem Buch nur der «Ort der Erinnerung an Jesus ist» (S. 513), die keine Heilsnotwendigkeit besitzt, die zudem ihren Auftrag in der Geschichte beständig verraten hat, schwerlich eine innere Verpflichtung eingehen kann, aber von ihr eigentlich auch für die Zukunft keine wesentliche Verbesserung erwarten darf. (Fs)

15a Der Verfasser kann trotz der unternommenen Anläufe diese Frage tatsächlich nicht beantworten, zumal er im gleichen Atemzuge die Auffassung vertritt, daß es Christen, ja bessere Christen, und sogar Christengruppen ohne Bindung an die Kirche gibt, daß also ein Christentum ohne Kirche möglich ist und existiert (S. 513). Deshalb sind die versuchten Antworten in keiner Weise theologisch begründet und motiviert. Geradezu entwaffnend wirkt das Eingeständnis: «Diese Freude (des Verlassens der Kirche) sollte man den Gegnern der Erneuerung nicht machen» (S.513). Aufschlußreich ist auch der Hinweis auf die größere Effizienz, die einem Kritiker der Kirche innerhalb der Kirche ermöglicht ist (S. 513). Tatsächlich würde ein katholischer Erfolgsautor außerhalb der Kirche bald uninteressant. Was sonst noch an Gründen angeführt wird, läuft auf einen reinen Traditionalismus hinaus: «Zu viel hat man doch in dieser Glaubensgemeinschaft empfangen, als daß man hier so einfach aussteigen könnte» (S.513). Aber wenn das Empfangene doch, wie unaufhörlich gesagt wird, immer nur entstellt, korrumpiert und degeneriert übermittelt wurde, ist das Verbleiben intellektuell und moralisch nicht gerechtfertigt. So weiß der Autor letztlich keinen theologischen Grund für sein Verbleiben anzugeben. Ein unbegründetes Bleiben in einer Glaubensgemeinschaft ist aber nur eine Form einer neuen «fides carbonaria» und ein Zeichen einer tiefen Unentschlossenheit, die der intellektuellen Vieldeutigkeit genau entspricht. (Fs)

15b Diese geistige Vieldeutigkeit und Unentschiedenheit bedeutet natürlich ein Erschwernis für eine präzise Beurteilung und Bewertung des Buches. Sollte man deshalb bei K. Rahners Vorschlag bleiben, sich überhaupt des letzten Urteils zu enthalten und den Leser zur kritischen Lektüre auffordern? Aber wie kann man solches von einem Nichttheologen erwarten, wenn der Theologe selbst im Grunde keine Krisis, d. h. keine Entscheidung fällt? Eine solche Auskunft ist eine Verlegenheitserklärung, die zwar wiederum in die Situation eines entscheidungslosen Christentums hineinpaßt, aber vor dem Anspruch der Wahrheit und des Denkens nicht bestehen kann. (Fs)

15c In Wirklichkeit ist diese Beurteilung andererseits wiederum nicht so schwierig, wenn man einmal erkannt hat, daß es sich hier um ein vieldeutiges, zwiespältiges, unausgewogenes Denken handelt, das seinen Zusammenhalt und seine Effekte nur aus einer gewissen literarischen Überrumpelungstechnik holt. Wo einmal die «Vieldeutigkeit» als Prinzip eines theologischen Werkes erfaßt ist, wo die Ambivalenz zu einer formalen Artistik gesteigert ist, wo bei allen Erklärungen ein Rest von subjektiver Überzeugungslosigkeit des Autors und objektiver Beweisschwäche bleibt, entsteht eine gewisse Faszination und eine spielerische Überlegenheit gegenüber allen festen Positionen und nüchternen Glaubenssätzen, die sich demgegenüber irgendwie hausbacken, primitiv oder gar borniert ausnehmen müssen. Aber diesem Vorwurf sah sich schon Plato gegenüber den Sophisten ausgesetzt. Tatsächlich eignet diesem Doppelspiel der Vieldeutigkeit etwas Sophistisches, was sich andererseits als Ausdruck einer neuen Gnosis verstehen läßt; denn die Preisgabe der Tradition und der Autorität der Kirche zugunsten eines über allen Standpunkten schwebenden Vernunftwissens, die pathetische Selbstsicherheit des alles Überschauenden und des endgültiges Heilswissen bringenden Charismatikers, die Pseudorationalität des Ideologen mit seiner Anstachelung von Wünschen und der Verheißung restloser Erfüllung: das alles ist Schwemmsand des durch die Geschichte gehenden gnostischen Erbes, das heute auch im Christentum (selbst im katholischen) neue Macht gewinnt. Die am deutlichsten in Erscheinung tretende Folge ist die Auflösung aller objektiven Gehalte des Glaubens, eine angebliche Überhöhung alles Gegenständlichen zum «Bedeutsamen», das aber zuletzt wieder zur Platitüde und zur Bedeutungslosigkeit umschlagen kann. Darum geht es hier weniger um die christliche Wahrheit, um den katholischen Glauben als Erkenntnis und Wert, sondern um eine gewisse Haltung, um einen Elan zu etwas höherem Menschlichen, das hier als «Christ sein» bezeichnet wird. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - subjektivistische Schriftauslegung; Ignoranz: Exegese; Hebräerbrief, Mt 11,27 ff; "Sohn Gottes"; Maßstab für Jesusgestalt? (Zeitgeist: Solidarität mit den Menschen, Freiheit vom Konsumdruck, Lebensqualität)



Kurzinhalt: Damit ist aber nichts Geringeres gesagt, als daß das Jesusbild nach dem heutigen gesellschaftlichen Interesse und Empfinden konstruiert ist. Dieser Umstand beweist nicht nur die methodische Unzulänglichkeit und Schwäche dieser subjektivistischen ...

Textausschnitt: 4. Die subjektivistische Schriftauslegung

16a Das Buch tritt mit dem Anspruch auf, seine grundstürzenden Aussagen über Jesus und das «Christsein» streng auf der exegetischen Wissenschaft und der historisch-kritischen Methode zu begründen. Es kritisiert in diesem Zusammenhang heutige Christen, die «mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit voraussetzten, daß sie auch bereits wissen, wer und was dieser Jesus Christus ist», ([S. 16] als ob es keine Liturgie, keine lebendige Verkündigung der Kirche und keine Tradition gäbe, die dem Glaubenswilligen sagten, wer Christus war und wer er heute und für alle Ewigkeit ist [vgl. Hebr 13,8]). Man darf hierzu ohne jede Schärfe anmerken: Wenn die Christenheit nach dem Erscheinen Jesu Christi und nach einer fast zweitausendjährigen Wirkungsgeschichte seiner Person und seines Werkes immer noch nicht wissen sollte, «wer oder was dieser Christus ist», dann ist ihr nicht mehr zu helfen, auch nicht durch den neuen Erklärungsversuch eines Professors. (Fs)

17a Allerdings nimmt der Autor in Anspruch, diese gültige und (seinem Anspruch gemäß) endgültige Erklärung zu geben. Diese Erklärung ist der wirklichen, offenkundigen Geschichte des Jesus von Nazareth zu entnehmen, wie sie in den Evangelien niedergelegt ist; denn «mit der historisch-kritischen Methode in diesem umfassendsten Sinne ist der Theologie ein Instrument in die Hände gegeben, mit dem in einer Weise nach dem wahren, wirklichen, geschichtlichen Christus gefragt werden kann, wie dies in früheren Jahrhunderten einfach nicht möglich war» (S. 148). Zwar ist im Vorbeigehen auch gesagt, daß die Evangelien keine einfach historischen Berichte und keine Biographien Jesu seien, sondern Glaubenszeugnisse über Jesus, die auch wieder zum Glauben an ihn aufrufen wollen. Aber was diese Zeugnisse dann eigentlich hergeben und was der Autor durch sie hindurch erreichen will, ist doch nur die rein menschliche Geschichte «vom lebendigen Jesus von Nazareth, seinen Worten, Taten und Leiden» (S. 152). Er spricht zwar davon, daß der Jesus der Geschichte von dem Christus des Glaubens nicht getrennt werden dürfe. Aber er hält sich nicht an diesen Grundsatz. Das heißt, daß hier in Wirklichkeit das Glaubensmoment von der Jesusgeschichte abgestreift wird und dann die Gestalt eines rein menschlich-geschichtlichen Jesus hervortritt. Der Autor folgt hier (ohne es förmlich auszudrücken) dem Grundsatz des liberalen Theologen W.Herrmann (+ l922), der einmal bekannte: «Wir, die wir die Erlösung bei Jesus suchen, dürfen uns... nicht etwa unterfangen, dieselben hohen Dinge von Jesus zu glauben, wie sie (die Jünger) als Erlöste von ihm geglaubt haben»1. Es ist nicht nur an dem, daß in dem Buche der dogmatische Christus des späteren kirchlichen Glaubens, der Konzilien und der Frömmigkeit abgelehnt wird. Es wird vielmehr auch schon der von den Evangelien «geglaubte Christus» abgelehnt und an dessen Stelle ein Jesus von Nazareth gesetzt, der ein bloßer Mensch war, der freilich (und das ist die einzige Konzession) eine gewisse intensivere Beziehung zu Gott, dem Vater, gehabt haben soll. Aber das alles sind doch Tatsachen und Daten eines rein natürlichen Menschenlebens, an die man gar nicht zu glauben braucht. An völlig eindeutige geschichtliche Fakten und Gestalten braucht man nicht zu glauben und kann es gar nicht. (Fs)

17b Wie radikal in dem Buch vom Glauben der Apostel und der Verfasser der Schriften des Neuen Testamentes abgesehen wird, zeigt das Übergehen aller jener Aussagen und Christuszeugnisse, die einen irgendwie höher gearteten, auf etwas «Übermenschliches» oder «Göttliches» gehenden Anspruch Jesu Christi ausdrücken. Die Christusaussagen des Hebräerbriefes über das «Ewige Hohepriestertum Christi» werden genauso als bedeutungslos erachtet (S. 170) wie die schon im Matthäusevangelium (Mt 11, 27 ff) stehende Christusaussage über sein Einssein mit dem Vater im gegenseitigen Erkennen und damit auch im Sein. Für diesen Ausdruck eines übermenschlichen Selbstbewußtseins Jesu hat das Buch nur die Erklärung, daß es sich hier um ein Rätsel wort handelt, von dem aus man nicht auf ein einmaliges Offenbarungsereignis schließen dürfe (S. 306). Es wird zwar zugegeben, daß die junge Christengemeinde dem Menschen Jesus eine Reihe von Hoheitstiteln («Christus», «Messias», «Davidssohn», «Gottessohn») angetragen hat, aber nur unter Festhalten «an der vollen Menschlichkeit Jesu» (S. 276) und nur in der Absicht, dadurch die Bedeutsamkeit und Gültigkeit Jesu und seiner Sache zu bekräftigen. Er sollte dadurch als «der Maßgebende» anerkannt bleiben (S. 374). Aber man fragt sich auch hier, worin dieses Maßgebende begründet war, wenn es sich doch nur um einen Menschen handelte. Das kann in diesem Zusammenhang wohl kaum etwas anderes meinen, als daß auch für diese Christengemeinde Jesus nicht mehr war als ein bloßer Mensch. (Wiederum stellt sich hier die Frage, ob man an einen bloßen Menschen glauben kann und darf). Der Verfasser übergeht bei seinem angeblichen wissenschaftlich-exegetischen Verfahren nicht nur die hochtheologischen Glaubensaussagen des Paulus und Johannes über die Person Jesu und ihr gottheitliches Sein, sondern nimmt auch die Forschungen der seriösen modernen Exegese nicht zur Kenntnis. Diese vermag nämlich mit guten Gründen nachzuweisen, daß der Titel «Sohn Gottes» im Neuen Testament (und das gilt schon für Markus und die Synoptiker: vgl. etwa Mk 1,11; 9,7; 12,6;Mt 16, 17) «die Gestalt Jesu mit Gott zusammenschließt» und daß «diese scheinbar dogmatische Auskunft» mit «guten historischen Gründen»2 zu belegen ist. Diese und andere Bezeichnungen sind keine Erfindungen des Hellenismus und keine «mythischen Symbole» (wie S. 377 behauptet wird), sondern sie sind «eher konsequent als mythologisch» und Ausdruck eines «bis ins letzte folgerichtigen christologischen Denkens». Wer hier zum Mythos Zuflucht nimmt, muß sich von dem evangelischen Exegeten M. Hengel sagen lassen: «Die scheinbar wissenschaftliche, in Wirklichkeit oft nur primitive «entmythologisierende» Abqualifikation derartiger Aussagen könnte zuweilen auch ein Zeichen von geistiger Simplizität und Bequemlichkeit sein».3. (Fs)

18a Die letzte, an eine solche Exegese zu stellende Frage geht aber dahin, wie ein Theologe, der weder die Inspiration der Heiligen Schrift anerkennt (S. 455 0 noch mit dem Glauben der heutigen Kirche an diese Texte herangeht, auf ihre Wahrheit stoßen und ihren Sinn treffen kann. Es ist ja dabei auch zu erwägen, daß das Buch die unauflösliche Einheit von Schrift, Tradition und Kirche, die für die katholische Theologie wesentlich ist, nicht kennt. Wer vermittelt dann das notwendige geistig-religiöse Verständnis dieser Texte, die ja doch eine besondere Geschichte darbieten sollen, welche nicht aus bloß innerweltlichen Fakten besteht? Diese für sein wissenschaftliches Umgehen mit der Heiligen Schrift (welches Prädikat schon als unangemessen empfunden wird: S. 456 f) wesentliche Frage des Verfahrens und der Methode klärt das Buch nicht. Es beansprucht für sich zwar, «ernsthafte Bibelkritik» (S. 456) zu treiben. Es will «eine ernste methodische Rückfrage von den Glaubenszeugnissen der Schrift auf den Jesus der Geschichte» (S. 151) stellen. Das Ergebnis soll die Herausarbeitung eines authentischen Bildes des geschichtlichen Jesus sein, das aber nicht der Art der liberalen Jesusdarstellungen des 19. Jahrhunderts gleichen möchte (S. 150). Man dürfe dabei auch nicht von einem bestimmten heutigen Jesusbild ausgehen. Im Grunde soll die Geschichtswissenschaft hier die Exegese bestimmen. Aber dann wird doch wieder zugegeben, daß diese Wissenschaft in der Bibel nur Wahrscheinlichkeiten zutage fördern könne (S. 151). (Fs)

19a Aber das Mißtrauen in die Möglichkeit der historischen Nachkonstruktion des geschichtlichen Jesus tritt recht deutlich in der Aussage zutage: Ein «unechtes Jesus-Wort kann ebenso den echten Jesus wiedergeben wie ein von Jesus selbst gesprochenes» (S. 151); denn es kommt auf das sogenannte «offene Gesamtbild» (S. 152) von Jesus an. Aber wie läßt sich ein solches «offenes Gesamtbild» gewinnen, wenn schon die Einzelheiten nicht gesichert werden können? Daran zeigt sich, daß das Buch es mit der historischen Methode gar nicht richtig ernst meinen kann. Zu guter Letzt wird dann auch zugegeben, daß es im Christentum gar nicht um den Jesus gehe, «wie er wirklich war» (S. 152), also nicht um den «historischen Jesus», was zuvor ausdrücklich als Ziel der exegetischen Bemühung genannt wurde. Es geht vielmehr um den Jesus, «wie er uns hier und heute begegnet» (S. 152). Woher aber, so muß man weiter fragen, kommt der Maßstab dafür, daß der «hier und heute begegnende Jesus» der wahre ist? Von der die Heilige Schrift interpretierenden und die Wahrheit von Christus lehrenden Kirche kann diese Norm nicht kommen, weil die Kirche hier als Schriftinstanz abgetan ist. Vom Glauben der Urgemeinde und der biblischen Autoren kann sie auch nicht kommen, weil diese das Jesusbild durch ihre mythischen Vorstellungen übermalt haben. So ergibt sich am Schluß des Nachdenkens über das methodische Vorgehen des Buches: weder die Geschichtswissenschaft noch der Glaube der Urgemeinde noch die Lehre der Kirche können die Norm für das richtige Erfassen der wahren Jesusgestalt abgeben. Wie bewahrheitet dann das Buch aber seinen Anspruch, den authentischen Jesus zu treffen? Dazu darf man nüchtern sagen: im Grunde gar nicht!

19b Was aber stellenweise als versuchte Begründung zum Vorschein kommt, weist in die Richtung einer rein subjektivistischen und von den gängigen Zeitströmungen abhängigen Jesusdeutung. Für die sub-jektivistische Grundhaltung steht die Aussage: «Er [der Autor wie der Bibelleser] läßt sich inspirieren vom Geist dieser Schrift» (S. 458), d. h. er interpretiert sie kraft eigenen Erlebens und eigener Vollmacht. Da man aber, so gänzlich subjektivistisch vorgehend, wohl kaum das Ohr seiner Zeitgenossen finden dürfte, muß zuletzt der «gegenwärtige Horizont von Mensch und Gesellschaft» (S. 152) herangezogen werden. Damit ist aber nichts Geringeres gesagt, als daß das Jesusbild nach dem heutigen gesellschaftlichen Interesse und Empfinden konstruiert ist. Dieser Umstand beweist nicht nur die methodische Unzulänglichkeit und Schwäche dieser subjektivistischen Exegese und der ganzen theologischen Arbeit. Man kann vielmehr aus diesem Umstand schon schließen (was die Durchführung dieses Ansatzes in dem Buch dann zur Gewißheit erhebt): Von diesem «Jesus der heutigen Gesellschaft» ist nichts an Werten zu entnehmen, was die heutige Gesellschaft nicht schon kennt: Solidarität mit den Menschen, Freiheit vom Konsumdruck, Lebensqualität u. a. Das Jesusbild steht hier schon fest, bevor noch ein einziger Strich gezogen ist. Es kommt am Ende dabei nichts anderes heraus, als was man an gesellschaftlichen Werten von vornherein kennt. (Fs) (notabene)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Auflösung der christlichen Wahrheit; «Fehlbar?»; dynamistischer Monarchianismus; Trinität - Schöpfungstheologie; unitarischer Gott - Weltbezug; Ziel d. Schöpfung: Verherrlichung Gottes; Hegelianismus - Sünde



Kurzinhalt: ... als daß der Verfasser weder die Existenz eines verbindlichen Glaubens an einen dreieinigen Gott anerkennt noch den Sinn dieses Geheimnisses zu verstehen vermag... denn ein starrer unitaristischer Gott ist eigentlich ohne eine Weltbeziehung nicht ...

Textausschnitt: 5. Die Auflösung der christlichen Wahrheit

20a Wenn man das «Atmosphärische» und «Tendenzielle» dieses Buches erfaßt hat, findet man weitere sichere Anhaltspunkte zu seiner Beurteilung und Kritik in den Sachaussagen über den christlichen Glauben, die alle in einem besimmten Sinne gleichsam «verrutscht», «verrenkt» und aus der normalen Lage herausgeraten erscheinen. Daß man das Buch überhaupt (nach den vorher gegebenen Hinweisen auf sein dem Emphatischen, der «Haltung» und der «Subjektivität» zugeneigtes Interesse) am Inhaltlichen kritisieren darf, ist deshalb gerechtfertigt, weil es sich tatsächlich selbst als «Summe» des Glaubens und der modernen Theologie ausgibt (wenn auch mit der Einschränkung «Kleine Summe»: S. 14). Man darf sogar auf Grund dieser hochgemuten Selbsteinschätzung (die übrigens das ganze Buch durchzieht) den Maßstab der Kritik besonders streng ansetzen. Das ist (entgegen der Auffassung K. Rahners) auch deshalb nicht so schwierig, weil die Grundpositionen des Buches schon in den bisherigen Arbeiten des Verfassers hervortreten und insofern (wenn man von der Zeitanalyse und der Heranziehung der Religionswissenschaft im Teil A absieht wie von der stärkeren Ausführung der Christologie in Teil B und C) auch innerhalb seines eigenen literarisch imponierenden Werkes nicht eigentlich neu und originell sind. Wer die Schriften aus der letzten Zeit wie «Unfehlbar?» (1970), «Wozu Priester?» (1971), «Was in der Kirche bleiben muß» (1972), «Fehlbar?» (1973) kennt, wird feststellen, daß das neueste Buch im Grunde nur eine um gewisse Partien verbreiterte Darstellung seiner bereits bekundeten Grundauffassungen ist, die selbst im eigenen Arbeitsbereich keine Neuerkenntnisse erbringt. Ausdrücklich kennzeichnet der Verfasser sein neues Buch auch als «positives Pendant zum Buch über die Unfehlbarkeit» (S. 14). Das sagt, daß hier nur eine gewisse Umkehrung desselben Bildes vorliegt, ein Umstand, der die theologische Kritik erleichtert, zumal der katholische Theologe, der das kirchliche Lehramt noch ernst nimmt, auch die Erklärung der Glaubenskongregation vom 15. Februar 1975 als Richtschnur nehmen darf, nach der entscheidende Thesen der Bücher «Die Kirche» und «Unfehlbar?» der Lehre der Kirche widersprechen. (Fs)

21a Unter der Voraussetzung des hohen Anspruchs des Buches, das eine neue «Summe» des christlichen Glaubens bieten will, darf die Kritik auch einmal so zu Werke gehen, daß sie danach fragt, was in dieser «Summe» alles an grundlegenden christlichen Wahrheiten nicht enthalten oder in einem verkümmerten Zustand wiedergegeben ist. Da macht sich ein erster wesentlicher Ausfall in der Begründung des christlichen Glaubens bemerkbar. Der Verfasser, der hier sehr kritisch verfahren möchte und mit den Einwänden I. Kants gegen die Gottesbeweise beginnt (wobei er irrtümlich die «praktische Vernunft», die bei Kant den «rein sittlichen Willen» bedeutet, mit dem Handeln des Menschen in Verbindung bringt und so völlig verkennt, daß auch die «praktische Vernunft» eben autonome menschliche Vernunft ist und ein wahres Wissen meint), will den Menschen in der Glaubensfrage «vor eine rational verantwortbare Entscheidung stellen» (S. 60). Aber in eindeutigem Gegensatz dazu heißt es einige Seiten danach, daß weder der Atheismus rational zu widerlegen, noch der Gottesglaube rational zu beweisen sei (S. 65). Deshalb ist der letzte Grund für den Gottesglauben «ein in der Wirklichkeit selbst begründetes Vertrauen» (S. 65). Entsprechend heiß es weiter: «Atheismus und Gottesglaube sind ein Wagnis - und ein Risiko» (S. 66). D. h. daß der Verfasser den Menschen gerade nicht vor eine «rational verantwortbare Entscheidung» stellt, sondern mit der Berufung auf das Grundvertrauen in die Wirklichkeit, das natürlich auch der Nichtchrist haben kann, den vernünftigen Zugang zum Glauben (denn die Forderung nach einem formellen Beweis erhebt niemand) blockiert. Was soll dann die nachfolgend noch einmal aufgestellte Behauptung von einer «kritischen Prüfung» des Gottesglaubens? (S. 73). Der Theologe, der den Glauben genau so als unausweisbar ansieht wie den Unglauben, macht die Entscheidung des Menschen im Grunde zu einem Lotteriespiel zwischen völlig gleichen Möglichkeiten, nur mit dem (denkerisch nicht wesentlichen) Unterschied, daß es in dieser Lotterie nur zwei Lose gibt. Indem die Glaubensbegründung in ein subjektivistisches Urvertrauen zurückgenommen wird, entzieht der Theologe aber auch der Theologie als Wissenschaft den Boden; denn auf einem Glauben, der ein «Wagnis» bedeutet, kann keine Wissenschaft aufbauen. Hier zieht der Autor des Buches die volle Kritik des modernen wissenschaftstheoretischen Denkens auf sich, daß gerade der modernen Theologie «Immunisierungstendenzen» gegenüber den Forderungen einer vernunftgemäßen Hinführung zum Glauben vorwirft. Wer für das sog. «Urvertrauen» keine Vernunftkriterien anzugehen vermag und den Menschen darauf vertröstet, daß er im Vollzug dieses Vertrauens seine Richtigkeit schon erfassen werde, der bricht jedes Gespräch über die vernünftigen Voraussetzungen des Glaubens ab, der kann auch dieses «Urvertrauen» nicht von einer Selbsttäuschung unterscheiden. In diesem ganzen Fragenkomplex hat das Buch die heutige wissenschaftstheoretische Problematik nicht erfaßt. (Fs)

22a Solche brüchige Voraussetzungen lassen es von vornherein zweifelhaft erscheinen, ob der Verfasser in der Darstellung des christlichen Gottesbildes und der Glaubenswahrheit über Gott eine sichere Hand beweisen könne. Schon bei den ersten Stellungnahmen zum Gottverhältnis Jesu fällt auf, wie kritisch der Verfasser dem «Vater-Begriff» gegenübersteht (S. 300). Bezeichnend ist auch die Behauptung, daß Jesus den Gottesglauben des Alten Testamentes nicht verändert habe und daß «Jesu Originalität... in der Tat nicht übertrieben werden» dürfe (S. 299). Dem entspricht die unverhohlene Sympathie für den starren Monotheismus des Islam mit der Betonung «des einen Gottes und seines Gesandten» (S. 105). Man fragt sich unwillkürlich, ob der Verfasser die ungeheure Neuartigkeit der Gottesbotschaft Jesu nicht mehr erkennt, die in der trinitarischen Differenzierung des Gottesbildes durch Jesus besteht. Die Ausführungen über die Trinität machen es zur Gewißheit, daß in dem Buch der Glaube an einen trinitarischen Gott tatsächlich mit einer «Trinitätsspekulation» gleichgesetzt wird. Der Verfasser unterstellt dem Christentum den Glauben an eine «Dreiergottheit» (S. 464), er unterschiebt gegen alle Zeugnisse der Dogmengeschichte dem christlichen Volk einen Glauben an «drei Götter» (S. 465). Es handelt sich angeblich nur um die verschiedenen Weisen der Offenbarung der Dynamik Gottes in der Geschichte (S. 466), womit der Verfasser im Grunde den uralten dynamistischen Monarchianismus des 2. Jahrhunderts neu auflegt. (Fs)

23a Es ist schwerlich anders zu sagen, als daß der Verfasser weder die Existenz eines verbindlichen Glaubens an einen dreieinigen Gott anerkennt noch den Sinn dieses Geheimnisses zu verstehen vermag. Das zeigt auch die Aussage, daß dieser Glaube, falls er überhaupt festgehalten wird, nichts spezifisch Christliches sei. Hier geht das Verständnis dafür verloren, daß ein rein unitarischer, solitärer Gott ein in sich unerfülltes und notwendig auf die Welt angewiesenes Wesen wäre. Es ist hier nicht mehr gesehen, daß es gerade dieses Geheimnis ist, welches die Einzigartigkeit der Weltzuwendung und Weltliebe Gottes in Jesus Christus wahrt; denn wenn diese Liebe nicht aus der Fülle innergöttlicher Beziehungen von gleichwesentlichen Personen hervorkäme, wäre sie entweder aus einem göttlichen Bedürfnis nach einem menschlichen Du oder aus reiner Willkür entsprungen. Von daher ist es eine unaufgebbare Glaubensüberzeugung, daß das Trinitätsgeheimnis, das auch eine immanente Dreiheit in der Einheit meint, gerade das Specificum Christianum ist. Hier könnte der Verfasser von K. Barth lernen und dessen Aussage erwägen: «Die Trinitätslehre ist es, die die christliche Gotteslehre als christliche..., die den christlichen Offenbarungsbegriff vor allen möglichen anderen Gotteslehren und Offenbarungsbegriffen grundlegend auszeichnet». (Fs) (notabene)

