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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: Schooyans, Vorwort; Liberalismus - Marxismus (Feminismus); Rechtspositivismus (Hans Kelsen); Abtreibung - Euthanasie; allgemeine Menschenrechte - Konsens

Kurzinhalt: Das Schlimmste aber ist, daß die liberalhumanistische Tradition, ... schließlich von eben den totalitären Ideologien unterwandert wurde, gegen die sie immer wieder aufgestanden ist.

Textausschnitt: 9a Der Debatte über die Liberalisierung der Abtreibung wohnt eine philosophische, politische und rechtliche Dimension inne, die weithin verkannt oder nur unzureichend wahrgenommen worden ist. Man tut so, als handele es sich dabei lediglich um die gesetzliche Regelung eines präzisen, begrenzten Einzelproblems - das Ja zur Abtreibung unter bestimmten gesetzlich geregelten Bedingungen. (Fs)

In Wirklichkeit aber sind bei den Gesetzen über eine Liberalisierung der Abtreibung ganz entscheidende Fragen der Rechtsfundierung angesprochen. Das Veil-Gesetz von 1975 über die Regelung der Abtreibung in Frankreich zum Beispiel zeigt das ganz deutlich. Sein Artikel 1 beginnt mit den Worten: »Das Gesetz garantiert die Achtung jedes Menschenwesens vom Beginn des Lebens an. Gegen diesen Grundsatz darf nur im Notfall und unter den in diesem Gesetz niedergelegten Bedingungen verstoßen werden.«

Der erste Satz verkündet das Lebensrecht des menschlichen Wesens vom ersten Augenblick an. Doch schon im folgenden Satz weicht der Gesetzgeber von dem soeben verkündeten Universalrecht ab und erklärt, es gebe Ausnahmen, unter denen es nicht gelte: Die Abtreibung des soeben als Rechtssubjekt bezeichneten Menschenwesens sei gegebenenfalls zulässig. Die Existenz des Rechtssubjekts wird bestimmten Kriterien untergeordnet. Kurzum: Das Lebensrecht des Ungeborenen gilt nur noch bedingt. (Fs)
Dieser Artikel hat eine Reichweite, die die Frage der Abtreibung weit übersteigt. Er offenbart zunächst die ganze Tragweite des politischen Positivismus, demzufolge die Quelle des Rechts im Willen des Staates liegt, den der Gesetzgeber verkörpert. Wo der Positivismus herrscht, ist das Recht kein Bollwerk gegen die Tyrannei mehr, sondern wird zur Waffe, mit der sich jeder beliebige Machtmißbrauch »rechtfertigen« läßt. (Fs)

Es ist nicht ohne Pikanterie, daß Hans Kelsen1, Vater des Rechtspositivismus2, dem von ihm ideologisch konstruierten System schließlich selbst zum Opfer fiel. Als Jude mußte er eiligst aus dem Dritten Reich fliehen, um der Vernichtung zu entgehen, die er selbst theoretisch zu »legitimieren« geholfen hatte, indem er die formaljuristischen Grundlagen legte, die das Recht in den Dienst des Willens des Stärkeren stellten. Schlimmer noch: Seiner eigenen Theorie zufolge konnte man sich gegen den Mutwillen der sich Bahn brechenden Totalitarismen fortan nicht mehr auf das Recht berufen, geschweige denn auf die Menschenrechte. Hier haben wir nichts anderes vor uns als eine Variation über das Thema des Bismarckschen Spruches: »Macht geht vor Recht.«

10a Dieser Positivismus hat weitreichende politische Rückwirkungen. Er untergräbt die Tradition der westlichen Zivilisation, die auf der Geltung der Grundrechte des Menschen für alle menschlichen Wesen beruht. Die Gesetze, die wie das Veil-Gesetz und seine Varianten die Abtreibung liberalisieren und legalisieren, erschüttern die Grundfesten der politischen und der Rechtsphilosophie, in deren Namen die westlichen demokratischen Gesellschaften erfolgreich die abartigsten Absolutismen bekämpft haben. (Fs)

Dieselbe Denkweise finden wir in den immer wieder auftauchenden Bestrebungen zur Legalisierung der Euthanasie. Deren Verfechter verdanken Karl Binding3 einige ihrer stärksten Argumente. Schon 1920 plädierte dieser Rechtsgelehrte für die »Erlaubnis zur Vernichtung einer Existenz«, wenn diese nicht »lebenswert« sei. (Fs)

Die Verfechter der Euthanasie äußern sich also mit den gleichen Argumenten wie jene der Abtreibung, und es dürfte zukünftigen Historikern äußerst schwerfallen festzustellen, welches Lager denn das andere zuerst beeinflußt hat. Wie dem auch sei: Wenn den Eltern das Recht zugestanden wird, ihre Kinder zu beseitigen, ist auch nicht mehr einzusehen, warum es den Kindern untersagt sein soll, ihre Eltern zu beseitigen - natürlich immer »im Rahmen bestimmter gesetzlicher Bedingungen«. (Fs)

In beiden Fällen hängt das Recht auf Leben von qualitativen Kriterien ab. Diese werden nach den Wünschen des Gesetzgebers definiert und von Personen festgestellt, die nicht den geringsten Zweifel haben, daß sie befugt sind, über das Leben bestimmter Menschenwesen zu verfügen. Mit anderen Worten: Treffen die Kriterien zu, so wird das Lebensrecht nachträglich verneint. (Fs)

Die obigen Bemerkungen über die Abtreibung und die Euthanasie gelten selbstverständlich auch für zahlreiche weitere Fälle. So beispielsweise für Embryonen-Experimente, die Samenspende, die Vorimplantationsdiagnose, die vorgeburtliche Diagnose, die Biologie, die Vorhersagemedizin usw. Die totalitären Regimes, die das 20. Jahrhundert verdunkelten, sind zerschlagen worden: Faschismus und Nazismus mit Waffengewalt, der Kommunismus erlag dem inneren Zusammenbruch. Doch mit dem Untergang dieser Regime sind die ihnen zugrundeliegenden Ideologien keineswegs erloschen. (Fs)

So lebt beispielsweise der Marxismus unter dem Etikett der ultra-feministischen »Geschlechter«-Ideologie weiter. Hierbei handelt es sich um eine von Engels inspirierte, andere Lesart des Klassenkampfes. Ging Marx noch davon aus, der Klassenkampf sei im wesentlichen der Kampf zwischen Herren und Proletariern, so glaubte sein treuer Gefolgsmann den Prototyp dieses Kampfes in der Unterdrückung der Frau durch den Mann zu erkennen, wie sie seiner Meinung nach in der Einehe gegeben war. Ist auch das kommunistische Regime zusammengebrochen, so wird diese Lesart vom Klassenkampf doch weiterhin von den radikalen Feministen der »Geschlechter«-Ideologie verkündet, vor allem seit der Konferenz von Peking (1995). (Fs)

11a Ähnliches gilt für den Nazismus. Unter ihm waren Euthanasie, Sterilisierung und Völkermord eine Alltagserscheinung. Die Ärzte, die diese Programme ausführten, wurden in Nürnberg wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit verurteilt. Heute aber praktizieren viele Ärzte in Völkern, die gegen den Nazismus gekämpft haben, nicht nur die Abtreibung und die Euthanasie, sondern organisieren zudem die Massensterilisierung armer Bevölkerungen. (Fs)

Das Schlimmste aber ist, daß die liberalhumanistische Tradition, die doch die Geschichte der westlichen Zivilisation und Demokratie wesentlich geprägt hat, schließlich von eben den totalitären Ideologien unterwandert wurde, gegen die sie immer wieder aufgestanden ist. Mehr und mehr macht sie sich eine Ethik der »spezifischen Verantwortlichkeit« zu eigen, an deren Ende der politisch Verantwortliche nur noch sich selbst verantwortlich ist. (Fs)
Daß dieser Liberalismus zu neuen Formen der Tyrannei führen kann, ist leicht verständlich. Indem er nur noch die Freiheit des einzelnen und seine totale Autonomie preist, hat sich der zeitgenössische Liberalismus seltsamerweise einem perversen Prozeß verschrieben, bei dem er die Unterdrückung der Schwächsten durch die Stärksten zunächst erlaubt und schließlich »rechtfertigt«. (Fs)

In einer ersten Phase ging es um die Achtung der natürlichen Auswahl, wie sie der liberale Pfarrer und Nationalökonom Malthus4 vorschlug, Darwin (1809-1882) allgemein verbreitete, und Galton5, der Ideologe der künstlichen Auswahl und mithin der Eugenik, radikalisierte. (Fs)

Doch in einer zweiten Phase treibt dieser abartige Prozeß den heutigen Liberalismus dazu, seine Zustimmung zu den universellen Erklärungen der Menschenrechte einzufrieren. Denn diese Rechte können neuerdings nur noch Folge eines Konsensverfahrens sein, demgemäß Einzelpersonen unter bloßer Achtung ihrer jeweiligen Auffassungen unverbindliche punktuelle Entscheidungen treffen. Und aus einem solchen Verfahren soll dann Gerechtigkeit entstehen... (Fs)

12a Die liberale Tradition läuft sogar Gefahr, ihrer Identität verlustig zu gehen, entfremdet und in einem entscheidenden Punkt einer völlig unerwarteten marxistischen Uminterpretation unterworfen zu werden. In dem von der Weltgesundheitsorganisation ausgearbeiteten »Neuen Gesundheitsparadigma« gilt die Gesundheit als ein Produkt wie jedes andere, das sich die Patienten kaufen, die es sich leisten können, und die anderen eben nicht. Damit wird die Gesundheit den »Gesetzen« der liberalen Wirtschaft untergeordnet, die für Solidarität nichts mehr übrig hat. Krankheiten werden dann nach Maßgabe diverser Nützlichkeitskriterien behandelt: Wahrscheinlichkeit der Heilung, Invaliditätsfolgen, Solvenz der Patienten und der Völker, denen sie angehören. Die Prioritäten der Forschung folgen denselben Kriterien. Da die von AIDS befallenen Patienten meist zahlungskräftiger sind als die Malariakranken, privilegiert man die AIDS-Forschung, obwohl es heute beträchtlich mehr Malaria- als AIDS-Kranke gibt. In derselben Logik wird man - beispielsweise - bei den Krebskranken berücksichtigen müssen, wie zahlungskräftig sie sind, wird eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen und gegebenenfalls die Euthanasie ins Auge fassen müssen. (Fs)

Der Leser hat bestimmt schon bemerkt, daß dieses »neue Paradigma«, diese »neue ärztliche Ethik« radikal neoliberal inspiriert ist. Sie enthüllt indes, wie sehr der zeitgenössische Liberalismus vom Marxismus beeinflußt ist. Mittlerweile ist zwischen Mensch und Gesellschaft ein neuer Klassenkampf entbrannt. Ziel dieses Kampfes ist die Eroberung der Gesundheit und des Überlebens. Durch seine Selbstpervertierung zeugt der Liberalismus von heute einen neuen Organizismus, demzufolge der einzelne und bestimmte Gesellschaftskreise nur dann Anspruch auf Pflege und Überleben haben, wenn sie im neuen globalen Markt nützlich sind. (Fs)

Kurzum: Der Liberalismus ist Opfer einer fundamentalen Rechtsverdrehung geworden und hat sich mit der Methode der Salamitaktik Scheibchen um Scheibchen des wertvollsten Elements seiner Tradition rauben lassen: die gleiche Achtung aller Menschen. Die westlichen Demokratien gehen größten Schwierigkeiten entgegen, weil die wichtigen Entscheidungen nur noch im Konsensverfahren getroffen werden; auf der Suche nach dem Kompromiß bleibt die Gerechtigkeit in der Wahrheit auf der Strecke. (Fs)

Indes könnte der Liberalismus wieder zu seiner eigentlichen Form zurückfinden. Er braucht dazu im Grunde nur zu seinen Quellen zurückzukehren und sie zu erneuern, und schon fände die Bioethik die Standfestigkeit wieder, die sie vor den drohenden Gefahren schützt, die sie zum Teil schon angefressen haben. (Fs)

Es ist daher dringend geboten, wieder zu einer realistischen humanistischen Haltung zurückzufinden, wie sie den klassischen Liberalismus auszeichnete, der davon ausging, daß der Mensch - gerade weil er ein freies Wesen ist - zu sich selber findet, und zwar zuallererst in seiner Leiblichkeit. Der Mensch ist eine Primärexistenz mit ureigener Wirklichkeit. Seine Existenz braucht ebensowenig bewiesen zu werden wie die Tatsache, daß die Nase mitten im Gesicht sitzt; man beweist nicht, daß der Mensch existiert, sondern man nimmt es zur Kenntnis. Und daraus zieht man die politischen und rechtlichen Konsequenzen. (Fs)

13a Ohne diese Bezugslage wird das Thema Bioethik häufig rein byzantinistisch oder kasuistisch diskutiert, und dabei gerät das eigentliche und grundlegende Problem außer Sicht. Aber letzten Endes läuft alles auf die Frage hinaus: Sind wir bereit, allen Menschen die gleichen Grundrechte des Menschen zuzuerkennen? Von der impliziten oder expliziten Antwort auf diese Frage hängt die Qualität der Gesellschaft ab, von der wir träumen und die wir bauen. (Fs)

Ausgerechnet in dem Augenblick, da die ärztliche Wissenschaft über immer leistungsfähigere Mittel verfügt, um die Existenz eines Menschenwesens zu erkennen, ist dieses Menschenwesen zu Anfang, während und am Ende seines biologischen Lebens gefährdet. Das ist um so paradoxer und erschreckender, als das 20. Jahrhundert Schauplatz der grausamsten totalitären Erscheinungen der Geschichte war. Gewiß sind die Ursachen dieser Schutzlosigkeit des Menschen komplex, aber man muß sie zuallererst mutig in den Strömungen suchen, die diesen unheilvollen Erfahrungen zugrundelagen und die totalitären Regimes, die sie gebaren, überlebt haben. (Fs)

Hinzu kommt ein Rundum-Relativismus mit einer gehörigen Prise Zynismus. Viele Zeitgenossen legen ihre Überzeugungen beiseite oder werfen überhaupt jede Überzeugung zum alten Eisen; viele tun so, als wüßten sie nicht, daß die Geschichte der Zivilisation, mithin der Demokratie, gleichbedeutend ist mit der Geschichte der Verallgemeinerung der universellen Menschenrechte, welche über Jahrhunderte entwickelt und konsolidiert wurde und als deren krönenden Abschluß man die Menschenrechtsdeklaration von 1948 bezeichnen kann. Die schiere Konsenssuche hingegen geschieht auf dem Wege über Verhandlungen, in denen die einzelnen Verhandlungspartner lediglich ihre Interessen berechnen, ohne darauf Rücksicht zu nehmen, welches Unheil sie bewirken oder welche Tränen sie auslösen. (Fs)

In diesem Jahr, in dem wir den fünfzigsten Jahrestag der Erklärung der universellen Menschenrechte begehen, sind die Menschen paradoxerweise immer weniger bereit, die Universalität der Menschenrechte zu akzeptieren. Die Menschen haben sich zu lieben verlernt - so lautet das Drama unserer Tage. Männer und Frauen werden ihrer elementarsten Rechte beraubt, genauer: diese Rechte werden - stets nach Nützlichkeitskriterien - je nach geographischer, sozialer oder rassischer Zugehörigkeit moduliert. Ein weiteres Mal in der Geschichte werden die Gesetze zum bloßen Werkzeug im Dienst einer neuen Barbarei. (Fs)

So feiern wir die Verurteilung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die vor fünfzig Jahren begangen wurden, sind aber gleichzeitig taub und blind für die Schrecken der heutigen Gesellschaft. Wir verabscheuen - zu Recht! -die Tausende von Sterilisierungen, die vor nicht allzu langer Zeit in Skandinavien vollzogen wurden, aber wir stecken den Kopf in den Sand vor den Millionen analogen Fällen in den armen Ländern heute. (Fs)

14a Tagtäglich erleben wir als Massenphänomen, daß wir uns der Autorität des Stärksten beugen, der Autorität derer, welche die Macht, das Sagen, das Geld, das Wissen haben. Wir finden es höchst bequem, uns blindlings jedem beliebigen Gesetz zu unterwerfen, weil es das Gesetz ist, dem Staat, weil er der Staat, der UNO, weil sie die majestätische UNO ist. Wir lassen uns einschüchtern von einem flagranten Machtmißbrauch nach dem andern und landen schließlich in der freiwilligen Sklaverei. Schon ist es in Frankreich - dem angeblichen Land der Menschenrechte und Leuchtturm der Demokratie - juristisch höchst gefährlich geworden, das Gesetz, das die Abtreibung legalisiert, (demokratisch und mit den gleichen Mitteln wie weiland die Abtreibungs-Befürworter) in Frage zu stellen. Und die selbst- und geschichtsvergessene Europäische Union schickt sich an, mit der Legalisierung der Euthanasie eine weitere Schlacht gegen das Leben zu gewinnen. (Fs)

14b Was nottut, ist darum eine gemeinsame weltweite Front aller, die bereit sind, das menschliche Leben zu schützen und zu fördern. In dieser Zeit der Globalisierung muß die Bioethik die Skala ihrer Themen erweitern und die nationalen und internationalen Lebenspolitiken in ihre Prüfung einbeziehen. Aus offensichtlichen Gründen ist Deutschland für die Frage der Achtung des Lebens besonders empfindsam. Mit der Autorität, die ihm seine eigenen Leiden verleihen, in Erinnerung seiner eigenen Tränen, hat es nunmehr die Chance, sich zur weltweit führenden Kraft des Widerstands gegen die Kräfte des Todes aufzuschwingen. Damit macht es sich es zum Hoffnungsträger für die Gemeinschaft der Menschen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [3] Ist das ungeborene Kind schon ein menschliches Wesen?