23b Dabei ist zu erkennen, daß es nicht genügt, die Erscheinungen Gottes als dreifaltig zu bezeichnen; der christliche Glaube ist vielmehr gewiß, daß Gott in sich dreifaltig ist. Wer diese Wahrheit leugnet oder sie als hellenistische Spekulation abtut oder meint, daß sie zwar als geschichtsmäßiges Faktum ernst genommen werden müsse, aber sie dann doch für die Gegenwart nicht mehr ernst nimmt, der zerreißt den christlichen Glauben in seinem ganzen Zusammenhang. Man könnte schon an dieser Stelle (abgesehen von den exorbitanten Fehlern in der Darstellung der Geschichte der Trinitätslehre) das Urteil rechtfertigen, daß das Buch den christlich-katholischen Glauben entstellt und verzerrt. Es ist wohl nicht zuviel behauptet, wenn man sagt, daß sich in diesem Buch die Betrachtung des christlichen Trinitätsglaubens der kritischen Sichtweise des starren jüdischen und mohammedanischen Monotheismus nähert. (Fs)

23c Das muß verständlicherweise seine negativen Folgen auf alle anderen christlichen Heilswahrheiten zeigen. Daß in dieser «Summe» des christlichen Glaubens die Schöpfungslehre fehlt, wird man möglicherweise nur als einen äußeren Mangel ansehen, der durch die gelegentlichen Hinweise auf den «Schöpfergott» (S. 72,288,346,350) aufgewogen wird. Dem theologisch tiefer blickenden Leser aber wird aufgehen, daß auch dieser Mangel aus dem Verlust des Trinitätsglaubens kommt; denn ein starrer unitaristischer Gott ist eigentlich ohne eine Weltbeziehung nicht zu denken. Auf dem Hintergrund eines unitaristisehen Denkens ist die Schöpfung kein Geheimnis, weshalb sie auch nicht erwähnt zu werden braucht. Aber der hier vorhandene Unterlassungsfehler führt notwendigerweise zu einer falschen Zielbestimmung der Schöpfung. Nach diesem Buch ist «das Ziel des Welthandelns Gottes immer nur das Wohl des Menschen» (S. 241, 242, 250). «Gott will nichts für sich, nichts zu seinem Vorteil, nichts für seine größere Ehre. Gott will nichts anderes als den Vorteil des Menschen» (S. 241), wobei dieser «Vorteil» keineswegs gegen ein rein immanentistisches und hedonistisches Glücksstreben abgegrenzt ist. Mit diesen immer wieder in neuen Variationen auftauchenden Aussagen ist die christliche Wahrheit genau «halbiert»; sie besteht nämlich in ihrer Ganzheit in der Erkenntnis, daß Gott den Menschen zu seiner eigenen (der göttlichen) Verherrlichung geschaffen hat und daß deshalb das letzte Ziel der Schöpfung in der Verherrlichung Gottes gelegen ist. (Fs) (notabene)

24a Aber das ist nach dem Grundansatz dieses Buches unmöglich, weil dieser Gott genau so eine Geschichte hat, also der Entwicklung und der Notwendigkeit unterworfen ist wie der Mensch. Der «Mensch ist in Gott und Gott im Menschen». Darum ist «die Geschichte des Menschen in der Geschichte Gottes aufgehoben und die Geschichte Gottes kommt in der Geschichte des Menschen zur Auswirkung» (S. 367). Das ist vulgärer Hegelianismus, in dessen Konzept sich selbstverständlich auch keine kultische Verehrung Gottes halten (vgl. die Kritik gegen den Kult: S. 414,472) kann. Wenn der Verfasser in diesem Zusammenhang auf das Fehlen einer Erwähnung des Gebetes in dem Buch hinweist und dafür sinnigerweise die römische Inquisition verantwortlich macht, die ihm die dafür notwendige Arbeitszeit raubte (S. 672), so kann man ihn an dieser Stelle von solchen Selbstvorwürfe begründeterweise befreien; denn in dem Rahmen dieser Gotteslehre wird das Gebet tatsächlich nicht vermißt; es kann hier begründet fehlen, weil man tatsächlich zu einem Gott, der sich selbst durch die Geschichte und durch die Solidarisierung mit dem Menschen hindurchringen muß, kaum beten kann. (Fs)

24b Verständlicherweise ist dieses prozessuale Gottes- und Schöpfungsdenken zur Erklärung des Weltprozesses auch nicht auf die Hervorhebung der Sünde angewiesen. Von Sünde und Gnade ist zwar gelegentlich die Rede, aber ohne wesentlichen Austrag für das Verständnis der Tiefen und Höhen der christlich verstandenen Heilsgeschichte (welcher Begriff in dem Buche kaum eine Rolle spielt). Was in diesem Zusammenhang über Urstand und «Erbsünde» der Menschheit gesagt wird (S. 412, 444) ist so anspruchslos und an der Oberfläche haftend, daß man bei nicht-christlichen Philosophen (etwa K. Jaspers) darüber bereits ein viel gründlicheres Verständnis vermittelt erhält. «Letztlich kommt es zu unserem Glück» auch auf die «häßlichen Leistungen des Menschen» (das ist der Ausdruck für «Sünde»: S. 579) ebenso wenig an wie auf die «positiven, schönen und guten Leistungen» (S. 579), sondern nur darauf, «daß der Mensch im Guten wie im Bösen auf gar keinen Fall je sein unbedingtes Vertrauen aufgibt» (S. 579). Daß die Sünde, theologisch gewertet, als Abkehr von Gott gerade auch die Aufkündigung des Vertrauens bedeutet und der Gottvertrauende (d. h. auch der Gottliebende) gar kein Sünder mehr ist, kann von einem solchen verwaschenen Denken nicht mehr begriffen werden, wie man überhaupt sagen kann, daß in dem Buche viel mehr geredet als gedacht wird. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Jesus, der «wahre Mensch»?; J. als Botschafter, Treuhänder, Vertrauter, Freund Gottes -> Unmöglichkeit d. theologischen Begründung d. Einzigartigkeit J. (Starkult, Mohammedanismus)


Kurzinhalt: ... wie eigentlich eine «Christologie» gelingen kann, unter deren Voraussetzungen die Leugnung des Trinitätsgeheimnisses steht...

Textausschnitt: 6. Jesus, der «wahre Mensch»?

25a Die Einwände gegen die Gottes- und Schöpfungsauffassung des Buches werden manchem freilich nicht wesentlich und zentral erscheinen, weil nach der Grundthese der Arbeit in diesen Bereichen ja nicht das spezifisch Christliche gelegen ist. «Spezifisch ist das Christologische» (S. 465). Nach diesem Grundsatz entwickelt der Verfasser die Christuslehre, die das Zentrum des Buches bildet. Der kritische Leser wird sich von vornherein die Frage stellen, wie eigentlich eine «Christologie» gelingen kann, unter deren Voraussetzungen die Leugnung des Trinitätsgeheimnisses steht. Die Vermutung kann nicht ausgeschlossen werden, daß eine solche Christuslehre auch ein eigentliches Christusgeheimnis nicht in den Blick bekommen kann. Diese Vermutung bestätigt sich recht bald an der Leugnung der Präexistenz Christi. Weil dieser Gedanke «heute schwierig zu vollziehen ist» (S.435), weil «die mythischen Vorstellungen der damaligen Zeit von einer vorzeitig-jenseitigen himmlischen Existenz eines von Gott abgeleiteten Wesens, von einer 'Göttergeschichte' zwischen zwei oder gar drei Gottwesen, nicht mehr die unseren sein können» (S. 436), kann der Präexistenzgedanke nur sagen wollen, daß die Beziehung zwischen Gott und Jesus «nicht zufällig entstanden ist, sondern von vornherein gegeben und in Gott selbst grundgelegt ist» (S. 437). Aber von welchem Menschen und seiner Gottbeziehung wäre das völlig Gleiche nicht zu sagen?
25b Von diesem Ansatz aus kann verständlicherweise auch das Geheimnis des Gottmenschen nicht mehr ernst genommen werden. Zwar werden die altchristlichen Konzilien auch noch zitiert (S. 121 ff), aber es wird mit bedeutungsvoller Miene auf die viel tiefere Problematik hingewiesen und gesagt, daß «Chalkedon... die Frage keineswegs auf die Dauer gelöst» habe (S. 123), als ob Glaubensgeheimnisse je «gelöst» werden könnten. Die «Lösung», die das Buch anbietet, ist dagegen einfach. Sie heißt: Jesus ist («in einem zutiefst innerlich-existentiellen Sinn») «ein persönlicher Botschafter, Treuhänder, Vertrauter, Freund Gottes» (S. 307). Weil diese Charakterisierung, die im Grunde auf unzählige religiöse Menschen zutrifft, dem Autor offenbar selbst als nicht hinreichend erscheint, bemüht er sich an vielen Stellen, diesen «Sachwalter» durch eine Reihe von Superlativen aufzuwerten. Danach ist er «entscheidend, ausschlaggebend, maßgebend» (S. 115). für die Menschen, oder er ist der Stellvertreter Gottes in «Einzigartigkeit, Unableitbarkeit und Unüberbietbarkeit» (S. 440). (Fs)

26a Aber der denkende Christ wird hier tiefer bohren und fragen, worin denn diese Einzigartigkeit und Unableitbarkeit der Erscheinung Jesu Christi begründet sei. In der wahren Gottheit Jesu kann sie nicht begründet sein; denn das wäre nach dieser Theologie die Rückkehr zum Mythos der «zwei-Götter-Lehre». Also muß sie in etwas Menschlichem an Jesus begründet sein, nämlich darin, «daß Jesus ohne Abstriche mit allen Konsequenzen... voll und ganz Mensch war» (S.440; wobei sein Ausgenommensein von der Sünde aber auch nicht erwähnt wird). Seine Einzigartigkeit besteht näherhin darin, daß er «nicht ein bloßer Mensch, sondern der wahre Mensch war» (S. 440). Man merkt an dieser Diktion, daß der Verfasser gleichsam durch die Wahl gewisser Kraftausdrücke dem Menschen Jesus eine höhere Bedeutung zuschreiben möchte. Aber diese Steigerung gelingt nicht einmal in Worten; denn was ist der Unterschied zwischen einem «bloßen» und einem «wahren» Menschen? Ist ein «bloßer» Mensch kein «wahrer» Mensch», und ist ein «wahrer» Mensch nicht auch ein «bloßer» Mensch mit aller Niedrigkeit des Menschlichen, die der Verfasser ja nicht ausschließen will und die ihn einmal zu der Äusserung veranlaßt, daß Jesu Originalität nicht übertrieben werden dürfe (S. 299). D. h.: es gelingt dem Verfasser nicht, Jesu Einmaligkeit theologisch aufzuweisen und zu begründen. Das läßt sich auch nicht erreichen, wenn man den Glauben des Konzils von Chalkedon nicht mehr als verbindlich erkennt. (Fs)

26b Dies besagt in weiterer Konsequenz, daß die Option dieser Theologie für die Besonderheit eines Menschen Jesus von Nazareth letztlich genauso unbegründet und irrational ausfällt, wie die Entscheidung für den Gottesglauben. Diese Theologie kann nicht verständlich machen, daß man sein Vertrauen zu Gott ausgerechnet über den Menschen Jesus von Nazareth gehen lassen muß. Die Auskunft, daß der in diesem Menschen lautgewordene Anruf göttlichen Ursprungs ist, erklärt hier auch nichts; denn einem Anruf göttlichen Ursprungs haben sich viele religiöse Geister und Propheten der Menschheit überliefert, ohne daß man sich in dieser absoluten Weise an sie binden müßte oder auch nur dürfte. Hier kann man sogar noch strenger urteilen und sagen: die absolute Bindung an einen Menschen (und sei es auch der «wahrste» Mensch) ist eine subtile Form von altem Ahnenkult oder von modernem Starkult, aber niemals religiös zu rechtfertigen. Im Grunde kommt die «Christologie» dieser «theologischen Summe» nicht über das vom Verfasser am Mohammedanismus gerühmte Schema hinaus: «der eine Gott und sein Gesandter» (S. 105). (Fs) (notabene)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - das entleerte Kreuz und die verfälschte Auferstehung; Kreuz: Aufruf zum Glauben (Pelagius) - aber: Ablehnung: Sühneopfer, Opfer Jesus, Tilgung der Sünden; Auferstehung: metaphorischee Begriffe -> Fehlen: Sakramente

Kurzinhalt: Durch den Kreuzestod sind alle Menschen nur «zum Glauben gerufen». Seine Wirkung beruht in Jesu «Beispiel», das «in unserer Erinnerung» weitergeht (S. 416). Das ist die alte pelagianische Lehre vom Leben und Sterben Jesu ...

Textausschnitt: 7. Das entleerte Kreuz und die verfälschte Auferstehung

27a Trotzdem soll dieser Jesus Christus «das unterscheidend Christliche» bleiben, der «Maßstab für radikales Menschsein überhaupt» (S. 385). Aber neben diesem Unterscheidenden, das offensichtlich auch nach des Autors Meinung gar nicht so unterscheidend wirkt, gibt es «das letztlich Unterscheidende» (S. 386). (Man beachte, wie hier immer wieder mit krampfhaften «Sprachspielen» Gedanken und Argumente hervorgeholt werden sollen, die faktisch nicht vorhanden sind.) Das ist das Kreuz Jesu Christi und «dieser als der Gekreuzigte» (S. 399). Genau besehen, ist das Zentrum des Buches nicht eine an der Person Jesu interessierte Christologie, sondern eine eigentümliche «Kreuzestheologie». Als «eigentümlich» darf diese Hervorhebung des Kreuzes Christi deshalb bezeichnet werden, weil aus ihr alles ausgeschlossen ist, was auch nur von Ferne an ein über menschlich-immanentistische Maßstäbe hinausgehendes Geschehen erinnern könnte. (Fs)

27b Aus einer geschickten, aber theologisch falschen Identifizierung der Anselmschen Satisfaktionstheorie mit der kirchlichen Glaubenslehre, die schon auf dem Konzil von Ephesus das «Sühneopfer Jesu für uns» (DS 261) bezeugte, kommt das Buch nicht nur zur Ablehnung des Opferbegriffes, sondern auch zur Preisgabe der Wahrheit von der Tilgung der Sünden; denn «Leid, Tod, Begehrlichkeit, Sünde verschwinden doch nicht» (S. 413), weshalb in dem Ausdruck «für uns» auch nicht «die Sünden, sondern die Menschen im Vordergrund stehen» (S. 416) sollten. Durch den Kreuzestod sind alle Menschen nur «zum Glauben gerufen». Seine Wirkung beruht in Jesu «Beispiel», das «in unserer Erinnerung» weitergeht (S. 416). Das ist die alte pelagianische Lehre vom Leben und Sterben Jesu, die darin keine objektive gnadenhafte Heilstat sieht, sondern eben nur ein Beispiel. In eine objektive ontologische Tiefe kann dieser Tod auch deshalb nicht hinabreichen, weil Jesus selbst mit seinem Sterben keinen Sinn verband. Diese Behauptung ist zwar nur verdeckt vorgetragen in der Weise, daß «wir nicht wissen, was Jesus gedacht und gefühlt hat in seinem Sterben» (S. 330 0, wobei die Leidensaussagen Jesu in den Evangelien einfach übergangen werden. (Fs)

28a Aber es geht hier nicht nur um unser angeblich mangelndes Wissen. Weil der Vater bei diesem Geschehen Jesu «kein einziges Wort sagte» (ein merkwürdiger Widerspruch zu der sonst so betonten Gottverbundenheit Jesu, die offenbar auch nicht durchgehalten werden kann), weil es ein «gott-loses Sterben» (S. 331) war, kann Jesus selbst dabei sicher nicht an eine Erlösung der Menschheit gedacht haben. Aufgrund solcher Voraussetzungen kann er kaum mehr als Erlöser der Menschheit gelten. So ist dem als entscheidendes Specificum ausgegebenen Sterben Jesu am Ende auch wieder alles spezifisch Christliche entzogen; denn als Beispiel eines völligen Scheiterns, bei dem für Jesus Gott angeblich doch der letzte Halt bleibt (S. 339; aber woher will das der Autor plötzlich wissen, und wie kann er dann noch von einer «uneingeschränkten Gottverlassenheit» [S. 330] Jesu sprechen? Man sieht, wie in diesen dialektischen Eskapaden das saubere Denken verlottert), ist der Mann von Nazareth auch wieder nicht notwendig. So sind im Laufe der Weltgeschichte gewiß noch viele andere religiöse Menschen gestorben, von denen wir zudem manchmal genau wissen, daß sie ihr Sterben als Opfer für andere bewußt durchstanden (Max. Kolbe). Wäre es denn nicht sinnvoller, sich an diese Beispiele für ein vorbildliches menschliches Sterben zu halten? Die Art und Weise, wie in dem Buch das Sterben Jesu erklärt wird, entbehrt so sehr jedes «spezifisch christlichen» Momentes, daß das Ganze einer geradezu vollkommenen Selbstwiderlegung der These des Autors gleichkommt. (Fs)

28b Das «specificum Christianum» kommt aber auch an der Auferstehung Jesu nicht zum Vorschein. Es ist zunächst zu bemerken, daß der Autor in allen Zusammenhängen, in denen er von «Tod und Auferstehung» zugleich spricht, dem Sterben Jesu und seiner beispielgebenden Bedeutung für den Menschen als einem im Gottvertrauen scheiternden Wesen doch den Nachdruck verleiht. Auch das ist für ein Denken, das den Humanismus im Zielpunkt stehen hat, ein charakteristisches Zeichen. Sterben und Kreuz sind nämlich menschliche Grunderfahrungen, die jedem denkenden Menschen an sich zugänglich sind. Um den Kreuzcharakter der menschlichen Existenz und um das Leidenmüssen des Gerechten hat auch schon Plato gewußt. Wer also den Menschen an die Tiefe seiner Existenz gemahnt, die sich im Kreuz manifestiert, unternimmt gewiß etwas zutiefst Menschliches, aber doch noch nichts spezifisch Christliches. Die Kreuzestheologie als solche ist deshalb nur ein Moment natürlicher Religiosität. Die eigentlich «christliche Möglichkeit», das «specificum Christianum» ist erst die Überwindung des Kreuzes in einer genau so realistisch gedachten und in die Geschichte eingreifenden Auferstehung. Hier «hakt» aber die Gedankenführung des Buches «aus». Enthüllend ist dabei die Aussage, daß Auferweckung und Auferstehung nur «metaphorische Begriffe» seien (S. 369), nicht etwa analoge. Der Auferstehungsglaube ist deshalb nur eine «Radikalisierung des Gottesglaubens» (S. 349). Es handelt sich bei ihm im Grunde nur um eine erneuerte Abwandlung des Vertrauens auf die Treue Gottes, deren Bedeutung weder für das Weiterleben Jesu Christi noch für das des Menschen etwas Gewisses austrägt. (Fs) (notabene)

29a Daß hier in den Gedankengang nichts hineininterpretiert wird, zeigt das Fehlen klarer Aussagen über die himmlische Existenz des verklärten Christus und sein Weiterwirken etwa in der Kirche oder in den Sakramenten. Ausdrücklich wird der Gedanke an ein Kommen Christi zum Gericht (nicht nur in seiner Einkleidung, sondern in seinem inneren Gehalt) als mythologisch abgelehnt. «Besser wird man von einem Versammeltwerden aller Menschen in Gott sprechen» (S. 384). Nicht Christus wird als Richter kommen, sein Tod und seine Überwindung des Todes in einem so bezeichneten «Leben» ist bereits das Gericht (S.384). Aber was heißt hier Gericht, wenn in der völlig beiläufig behandelten Eschatologie ernstlich die Möglichkeit der Allversöhnung des Origenes erwogen und am Ende allen Menschen die Freude und Gelassenheit der Erwartung der Begegnung mit Gott empfohlen wird (S. 386)? Sollte man dann nicht auch den Gerichtsgedanken aufgeben und nicht besser von einem «Scheingericht» sprechen? Und was heißt hier schließlich «Versammeltwerden in Gott», wenn von allem Anfang an die personale Gottesvorstellung nicht klar ist und das «mehr transpersonale... Gottesverständnis der asiatischen Religionen» empfohlen wird (S. 105). (Fs)

29b Wie schwankend hier die Zielangabe für das Menschenleben wird, zeigt die Aufforderung zum «Transzendieren, nicht in ein Jenseits hinüber, wohl aber in jene letzte Wirklichkeit hinein, auf die wir uns unbedingt verlassen können und die wir Gott nennen» (S. 438). Hier ist Gott nicht mehr etwas Besonderes über der Wirklichkeit (das wäre Supranaturalismus), sondern einfach identisch mit der Wirklichkeit, in die hinein jeder Mensch so wie Jesus aufgehen soll; denn von einer personalen Existenz Christi beim Vater als Kyrios, als Welterhalter und als Weltenrichter kann nicht mehr gesprochen werden, und dies mit einer gewissen Konsequenz; denn wer die Präexistenz des Sohnes leugnet, kann auch seine Postexistenz nicht gut annehmen. Beide Wahrheiten bedingen einander und stellen die zwei Seiten ein und desselben Geheimnisses dar. (Fs) (notabene)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Jesuanismus statt Christusglauben 1; Ebioniten, Schleiermacher; Rückweg ins 19. Jahrhundert; Unterschied: Jesus der Entscheidende - innertrinitarische Logos des Vaters


Kurzinhalt: Der hier gemeinte «Jesusglaube» ist ein subjektiver Reflex auf eine Jesusgestalt, wie man sie sich als moderner Mensch mit humanistischem Engagement und (zugegebenermaßen!) idealistischem Weltverbesserungsstreben halt so vorstellt.

Textausschnitt: 8. Jesuanismus statt Christusglauben

30a Es ist nicht zu verkennen, daß das hier dargestellte Jesusbild nicht den Christus des katholischen Glaubens trifft, aber auch nicht einmal die Christusgläubigkeit des ursprünglichen reformatorischen Denkens erreicht. Wenn man als kritisch denkender Mensch und Gläubiger (und das Buch fordert selbst immer wieder zur Kritik auf) das erste Erfordernis kritischen Denkens erfüllt, nämlich Unterscheidungen zu treffen, wird man diese Deutung des Menschen Jesus von Nazareth nicht als übernatürlichen Christusglauben ansehen können, sondern als natürlichen Jesuanismus. Zum Festhalten an einem solchen vollkommenen Menschen Jesus bedarf es letztlich auch keines Glaubens, der sich immer nur auf einen geheimnishaften, dem menschlichen Denken unergründlichen «Gegenstand» richtet, welcher auch nach erfolgter Offenbarung geheimnishaft bleibt. Dies zeigt, daß sich hier auch das Verständnis von Glauben und Glaubensannahme verflüchtigt. Der hier empfohlene «Jesusglaube» ist nicht mehr das aus der Offenbarung und der kirchlichen Lehrverkündigung kommende Wort von Christus, das zum Glaubensgehorsam (Rom 1,5; 15,18) ruft und das, über alle menschlichen Fähigkeiten hinausgehend, den Menschen durch Gnade am Geheimnis des trinitarischen Gottes Anteil gewinnen läßt. Der hier gemeinte «Jesusglaube» ist ein subjektiver Reflex auf eine Jesusgestalt, wie man sie sich als moderner Mensch mit humanistischem Engagement und (zugegebenermaßen!) idealistischem Weltverbesserungsstreben halt so vorstellt. Dieser Jesus kann tatsächlich auch jene zu Beginn des Buches genannten Adressaten erreichen, die sich als «Atheisten, Gnostiker, Agnostiker und Positivisten» (S. 13) verstehen, ohne daß sie von ihrem Atheismus oder Agnostizismus lassen müßten. Es ist eben ein Jesus, der vor keine Entscheidung stellt, weil er nur etwas höchst Vernünftiges und eigentlich von niemandem Bestreitbares lehrt: die Vermenschlichung der Welt und den Gewinn einer höheren Lebensqualität. (Fs) (notabene)

30b Von daher ist aber auch zu erkennen, daß die so gezeichnete Jesusgestalt nicht einmal dem immer wieder erhobenen Anspruch der Modernität entspricht, wenn man unter dem Modernen auch das Moment des Neuen, des Noch-nicht-Gehörten und des Noch-nicht-da-Gewesenen versteht. In Wirklichkeit ist dieses Jesusbild im Verlauf der Kirchengeschichte schon oft gezeichnet worden. Erste Versuche dazu liegen im Christusverständnis der aus dem Judentum kommenden Ebioniten vor (1./2. Jh. n. Chr.), die die Präexistenz Christi und die Jungfrauengeburt auch schon leugneten und in Jesus nur den großen Boten Gottes anerkannten, der in diesem Buch mit einem anderen Namen als «Sachwalter Gottes» bezeichnet wird. Das Beispiel zeigt, daß die Leugnung der wahren Gottheit Christi mit allen sich daraus ergebenden Folgerungen keine Errungenschaft der Neuzeit und nicht ein Ergebnis kritischen Denkens oder modernen Weltverständnisses ist. Es ist und war die mit dem übernatürlichen Christusglauben als latenter Gegensatz immer mitgehende Option des Unglaubens oder Halbglaubens gegen den Glauben. (Fs)
31a Freilich ist diese Option in der Neuzeit und seit der Aufklärung in größerer Breite und Entschiedenheit vertreten und vorgetragen worden. Aber auch im Vergleich zum aufgeklärten naturalistischen Denken über Jesus (etwa im 19. Jh.) zeigt das Jesusbild des Buches keine wirkliche Originalität. Den in diesem Buche vorgenommenen Verzicht auf jede Wesensaussage über Christus und auf jede metaphysische Erörterung des Persongeheimnisses Christi hat schon Schleiermacher (+ 1834) vorgenommen. Auch er verzichtete auf die Wahrheiten von Christus als der zweiten Person in der Trinität, von Auferstehung und Wiederkunft Christi. Was blieb, war Jesus als Vorbild der Gottinnigkeit und Mitmenschlichkeit. Das ist aber im Wesen nichts anderes, als was in diesem Buche über Jesus als den vollkommenen Menschen gesagt ist. Immerhin ist der Schleiermachersche Christus noch durch seine «wesentliche Unsündlichkeit» ausgezeichnet, die ihn faktisch doch über das Maß des Gemeinmenschlichen hinaushebt. Dagegen gehört zum Jesusbild des Buches die (auch biblisch bezeugte) Sündenlosigkeit nicht hinzu. Jedenfalls findet sie nirgends Erwähnung. In dieser Hinsicht bleibt das Buch noch hinter der religiösen Tiefe des Christusbildes Schleiermachers oder auch A. Ritschis (11889 ) zurück, welcher in Jesus auch nur das vorzügliche Beispiel sittlichen Handelns anerkannte, aber doch auf den Begriff der «Gottheit Christi» nicht verzichten wollte, auch wenn er darin nur den Ausdruck für eine besondere religiöse Wertschätzung der sittlichen Gestalt Jesu sah. (Fs)

31b All diese Züge werden im Jesusbild des Buches aus der Vergangenheit aufgenommen und verstärkt aufgetragen, so daß mit Recht gesagt werden konnte, in diesem Buch werde nur ein grandioser «Rückweg ins 19. Jahrhundert»1 angetreten. Daß diese Kopie eines längst verstaubten Gemäldes als modern ausgegeben werden kann, ist zwar im Hinblick auf den angesprochenen Leserkreis zu begreifen, aber weder geschichtlich noch theologisch zu verantworten. (Fs)

31c Immerhin könnte der von diesem humanistischen Jesus beeindruckte Leser einwenden, daß es doch in dem Buch eine Reihe von Aussagen gibt, die das Besondere, ja das Einzigartige und geradezu «Göttliche» der Erscheinung Jesu hervortreten lassen. Es ist an vielen Stellen des Buches davon die Rede, daß «Jesus von Nazareth als der Christus ... der letztlich Ausschlaggebende, Entscheidende, Maßgebende ist» (S. 166). Diesem Jesus eignete «eine besondere Gotteserfahrung» (S. 307) und «eine sehr eigenartige Unmittelbarkeit zu Gott» (ebda.)- Jesus war der «lautgewordene Anruf» Gottes in «Einzigartikeit, Unableitbarkeit und Unüberbietbarkeit» (S. 440). Diese scheinbar höchstwertigen Jesusaussagen entsprechen den in der liberalen Theologie vielgebrauchten Betitelungen Jesu als des endgültigen Offenbarers, als des letzten und entscheidenden Wortes des Vaters an die Menschheit. (Fs)

32a Man könnte sich angesichts dieser doch wahrlich nicht geringen Lobsprüche auf die einzigartige Größe Jesu von Nazareth die Frage stellen, warum sie denn nicht genügen sollen und was an ihnen auszusetzen sei. Nun, es ist gegen sie alle einzuwenden, daß sie das Persongeheimnis Jesu Christi nicht treffen, ja, daß sie es geradezu aushöhlen; denn es ist etwas anderes zu sagen, Jesus sei ein unüberbietbares Wort Gottes an die Menschen, und zu behaupten, er sei das menschgewordene Wort Gottes selbst, der innertrinitarische Logos des Vaters, der «Fleisch geworden ist» (Joh 1,14). Allein die letzte Aussage ist das Zentrum der heiligen Schrift und der Kern des Christusgeheimnisses. Auch an dieser Stelle sollte man dem mündigen Christen die Unterscheidungsfähigkeit zutrauen und die Einsicht abverlangen, daß sich hinter ähnlichen Wortverbindungen und geringfügigen Sprachvarianten wesentliche Unterschiede auftun, die so gewaltig und abgründig sind wie der Unterschied zwischen Gott und Menschen, zwischen Schöpfer und Geschöpf. Gerade dieser Unterschied und dieser Abgrund der Verschiedenheit ist im Persongeheimnis Jesu Christi überbrückt und geschlossen, insofern in ihm Gott und Mensch in der Person des Wortes geeint waren und geeint sind. Das ist der Glaube der Kirche an Jesus Christus wie ihn schon die altkirchlichen Konzilien aussprachen, die hier im Grunde nichts der heiligen Schrift Unangemessenes oder Widersprechendes taten, weil sich diese Wahrheit für den die Schrift im Geist der Kirche auslegenden Interpreten in ihr eingeschlossen findet und begründet aus ihr herausarbeiten läßt. (Fs)

32b Einen modernen Christen aber, der sich zur Höhe dieses Glaubens nicht mehr aufschwingen kann (und man sollte dieses Nichtkönnen keinem zum persönlichen moralischen Vorwurf machen; vorwerfen kann man ihm höchstens die fehlende Unterscheidungskraft und die gedankliche Schwäche, die darin liegt, nicht zu erkennen, daß das «fleischgewordene Wort» und der «Gottmensch» des kirchlichen Glaubens etwas anderes sind als der «unüberbietbare Mensch» oder der «einzigartige Sachwalter Gottes»), sollte man rein intellektuell und argumentativ davon überzeugen können, daß alle diese sprachlich hochgegriffenen Bezeichnungen Jesu Christi als des «wahren» und «nicht bloßen» Menschen (S. 440) eigentlich in eine Leere weisen, in der der wahre Christusglaube keinen Halt findet und schließlich in ihr versinken muß; denn dem Weiterdenkenden stellt sich unweigerlich die Frage, warum Christus das endgültige, letzte Wort des Vaters an die Menschheit sein soll und warum er der unüberbietbare, einzigartige, letzte Offenbarer, der engste, vertrauteste und innigste Freund Gottes sein kann. Das Buch und die ihm zugrunde liegende Jesusauffassung kann diese für das Denken wie für den Glauben wesentliche Frage nicht beantworten. Es kann nur immer wieder mit einer gewissen Monotonie wiederholen: Das ist eben so! Jesus ist das letzte und höchste Wort Gottes an die Menschen. Hier kommt das Denken nicht weiter und tritt offensichtlich auf der Stelle. Es ist hier gleichsam auf eine bloße Behauptung festgefahren, die es nicht begründen kann. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Jesuanismus statt Christusglauben 2; «Sachwalters Gottes» - Heroenkult, Starkult; Gottessohnschaft: Grundlegung in der hl. Schrift

Kurzinhalt: ... wenn Jesus nur der relativ höchste Offenbarer Gottes und der relativ vollkommenste Mensch ist ... warum könnte nicht im Ablauf der von uns zeitlich nicht festzulegenden Menschheitsgeschichte ... noch ein höherer Offenbarer Gottes ... kommen ...

Textausschnitt: 33a Wenn man diese hier offenbar eingetretene gedankliche Blockierung lösen wollte, müßte man etwa sagen: Gott hat es so festgelegt, daß Jesus in der Linie der Propheten, der Gottesmänner und der Gottesfreunde der letzte und höchste sein soll. Einmal sollte diese Linie eben ein Ende haben und ihren Gipfel erreichen. Aber das ist für den denkenden Glauben keine gültige Auskunft; denn damit ist zugegeben, daß die Linie an sich weiterlaufen könnte, daß es noch einen höheren Offenbarer und einen «wahreren Menschen» geben könnte als es Jesus war. Wenn man nämlich grundsätzlich eine Distanz zwischen Gott und dem Menschen Jesus aufrecht erhält, kann man jede Annäherung dieser beiden «Größen» noch größer, noch inniger und intensiver denken. Dann aber ergeben sich eine Reihe von Fragen, die für den christlichen Glauben fatal sind: Hat Gott etwa hier rein positivistisch, dekretalistisch und willkürlich gehandelt, wenn er die Linie der Boten Gottes und der gottinnigen Menschen mit Jesus von Nazareth beendete? Vor allem dem modernen, vom Evolutionsgedanken bestimmten Menschen wird sich dann noch eine andere, geradezu zweiflerische Frage stellen: wenn Jesus nur der relativ höchste Offenbarer Gottes und der relativ vollkommenste Mensch ist (auf diesen relativen Charakter der Erscheinung des Jesus von Nazareth läuft nämlich der Ansatz dieser Jesuologie hinaus), warum könnte nicht im Ablauf der von uns zeitlich nicht festzulegenden Menschheitsgeschichte (Teilhard de Chardin gab dieser Geschichte immerhin noch zwei Millionen Jahre bis zum Ende!) noch ein höherer Offenbarer Gottes und ein vollkommener Mensch kommen, als es der Nazarener gewesen ist? Sollten wir uns dann so entschieden und ausschließlich an diesen Jesus binden und nicht besser warten und hoffen, daß der Menschheit noch eine höhere Offenbarung bevorsteht? Die Folge davon wäre eine rein religionsgeschichtliche Auffassung von Christus und dem Christentum, nach der es sich bei beiden zwar um durchaus hochzuschätzende religiöse Erscheinungen handelt, aber nicht um etwas Absolutes, Bleibendes und Endgültiges. (Fs) (notabene)

34a Von hier aus kann die Frage abschließend beantwortet werden, warum es nicht genügt, von Jesus in den höchsten menschlichen Prädikaten und Interpretamenten zu sprechen und ihn so nahe wie möglich an Gott heranzurücken. Wenn er nicht selbst im wahren Sinne (der von der Theologie durchaus ohne Schmälerung seiner Menschheit festgehalten werden kann) dieser Gott ist, dann sind selbst die höchsten Qualifizierungen vordergründig, uneigentlich und überholbar. Dann könnten wir nicht mit dem Hebräerbrief bekennen: «Christus gestern, heute und in alle Ewigkeit» (Hebr 13,6). Dann müßten wir mit dem Täufer im Advent der Menschheit und vor der Offenbarung Christi unablässig weiter fragen: «Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?» (Mt 11,3) Ohne den Glauben an die wesenhafte Einheit Jesu Christi mit Gott in der göttlichen Person des Sohnes ist der Christusglaube nicht nur vage, sondern unerfüllt und leer. (Fs)

34b Das gläubige Denken kann sich auf die Dauer nicht auf dieser höchsten Stufe eines menschlichen «Sachwalters» Gottes halten. Das wäre in Wirklichkeit (wenn man diese Möglichkeit auf ihre tiefsten Folgerungen hin durchdenkt) nur eine Form des alten Heroenkultes. Deshalb ist in der Diskussion auch richtig bemerkt worden, daß der von diesem Buch bevorzugte Jesustitel des «Sachwalters Gottes» eine tiefe mythologische Wurzel hat. Also mitten in der Moderne das Aufschießen einer mythologischen Blüte! Wenn man allerdings bei einem modernen Bild und Vergleich bleiben will, dürfte man zur Ausleuchtung des tieferen zeit- und geistesgeschichtlichen Hintergrundes dieser Jesusauffassung sagen: Es handelt sich weniger um den alten Heroenkult, der hier seine Urständ feiert, als mehr um einen modernen Starkult: Auch der moderne Mensch (selbst wenn er seine allgemeine religiöse Anlage aktuiert) bedarf seines Helden, seiner Idole und «Diven», zu denen er einerseits mit einer gewissen Sehnsucht emporschauen kann, mit denen er sich andererseits aber auch identifizieren will, um an der Unerfüllbarkeit seiner Sehnsucht nicht zu leiden. Mit einem Gottmenschen aber kann sich der Mensch nicht identifizieren. Deshalb kann er ihn in seiner ohnehin auf den Nutzen, auf die praktische Verwertbarkeit ausgerichteten Religiosität auch nicht «gebrauchen». (Fs) (notabene)

34c Der wahre Christ dagegen weiß, warum er im Glauben auf das göttliche Persongeheimnis Jesu Christi verwiesen ist und an der Gottheit Christi festhalten muß. Das Buch möchte den Eindruck erwecken, als ob der Glaube an die Gottheit Jesu Christi und das Entstehen einer Lehre über das Persongeheimnis Christi (Christologie), in der die Frage nach dem «Wer ist dieser» mit allen Mitteln des vom Glauben erleuchteten Denkens erörtert und beantwortet wurde, eine Erfindung griechisch-hellenistischen Denkens sei, das an den physischen oder metaphysischen Bestimmungen der Person Jesu Christi interessiert gewesen wäre und im «Stil antiker Festinschriften und Festansprachen» (S. 440) die Gottessohnschaft «von oben theologisch postuliert und deduziert» hätte (S. 439). Demgegenüber ist zunächst einmal mit der modernen Exegese zu sagen, daß die Gottessohnschaft Jesu von den altchristlichen Konzilien nicht deduziert zu werden brauchte, weil sie schon in der heiligen Schrift vorhanden war. Nach dem protestantischen Exegeten E. Käsemann ist im Neuen Testament die «Gottessohnschaft im metaphysischen Sinn selbstverständlich vorausgesetzt»1; nach dem katholischen Exegeten R. Schnackenburg ist auch «die Zwei-Naturen-Lehre noch unentfaltet - eingeschlossen»2 in den Aussagen des Johannesevangeliums (vor allem Joh 1,14). (Fs)

35a Das sagt, daß hier das griechische Denken zum urchristlichen Glauben nichts hinzugefügt oder philosophisch hinzugedacht hat. Es mußte vielmehr (wenn auch im Anfang unentfaltet) die wahre Gottheit Christi aus einem heilshaft-erlöserischen Grunde mitdenken und mitglauben. Es war zutiefst davon durchdrungen, daß Jesus Christus um unserer Erlösung willen als wahrer Mensch zugleich hat wahrer Gott sein müssen; denn als Mensch (selbst als nach diesem Buch so genannter «wahrer Mensch») hätte er uns nicht erlösen können. Der ganze uns manchmal so theoretisch anmutende Streit um die christologischen Formeln der ersten Allgemeinen Konzilien ging nicht um «abstrakte Wesensaussagen» (S. 438), sondern um die Vergewisserung und Sicherung der von Jesus Christus erbrachten Erlösung. Man wußte mit einem wachen, von der Heilsfrage bewegten Glaubensbewußtsein, daß die Menschheit von einem «wahren Menschen», selbst wenn er noch so gottnah und gottinnig gelebt hätte, nicht hat erlöst werden können. Für das christliche Denken vom in Jesus Christus geschehenen Heil genügte es eben damals wie heute nicht zu sagen, «daß in der Geschichte Jesu Christi wahrhaft Gott und Mensch im Spiel sind» (S. 439; man beachte dabei die selbst spielerische und ins Unbestimmte verschwebende Ausdrucksweise). Es war vielmehr davon überzeugt: nur wenn Jesus Christus als Mensch zugleich wahrer Gott ist, konnte er uns erlösen; denn die Erlösung durch einen «wahren Menschen» wäre nur eine verfeinerte Form von Selbsterlösung, wie sie die Menschheit in der Geschichte der Religionen immer wieder versucht hat und noch heute versucht. (Fs)

35b Deshalb ist es auch für den dogmengeschichtlichen Befund bezeichnend (der in dem Buch tendenziös wiedergegeben wird), daß die griechischen Theologen der frühen Konzilien die auf die Einheit von Gott und Mensch dringenden Formeln nicht (wie S. 438 behauptet wird) aus einem gewissen Zwang heraus gebrauchten, weil ihnen keine anderen Begriffe verfügbar gewesen wären. Sie hätten sehr wohl (wie dieses Buch) sagen können: Christus war Gott ganz nahe; er war der mit Gott innigst verbundene Mensch, in ihm war «Gott präsent». Sie wußten aber, daß unsere Erlösung nichtig wäre, wenn Jesu Einheit mit Gott nicht als Wesenseinheit geglaubt würde. Anders wäre auch die von dem Buch an Stelle der wirklichen seinshaften Erlösung bevorzugte «Nachfolge Jesu» innerlich nicht zu begründen. Abgesehen davon, daß «Nachfolge» den Menschen nicht erlösen kann, sondern die Erlösung voraussetzt, wäre sie ohne Anerkennung der Gottheit Christi unbegründet und irreligiös, weil es sich hier um die Nachfolge gegenüber einem Menschen handelte. Auch um die Nachfolge Christi innerlich zu begründen und nicht als Ableger eines verborgenen Heroenkultes zu verstehen, muß man fragen, wer Jesus Christus als Person und in seinem Wesen war, und muß diese Frage mit dem Glauben der Kirche beantworten: wahrer Mensch und wahrer Gott! Sonst folgt man möglicherweise einem religiösen Schwärmer nach. (Fs)

36a Die Preisgabe dieser Wahrheit macht sich folgerichtig auch in der Lehre von der Kirche bemerkbar, die nun nicht mehr als der «Leib Christi» verstanden werden kann, sondern nur noch als die «Gemeinschaft derer, die sich auf die Sache Jesu eingelassen haben» (S. 468). Der Irrtum zieht sich weiter fort und endet im völligen Verkennen einer sakramentalen Struktur der Kirche. So ist auch die Eucharistie nur mehr eine Gedächtnis- und Dankfeier, sie ist «Teilhabe an der Wirkung des ... Lebensopfers Jesu», aber nicht die Vergegenwärtigung dieses Opfers und nicht das Opfer der Kirche wie der Gläubigen. Dieses Gemeinschaftsmahl «darf als Freudenmahl auch für die Sünder gefeiert werden», was an sich selbstverständlich ist, wenn man heute hinter diesem Gedanken nicht die von evangelischen Theologen aufgestellte Forderung vermuten dürfte, daß auch Menschen im Zustand der Sünde (und ohne Empfang des Bußsakramentes, das in diesem Buch keine Erwähnung findet) zur Eucharistie zugelassen werden sollten. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Verlust des Mariengeheimnisses; Verlust: mystischer Tiefe und Symbolkraft

Kurzinhalt: Das Buch nimmt nicht mehr wahr, daß die ganze Kirchenlehre des Zweiten Vatikanums im Mariengeheimnis gipfelt. Wo dieses Geheimnis geleugnet wird, kommt es nicht nur zu der selbstbewußten Feststellung, daß wir die Kirche nicht mehr als «Mutter» ...

Textausschnitt: 9. Der Verlust des Mariengeheimnisses

36b In diesem Zusammenhang verlohnt es sich, die Auffassung des Buches bezüglich der Mariendogmen ein wenig tiefer zu durchleuchten. Dem katholischen Christen ist nicht zuletzt durch die Lehraussagen des Zweiten Vatikanischen Konzils aufs neue das Bewußtsein dafür geweckt worden, daß die Verbindung Mariens zur Kirche ein charakteristisches Moment des Glaubens und der Frömmigkeit ist, das seine Rückwirkungen auch auf das Christusgeheimnis hat. Daß das Mariengeheimnis zum integren katholischen Glauben gehört und vor allem das Verständnis für das Geheimnis der Kirche aufschließt, haben auch evangelische Theologen immer wieder bestätigt. Bekannt ist die Feststellung K. Barths, daß «die Mutter Gottes des römisch-katholischen Mariendogmas das Prinzip und der Inbegriff des katholischen Kirchenverständnisses ist». Das Wesen der Kirche als dem Haupte Christus unterstelltes Heilsorgan, als Empfängerin des Heils in jungfräulichem Glauben und als Vermittlerin der Gnade in fruchtbarer Mutterschaft, gewinnt in Maria ein strahlendes Bild, so daß in Maria die Kirche aufleuchtet und an der Kirche der marianische Charakter deutlich wird. «So ist Maria und die Kirche eine einzige Mutter und doch zwei, eine Jungfrau und doch zwei» (Isaak von Stella). Das Buch ist nicht nur an diesem Geheimnis uninteressiert, sondern lehnt es in entscheidenden Bestimmungen direkt ab. Die jungfräuliche Empfängnis Christi setzt das Buch mit den außergewöhnlichen Ereignissen bei der Geburt anderer Religionsstifter gleich (S. 427) und sieht in ihr ein Symbol (oder gar einen aus Ägypten stammenden Mythos) für die «Gottessohnschaft» Jesu, welcher Titel aber doch auch wieder nur ein Symbol und eine mythologische Floskel sein kann. Ausdrücklich wird deshalb an einer Stelle auch Josef als der Vater Jesu im natürlichen Sinne des Wortes bezeichnet (S. 159). Dabei werden anders lautende exegetische Untersuchungen und Ergebnisse nicht zur Kenntnis genommen (neuerdings etwa von M. Miguens). (Fs)

37a Obgleich die Auslassungen über die Gottesmutterschaft problematischer gehalten sind, ist ihr Ergebnis gleichfalls negativ. Wie weit hier die Distanz zum katholischen Glaubensverständnis geht, wie sehr aber auch die theologische Denkkraft geschwunden ist, zeigt die Behauptung, daß «Gott nicht geboren werden könne» (S.450). So könnte ein nichtchristlicher Religionsphilosoph auch argumentieren, der von der katholischen Theologie unberührt blieb. (Fs)

37b Das Buch nimmt nicht mehr wahr, daß die ganze Kirchenlehre des Zweiten Vatikanums im Mariengeheimnis gipfelt. Wo dieses Geheimnis geleugnet wird, kommt es nicht nur zu der selbstbewußten Feststellung, daß wir die Kirche nicht mehr als «Mutter» verehren könnten (S. 513), es geschieht hier etwas Bedeutsameres: die Kirche verliert ihre mystische Tiefe und die Symbolkraft ihrer weiblich-magdlichen Existenz. Sie wird (ganz im Sinne der Kirchenauffassung dieses Buches) zu einem von theologischen Ingenieuren gesteuerten Apparat. Das Buch möchte in letzter Intention Christentum und Kirche «vermenschlichen», aber ohne das Geheimnis Mariens anzunehmen. Dagegen ist zu sagen: «Ohne Mariologie droht das Christentum unter der Hand unmenschlich zu werden» (Hans Urs v. Balthasar). Dieser Gefahr ist auch nicht mit dem (beinahe frivolen) Zugeständnis zu begegnen, daß «auch der Verfasser gerne Weihnachten feiert und 'Stille Nacht, Heilige Nacht' ohne größere Hemmungen singt» (S. 119). Eine solche Gefühlsseligkeit kommt nicht von ungefähr; denn seit je gibt es eine innere Verbindung zwischen fehlendem dogmatischem Glauben und pietistischer Frömmelei. Das Eingeständnis, daß das Buch «ohne größere Hemmungen» vorgeht, darf grundsätzlich so verstanden werden: Hier wird nichts geschont, was den katholischen Gläubigen heilig ist. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Christentum als Humanismusprogramm; Reduktion des Christentums auf eine "Vermenschlichung des Menschen"

Kurzinhalt: ... für den radikalen Humanismus ist das Wohl des Menschen das letzte Ziel, für den Christen ist es die Ehre Gottes, in der auch das Wohl des Menschen eingeschlossen liegt.

Textausschnitt: 10. Christentum als Humanismusprogramm

38a So wird dann insgesamt das Wesen des Christentums mit der Erinnerung an Jesus und mit dem Befolgen seines Beispiels gleichgesetzt. Da dieses Leben nur ein «wahres menschliches» Leben war, liegt sein Sinn wesentlich darin, daß es zu tieferem, radikalem, wahrerem Menschsein stimulieren soll. Hier wird dann in merkwürdiger Widersprüchlichkeit zu der wiederholten Behauptung, daß das Christentum kein Prinzip, keine Idee und kein Programm beinhalte, ein christliches Programm entwickelt, dessen Hauptforderungen in der «Aktivierung der Erinnerung» an Jesus, im praktischen Engagement für die Gesellschaft, für die Befreiung der Menschen, für soziale Gerechtigkeit und im Widerstand gegen den Leistungsdruck (wiederum mehr mit sprachlichem Elan als mit denkerischer Schärfe vorgetragen) bestehen. In diesen Partien bringt das Buch nur die bekannten Forderungen eines «politischen» Christentums zum Ausdruck, das seine Konkurrenzfähigkeit mit der Welt demonstrieren möchte. Die Humanisten aller Schattierungen werden diese Forderungen keineswegs bestreiten, sondern sich nur fragen, warum man das alles mit dem Etikett «christlich» ausstatten solle. Die Frage wirkt um so peinlicher, als der Autor allen diesen Anweisungen, die etwas von der Penetranz des Moralisierens an sich haben, die Erklärung vorausschickt, daß es ein eigentlich christliches Ethos nicht gibt (S. 534). Wie kann man diese Humanitätsappelle dann aber als «christlich» ausgeben? Man kann es unter der Bedingung, daß man sie mit dem Namen des Jesus von Nazareth verbindet. Dieser Name hat sich in der «Christologie» des Buches nur als Eigenname eines «wahren Menschen» erwiesen und nicht als etwas über den Menschen Hinausgehendes. Darum kann nicht ersichtlich werden, was dieser Christus dem Menschlichen hinzubringt und was das Christentum über das Menschsein als solches erhebt. (Fs) (notabene)

39a Daß dieses Menschsein durch die Berufung auf Christus «radikaler» werden soll, kann nicht bewiesen werden, zumal ja auch die «Erlösung» nichts Wesentliches an der Menschheit geändert hat. So sind die Berufungen auf Christus in diesen Zusammenhängen tatsächlich Ausdruck eines reinen Nominalismus, der eine verlorene Sache durch einen irgendwie noch bedeutungsträchtigen Namen zurückholen möchte. (Fs)

39b Daß das in der «Nachfolge Christi» zu erreichende radikale Menschsein im übrigen gar nicht so ernst gemeint ist, zeigt eine merkwürdige Beurteilung der Kreuzesfrömmigkeit der Christen, die im Grunde alles wieder zurücknimmt, was über die Verpflichtung der menschlichen Existenz auf das Kreuz gesagt wurde. Gerade unter dem Stichwort «Kreuzesnachfolge» und spätestens hier dürfte man erwarten, daß das «specificum Christianum» zum Vorschein käme, z. B. in einem wenigstens verhaltenen Hinweis auf das christliche Zeugnis bis zum Letzten und auf das Martyrium als höchste und differenzierende Möglichkeit eines «christlichen Humanismus». Aber bezeichnenderweise findet sich an dieser Stelle eine scharfe Attacke gegen einen katholischen Bischof aus dem östlichen Machtbereich, der es wagte, auf heutige Tendenzen einer «Entleerung des Kreuzes» (gemäß 1 Kor 1,17) hinzuweisen. Hier wird dem Bischof, der gewiß ganz andere Erfahrungen des Kreuzes in einer christusfeindlichen Welt gemacht haben dürfte als weltlich-bürgerliche Startheologen (von denen einer [nicht der Verfasser des Buches] einmal erklärte, daß sein Schreibtisch sein Altar sei, ein Wort, dessen Implikationen eingehenderen Nachdenkens wert wären), vorgeworfen, daß er das Kreuz als «Holzhammer» (S. 54) verwende. (Auch hier wäre allein schon der Ausdruck zu beachten). Die «Kreuznachfolge», die nach dem Buch allein gerechtfertigt erscheint, ist die des «verstandenen Kreuzes» (S. 567). Das ist gerade «nicht Nachvollzug seines (Christi) Kreuzes» (S. 568), sondern einfaches Ertragen des Leides, besser noch: das Leid bekämpfen und es verarbeiten (S. 569). Die biblischen Gedanken des freudigen «pro nomine Jesu contumeliam pati» (Apg 5, 41) oder des paulinischen «adimpleo ea, quae desunt passionum Christi» (Kol 1, 24) liegen einem solchen Denken fern. (Fs)

39c Damit soll nicht behauptet werden, daß die Gedanken des Verfassers über Kreuz und Leid wertlos wären oder gar keine menschliche Bedeutung hätten. Es soll durchaus zugegeben werden, daß sie «humanistisch» sind, möglicherweise sogar «radikal humanistisch». Aber damit sind sie noch nicht spezifisch christlich, sondern nur wieder Abkömmlinge einer rein natürlichen theologia crucis, die dem übernatürlichen Glaubensgeheimnis des Kreuzes etwa so gegenübersteht wie ein philosophischer Satz einem Glaubensbekenntnis. Auch im Bereich der für den radikalen christlichen Humanismus entscheidend erachteten Beurteilung von Leid und Kreuz gelingt dem Buch der Aufweis des spezifisch Christlichen nicht. Christentum ist eben mehr als «radikaler Humanismus». (Fs)

40a Dieses «Mehr» deutet sich gerade in einem Gedanken der Tradition und in einer Formel der Liturgie an, die die schärfste und geradezu zynische Ablehnung des Buches erfährt. Es ist der seit der Patristik im christlichen Glaubensbewußtsein verankerte Satz «Gott ist Mensch geworden, damit der Mensch Gott werde». Gegen diesen Satz stellt der Verfasser die bezeichnende Frage (die ohne Ausweis des Beleges ähnlich bei dem Agnostiker E. Topitsch1 vorkommt): «Will aber heute noch ein vernünftiger Mensch Gott werden?» Natürlich darf dieser Satz der genuinen christlichen Tradition nicht im Sinne einer pantheistischen Vergottungslehre gedeutet werden. Aber das richtige Verständnis des Satzes, das man durchaus auch einfachen Gläubigen zutrauen kann, erbringt gerade die theologische Differenz zwischen der christlichen und der «radikal-humanistischen» Deutung der Wirklichkeit und des Weltprozesses. Der Christ glaubt eben daran, daß «der Mensch den Menschen um ein Unendliches übersteigt» (Pascal) und daß dieses Übersteigen einmal in der Teilnahme am innertrinitarischen Leben ans Ziel gelangen wird, welche Teilnahme sich jetzt schon sakramental vorbereitet, auch unabhängig von aller christlichen Sozial- und Weltarbeit, welche z. B. dem Christentum in der Situation der Verfolgung durch den marxistischen Atheismus gar nicht möglich ist. (Hier wird auch deutlich, daß das Buch nur aus der Wohlstandssituation eines westlich-liberalen Christentums verstehbar ist, das nach dem Verlust der Mysterien des Glaubens nur die irdische Prosperität etwas ausweiten möchte, etwa nach dem Grundsatz: Möglichst viel Glück für möglichst viele Menschen). Für dieses Buch bleibt deshalb das letzte Ziel des Christentums «die Vermenschlichung des Menschen» (S. 433). Man kann das Unzulängliche dieses sich als christlich ausgebenden Programms schlicht (und damit für den Kritiker leicht angreifbar) auf den Satz bringen: Einer ideologisch aufgeladenen Christlichkeit geht es um den Nachweis, daß alle Wirklichkeit (auch die göttliche, die hier nicht deutlich von der menschlichen unterschieden wird) für den Menschen da sei. Für das genuine Christentum ist das nur die halbe Wahrheit. Für dieses gilt der Satz: «Alles ist euer, ihr aber seid Christi, Christus aber ist Gottes» (1 Kor 3, 23). Oder noch einmal knapper: für den radikalen Humanismus ist das Wohl des Menschen das letzte Ziel, für den Christen ist es die Ehre Gottes, in der auch das Wohl des Menschen eingeschlossen liegt. Das Buch aber verneint ausdrücklich, daß Gott Ehre brauche oder wolle. Auch damit ist das christliche Gott- und Weltgeheimnis seines inneren Sinnes beraubt. (Fs) (notabene)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Zukunftsaussichten des «radikalen Humanismus»; homöopathisches Christentum; Kirche heute - rein formale Einheit; Zukunft d. Christentums: Besinnung auf d. trinitarische Geheimnis - kein verwaschener Synkretismus


Kurzinhalt: Das Buch versteht Christus als «wahren Menschen», das Christentum als «Aktivierung der Erinnerung» an Jesus, die Theologie als die rationale Ingenieurkunst zur Verbesserung der menschlichen Wirklichkeit ...