Kurzinhalt: Sogar die Gesetze, die die Abtreibung liberalisieren, erklären eingangs stets, daß das Wesen, dessen Tötung sie unter gewissen Bedingungen erlauben, ein Mensch sei. Das deutsche Recht drückt es so aus:

Textausschnitt: Sogar die Gesetze, die die Abtreibung liberalisieren, erklären eingangs stets, daß das Wesen, dessen Tötung sie unter gewissen Bedingungen erlauben, ein Mensch sei. Das deutsche Recht drückt es so aus:

§ 219: »...Dabei muß der Frau bewußt sein, daß das Ungeborene in jedem Stadium der Schwangerschaft auch ihr gegenüber ein eigenes Recht auf Leben hat und daß deshalb nach der Rechtsordnung ein Schwangerschaftsabbruch nur in Ausnahmesituationen in Betracht kommen kann, wenn der Frau durch das Austragen des Kindes eine Belastung erwächst, die so schwer und außergewöhnlich ist, daß sie die zumutbare Opfergrenze übersteigt...« [Hervorhebung durch uns]

Ein solches Vorgehen - wenn wie hier der zweite Satzteil dem ersten glatt widerspricht - nennt man auch »Abweichungstaktik«: Man stellt ein unbestrittenes Prinzip auf, um dann sofort die Bedingungen oder Umstände aufzuzählen, in denen das Gesetz keine Geltung haben soll (s.a. 31, 61, 65). Dieses Verfahren findet sich auch in den Gesetzentwürfen über die Euthanasie. (Fs)

Das werdende Kind soll am Geborenwerden gehindert werden, nicht etwa mit der Behauptung, es sei noch gar kein menschliches Wesen, sondern eben weil es schon ein menschliches Wesen ist. Man weiß genau, daß das Wesen, das sich hier ankündigt, weder ein Hund, noch eine Katze, sondern demnächst ein Säugling, dann ein junger und danach ein erwachsener Mensch sein wird. Eben weil es dies sein wird, wird es beseitigt. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [4] Warum zweifeln gewisse Verfechter der Abtreibung den menschlichen Charakter des Ungeborenen an?

Kurzinhalt: Dieser Zweifel wird seit jeher immer dann geäußert, wenn Menschen ausgebeutet oder ausgerottet werden sollen.

Textausschnitt: Dieser Zweifel wird seit jeher immer dann geäußert, wenn Menschen ausgebeutet oder ausgerottet werden sollen. (Fs)

In der Antike galt der Sklave rechtlich als »Ding« und der Barbar als Mensch zweiter Klasse, obzwar jedermann wußte, daß es sich bei ihm grundsätzlich um einen Menschen handelte. Im 16. Jahrhundert betrachteten gewisse Eroberer die Indianer als »Tiere von scheinbar menschlichem Aussehen«. Die Nazis bezeichneten bestimmte Personengruppen als »Untermenschen«. Diesen von den jeweiligen Herren diktierten willkürlichen Einstufungen entsprachen reale Diskriminierungen, die wiederum die Ausbeutung oder Ausrottung »legitimierten« (s.a. 32). (Fs)

Nun kann man argumentieren, ein Embryo sei zwar schon ein menschliches Wesen, habe aber nicht die Rechte eines Erwachsenen, insbesondere, weil es über kein personales Ich verfüge, kurz: das menschliche Wesen sei also noch keine Person. Nun gibt es sicherlich verschiedene, teilweise sogar zum Verständnis des Menschen nützliche Theorien über das Personsein, aber letztlich geht es um das Menschsein, denn die Trennung der bei den Begriffe in der Abtreibungsdebatte ist reine Spielerei. Vom Augenblick der Befruchtung an ist die menschliche Entwicklung kontinuierlich, ohne jegliche Zäsuren. Das Ausdifferenzieren des zentralen Nervensystems ist nichts anderes als eine Spezialisierung der schon vorhandenen Zellen. Die volle personale Entfaltung steht noch aus, da die Person gleichsam »schlummert«, und nicht etwa, weil keine Person vorhanden wäre, genauso wie ein erwachsener Mensch sein Personsein nicht permanent durch menschliche Handlungen äußert - etwa wenn er schläft. Trotzdem wird der Mensch, welcher schläft, als Person betrachtet und seine menschliche Schutzwürdigkeit anerkannt. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [5] Gestatten die Fortschritte der biologischen Forschung, das Menschsein des ungeborenen Kindes anzuzweifeln?

Kurzinhalt: Der menschliche Charakter des aus der Vereinigung von Mann und Frau entstandenen Embryos wird nur von denen in Frage gestellt, die die Voraussetzungen schaffen wollen, ...

Textausschnitt: In der Veterinärmedizin stellt niemand die Frage, ob ein Hunde-Embryo nun ein Katzen-, Schafs- oder Rinderleben darstelle. (Fs)

Das Produkt der menschlichen Fortpflanzung ist ein menschliches Wesen. Der menschliche Charakter des aus der Vereinigung von Mann und Frau entstandenen Embryos wird nur von denen in Frage gestellt, die die Voraussetzungen schaffen wollen, um die Abtreibung und/oder Experimente mit menschlichen Embryonen zu »rechtfertigen« (s.a. 69; EV 63). (Fs)

Es spricht im übrigen Bände über die entstandene ethische Verwirrung, wenn gewisse Verfechter der künstlichen Befruchtung vorgeben, sie sorgten sich moralisch wegen des Schicksals der Embryonen, die in vitro verblieben und nicht in vivo transplantiert würden. (Fs)

Warum schlagen sich Wissenschaftler, die Embryos produzieren und manipulieren, eigentlich mit einem Problem herum, wenn diese laut ihrer Idee noch gar keine Menschen sind? In Tat und Wahrheit fühlen dieselben Wissenschaftler - trotz ihrer rhetorischen Versuche, ihre Experimente zu rechtfertigen - tief im Herzen, daß etwas »nicht stimmt«. Es gibt nämlich eine formallogische, zwingende Begründung für die Unterlassung aller dieser Experimente: Kein Wissenschaftler hat jemals nachweisen können, daß ein Embryo erst ab einem bestimmten Zeitpunkt (9, 12, 14 oder 16 Wochen) zu einem wirklichen Menschen wird. Solange diese Beweisführung aussteht, muß man sich aller Manipulationen enthalten, denn das manipulierte und meistens zerstörte Wesen könnte ein Mensch sein. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [6] Ist die Abtreibung gerechtfertigt, wenn das empfangene Kind unerwünscht ist?

Kurzinhalt: Ein Wunschkind ist nicht zwangsläufig glücklich und ein ungewolltes Kind nicht notwendigerweise ungeliebt oder unglücklich. Viele zunächst unerwünschte Kinder werden später heiß geliebt, ebenso wie zahlreiche Wunschkinder unglücklich sind.

Textausschnitt: a) Ein Wunschkind ist nicht zwangsläufig glücklich und ein ungewolltes Kind nicht notwendigerweise ungeliebt oder unglücklich. Viele zunächst unerwünschte Kinder werden später heiß geliebt, ebenso wie zahlreiche Wunschkinder unglücklich sind. (Fs)

In jedem Fall gehen auch mit dem Wunschkind immer zahllose Risiken für die Eltern und die Gesellschaft einher. Zudem kann es durchaus nach der Geburt als unerwünscht angesehen werden, beispielsweise wegen seiner eigenen Entwicklung (etwa zum Verbrecher oder aufgrund einer speziellen, unerwünschten Veranlagung) oder wegen der Entwicklung der Eltern (Scheidung). Eine Erziehung, die darauf hinwirkt, daß jedes Kind angenommen wird, ist also unerläßlich. (Fs)

b) Psychologisch gesehen ist festzustellen, daß bei den meisten Frauen im Laufe der Schwangerschaftsmonate aus eventueller anfänglicher Angst oder Verstimmung fast immer Hinnahme und dann Liebe wird. Der Kinderwunsch verharrt nicht im Anfangsstadium, sondern er schreitet voran und reift. Wahrscheinlich waren wir selbst zumeist gar nicht erwünscht, sondern sind hingenommen worden. (Fs)

Überdies bildet das vereinte Paar, die aus zwei Menschen gebildete Familie, die natürliche Aufnahmestruktur für das Kind, und das heißt nichts anderes, als daß sie beide genug Dauer, Treue und Zuversicht mitbringen müssen, um gemeinsam im Unvorhergesehenen zu bestehen (s.a. 63). Was nottut, ist daher, daß das richtige Gesellschaftsklima an die Stelle der heutigen Tendenz tritt, bei der den Paaren allzuoft von der Selbstprojektion und Fortpflanzung abgeraten wird und man Familien mit Kindern negativ begegnet. (Fs)

c) Die soziale Indikation: Heute werden die meisten Abtreibungen durchgeführt, weil das Austragen des werdenden Kindes dem Umfeld (der Mutter, dem Vater, eventuell der Familie) sozial nicht tragbar erscheint. Daß es soziale Notlagen und persönliche Zwangssituationen in der Vergangenheit gegeben hat, heute gibt und wahrscheinlich auch in Zukunft immer geben wird, ist hinlänglich bekannt. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese Notlagen der Gesellschaft die Berechtigung geben, das Problem dort zu lösen, wo es eigentlich gar nicht liegt: beim werdenden Kind. Denn dieses ist ja unschuldig an der bestehenden Lage, und die Beseitigung eines unschuldigen Wesen verändert daran nicht viel. Wenn schon soziale Kriterien herangezogen werden, dann müßten sie darauf abstellen, die Situation so zu verbessern, daß eine Abtreibung gar nicht mehr nötig wird. Auf gar keinen Fall aber können soziale Indikatoren, welche auf der täglich gelebten Realitätsebene liegen - so tragisch sie im Einzelfall sein mögen -, die Basis abgeben für eine politische und rechtliche Grundsatzregelung, die den Kern unserer Zivilisation trifft, nämlich die Definition des Rechts auf Leben für jeden einzelnen. (Fs)

d) Schließlich kann ein unerwünschtes Kind auch die Folge einer Vergewaltigung sein. Dieses für die betroffene Frau dramatische Problem wird in Kapitel 3 ausführlicher behandelt. Hier soll der Hinweis genügen, daß vom moralischen Standpunkt aus das gegenüber einer wehrlosen Frau verübte Unrecht nicht mit einem weiteren Unrecht, diesmal gegenüber dem wehrlosen Kind, vergolten werden darf. Denn nach der universellen Ethik gibt es Handlungen! die - auch wenn sie in der Realität geschehen - niemals erlaubt sein dürfen. Eine davon ist die Tötung eines Ungeborenen, weil man es des fundamentalsten aller Güter und Rechte beraubt: der Existenz, ohne welche alle zukünftige Entfaltungen der menschlichen Person unmöglich werden. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [7] Muß das Kind nicht die Folge verantwortlicher Elternschaft sein?

Kurzinhalt: Radikale Geburtenbeschränkung bedeutet nichts anderes, als daß die menschliche Gesellschaft zuläßt, daß alle als unerwünscht erklärten Wesen beseitigt werden, ...

Textausschnitt: Für den Menschen gibt es gar keine andere Elternschaft als die verantwortliche (s.a. 121). Das bleibt unbestritten. Eine gewisse Geburtenplanung ist daher für alle Paare erwünscht. Aber was beinhaltet diese Planung? Etwa die totale Beherrschung der Fruchtbarkeit mit allen Mitteln - radikale Verhütung, nachträgliche Abtreibung, Sterilisierung, Euthanasie der behinderten Kinder?... Radikale Geburtenbeschränkung bedeutet nichts anderes, als daß die menschliche Gesellschaft zuläßt, daß alle als unerwünscht erklärten Wesen beseitigt werden, und damit zerstört sich die Gesellschaft selbst. Eine Gesellschaft, die den anderen mit all ihren Unterschieden keinen Raum läßt, wird zur Hölle. Für sie gilt Sartres Ausspruch: »Die Hölle, das sind die anderen.«1

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [8] Ist es angesichts der medizinischen Fortschritte nicht normal, daß Eltern sich perfekte Kinder wünschen?

Kurzinhalt: Nur Wunschkinder oder nur »perfekte« Kinder zu wollen, gehorcht derselben Logik. In beiden Fällen wird das Kind nicht um seiner selbst willen gewollt, sondern zur Wunschbefriedigung des Paares.

Textausschnitt: Nur Wunschkinder oder nur »perfekte« Kinder zu wollen, gehorcht derselben Logik. In beiden Fällen wird das Kind nicht um seiner selbst willen gewollt, sondern zur Wunschbefriedigung des Paares. Kündigt sich ein unerwünschtes Kind an, dann läuft es den Wünschen des Paares zuwider. Ist es nicht perfekt, so entspricht es nicht der Erwartungshaltung des Paares. In beiden Fällen, wann immer ein Kind einen willkürlich gesetzten Rahmen nicht erfüllt, steht das Leben des Kindes auf dem Spiel und werden Leben und Tod des Kindes ausschließlich ins Ermessen der Eltern gestellt. Das Kind wird nicht als Individuum akzeptiert, sondern als »Konsumobjekt gewünscht«. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [9] Wie kann der Wunsch nach dem perfekten Kind zur Abtreibung führen?

Kurzinhalt:
Wo das Prinzip gilt, daß ein Wesen zum Dasein zugelassen wird, weil es den Erwartungen entspricht, gilt zwangsläufig auch, daß man ihm die Existenzberechtigung abspricht, wenn es den Wünschen nicht entspricht.

Textausschnitt: Wo das Prinzip gilt, daß ein Wesen zum Dasein zugelassen wird, weil es den Erwartungen entspricht, gilt zwangsläufig auch, daß man ihm die Existenzberechtigung abspricht, wenn es den Wünschen nicht entspricht. Das nicht ausdrücklich gewünschte Kind darf dann aus dem einzigen Grund beseitigt werden, daß es nicht gewünscht war, das die Qualitätserwartungen nicht erfüllende Kind aus dem einzigen Grund, daß es nicht die Qualitäten mitbringt, die man sich von ihm erhofft hat. (Fs)

Deswegen werden die »Indikationen« für eine Abtreibung immer vielfältiger und zahlreicher. Die Vervielfachung der »eugenischen« oder »orthogenischen« Indikationen ist die Begleiterscheinung einer Sichtweise, die das Kind zum Wunsch- und Sachobjekt reduziert. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: 10] Wir achten mittlerweile sehr auf Lebensqualität. Viele empfangene Kinder werden unglücklich oder haben keine Aussicht auf ein qualitativ hochstehendes Leben. Die Abtreibung löst dieses Problem.

Kurzinhalt: ... der Kardinalfehler in der Argumentationskette: Die Besiegung der Armut besteht nicht darin, daß man die Armen aus der Welt schafft, sondern darin, daß man mit ihnen teilt bzw.

Textausschnitt: a) Sofern Anlaß besteht anzunehmen, daß die Lebensumstände nicht für ein glückliches Kind sprechen, kann man fragen, welche Lösung die menschlichere ist: Ist es die Tötung des Kindes, oder sind es Anstrengungen, für bessere Existenzbedingungen des Kindes zu sorgen?

b) Die Feststellung geht von der Annahme aus, das Leben sei erst ab einem gewissen Qualitätsniveau lebenswert. Hier befinden wir uns eindeutig in der denkbar subjektivsten Vorstellungswelt. Was ist Lebensqualität, und wo beginnt sie? Was den einen glücklich macht, bewirkt nicht zwangsläufig auch das Glück des andern, und worüber Peter lächeln kann, treibt Paul zum Selbstmord. (Fs)

c) Wenn die Tötung eines Menschen rechtens ist, weil er Gefahr läuft, so arm zu sein, daß sein Leben nicht mehr lebenswert ist, dann ist es ebenso rechtens, alle diejenigen zu töten, die heute hungern. Diesen - durchaus konsequenten - Schluß wagt selbstverständlich niemand zu ziehen. Damit offenbart sich schlagartig der Kardinalfehler in der Argumentationskette: Die Besiegung der Armut besteht nicht darin, daß man die Armen aus der Welt schafft, sondern darin, daß man mit ihnen teilt bzw. ihnen hilft, aus der Armut herauszufinden (s.a. 136). (Fs)

d) Nie war unsere Gesellschaft so reich wie heute. Es genügt eine wohldurchdachte, richtig angewendete und kontrollierte Politik der Mutterschaftshilfe, und schon verfügt jedes Kind bei seiner Geburt über das materielle Minimum für eine würdige Existenz. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [13] Heute lassen sich Mongoloide vor der Geburt diagnostizieren. Hat man angesichts der Fortschritte der Wissenschaft noch das Recht, ein Kind am Leben zu lassen, ...

Kurzinhalt: Das »Recht auf Leben« ist die Basis unserer humanistisch aufgebauten Gesellschaft und bildet die Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei. Es ist wesenhaft an den Menschen als solchen gebunden und nicht an irgendeine willkürlich festzulegende ...

Textausschnitt: JWer hat das Recht, das zu bestimmen? Vielleicht kennen Sie den berühmten Bassisten Ruggero Raimundi. Am 23. November 1989 berichtete er in einer Rundfunksendung Erstaunliches. Raimundi singt nur auf der Bühne - mit einer einzigen Ausnahme: Er singt für seinen vierten Sohn Rodrigo, »der mit einem Chromosom zuviel geboren wurde«. Diesen kleinen Mongoloiden haben die Raimundis - Vater, Mutter und die drei großen Brüder - mit offenen Armen aufgenommen. »Für meine Frau und mich ist Rodrigo mittlerweile ein Gottesgeschenk. Ein Geschenk des Himmels. Dank seiner haben wir unvermutete Seelentiefen entdeckt. [...] Ganze Schätze, die wir unter normalen Umständen überhaupt nicht gesehen hätten, weil wir achtlos an ihnen vorübergegangen wären.« Und der sensible Künstler fuhr fort: »Noch heute denken viele, wenn sie nur das Wort mongoloid hören, ein solches Wesen dürfe niemals das Licht der Welt erblicken; zumindest müsse man es in irgendwelchen Spezialkliniken verstecken. Ich halte das für einen grauenhaften Irrtum. Gerade die mongoloiden Kinder brauchen die Familie. Sie brauchen Liebe und unendlich viel Zuneigung. Und diese Liebe zahlen sie hundertfach, tausendfach zurück. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie glücklich ich jedesmal bin, wenn ich zu Rodrigo heimkomme und für ihn singe. Er sitzt da, lächelt mir zu und umarmt mich mit einer ungeahnten Herzlichkeit. Das ist unbeschreiblich. Rodrigo vereinnahmt uns geradezu. Vermutlich, weil wir ihn so annehmen, wie er ist...«

Das »Glück« des Menschen ist somit keine Wesenseigenschaft, sondern es ist abhängig von seinen ganz individuellen Wunschvorstellungen. Darum kann sich keine Instanz anmaßen zu sagen, was das Glück des Menschen ausmacht. Vor allem kann niemand zu postulieren wagen, nur eine gewisse Kategorie von Qualitäten könne zu mehr oder weniger Glück führen, und daraus das Recht abzuleiten, im Falle der Nichterfüllung dieser Qualitäten sei der betreffende Mensch zu beseitigen. (Fs)

Kurzum: Das »Recht auf Leben« ist die Basis unserer humanistisch aufgebauten Gesellschaft und bildet die Grenze zwischen Zivilisation und Barbarei. Es ist wesenhaft an den Menschen als solchen gebunden und nicht an irgendeine willkürlich festzulegende Qualität des Individuums. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: Zusammenfassung - das ungeborene Kinde

Kurzinhalt: Unsere Gesellschaften schwanken zwischen dem Menschenrecht auf Leben, das allen zugestanden wird, und dem Recht der Mutter auf Entscheidungsfreiheit. Dabei werden alle möglichen sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Argumente herangezogen um ...

Textausschnitt: 25a Unsere Gesellschaften schwanken zwischen dem Menschenrecht auf Leben, das allen zugestanden wird, und dem Recht der Mutter auf Entscheidungsfreiheit. Dabei werden alle möglichen sozialen, wirtschaftlichen und psychologischen Argumente herangezogen um zu zeigen, daß eine Abtreibung in bestimmten Fällen eine bessere Lösung sei als das Austragen eines unbeabsichtigten Kindes. Es wird dabei übersehen, daß diese Argumentation zwar im Einzelfall verständlich sein kann, in einem Rechtsstaat aber nicht zum Recht erklärt werden darf. Denn entweder ist der Mensch von allem Anfang an ein Mensch, und dann ist er bedingungslos zu schützen, oder aber er ist bis zu einem bestimmten Zeitpunkt (je nach Land verschieden, der 10., 12., 14. oder 16. Woche) »kein« Mensch (und dann wäre seine eventuelle Beseitigung ein persönliches Problem der Frau). Da hilft auch die Aussage nicht weiter, »wissenschaftlich wisse man nicht, ab wann ein Mensch ein Mensch sei«, denn in diesem Falle könnte das zur Abtreibung freigegebene Kind schon ein Mensch sein, und dann müßte der Rechtssatz »in dubio pro reo« (im Zweifel für den Angeklagten) gelten: Bis zum absoluten Beweis, daß das abzutreibende Kind zum Abtreibungszeitpunkt kein Mensch ist, muß es, da es ein Mensch sein könnte, geschützt bleiben. (Fs)

In christlicher Sicht macht es die Würde des Menschen aus, daß er sich Kind Gottes nennen darf und Erbe des Paradieses ist. Nur so ist die christliche Moral - und somit der Standpunkt des absoluten Schutzes menschlichen Lebens - zu verstehen. Derselbe Ansatz ist auch in der universellen Ethik vorhanden, wenngleich in verschleierter Sprache: Jeder Mensch besitzt eine Würde, die unvergleichlich höher liegt als die Würde irgendeines anderen Wesens - Tier oder Pflanze - dieser Welt. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [14] Ist die Frau nicht Herrin ihres Körpers?

Kurzinhalt: Jeder Mensch ist Herr seines eigenen Körpers - das ist eine Grundforderung der Menschenrechte. Nur in der Sklaverei kann ein Menschenwesen zum Eigentum eines anderen werden ...

Textausschnitt: Jeder Mensch ist Herr seines eigenen Körpers - das ist eine Grundforderung der Menschenrechte. Nur in der Sklaverei kann ein Menschenwesen zum Eigentum eines anderen werden (s.a. 34; EV 22). Indessen: Das ungeborene Kind ist nicht etwa ein Organ seiner Mutter, sondern ein einzigartiges, anderes Wesen mit eigener genetischer Individualität. Dieses absolut einzigartige Wesen durchläuft eine originäre Entwicklung, die durch nichts unterbrochen wird. Über die Existenz dieses Wesens hat die Frau nicht zu befinden - im Gegensatz zum römischen Pater familias, der einstmals über seine Kinder befand. (Fs)

Insoweit ist zunächst eine Grundfrage zu klären: Welche Gesellschaft wollen wir? Eine Gesellschaft, die grundsätzlich jedes Menschenleben gleichwertig achtet und schützt und es somit ab dem Augenblick aufnimmt, da es sich bemerkbar macht, oder eine Gesellschaft, die das Privileg, ja das Vorrecht des Herrentums wiedererrichtet, das über das Leben anderer bestimmen darf? Letztere wäre das genaue Gegenteil der Demokratie (s.a. 17, 18, 42); in ihr gälte das Prinzip der wesenhaften Ungleichheit der Menschen (EV 72). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [16] Ist das Recht zur Abtreibung und das freie Verfügungsrecht der Frau über ihren Körper nicht eine wesentliche Forderung des Feminismus?

Kurzinhalt: Gemeinhin wird das »Recht auf Abtreibung« dahingehend begründet, daß man stipuliert, die Frau habe das hundertprozentige Verfügungsrecht über ihren Körper, wobei das werdende Kind als exklusiv dem Mutterleib zugehöriger Körperteil oder ...

Textausschnitt: Gemeinhin wird das »Recht auf Abtreibung« dahingehend begründet, daß man stipuliert, die Frau habe das hundertprozentige Verfügungsrecht über ihren Körper, wobei das werdende Kind als exklusiv dem Mutterleib zugehöriger Körperteil oder auch eine Art Auswuchs (wie etwa ein Tumor) angesehen wird. In Wahrheit ist das werdende Kind jedoch ein völlig eigenständiges Wesen, das sich seiner geschützten Entwicklung willen zwar im Mutterleib befindet, ihm aber nicht gehört, denn es ist das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Handlung von Mann und Frau. In diesem Sinne gibt es keinen schlimmeren »Machismus« als den, daß der Mann die Intelligenz und den Willen der Frau knebelt, sie zum bloßen Gegenstand der sexuellen Lust erniedrigt, somit instrumentalisiert. (Fs)

a) Genau dieser von den Frauen verinnerlichte »Machismus« läßt die Frauen zur »Hormonisierung«, Verstümmelung und »Entmütterlichung« neigen - zur Neutralisierung ihrer Hinwendung zur Mutterschaft. Schon heute gilt für die Sterilisierung, was in mehreren Teilen Afrikas und des Nahen Ostens für die Beschneidung der Frauen gilt: Die sterilisierten Frauen zeigen schließlich mit dem Finger auf jene, die noch fruchtbar sind!

b) Unter dem Druck der neomalthusianischen Bewegung verzichten die Frauen des 20. Jahrhunderts auf ihren »Vergleichsvorteil«, den sie seit Urzeiten gegenüber dem Manne innehaben: als einzige Leben schenken zu können. Sie entfremden sich damit ihrer Natur. Zugleich geben sie sich damit voll und ganz den Männern und deren Wunschvorstellungen in die Hände. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [17] Ist die gesetzliche Bestrafung der Abtreibung nicht ein Verstoß gegen die Rechte der Frau?

Kurzinhalt: Die Gesetze, die die Abtreibung unter Strafe stellten und stellen, verstoßen keineswegs gegen die Rechte der Frau, sondern sie schützen das Lebensrecht des gezeugten Kindes.

Textausschnitt: Die Gesetze, die die Abtreibung unter Strafe stellten und stellen, verstoßen keineswegs gegen die Rechte der Frau, sondern sie schützen das Lebensrecht des gezeugten Kindes. Mit dem Recht auf Abtreibung wird dieses Lebensrecht unterdrückt. Das Verbot der Abtreibung besagt lediglich, daß niemand über das Leben eines Unschuldigen verfügen darf (s.a. 60). Es stellt einzig und allein das allgemeine Wesensprinzip jeder humanistischen und demokratischen Gesellschaft fest: das gleiche Lebensrecht aller Menschenwesen (EV 72). Somit ist die Strafandrohung dieser Gesetze nichts als die Konsequenz eines vorgegebenen und unveräußerlichen Rechtes des ungeborenen Kindes. Die Verletzung dieses Rechtes wird unter Strafe gestellt. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [18] Ist Demokratie ohne ein Mindestmaß an politischer Moral überhaupt möglich?

Kurzinhalt: In jeder Gesellschaft müssen die Menschen wissen, was das Zusammenleben fördert und was ihm entgegensteh ...

Textausschnitt: In jeder Gesellschaft müssen die Menschen wissen, was das Zusammenleben fördert und was ihm entgegensteht (EV 17, 70). Unehrlichkeit, Schwindel, Diebstahl und ganz allgemein willkürliche Rechtslagen behindern das Leben in einer guten Gesellschaft. Nicht anders sieht es bei gravierenden Delikten wie Vergewaltigung und Totschlag aus, schon gar, wenn das Opfer wehrlos ist. (Fs)

Das Gesetz kann den Verstoß gegen das Recht zwar nicht verhindern, aber es muß ihn bestrafen. In einer demokratischen Gesellschaft kann es bei Mord oder Vergewaltigung mildernde oder erschwerende Umstände geben, aber gerechtfertigt ist beides in keinem Fall. Darum kann die Abtreibung niemals als positives, affirmatives Recht der Frau gelten. Zum Verbrechen wird Mord und Vergewaltigung nicht etwa, weil das Gesetz sie dazu macht, sondern weil sie es sind. Weil diese Taten verabscheuungswürdig sind, muß das Gesetz sie unter Strafe stellen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [21] Betrifft die Liberalisierung der Abtreibung vor allem bestimmte Kategorien von Frauen?

Kurzinhalt: Studien in Frankreich und England zeigen, daß vor allem alleinstehende und insbesondere noch heranwachsende Frauen zur Abtreibung greifen.

Textausschnitt: Studien in Frankreich und England zeigen, daß vor allem alleinstehende und insbesondere noch heranwachsende Frauen zur Abtreibung greifen. (Fs)

a) 1978 waren in England 65 Prozent der Frauen, die abtrieben, unverheiratet, verwitwet, geschieden oder lebten getrennt. Dasselbe Phänomen zeigte sich in Frankreich. (Fs)

b) Die Erfahrung zeigt insbesondere, wie sehr die Abtreibung unter den heranwachsenden Mädchen Unheil stiftet, die gleich zu Beginn ihres fraulichen Lebens wehrlos der Ausbeutung, der Erniedrigung und Demütigung ausgesetzt werden (s.a. 109-113). 1978 waren in England 2,6 Prozent der Frauen, die abtrieben, unter 16 Jahre alt. (Fs)

Somit zeigt eine nähere Betrachtung der Liberalisierung der Abtreibung nicht nur die extreme Verwundbarkeit des Kindes, sondern auch die der Frau in der Gesellschaft. Daraus ergibt sich die unbedingte Notwendigkeit, in der Diskussion die integrale Förderung der Frau und den Schutz des ungeborenen Kindes niemals getrennt voneinander, sondern stets nur im Zusammenhang miteinander zu behandeln (EV 99). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [22] Erleichtert die Abtreibung nicht wenigstens die Not der Frauen?

Kurzinhalt: So gilt es also vor allem anderen, der schwanger Gewordenen zu helfen, sie diskret, wirksam und innig auf ihrem Weg zu begleiten. Nur so kann sie die Schwangerschaft unter bestmöglichen Bedingungen zu Ende führen, eventuell, falls gewünscht, ...

Textausschnitt: Sieht man einmal von den Fällen ab, in denen Frauen ihr Kind opfern, weil sie es als Hindernis für ihre Karriere, ihre Freizeit oder ihr Vergnügen betrachten, so erwarten die schwangeren Frauen in Not, daß man ihnen hilft, und nicht, daß man ihr Kind tötet. Zudem mindert die Beseitigung des Ungeborenen keineswegs die Notlage der Frau (s.a. 27). Die meisten abtreibenden Frauen sind alleinstehend. Beseitigt die Abtreibung etwa ihre Einsamkeit? Verschärft sie diese auf Dauer nicht eher? Wenn die Gesellschaft schon die Abtreibung liberalisiert, hat sie zumindest die Pflicht, den dadurch in Not geratenen Frauen wirksam zu helfen. Sonst muß die Frau ganz allein mit ihrem körperlichen und seelischen Schmerz fertig werden und wird noch mehr in die trostlose Einsamkeit abgeschoben. Denn selbst wenn man die Gewissensbisse außer acht läßt, gibt es neben der »kurzfristigen« Notlage, die zur Abtreibung neigen läßt, auch das »langfristige« Elend, das sich nach der Abtreibung breitmachen kann. (Fs)

So gilt es also vor allem anderen, der schwanger Gewordenen zu helfen, sie diskret, wirksam und innig auf ihrem Weg zu begleiten. Nur so kann sie die Schwangerschaft unter bestmöglichen Bedingungen zu Ende führen, eventuell, falls gewünscht, auch mit der Möglichkeit, das Kind nach der Geburt Adoptiv-eltern anzuvertrauen, zumal es auf der heutigen Welt zu viele kinderlose Paare gibt (s.a. 111, 113, 124). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [23] Kann in äußersten Notlagen die Abtreibung nicht als das kleinere Übel angesehen werden?

Kurzinhalt: Die gewöhnliche Moral und der gesunde Menschenverstand kennen die Maxime, daß zwischen zwei unvermeidlichen Übeln das kleinere gewählt werden soll, daß aber auch der Zweck niemals die Mittel rechtfertigen kann, ...

Textausschnitt: a) Die gewöhnliche Moral und der gesunde Menschenverstand kennen die Maxime, daß zwischen zwei unvermeidlichen Übeln das kleinere gewählt werden soll, daß aber auch der Zweck niemals die Mittel rechtfertigen kann, d.h., daß aus einem Übel niemals etwas Gutes hervorgehen kann (s.a. 24). Diese ganz einfachen Maximen gelten mit Sicherheit hier. Man kann nicht ein Kind töten und hoffen, damit werde sich die Lage seiner Mutter oder der Gesellschaft bessern. (Fs)

b) Auch das Argument, hier liege ein Wertekonflikt zwischen den Wünschen der Mutter und dem Lebensanspruch des Kindes vor, sticht nicht. Das Leben ist das höchste Gut und der höchste Wert und gewährt erst Zugang zu den anderen Werten (s.a. 11). Das Lebensrecht des Kindes geht allen Rechten seiner Mutter im Verhältnis zu allen anderen Werten vorauf (EV 68). Der juristische Grundsatz lautet: Nicht die Freiheit des Handelnden ist das Primäre, sondern der Persönlichkeitsschutz der durch das Handeln Betroffenen. Das Gegenteil wäre menschenunwürdig. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [24] Wie sieht es aus, wenn das Leben der Mutter und/oder des Kindes in Gefahr ist?

Kurzinhalt: Die gute Absicht kann den moralischen Wert einer Tat nicht verändern - einfacher gesagt: Der Zweck heiligt nicht die Mittel (EV 63, 75). Beispielsweise darf nicht ein Unschuldiger hingerichtet werden, ...

Textausschnitt: Dieses Problem ist glücklicherweise in der Praxis äußerst selten geworden. Dennoch wird es immer wieder aufgeworfen. Welche Prinzipien gelten hier?

a) Die gute Absicht kann den moralischen Wert einer Tat nicht verändern - einfacher gesagt: Der Zweck heiligt nicht die Mittel (EV 63, 75). Beispielsweise darf nicht ein Unschuldiger hingerichtet werden, um das Vaterland zu retten. Die Rettung des Vaterlandes ist ein guter Zweck, aber das rechtfertigt nicht die Aufopferung eines Unschuldigen. Ebensowenig läßt sich der moralische Wert einer Tat durch die Umstände verändern. Diese können lediglich die Verantwortung mildern oder erschweren. (Fs)

b) Das in dieser Frage geltende Prinzip ist einfach: Es gibt keine Wahl zwischen dem Leben der Mutter und dem des Kindes. Man darf nicht das eine unschuldige Leben einem anderen opfern. Allerdings kann es geschehen, daß bei dem Versuch, alles zu tun, um beide zu retten, das Kind zu Schaden kommt. Doch es kommt darauf an, beide retten zu wollen und alles in der menschlichen Macht Liegende zu tun, um dieses Ziel zu erreichen. Dabei kann es passieren, daß eine unbeabsichtigte Folge eintritt und das Kind stirbt. (Fs)

c) Den Tod eines Unschuldigen - selbst indirekt - herbeizuführen, kann niemals rechtens sein, und sei der Zweck noch so gut, wie etwa der, das Leben der Mutter retten zu wollen. Es kann allerdings geschehen, daß eine gute Handlung, wie etwa die Krebsbehandlung der Mutter, eine unglückliche - weder gewollte noch gewünschte - Konsequenz nach sich zieht, nämlich den Tod des Kindes, das diese Mutter in ihrem Schoß trägt. (Fs)

d) Zusammenfassend läßt sich sagen, daß beim ehrlichen Versuch, jemanden zu retten, ein Leben untergehen kann. Die Situation ähnelt der Suche nach Verschütteten: Man will alle retten, die sich noch retten lassen. Ziel eines Eingriffs muß es in jedem Fall sein, das Leben beider zu retten. (Fs)
Beim Verfolgen zweier Ziele kann es geschehen, daß damit ein positiver und ein negativer Effekt einhergeht. Der Arzt kann gezwungen sein, sich für das eine oder das andere zu entscheiden. Worauf es jedoch ankommt, ist dies, daß der negative Effekt niemals gewollt, sondern höchstens resigniert hingenommen wird (s.a. 23). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [25] Ist nicht bei Vergewaltigung eine Abtreibung gerechtfertigt?

Kurzinhalt: Außer den Opfern kann sich niemand vorstellen, welches Leid eine Vergewaltigung der Frau zufügt. Es ist daher menschlich verständlich, ...