Textausschnitt: 11. Die Zukunftsaussichten des «radikalen Humanismus»

41a Auf Grund des Gesagten dürfte das abschließende Urteil über diesen Versuch einer weltförmig-humanistischen Vermittlung des Christentums an den modernen Menschen trotz aller Unklarheiten, die dem Buch im einzelnen anhaften, nicht ungewiß bleiben. Eine «Summe» christlichen Glaubens, wie der Verfasser behauptet, kann es schon wegen seiner inhaltlichen Bruchstückhaftigkeit nicht sein. Aber das wäre noch kein durchschlagender grundsätzlicher Einwand; denn auch ein Fragment oder ein Torso kann zuweilen das Ganze widerspiegeln oder wenigstens erahnen lassen, wenn ein diesem Ganzen kongeniales Verstehen vorhanden ist. Erfüllt das Buch diese Voraussetzung? Das darf ernstlich vor allem aus einem Grunde bestritten werden, der das Buch durchgehend charakterisiert: Es ist das völlige Fehlen des Verständnisses für das Mysterium. Gott ist «kein Gott des Rätsels» (S. 437), die Trinität ist «nicht ein undurchdringliches Geheimnis» (S. 467). Das Buch versteht Christus als «wahren Menschen», das Christentum als «Aktivierung der Erinnerung» an Jesus, die Theologie als die rationale Ingenieurkunst zur Verbesserung der menschlichen Wirklichkeit, den Gottesglauben als ein irrationales Vertrauen in die Wirklichkeit, das im Grunde keinem Menschen abzusprechen ist. Damit ist dem Christentum nicht nur seine Originalität genommen, sondern es ist der Dimension des Heiligen entkleidet (dieser Gedanke ist nirgends aufgenommen), es ist der Ubervernünftigkeit der Offenbarungswahrheit beraubt, der staunenden Hingabe an Gott und die Menschen in der bis zum Martyrium reichenden Liebeshingabe, der Anbetung des abgründigen Gottes, der vom Beter noch als etwas ganz anderes erkannt wird denn als die Tillichsche «Tiefe der Wirklichkeit». (Fs)

41b Das hier angepriesene Christentum kennt diese Dimensionen alle nicht mehr. Es haftet auf dem Boden irdischer Zweckhaftigkeit und vermag sich auch durch emphatische Sprachfiguren davon nicht zu lösen. (Auch die Hinzufügung des Adjektivs «radikal» ist eine sprachliche Verlegenheitslösung, die heute oft angewandt wird, wenn man das betreffende Substantiv nicht mehr genau bestimmen kann). Tatsächlich erklärt das Buch nicht einmal, was «Menschsein« bedeutet. Es kann deshalb auch nicht als teilweise Wiedergabe des christlichen Glaubens anerkannt werden. Das Wesen christlichen Glaubens, zumal in seiner in der Kirche existenten Form, ist aus dem Ganzen herausgebrochen. Was bleibt, sind ein paar welke Lichter, die sich nach Sonnenuntergang am Horizont in einer Atmosphäre, die ihre christliche Vergangenheit noch nicht gänzlich verleugnen kann, verständlicherweise brechen. Was hier angeboten wird, ist gleichsam nur noch ein «homöopathisches Christentum», kein starker Wein mehr, sondern ein Wässerchen mit süßlichem Geschmack. Es wird die wirklichen Atheisten und die wirklich «radikalen Humanisten» (an die alle es sich ja wendet) nur in ihrer Ansicht bestärken, daß die Selbstauflösung des Christentums weiter fortschreitet. (Fs)

42a Aber ist nicht der frappierende Erfolg des Buches ein Beweis für das Gegenteil? Hier muß man genauer zusehen, was der Erfolg dieses Buches beweisen kann und wirklich beweist. Der Bucherfolg ist keineswegs ein Beweis für das Wiederaufleben des Interesses am Christentum und am christlichen Glauben; er beweist nur die Anfälligkeit der heutigen Christen für einen so depotenzierten und entkeimten Glauben, bei dem es nur noch auf eine allgemeine Vertrauensseligkeit ankommt, aber nicht mehr auf eine Entscheidung für die Wahrheit wie auf Leben oder Tod. Ein solcher undezidierter, den Interessen westlicher Liberalität und Prosperität entsprechender Glaube darf natürlich auf das Interesse der Menschen und Christen rechnen, vor allem bei der Schar der Unentschiedenen, der Zweifelnden, der sich nur partiell Identifizierenden. Selbstverständlich werden die hier angebotenen Halbwahrheiten, die immer eingängiger, bequemer und schmeichlerischer sind, als die harten Forderungen des katholischen Dogmas eine Vielzahl begieriger Leser finden. Aber das sollte nicht als Erfolg für den Glauben und für die Kirche angesehen werden, sondern als Symptom dafür, daß die Masse der Randchristen wächst und daß die Verödung und Versteppung vom Rande her langsam in das Zentrum vordringt. (Fs) (notabene)

42b Natürlich wird ein solches Surrogat des katholischen Christentums vielen auch zum Anlaß dienen, sich in ihrer gebrochenen Glaubenshaltung bestätigt zu fühlen. Dabei mag unterschwellig auch die Frage eine Rolle spielen: Wie macht es ein berühmter Theologe, sich so von Glauben und Kirche zu distanzieren und sich doch nicht davon zu trennen? Oder: wie bringt man es zuwege, so am Rand zu stehen und doch nicht «umzukippen»? Sie ahnen nicht, daß dies grundsätzlich unmöglich ist und daß dies faktisch heute nur in einer Kirche geschehen kann, die vor allem auf die Erhaltung einer rein formalen Einheit bedacht ist. Hier spielt sicher auch die Furcht eine Rolle, durch Eindeutigkeit und durch entschiedene Geltendmachung der Glaubenswahrheit noch mehr an Zahlen zu verlieren. Deshalb die «Anpassung» bis hin zum «Experiment mit der Wahrheit». Aber wenn sich die Pragmatiker der Anpassung schon in der Wahrheitsfrage nicht überzeugen lassen, so sollten sie doch wenigstens im Hinblick auf die sogenannten «Erfolge» kritisch werden; denn in Wirklichkeit führt diese Anpassung, auf deren Wogen das Buch schwimmt, außer der Mobilisierung der Randchristen weder zur Intensivierung des kirchlichen Lebens noch zur Entfaltung der Werbekraft des Glaubens in der Welt (höchstens nach Art des von einem Journalisten zur Charakterisierung der Reaktion der Welt auf die Anpassung der Kirche berufenen Liedtextes: «Jetzt gangi ans Brünnele, trink aber net»). (Fs)

43a Es ist ja auch nicht einzusehen, daß sich auf die Dauer die Menschen von einem Christentum beeindrucken lassen werden, das sich bei genauerem Hinblick nur als Konglomerat von Emanzipations-, Friedens- und Sozialparolen erweist, die mühsam mit dem Namen eines Jesus von Nazareth verbunden sind, wo man dies alles viel originaler, zeitnaher und unmittelbarer aus der Gegenwart selbst schöpfen kann. Deshalb liegt die Zukunft von Christentum und Kirche sicher nicht in dem von Halbwahrheiten, von synkretistischen Verwaschungen und geistigen Vernebelungen strotzenden Programm dieses Buches, sondern im Rückgang auf das unverfälschte trinitarische Geheimnis des wirklichen, in der Kirche fortlebenden Gottmenschen, auf den «herrlichen Reichtum dieses Geheimnisses» (Kol 1, 27), das sich gerade auch darin als wahr erweist, daß es für die vielen ein Stein des Anstoßes bleibt. Die Reduktion des Christentums auf das für die Welt Vernünftige, Verstehbare und in einer Sozialfunktion Verwertbare (wobei noch das Wesen mit der Wirkung verwechselt wird) macht es im Grund überflüssig. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Herausforderung an die Kirche; Zeichen einer Glaubenskrise; christlicher Agnostizismus - Unklarheit: "katholisch", "evangelisch"; einzig mögliche Reform: Heilung des gebrochenen Glaubens

Kurzinhalt: Das Buch ist das bisher wohl grellste Zeichen für die Tiefe der Glaubenskrise, die das katholische Christentum erfaßt hat. Man sollte sich auch eingestehen, daß solch ein Fanal nicht aufleuchten könnte ohne den Hintergrund ...

Textausschnitt: 12. Die Herausforderung an die Kirche

43b Wenn man den in diesem Buch demonstrierten Schwund des Christlichen und Katholischen bedenkt und die sich daraus ergebenden Folgerungen erwägt, wird sich die bange Frage stellen, wie es mit dem katholischen Glauben in der uns unmittelbar umgebenden Lebenswelt weitergehen soll. Das Buch ist das bisher wohl grellste Zeichen für die Tiefe der Glaubenskrise, die das katholische Christentum erfaßt hat. Man sollte sich auch eingestehen, daß solch ein Fanal nicht aufleuchten könnte ohne den Hintergrund einer bereits mit vielen Unheilsstoffen gesättigten Atmosphäre, in der sich tiefe geistige Umschichtungen vollziehen. Solche Gewächse treiben nur auf einem bestimmten Boden, der dafür präpariert ist. In dieser Hinsicht ist das Buch nicht nur in einem schlichten Sinne als «unkatholisch» zu bezeichnen, sondern muß auch als Ergebnis und Produkt der Entwicklung des Katholizismus in der Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil angesehen werden. Als solches stellt es eine große Herausforderung dar an die von innen heraus angegriffene Kirche. (Fs) (notabene)

44a Weil die große Zahl der von dem Buch angetanen Leser um diese im Untergrund vor sich gehenden geistigen Umschichtungen nicht weiß und sie nicht diagnostiziert (was freilich auch nicht Pflicht und Aufgabe jedes einzelnen Gläubigen sein kann), werden viele guten Gewissens dieses Buch noch als katholisch ansehen. Vielleicht werden sie sogar weitergehen und, wenn sie die Distanz des Buches zum bisher geltenden Glauben der Kirche erkennen, diesen Abstand als positive Öffnung zu einem universalen Christsein und zu einem freieren, umfassenderen und konfessionell entgrenzten Christentum ausgeben. Tatsächlich versteht sich das Buch auch als ökumenischer Appell zur Wiedervereinigung aller getrennten Christen, aber auf einer Basis, auf der eigentlich keine der großen christlichen Konfessionen wirklich Stand fassen kann, weil hier der christliche Untergrund einfach zu schmal und brüchig geworden ist. (Fs)

44b Diejenigen Beurteiler, die dem Werke trotzdem Christlichkeit und sogar ein originaleres Christentum bescheinigen, bedenken zu wenig, daß in der Neuzeit der Name «Christentum» zu einem Sammelbegriff geworden ist, unter dem die merkwürdigsten und widersprüchlichsten Lehr- und Lebensauffassungen zusammengefaßt werden, so daß die Feststellung des evangelischen Theologen H. Thielicke zutrifft: «Das 'Christentum' ist der Inbegriff dessen, was die Menschen aus dem Evangelium gemacht haben»1. Der Begriff ist heute Ausdruck für einen «Christianismus vagus», der alles Menschliche und selbst das Allzu-Menschliche decken kann. (Fs)

44c In der Vergangenheit verfügte die katholische Kirche über die Fähigkeit und Kraft, wenigstens in ihrem Bereich den Begriff des Christlichen eindeutig zu erfassen, indem sie ihn durch die inhaltliche Hinzufügung des «Katholischen» festigte. Hier war der Begriff an der Wirklichkeit der Kirche und ihres Dogmas orientiert und von daher innerlich gefüllt und zur Eindeutigkeit gebracht. Heute dagegen ist, was sich an dem Buche deutlich zeigt, auch der Begriff des «Katholischen» schwankend geworden. Das Werk beansprucht für sich auch das Katholische, obgleich es in unmissverständlicher Weise das Wesen und die Grundbestände des katholischen Glaubens angreift und aufhebt. (Fs)

44d Diese Einstellung wie die entsprechende große Resonanz des Buches unter Katholiken erlaubt den Schluß, daß wir heute eigentlich nicht mehr wissen, was «katholisch» ist. Diese weitreichende Folgerung wird durch den Autor in einer anderen Veröffentlichung formell bestätigt. In der Antwort auf die Kritik seines Buches über die Unfehlbarkeit2 läßt der Verfasser im ersten Beitrag den evangelischen Theologen W. v. Loewenich zu Worte kommen, der mit einer gewissen Befriedigung bezüglich der heutigen Situation feststellt: «Man weiß heute nicht, was eigentlich 'evangelisch' ist». Aber die «Frage, 'Was ist katholisch?' kann offenbar heute auch nicht mehr eindeutig beantwortet werden»3. Das ist im Grunde ein gut beobachteter Situationsbefund, der auch durch das neue Werk Küngs bestätigt wird. (Fs)

45a Unter Berücksichtigung der Aussage des genannten evangelischen Theologen darf man folgern: Hier treffen sich die Vertreter der verschiedenen getrennten Kirchen in dem gleichen Abgrund des Nichtwissens um ihre eigene Konfession und in der gleichen Bodenlosigkeit eines christlichen Agnostizismus. Welche Konsequenzen das für die Beurteilung der dahinter stehenden Wissenschaftlichkeit und Theologie hat, wäre einer eigenen Betrachtung wert. Sie könnte kaum positiv ausfallen; denn eine Theologie, die ihren ureigensten Gegenstand nicht mehr zu benennen und zu erkennen vermag, darf eigentlich den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit nicht mehr erheben. (Fs)

45b So stellt das Buch in jeder Hinsicht eine ernste Herausforderung des kirchlichen Glaubens dar, der hier in seinem Wesen getroffen ist. Einer solchen Entstellung und Verstümmelung des christlich-katholischen Glaubens kann nur begegnet werden durch eine entschiedene, theologisch vertiefte Verkündigung der Fülle, der Tiefe und Schönheit dieses Glaubens. Die hier in ihrer ganzen Abgründigkeit aufbrechende Glaubenskrise kann nur gebannt werden durch eine Wiederherstellung der Integrität dieses Glaubens selbst. Deshalb gehen heute alle kirchlichen Reformen an ihrer eigentlichen Aufgabe wie an ihrem Gegenstand vorbei, wenn sie die Heilung des gebrochenen Glaubens nicht zu ihrem letzten Ziele haben. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Aufbruch oder Abbruch

Titel: Aufbruch oder Abbruch

Stichwort: Kritik; H. Küng, "Christ sein" - Herausforderung an die Kirche 2; Zeichen der Krise: Verlust des: Glaubensinhalt (dafür leerer Akt des Vertrauens), Fehlen d. Wahrheitsfrage (Adorno); Erfüllungsgehilfen des Zeitgeistes; Dogma: doxologischen Moment

Kurzinhalt: Eine solche Kirche besitzt nicht einmal mehr das rechte Augenmaß für die Beurteilung der Auswirkungen und «Erfolge» dieser Anbiederung an den Zeitgeist. Man könnte ja doch meinen, daß wenigstens die eklatanten Mißerfolge dieses wahrheitsvergessenen ...

Textausschnitt: 45c Dabei ist jedoch zu beachten, daß zum Wesen des katholischen Glaubens auch und gerade das lehrhafte Moment und das inhaltliche Element hinzugehört, obgleich selbstverständlich der Glaube als personaler Akt der Hingabe und des Vertrauens auch ernst genommen werden muß. Aber die heutige Krise betrifft ja nicht den «Vertrauensglauben», der rein akthaft und personalistisch verstanden, gar kein Spezifikum des christlich-katholischen Glaubens ist; das in dem Buch immer wieder geforderte «Grundvertrauen» zur Wirklichkeit können tatsächlich auch die angesprochenen Atheisten und Agnostiker aufbringen, wovor man als Christ Respekt bezeugen wird, ohne hier eine Verwirklichungsform christlichen Glaubens anzunehmen, was die Atheisten auch als Unterstellung ablehnen würden. (Fs)

46a Es ist sogar ein besonders signifikantes Zeichen der Krise, daß die Verlagerung der Gewichte vom inhaltlichen Glauben auf einen inhaltslosen Akt des Vertrauens, von Wahrheit zur Wahrhaftigkeit, von der Erkenntnis zum Engagement so drastisch und einseitig vorgenommen wird. Was dabei vor sich geht, ist nichts Geringeres als die Ausschaltung der Wahrheitsfrage aus dem Glauben. Die Konsequenzen dieser Verlagerung kann man sich an einem heute vielberufenen Beispiel klarmachen, nämlich an der auch in dem Buch voranstehenden Forderung nach der «Nachfolge Christi». Heute ist immer wieder zu hören, daß nicht das theoretische Wissen von Glaubensgegenständen selig mache (was, recht verstanden, eine Selbstverständlichkeit ist), sondern die praktische Nachfolge Christi. Aber dieser Auffassung ist die Frage entgegenzuhalten: Wie kann und darf man Christus nachfolgen, wenn man die Wahrheitsfrage nicht gestellt und mit denkerischer Verantwortung geprüft hat, wer dieser Christus ist und war? Käme bei dieser Frage nämlich heraus, daß es sich bei Jesus Christus nur um einen höheren, gottinnigeren Menschen handelte, dann wäre «Nachfolge» im religiösen Sinn eine Art Vergötzung und Erneuerung archaischen Heroenkultes. (Fs) (notabene)

46b Der Glaube kommt also ohne die Frage nach der inhaltlichen Wahrheit nicht aus, wie es Th. W. Adorno bestimmt formulierte: «Wird Religion um eines anderen als ihres eigenen Wahrheitsgehaltes willen angenommen, so unterminiert sie sich selber»1. Das Buch stellt diese Frage nicht mehr. Das ist nicht nur an den vielen Fehlauffassungen im einzelnen nachzuweisen, sondern auch an der Tatsache, daß hier nur die Schlußfolgerungen aus den Thesen des Autors über die «Unfehlbarkeitsfrage» gezogen werden. Dort wurde mit einer gewissen Monotonie immer wieder erklärt: menschliche Aussagen können wahr und falsch (zugleich) sein, so daß es keinen Irrtum ohne einen Wahrheitskeim gibt, aber auch jede menschliche Wahrheitsaussage «an Irrtum grenzt». Deshalb könne die Kirche auch keine endgültigen Wahrheiten aussagen. Vor allem die gegen den Irrtum gerichteten Aussagen seien nur halbe Wahrheiten, die besser als halbe Irrtümer bezeichnet zu werden verdienen. Deshalb könne die Kirche auch nicht verbindlich sprechen, sondern allenfalls situationsbedingte Hinweise geben, die letztlich nur dann Geltung beanspruchen können, wenn sie von der Mehrheit angenommen würden. Die Wahrheit ist hier als etwas Situationsbedingtes, etwas Zeitgebundenes und «Geschichtliches» erklärt, das sich zu einer anderen Zeit geradezu ins Gegenteil verkehren könne, vor allem, wenn es der Meinung der Mehrheit entspreche. Nach diesem Grundsatz geurteilt, hätten z.B. die «Deutschen Christen» in der Naziaera die Wahrheit auf ihrer Seite gehabt, weil sie tatsächlich dem herrschenden Zeitgeist entsprachen.Gerade in dieser für das Christentum entscheidungsvollen Auseinandersetzung sprach D. Bonhoeffer das Wort: «Nur als die Kirche, die die Wahrheit des Evangeliums verkündet, können wir sprechen»2. Daran schloß er die Warnung an: «Mit der Wahrheit darf man nicht spielen, sonst vernichtet sie uns. Wir spielen hart am Abgrund. Wenn uns hier die Augen aufgingen!»3. (Fs)

47a Es ist leider nicht zu erkennen, daß die Kirche der Gegenwart insgesamt diesen Abgrund sähe und daß ihr die Augen bezüglich der Notwendigkeit der Wahrheitsfrage aufgegangen wären. Es trifft vielmehr das Gegenteil zu, daß das Verständnis für die Notwendigkeit der Wahrheit im Glauben weithin geschwunden ist. Statt dessen beherrscht ein unbekümmerter Pragmatismus und ein eilfertiger Opportunismus das Feld. Man fragt nicht mehr nach der wahren Lehre, sondern spricht vom «modernen Lebensgefühl», vom «veränderten Zeitbewußtsein» und von der «neuen Denkungsart», der die Kirche entsprechen müsse, um die Menschen zu erreichen und in ihrer Situation «abzuholen». Es wird so beinahe gleichgültig, womit die Kirche das tut und was sie dabei an die Menschen heranträgt. Wichtig ist nur, daß es ankommt, daß es in die Landschaft paßt und nicht unmodern erscheint. So wird auch im wissenschaftlichen Bereich eine reine «Gebrauchstheologie» entwickelt mit unaufhörlichen Appellen an das Gewissen und zum Engagement, was außerhalb der Theologie von den Wissenschaften bereits eindeutig als Verfallserscheinung erkannt wurde4. (Fs) (notabene)

47b Im Sog dieser Mentalität drohen weite Kreise in der Kirche zu einfachen Erfüllungsgehilfen des Zeitgeistes zu werden. Der inhaltlich bestimmte Glaube ist etwas so Beliebiges geworden, daß der Begriff einer «Sünde gegen den Glauben», die in der überlieferten Lehre als die schwerste aller Sünden angesehen wurde, fast völlig geschwunden ist. (Fs)

Deshalb tritt an Stelle des eindeutigen Bekenntnisses der Glaubenswahrheit das Experimentieren mit ihr und der Versuch, sie künstlich zu erzeugen durch unablässiges «Hinterfragen», durch endloses «Diskutieren» und angeblich kritisches «Reflektieren», wobei man nicht mehr merkt, daß solches «Diskutieren» und «Reflektieren» Hand in Hand geht mit einer zunehmenden denkerischen Zucht- und Disziplinlosigkeit. (Fs)

47c In dieser auch in die Kirche eingebrochenen Vermassung des Denkens wird dann, in einer scheinbar überzeugenden Wendung, dem angeblich theoretischen und so unlebendigen Anspruch der Wahrheit die Forderung nach Liebe entgegengesetzt. Dabei kann natürlich von einem solchen Denken nicht mehr bedacht werden, daß die wahre Liebe gerade auch Liebe zur Wahrheit sein muß. Wer nämlich die Wahrheit aufgibt, entzieht sich selbst und dem anderen den entscheidenden Wert, den er zur Verwirklichung seines Glaubens und zum Gewinn seines endlichen Heiles braucht. Das hat D. Bonhoeffer noch gewußt, wenn er sagte: «Nur wenn man dem anderen die Wahrheit nicht vorenthält, handelt man brüderlich mit ihm. Sage ich ihm nicht die Wahrheit, so halte ich ihn für einen Heiden. Sage ich dem Andersmeinenden die Wahrheit, so geschieht die Liebe, die ich ihm schulde»5. (Fs)

48a Eine Kirche, die sich in Verbeugung vor allem und jedem gefällt, die sich einer Gefälligkeitsgesellschaft angleicht und die es gerade noch wagt, an den immer noch am eindeutigsten ausfallenden Stellungnahmen des Papstes Kritik zu üben (weil das halt auch «zeitgemäß» ist), droht nicht nur die Wahrheit, sondern auch die Wahrhaftigkeit zu verlieren. Eine solche Kirche besitzt nicht einmal mehr das rechte Augenmaß für die Beurteilung der Auswirkungen und «Erfolge» dieser Anbiederung an den Zeitgeist. Man könnte ja doch meinen, daß wenigstens die eklatanten Mißerfolge dieses wahrheitsvergessenen Anbiederungsstrebens gelegentlich nachdenklich machen müßten. Aber wer das Erkennen der Wahrheit (und das heißt Denken) grundsätzlich sistiert, kann es auch in einem Einzelfall nicht wiederfinden. (Fs) (notabene)

48b Natürlich wird dieser Forderung nach dem Ernstnehmen des Wahrheitsgehalts des Glaubens sofort der Einwand begegnen: hier komme das typisch intellektualistische Mißverständnis zum Vorschein, das unter Wahrheit nur theoretisches Wissen und abstrakte Inhalte verstehe. Gegen eine solche «sterile Orthodoxie» steht heute eine «lebendige Orthopraxie». In Wirklichkeit ist in diesem Argument natürlich auch wieder ein Denkfehler enthalten, insofern der Begriff der «Orthopraxie» (in dem orthos) das Moment des Rechten, des mit der Norm Übereinstimmenden und d. h. des Wahren in sich schließt. So muß sich eben auch die menschliche Praxis (und erst recht die Praxis der Kirche) an einer vorgegebenen Wahrheit bewähren. Der Einwand ist also in sich unhaltbar. Er kommt aus einem subjektivistischen Wunschdenken, das eine Praxis ausüben möchte, ohne «orthodox» sein zu müssen, das aber auch umgekehrt mit dem Vorwurf spielt, daß man «orthodox» sein wolle, ohne die Wahrheit im Leben zu verwirklichen. Hinter diesem Einwand steht ein (vielleicht eigens hergestelltes) Zerrbild von der Wahrheit, das es dem Menschen ermöglichen soll, sich ihren strengen Forderungen zu entziehen, indem er einmal auf die «Orthopraxie», zum anderen auf die «Orthodoxie» ausweicht, und so in jedem Falle den vollen Anspruch der Wahrheit «halbiert». (Fs)

49a Demgegenüber ist das rechte Verständnis der Wahrheit wieder in Erinnerung zu rufen, auch derjenigen Wahrheit, die sich im Wort oder im Dogma der Kirche erschließt, das im Grunde nur eine Ausweitung des Christusereignisses in die Leiblichkeit der menschlichen Sprache ist. Von solch einer «Verleiblichung» behaupten zu wollen, sie sei etwas rein Theoretisches, heißt den Heilsrealismus katholischen Glaubens vollkommen zu verkennen. Aber es ist (logisch zuvor) schon irrig, die Wahrheit und ihre Erkenntnis durch den Menschen als etwas Theoretisches zu betrachten. In Wirklichkeit ist jede Wahrheitserkenntnis, zumal die des Glaubens, ein Lebensakt, der das Erkennen wie das Wollen des Menschen ganz beansprucht. Die Annahme des Glaubens ist, wie besonders der biblische Begriff des «Glaubensgehorsams» (Vgl. Rom 1,5; 6,17) verdeutlicht, ein totaler Lebensakt, in dem Erkennen und Wollen, Verstehen und Werten sich zusammenschließen. Keiner kommt zur Erkenntnis einer Glaubenswahrheit, der nicht auch den ethischen Willen zur Wahrheit einsetzt. Das liegt zuletzt daran, daß nach christlichem Verständnis der Urgrund aller Wahrheit oder die Wahrheit schlechthin - Gott selber ist. (Fs)

49b Dieser Gott aber ist in seinem Wesen die Einheit von Erkennen und Wollen, von Wahrheit und Liebe. Die Annahme einer von Gott geoffenbarten Wahrheit ist also nur möglich unter Einsatz von Erkenntnis und Liebe. Deshalb wird in der Wahrheit des Glaubens keine Theorie übermittelt, wie auch der Akt der Annahme nicht ein bloß intellektueller Vorgang ist. Wenn z. B. ein Mensch das Christusdogma der altkirchlichen Konzilien bezüglich der wahren Gottessohnschaft Jesu Christi im Glauben annimmt und bekennt, dann vollzieht er nicht nur einen denkerischen Akt (oder gar ein sacrificium intellectus), in dem er das Paradox von «zwei Naturen» und «einer Person» zusammendenkt. Er gibt im gleichen Zusammenhang vielmehr eine Wertantwort, in der er die Größe, die Geheimnishaftigkeit, die Heiligkeit und Güte Gottes bejaht, der sich in dieser radikalen Weise der Menschheit angenommen hat. Das ist keine «sterile Orthodoxie», sondern eine totale Lebensbewegung des Menschen auf Gott und den Nächsten hin, die natürlich in dem, was man landläufig «Praxis des Lebens» nennt, weitergehen muß. Aber sie kann in dieser Praxis nicht weitergehen, wenn nicht zuvor das Moment des «orthos» im Geist erfaßt worden ist und festgehalten wird. (Fs)

49c Dieser Auffassung der Glaubenswahrheit, wie sie sich im Dogma der Kirche ausprägt, entspricht auch die durch die neuere Forschung gewonnene Einsicht in den Ursprung des Dogmas. Danach ist gesichert, daß dem ursprünglichen (aber auch dem weiterentwickelten Dogma) neben dem Element der Erkenntnis, das zum Bekenntnis führte, immer auch ein rühmendes, ein doxologisches Moment inne war. So sind die Dogmen der Kirche immer auch als Rühmungen der Großtaten Gottes zu verstehen, die weit über den aktivistisch-utilitarischen Begriff der modernen «Gebrauchstheologie» hinausgehen. Nur so kann man verstehen, warum die Märtyrer mit dem Aussprechen «Dogmatischer Formeln» in den Tod gingen. Das kann man nur, wenn man in der (auch in Sätzen ausgedrückten) Wahrheit einen absoluten Wert erkennt und bejaht. Mit den Thesen eines christlich verbrämten Humanismus kann man das allerdings nicht. Die Formeln eines christlichen Humanisierungsprogramms, wie sie das Buch im letzten Teil aufstellt und wie sie heute in der Kirche weithin nachklingen, sind nicht von einer solchen überrationalen Größe und Tiefe, daß man mit ihnen sterben könnte. Aber, was noch schlimmer ist, man kann mit ihnen nicht einmal im tiefen Sinne christlich leben. (Fs) (notabene)

50a Überhaupt sollte die Kirche nicht verkennen, daß ein entscheidender Prüfstein der Rechtheit und Wahrheit in Verkündigung und Lehre heute in der Frage liegt, ob das Christentum noch Raum läßt für die Forderung nach dem höchsten Einsatz, nach dem «Zeugnis bis zum Letzten», das zwar nicht immer als «Blutzeugnis» verlangt wird, das aber in der Form restloser Hingabe an die göttliche Forderung in jeden Alltag hineinragt. Wenn sie diesen Maßstab anlegte, würde sie auch viele Fragen der praktischen Sittlichkeit wieder mit viel größerer Übersicht und Klarheit beurteilen und zwischen Moral und Unmoral ohne Zuhilfenahme einer modernen Kasuistik mit untrüglichem Glaubensinstinkt unterscheiden können. (Fs)

50b So betrachtet, müßte die Kirche heute immer auch bedenken, daß jeder Akt des Bekenntnisses der Glaubenswahrheit ein Akt der Gottesverehrung ist. Dann aber ist das Schweigen in Situationen, wo der «status confessionis» gegeben ist, entsprechend theologisch zu qualifizieren. Es entspricht nicht dem Geist und der Wahrheit, die «frei macht» (Joh 8,32). Diesem Geiste gegenüber ist aber auch das dauernde Gerede von einer Reform des Glaubens und des Glaubensbewußtseins oberflächlich und irreführend. Den Glauben und seine Wahrheit kann man nicht reformieren (wie es etwa jene Exegeten beziehungsreich andeuten, die zu ihren Schülern davon sprechen, daß die vier Evangelien eigentlich nicht mehr zeitgemäß seien und daß jede Zeit sich ihr eigenes fünftes Evangelium schaffen müsse). Man kann sich von ihr nur immer tiefer erfassen und «performieren» lassen. Das allein ist auch das legitime Anliegen einer geschichtlichen Entwicklung der Glaubenswahrheit. (Fs)

50c Die Kirche wird die hier und heute an sie ergehende Herausforderung nur bestehen, wenn sie weniger «reformiert» und mehr in die Fülle des Glaubens eindringt. (E10; 16.11.2010)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Katholizität, katholisch; Sinn: "authentisch", "wahr", "orthodox"

Kurzinhalt: In diesem qualitativen Sinne muss die Kirche auch heute noch die Katholizität behaupten, auch wenn sie sich damit den Vorwurf einhandelt, sich von den anderen christlichen Gemeinschaften abzusondern; denn ...

Textausschnitt: 11a Man kann auch sachlich nicht erkennen, dass die Verwendung dieses Begriffes, der die Universalität der Kirche behauptet, in dem Augenblick widerspruchsvoll und unglaubwürdig würde, in dem die Kirche nicht mehr als äußere Einheit existierte, sondern gespalten wurde; denn selbstverständlich hat der Begriff zu keiner Zeit eine nur quantitative, räumliche Universalität und eine faktisch schon erreichte Universalität ausgesagt. So hätte er im zweiten und dritten Jh., wo sein Gebrauch häufiger auftritt, gar nicht verwendet und verstanden werden können, weil die Kirche faktisch damals noch eine "Sekte" im Imperium Romanum war. Das Beiwort "katholisch", das zwar von Augustinus1 im Kampf mit der Sekte der Donatisten sehr stark in Richtung auf die geographische Universalität gebraucht wurde, besaß doch von Anfang an schon den Sinn von "authentisch", von "wahr" und "orthodox". Es wurde im qualitativen Sinne von der einen wahren Kirche verwendet, die damit natürlich sofort in einen gewissen Gegensatz zu den anderen Gemeinschaften geriet. Aber man kann nicht fordern, dass die Kirche wegen der faktischen Spaltungen auf dieses ihr Selbstverständnis qualitativer Art verzichten oder den Anspruch preisgeben müsste, als Kirche Christi genauso für das Ganze bestimmt zu sein wie Christus selbst. (Fs)

11b In diesem qualitativen Sinne muss die Kirche auch heute noch die Katholizität behaupten, auch wenn sie sich damit den Vorwurf einhandelt, sich von den anderen christlichen Gemeinschaften abzusondern; denn die Absonderung ist immer nur etwas Faktisches, etwas Akzidentelles, etwas aus der noch unvollkommenen irdischen Existenzweise der Kirche Stammendes. Die Katholizität aber ist etwas Wesentliches, etwas Qualitatives und Innerliches, das auch beim Widerspruch gegen die Empirie und gegen den Augenschein beibehalten werden muss, etwa auch dann, wenn die Kirche wieder wie eine Insel im Ozean der nichtchristlichen Welt existierte. Deshalb ist es auch heute nicht gerechtfertigt, bei der Wesensbestimmung des Christentums auf die Kennzeichnung des Katholischen zu verzichten. (Fs) (notabene)

12a Von dieser Einsicht aus ist man berechtigt, alle jene Formulierungen, die vom Wesen des Christentums als solchem sprechen, ohne seiner Katholizität Erwähnung zu tun, kritisch zu beurteilen. Natürlich ist das nur eine grundsätzliche Kritik, die nicht zu berücksichtigen braucht, dass es in solchen Darstellungen an einem bestimmten Punkte doch zur Aufnahme der Vorstellung des Katholischen und Universalen kommt. Aber, was so nachfolgend und gleichsam nur beiläufig geschieht, muss sich doch in vielen Fällen als zu schwach erweisen, so dass es das Ganze nicht mehr zu bestimmen, zu tragen und zu strukturieren vermag. Deshalb hat die Kritik im Ganzen auch gegenüber jenen Bearbeitungen Bestand, die irgendwo im Nachhinein bei der Erörterung des Christentums eine Reflexion über das Katholische hinzufügen. An einer bestimmten Stelle seiner Auslegung des Christentums kann kein christlicher Autor umhin, zuzugeben, dass das Christliche an sich einen Zug zum Allgemeinen, zum Universalen und d. h. zum "Katholischen" in sich trägt. Das Merkmal des "Katholischen" wird dann offensichtlich nicht im konfessionellen und apologetischen Sinne verstanden und für die eigene Religion oder Kirche usurpiert, sondern es wird als Wesenselement des Christentums selbst begriffen, das jeder Form und Gestaltung des Christlichen eignen muss. (Fs)

In dieser Absicht trifft sich dann auch die katholische Theologie mit der Intention praktisch aller evangelischen Theologen, die ihrerseits das Kennzeichen des Katholischen auch für ihre eigene Religion und Kirche gebrauchen und es auf keinen Fall als ausschließliches Vorrecht katholischen Glaubensdenkens ansehen möchten. Dafür ist die Aussage eines modernen Autors beispielhaft: "Auch zum evangelischen Bekenntnis gehört es, von [der] Katholizität zu sprechen." Katholizität heißt, "dass dieses Heil der ganzen Welt angeboten wird und auch einen Anspruch hat, von der ganzen Welt gehört zu werden". "Die Katholizität der Kirche zeigt sich [auch] darin, dass sie ihre Lehre und ihre Ämter weitergibt, die Sakramente von Generation zu Generation verwaltet und in all dem den immer gleichen Auftrag wahrnimmt. Die reformatorischen Kirchen haben diese Kontinuität bewusst aufgenommen, indem sie z. B. die altkirchlichen Glaubensbekenntnisse rezipierten und in ihre Gottesdienste aufnahmen."2

12b Man kann alle diese Beanspruchungen der "Katholizität", sowohl die von der "katholischen" wie die von der "evangelischen" Seite kommenden, durchaus als gutgemeint akzeptieren und in dieser gemeinsamen Beanspruchung eines Merkmals der wahren Kirche und des wahren Christentums ein positives Zeichen für eine noch verbliebene Einheit sehen. Aber man kann wohl bei einer so wohlwollenden Beurteilung nicht stehen bleiben, weil sie unrealistisch und problemlos zu geraten droht. Darauf hat neuestens ein anderer evangelischer Theologe hingewiesen, dessen Theologie man strenge Folgerichtigkeit und große Offenheit zubilligen muss. Fr. Buri kommt zu der Auffassung, dass der Gebrauch der "notae" (Merkmale) der Kirche, besonders auch der "nota" der Katholizität, heute in den Kirchen und Gemeinden unglaubwürdig und zweideutig geworden sei, weil es dieses eine und universale Christentum nicht mehr gebe. Er bezieht dann das "catholica" in typisch existentialistischer Weise nicht mehr auf Kirche oder Christentum, die für eine existentialistische Theologie keine objektiven Größen mehr darstellen. Deshalb überträgt er das Adjektiv "katholisch" einfach auf den Glauben, welcher nicht einmal der spezifisch christliche Glaube sein muss. Darunter kann vielmehr jede engagierte Entscheidung verstanden werden. Ein solcher Glaube muss natürlich auch "katholisch" sein. Das Epitheton will dann aber nur besagen, dass diese existentielle Haltung "das ganze Dasein des Einzelnen umfasst und zugleich universal ist, weil sie in analoger Weise jeden Einzelnen, d. h. alle, umspannt".3 Hier ist offensichtlich eine rein existentialistische Interpretation des Merkmals des "Katholischen" geboten, die gar keinen Bezug auf die Kirche mehr einschließt. (Fs)

13a Erwägt man diesen variierenden und vieldeutigen Gebrauch des Kennzeichnens des "Katholischen", so wird man zugeben müssen, dass der Begriff heute von den Bekenntnissen und Theologen nicht mehr im gleichen Sinn gebraucht wird. Dieser Umstand legt dem gläubigen Denken die Verpflichtung auf, nicht nur von der Allgemeinheit und Universalität des Christlichen zu sprechen und an einer vieldeutigen Formel festzuhalten, sondern ihren Kern und Sinn genau zu bestimmen. Das "Allgemeine" und "Allumfassende" des Katholischen bleibt so lange unbestimmt, als man es nicht auf einen Einheitsgrund und einen konkreten Sinn zurückführt. Dem Anspruch der Ganzheit ist nur Genüge geleistet, wenn man ihren letzten Grund und ihren eigentümlichen Ursprungspunkt anzugeben weiß. Dieser erst garantiert die Eigentümlichkeit und die Selbstidentität dieses Ganzen. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Katholizität, katholisch; Suche nach der Identität; "Symboli"; Protestantismus (Ferd. Chr. Baur); Katholizismus (J. A. Möhler)

Kurzinhalt: Möhler ... Für ihn lag das Zentrum der Auseinandersetzung zwischen den christlichen Konfessionen in der "Art und Weise ..., in der sich der gefallene Mensch mit Christus in Gemeinschaft setzen, und der Früchte der Erlösung teilhaftig werden könne"...

Textausschnitt: b. Die Suche nach der Identität

13b Es ist nicht zu verkennen, dass das Christentum und die christlichen Gemeinschaften heute von einer Entwicklung betroffen werden, die man im kulturellen wie im anthropologischen Bereich als Identitätsverlust bezeichnet. Dieser Entwicklung ist nicht dadurch zu begegnen, dass man die Worte "Christentum", "Christlichkeit" und "Christsein" beschwörend wiederholt und sie mit dem Atem des Weltzugewandten, des Sozialen und Politischen erfüllt. So gerät das Christentum erst recht in die Gefahr, zu einem kontur- wie substanzlosen Gedankengebilde zu werden, das seine Eigenheit gegenüber menschlichen Programmen und Weltanschauungen nicht mehr ausweisen kann. Auf diese Gefahr hat schon früher H. Thielicke aufmerksam gemacht und besonders drastisch auf den sich hinter dem Wortgebrauch des "Christlichen" erhebenden "Christianismus vagus" hingewiesen; denn in dem "Sammelbegriff 'Christentum' ... ist schlechterdings alles vereinigt: von den Orthodoxen bis zu den liberalen Kulturprotestanten, von der römischen Kirche bis zu den Ernsten Bibelforschern, ... von der 'Bekennenden Kirche'... bis zum Metropolitan von Moskau. Das alles marschiert unter der Fahne des 'Christentums'. Dieser Begriff hat ein gigantisches, eben darin aber auch beängstigendes Fassungsvermögen. Schon bei einer Zusammenstellung dieser verschiedenen Kontraste merken wir, dass wir uns mit dem Schlagwort 'Christentum' auf eine gefährliche Ebene begeben haben: nämlich auf die Ebene des Menschlichen, vielleicht sogar des 'Allzu-Menschlichen'. Denn das 'Christentum' ist der Inbegriff dessen, was die Menschen aus dem Evangelium gemacht haben. ... Es kommt also alles darauf an, dass wir dieses wirre und verwüstete Vorfeld des Christentums möglichst schnell überqueren und ... möglichst unmittelbar der Botschaft der Kirche gegenübertreten. Die Botschaft der Kirche [aber] kristallisiert sich um das Dogma."1

14a Hier wird von einem protestantischen Theologen, der von Haus aus ein freieres Verhältnis zu konkreten Bindungen und sichtbaren Formen besitzt, anerkannt, dass das Befassen mit dem "Christentum" als solchem dem Denken nur ein religionsphilosophisches Phänomen darbietet, das sich zuletzt in die allgemeine Religionsgeschichte auflöst. Man kann also offensichtlich das Christentum nur als Konkretum fassen und verstehen, wozu zunächst als minimalstes Erfordernis die Hineinnahme des Bekenntnismomentes hinzugehört. So ist auch heute, wie unbefriedigend das zunächst auch erscheinen mag, nur vom "protestantischen", "orthodoxen" oder "katholischen" Christentum zu sprechen, selbst wenn dabei zunächst kein einheitliches Wesen zum Vorschein kommt. Aber ohne die Konkretion des Bekenntnismäßigen und Konfessionellen droht die Gefahr, dass sich das Wesen überhaupt verflüchtigt und man einem Schemen nachjagt. Nur vermittels dieses spezifischen Bekenntnisses ist auch die Identität der christlichen Gemeinschaften je für sich zu halten. (Fs)

14b Deshalb ist es bezeichnend, dass theologisch schöpferische Epochen, die durchaus auch ein Interesse an der Wiedervereinigung empfanden, doch eine sogenannte "Symbolik" entwickelten, das ist jene theologische Disziplin, die heute unter dem Namen "Konfessionskunde" bekannt ist. (Fs)

15a Die Ursprünge der "Symbolik" liegen, wenn man von den Vorstufen im Reformationszeitalter absieht, in der evangelischen Theologie des beginnenden 19. Jahrhunderts. Nach der Überwindung der Aufklärung und der neuen Hinwendung zur positiven Kirchlichkeit musste es der evangelischen Theologie als ein besonders dringliches Anliegen erscheinen, die spezifische Kirchlichkeit oder Konfession aus den eigenen Bekenntnisschriften zu erheben und lehrhaft zu begründen. (Fs)

Dabei war das Bemühen führend, die spezifische Eigentümlichkeit oder die grundlegende Idee des eigenen Bekenntnisses zu finden und sie dann auch von dem Spezifischen der anderen Konfession abzuheben. So kam zwar gelegentlich in diese "Symbolik" ein polemischer Ton hinein, der aber anderseits auch wieder von einer so irenischen Haltung gefolgt war, dass die Unterschiede an Bedeutung verloren. (Fs)

15b Bei D. Fr. Schleiermacher (+ 1834) war allerdings die Bestimmung des Eigenen und des Unterscheidenden sehr streng durchgeführt, wenn er auf die Andersartigkeit des christlich-frommen Gemütszustandes hinwies, in dem sich Protestantismus und Katholizismus unterschieden. Er sah im Protestantismus den ursprünglicheren, gottinnigeren und persönlicheren Gemütszustand ausgeprägt, während ihm der Katholizismus als die mittelbare, gesetzhafte und unpersönliche Religiosität und Christlichkeit galt.2 Für den "Symboliker" Ph. K. Marheineke (+ 1846) existierte die Idee des Christentums schon vom Ursprung her in der Doppelheit von "Katholizismus" und "Protestantismus". Der legitime und notwendige Unterschied zwischen diesen beiden Polen war nach Marheineke darin gelegen, dass sich im Katholizismus das Christliche im Medium des Gefühls, der sinnlichen Anschauung und der Phantasie auspräge, im Protestantismus dagegen im Medium des Denkens und der intellektuellen Anschauung. Deshalb sollten die Gegensätze zwar nicht künstlich unterdrückt, aber auch nicht vorschnell und oberflächlich harmonisiert werden. Sie sollten ganz im Gegenteil durch die Wissenschaft in voller Schärfe herausgebildet werden, damit sich früher oder später ihre Einheit herausstelle.3 Es ist das ein nicht uninteressanter Gedanke, der in der interkonfessionellen Diskussion auch der neueren Zeit immer wieder hervortrat, z. B. auch in der Abwandlung der sogenannten Branch- oder Zweigtheorie, die besonders im anglikanischen Bereich ausgebildet wurde. Sie besagt in der ihr zuletzt von Fr. Heiler gegebenen Form, dass die drei großen Kirchenbildungen der Christenheit - Katholizismus, Orthodoxie und "evangelische Katholizität"4 - wie drei Zweige aus derselben urkirchlichen Wurzel hervorgegangen seien, die innerlich eine "unitas" bildeten, obgleich sie äußerlich keine unio seien. Aber diese "unitas" genüge für die irdische Verfassung und das empirische Dasein der Kirche in der Zeit. Die vollkommene "unio" sei als eine eschatologische Größe zu sehen und als eschatologisches Ereignis zu erwarten. (Fs)

16a Wieder anders bestimmte der zeitweise von Hegel beeinflusste Ferd. Chr. Baur (+ 1860) das Prinzip des Protestantismus im Gegensatz zum Katholizismus. Nach ihm repräsentierten beide Kirchen eine verschiedene Entwicklungsstufe des religiösen Bewusstseins. Der Katholizismus werde vom Prinzip der objektiven Tradition bestimmt, der Protestantismus dagegen vertrete das an sich höhere Prinzip der subjektiven Geistwirksamkeit. Deshalb müsse er "in seiner ursprünglichen Opposition gegen das dogmatische System der katholischen Kirche... beharren".5 Aber schließlich würden diese beiden Prinzipien am Ende in der Geschichte des absoluten Geistes aufgehen und eine Einheit eingehen, die freilich von Baur begrifflich nicht bestimmt und in klare Konturen gefasst werden konnte. (Fs)

16b So trat in manchen Entwürfen der protestantischen "Symbolik" trotz des Strebens nach Erfassung des Eigentümlichen im Bekenntnis schließlich ein Zug zum Relativismus hervor, der weder der eigenen Konfession noch dem interkonfessionellen Anliegen nützte. Angesichts dieses Mangels entwickelten die katholischen Tübinger ein anderes Konzept einer "Symbolik", das besonders von J. A. Möhler (+ 1838) gedankenscharf ausgearbeitet wurde. Das zeigt seine Anweisung über das bei der "Symbolik" einzuhaltende Verfahren: "Die einzelnen Sätze eines Lehrgebäudes [müssen] in ihrer gegenseitigen Verknüpfung und in ihrem organischen Zusammenhange dargestellt werden.... Immer ... müssen die Teile eines Systems in ihrer Stellung zum Ganzen angeschaut und auf die Grundidee, die alles beherrscht, bezogen werden."6 Wie treffend und zukunftsträchtig dieses Programm war, zeigt sich u. a. auch daran, dass in einer neuartigen, dem Geist der Wissenschaftlichkeit des 20. Jhs. entsprungenen "Symbolik", nämlich in der "Morphologie des Luthertums" von W. Eiert, die ähnliche Forderung aufgenommen ist unter dem Begriff der "Dominante". Nach Elert muss bei jedem Bemühen um das Wesensverständnis einer Religion oder Konfession vor allem die Dominante gesucht und getroffen werden.7 Möhler leitete das Prinzip des Gegensatzes zwischen den Konfessionen in seiner Symbolik aus einem anthropologischen Befund ab, nämlich aus der verschiedenartigen Auffassung von der Stellung des Menschlichen zum Göttlichen. Für ihn lag das Zentrum der Auseinandersetzung zwischen den christlichen Konfessionen in der "Art und Weise ..., in der sich der gefallene Mensch mit Christus in Gemeinschaft setzen, und der Früchte der Erlösung teilhaftig werden könne".8 Entsprechend versteht er als das Prinzip des katholischen Systems das "gottmenschliche Werk",9 in dem sich "die göttliche und die menschliche [Tätigkeit] ... durchdringen",10 während ihm die Wurzel der reformatorischen Glaubensauffassung in dem Grundsatz gelegen schien, "dass in den wahren Christen der göttliche Geist ohne menschliche Mitwirkung eindringe".11 Im Anschluss an ihn sah Fr. A. Staudenmaier (+ 1856) den Grundunterschied in der verschiedenartigen Auffassung von der menschlichen Freiheit gelegen, die im Protestantismus seiner Meinung nach nicht vollauf gewahrt wurde.12 (Fs)

17a Gewiss kann man diese stark philosophischen, abstrakten und zeitbedingten Formulierungen des Grundprinzips wie der Gegensätzlichkeit der Konfessionen heute nicht mehr einfach übernehmen. Wohl aber kann man von ihnen lernen, dass das Verständnis des eigenen Bekenntnisses wie das des anderen nicht atomistisch an Einzelheiten gewonnen werden kann, sondern aus einem konstitutiven, ganzheitlichen Grund heraus gefunden werden muss, der das eigene Wesen wie die Unterschiedenheit gegenüber dem anderen erst vollauf verstehbar macht. Etwas vom "Salz" dieser "Symbolik", die nach dem Prinzip und dem Einheitsgrund des Ganzen fragt, muss auch eine Wesensschau des Katholischen bestimmen; denn das, was ein Wesen zu einem in sich geschlossenen Ganzen und zu einer anschaubaren Gestalt macht, ist eine innere Einigungskraft, welche die Teile durchdringt und belebt, so dass sie überhaupt erst Teile dieses Ganzen zu werden vermögen. Erst durch den Aufweis des letztlich Einigenden und Spezifischen vermag der Anspruch der Ganzheit legitimiert zu werden. Eine "Katholizität", welche ihr einigendes Prinzip nicht zu benennen vermag, ist vor dem Vorwurf nicht gefeit, doch nur ein Konglomerat oder ein Gemenge von Einzelheiten darzustellen, dem man aber ebenso beliebig auch Zusätze beigeben kann, ohne eine innere Hinzugehörigkeit oder eine Unverträglichkeit mit dem "Kern" feststellen zu können, weil das Wissen um diesen Kern entschwunden bzw. nicht mehr gefragt ist. Viele Erscheinungen in Lehre und Leben des heutigen Katholizismus entsprechen dem hier entworfenen Bilde. So wird heute vielfach in einem unbegrenzten Subtraktions- oder Additionsverfahren mit dem Glauben experimentiert, ohne dass die Frage nach dem verbindlichen Maßstab solcher Operationen noch gestellt wird. Die Fernwirkungen solchen Experimentierens, die sich z. T. schon in der Gegenwart abzeichnen, müssen zu einem Identitätsverlust der Catholica führen, die dann ihren Namen nicht mehr zu Recht tragen kann. (Fs)

18a Freilich ist, wie an der klassischen "Symbolik" schon zu ersehen war, mit der Bestimmung des Einigenden und spezifisch Eigenen auch die Notwendigkeit der Abgrenzung gegenüber dem Anderen gegeben. So könnte man gerade der Suche nach der eigenen Identität den Vorwurf machen, dass sie am ökumenischen Anliegen kein Interesse zeige, sondern es geradezu gefährde. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Katholizität, katholisch; der ökumenische Impuls; innerhalb der Konfessionen: Trennungslinien, Front- und Fraktionsbildungen; "Ökumenismus nach innen"

Kurzinhalt: Dem "Ökumenismus nach außen" muss der "Ökumenismus nach innen" vorausgehen oder jenem wenigstens gleichgeschaltet sein. Dieser "innere Ökumenismus" aber verlangt nach Erkenntnis des eigenen Wesens ...