Textausschnitt: Außer den Opfern kann sich niemand vorstellen, welches Leid eine Vergewaltigung der Frau zufügt. Es ist daher menschlich verständlich, daß eine von einem so barbarischen Akt betroffene Frau das werdende Kind nicht akzeptieren kann und will und es deshalb abtreiben möchte. (Fs)

Die individuelle Verständnisbereitschaft dafür ist das eine, die soziale »Konfliktlösung« das andere. Denn man muß sich fragen, ob sich ein schweres Unrecht durch ein noch schwereres wiedergutmachen läßt. Darf das Kind, ein unabhängiges Individuum, das durch die verbrecherische Tat eines barbarischen Vaters an einer unschuldigen Mutter entstanden ist, wegen der Untat des Vaters nun seinerseits getötet werden? Geht man vom Prinzip der Unteilbarkeit der Menschenwürde aus, so muß diese Frage verneint werden - so hart diese logische Forderung des allgemeinen Menschenrechts im tragischen Einzelfall auch anmutet. (Fs)

Was nottut, ist darum an erster Stelle ein besserer Schutz der Frauen durch die Gerichtsbarkeit, die potentielle Vergewaltigungstäter abschrecken muß. Läßt man die Abtreibung zu, dann fördert man eine frauenverachtende Grundeinstellung, für die auch eine Vergewaltigung nichts Außergewöhnliches mehr ist (s.a. 26). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: Zusammenfassung - Partnerin und Mutter

Kurzinhalt: Das »Recht auf Abtreibung« erhöht nicht die Würde der Frau, selbst wenn es in gewissen Fällen »eine Problemlösung« zu erlauben scheint.

Textausschnitt: 34a Das »Recht auf Abtreibung« erhöht nicht die Würde der Frau, selbst wenn es in gewissen Fällen »eine Problemlösung« zu erlauben scheint. Dieses individuelle, bestenfalls soziale Argument kann niemals als ethische Rechtfertigung dienen; man kann einfach nicht argumentieren, ein Diebstahl sei gerechtfertigt, weil er jemanden seiner Schulden entledige. (Fs)

Die Lage der Frau läßt sich nur verbessern, indem man die sozialen Rahmenbedingungen verbessert, nicht aber damit, daß ein Unrecht gestattet wird, um ein anderes Unrecht zu vergelten. (Fs)
Vergewaltigung ist schreiendes Unrecht gegenüber der Frau, die in ihrer Persönlichkeit grundlegend verletzt wird. Abtreibung ist äußerstes Unrecht gegenüber einem Individuum, das bei einer Vergewaltigung zwar Ergebnis einer kriminellen Tat ist, dafür aber genausowenig verantwortlich gemacht werden kann wie seine Mutter. Unrecht mit Unrecht zu vergelten, hat noch niemals Recht geschaffen. Läßt sich im individuellen Vergewaltigungsfall eine Abtreibung auch erklären und erscheint sie sogar menschlich verständlich, so ist sie doch alles andere als eine gesellschaftlich, rechtlich und moralisch saubere Lösung des Problems. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [31] Manchmal wird behauptet, von der Abtreibung gleite man schnell in die Euthanasie ab. Aber handelt es sich nicht doch um zwei völlig verschiedene Dinge?

Kurzinhalt: Es ist nicht zu leugnen, daß in den Ländern, die die Abtreibung legalisieren, schon bald Vorhaben oder Gesetzentwürfe zugunsten der Euthanasie auftauchen. Zudem sind unter den Vorkämpfern für die Euthanasie immer auch die früheren Vorkämpfer für die ...

Textausschnitt: a) Es ist nicht zu leugnen, daß in den Ländern, die die Abtreibung legalisieren, schon bald Vorhaben oder Gesetzentwürfe zugunsten der Euthanasie auftauchen. Zudem sind unter den Vorkämpfern für die Euthanasie immer auch die früheren Vorkämpfer für die Abtreibung zu finden (EV 63-65). (Fs)

b) Ebenso ist aus der Praxis bekannt, daß das Bestreben nach Legalisierung der Abtreibung fast immer mit Gesetzesverstößen und Richterbeschimpfungen mit dem Ziel einer Gesetzesänderung begonnen hat. Diese Taktik der vollendeten Tatsachen findet sich auch bei der Euthanasie. Der Legalisierungsprozeß folgt einem bewährten Muster. Zunächst nur vorsichtig angedeutete, bekämpfte, wieder aus dem Gesichtskreis verschwundene Vorschläge tauchen hartnäckig wieder auf. Nach und nach gewöhnt sich die öffentliche Meinung an sie, so daß auch die gesetzgeberischen Instanzen ihren Widerstand aufgeben. Oft triumphieren die Vorschläge am Ende mit Hilfe der »Taktik der Abweichung« (s.a. 3, 65; EV 18). (Fs)

c) Die zeitgenössische Geschichte zeigt, daß die Verfechter der Euthanasie manchmal andere Wege eingeschlagen haben, um zu ihrem Ziel zu gelangen. (Fs)

In Nazi-Deutschland beispielsweise war die Abtreibung streng geregelt: Für die sogenannten unreinen Rassen war sie zulässig, für die arische Rasse verboten. Vor allem aber wurden die Gemüter durch die Sterilisierung im großen Maßstab auf die Euthanasie vorbereitet (s.a. 137). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [32] Wie gelangte die deutsche Gesellschaft zur Organisation der Massenvernichtung? -- Zusammenfassung: Euthanasie

Kurzinhalt: Hier haben wir es mit einem irrationalen, von keiner wissenschaftlichen Basis fundierten Vitalismus zu tun, mit dem unausweichlich der Nihilismus und die Faszination des Todes einhergeht ...

Textausschnitt: Das wichtigste Kriterium der Schädlichkeit der Nazi-Ideologie ist ihre menschenverachtende Philosophie, die sich in der Massenvernichtung allen nicht für lebenswert erachteten Lebens äußert: Juden, Zigeuner, Homosexuelle, unheilbar Kranke. Der Boden für die Nazi-Ideologie wurde in Deutschland von den Theoretikern der arischen Rasse bereitet. Deren angebliche, vor allem biologische Überlegenheit ließ sie zur Herrenrasse werden (s.a. 69). Diese »höhere« Rasse stand mit ihrem »Übermenschen« moralisch jenseits von Gut und Böse. (Fs)

Hier haben wir es mit einem irrationalen, von keiner wissenschaftlichen Basis fundierten Vitalismus zu tun, mit dem unausweichlich der Nihilismus und die Faszination des Todes einhergeht (s.a. 142ff.). Die Gesellschaft insgesamt wird im Sinne des Schutzes der stets von den Schwachen bedrohten Reinheit der Rasse gestaltet (s.a. 55). Davon ausgehend organisierte Hitlerdeutschland die diskriminierende Sterilisierung, Abtreibung, Euthanasie und schließlich die »Endlösung«. (Fs)

Zusammenfassung

36a Eine rein materialistische und militaristische Auffassung vom Leben sieht in Abtreibung und Euthanasie eine Möglichkeit, die Gesellschaft nach ihren Vorstellungen von sozialer und individueller Nützlichkeit zu regulieren. Eine humamstische Lebensauffassung hingegen stellt den Menschen als solchen ins Zentrum ihres philosophischen Systems und schützt ihn gegen Willkür. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [34] Entwickelt sich unsere Rechtsauffassung in eine Richtung, die den Körper als Sache betrachtet?

Kurzinhalt: Mit der Betrachtung der menschlichen Person als unantastbare, unteilbare Einheit, womit folgerichtig über den menschlichen Leib »nicht verfügt werden darf«, durchschritt unser Rechtsdenken historisch eine entscheidende Etappe.

Textausschnitt: Mit der Betrachtung der menschlichen Person als unantastbare, unteilbare Einheit, womit folgerichtig über den menschlichen Leib »nicht verfügt werden darf«, durchschritt unser Rechtsdenken historisch eine entscheidende Etappe. Dieses Nicht-zur-Verfügung-Stehen bedeutet, daß der Körper weder Gegenstand einer Vereinbarung noch einer Transaktion, eines Verkaufs oder einer Instrumentalisierung sein darf (EV 19). (Fs)

Dieses Bewußtsein des unveräußerlichen Leibes führte zum Kampf um die Abschaffung der Sklaverei. Der Versuch, die Sklaverei auf irgendeine Weise zu reglementieren, wäre daher barer Unsinn. (Fs)

Dasselbe Denken lag der Verneinung des Mädchenhandels zugrunde; namens desselben Prinzips postulierte die Kirche ab dem Mittelalter die individuelle, freie und bewußte Zusage der Frauen zur Ehe1. Desgleichen inspirierte es im 19. Jahrhundert die Forderung der Arbeiterschaft nach besseren Arbeitsbedingungen. Weder Arbeiter noch Frauen sind Maschinen. Es äußert sich gleichermaßen im Kampf bestimmter Feministen-Bewegungen gegen den Mythos von der Frau als Objekt. (Fs)

Dennoch wird gerade diese Unterscheidung zwischen Mensch und Sache derzeit in Frage gestellt. Dieses Infragestellen ist der fatale Preis für einen perversen Freiheitsbegriff, der den Körper zum Gegenstand der Lust reduziert (s.a. 61). Es ist auch die Folge einer Praxis, in der sich eine bestimmte technisierte Vernunft gefällt, die ja nicht nur Gewebe oder Organe, sondern den Leib als solchen als Gegenstand begreift.2

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [35] Gibt es Beispiele für die Behandlung des Leibes als Gegenstand?

Kurzinhalt: Erstens die künstliche Befruchtung (s.a. 5), bei der ein Embryo geschenkt, verkauft, zu Experimenten verwendet oder zerstört wird. Über die künstliche Befruchtung hinaus gibt es auch noch das Geber-Baby: ...

Textausschnitt: Vier Beispiele dürften dies zur Genüge veranschaulichen. (Fs)

Erstens die künstliche Befruchtung (s.a. 5), bei der ein Embryo geschenkt, verkauft, zu Experimenten verwendet oder zerstört wird. Über die künstliche Befruchtung hinaus gibt es auch noch das Geber-Baby: Hier wird ein Kind einzig dazu gezeugt, damit ihm Zellen entnommen und einem anderen Kind eingesetzt werden können. Daneben kennen wir die Leihmütter: Eine Frau verpflichtet sich, ihren Körper einem Auftraggeber zur Verfügung zu stellen und zu gegebener Zeit einen anderen Körper zu liefern, den sie lediglich ausgetragen hat, wobei sich das Ganze nach Vertragsbedingungen abspielt, unter denen Leiber wie Sachen behandelt werden (EV 14). (Fs)

Auch bei der Abtreibung wird nach Belieben über einen Leib wie über eine Sache verfügt. (Fs)
Wir sehen also, daß das Prinzip der Nichtverfügbarkeit des menschlichen Leibes heute ernsthaft durchbrochen wird, theoretisch ebenso wie praktisch. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [36] Welche Mindestkonsequenzen ergeben sich aus dem Infrage-stellen der Nichtverfügbarkeit des Leibes?

Kurzinhalt: Wird dieses Prinzip bestritten oder abgelehnt, dann ist der Weg zu neuen Formen der Sklaverei frei. Das Kind wird als »Eigentum« begriffen (s.a. 12, 97), über das man verfugen, ja, über dessen Leben und Tod man entscheiden kann ...

Textausschnitt: Wird dieses Prinzip bestritten oder abgelehnt, dann ist der Weg zu neuen Formen der Sklaverei frei. Das Kind wird als »Eigentum« begriffen (s.a. 12, 97), über das man verfugen, ja, über dessen Leben und Tod man entscheiden kann (s.a. 14). Den Armen kann man »ausschlachten«, das heißt als Reservoir für die Entnahme von Organen benutzen; diese »frischen« Organe sind Gegenstand eines Marktes. Gegen einen bestimmten Preis trennt sich der Arme von einem Organ; er veräußert es (EV 63). (Fs)

Schließlich erleben wir sogar, wie die menschliche Bevölkerung wie ein Viehbestand behandelt wird. Man geht davon aus, daß zu viele Menschenleiber das ökologische Gleichgewicht stören und ihre Zahl daher kontingentiert werden müsse um zu verhindern, daß der Mensch der Umwelt schade (s.a. 137). Dabei wird sogar die Einhaltung der Wirtschaftsgesetze gefordert, denn es müsse vermieden werden, daß eine zu große Menschenzahl das Funktionieren des Marktes stört. (Fs)

Kurzum: Hier ist eine ganze antimenschliche Dynamik in Gang gekommen. Da der Leib als Ware und nicht als Person gilt, läßt sich beliebig darüber verfügen, vor der Geburt ebenso wie danach. Die Verwaltung des menschlichen »Tierbestandes« muß denselben Regeln folgen wie die aller anderen materiellen Güter (EV 23, 42f.). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [37] Ist die Liberalisierung der Abtreibung nicht auch die Folge einer neuen Sicht des menschlichen Leibes?

Kurzinhalt: Die sexuelle Beziehung wird Gegenstand des Beliebens; weil der Leib entpersönlicht ist, wird er zur bloßen Quelle der Lust. Mit dieser Entpersönlichung werden auch die Partner austauschbar.

Textausschnitt: Der verkürzte Freiheitsbegriff (s.a. 61) öffnet unwiderruflich den Weg zu einem verkürzten Begriff des menschlichen Leibes. Entgegen allem Anschein einer sich humanistisch gebenden Rhetorik erleben wir heute seine Abwertung. Besonders deutlich wird dies im Ausschlachtungsphänomen, bei dem der menschliche Leib zum Reservoir wird, dem man nach Belieben Organe entnehmen kann (EV 15). Trennt man den Leib von der Person, so wird er zum Spielball der Unmoral, denn die Leiblichkeit ist dann nicht mehr die Persönlichkeitsdimension, dank derer der Mensch in der Welt und in der Zeit steht und mit anderen Subjekten in interpersonalen Austausch tritt, sondern nur noch Objekt. (Fs)

Sehr klar äußert sich das im Sexualverhalten. Der Leib wird zum Gegenstand der individuellen Lust reduziert. Die sexuelle Beziehung wird Gegenstand des Beliebens; weil der Leib entpersönlicht ist, wird er zur bloßen Quelle der Lust. Mit dieser Entpersönlichung werden auch die Partner austauschbar. Was allein noch zählt, ist die Abwechslung und die Vielfalt des Vergnügens. Desgleichen wird die individuelle Vernunft, welche die Lustgewinne berechnet und vergleicht, dazu mobilisiert, diejenigen Praktiken auszudenken, die diesen Lustgewinn am ehesten zu befriedigen imstande sind. (Fs)

Sogar das Kind wird nur noch nach dieser Lustarithmetik empfunden (s.a. 12): Entweder als Störenfried, dessen man sich schnellstens durch die Abtreibung entledigt, oder als Lustgegenstand für beide oder auch nur einen Partner. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [38] Besteht nicht die Gefahr, daß der Leib bald schon endgültig nur noch als eine Sache wie jede andere betrachtet wird?

Kurzinhalt: Im Grunde handelt es sich hier um dieselbe Logik, die ausgehend von einem verkürzten Freiheitsbegriff zu der Auffassung gelangt, man dürfe über den Leib verfügen wie über jede beliebige Sache. Der Leib wird zum Gegenstand der Entfremdung.

Textausschnitt: Die den Leib entpersönlichende Sicht führt zwangsläufig zu seiner kommerziellen Ausbeutung. (Fs)

Die - mittelbare oder unmittelbare - Ausbeutung der individuellen Geschlechtslust hat der diesbezüglichen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technischen Tätigkeit starken Auftrieb gegeben. Deutlich wird dies in der Geburtenverhütung und der Abtreibung, der sich diverse spezialisierte Lobbys und sogar die Mafia bemächtigt haben. Nach den Schätzungen des UN-Bevölkerungsfonds erfordert die Fertigstellung eines neuen geburtenverhütenden Produkts vor der Vermarktung eine Investition von rund 200 Millionen Dollar. Das zeigt, welche wirtschaftlichen Interessen hier mitspielen. (Fs)

Es verdeutlicht auch die Gründe, warum der Markt für Verhütungsmittel ausgeweitet werden soll (s.a. 122). Noch sind längst nicht alle potentiellen Kunden erfaßt; man versucht, sie durch Verbreitung einer hedonistischen Moral, lascher Sitten, der Pornographie und der Anstachelung zur Libertinage unter dem Deckmantel der sexuellen Erziehung als Verbraucher zu gewinnen. Die Verbreitung dieser Leitbilder trägt gleichzeitig zur Verbreitung von sexuell übertragenen Krankheiten bei. Diese liefern der pharmazeutischen Industrie nicht nur eine größere und wehrlose Kundschaft, sondern sie sind auch Ursache schrecklicher Dramen der einzelnen und der Familien und lasten schwer auf dem Haushalt der ganzen Gesellschaft. Die Jugend wird also von den Firmen mit einem Zynismus, der schon an Aberwitz grenzt, dem moralischen Verfall ausgeliefert, und die wissenschaftliche Forschung steht dem ebenso hilflos gegenüber wie die Sozialversicherung. (Fs)

Im Grunde handelt es sich hier um dieselbe Logik, die ausgehend von einem verkürzten Freiheitsbegriff zu der Auffassung gelangt, man dürfe über den Leib verfügen wie über jede beliebige Sache. Der Leib wird zum Gegenstand der Entfremdung. Dabei wird eine elementare Wahrheit übersehen: Daß wir einen Leib nicht nur haben, sondern daß wir ein Leib sind. Diese Formel umfaßt zwar keineswegs den gesamten Menschenbegriff, aber sie sagt über ihn doch etwas Wesentliches aus. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [41] Geht mit den die Abtreibung liberalisierenden Gesetzen nicht zumindest der Vorteil einher, daß deren Zahl eingeengt wird?

Kurzinhalt: Diese Gesetze gehören zu den verhängnisvollsten der Menschheitsgeschichte, und zwar aus zwei Gründen: 1. Sie schaffen einen Rechtsraum für strafloses Töten ...