Textausschnitt: c. Der ökumenische Impuls

18b Es mag zunächst als eine gewagte und unbeweisbare Behauptung erscheinen, dass die Identitätsbestimmung des eigenen Seins und Wesens und damit die Einheitserfassung der eigenen Konfession das Anliegen der ökumenischen Bewegung nicht durchkreuze, sondern zu seiner Förderung beitrage. Auf den ersten Blick erscheint die gegenteilige Meinung besser begründet, dass nämlich die Suche nach dem eigenen Wesen und die Bestimmung seiner Identität nur der Versteifung auf die eigene Position diene und das Zueinanderstreben verhindere. Aber schon die "Symboliker" des 19. Jhs., die zugleich auch ein ökumenisches Anliegen verfolgten,1 waren von der Untrennbarkeit beider dieser Bewegungs- und Arbeitsrichtungen überzeugt, der Bestimmung des Eigenen wie des Verstehenlernens des anderen. Am Ende gelangten deshalb auch manche von ihnen, wie oben angedeutet, auch zu ganz irenischen Einigungsvorschlägen, die nur wieder den Nachteil hatten, dass sie den zuvor so betont hervorgekehrten eigenen Standpunkt relativierten. (Fs)

18c Wie sehr die beiden Bewegungsrichtungen zusammengehören und wie auch aus der Identitätsbestimmung ein ökumenischer Impuls erwachsen kann, hat K. v. Hase, gegen Möhler gewandt, mit dem Hinweis verdeutlicht, dass die Bestimmung des eigenen Standpunktes wie auch die damit gegebene Auseinandersetzung eine Art "Irenik" sei, die "Klarheit darüber" erstrebe, "wie weit man sich anerkennen und einander aufrichtig nähern dürfe".2 Beide genannten Theologen, der evangelische wie der katholische, waren von dem Bewusstsein durchdrungen, dass die Bestimmung des eigenen Bekenntnisses am Gegensatz des anderen die Annäherung nicht verhindern könne, sondern im Gegenteil die Voraussetzung für ein legitimes Sich-Begegnen und ein begründetes Einheitsstreben sei. Deshalb sprach Möhler im gleichen Zusammenhang auch davon, dass die Erkenntnis der wahren Unterschiede auch dazu beitragen könne, falsche Differenzen abzutun und unbegründete Vorwürfe zurückzunehmen. (Fs)

19a Diese Grundsätze beanspruchen ihre Geltung auch für das gegenwärtige ökumenische Gespräch, in dessen Verlauf sich die Gesprächspartner ungleich nähergerückt sind als im 19. Jh. Aber gerade deshalb entsteht aufseiten eines vorzugsweise pragmatischen und auf den äußeren Erfolg ausgerichteten Denkens leicht der Eindruck, dass der endgültigen Einigung eigentlich nichts mehr entgegenstehe. So wird das Weiterbestehen der Trennung gelegentlich schon allein dem mangelnden guten Willen der Kirchenleitungen zugeschrieben und die Forderung erhoben, die Union einfach durch Schaffung von Tatsachen an der Basis, d. h. via facti herzustellen. Dabei wird zuweilen auch zugegeben, dass die Vereinigung vor allem im Praktischen, im Operativen und Pragmatischen erfolgen solle, in der Hoffnung, dass unter dem Einfluss dieser Dynamik die Angleichung in den Lehr- und Wahrheitsfragen wie von selbst folgen werde. In einer solchen Argumentation ist aber nicht nur verkannt, dass eine Einigung unter Ausschluss der Wahrheitsfrage weder theologisch zu rechtfertigen ist noch praktisch von Dauer sein kann. Es ist dabei auch die wirkliche Situation aller heutigen Kirchen übersehen, die durch eine weitreichende geistige Dissoziierung in den eigenen Reihen gekennzeichnet ist. Eine nüchterne Beobachtung der ökumenischen Szene kann den Blick vor der Tatsache nicht verschließen, dass durch die bestehenden christlichen Kirchen und Konfessionen noch einmal Trennungslinien, Front- und Fraktionsbildungen verlaufen, die manchmal so geartet sind, dass gewisse Teile der getrennten Kirchen in manchen Glaubensfragen und Glaubensbelangen einander näher stehen als den Gliedern der eigenen Kirche. In einer solchen Situation ist ein forciertes inter- und überkonfessionelles Einheitsstreben eigentlich nicht mehr gerechtfertigt; denn es könnte zu keiner geistigen Einheit führen, sondern nur zu einer willkürlichen Zusammenschließung von Bruchstücken. So ist es nicht zu umgehen, dass das Einheitsstreben von Kirchen, die in sich selbst auf mancherlei Weise uneinheitlich geworden sind (was häufig auch nicht mehr durch den meistens nicht ausgewiesenen Anspruch der "legitimen Vielfalt" überdeckt werden kann), bei diesen selbst beginnen muss. Es wäre nämlich nicht nur ein Verstoß gegen die Ökonomie der Kräfte, wenn sich in sich selbst gespaltene und dissoziierte Gebilde zusammenschlössen; ein solches Unternehmen wäre vielmehr auch religiös-theologisch widerspruchsvoll, weil gegen den tieferen Geist der Einheit und Wahrheit gerichtet. (Fs) (notabene)

19b Wenn hier der zweite Schritt nicht vor dem ersten getan werden soll, muss die Einheit der eigenen Konfession und Kirche jeder Einigungsbemühung in Bezug auf die andere Konfession und Kirche vorausgehen. Dem "Ökumenismus nach außen" muss der "Ökumenismus nach innen" vorausgehen oder jenem wenigstens gleichgeschaltet sein. Dieser "innere Ökumenismus" aber verlangt nach Erkenntnis des eigenen Wesens, nach Verständnis seiner Ganzheit und Besonderheit wie auch nach seiner lebendigen Verwirklichung in der eigenen Gemeinschaft. Nur aus der Kraft einer innerlich und geistig gefestigten Gemeinschaft kann es zu weiterausgreifenden Verbindungen und Einigungen mit anderen Gemeinschaften kommen. So spricht alles dafür, dass gerade für eine Förderung des ökumenischen Anliegens heute die Frage nach dem eigenen Sein und Wesen angemessen und notwendig ist; denn nur wenn die Eigenheit des Wesens erfasst ist, kann es auch zu einer wesentlichen und nicht nur äußerlichen und akzidentellen Einigung kommen, die den Ansprüchen des Geistes und der Wahrheit standhalten kann. Freilich: Wenn sich dabei herausstellen sollte, dass wegen der Verschiedenartigkeit im Wesentlichen eine solche Einigung noch nicht möglich ist, müsste man manche Illusionen bezüglich einer baldigen Wiedervereinigung aufgeben. Aber damit wäre der Sache durchaus nicht geschadet, sondern allen Beteiligten nur ein noch größerer Ernst und eine noch größere Mühe auf dem schwierigen Weg abverlangt. (Fs)

20a Wo eine solche Ganzheitsschau und Einheitsauffassung des eigenen Wesens erstrebt wird, liegt jede kontroverstheologische oder gar polemische Absicht fern. Einer solchen Wesensschau ist nicht einmal an einem komparativischen Vorgehen oder an einem Überlegenheitsnachweis des katholischen gegenüber dem protestantischen Christentum gelegen, sondern allein an einem tieferen Verständnis des Eigenen. Weil dieses Eigene aber zu dem Anderen in geschichtlich nicht wegzudenkenden Beziehungen der Hinneigung und der Spannung steht, kann die Untersuchung faktisch auf den Vergleich, die Entgegensetzung und die Zusammenführung mit dem Anderen nicht verzichten. Ein solches Vergleichen aber muss nicht zu weiteren Distanzierungen führen. Es kann im Gegenteil durch das Erschließen des Verständnisses des Eigenen am Anderen auch neue Möglichkeiten der Verbindung und des Zusammenwachsens eröffnen. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Katholizität, katholisch; Vermittlung des Katholischen an die Welt 1; subjektive Erwartungshaltung an die Kirche; fragwürdiger Konformismus

Kurzinhalt: ... Erwartungshaltung gegenüber der Kirche, die so lange vorhält, als sie von der Realität der Kirche ... nicht enttäuscht wird... Wenn die Eigengestalt und das spezifische Wesen nicht mehr sichtbar werden, müssen sich schließlich auch die Christen ...

Textausschnitt: d. Die Vermittlung des Katholischen an die Welt

20b Das Bemühen um die Wahrung der Identität darf nicht mit einer internen Selbstbetrachtung verwechselt werden, die man heute der auf sich selbst reflektierenden Kirche zum Vorwurf macht. Es muss auch im Dienste einer werbenden Verständnisvermittlung des Katholischen an die Welt stehen, d. h. einen gewissen missionarischen Auftrag (im weiteren Sinne) zu erfüllen suchen. (Fs)
20c Die Darstellung des Katholischen der Welt gegenüber steht heute fast ausschließlich unter dem Zwang zur Anpassung und zur Selbstkritik, die manchmal schon einer Selbstverachtung nahe kommt.1 Dabei ist allerdings nicht zu erkennen, dass die so angesprochene "Welt" von diesen Grundeinstellungen wesentlich betroffen würde. Man handelt auf dieser Seite, wie ein launiger Journalist einmal bemerkte, entsprechend dem in einem Volkslied anklingenden Grundsatz: "Jetzt gang i ans Brünnele; trink aber net", d. h. man bringt solcher Anpassung eine gewisse unverbindliche Aufmerksamkeit entgegen, ohne doch von ihr innerlich betroffen zu werden. (Fs)

21a Dabei ist nicht einmal garantiert, dass die so erweckten Sympathien der öffentlichen Meinung tiefer wurzeln und beständig bleiben. Sie kommen nämlich aus einer subjektiven Erwartungshaltung gegenüber der Kirche, die so lange vorhält, als sie von der Realität der Kirche, zu der nicht nur ihr "mystisches" Wesen und ihre ethischen Forderungen, sondern auch ihre immer wieder zutage tretenden Menschlichkeiten gehören, nicht enttäuscht wird. Wo aber die Kirche einmal die Tiefenschicht ihres Glaubens hervorkehrt oder wo sie mit wesentlichen ethischen Forderungen an die Öffentlichkeit dringt, erfolgt nicht selten ein Meinungsumschwung, der die ganze Vordergründigkeit des Einverständnisses der Welt mit der Kirche offen legt. (Fs)

21b Solche abrupten Wendungen und Enttäuschungen sind unvermeidlich, wenn die Kirche der Welt nicht ein beständiges, ungeschminktes, von Höhen und Tiefen gekennzeichnetes Bild ihrer selbst vorhält, das nicht immer gefällig wirken kann, das aber plausibel erscheinen muss. Bei dem angesichts des heutigen Pluralismus herrschenden Nebeneinander von entgegenstehenden Weltauffassungen und Welthaltungen kommt es nicht unwesentlich auf die Vermittlung der eigenen Plausibilitätsstruktur an. Darunter ist die innere Konsistenz und Sinnhaftigkeit wie die äußere Durchsichtigkeit oder Transparenz des betreffenden geistigen Gebildes zu verstehen. Soziologisch betrachtet kann sich unter konkurrierenden Weltauffassungen und Religionen eine bestimmte Einzelform nicht als diffuses Mischwerk empfehlen und halten, sondern nur als innerlich konsistente und äußerlich festumschriebene Größe, die als gefügte Gestalt erscheint, ohne dabei die Offenheit zu anderen hin preisgeben zu müssen. Von daher ist es fraglich, ob eine christliche Gemeinschaft ihre Plausibilitätsstruktur nur im welthaften Engagement, im säkularen Interesse und in weltimmanenter Zukunftsorientierung ausformen kann. Ein solcher Konformismus mag zwar in das Ensemble menschlicher Kräfte eine weitere Stimme einbringen. Aber es ist darin jedenfalls keine originelle und eigenartige Stimme. Wenn die Eigengestalt und das spezifische Wesen nicht mehr sichtbar werden, müssen sich schließlich auch die Christen die Frage gefallen lassen: "Warum soll man eigentlich Psychotherapie oder Rassenfriedensparolen noch in christlicher Verpackung kaufen, wenn man sie um die Ecke in weltlicher haben kann, die immerhin doch noch ein bisschen mehr à la mode ist?"2 Darum ist auch die Warnung nicht in den Wind zu schlagen, dass eine völlige Verlagerung des christlichen Interesses in den sozialen Prozess hinein die Selbstpreisgabe der christlichen Kirchen befördern könnte.3 (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Katholizität, katholisch; Vermittlung des Katholischen an die Welt 2; das Christliche: vage Bestimmung

Kurzinhalt: Zur Zeit, da es noch keine Konfessionen im neuzeitlichen Sinne gab, konnte dieser Beiname keinen abgrenzenden, exklusiven Sinn an sich tragen. Er war vielmehr Ausdruck für etwas Spezifisches am Christentum ...

Textausschnitt: 22a So ist auch aus Gründen der Weltzuwendung die Forderung nach der Bestimmung des eigenen Wesens und nach Ausprägung der spezifischen Gestalt zu erheben. Sie ist aber nicht schon erfüllt durch die Hervorhebung eines allgemein christlichen Anspruchs unter Absehen von der konfessionellen, bekenntnismäßigen Eigentümlichkeit. Vom Ursprung her ist nämlich die Konfessionsbezeichnung des "Katholischen" keinesfalls eine zur Abgrenzung und Distanzierung geschaffene Bestimmung, sondern eine solche zur Konkretisierung und Individualisierung des eigenen Wesens und der eigenen Gestalt. Dies zeigt sich noch deutlich an der Formel des Pacianus v. Barcelona (+ um 392), der das Epitheton "katholisch" als Beinamen verstand, welcher dem Geschlechtsnamen wegen einer großen Leistung seines Trägers oder einer ihn auszeichnenden Eigenschaft hinzugefügt wurde. Daher der Grundsatz des Pacianus: "Christianus mihi nomen est, Catholicus vero cognomen."4 Zur Zeit, da es noch keine Konfessionen im neuzeitlichen Sinne gab, konnte dieser Beiname keinen abgrenzenden, exklusiven Sinn an sich tragen. Er war vielmehr Ausdruck für etwas Spezifisches am Christentum und Mittel zu seiner Individualisierung und Konkretisierung. (Fs) (notabene)

22b Auf diese Konkretisierung kann der christliche Glaube nicht verzichten, wenn er der Welt nicht seine ganze Realität vorenthalten will, die heute nur zusammen mit der "Konfessionsbezeichnung" dargeboten werden kann, auch wenn diese sogleich auch auf das bedauerliche Gespaltensein der Christenheit verweist. Freilich wird man heute katholischerseits vor der Hervorkehrung dieses sogenannten "Konfessionsstandpunktes" gegenüber der Welt eine gewisse Scheu empfinden und Zurückhaltung wahren. Es scheint jedenfalls kein Zufall zu sein, dass im katholischen Bereich Selbstdarstellungen in der Art des "Wesens des Katholizismus"5 oder der "Katholischen Frömmigkeit"6 selten geworden sind. Statt dessen dominieren Titel und Thesen, die sich mit dem Christlichen als solchem befassen und die in umgekehrter Sinnrichtung danach streben, das "Katholische" auch als christlich auszuweisen.7 Das legitime Anliegen dieser Versuche zur Verständnisvermittlung an die Welt kann nicht geleugnet werden. Gelegentlich wird aber die Schwierigkeit sichtbar, das Spezifische des Christlichen zu formulieren. (Fs)

23a Wenn so etwa das "Christliche" in seinem Wesen bestimmt wird als die in Jesus geoffenbarte "Treue und Liebe Gottes" oder als das "Sein für andere" oder als "radikales Menschsein", so kann man solchen Umschreibungen gegenüber die Frage stellen: Worin ist das spezifisch Christliche gelegen? Man kann nämlich ein "Spezificum" nicht dadurch gewinnen, dass man ein altbekanntes geistliches oder menschliches Moment intensiviert oder radikalisiert, also etwa für Gottes Treue, um die alle religiösen Menschen wissen, "bleibende" Treue sagt, oder für "Menschlichkeit", an der alle Menschen teilhaben und auf die alle verpflichtet sind, "radikale Menschlichkeit". (Fs)

Darum hat auch der umgekehrte Weg seine Berechtigung, der mit der Konkretion des "Katholischen" beginnt. So ist man der Gefahr enthoben, bei einem Ideellen oder Abstrakten zu verbleiben. Anders gelangt man schwieriger zur Konkretion dessen, was "Konfession" und "Kirche" beinhalten. Auch der als Ersatzlösung unternommene Versuch, die mangelnde Konkretion im Rückgang (es müsste meist schon heißen in einem abrupten "Rücksprung") auf den Menschen Jesus von Nazaret zu erreichen, ist dann zum Scheitern verurteilt;8 denn außerhalb der konkreten Konfession und der lebendig glaubenden Gemeinde muss auch dieser Jesus ein bloßes Vorbild oder Ideal bleiben, wenn er nicht gar zu einer willkürlichen Konstruktion wird, in der jeder neue Verfasser nur seine eigenen Intentionen unterbringt. (Fs)

23b So erhebt sich die Gefahr, dass das Christentum zu einem "politischen" Programm wird. Was aber ist ein Programm anderes als die ausführlichere Artikulierung einer Idee, eines Begriffs und eines Prinzips? So enden viele Versuche zur Vermittlung des Christlichen an die Welt heute in allgemeinen Appellen an das soziale Engagement und an die radikalere Menschlichkeit, wie sie in humanistischen Manifesten auch am Platze wären. Das Fehlen der Konkretion durch Nichtbeachtung des bekenntnishaften "Katholischen" vermag der angesprochenen Welt zwar eine manchmal willkommene Selbstbestätigung anzubieten, sie aber nicht mit dem Einmaligen und immer Neuen des Offenbarungsglaubens zu konfrontieren. (Fs)

23c Dass an diesem Punkte im katholischen Bereich heute ein wirklicher Ausfall zu verzeichnen ist, kann ein Blick auf die evangelische Theologie deutlich werden lassen, die bezeichnenderweise eine solche Zurückhaltung gegenüber dem eigenen "Konfessionellen" nicht kennt. Es gibt auf evangelischer Seite eine reiche Zahl an Selbstdarstellungen des eigenen konfessionellen Standpunktes, die vom hochwissenschaftlichen Niveau bis hin zur Stufe der vorwissenschaftlichen Erklärung und Vermittlung reichen. Unter wissenschaftlicher Rücksicht ist hier wiederum das große Werk von W Eiert zur "Morphologie des Luthertums" zu nennen,9 das eine mit allen Mitteln des modernen philosophischen, soziologischen und theologischen Denkens unternommene Strukturanalyse und Synthese des Luthertums darstellt und eine gestalthafte Typologie bietet, die weit über die "Symboliken" des 19. Jhs., aber auch über die ziemlich generalisierende "Konfessionskunde" des 20. Jhs. hinausgeht.10 Der katholische Christ, der dieses Buch mit einer gewissen Neigung für den Gegenstand, aber auch für die sachliche, strenge und in keiner Weise aufdringliche Art dieser Wissenschaftlichkeit liest, wird von seinem Endergebnis nicht unbeeindruckt sein. Es besteht in einer hochgemuten Anerkennung der Reformation und des Luthertums als den entscheidenden, nicht umkehrbaren Ereignissen der Neuzeit, die das römische Prinzip außer Geltung setzten. "Der Beitrag der deutschen Reformation für das Werden des modernen Zeitgefühls besteht in erster Linie in der Auflösung der Stabilität Roms. Dies war nicht nur ein kirchlicher Akt. Es war ein Ereignis der Kulturmenschheit. ... Durch die Reformation wurde Rom in den Strom der Geschichte hineingerissen."11 Aus dem Werk tritt eine ähnliche Überzeugung hervor, wie sie, von ganz anderen Grundlagen aus, der spanische Universalgelehrte Miguel de Unamuno, selbst von Herkunft Katholik, aber dann zu einem Freigeist aus Überzeugung geworden, im Hinblick auf das Christentum in der modernen Welt vertrat, dem er ganz objektiv noch eine gewisse Chance einräumen wollte. Er gewährte aber bezeichnenderweise diese Chance nur dem Protestantismus, nicht dem Katholizismus. Nach seiner Auffassung bietet der Protestantismus "die einzige Lösung, die uns vom Unglauben oder der Gleichgültigkeit... bewahren kann"12 in dieser modernen Welt. Man sollte sich heute als Katholik mit solchen hochgemuten Aussagen des Protestantismus konfrontieren,13 sowohl aus Gründen des ökumenischen Anliegens, aber auch aus Gründen der Selbstvergewisserung des eigenen Glaubensstandpunktes. Man könnte an solchen eindeutigen Bekundungen, an solchen kraftvollen Äußerungen der Vertreter des anderen Bekenntnisses nicht nur die Selbstprüfung vornehmen, ob der eigene Glaube auch noch diese Stärke besitzt. Man könnte solche Aussagen gleichsam auch zum Prüfstein nehmen, ob man ihnen auf intellektueller Ebene wirklich etwas entgegenzusetzen hat und ob man noch aus voller intellektueller Redlichkeit katholisch ist. (Fs)

25a Es würde sich dabei in vielen Fällen zeigen, dass nicht nur die einfachen Katholiken "Traditionskatholiken" sind - was aber im übrigen für diese völlig legitim ist -, sondern dass gerade die sogenannten intellektuellen Katholiken ihren Glaubensstandpunkt als katholische und moderne Menschen schwer begründen können, und dass sie möglicherweise zuletzt nur aus traditionellen Gründen bei der Kirche bleiben, was für sie als Intellektuelle aber durchaus widersprüchlich wäre. (Fs) (notabene)

Es scheint, dass sich das katholische Denken gerade gegenüber der modernen, rationalen und so wissenschaftlich gewordenen Welt dieser Selbstprüfung aufs Neue unterziehen muss. Wie D. Fr. Strauß (f 1874) im vergangenen Jahrhundert14" auf einem Scheitelpunkt der damaligen Geistesentwicklung die harte Frage "Sind wir noch Christen" stellte15 (und sie eben so hart und eindeutig negativ beantwortete), so ist dem katholischen Christen heute die ähnliche Frage gestellt: "Sind wir noch katholisch?" - im Sinne der von der Tradition gemeinten Katholizität (und gerade für das Katholischsein ist diese Tradition indispensabel, auch wenn sie weiterentwickelt wird), die den Wesenssinn des einmal Geoffenbarten und von der Kirche verkündeten Glaubens festhält, die sich also auch zu den heute als anstößig empfundenen Wahrheiten wie zur Gottheit Christi, zur göttlichen Stiftung der Kirche, zum Papsttum und seiner Unfehlbarkeit, zur sakramentalen Ordnung oder zu Maria bekennt, und zwar in der Weise des Festhaltens an Realitäten, nicht aber an idealistischen Wahrheiten oder an existentialistischen Bedeutsamkeiten. Es wäre jedenfalls ein Irrtum, vor alle diese Wirklichkeiten die idealistische Klammer oder das existentialistische Minuszeichen setzen zu wollen und sich dann noch mit der Tradition eins zu wissen. (Fs)

25b Wenn so die Notwendigkeit der Frage nach dem Wesen des katholischen Christentums feststeht, stellt sich die schwierigere Frage nach dem Weg und der Methode, vermittels welcher eine solche Wesensschau gelingen kann. Es ist nicht nur eine Forderung der Wissenschaftlichkeit, dass man sich nicht mit subjektiven Einfühlungen in die katholische Religiosität zufrieden gibt, sondern es ist auch eine Frage des praktischen Erfolgs dieser Erkenntnisbemühung, dass man das Phänomen richtig angeht, es auf die rechten Kategorien bringt und es in adäquate Aussageformen fasst. Wenn man das nicht tut, läuft man Gefahr, sich in gläubigen Anmutungen zu bewegen, die weder zum Wesen vorstoßen noch Unterschiede in den Griff zu bringen vermögen. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Mitte des Katholischen; Formel "et - et"; sola fide, sola criptura -- Glaube u. Sakrament, Schrift u. Tradition, lex orandi u. lex credendi, Natur u. Gnade, Geschichte u. Idee; Fr. Heiler: "Universalismus u. Einheit", "Kontinuität u. Fortschritt" ...

Kurzinhalt: Gegenüber dem evangelischen "sola fide" gilt dann für den Katholizismus "Glaube und Sakrament"; gegenüber dem "sola scriptura" gilt das "Schrift und Tradition" oder "Schrift und Kirche", gegenüber einem pietistischen Christentum ...

Textausschnitt: 27c Dieses Ganze ist auf jeden Fall (das kann schon an dieser Stelle sichtbar werden) eine komplexe Größe. Von diesem Eindruck bestimmt, hat man eigentlich immer gewusst, dass der Katholizismus nicht unter einem einzigen Aspekt eingefangen und nicht auf ein einziges theoretisches Prinzip festgelegt werden könne. Man hat, gewiss noch nicht in besonders tiefgründiger, aber doch in anschaulicher Weise, dafür die Kurzformel vom katholischen "et - et", vom "sowohl - als auch" geprägt. Damit sollte in Unterscheidung vom evangelischen "sola" der Tatbestand der Polarität des Katholizismus zum Ausdruck gebracht werden. (Fs) (notabene)

28a Es ist tatsächlich bemerkenswert, dass die katholische Theologie bislang niemals ein einziges Prinzip für den Katholizismus formulierte, wie das die protestantische Theologie der Neuzeit mit dem "sola-fide-Prinzip" und dem "sola-scriptura-Prinzip" tat. Der Protestantismus formulierte im 19. Jh. sein sogenanntes "Materialprinzip", worunter die inhaltliche Kraft und Wirklichkeit verstanden wurde, die Wesen und Gehalt des evangelischen Christentums bestimmt, nämlich die "Rechtfertigung aus Glauben allein" (und nicht aus irgendwelchen Werken). Dem entsprach die Aufstellung des sogenannten "Formalprinzips" als der äußeren Norm und der autoritativen Instanz für das protestantische Glaubensleben: die Hl. Schrift. In Wirklichkeit aber handelt es sich zuletzt dabei doch wohl um ein einziges Prinzip, weil die Hl. Schrift nicht als objektive Norm und Autorität des Glaubens verstanden wird. Sie gewinnt nämlich erst im Glauben selbst Autorität, d. h. wenn ein Mensch sie im Glauben als Gotteswort hört und anerkennt. So ist das letzte und einzige Prinzip des Protestantismus der individuelle, (man darf mit gewisser Einschränkung sagen) der subjektive Glaube. Es ist deshalb nicht unzulässig, wenn man mit Paul Tillich den Protestantismus auf das Prinzip des "Prophetischen" zurückführt,1 das offensichtlich identisch gesetzt werden kann mit dem im Subjekt entspringenden Glauben oder dem "testimonium internum Spiritus Sancti". (Fs) (notabene)

Auch wenn mit evangelischen Theologen zuzugeben ist, dass es sich hier um schematisierende Kurzformeln handelt, die nicht die ganze Wirklichkeit ausdrücken, so sind sie als solche doch in gewisser Hinsicht für das Verständnis förderlich. Es genügt, vorerst aus diesem Sachverhalt für den Katholizismus nur die Erkenntnis zu entnehmen, dass der Katholizismus eine solche Zurückführung auf ein Prinzip nicht kennt. Das aber hat seinen Grund darin, dass der Katholizismus eben eine komplexe Wirklichkeit darstellt, deren Kennzeichnung mit einem einzigen theoretischen Prinzip nicht möglich erscheint. (Fs)

28b Aus diesem Grunde hat man sich damit geholfen, im Gegenüber zum Protestantismus und zur Unterscheidung seines "sola" zur Kennzeichnung seiner Eigentümlichkeit die Formel "et - et" zu benutzen. Sie ist natürlich auch nur ein Schema und eine Abstraktion von der vollen Wirklichkeit. Aber wenn man das Schema inhaltlich auffüllt, kommt man doch zu einigen bemerkenswerten Einsichten, die schon ein gewisses Wesensverständnis des Katholischen eröffnen. Gegenüber dem evangelischen "sola fide" gilt dann für den Katholizismus "Glaube und Sakrament"; gegenüber dem "sola scriptura" gilt das "Schrift und Tradition" oder "Schrift und Kirche", gegenüber einem pietistischen Christentum, das nur auf die innere Erfahrung und auf die praktische Betätigung des Religiösen aus ist, gilt das schon erwähnte "lex orandi und lex credendi"; gegenüber einem theologischen Rationalismus müssen die Grundsätze "Natur und Gnade" und "Glaube und Wissen" zur Geltung gebracht werden; gegenüber einem rein idealistischen Verständnis des Christentums der Grundsatz "Geschichte und Idee"; gegenüber dem Existentialismus die These "Objektivität und Subjektivität". (Fs) (notabene)

29a Fr. Heiler hat in seinem Buch über den "Katholizismus. Seine Idee und seine Erscheinung" dieses "Und", welches das Siegel für die Komplexität oder Komplementarität des Katholischen ist, noch weiter aufgeschlüsselt und als Religionspsychologe auch ins Religiöse und Psychologische hinein entfaltet. Er fügte daraufhin die Verbindungen "Universalismus und Einheit", "Kontinuität und Fortschritt", "Toleranz und Exklusivität", "Gemeinschaftsgebundenheit und Personalismus" und schließlich "Supranaturalismus und Inkarnationalismus" als Charakteristiken noch hinzu.2 Aber Heiler verstand diese Gegensatzpaare weithin als Ausdruck eines Synkretismus, wie schon angedeutet wurde. So gelang es ihm nicht, dahinter die verborgene Einheitskraft oder das Einigungselement ausfindig zu machen, die Form oder die Seele des Ganzen zu erfassen, die offenbar gefunden werden muss, wenn der Zusammenhalt der Gegensätze und das Aushalten der Spannungen erklärt werden soll. Mit dem Vorwurf des "Synkretismus" ist nicht nur ein negatives Werturteil gefällt, es ist vor allem damit nichts für das tiefere Wesensverständnis des Ganzen gewonnen. (Fs)

29b Das hat nun allerdings für die hier anstehende Vorfrage nach dem rechten Weg einer Wesensbestimmung des Katholischen die Folge, dass man anerkennen muss: Es genügt für eine solche Wesensbestimmung nicht, die gegeneinander stehenden Pole oder Gegensätze ausfindig zu machen und sie als komplementäre Elemente zu beschreiben. Auch eine logische Aneinanderreihung oder Gegenüberstellung solcher Elemente genügt nicht, um ein Wesensverständnis des Katholischen zu gewinnen. (Fs)

29c Das Abschreiten dieser negativen Möglichkeiten bietet den Grund, den Weg nun positiv zu bestimmen. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Bestimmung d. Katholischen; die synthetische Schau

Kurzinhalt: Unter der Lebenskraft oder der "Idee" des Ganzen ist nicht etwas Abstraktes verstanden wie beim "Begriff", sondern der dem betreffenden Seienden innewohnende Logos, die innerste lebendige Wahrheit ...