Textausschnitt: a) Schwerwiegend ist die bloße Existenz von Abtreibungen, mit oder ohne Gesetz und ungeachtet ihrer Zahl. Diese Situation wird durch die Liberalisierungsgesetze noch verschärft (s.a. 111), denn man erwartet ganz selbstverständlich von der Gesetzgebung, daß sie den Forderungen der Gerechtigkeit entspricht und nicht zu einem moralischen Grundrecht wie der Achtung des Lebens im Widerspruch steht. Zudem reizen die Liberalisierungsgesetze geradezu zur Abtreibung an, nehmen sie vorweg, machen sie zu einem alltäglichen Vorgang und sorgen dafür, daß sie in die Sitten Eingang findet.1

b) Mehr noch: Diese Gesetze gehören zu den verhängnisvollsten der Menschheitsgeschichte, und zwar aus zwei Gründen:

1. Sie schaffen einen Rechtsraum für strafloses Töten. (Fs)

2. Sie korrumpieren die Gesellschaft, die unfähig wird, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, weil sie des Sinns für die elementarste Gerechtigkeit verlustig geht. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [42] In der Demokratie entscheidet die Mehrheit. Mithin kann ein Parlament die Gesetze ändern.

Kurzinhalt: 1931 schlossen sich in Italien fast 99 Prozent aller Universitätsprofessoren Mussolini an. Hitler kam auf parlamentarischem Wege zur Macht.

Textausschnitt: Es stimmt nicht, daß sich Demokratie wesenhaft in der mechanischen und blinden Anwendung der Mehrheitsregel erschöpft (EV 70). 1931 schlossen sich in Italien fast 99 Prozent aller Universitätsprofessoren Mussolini an. Hitler kam auf parlamentarischem Wege zur Macht. (Fs)

Ebenso falsch ist die Behauptung, in der demokratischen Gesellschaft könne jedermann tun, was er wolle, und dürfe die Freiheit bis zur Zügellosigkeit gehen. Die Sklaven genossen in ihren Behausungen eine totale sexuelle »Freiheit«, waren deswegen aber keineswegs »frei«. (Fs)

Das Wesensmerkmal der Demokratie liegt vor dem Mehrheitsgesetz in der philosophischen Basis ihrer Prinzipien; das Mehrheitsgesetz ist lediglich ihr Funktionsprinzip. Aber nicht sein Funktionieren charakterisiert die Demokratie, sondern der grundlegende Konsens des gesamten Sozialkörpers in der Frage des Lebensrechts jedes Menschen in Würde (EV 70). Dieses Recht gilt es als erstes zu fördern und zu schützen (s.a. 61, 62). Die Notwendigkeit dieses Schutzes verlangt folgerichtig vom Gesetzgeber die Bestrafung von Verhaltensweisen einzelner, die sich das »Recht« anmaßen, über Leben, Freiheit oder Eigentum anderer zu verfügen. (Fs)

Zerbricht der Konsens in diesem Grundrecht, so läuft man die Gefahr eines Rückfalls in die Privilegien, Ungerechtigkeiten und Grausamkeiten der vordemokratischen Zeit. Damit stößt man die Tür zur Barbarei auf. Die große Illusion des Westens besteht darin zu glauben, weil er alle modernen Formen der Barbarei besiegt habe, sei er endgültig gegen sie gefeit. Kurz gesagt: Man kann nicht dem Mörder den Schutz des Gesetzes angedeihen lassen, ihn aber den unschuldigen Opfern versagen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [43] Kann die Gesellschaft also zu ihrem Schutz nicht auf Verbote verzichten?

Kurzinhalt: Das Perverse an der Liberalisierung und Straflösigkeit der Abtreibung ist, daß das positive Recht diese Barrieren beseitigt. Schlimmer noch: Die Übertretung wird als ein Recht oder gar als ein (legitimes) Gut präsentiert ...

Textausschnitt: Zunächst ist ein Verbot immer nur die Negativseite zum positiven Willen, einen Wert oder die Schwächeren zu schützen. Das Verbot des Diebstahls zum Beispiel ist das Gegenstück zum Schutz der Habe anderer. (Fs)

Jede Gesellschaft muß wissen, wo die Übertretung beginnt. Andernfalls droht der Rückfall ins Gesetz des Dschungels. Barrieren - Verbote - sind unerläßlich, und sie müssen bekannt sein. Die Alarmzeichen müssen angehen. So wie die Menschen nun einmal sind, wird es zweifellos immer Übertretungen geben, aber dennoch weiß jeder, daß sie sich gegen einen Wert richten (s.a. 117). (Fs)

Das Perverse an der Liberalisierung und Straflösigkeit der Abtreibung ist, daß das positive Recht diese Barrieren beseitigt. Schlimmer noch: Die Übertretung wird als ein Recht oder gar als ein (legitimes) Gut präsentiert (s.a. 18). (Fs)

Daraus folgt, daß ganze Kategorien von Einzelpersonen des gesetzlichen Schutzes verlustig gehen (EV 90). Ist dies etwa ein gutes Omen für die künftige Gesellschaft?

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [44] Das Gesetz wurde nicht mehr befolgt. War dies nicht für den Rechtsstaat ein Schlag ins Gesicht?

Kurzinhalt: Wenn ich vom Gesetz erwarte, daß es mein Leben und meine Freiheit schützt, dann muß es auch Leben und Freiheit aller anderen schützen, zumal der Schwächeren.

Textausschnitt: Die bloße Existenz irgendeiner Gesetzgebung und ihre Anwendung sind keine ausreichende Grundlage für einen Rechtsstaat. Schon bei den alten Griechen genügte das Gesetz als solches nicht, sondern es mußte den Prinzipien der Eunomie gehorchen, das heißt: gut sein (EV 90). (Fs)

Es gibt durchaus Fälle, in denen das Rechtssystem die Tyrannei sanktioniert und den Despotismus legalisiert. Daß China Gesetze besitzt und diese angewendet werden, bedeutet noch lange nicht, daß die Chinesen in einem Rechtsstaat leben. Ein Rechtsstaat existiert nur dort, wo das Gesetz im Dienst der Gerechtigkeit für alle steht, und nicht etwa nur im Dienst der stärksten oder der größten Gruppe. Wenn ich vom Gesetz erwarte, daß es mein Leben und meine Freiheit schützt, dann muß es auch Leben und Freiheit aller anderen schützen, zumal der Schwächeren. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [46] Da ohnehin abgetrieben wird,ist es da nicht besser, die Abtreibung zu legalisieren und unter ärztlicher Aufsicht vornehmen zu lassen, damit sie »unter guten Bedingungen« stattfindet?

Kurzinhalt: Der Arzt hingegen, der an einer Folterung mitwirkt, vollzieht keine ärztliche Handlung. Daß an die Stelle des Henkers der Arzt tritt, macht die Folterung noch lange nicht zum ärztlichen Akt.

Textausschnitt: Das ärztliche Handeln definiert sich nicht durch den Einsatz von Instrumenten, Medikamenten, Krankenhauseinrichtungen oder Kenntnissen und wissenschaftlichen Verfahren, ja nicht einmal zwangsläufig durch das Universitätsdiplom dessen, der es vollzieht. Es definiert sich aus einem Endziel: Leben retten und die Gesundheit verbessern. Der Passant, der einen Ertrunkenen künstlich beatmet, vollzieht eine ärztliche Handlung. Der Arzt hingegen, der an einer Folterung mitwirkt, vollzieht keine ärztliche Handlung. Daß an die Stelle des Henkers der Arzt tritt, macht die Folterung noch lange nicht zum ärztlichen Akt. (Fs)

Gleiches gilt für die Abtreibung. Daß ein Arzt sie vornimmt und die Technik vervollkommnet wird, macht sie nicht zum ärztlichen Akt. Von der Keule bis zur Neutronenbombe haben die Menschen in der Kunst, ihresgleichen »unter guten Bedingungen« zu töten, immer weitere »Fortschritte« erzielt (s.a. 53). 1941 rühmten sich die SS-Ärzte in Auschwitz, sie hätten die Vernichtung in ihren Lagern »humanisiert«: Sie hatten das Kohlendioxid durch das Zyklamat ersetzt (s.a. 77). Vergewaltigung und Totschlag gehen (zumindest für die Opfer) stets unter schlechten Bedingungen vor sich. Sollen etwa Einrichtungen geschaffen werden, in denen unter »guten« Bedingungen (für die Verbrecher) und unter ärztlicher Aufsicht vergewaltigt und totgeschlagen werden kann?

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [48] Es gibt heimliche Abtreibungen. Ist es dann nicht besser, sie zu legalisieren und so zahlenmäßig zu verringern?

Kurzinhalt: Wie in den meisten Ländern, in denen die Abtreibung liberalisiert wurde, zeigt auch die Erfahrung in Frankreich, daß nach Inkrafttreten des Liberalisierungsgesetzes die schamhaft als »nicht erfaßt« bezeichneten Abtreibungen keineswegs verschwunden sind.

Textausschnitt: a) Um Angst zu machen und das Gesetz zu ändern, ist die Zahl der heimlichen Abtreibungen eindeutig aufgebläht worden. Woher wissen wir das? Wir wissen es aus den Erklärungen von Ärzten, die Abtreibungen vorgenommen haben. So hat B. Nathanson, einer der Initiatoren der Liberalisierung der Abtreibung in den USA, der selber 80 000 Abtreibungen praktiziert hat, öffentlich zugegeben, daß die Zahl der heimlichen Abtreibungen in den USA beträchtlich übertrieben worden ist. (Fs)

Für Frankreich läßt sich diese Manipulation der öffentlichen Meinung leicht belegen. Vor der Legalisierung der Abtreibung wurde von den Medien (und in der parlamentarischen Debatte) verbreitet, es gebe jährlich eine Million illegale Abtreibungen mit 10 000 Todesfällen pro Jahr;1 also wurde argumentiert, daß man »bei dieser hohen Zahl etwas machen müsse...«. Nun sind diese beiden Zahlen aber offenkundig unmöglich: Im gebärfähigen Alter waren überschlägig von den 50 Millionen Einwohnern Frankreichs etwa 15 Millionen Frauen zwischen 15 und 40 Jahren. Bei einer Million Abtreibungen pro Jahr hätte praktisch jede zehnte Frau einmal im Jahr abgetrieben haben müssen, und das bei jährlich 750 000 Geburten. Genauso falsch ist die zweite Zahl, denn insgesamt starben durch Krankheit und Unfälle rund 15 000 Frauen im gleichen Alter - und davon waren 50 auf Abtreibungen zurückzuführen. Ganz augenscheinlich waren diese Zahlen maßlos übertrieben; dennoch »untermauerten« sie die »Notwendigkeit einer humanen Lösung«. In Tat und Wahrheit (und das läßt sich statistisch mit mehreren Methoden richtig berechnen2) dürften die Abtreibungen etwa um 100 000 pro Jahr gelegen haben, also zehnmal weniger als propagiert... (Fs)

Schließlich wissen wir es aus der Wirkung der Gesetzgebung auf die Geburtenrate, die nach der Gesetzesänderung scharf zurückgeht.3

b) Wie in den meisten Ländern, in denen die Abtreibung liberalisiert wurde, zeigt auch die Erfahrung in Frankreich, daß nach Inkrafttreten des Liberalisierungsgesetzes die schamhaft als »nicht erfaßt« bezeichneten Abtreibungen keineswegs verschwunden sind. Nach glaubhaften Schätzungen sollen sie sogar etwa gleich zahlreich sein wie die »erfaßten«. Das heißt nicht mehr und nicht weniger, als daß sie keineswegs zurückgegangen sind. (Fs)

Um beim oben zitierten Beispiel Frankreich zu bleiben, erhöhten sich die Abtreibungen von etwa 100 000 vor der Legalisierung auf 250 000 danach und pendelten sich 1990 bei etwa 170 000 ein. Global gingen sie also nicht zurück, sondern haben sich erhöht. (Fs)

Nimmt man die diesbezüglichen amtlichen Zahlen in der Schweiz, so zeigen sie einen Rückgang der Abtreibungen in den letzten 20 Jahren, von fast 18 000 (1980) auf fast 12 000 (1994) - bei 70 000 Geburten, wobei die illegalen Abtreibungen gänzlich (aus der Statistik) verschwunden sind. Allerdings kann man sich mit Recht fragen, inwieweit diese publizierten Zahlen aussagekräftig sind, denn »mit Ausnahme von Zürich kennen alle Kantone die Meldepflicht für Schwangerschaftsabbrüche, wenn auch die Meldungen der amtlichen Kantonsärzte in einigen Kantonen lückenhaft sind«4. Es ist also letztlich statistisch unbekannt, wie stark die offiziellen Zahlen von den wirklichen abweichen - sogar in der Schweiz, einem normalerweise statistisch gut erfaßten Lande. Zumal der offiziellen Zahl von 12 000 Abtreibungen diejenige eines hohen Krankenkassenvertreters entgegengesetzt werden kann, welcher aussagte, daß für jährlich circa 50 000 Schwangerschaftsabbrüche 50 Millionen Schweizerfranken ausgegeben werden... (Fs)

Im übrigen veranlaßt eine einmal zustande gekommene Abtreibungsmentalität die Frauen unausweichlich dazu, aus gesetzlich nicht vorgesehenen Gründen und nach gesetzlich nicht gebilligten Fristen abzutreiben (s.a. 51) - heimlich also und unter »schlechten« Bedingungen. Das erklärt sich ganz einfach: Da Verbieten in jeder Gesellschaft und somit auch in einer Demokratie nur sinnvoll ist, wenn die Übertretung des Verbots unter Strafe steht, trägt die Straffreiheit unvermeidlich zu einer Abtreibungsmentalität bei und vervielfacht die Zahl der legalen Abtreibungen ebenso wie die der heimlichen. In der einstigen Sowjetunion kam es sogar so weit, daß die Zahl der Abtreibungen die der Geburten überstieg. (Fs)

Bei all diesen Zahlen darf aber eines nicht aus den Augen verloren werden: Nicht die Frage, ob es nicht besser sei, heimliche Abtreibungen durch legalisierte zu ersetzen, ist letztlich der entscheidende Punkt - denn genauso gut könnte man argumentieren, jedes Verbot, das dennoch praktiziert wird, müsse legalisiert werden. Was es grundsätzlich zu beachten - und zu achten - gilt, ist die ethische Problematik des Rechts auf Leben eines jeden Individuums. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [51] In der Abtreibungsdebatte wurde manchmal vom Staat die Schuldloserklärung der Abtreibung gefordert. Was ist darunter zu verstehen? Zusammenfassung: Gesetzgebung

Kurzinhalt: Ein Staat, der darüber bestimmen kann, was gut und was böse ist, wer leben darf und wer nicht, gerät unweigerlich auf die schiefe Bahn zum Totalitarismus

Textausschnitt: Manche geben sich mit der Legalisierung nicht zufrieden, sondern erwarten zudem noch die Schuldfreisprechung durch den Staat, mit anderen Worten: Die Abtreibung soll jeglichen Schuldaspekts entkleidet werden. (Fs)

In der Schweiz ist eine Bewegung im Gange, die ein Gesetz in das schweizerische Strafgesetzbuch einführen möchte, das die Straffreiheit der Abtreibung während der ersten 12 (eventuell 14) Schwangerschaftswochen vorschreibt. Der Begriff »Schuldlosigkeit« wird zwar noch nicht benutzt, ergibt sich aber automatisch aus der geforderten Straffreiheit. (Fs)

a) Schon das Wort »Schuldloserklärung« zeigt eine konfuse Erwartungshaltung, bei der der Staat seine eigentliche Aufgabe überschreiten und damit sein Wesen ändern soll. Ein Staat, der darüber bestimmen kann, was gut und was böse ist, wer leben darf und wer nicht, gerät unweigerlich auf die schiefe Bahn zum Totalitarismus. Die Zensur trifft hierbei nicht mehr nur die Äußerung der Wahrheit, sondern die Wahrheit als solche (EV 18, 24). (Fs)

b) Damit gelangt man zu einer neuen »Propagandasprache«, zum Triumph des ideologischen Diskurses, dem sich die Wirklichkeit zu beugen hat. Vielleicht schenkt man diesem Diskurs keinen Glauben, aber man verhält sich auf jeden Fall ihm gemäß. Damit geht eine Verdrehung der Vernunft und des moralischen Gewissens einher, die ihrerseits die Zerstörung des Gerechtigkeitssinnes nach sich zieht (s.a. 41). (Fs)

Zusammenfassung

Jeder Staat definiert in seinen Gesetzen, was erlaubt und was verboten ist. Besonders gilt dies für die grundlegenden Gesetzestexte. Der humanistisch fundierte Rechtsstaat schützt insbesondere die Menschenrechte und das Individuum vor jeglicher Qualifizierung. Gradmesser jeder Zivilisation ist somit seine Einstellung zum Leben. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [52] Verändert die Abtreibungspraxis nicht das Bild der Medizin?

Kurzinhalt: Die Legalisierung und »Medikalisierung« der Abtreibung leiten eine radikale Veränderung des Arzt- und Medizinbegriffs ein.

Textausschnitt: Die Legalisierung und »Medikalisierung« der Abtreibung leiten eine radikale Veränderung des Arzt- und Medizinbegriffs ein. (Fs)

Vielleicht hat der Arzt, der die Legalisierung der Abtreibung nutzt, den Eindruck, mit der Abtreibung diene er seiner Patientin. Dennoch muß man sich fragen:

- Dient ein solcher Arzt noch bedingungslos dem Schutz des Lebens ab dessen Anfang? Stellt er nicht vielmehr seine Kunst in den Dienst des Stärkeren? Opfert er dessen Interessen nicht die Existenz des Schwächsten?

- Darf ein Arzt sich fraglos den Wünschen der Patientin oder des Patienten beugen? Besteht sein Beruf nicht darin, mit der ärztlichen Kunst die Gesundheit der Patienten soweit wie möglich wiederherzustellen, wobei die medizinische Entscheidung beim Arzt liegt?