Textausschnitt: c. Die synthetische Schau

30a Gerade wenn man davon überzeugt ist, dass der Katholizismus ein komplexes "System" darstellt,1 dass ihm ein gewisser besonderer Spannungsreichtum und eine gewisse "complexio oppositorum" eignet, muss man als erste methodische Anforderung an das Verfahren zu seiner Wesenserfassung die Auffindung seiner Grundkraft, seiner geistigen Entelechie, seiner "Idee" postulieren. Wenn hier nach der "Idee" gefragt wird, so ist diese wohl zu unterscheiden vom "Begriff" oder von einem formalen Prinzip. Das "et - et" und das reformatorische "sola" sind zwar als Prinzipien anzuerkennen, aber sie reichen auch zur Deutung nicht hin, weil sie keine "Ideen" sind. Unter der Lebenskraft oder der "Idee" des Ganzen ist nicht etwas Abstraktes verstanden wie beim "Begriff", sondern der dem betreffenden Seienden innewohnende Logos, die innerste lebendige Wahrheit, das Urbild, nach dem sich alle Ausgestaltungen richten und von dem sie durchdrungen sind. (Fs)

30b Wenn man diese Forderung aufstellt, die für eine Wesensschau unerlässlich ist, stellt sich sofort die Frage, wie eine solche lebendige Idee des Katholizismus zu gewinnen sei. Einem geschichtlichen und in dieser Hinsicht auch empirischen Denken wird es nahe liegen, zu antworten: Man muss die historischen Erscheinungsformen des Katholischen, konkret der katholischen Kirche, durchgehen und aus ihnen das Bleibende herauszufinden suchen, das die Identität in den verschiedenen Ausgestaltungen wahrte. Das wäre dann die Idee. Aber abgesehen davon, dass man rein faktisch die Fülle der Erscheinungen gar nicht durchgehen kann, die ja zudem noch nicht abgeschlossen sind, stellt sich hier die Frage, ob man ohne eine voranleuchtende Idee2 vom Ganzen die wechselnden Erscheinungen überhaupt auf einen Nenner bringen kann und ob man auf diesem Wege nicht auch wieder bei einem Synkretismus landet. (Fs) (notabene)

30c Hier nähert sich die Frage nach dem rechten Weg oder der richtigen Methode an ihr Ende, das selbst methodisch nicht noch einmal abgeleitet und begründet werden kann. Dieses Ende liegt in der Behauptung: Man muss in gewisser Weise schon um die "Idee" wissen, man muss wenigstens ein Vorverständnis von ihr haben, um die Ausgestaltungen und Erscheinungen deuten zu können, die ja überhaupt nicht in sachlicher und historischer Vollständigkeit darzubieten sind. Man muss andererseits an der Analyse der Gestalten, der Ausformungen und Erscheinungen dieser Idee, von der man zuerst nur ein Vorverständnis hat, das endgültige Verständnis dieser Idee gewinnen. In ihrem Licht können dann die Ausformungen und Gestakungen als "katholische", d. h. als zum Wesen des Katholischen gehörende verstanden werden. (Fs)

31a Das ist eine methodische Grundlegung, die in Übereinstimmung steht mit dem Grundgesetz der Hermeneutik, dass man nämlich schon etwas verstanden haben muss, um in der Erkenntnis weiterzuschreiten und schließlich ein gesichertes, in gewisser Weise abschließendes Verständnis des Ganzen zu gewinnen. (Fs)

Diese Idee bestimmt und durchdringt sicher nicht nur die Inhalte (Wahrheiten und Dogmen) des katholischen Glaubens. Die "Idee" eines Bauwerkes kann nicht ausschließlich an seinen Materialien erkannt werden, an Mauern, Säulen und Wölbungen. Sie drückt sich viel bestimmter in dem aus, was dem Material die eigentümliche Prägung, die ganzheitliche Formung und den besonderen Stil verleiht. Es geht gerade auch um die Erkenntnis der Baugesetze, der Struktur- und der Formwelt des Katholischen. Nur so kann die katholische Glaubenswelt als "Wahrheit und Gestalt" in ihrer Ganzheit erkannt werden. (Fs)

31b Die zum Gewinn einer solchen Ganzheitsschau notwendige subjektive Denkeinstellung oder der dafür geforderte "Blick" kann nicht ein analysierender, abstrahierender und rein theoretischer (allein mit Verstandesargumenten vorgehender) sein. Es ist eher ein "synthetischer Blick", der mit den "Augen des Herzens" das Wesentliche erfassen, zu geistiger Anschauung bringen und in seiner sinnvollen Zusammengehörigkeit aufdecken möchte. Es sollte dadurch in einer einfühlenden Anschauungsweise das Sinnganze des Katholischen zur Erscheinung gebracht werden, ohne eine streng beweisende Deduktionsmethode, sondern durch positiven Aufweis der Gestalt, so wie sie sich dem betrachtenden Denken darbietet. Damit ist auch schon angedeutet, dass in der Darstellung der Einzelheiten keine Vollständigkeit geboten werden kann. Die Darstellung eines "göttlichen Ganzen", wie es der Katholizismus seinem Selbstverständnis nach ist, kann nur in der Art einer Skizze oder eines Grundrisses gelingen, der jedoch nicht einer Konstruktion entspringt, sondern aus einer phänomenologischen Sicht3 der gegebenen Wirklichkeit und aus einem Kontakt mit ihr kommt. Zum Erfassen dieser Wirklichkeit, die freilich demjenigen nicht vermittelt werden kann, der nicht wenigstens von einer gleichen Neigung zum Gegenstand betroffen ist, gehört nicht die Aufzählung aller Einzelmomente und Einzelmerkmale. (Fs)

31c Insbesondere gehörten in eine solche Wesensschau, die auf das Sosein und die geistige Individualität des Ganzen geht, nicht die Entstellungen und die menschlichen Verunklärungen des Wesens hinein, welche durch die Existenz einer "Kirche der Sünder" gegeben sind. Man sollte sich hier nicht an die Kritik halten, die K. Adam widerfuhr, weil er im "Wesen des Katholizismus" das Menschliche nur beiläufig behandelt und so eine Kirche "ohne Runzel und Makel"4 gezeichnet hätte. In Wirklichkeit können und wollen diese Mängel von niemandem geleugnet werden. Aber sie sind nicht, wie damals behauptet wurde, "zu einer metaphysischen Einheit"5 mit der Kirche verbunden. Wo es zuletzt um die Erkenntnis dieser geistigen Einheit geht, muss über sie nicht eigens und ausführlich gesprochen werden, obgleich immer an sie gedacht ist, wenn das Ideal gezeichnet wird. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Formelemente d. Katholischen 1; Problem d. Denkform; Patristik, Scholastik (Bonaventura, Thomas; Wesenserkenntnis, Sinnenwelt als Symbol und Zeichen), Mystik (fälschliche als Pantheismus gedeutet); moderne theologische Denkform

Kurzinhalt: Danach darf die "Denkform" als ein formales, strukturierendes Prinzip verstanden werden, das alle gedanklichen Inhalte prägt, das ihnen eine eigentümliche Gestalt, eine Ordnung und einen Typus verleiht.

Textausschnitt: a. Das Problem der Denkform

33a Wenn man sich auf die Frage nach den Formelementen des katholischen Glaubens und Lebens einlässt, d. h. das Problem der Strukturen, des Stiles, der inneren Voraussetzungen und Bedingungen für alle inhaltlichen Aussagen aufgreift - und das ist beim heutigen Stand reflexiven wissenschaftlichen Denkens nicht anders möglich -, dann muss man diese Frage am tiefliegendsten und wurzelhaftesten Punkte angreifen. Das geschieht dort, wo man nach der allgemeinsten Voraussetzung unseres Denkens und Sprechens fragt, die alle Inhalte unbewusst prägt und mitgestaltet. Das ist nach heutiger Erkenntnis die Denkform oder die Denkstruktur. (Fs)

33b Es ist freilich eine offene Frage, ob es so etwas wie eine "katholische Denkform" gibt und geben kann. Eine bejahende Antwort auf diese Frage darf jedenfalls nicht vorschnell erfolgen. Sie könnte zu einer vereinseitigten Auffassung führen, aus der sich durchaus negative Folgerungen ergeben könnten. In Konsequenz müsste man dann wohl auch von einer "katholischen Philosophie", einer "katholischen Wissenschaft", einer "katholischen Politik" und Ähnlichem sprechen, was offenbar nicht möglich ist. Andererseits ist die Frage als solche nicht unberechtigt. Sie ist von katholischen Theologen, zumal von solchen, die am ökumenischen Gespräch führend beteiligt sind, immer wieder gestellt worden, u. a. von H. Urs v. Balthasar1 und J. Lortz.2 Ihre Berechtigung kann heute auch von der anderen Seite her aufgewiesen werden. In dem Werk des protestantischen Soziologen G. Schmidtchen "Protestanten und Katholiken"3 wird an einer Fülle von Materialien, deren korrekte Deutung nicht zu bezweifeln ist, der Nachweis gebracht, dass die Konfessionen noch heute die äußeren Lebensgewohnheiten der betreffenden Kirchenglieder in einem erstaunlichen Maße prägen, und zwar selbst derjenigen, die in keinem direkten Kontakt mit ihrer Kirche mehr stehen und sozusagen aus ihr emigriert sind. Die hier vorgenommene statistische Analyse ergreift eine Reihe von Unterschieden im Lebensstil, die aber auch tiefer in innere Einstellungen und personale Haltungen hinabreichen. So trifft Schmidtchen als evangelischer Soziologe Feststellungen, die ein katholischer Theologe nicht auszusprechen wagte, weil er sofort befürchten müsste, dass sie das interkonfessionelle Gespräch stören könnten. Er stellt so u. a. fest, dass Protestanten, aus ihrer Grundhaltung heraus, wenig glauben zu müssen, viel bereitwilliger und mehr "Unfug"4 glauben als Katholiken; dass sie politisch unzuverlässiger sind und dass sie wegen der unaufhörlichen Berufung auf die Autonomie des Gewissens immer neue Überzeugungen produzieren müssen; denn ein innerliches Autonomiebewusstsein muss sich immer wieder in solchen äußeren Unabhängigkeitsbezeugungen artikulieren.5 (Fs) (notabene)

34a All diese Unterschiede liegen für die vorliegende Fragestellung zwar verhältnismäßig an der Oberfläche. Aber Schmidtchen lotet an einigen Stellen noch tiefer und kommt zu der Behauptung, dass die "Bewusstseinsstrukturen" von Protestanten und Katholiken außerordentlich verschieden sind. Das aber ist eine Feststellung, die nach der Herausarbeitung der vielen äußeren Unterschiede im Lebensstil und in der Lebensauffassung durchaus nicht mehr unerwartet kommt. Ohne dass man aus diesem Tatbestand gleich einschneidende Folgerungen für die Wesensbestimmung der Konfessionen ziehen dürfte, gibt er doch soviel her, dass die Frage nach einer eigentümlichen katholischen (oder auch protestantischen) Denkform nicht als unsachgemäß angesehen werden kann. (Fs)

Bevor man sich aber daran begibt, diese Frage definitiv zu beantworten, muss man sich bezüglich des Begriffs der Denkform verständigt haben. Der Begriff hat seinen Ursprung bei Kant und Hegel und ist über H. Leisegang von E. Przywara, G. Söhngen, M. Schmaus u. a. auch in die moderne katholische Theologie übernommen worden.6 Trotz der Verschiedenartigkeit des Begriffsgebrauches gibt es doch eine gemeinsame Grundachse, die einen einheitlichen Grundsinn erkennen lässt. Danach darf die "Denkform" als ein formales, strukturierendes Prinzip verstanden werden, das alle gedanklichen Inhalte prägt, das ihnen eine eigentümliche Gestalt, eine Ordnung und einen Typus verleiht. Die Denkform wirkt ähnlich wie der Stil beim Sprechen und Schreiben, von dem man sich bekanntlich auch nur schwer trennen kann. (Fs) (notabene)

34b Solche Denkformen sind nicht rein logisch begründet und von der Logik verursacht, die ja eigentlich bei allen Menschen die gleiche sein müsste. Sie sind vielmehr mit einer Grundschicht verbunden, die in die Tradition, in die Erfahrung und in das Lebensgefühl hinabreicht. Sie sind freilich auch von der Vernunft beeinflusst und von Elementen bestimmt, die aus der Weltanschauung oder aus einer bestimmten Philosophie kommen. Es handelt sich demnach um anthropologische Grundstrukturen, die als Muster für die Auffassung der Wirklichkeit wirken und die diese Wirklichkeit immer in einer bestimmten Form darbieten oder in einem bestimmten Raster einfangen, so dass davon auch der Bezug zur Wirklichkeit bestimmt wird. (Fs)

35a Man kann sich das Gemeinte wegen seiner Bedeutung auch an geschichtlichen Beispielen verdeutlichen. H. Leisegang ging die Existenz solcher Denkformen und ihrer Bedeutung an der Lektüre der biblischen Schriften auf. Er empfand die Schwierigkeit, die stark antithetisch und gegensätzlich gefassten Behauptungen zu harmonisieren, etwa die Aussagen über die Nähe des Gottesreiches und andererseits über sein erst in Zukunft zu erwartendes Kommen. Solche Gegensätze sah er besonders bei Paulus gegeben, etwa in den Aussagen über das schon verwirklichte Christsein, über das "in Christus sein", und andererseits über das notwendige Christwerden, das sich etwa in der Formel ausspricht: "Ziehet Christus an" (Röm 13,14), "werdet ihm gleichförmig" (Röm 8,29). Er erkannte dabei richtig, dass es sich hier nicht um einfache Widersprüche handele, weil der Geist des Menschen, zumal des religiösen Menschen, nicht in Widersprüchen leben könne. So kam er schließlich zu näheren formalen Bestimmungen dieser paulinischen Denkform und sagte von ihr, es handele sich um ein am Phänomen des Lebens orientiertes Denken, das immer in Bewegung sei und gleichsam in einem Kreis verlaufe, so dass sich manche Aussagen auch wie Punkte auf der Peripherie eines Kreises diametral gegenüberstehen, aber doch zusammengehören, wenn man erkennt, dass es sich hier eben um ein kreisendes Denken handele, das alle diese Punkte in einer beständigen Kreisbewegung berührt und umfasst.7 (Fs)

35b Man kann nicht bestreiten, dass der Kulturphilosoph hier etwas Richtiges erkannte, ohne dass diese Erkenntnis in der Einzelausführung den denkerischen Ansprüchen genügte. Das Ungenügen wird sichtbar, wenn man erfährt, dass dieses am Phänomen des Lebens orientierte sogenannte "kreisende Denken" sich vorher schon bei Heraklit fand und in der Neuzeit ebenso bei Hegel. So rücken eigentlich Heraklit, Paulus und Hegel auf die gleiche Linie. Sie wären Vertreter der gleichen Denkform, was angesichts der zeitlichen und sachlichen Differenzen dieser Denkergestalten und ihrer "Systeme" nicht befriedigen kann. Glücklicher war Leisegang bei der Bestimmung der Platonischen Denkform, die nach dem Modell einer Begriffspyramide strukturiert ist, so dass alle Gedanken immer nach der höheren Idee ausgerichtet sind und der höchsten Idee des Guten zustreben. (Fs)

35c Wenn man die Geschichte der Theologie verfolgt, wird man häufig auf solche Unterschiede im Strukturellen treffen, etwa zwischen dem patristischen und dem scholastischen Denken bei der Erfassung der Glaubenswirklichkeit. So kann man zweifelsohne der gesamten Vätertheologie eine besondere theologische Denkform zuschreiben und diese von der Denkform der Scholastik abheben. Das patristische Denken darf man dahingehend charakterisieren, dass in ihm vor allem der heilsgeschichtliche Aspekt dominiert; unter dem die Offenbarung nach ihrem "Woher" und "Wohin" befragt und beurteilt wird. Als Beispiel darf etwa Irenäus v. Lyon genommen werden (+ 202), dessen theologisches Interesse auf den Heilsplan Gottes gerichtet ist.8 Die Erkenntnis dieses Heilsplanes und die Unterstellung des Menschen unter ihn schaffen das Heil. Demgegenüber ist das Denken der Scholastik weniger auf das Ganze und seinen übergreifenden Sinn gerichtet, nicht so sehr also an dem "Woher" und "Wohin" interessiert, als vielmehr an der Erkenntnis des Seins und des Wesens der Heilstaten und Heilswahrheiten Gottes, d. h. an der Erschließung der Wesensfrage. "Statisch" sollte man dieses Denken nicht nennen, weil die Scholastik sehr wohl wusste, dass das Wesen eines Dings und einer Wahrheit immer auf den Akt angelegt ist und auf Aktualisierung angewiesen bleibt. Dennoch darf man das scholastische Denken im Gegensatz zum patristischen als das nach dem Übergeschichtlichen fragende Wesensdenken charakterisieren. Der betreffende Denkstil oder die Denkform ist dann vorzugsweise die ontologisch-rationale. Allerdings darf auch nicht verkannt werden, dass es innerhalb dieser sogenannten "scholastischen" Denkform noch gewisse feine Unterschiede gab, etwa das mehr intellektive Bemühen der thomistischen Theologie und die mehr affektive Einstellung der Franziskanerschule, die die Theologie weniger als Wissenschaft denn als Weisheit verstand.9 Aber das rationale Verfahren war bei beiden vorhanden, was sich auch an der Verwendung der Denkmittel der Philosophie zeigte, die bei Thomas der Theologie vorgeordnet, bei Bonaventura ihr ein- und untergeordnet erscheint. (Fs) (notabene)

36a Mit der spätmittelalterlichen Deutschen Mystik trat nun wieder eine gänzlich andere theologische Sicht- und Betrachtungsweise auf den Plan, die in der bisherigen Theologiegeschichte immer eine kritische Beurteilung gefunden hat. Das patristische, das thomistische wie das Denken Bonaventuras waren trotz ihrer Stileigentümlichkeiten von dem Grundaxiom bestimmt, dass es das Allgemeine hinter den Einzelheiten, die Universalien vor oder in den Dingen, dass es die tiefere Wirklichkeit hinter der Sinnenwelt gibt, für die die Sinnenwelt nur Symbol und Zeichen ist. Die Deutsche Mystik dagegen zeigt eine ganz neue intensive Erfassung der Einheit von Gott und Welt, die im Subjekt des Menschen erlebt werden kann, die intuitiv erfahren werden und nicht diskursiv von der Ratio erschlossen werden muss, die dann selbstverständlich über die Feststellung der Unterschiede nicht hinauskommt. Diese mystische Theologie, vor allem von Meister Eckhart (+ 1327) vorgetragen,10 wurde damals nicht verstanden und als Pantheismus gedeutet, während sie in Wirklichkeit nur eine auf die innere Erfahrung gründende Einheitsschau war. (Fs) (notabene)

37a Wenn man schließlich die moderne theologische Denkform charakterisieren will, so darf man sagen, dass sie auch wieder mehr geschichtlich oder heilsgeschichtlich orientiert ist, dass sie, allgemein gesprochen, auf Erfahrung und existentielle Aneignung der Glaubenswirklichkeit aus ist und auf die Herausfindung der personalen Bedeutung der Heilswahrheit.11

37b So kann es keinen Zweifel geben, dass es innerhalb des Katholizismus immer wieder besondere Denkstile und Denkformen gegeben hat, die alle legitim waren und die eine Wahrheit unter verschiedenen Aspekten verstanden. Von daher wird es allerdings problematisch, von einer einzigen katholischen Denkform zu sprechen. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Formelemente d. Katholischen 2; das katholische "und"; K. Barth (Analogia entis) vs. Balthasar (elliptisches Denken, Ellipse: 2 Brennpunkte);

Kurzinhalt: "Gott und Welt", "Natur und Gnade"; "Schrift und Überlieferung", "Tradition und Fortschritt", "Glaube und Werke", "Wort und Sakrament", "Wissen und Glaube", "Freiheit und Bindung", "Vernunft und Mysterium", "Individuum und Gemeinschaft", "Amt und ...

Textausschnitt: b. Das katholische "und" als Denkansatz

37c Trotzdem ist dies in neuerer Zeit getan worden, zumal im ökumenischen Gespräch. So hat K. Barth darauf hingewiesen und erklärt: "Darum, weil wir so anders aliter sehen, sehen wir dann teilweise wirklich auch Anderes alia", und so "kommt zu dem Streit über das quale hinzu der prinzipiell sekundäre Streit über das quantum".1 Die Aussage ist deshalb so bedeutsam, weil sie den Unterschied in den Sachen, also in den Lehren und Glaubensaussagen bereits weit ins Transzendentale hinein zurückverlegt, nämlich in einen Unterschied der Denkstile und der Denkformen der evangelischen und der katholischen Theologie. (Fs)

Kommentar (27.06.13), zu oben: "Darum, weil wir so anders aliter sehen, sehen wir dann teilweise wirklich auch Anderes alia". Bei Barth heißt es: "Darum, weil wir so anders, aliter, sehen, sehen wir dann teilweise wirklich auch Anderes, alia, kommt zu dem Streit über das quale hinzu der prinzipiell sekundäre Streit über das quantum, z.B. über den Vorrang der Funktionen der Kirche: (Quelle: The Digital Karl Barth Library)"

37b K. Barth hat näherhin den für das katholische Denken charakteristischen Grundstil in der Prägung des katholischen Denkens durch die " Analogia entis" vorgebildet gesehen, d. h. in jener urtümlichen Einstellung, nach der zwischen Gott und Welt eine Entsprechung besteht, eine Abbildung der Art, dass alles Endliche in sich ein Abbild des Unendlichen trägt, so dass der Menschengeist vom Endlichen auch zum Unendlichen aufsteigen könne. Der große evangelische Theologe vermerkte dazu weiter, dass im Verfolg dieser Grundeinstellung das katholische Denken zu einer Einheitsauffassung von Gott und Welt neige, in der immer die Gefahr drohe, dass sich der Mensch Gottes bemächtige. Deshalb konnte er gelegentlich auch sagen: "Ich halte die analogia entis für die Erfindung des Antichrist und denke, dass man ihretwegen nicht katholisch werden kann."2 Später hat er dieselbe Grunderkenntnis noch anders formuliert, aber in der Sache dasselbe gemeint, wenn er am katholischen Denken als charakteristisch herausstellte und zugleich auch kritisierte, dass es immer im "sowohl - als auch" vorangehe, dass es gegenüber der Wirklichkeit im Ganzen immer auf Verbindung bedacht sei, dass es eine "Theologie des 'und'" betreibe.3 (Fs) (notabene)

38a Schließlich konnte Barth gleichsam in einem neuen Ansatz das katholische Denken als "dialektisch" bezeichnen, was überraschend kommt, weil man die Dialektik heute vorwiegend mit Hegel und mit dem Marxismus in Verbindung bringt. In Wirklichkeit ist hier etwas Richtiges getroffen, was aber besser mit der Polarität des katholischen Denkens zu umschreiben wäre. (Fs)

38b Diese Kennzeichnung des katholischen Typus im Denken steht nicht vereinzelt da. Sie wird in späterer Zeit bestätigt etwa von W. Stählin, der das katholische "et - et" mit dem evangelischen "sola" vergleicht, aber dem ersteren weitgehend eine positive Bedeutung zuerkennt.4 In ähnlicher Richtung bewegt sich H. Asmussen mit einer Stellungnahme zum marianischen Thema, an dem sich dieses "et - et" besonders deutlich demonstrieren lässt.5 Über beide Arbeiten und ihre Berücksichtigung des katholischen Denkens hat sich in einer auf dieses Formale dringenden Besprechung H. Volk positiv geäußert.6 Er hat das "et - et" als rein formale Kennzeichnung des katholischen Denkens, sozusagen als Gerüst oder Skelett der katholischen Wirklichkeitserfassung gesehen und gewürdigt. (Fs)

38c Eine Vertiefung erfuhr die Fragestellung durch H. U. von Balthasar in seiner Auseinandersetzung mit K. Barth, die heute noch ihre Bedeutung für die Entscheidung von theologischen Grundsatzfragen besitzt.7 Nach v. Balthasar kann man in zuzutreffender Weise das katholische Glaubensdenken auch als ein "elliptische[s] Denken" bezeichnen. Das zuvor so bezeichnete "Gerüst" bekommt hier die Gestalt einer Ellipse, die zwei Brennpunkte besitzt. Auf dem Bogen einer Ellipse haben bekanntlich alle Punkte eine bestimmte, eindeutige Beziehung zu den beiden Brennpunkten. Die Summe der Abstände jedes beliebigen Punktes der Kurve zu den beiden Brennpunkten ist nämlich immer konstant. Von daher beweist dann das katholische Glaubensdenken auch eine merkwürdige Konstanz. Wenn man die Punkte auf der Ellipse mit der Vielzahl der Probleme vergleicht, die sich in Geschichte und Gegenwart diesem Denken gestellt haben und stellen, so darf man sagen, dass diese Probleme wegen der Verknüpfung mit den beiden Brennpunkten in den Lösungen nie gänzlich gegeneinander stehen, sondern miteinander verbunden bleiben. Es gibt deshalb in diesem Denken keinen einfachen Umschlag vom "Ja" zum "Nein", kein hartes "Entweder-Oder", keine absoluten "Umbrüche", dafür aber "Kontinuität", "Zusammenhang", "sanfte Übergänge", "Ineinandergreifen" der Elemente, relative Opposition.8

39a Wenn man die Brennpunkte, zwischen denen dieses Denken verläuft, konkret benennen und das Gemeinte veranschaulichen will, dann darf man zu den schon erwähnten charakteristischen Formeln greifen: "Gott und Welt", "Natur und Gnade"; "Schrift und Überlieferung", "Tradition und Fortschritt", "Glaube und Werke", "Wort und Sakrament", "Wissen und Glaube", "Freiheit und Bindung", "Vernunft und Mysterium", "Individuum und Gemeinschaft", "Amt und Charisma", die alle noch einer Erweiterung und Differenzierung fähig wären. Immer ist hier eine Doppelung sichtbar, die das katholische Glaubensdenken zu berücksichtigen hat, aber auch als Einheit erfassen muss. Man kann nicht bestreiten, dass unter Anerkennung dieser Struktur der Wirklichkeit das Denken selbst strukturiert wird, eine bestimmte Ausprägung und Typisierung erfährt, die sich immer neu zur Geltung bringt, wenn neue Glaubens- und Wirklichkeitsbezüge zu erfassen sind. (Fs) (notabene)

39b Die Frage bleibt nur, ob man diese im Denken vorfindliche Prägung als "Denkform" ansprechen und bezeichnen soll. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass nach dem heutigen Begriffsverständnis und Wortgebrauch die "Denkform" etwas Spezielles und Individuelleres meint, etwas, das eine viel bestimmtere zeitliche, philosophische und methodische Ausrichtung bei sich hat (die sich theologiegeschichtlich z. B. in den verschiedenen theologischen Schulen zeigte), sollte man dieses für das katholische Glaubensdenken irgendwie zeitüberhoben und universal geltende Charakteristikum nicht als "Denkform" bezeichnen. Es ist, anspruchsloser und zurückhaltender formuliert, eher als "Denkansatz" zu verstehen, der einen gewissen "Rhythmus" oder "Takt" in der Denkbewegung auslöst, so dass der "Denkweg" immer wieder die gleichen Markierungen und Grenzsteine berühren wird, ohne dabei auf eine einzige (philosophisch-logische) Denkform festgelegt zu sein. Als solcher Ansatz, der zu einem bestimmten Duktus des religiösen und theologischen Denkens führt, ist das katholische "et - et" durchaus verstehbar und für "das Katholische" signifikant. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Formelemente d. Katholischen 3; "et - et" vs. sola fide, sola gratia; P. Tillich; protestantisches "allein" nur als Paradox fassbar; These vom "unfreien Willen" (Luther); Bild des "zentrierenden" Denkens

Kurzinhalt: Es geht dieser mit einem christlichen Radikalismus vorgetragenen Theologie nicht um die Analogie zwischen Gott und Welt, sondern um den Gegensatz, nicht um das "et - et", sondern um das "sola", in der Form des "sola fide", des "sola gratia" und des ...

Textausschnitt: c. Das reformatorische "allein"

39c Das Fließende oder Subtile der Bestimmung solcher Denkgesetzlichkeit des "Katholischen" lässt sich am Vergleich mit der andersgearteten evangelischen Typik verdeutlichen. Dieser andersgeartete Ansatz, der zuletzt von dem reformatorischen "allein" bestimmt wird, lässt sich unter den neueren Theologen besonders deutlich bei K. Barth nachweisen. Vor allem die erste Periode des "Römerbriefes"1 zeigt eine strenge Distanz zu allem Analogie-, Polaritäts- und Kontinuitätsdenken. Hier herrscht das Pathos der Ausschließlichkeit vor, des Abstandes zwischen Geschöpf und Schöpfer, der Diskontinuität, durch welche der unendliche qualitative Unterschied zwischen Gott und Mensch, Gnade und Natur, Offenbarung und natürlichem Denken überscharf hervortritt. Der Mensch ist in dieser Betrachtungsweise nur noch als "Negativum" interessant, als leerer "Einschlagtrichter" für die Botschaft Gottes. Man kann beinahe sagen, dass alles Menschliche und Geschöpfliche geradezu schon uninteressant wird. Es geht dieser mit einem christlichen Radikalismus vorgetragenen Theologie nicht um die Analogie zwischen Gott und Welt, sondern um den Gegensatz, nicht um das "et - et", sondern um das "sola", in der Form des "sola fide", des "sola gratia" und des "solus Christus". (Fs) (notabene)

40a Gerade im Hinblick auf dieses "sola" ist der reformatorische Denkansatz in seiner Eigentümlichkeit, aber auch in seinem Unterschied zum Katholizismus deutlich zu erfassen. Das ist aber nicht nur an K. Barth und der von ihm vertretenen Theologenrichtung zu ersehen. Es zeigt sich auch an ganz anders gearteten theologischen Entwürfen, die freilich wegen ihrer Vielfalt und ihrer Differenziertheit nicht vollständig erfasst werden können. Und doch lässt sich - wenn auch nur beispielhaft - zeigen, dass sich der gleiche Rhythmus oder Duktus des Denkens, welches vom "allein" ausgeht und wieder zu ihm zurückmündet, selbst bei sonst durchaus verschiedenartigen theologischen "Systemen" findet. Er muss nicht immer so klar und ohne jede Einschränkung zum Ausdruck gebracht werden wie bei H. Mulert: "Protestantismus ist Selbständigkeit des Glaubens und Autonomie des an Gottes Wort gebundenen Gewissens"2 und wie bei E. Hirsch: Protestantismus ist die "Unmittelbarkeit des Einzelnen zu Gott"3. Der Ansatz beim "allein" tritt auch in zurückhaltenderer Form und doch unverfälscht hervor, so etwa bei R. Hermann (in der Auseinandersetzung mit J. Lortz), wo einmal gesagt wird: "Was schließlich die 'Und' [in den Thesen von J. Lortz] betrifft, so sind sie in der Tat 'katholisch'." Nun aber werden diese katholischen "Und-Verbindungen" im Einzelnen kritisiert: "Das absolute Gotteswort 'und' die dogmatische Tradition? Aber die letztere ist, wenigstens nach evangelischem Verständnis, menschliche Überlieferung und Redaktion."4 Und weiter: "Die Freiheit eines Christenmenschen 'und' die Autorität... der Kirche? ... Endlich Gewissensreligion 'und' Bindung? Wir fragen: Bindung woran? Jedenfalls doch wohl an Instanzen. Solchen gegenüber aber muss das Gewissen gerade seine Selbständigkeit, bei allem Sinn für ihre Bedeutung, wahren." Und "was die Tradition anlangt, so leben wir gewiss nicht ohne eine solche. Aber sie ist mit der katholischen dem Inhalt nach nur zum Teil dieselbe und nach der autoritativen Geltung verschieden. Was wir meinen, ist eine Tradition in evangelischem Sinne."5 In diesen Formulierungen ist sowohl die Kritik am katholischen "und" wie das Beharren auf dem evangelischen "allein" nicht undifferenziert und einlinig vorgetragen. (Das Ganze ist zugleich ein Beweis für die Subtilität der Auseinandersetzung und der Begründungen.) Aber es wird auch hier klar, dass der Denkansatz schließlich doch das "allein" zur Dominante hat. (Fs)

41a Ähnliches trägt sich auch bei dem einflussreichen R. Bultmann zu, dessen ganzes Entmythologisierungs- und Existenzialisierungsprogramm als den eigentlichen "cantus firmus" das reformatorische "allein" durchscheinen lässt. So ist auch seine eigene Positionsbestimmung zu verstehen, die er dahingehend umschrieb, dass sein Programm auf der Lehre Luthers, auf der Rechtfertigung "allein aus dem Glauben" beruhe und nur deren "konsequente Durchführung für das Gebiet des Erkennens"6 sei, ein eindeutiges Bekenntnis zum "allein" als Prinzip und Ansatz theologischen Erkennens. (Fs) (notabene)
41b In einem nochmals abgewandelten theologischen Konzept bezeugt P. Tillich die denkerische Ursprünglichkeit und Prinzipienhaftigkeit des "allein" für den protestantischen Glaubensweg. Die hier gebrauchten Formeln sind sogar besonders eindeutig, so etwa die folgende, die er im Anschluss an M. Kähler entwickelt: "Kählers Kerngedanke war die Rechtfertigung durch den Glauben, der Gedanke, der den Protestantismus vom Katholizismus trennt und der das sogenannte materiale Prinzip der protestantischen Kirche wurde ..."7 Demzufolge muss das protestantische Denken das katholische Glaubensverständnis ("vertreten durch die Lehre von der Unfehlbarkeit des Papstes") als "Heteronomie" ansehen,8 dem aber (wiederum bezeichnend für die Differenziertheit der Position) nicht einfach eine protestantische "Autonomie" entgegengestellt wird, sondern eine "Theonomie". Dieser Ausdruck meint das Bewusstsein von einer letzten Einheit alles Wirklichen und alles Denkens in Gott und von Gott her, so dass es "keinen Raum neben dem Göttlichen [gibt], ... keinen möglichen Atheismus, ... keine Mauer zwischen dem Religiösen und dem Nichtreligiösen".9 Auch hier beweist sich das "allein" als die das religiöstheologische Denken ursprünglich bestimmende Kraft, das von dem Anspruch auf Einheit und Ausschließlichkeit getragen und beflügelt wird und das bei einer Doppelheit oder Polarität nicht stehen bleiben kann. (Fs)

42a Dabei ist gerade an P. Tillich zu ersehen, dass in diesem protestantischen Denkansatz die Vielfalt und Vielschichtigkeit der Wirklichkeit nicht verkannt wird. Darum kommt der Zug zur Einheit des "allein" auch nicht aus dem Zwang eines schlichten, naiven Denkens, das Differenzierungen und Spannungen nicht ertragen kann. Vielmehr ist hier das Gegenteil richtig. Deshalb darf man den zur Unterscheidung herangezogenen protestantischen Denkansatz auch nicht so verstehen, als ob sich hier "katholische Fülle" und "protestantische Einseitigkeit" (das hieße dann gleich "Häresie") gegenüberstünden; denn was das evangelische Glaubensdenken damit erstrebt, ist nichts weniger als eine ebensolche Fülle, die eben in der Reduktion, Konzentration und Verwesentlichung der immer als Gefahr empfundenen Dualität oder Vielheit besteht. Aber hieran wird schließlich ein weiteres charakteristisches Merkmal sichtbar, welches darin besteht, dass diese überkonzentrierte Einheit des "allein" nur als Paradox oder als Einheit im Widerspruch erfasst werden kann. Nicht zufällig fällt in diesem Zusammenhang bei Tillich der Begriff des Paradoxen, das sich bei manchen evangelischen Theologen bis hin zum Eingeständnis eines Absurden steigern kann. So erklärt in einer neueren Stellungnahme zum lutherischen Grundaxiom von der Rechtfertigung allein aus Gnade und zu der damit zusammenhängenden These vom "unfreien Willen" (De servo arbitrio) Kl. Schwarzwäller: "Luthers Auskunft erscheint nicht nur als absurd, sie ist es ... Denn es ist die pure Absurdität, dass eine Forderung [nämlich die nach Erfüllung des Gesetzes] die Unmöglichkeit des Verlangten konsumtiv voraussetzte. Luther wahrt damit die Absurdität des Evangeliums, das von der solchermaßen unerträglich und sinnlosen Forderung befreit zum Leben in der Partnerschaft Gottes."10 (Fs) (notabene)

42b An dieser Stelle kann nun aber wohl auch dies sichtbar werden, dass der protestantische Denkansatz seine Konzentration und seine auf letzte Einheit zielende Kraft doch nur unter Einbeziehung und unter Offenlassen eines Widerspruches gewinnt, d. h. dass er den Ausgleich zwischen den vielfältigen Elementen gerade nicht findet, sondern ihn in Worten oder als Verheißung nur postuliert und aus diesem Postulate lebt. Daraufhin ist die letzte Frage möglich, ob ein vom Pathos des "allein" genährtes Denken trotz aller intendierten Berücksichtigung der Dualität oder Vielheit am Ende nicht doch eine letzte Dissonanz und einen Zwiespalt zugeben und geradezu neu aufreißen muss: die Dissonanz zwischen dem Wort und dem Gedanken einerseits und der Wirklichkeit andererseits, die sich dem "allein" gegenüber offensichtlich versperrt. (Fs) (notabene)

42c Aber in diesem Zusammenhang geht es nicht um inhaltliche Vergleiche oder gar um Werturteile, sondern um die Erkenntnis der Verschiedenheit im Denkansatz und in der Denkstruktur, die freilich nachfolgend auch für das Verständnis des Inhaltlichen m von Bedeutung ist. Will man diese Struktur reformatorischen Denkens auf einen bildhaften Ausdruck bringen, den Unterschied gegenüber dem katholischen Denkansatz verdeutlichen, so darf man zum Bild des "zentrierenden" Denkens greifen. Während das "elliptische Denken" immer um zwei Brennpunkte kreist, kennt das "zentrierende" Denken nur die Mitte, das Zentrum, die Wurzel. Es geht immer nur von diesem einen Zentrum aus und führt auch immer wieder zu ihm zurück. Das lässt das protestantische Denken im Selbstverständnis der evangelischen Theologie immer auf das Wesen dringen unter Absehen von den angeblichen Unwesentlichkeiten, es lässt es ferner (durchaus im guten Sinne) radikal, entschieden, kompromisslos erscheinen, weil es immer um das Ganze geht und dieses Ganze gleichsam in einem einzigen Punkt komprimiert wird. Im Vergleich dazu muss die katholische Denkgesetzlichkeit als vieldeutig, als kompliziert und irgendwie verschnörkelt erscheinen oder als mit unwesentlichen Ornamenten versetzt, die für das Wesen nichts austragen, sondern es eher verstellen. (Fs)

43a Zu dieser Nichteindeutigkeit rechnet das reformatorische Denken am Katholizismus z. B. auch die immer wieder unternommene Berufung auf das Geheimnis, auf das Mysterium des Glaubens, auf die letztlich im Unsagbaren verschwebende Einheit des "et - et". In dieser Hinsicht ist der Protestantismus merkwürdigerweise (was man angesichts mancher äußerer Fakten, die dagegen zu sprechen scheinen, nicht gleich einsehen wird) viel doktrinärer als das katholische Glaubensdenken; denn die Notwendigkeit des "sola" muss als Notwendigkeit immer ausgewiesen werden. Das kann nicht im Geheimnis oder im mystischen Dunkel bleiben. Deshalb eignet dem reformatorischen Denken in allen Fragen, die es aufgreift, ein Hang zum Rationalen und zum Doktrinären. Diese doktrinäre Haltung zeigt sich auch daran, dass es wenig vom "Mysterium" spricht als vielmehr vom "Paradox" des Glaubens.11 Das Paradoxe ist etwas Seltsames, das wenig Wahrscheinliche, aber deshalb doch in sich durchaus vernünftig und rational. Für Bultmann ist z. B. die Tatsache, dass sich die christliche Heilsgewissheit und das neue existentielle Selbstverständnis ausgerechnet und allein an Jesus von Nazaret anschließt, das einzige Paradox des Christentums. Aber das ist kein Geheimnis, sondern nur etwas Unerwartetes, etwas gegen die allgemeine menschliche Auffassung Gerichtetes. (Fs)

43b Das in diesem Denkansatz eingestiftete "Paradox" erweist sich bei genauerem Hinblick freilich als ein herausforderndes, das Denken geradezu anstachelndes Moment. Es treibt das Denken des Glaubens zum immer neuen Nachweis seiner Rationalität und der Geltung des "allein". Das "allein" kann dann nicht nur mit immer neuen und anderen Inhalten erfüllt werden (die Offenbarung bei K. Barth; die Existenz bei R. Bultmann; der weltliche Glaube bei D. Bonhoeffer), sondern muss auch in seinem Anspruch immer neu begründet werden (gefühlsmäßig bei Fr. Schleiermacher; existentialistisch bei R. Bultmann; idealistisch bei den modernen geschichtsphilosophischen Konzeptionen: J. Moltmann). Das führt zu einem Pluralismus der evangelischen Theologien, die E. Käsemann durch den Hinweis auf das Wort illustrierte: "Siehe, die Füße derer, die deinen Mann begruben, sind vor der Tür und werden dich hinaustragen" (Apg 5,9).12
44a Daran aber zeigt sich abschließend, dass die Radikalität dieses Prinzips und damit die Wesentlichkeit dieses Denkens geradezu auch ins Gegenteil umschlagen und sich zum anderen Extrem hinwenden kann, wie man beim reformatorischen Denken ja immer das Hin und Her zwischen den Extremen als charakteristisch herausgefunden hat. So kann dann trotz des Zuges zum Wesentlichen, zum Einen und Ausschließlichen des "allein" auch der Eindruck des genauen Gegenteils entstehen, nämlich der Willkür, der Beliebigkeit, des Experimentellen und Spielerischen, das gerade das Unwesentliche wäre. Das aber sind Gefährdungen, die an sich jeder lebendigen Gestalt und jedem Denktypus eignen. Auch der katholische Denkansatz wäre gefährdet, wenn ihm nicht ein neues wesentliches Merkmal hinzugefügt würde. (Fs)

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Autor: Scheffczyk, Leo

Buch: Katholische Glaubenswelt

Titel: Katholische Glaubenswelt

Stichwort: Formelemente d. Katholischen 4; das einheitsstiftende Moment innerhalb d. "complexio oppositorum" (Ellipse); "Deus semper maior" (E. Przywara); Lateran ( "inter creatorem et creaturam ...");

Kurzinhalt: Die Hinzufügung des "Deus semper maior" zum analogischen "et - et" bringt nun erst in den katholischen Denkansatz etwas hinein, was man als entscheidende Konkretion und als wirklichkeitserfüllte Fassung des "et - et" und des Analogiegedankens ...

Textausschnitt: d. Das einheitsstiftende Moment

44b Innerhalb der "complexio oppositorum" ist ein einigendes Moment zu fordern, wenn die Polarität oder das Elliptische nicht in einer unbestimmten Zweiheit verbleiben und die Spannung sich nicht auflösen soll. Die Notwendigkeit dieses einheitsstiftenden Momentes lässt sich deutlicher ersehen, wenn man von der Barthschen Bezeichnung des katholischen Denkens als "dialektischem" Denken ausgeht. "Dialektik" meint hier den Tatbestand, wonach katholisches Denken zwischen den beiden Brennpunkten der Ellipse immer hin- und hergehe. Konkreter gefasst und an dem entscheidenden Beispiel des Verhältnisses von Gott und Welt (oder Gott und Mensch) illustriert, besagt dies: Die Welt ist ernst zu nehmen, aber nicht ohne Gott. Und umgekehrt: Gott ist in seiner Bedeutung nie aus dem Blick zu verlieren, aber auch Welt und Mensch sind in ihrer Wertigkeit nie zu übersehen. (Fs)

44c Allerdings: Wenn man bei diesen Aussagen und Forderungen bliebe, würde das Denken eigentlich unentschieden verlaufen. Es würde zwischen den Gegensätzen immer hin und her gehen. Jedem "Ja" auf der einen Seite würde das "Nein" von der anderen Seite her entgegengehalten werden. Es würde dann eigentlich niemals ein klares und eindeutiges "Ja" und kein sicheres, rechtschaffenes "Nein" herauskommen, sondern das berühmte "Jein", das allem dialektischen Denken tatsächlich der Möglichkeit nach eignet. (Fs)

45a Fr. Nietzsche hat dieses Hin- und Herschweben zwischen "Ja" und "Nein", das er vor allem in der Hegeischen Philosophie angelegt sah, als "Begriffs- und Wertunsauberkeit" bezeichnet und als "Feigheit vor jedem rechtschaffenen Ja und Nein".1 Tatsächlich würde dieser Vorwurf eine ruhelose Dialektik treffen, die nie zu einem Halt und einer eindeutigen Position kommt, weil sie von jeder Position schon nach der anderen getrieben wird. In neuerer Zeit hat man dieses Denkverfahren gelegentlich auch als "abgehackte Dialektik" bezeichnet, die keine Einheit und Eindeutigkeit gewinnt. (Fs)

45b Nun kann man, aufs Ganze gesehen, dem katholischen Denken und Leben diesen Vorwurf kaum machen, weil es sich im Allgemeinen gerade dem äußeren Beobachter als einheitliches, entschiedenes Denken ausweisen wird, mit deutlichen Konsequenzen für Glauben und Sitte. Andererseits bleibt auf rein geistiger, theoretischer Ebene die Möglichkeit dieses Vorwurfs bestehen, wenn man nicht begründet, dass dieses Denken innerhalb des elliptischen "et - et" von einer vereinheitlichenden Kraft geprägt ist. Deshalb muss das katholische Denken wie auch seine Erstreckung in die Praxis um die Herausstellung des Einigungsmomentes bemüht sein oder um die Herausarbeitung dessen, was in der "complexio oppositorum" eigentlich die Kraft der "complexio", des Zusammenhaltes ist. (Fs)

45c Die Hervorhebung dieses Momentes ist auch aus einem anderen Grunde noch erforderlich, nämlich im Hinblick auf die vom evangelischen Denken immer gehegte Befürchtung, dass das katholische "et - et", paradigmatisch an der Beziehung "Gott und Mensch" zu erfassen, zu einer Gleichordnung und Gleichwertung dieser beiden Pole führt und damit zu einem Synergismus in der Gnadenlehre, zu einer Verwässerung in der Glaubenslehre, die mit Philosophie vermischt ist, und insgesamt zu einer Gleichstellung von Gott und Kreatur. Eine solche aber wäre in dem Augenblick, da sie anhebt, schon keine Gleichstellung mehr, sondern eine Degradierung Gottes; denn tatsächlich hat man Gott schon degradiert, wenn man ihn in einem ersten Ansatz dem Menschen auch nur gleichstellt. (Fs)

45d Aus allen diesen Gründen ist es notwendig, das einheitsstiftende Moment in dem "et - et" und dem "elliptischen Denken" zu erkennen und es immer präsent zu haben. Bei seiner Bestimmung ist die Möglichkeit auszuschließen, dass es in der Beziehung zwischen Gott und Welt oder zwischen diesen beiden "Polen" ein drittes geben könnte, das die Einheit beider garantiert. Dann existierte nämlich etwas, das über Gott steht. Diese Folgerung ist genauso unmöglich wie die andere, die darin eingeschlossen ist, dass nämlich im Hinblick auf dieses Dritte die beiden polaren Wirklichkeiten doch wieder auf eine Stufe zu stehen kämen und gleichgeordnet würden. Aus diesem Dilemma gibt es nur einen Ausweg, nämlich den, dass man die einigende Kraft in Gott selbst gelegen sieht. (Fs)

46a Man muss bei der Polarität oder Dialektik zwischen Gott und Welt mit der Wahrheit ernst machen, dass Gott immer der unvergleichlich Größere bleibt, von dem her allein auch erklärt werden kann, dass das Denken innerhalb dieser Polarität ein bestimmtes, entschiedenes und eindeutiges Denken wird. Es liegt das auch schon im Analogiegedanken eingeschlossen, der offenbar für das katholische Denken so bedeutsam ist, dass er sogar eine lehramtliche Formulierung gefunden hat. Das IV. Lateranense vom Jahre 1215 hat in klassischer Diktion den Satz geprägt: "inter creatorem et creaturam non potest tanta similitudo notari, quin inter eos maior sit dissimilitudo notanda", d. h.: "Zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpf kann man keine so große Ähnlichkeit feststellen, dass zwischen ihnen keine noch größere Unähnlichkeit festzustellen wäre" (DH 806). Dieser Satz erst bringt das für den Katholizismus typische Analogiedenken in seine richtige Fassung und zu seiner Eindeutigkeit. Hier ist nämlich Gott als das auch in der "Polarität" zum Geschöpf hin Überragende anerkannt. Daraufhin ist die von K. Barth vermutete Gefahr einer Bemächtigung Gottes durch das Analogiedenken, durch das Denken von unten her, grundsätzlich gebannt. Gott bleibt so zwar immer in Beziehung zur Welt und zum Menschen, und alles theologische Denken muss sich innerhalb dieser Beziehung bewegen; aber Er wird dadurch vom Geschöpf und vom theologischen Denken keinesfalls entmachtet, wie K. Barth argwöhnte, sondern Er bleibt trotz der Analogie als der Größere, als der Absolute anerkannt. (Fs)

46b Diesen Tatbestand hat E. Przywara, dessen Bedeutung für das moderne katholische Denken heute zu wenig gewürdigt wird, wiederum auf eine schlichte und doch bedeutsame Kurzformel gebracht. Er hat, zunächst mehr unter dem Aspekt des religiösen Lebens, aber durchaus auch die theologische Bedeutung treffend, den Grundsatz "Deus semper maior"2 aufgestellt. D. h.: Im Glauben wie im theologischen Denken des katholischen Christentums gilt zwar die Analogie und das "et - et"; aber beides gilt so, dass in allen Belangen, in allen Bereichen und bei allen Fragestellungen der Wirklichkeit Gottes der Vorrang eingeräumt bleiben muss. Dies meint natürlich nicht nur die Wirklichkeit Gottes als statisches Sein, sondern auch seine Forderungen, seinen Anspruch und sein Gebot. (Fs)

46c Die Hinzufügung des "Deus semper maior" zum analogischen "et - et" bringt nun erst in den katholischen Denkansatz etwas hinein, was man als entscheidende Konkretion und als wirklichkeitserfüllte Fassung des "et - et" und des Analogiegedankens bezeichnen darf; denn das "et - et" und der Analogiegedanke als solcher bleiben etwas Theoretisches und Abstraktes. Mit ihm kann man unaufhörlich im Denken von einem Pol zum anderen kreisen, ohne je eine feste Position einnehmen zu müssen und den Gedanken wirklich konkret zum Abschluss zu bringen. Mit dem Grundsatz des "Deus semper maior" dagegen ist die Befestigung des Denkens möglich, hier wird die Denkbewegung eindeutig, hier gelangt sie an ein sicheres Ziel. So wird sie konkret und zugleich auch objektiv. Weil das Gegenüber zwischen Gott und dem Menschen erhalten bleibt, aber vom Göttlichen immer umfasst wird, kann man immer erklären, dass ein Gedanke, ein Glaubenssatz, eine ethische Entscheidung nicht vom menschlichen Subjekt allein abhängt, sondern dass sie vom göttlichen Subjekt gefordert ist und ihm entsprechen muss. (Fs)

47a Wenn man diese Grundeinstellung auf das "Deus semper maior" ethisch auslegt und mehr in ethischen Kategorien interpretiert, wird man das Ganze als einen dem katholischen Denkansatz eigentümlichen Zug zur Entschiedenheit und zur Entscheidung interpretieren können, und zwar, wie H. Schlier formuliert, zur "entschiedenen Entscheidung".3 Das ist der Gegensatz zu einer Entscheidung, wie sie etwa im modernen existenzphilosophischen Denken bei K. Jaspers oder noch einseitiger bei J. P. Sartre erfolgt. Hier muss der Mensch sich auch dauernd entscheiden, wenn er sich selbst verwirklichen will. Aber jede Entscheidung ist von der vorhergehenden, von der zuvor getroffenen unabhängig. Sie kann genau das Gegenteil meinen und verwirklichen. Das ist in diesem existenzphilosophischen Denken möglich, weil es in ihm diesen einzigartigen, überhobenen Pol der Transzendenz, des Göttlichen nicht gibt. Gegenüber dem absoluten Gott kann man sich aber nicht in entgegengesetzter und völlig diskontinuierlicher Weise entscheiden. Hier gilt vielmehr im Gegenteil: Die Gott gegenüber gefällte Entscheidung muss durchgehalten werden. Freilich muss sie bei gewissen Situationen und neuen Anforderungen wiederholt werden, aber dann nicht in völlig beliebigen und voneinander gänzlich verschiedenen Entscheidungen. Das ist aufgrund des katholischen Ansatzes von der "entschiedenen Entscheidung" nicht möglich, es sei denn, um den Preis der Sünde. Das muss theoretisch an dieser Stelle eingeräumt werden, was aber ohne Preisgabe des Prinzips als solchen geschieht. Es besagt keinen Widerspruch gegen den Grundsatz, der je von einer Entscheidung für Gott ausgeht und die Entscheidung gegen Gott nur als Perversion versteht. (Fs)

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