- Läuft dieser Arzt nicht Gefahr, seine Kunst nach Maßgabe der Bequemlichkeit des Staates oder der beherrschenden Gruppen auszuüben? Wird er nicht zum Söldner, dem es nicht mehr um den Schutz von Leben und Gesundheit geht, sondern darum, einem Herrn zu dienen anstatt einem Kranken?
- Es gibt heute Ärzte, die sterilisieren, abtreiben (und damit dem Fötus schreckliche Todesqualen verursachen) oder aktive »Sterbehilfe« leisten. Damit geht eine wesenhafte qualitative Veränderung des Verhältnisses von Arzt und Patient einher (s.a. 55). (Fs)

- Mehr noch: Neuere Untersuchungen zeigen, daß gewisse Ärzte beabsichtigen, sich mit der herrschenden Macht zu verbünden und an ihr zu beteiligen, ja sogar, eine »staatliche Verwaltung des Lebens« auszuüben. Auf wessen Kosten geht diese Arzte-Technokratie? Auf Kosten der sogenannten entwickelten Völker? Der Dritten Welt? Der Armen?

Aus all dem ergibt sich, daß jeder Arzt seine Haltung gegenüber dem Leben und gegenüber der politischen Macht unzweideutig klarmachen muß. Desgleichen müssen sich die Ärzte, die sich bedingungslos dem Schutz des Lebens weihen, organisieren. Nur wer seinen Standpunkt klarmacht, ist auch glaubhaft. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [55] Auf welche Weise kann es dazu kommen, daß der Arzt die Belange des einzelnen denen der Gesellschaft unterordnet?

Kurzinhalt: Es gibt eine steigende Tendenz zur Politisierung der ärztlichen Tätigkeit. »Politisierung« bedeutet hier, daß der Arzt als derjenige dargestellt wird, der die biologische Dimension der Gesetze der »Ordnung« und des »Fortschritts« des ...

Textausschnitt: Es gibt eine steigende Tendenz zur Politisierung der ärztlichen Tätigkeit. »Politisierung« bedeutet hier, daß der Arzt als derjenige dargestellt wird, der die biologische Dimension der Gesetze der »Ordnung« und des »Fortschritts« des menschlichen Daseins kenne. Darum, so heißt es, müsse er zum Entstehen eines neuen Menschen beitragen, der die Menschheit genetisch verbessere (s.a. 69). (Fs)

Unter diesen Voraussetzungen wird der Arzt zunehmend zum Diener von Politik und Gesellschaft (s.a. 52) anstatt des einzelnen. Der einzelne wird nach Maßgabe seiner Nützlichkeit oder Schädlichkeit für den Sozialkörper eingestuft, der allein noch zählt. Damit gelangt man zu einer Kategorisierung von Menschen (s.a. 56) - etwa nach rassischen, medizinischen, wirtschaftlichen und anderen Kriterien -, die für die Gesellschaft die Gefahr einer moralischen und rechtsstaatlichen Degenerierung mit sich bringt (s.a. 32). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [56] Verändert die Abtreibungspraxis nicht das Bild des Richterstandes?

Kurzinhalt: Die Erfahrung zeigt, daß die Richter in den Ländern, die die Abtreibung liberalisiert haben, dem Recht praktisch nicht mehr Geltung verschaffen können.

Textausschnitt: Die Legalisierung und »Medikalisierung« der Abtreibung kündigen eine radikale Veränderung des Richter- und Gerichtsbegriffs an. (Fs)

- Die Erfahrung zeigt, daß die Richter in den Ländern, die die Abtreibung liberalisiert haben, dem Recht praktisch nicht mehr Geltung verschaffen können. (Fs)

- Schwerer wiegt noch, daß die Liberalisierungsgesetzgebung meist die richterliche Kompetenz dem Arzt überträgt. Hier haben wir es wiederum mit einer Entfremdung zu tun. Der Richter wird seiner höchsten Funktion beraubt: dem Schutz des Lebens, der noch höher zu bewerten ist als der Schutz der Güter. (Fs)

- Daraus folgt, daß der Richter künftig Eigentum besser schützen kann als das Leben bestimmter Menschenkategorien. Er besitzt sogar eine bessere Handhabe für den Schutz des Lebens von Verbrechern als für den Lebensschutz Unschuldiger! Werden die Richter auf diese Weise entfremdet, indem man ihnen die Möglichkeit raubt, die Achtung vor dem Ungeborenen durchzusetzen, dann gilt gleiches bald auch für den Schutz von Alten, unheilbar Kranken - kurzum aller, die der Gesellschaft »im Wege stehen«. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [58] Bedroht die Liberalisierung der Abtreibung die Trennung der Gewalten und damit die demokratische Qualität unserer Gesellschaften? - Zusammenfassung: Richter, Ärzte

Kurzinhalt: Der Gesetzgeber muß sich um den Erlaß gerechter Gesetze bemühen, welche die unveräußerlichen Rechte des Menschen achten ... Die rechtmäßige Anwendung der Gesetze durchzusetzen obliegt dem Richter.

Textausschnitt: Die Verabschiedung der Liberalisierungsgesetze hat einen Prozeß eingeleitet, der die Gewaltentrennung in Frage stellt, die zu den wesentlichen Kriterien einer demokratischen Gesellschaft gehört. Diese Gewaltenteilung findet im westlichen Recht ihren besonderen Niederschlag in der Unterscheidung zwischen Menschenrechten und positivem Recht. (Fs)

Der Gesetzgeber muß sich um den Erlaß gerechter Gesetze bemühen, welche die unveräußerlichen Rechte des Menschen achten. Er stellt Rechtsnormen auf, definiert Rechte und Pflichten sowie die Strafen bei Nichtbefolgung der Gesetze. Mit anderen Worten: Er wird auf einer verallgemeinernden Ebene tätig, womit das Gesetz einen transpersonalen Charakter erhält. Die Anwendung des Gesetzes gehört nicht zu seinen Aufgaben. (Fs)

Die rechtmäßige Anwendung der Gesetze durchzusetzen obliegt dem Richter. Er hat - um der Rechtsverwirklichung selbst willen - festzustellen, was im Einzelfall rechtens ist. Die Gerichtsbarkeit hat über die subjektive Verantwortung derer zu befinden, denen ein objektiver Gesetzesverstoß angelastet wird. Der Richter verneint zwar nicht die Wirklichkeit des Verbrechens, berücksichtigt aber bei der Straffestsetzung mildernde oder erschwerende Umstände. (Fs)

Ein Gesetzgeber, der nach Einzelinteressen - Einzelpersonen, Gruppen, Lobbys - Recht schüfe, würde sich der Parteilichkeit, Ungerechtigkeit, Willkür und des Machtmißbrauchs schuldig machen. Doch auch der Richter, der das Gesetz rein mechanisch und blind anwendet, würde zu Willkür und Ungerechtigkeit gelangen. (Fs)

Damit wird deutlich, welche Gefahr die Gesetzgebung über die Achtung des Lebens für die Gewaltenteilung darstellt. Ein Gesetzgeber, der nach Maßgabe der Interessen fremder Mächte Recht schüfe, wäre des Hochverrats schuldig. Wenn der Gesetzgeber die Grenzen seiner Gewalt durch übermäßige Ausdehnung seines Kompetenzbereichs übersteigt, wird der Richter zum reinen Vollzugsorgan mehr oder weniger willkürlicher Beschlüsse der Legislative. Bedarf es noch der Betonung, daß diese Gefahr besonders dort droht, wo das Gesetz die schiere Verlängerung des Willens der Exekutive ist? Damit laufen das Recht und damit die Gerichte Gefahr, zu bloßen Handlangern der Exekutive zu werden. (Fs)

Zusammenfassung

Neben den hauptsächlich betroffenen Personen, der werdenden Mutter und ihrem Kind, sind bei einer Liberalisierung der Abtreibung nicht nur die gesetzgebenden Körperschaften impliziert, sondern auf der ausführenden Ebene auch die Richter, welche das Gesetz nicht mehr durchsetzen können, und vor allem die Ärzte und das medizinische Personal, welche die Abtreibung technisch vollziehen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [61] Ist nicht die Gewährleistung eines Mindestmaßes an Freiheit ein Wesensmerkmal der demokratischen Gesellschaft?

Kurzinhalt: Eine übertrieben individualistische Gesellschaft stellt mittlerweile alles und jedes zur Disposition, von der Abtreibung über sämtliche Formen der Diskriminierung bis zur Euthanasie.

Textausschnitt: Der Wille, die Abtreibung zu liberalisieren, beruht auf einem sehr eingeengten Freiheitsbegriff (s.a. 37), wie ihn viele unserer Zeitgenossen hegen (s.a. 118-121). Er ist so überzogen, daß für die Gleichheit der Menschen und mithin für die Idee der Pflicht kein Platz mehr bleibt (EV 4). (Fs)

a) Nach dieser Vorstellung besteht die Freiheit jedes einzelnen darin, daß er alles tun kann, was ihm paßt, und daß er sein Verhalten einzig nach seinem Vergnügen ausrichtet. Dabei erzeuge das individuelle Gewissen in jedem Augenblick die für diesen gerade passende sittliche Norm. Damit gelangt man zu einem Verhalten, das sich nicht mehr an einem anzustrebenden Guten oder einem zu unterlassenden Bösen orientiert. Deshalb erinnert Johannes Paul II. in seiner Enzyklika Veritatis Splendor daran, daß sich die Freiheit an der Wahrheit orientiert und nicht umgekehrt, und daß die Wahrheit keine »Schöpfung der Freiheit« ist.1 Nicht dem einzelnen obliegt es, Gut und Böse nach seinem persönlichen Belieben zu definieren (EV 20, 76). (Fs)

b) Eine übertrieben individualistische Gesellschaft stellt mittlerweile alles und jedes zur Disposition, von der Abtreibung über sämtliche Formen der Diskriminierung bis zur Euthanasie. Es gibt kein gemeinsames Streben nach dem Guten mehr, keine gemeinsame Suche nach der Gerechtigkeit. Sogar der Begriff des Gemeingutes verliert seinen Sinn, denn es gibt nur noch das partikulare Gute. In einer solchen Gesellschaft ist für den Kompromiß kein Platz mehr. Es geht nur noch um einen Meinungsaustausch im Rahmen einer totalen Toleranz (s.a. 62) gegenüber dem, was jeder gerade für gut oder schlecht hält. (Fs)

Um nicht völlig der Anarchie zu verfallen, wird deshalb nach dem Ausgleich zwischen den Einzelinteressen gesucht. Dabei gelten sämtliche Optionen als »gleichermaßen respektabel«, wobei man sich aus Nützlichkeits- oder Interessenerwägungen an eine rein »prozedurale Moral« hält (EV 68).1 Damit triumphieren »Ethik-Komitees«, die von Fall zu Fall und ohne Bezug auf irgendwelche normative moralische Prinzipien entscheiden. Daraus leitet sich der Ruf nach der Tyrannei der Mehrheit (s.a. 42) und nach der Abweichungstaktik (s.a. 3) her. Gerade im letzteren Fall werden auf das Recht die Verfahrensweisen der Kasuistik angewendet: So wie diese die Moral korrumpiert, verdreht die Abweichungstaktik das Recht. Die Gültigkeit allgemeiner Rechtsgrundsätze wird rundweg geleugnet, vielmehr paßt man diese der jeweiligen Lust und Laune und den Interessen derer an, denen man zu gefallen sucht.2 Damit feiert die Sophistik fröhliche Urständ. Was hier und heute verboten ist, kann dort und morgen erlaubt sein, denn es geht jederzeit und überall einzig darum, den einzelnen (der die Machtmöglichkeit hat, diese Maxime zu seinen Gunsten durchzusetzen) möglichst wenig zu stören, und für diesen, sich möglich wenig gestört zu fühlen. (Fs)

c) Damit bleibt für eine allgemeingültige Moral als Grundlage der menschlichen Gesellschaft kein Platz mehr. In einer solchen Freiheitsauffassung ist alles relativ. Selbst die universelle Menschenrechtserklärung verliert ihren Sinn. Es gibt nur noch Individuen, und das übersteigerte Hochhalten der Freiheit des einzelnen spaltet zwangsläufig die Menschen, weil die Interessen nicht die gleichen sind (EV 18). (Fs)

d) Die westlichen Demokratien geraten auf die schiefe Bahn, denn anstatt sich an Werten wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität zu orientieren, herrscht nur noch der rein »prozedural« bestimmte und von der gerade herrschenden Wertskala definierte Konsens. So sind die nationalen wie internationalen politischen Beratungsversammlungen gewissermaßen zu erweiterten Ethik-Komitees verkommen, in denen der Stärkere den Konsens durchzusetzen versucht, der seinen Interessen am besten dient. (Fs)

e) Dadurch wird die Schaffung einer gerechteren und menschlicheren Gesellschaft verunmöglicht, weil man die gleichen Grundrechte aller Menschen leugnet und sie durch Partikularinteressen einiger weniger ersetzt. (Fs)

f) Kurzum: Der ultra-individualistische Freiheitsbegriff wendet sich gegen die Freiheit selbst. In ihm wird die politische Dimension des menschlichen Daseins geleugnet; man gelangt zur Anarchie. Denn Anarchie ist ja nichts anderes als das Fehlen jedes Prinzips, somit das Fehlen einer legitimen Gewalt und mithin einer Regierung, die das Gemeinwohl im Auge hat (EV 72). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [62] Heißt Toleranz nicht, daß alle Meinungen zu achten sind, also auch jene, die der Abtreibung und Euthanasie das Wort reden?

Kurzinhalt: So wird heute in einem seltsamen Paradox namens einer doktrinären Toleranz oder eines doktrinären Pluralismus gegen die politische Toleranz verstoßen.

Textausschnitt: a) Die in der Neuzeit entstandenen demokratischen Gesellschaften sowie deren Vorläufer wie etwa die schweizerische Demokratie beziehen sich ausnahmslos auf die universelle Geltung der Menschenrechte. Daraus erwuchsen dann die positiven Vorschriften, die diese Rechte garantieren sollen (EV 70). Das Recht auf Leben, auf Freiheit und auf Eigentum ist zwar Gegenstand variabler Gesetzesbestimmungen, die aber allesamt stets prinzipiell den Schutz dieser Rechte zum Gegenstand haben. Für den Pluralismus gilt dasselbe wie für die Toleranz: Immer muß er im Rahmen der Achtung der Grundrechte des Menschen stehen (s.a. 42). Somit wird deutlich, was unter politischer Toleranz zu verstehen ist: Sie ist nichts anderes als die Anerkennung und die Achtung der Person (s.a. 59). Insoweit ist der moderne Staat politisch tolerant und pluralistisch. (Fs)

b) Gegen diese Toleranz verstoßen alle, die auf legalem Wege das jedem Menschen zustehende Grundrecht des Lebens teilweise außer Kraft setzen und sich folglich das »Recht« anmaßen, über Sein oder Nichtsein von Ungeborenen und sogenannten »Nutzlosen« zu bestimmen. (Fs)

c) So wird heute in einem seltsamen Paradox namens einer doktrinären Toleranz oder eines doktrinären Pluralismus gegen die politische Toleranz verstoßen. Kraft ersterer gibt es nur noch eine reine »prozedurale« Ethik unter dem Vorwand, sämtliche Meinungen seien »gleichermaßen achtbar« (s.a. 61). Setzt sich die Auffassung durch, wonach bestimmte »Menschenkategorien nicht lebenswürdig« sind, dann dürfen die einer solchen - mehrheitlich definierten - Kategorie zugewiesenen Menschen mit Fug und Recht beseitigt werden. (Fs)

d) Diese Konzeption der doktrinären Toleranz oder des doktrinären Pluralismus bedeutet daher, daß in einer bestimmten Gesellschaft die zivile Toleranz kraft der doktrinären Toleranz geächtet wird. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [64] Offenbart der Anschlag auf das Leben Unschuldiger eine Pervertierung der Macht?

Kurzinhalt: Das deutlichste Zeichen dafür, daß sich eine zunächst legitime Gewalt dem Totalitarismus zuwendet, besteht darin, daß sie sich gegen die Unschuldigen wendet (EV 58, 72). Ist diese Dynamik erst einmal in Gang gekommen, ...

Textausschnitt: Totalitäre Macht zeichnet sich dadurch aus, daß sie keinerlei Begrenzung von Gott her und keinerlei Kontrolle seitens der beherrschten Menschen kennt. Sie setzt alle verfügbaren Mittel ein, um sich an der Macht zu halten und diese auszuweiten. Seit dem 19. Jahrhundert haben sich alle großen sozialen Bewegungen gegen den Machtmißbrauch der Stärkeren gegenüber den Schwächsten gewandt. Um legitim zu sein, muß politische Macht dienen: Sie steht im Dienst des Gemeinwohls und ist auf den Schutz aller Menschen und schon gar der schwächsten ausgerichtet. (Fs)

Das deutlichste Zeichen dafür, daß sich eine zunächst legitime Gewalt dem Totalitarismus zuwendet, besteht darin, daß sie sich gegen die Unschuldigen wendet (EV 58, 72). Ist diese Dynamik erst einmal in Gang gekommen, dann wird legitime Gewalt zu reiner Willkürmacht. Dies ist ein Machtmißbrauch, den es anzuprangern und zu bekämpfen gilt und gegen den aktiver Widerstand zur Pflicht wird (EV 74, 89). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [65] Würde eine reale totalitäre Drohung nicht von allen erkannt und Gegenstand einer Revolte? - Zusammenfassung: Politik

Kurzinhalt: Die Zeitgeschichte lehrt, daß Totalitarismus sowohl durch Gewalt als auch durch List zustande kommen kann. In letzterem Falle bedient er sich der berühmten »Salamitaktik«:

Textausschnitt: Die Zeitgeschichte lehrt, daß Totalitarismus sowohl durch Gewalt als auch durch List zustande kommen kann. In letzterem Falle bedient er sich der berühmten »Salamitaktik«: Man holt sich vom Gegner scheibchenweise, was er auf einen Schlag niemals zugestehen würde. Die Salamitaktik ist daher etwas ähnliches wie die Abweichungstaktik: Man höhlt die einem Prinzip gehörige Achtung aus, indem man in den Gesetzen die Fälle vervielfacht und ausweitet, in denen das positive Recht Ausnahmen von seiner Geltung »rechtfertigt«. Man einigt sich auf ein scheibchenweises Mißachten eines Grundrechtes. (Fs)

Das schleichende Übel setzt mit der Verabschiedung des ersten ungerechten Gesetzes ein. Es findet dort seine Vollendung, wo man sich auf das Gesetz berufen kann, um Wehrlose zu massakrieren (EV 11). Wobei der Prozeß erneut einsetzen und der Katalog der zu Massakrierenden ausgeweitet werden kann. (Fs)

Zwar sind Personen dafür verurteilt worden, weil sie ungerechten Gesetzen gehorchten, aber man vergißt darüber allzuoft, daß andere dafür verurteilt worden sind, daß sie schon im Vorfeld agiert, das heißt, diese Gesetze verabschiedet haben und rechtskräftig werden ließen (EV 68). (Fs)
Ist also erst der Punkt erreicht, an dem der Staat festlegen soll, welche Unschuldigen man kraft Gesetzes und Ministererlaß beseitigen darf, ist es bereits zu spät, um noch die Frage zu stellen, ob denn noch Demokratie herrsche. (Fs)

Zusammenfassung

Freiheit in einer demokratischen Gesellschaft ist nicht Freiheit von jeder Verpflichtung, sondern bedeutet zuerst einmal die Fähigkeit, das Gute zu tun, und die Pflicht, für alle eigenen Taten die Verantwortung zu übernehmen. Der grundsätzlichste Rechtsanspruch eines jeden Individuums an einen zivilisierten Staat besteht darin, als Mensch in seinem Menschsein uneingeschränkt respektiert zu werden. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [66] Stellt die Abtreibung eine moderne Methode der Diskriminierung dar?

Kurzinhalt: Diskriminieren heißt immer nach Gründen suchen, um Menschen auszubeuten, zu versklaven oder zu töten. Manchmal geht dabei mit einer objektiven Schwäche auch eine rechtliche Schwäche einher.

Textausschnitt: Geschichte ist weitgehend, wie Marx richtig sah, ein »Klassenkampf« in dem Sinne, daß sich Stärkere und Schwächere nicht nur um materielle Fragen stritten, sondern auch um mehr Macht bzw. mehr Gerechtigkeit. Die Geschichte Europas ist zudem dadurch gekennzeichnet, daß sich das Augenmerk speziell auf den Schutz des Individuums vor Machtwillkür richtete; dies schlug sich bereits im Kampf der griechischen Städte für ihre politische Freiheit gegenüber dem als tyrannisch empfundenen Machtanspruch des persischen Großkönigs nieder. (Fs)

Dennoch wimmelt es in der Geschichte von Beispielen der Diskriminierung (s.a. 4). Gleichzeitig lehrt sie, daß der Kampf gegen diese Diskriminierungen und die sie begleitenden Privilegien ein kraftvoller Antrieb für eine gerechtere Gesellschaft war, die in der Demokratie einen vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. (Fs)

Diskriminieren heißt immer nach Gründen suchen, um Menschen auszubeuten, zu versklaven oder zu töten. Manchmal geht dabei mit einer objektiven Schwäche auch eine rechtliche Schwäche einher. (Fs)

So hat das Naziregime Juden, Zigeuner, »Untermenschen« diskriminiert (s.a. 60). In Nürnberg nannte man dies »Verbrechen gegen die Menschlichkeit«. Seitdem sind diese schrecklichen Erinnerungen im Gedächtnis der Menschheit teilweise verblichen. (Fs)

In anderen Regimes wurden Dissidenten und Oppositionelle diskriminiert und beispielsweise in psychiatrische Kliniken eingesperrt. Heute werden nicht nur Kinder, ja sogar Erwachsene mit schweren Mißbildungen oder Behinderungen diskriminiert (s.a. 7, 67), sondern auch die Armen (s.a. 80-93). (Fs)

Die Liberalisierung der Abtreibung legalisiert eine neue Form der Diskriminierung, denn ihr fallen äußerst schwache und völlig abhängige menschliche Wesen straflos zum Opfer.

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [67] Unterscheidet sich die Ideologie der Verfechter der Abtreibung nicht doch von der Nazi-Ideologie?

Kurzinhalt: Trotz aller sonstigen Unterschiede hat die Abtreibungs-Ideologie mit der Nazi-Ideologie doch eine grundlegend gleiche lebensfeindliche Inspiration gemein. Ihre Rechtfertigung wird zwar unterschiedlich verpackt, aber die daraus resultierende ...

Textausschnitt: Die Nazi-Ideologie teilte die Menschen in zwei Kategorien: absolut rechtlose »Untermenschen« zum einen, mit allen Rechten ausgestattete »Herrenmenschen« zum andern. (Fs)

Trotz aller sonstigen Unterschiede hat die Abtreibungs-Ideologie mit der Nazi-Ideologie doch eine grundlegend gleiche lebensfeindliche Inspiration gemein. Ihre Rechtfertigung wird zwar unterschiedlich verpackt, aber die daraus resultierende Praxis läuft auf dasselbe hinaus (s.a 142). Natürlich ist auf der emotionalen Ebene, auf der in der modernen Gesellschaft leider oft ausschließlich argumentiert wird, der Unterschied zwischen Abtreibungs-Ideologie und Nazi-Ideologie gewaltig. Im Falle der Abtreibung wird ein Menschenleben als wertlos angesehen, welches noch nicht das Bewußtseinsalter erreicht hat. Das Opfer hat noch nie etwas intellektuell-bewußt erlebt; es erleidet die Tötung entsprechend »nur« sinnlich, leidet dabei nicht mehr als ein Tier, das man tötet. Hinzu kommt, daß das abzutreibende »Leben« von niemandem geliebt oder gewollt wird (wenn schon die Eltern das Kind töten wollen). In einem Nazi-Vernichtungslager passiert hingegen in dieser rein emotionalen Sicht etwas viel »Schlimmeres«. Dennoch: Die Frage, ob das Opfer ein Mensch ist, bleibt in beiden Fällen völlig ausgeschaltet. Führt man diese emotionale Argumentation weiter (die den heutigen Abtreibungs-Befürwortern als Ausrede und Rechtfertigung dient), so rechtfertigt sie die Eliminierung eines jeden Menschen, der (noch) kein intellektuell-bewußtes Leben geführt hat. Tatsächlich geben einige Abtreibungs-Philosophen auch zu, daß konsequenterweise unter den gleichen Bedingungen, wie sie für die Abtreibung gelten, auch die Tötung von geborenen Babys theoretisch zu befürworten sei - nur werde es aus emotionalen Gründen nicht laut gesagt. (Fs)

Gleichgültig, ob als Grund angegeben wird, es handle sich um Juden, Zigeuner, Behinderte, Ungeborene oder Unerwünschte - der sich ergebende Horror ist in allen Fällen derselbe. Was nützt es also, wenn die Ideologie eine andere ist, wo doch die Praxis dieselbe bleibt?

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [68] Selbst wenn die Praxis dieselbe ist, muß man nicht doch eingestehen, daß die Ideologien andere sind?

Kurzinhalt: Zwischen den Ideologen des Völkermords und den Verfechtern der Abtreibung gibt es Punkte der Gemeinsamkeit. In beiden Fällen wird der andere nicht als menschliches Wesen anerkannt, und in beiden Fällen handelt es sich bei den Opfern um Unschuldige ...

Textausschnitt: Die Ideologien, die man sich zurechtlegt, um den Nazismus oder die Abtreibung zu rechtfertigen, bedienen sich zwar nicht derselben Formeln, haben aber doch gemein, daß sie allesamt völlig willkürliche Diskriminierungen von Menschen »legitimieren« (EV 8). (Fs)

Zwischen den Ideologen des Völkermords und den Verfechtern der Abtreibung gibt es Punkte der Gemeinsamkeit. In beiden Fällen wird der andere nicht als menschliches Wesen anerkannt, und in beiden Fällen handelt es sich bei den Opfern um Unschuldige (s.a. 60, 64) mit dem einzigen Unterschied, daß im Falle der Abtreibung die Tötung früher geschieht. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [69] Welche Verbindung gibt es zwischen den Diskriminierungsideologen und den biomedizinischen Tätern?

Kurzinhalt: Die Diskriminierungsideologen brauen eine Pseudomoral zusammen, kraft derer sie gefälligen ärztlichen Tätern einreden, sie seien zur Beseitigung von Wesen »berechtigt«, ...

Textausschnitt: a) Die Diskriminierungsideologen brauen eine Pseudomoral zusammen, kraft derer sie gefälligen ärztlichen Tätern einreden, sie seien zur Beseitigung von Wesen »berechtigt«, die nicht den von der Ideologie festgelegten »Normen« entsprächen. (Fs)

Diese Ideologen geben zu erkennen, es sei den ärztlichen Vollstreckern »erlaubt«, »zum Wohle« gewisser einzelner, einer bestimmten Rasse, der Gesellschaft oder des Menschengeschlechts - das läßt sich beliebig variieren -unerbittliche Selektionen durchzuführen. (Fs)

So gelangen wir zu einer Situation, in der unser Jahrhundert, das zunächst alles ins Werk gesetzt hat, um eine Trennung nach »Gesellschaftsklassen« zu beenden, heute eilends eine neue Apartheid nach »genetischen Klassen« errichtet (EV 63). (Fs)

b) Damit legen die Diskriminierungsideologen den Grund für die PseudoLegitimierung zahlloser Machtmißbräuche. Der Mißbrauch wirtschaftlicher, politischer oder richterlicher Macht ist verabscheuungswürdig. Noch verabscheuungswürdiger ist der Mißbrauch medizinischer Macht. Am verabscheuungswürdigsten indes ist der Mißbrauch der Macht des Geistes, denn er verwundet den Menschen in seinem Geist, dank dessen er am gottähnlichsten ist (s.a. 140). (Fs)

Die Technokraten der neuen Weltordnung sind Meister dieser raffinierten Formen des Machtmißbrauchs, wie ihn Aldous Huxley in Schöne neue Welt meisterlich vorgezeichnet hat. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [71] Zieht die Angst vor jeglichem Risiko also unbarmherzig eine Spirale der totalen Wirksamkeit nach sich?

Kurzinhalt: Alledem liegt eine gemeinsame Idee zugrunde: Wenn erst einmal feststeht, daß man über gewisse Menschen(kategorien) verfügen darf, gelangt man schnell zu der Folge: Entspricht ein Menschenleben nicht gewissen »Qualitätsmerkmalen« ...

Textausschnitt: Verhütung zielt seit jeher darauf ab, das Risiko einer Schwangerschaft zu vermindern; die totale Verhütung versucht dieses biologisch gegebene Risiko total zu eliminieren. Das hat zur Folge, daß dieses Risiko mit der Zeit nicht nur den Sexualpartnern, sondern auch der Gesellschaft als unerträglich erscheint. Deswegen führt die geforderte Wirksamkeitslogik von der Empfängnisverhütung geradewegs zur Abtreibung und von dort zur Eugenik (s.a. 30) und landet schließlich bei der Euthanasie (s.a. 31; EV 63). (Fs)

Alledem liegt eine gemeinsame Idee zugrunde: Wenn erst einmal feststeht, daß man über gewisse Menschen(kategorien) verfügen darf, gelangt man schnell zu der Folge: Entspricht ein Menschenleben nicht gewissen »Qualitätsmerkmalen« und ist daher nicht lebenswert, dann kann es logischerweise auch mit den bestverfügbaren Wirksamkeitsmitteln ausgelöscht werden (s.a. 123). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [73] Ist vorstellbar, daß vergessen wird, die offenkundigen Lehren aus der Nazi-Erfahrung zu ziehen?

Kurzinhalt: ... heute werden Unschuldige »hingerichtet«, wennzwar nicht mehr kraft von Gesetzen eines Tyrannen, sondern kraft von Gesetzen, die demokratisch gefordert und von Parlamentariern beschlossen wurden.

Textausschnitt: Der Mensch besitzt eine unglaubliche Fähigkeit, die Vergangenheit - sogar die jüngste - zu vergessen, selbst wenn er sie am eigenen Leibe verspürt hat. Es kommt zu einer damnatio memoriae: Die Erinnerung wird verdrängt, weil die Vergangenheit als gefährlich empfunden wird, denn ihre Erkenntnis würde ja ein Urteil über die Gegenwart erlauben (s.a. 76ff.). (Fs)

So wissen wir kaum noch, daß die Nazi-Ärzte und -Schergen massenweise Unschuldige mit der einzigen Begründung vernichtet haben, sie gehorchten den Gesetzen des Dritten Reiches und »Befehlen«. Ebensowenig erinnern wir uns, was uns vom Nazismus errettet hat: Widerstandskämpfer, die den ungerechten Gesetzen den Gehorsam verweigerten. Halten wir auch fest, daß durch eine makabre Verdrehung der Geschichte sich manche, die den Nazischrecken dank dieser mutigen Widerständler entkamen, heute daran begeben, ungerechte Gesetze zu erlassen, die denjenigen, denen sich ihre Befreier widersetzten, aufs Haar gleichen. (Fs)

Wie aber diese Fakten der Zeitgeschichte verdrängt werden, wird auch verdrängt, daß sich die Geschichte durchaus wiederholen oder, wenn man so will, fortsetzen kann. Denn heute werden Unschuldige »hingerichtet«, wennzwar nicht mehr kraft von Gesetzen eines Tyrannen, sondern kraft von Gesetzen, die demokratisch gefordert und von Parlamentariern beschlossen wurden. Gerechter aber sind diese widernatürlichen Gesetze darum keineswegs. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [75] Wie läßt sich die Konsequenzlosigkeit erklären, daß heute eine Praxis legalisiert wird, die gestern als unrechtmäßig verurteilt worden ist? - Margaret Sanger; Euthanasie

Kurzinhalt: Deshalb steht das Tor zum Ultra-Nazismus weit offen. Darunter verstehen wir einen Nazismus im Endzustand, der weltweit ist und sich in Praktiken, Gesetzen, Institutionen, ja sogar in der Ethik niederschlägt, aber weder einen »brüllenden Führer« ...

Textausschnitt: Die zuvor analysierte Inkonsequenz (vgl. 73) ist dramatisch, zeigt sie doch, daß gewisse Kreise die ganze Bösartigkeit des Nazismus nicht erkannt haben. Deshalb steht das Tor zum Ultra-Nazismus weit offen. Darunter verstehen wir einen Nazismus im Endzustand, der weltweit ist und sich in Praktiken, Gesetzen, Institutionen, ja sogar in der Ethik niederschlägt, aber weder einen »brüllenden Führer« noch eine folternde Gestapo braucht, um sich durchzusetzen. (Fs)

a) Man hat übersehen, daß diese Bösartigkeit nicht in erster Linie dem Nazi-Regime oder den Nazi-Anhängern innewohnte, sondern seinem ideologischen Wesen. Man vergaß, daß das ureigene Wesen des Nazismus in seiner totalitären Natur bestand, welche auf dem totalen Willen einiger weniger beruhte und diesem Willen, das Ich zu zerstören, physisch ebenso wie psychisch, eine pseudo-moralische, gesetzliche Grundlage gab. Der Nazismus ist der Wirklichkeit gewordene Wille zu töten (s.a. 142). (Fs)

b) Trotz aller lautstarken Dementis ihrer Verfechter sind die Strömungen, die die Abtreibung legalisierten, nunmehr dabei, die Euthanasie zu legalisieren (s.a. 30-32); sie gehören objektiv in dieselbe Tradition und vollenden gar noch ihre Perversion, denn sie gehen noch über den Nazismus hinaus. Die Tötung ist nämlich nicht mehr nur ein »Recht«, das die Gesellschaft über jene ausüben darf, deren Leben sie für nicht lebenswert erachtet (s.a. 60),1 sondern geradezu eine »Pflicht« der Gesellschaft, die dafür zu sorgen hat, daß alle hingerichtet werden, deren Leben nicht lebenswert ist, damit sie »in Würde« sterben (s.a. 30). (Fs)

Zu der Rechtsauffassung der Gesellschaft, die gleichwie der Nazismus (s.a. 60) jene Wesen tötet, deren Leben nicht lebenswert ist, tritt also noch eine weitere, für den Liberalismus typische hinzu, wonach das Individuum das (übrigens nirgends geschriebene und nirgends definierte) Recht habe, »in Würde zu sterben«. In dieser Hinsicht ist es bezeichnend, daß eine bedeutende Vertreterin und Vorreiterin des militanten Malthusianismus und der aktiven genetischen Selektion, Frau Margaret Sanger, nicht nur eine Verehrerin des Führers war, sondern heute noch als Gründerin der Pro-Abtreibungsliga IPPF in Ehren gehalten wird. (Fs)

Der 1883 in New York geborenen Margaret Sanger verdankt man den Begriff »Birth Control«. Nach einem ersten Engagement bei intellektuellen Sozialisten wurde sie mehr und mehr durch anarchistische und feministische Kämpfer des frühen 20. Jahrhunderts beeinflußt. Schon in frühen Jahren plädierte sie für die »freiwillige Mutterschaft« und für den absoluten Vorrang der sexuellen Befriedigung als Grundlage zu Alternativen zur Ehe. Bald wurde sie eine führende Vordenkerin der Eugenik. Es gelte, so ihre Argumentation, das Wachstum der »human weeds« (des menschlichen Unkrauts...) zu bremsen. Mitglieder der von ihr geleiteten Bewegung der Birth Control durften nur »weiße, protestantische, in den USA geborene Bürger mit überdurchschnittlichem Einkommen und überdurchschnittlicher Bildung« sein. Eine der Hauptthesen lautete, daß »die Wohltätigkeit der Gesellschaft das natürliche Gleichgewicht verkehrt hat, indem jene Menschen am Leben bleiben, die durch natürliche Selektion schon lange verschwunden wären«. Ferner: »Die gesunden Menschen sollen sich mehr fortpflanzen, die schwächeren sich enthalten - das ist der Zweck der Geburtenkontrolle«2, und: »Die Geburtenkontrolle wird die Schaffung einer reinen Rasse begünstigen«3. (Fs)

Weiter schreibt Frau Sanger: »Die finanzielle Bürde jener unerwünschten Elemente [der Schwächeren der Gesellschaft] müssen die gesunden Elemente der Nation tragen. Die Mittel, die zur Erhöhung unseres Lebensstandards beitragen könnten, werden somit für die Erhaltung jener verwendet, die nie hätten geboren werden dürfen.«

1936 begegnete Margaret Sanger bei der American Eugenics Society führenden Eugenikern aus Deutschland und bewunderte »die Art und Weise, wie die Deutschen ihre Rassenprobleme dadurch lösen, daß sie die als für eine Elternschaft untauglich angesehenen Personen sterilisieren«. In der von ihr herausgegebenen Zeitschrift kamen mehr und mehr Eugeniker der Nazi-Ideologie zu Wort, so zum Beispiel H. Laughlin, Urheber von Hitlers Gesetz für eugenische Sterilisierungen und 1936 Ehrendoktor der Universität Heidelberg. (Fs)

Mit dem Zweiten Weltkrieg nahmen die USA offiziell Abstand von den eugenischen Thesen. Dennoch blieb American Birth Control aktiv und suchte »subtilere und demokratischere Wege«, um gewisse Bevölkerungsgruppen (speziell die Farbigen) weiterhin gezielt zu reduzieren und zu sterilisieren. (Fs)
Heute ist die »International Planned Parenthood Fédération« (IPPF), deren Mitbegründerin Frau Sanger ist, nicht nur salonfähig, sondern die weltweit größte nichtstaatliche Organisation nach dem Roten Kreuz und führend in der weltweiten Bevölkerungspolitik. Die Kairoer Bevölkerungs-Konferenz von 1994 stand faktisch unter IPPF-Führung. In der Haupthalle des Kairoer Konferenzgebäudes war unter anderem das Institut Margaret Sanger mit einem Stand vertreten - das schien niemanden zu besorgen. (Fs)

c) In beiden genannten Fällen wird ungeachtet aller ideologischen Verbrämung die Tötung durch das Gesetz sanktioniert und ihre Ausführung dem ärztlichen Personal übertragen. Kurz gesagt legitimiert hier das Gesetz den ärztlichen Totschlag (s.a. 46, 53). (Fs)
d) Es liegt in derselben Logik, daß ein Staat, der den Eltern das »Recht« einräumt, ihre Kinder zu töten, bald auch den Kindern das »Recht« einräumt, ihre Eltern zu töten (s.a. 30-32, 52). (Fs)

In allen Fällen muß das Gesetz dazu herhalten, die »Medikalisierung« des Totschlags zu »legitimieren« (s.a. 46, 53). (Fs)

e) Dieses totalitäre Bündnis von Lüge und Gewalt hat André Frossard unerbittlich gebrandmarkt: »Der Lügner weiß, daß er lügt, der Verbrecher verheimlicht oder leugnet sein Verbrechen, aber die jede Menschlichkeit aufs diabolischste verhöhnenden politischen Systeme glauben sich gehalten, ihrer Schändlichkeit das Mäntelchen der Gerechtigkeit umhängen zu sollen und jedesmal >Recht< zu plärren, wenn sie es verletzen.«4

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [78] Ist es nicht schockierend, zwischen den Henkern des Naziregimes und den Abtreibungsverfechtern von heute eine Parallele zu ziehen? - Zusammenfassung: Ultra-Nazismus

Kurzinhalt: Die größte Gefahr, die unserer Gesellschaft durch die Liberalisierung der Abtreibung droht, ist nicht in erster Linie in den Umtrieben ... erbarmungsloser Individuen zu suchen. Sie liegt im allgemeinen Mangel an Mut gegenüber der »Banalität des Bösen«.

Textausschnitt: Oft stellt man sich den typischen Nazi als blutrünstige Bestie vor. Diesen Typus hat es sicherlich gegeben, und schändliche Individuen haben in der Raffinesse der Erniedrigung, der Folterungs- und Tötungsmethoden miteinander gewetteifert. (Fs)

Aber der klassische Durchschnittsnazi war keineswegs ein brutales und grausames Wesen. In ihrer Mehrheit waren sie scheinbar unbescholtene Bürger. Sie waren lediglich in »das System« hineingeschlittert. Von Konzession zu Konzession, von Feigheit zu Feigheit (s.a. 65) und vom Interesse her wurden sie zu immer eifrigeren Dienern des Regimes. Indem sie seine Befehle ausführten, glaubten viele von ihnen ihre Pflicht zu erfüllen. (Fs)

Die größte Gefahr, die unserer Gesellschaft durch die Liberalisierung der Abtreibung droht, ist nicht in erster Linie in den Umtrieben notorisch zynischer und erbarmungsloser Individuen zu suchen. Sie liegt im allgemeinen Mangel an Mut gegenüber der »Banalität des Bösen«. (Fs)

Zusammenfassung

Zwischen einem Folterknecht des Naziregimes und einem abtreibenden Arzt besteht ein klarer Unterschied in der Ausführung. Der Folterknecht fügt einem wehrlosen Wesen böswillig Qualen zu oder tötet es. Der abtreibende Arzt hingegen nimmt scheinbar eine ärztliche Handlung vor. Dennoch gibt es zwischen den beiden eine Gemeinsamkeit: Beide glauben sich durch das Gesetz zum Töten berechtigt. (Fs)

Das Raffinement des Ultra-Nazismus besteht darin, daß einzig der Unterschied betont, die Gemeinsamkeit aber verneint wird. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [80] Mindestens ein Fünftel der Menschheit lebt in absoluter Armut, in unmenschlichen, menschenunwürdigen Bedingungen. Ist es nicht im Interesse dieser Menschen und ihrer Familien, daß sie keine Kinder haben?

Kurzinhalt: Die heute in neuer Verpackung dargebotenen Thesen von Malthus sind mehr denn je ein Traumwerkzeug für alle Reaktionäre, die sich jeder sozialen Reform verschließen. Die Malthusianer von heute vergiften die internationale Meinung, indem sie behaupten, ...

Textausschnitt: a) Der englische Pastor Thomas Robert Malthus (1766-1834) vermeinte ein Gesetz gefunden zu haben, wonach zwischen der geometrischen (exponentiellen) Zunahme der Bevölkerung und der arithmetischen (linearen) Progression der Nahrungsmittelressourcen eine Disparität bestehe. Die Neomalthusianer verknüpfen diese - wissenschaftlich unhaltbare - These nun mit einem angeblichen Recht auf risikolose sexuelle Lust. Die neomalthusianischen Thesen - sie präsentieren die Empfängnisverhütung, Sterilisierung, Abtreibung usw. als neue »Menschenrechte« - werden sehr häufig dazu benutzt, die malthusianischen Beweggründe zu maskieren, die eine strikte Bevölkerungskontrolle als dringend gebotene Pflicht darstellen (s.a. 88). Verbreitet werden diese ineinander verzahnten Thesen von denen, deren Interessen sie dienen. (Fs)

b) Weder Armut noch Hunger sind schicksalhaft vorgegeben.1 Beispielsweise war der Nahrungsmittelüberschuß noch nie so groß wie heute. Dasselbe gilt für die Lebenserwartung bei der Geburt, die heute in der ganzen Welt höher ist als je zuvor. Das große Problem besteht jedoch in der Verteilung nicht nur der Nahrungsmittelressourcen, sondern auch der Kenntnisse in Landwirtschaft, Gesundheit, Hygiene, natürlicher Geburtenregelung usw. - von der verbreiteten Korruption ganz zu schweigen. Die Armen erwarten, daß man ihnen aus ihrer Not heraushilft, und nicht etwa, daß man sie - nachdem man sie mit der Abtreibung und Sterilisierung »beglückt« hat - dort verkümmern läßt. (Fs)

c) Die heute praktizierte Massensterilisierung der Armen wird schreckliche soziale Folgen haben. Wenn sie alt sind, werden sie noch genauso arm sein, aber keine Kinder mehr haben, auf die sie zählen können. Sie werden hilflos preisgegeben sein, und die in ihrer Gesellschaft herrschende Gewalt wird ihren Tod ebenso beschleunigen wie heute schon den der Straßenkinder in Bogota, um die sich außer ein paar wohltätigen Stiftungen praktisch niemand kümmert. (Fs)

d) Die heute in neuer Verpackung dargebotenen Thesen von Malthus sind mehr denn je ein Traumwerkzeug für alle Reaktionäre, die sich jeder sozialen Reform verschließen. Die Malthusianer von heute vergiften die internationale Meinung, indem sie behaupten, die Armut habe ihre Ursache weder in der sozialen Ungerechtigkeit, noch im wirtschaftlichen Versagen, noch in der politischen Unfähigkeit, noch in den ideologischen Verirrungen, sondern einzig in der atemberaubenden Proliferation der Armen als solchen. Je mehr diese - vollkommen falsche - These blind als »Beweis« angesehen wird, desto weniger hat das wahre Streben nach Gerechtigkeit und Entwicklung eine Chance; umgekehrt kann die Ausbeutung der Armen skrupellos weitergetrieben werden. (Fs)

e) Alle, die der sozialen Gerechtigkeit zwischen den Menschen und Völkern, der universellen Brüderlichkeit, der Gleichheit und Freiheit für alle, der Achtung der Schwächsten und Ärmsten, der Behinderten und Kranken usw. den Weg versperren, haben sich Malthus ans Banner geheftet. Ein Teil der heutigen militanten Malthusianer hat für die Armen und Schwachen, die Schwarzen und Indios usw. kaum mehr als Verachtung übrig. Die Gleichheit aller Menschen, das Recht aller auf Freiheit, ihr Zugang zu den materiellen, geistigen und spirituellen Gütern sind für sie nichts als unzulässige Ziele, die es zu bekämpfen gilt. Wenn man sich um die gleiche Würde aller Menschen kümmert, so zerstört man ihrer Meinung nach das naturgewollte Gleichgewicht, das die Besten auswähle und die Schwächsten beseitige oder zumindest den Stärkeren weiterhin Zugang zu materiellem Wohlstand sichert und die Schwächeren in Armut und Not beläßt. (Fs)

Alles in allem inspirieren die malthusianischen Ideen die heutigen Lesarten einer naturalistischen Herrenmoral à la Nietzsche. Sie sind daher mit dem Christentum völlig unvereinbar. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [81] Trägt man nicht zum Glück der Armen bei, indem man ihnen den Zugang zur Sterilisierung und Abtreibung erschließt?

Kurzinhalt: Offenbar besitzen die Reichen einen geheimnisvollen Apparat namens »Eudemometer«, mit dem sich Glück messen läßt; tatsächlich beruht ihre Einschätzung jedoch nur auf der Einkommensstatistik.1 Davon ausgehend meinen die Reichen, ...

Textausschnitt: Offenbar besitzen die Reichen einen geheimnisvollen Apparat namens »Eudemometer«, mit dem sich Glück messen läßt; tatsächlich beruht ihre Einschätzung jedoch nur auf der Einkommensstatistik.1 Davon ausgehend meinen die Reichen, das Leben der Armen sei sinnlos, weil ihre Einkünfte niedrig seien; folglich müsse man sie daran hindern, Kinder in die Welt zu setzen (s.a. 10). Ihr Leben sei nur dann lebenswert, wenn sie den Zugang zur Lust und zu dem dazu befähigenden Reichtum besäßen. Also empfiehlt man ihnen die Abtreibung und die Sterilisierung und wiegt sie in dem Glauben, damit würden sie weniger arm und bekämen die Lust quasi als Geschenk obendrein. (Fs)

Schlimmer noch: Für die Völker gilt dasselbe wie für den einzelnen. Es gibt keine schlimmere Demütigung für ein Volk als die Massensterilisierung seiner Bürger. Leider geht mit dieser Verstümmelung häufig Lügenhaftigkeit einher, denn man »bietet« ihnen im Rahmen der »Hilfe für die armen Länder« die Sterilisierung an - etwas, womit man in den Industrieländern kaum noch Sexualtäter bestrafen kann. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [82] Droht der Menschheit nicht eine Katastrophe: die »Bevölkerungsexplosion« der Dritten Welt?

Kurzinhalt: Die Menschen sind nicht deswegen arm, weil sie zahlreich sind, sondern sie sind zahlreich, weil sie arm sind (s.a. 83). Wer der Armut ein Ende zu machen sucht, indem er die Geburtenrate energisch eindämmt, zäumt das Pferd vom Schwanz auf.

Textausschnitt: Auch dieser Gedanke geht auf Malthus zurück (EV 16). Nach ihm wächst die Bevölkerung exponentiell, aber die Nahrungsmittelressourcen nehmen nur in linearer Progression zu (s.a. 80). Diese Theorie macht sich nun in kaum veränderter Form breit: »Die Menschen sind arm, weil sie zu zahlreich sind.« Diese Behauptung wird von den Medien nach dem Motto verbreitet: »Zahlreich sein heißt arm sein« (EV 17). (Fs)

Man muß diese Feststellung jedoch umkehren. Die Menschen sind nicht deswegen arm, weil sie zahlreich sind, sondern sie sind zahlreich, weil sie arm sind (s.a. 83). Wer der Armut ein Ende zu machen sucht, indem er die Geburtenrate energisch eindämmt, zäumt das Pferd vom Schwanz auf. (Fs)

Ein Bevölkerungsüberschuß mißt sich stets an einer präzisen, konkreten und variablen Situation. Armut mißt sich stets an der Fähigkeit des Menschen, seine Umwelt zu beherrschen: Eine Nation ist arm, weil sie ihre Bevölkerung nicht ernähren kann (s.a. 92). In diesem Sinne ist die Armut die Ursache der Überbevölkerung und nicht umgekehrt. Die Überbevölkerung steht immer im Verhältnis zu einer gegebenen Situation. Diese aber läßt sich durch menschliches Einwirken verändern, wenn der Mensch nur den moralischen und politischen Willen dazu besitzt. Es gibt Fälle, wo mangelnde materielle, geistige und moralische Ausstattung eine vernünftige Landbebauung verhindert, und dann sind dort die Menschen zu zahlreich. Aber diese Situation wäre veränderbar: durch bessere Organisation, Erziehung und Bildung, Ausstattung (s.a. 137). (Fs)

Das bedeutet nicht etwa, daß die demographischen Phänomene beiseitegelassen werden könnten: An der einen Stelle herrscht Niedergang, an der anderen Wachstum. Gewiß muß sich der Staat darum kümmern. Aber hier wie anderswo gilt das Subsidiaritätsprinzip als Grundlage jeder Demokratie.1 Das staatliche Eingreifen muß die Grundrechte des Menschen wahren. Der Staat darf nicht nach freiem Belieben und zu jedem beliebigen Preis tätig werden. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [83] Manche sprechen sogar von einer »Bevölkerungsbombe«.

Kurzinhalt: Aber nicht die Armen bilden die Bombe des dritten Jahrtausends, sondern die Armut der Länder der Dritten Welt. Die Diagnose muß richtig gestellt und Ursache und Wirkung dürfen nicht verwechselt werden ...

Textausschnitt: In den Augen der Ideologen der demographischen Selbstverteidigung bedeutet eine große Menschenzahl automatisch Armut. Aber nicht die Armen bilden die Bombe des dritten Jahrtausends, sondern die Armut der Länder der Dritten Welt. Die Diagnose muß richtig gestellt und Ursache und Wirkung dürfen nicht verwechselt werden (s.a. 82, 137, 141). (Fs)

a) Wie sich die Krankheit nicht dadurch beseitigen läßt, daß man die Kranken der Euthanasie opfert (s.a. 30), lassen sich auch die Ursachen der Armut nicht damit beseitigen, daß man die Armen sterilisiert. Um die Ursachen der Armut und der Sterblichkeit auszuräumen, ist aufs dringendste geboten, daß alle Kinder, die geboren werden, eine Erziehung erhalten, die es ihnen erlaubt, als Erwachsene für sich selbst zu sorgen; dabei muß man ihnen helfen (s.a. 82). Denn ein armes Kind ist ja nicht nur ein Bauch mehr, sondern es ist vor allem zwei Arme mehr, die arbeiten können, und ein denkendes Gehirn, das durch sein Denken den Reichtum der Erde zu erhöhen vermag. (Fs)

b) Es dürfte äußerst schwer fallen, ein historisches Beispiel zu finden, bei dem einem Geburtenschwund ein Entwicklungsschub gefolgt wäre. Vielmehr verläuft die geschichtliche Gesetzmäßigkeit genau umgekehrt.1

Der große Bevölkerungsschub ist nicht die Folge von mehr Geburten, sondern einer schnell sinkenden Sterblichkeit (insbesondere der Kinder) und daher auch ein vorübergehendes Phänomen, das übrigens auch die Industrieländer durchlebt haben. Die sinkende Sterblichkeit ist ihrerseits die Folge schneller Fortschritte der Medizin, der sanitären Einrichtungen, der Ernährungs- und Wohnungsqualität usw. Üblicherweise geht mit einem Bevölkerungsschub, wenn nicht eine fehlgeleitete Politik den Zusammenhang stört, mit gewisser Verzögerung eine wirtschaftliche Entwicklung einher. Natürlich spielen sich hier komplexe Wechselwirkungen ab, weshalb die Kausalität nicht auf eine einzige Richtung reduziert werden darf. Vielmehr fördert das demographische Wachstum die wirtschaftliche Entwicklung, und diese wirkt wiederum auf das demographische Wachstum zurück. Soviel läßt sich jedenfalls sagen: In der Geschichte hat ein Bevölkerungsschub - mit gewisser Verzögerung - dank rationaler und effizienter eingesetzter Menschen und Mittel in aller Regel einen Wachstumsschub bewirkt, und nicht einen Armutsschub. (Fs)

c) Wäre der Fruchtbarkeitsrückgang mechanisch mit einem Anstieg des Reichtums verknüpft, müßten sich für diese Beziehung Beispiele finden. Das Gegenteil ist der Fall: In Brasilien etwa ist die allgemeine Fruchtbarkeitsrate zurückgegangen, das heißt, die jährliche Geburtenzahl im Verhältnis zur Zahl der fortpflanzungsfähigen Frauen, verringerte sich zwischen 1960 und 1990 von 6,3 auf 3,13 und lag 1997 bei nur noch 2,5 Kinder pro Frau; die Bevöl-kerungs-Wachstumsrate ging von 2,89 auf 1,4 Prozent zurück. In Mexiko fiel die Fruchtbarkeitsrate pro Frau von 6,2 Kindern im Jahre 1965 auf 3,1 Kinder im Jahr 1995, die jährliche Bevölkerungszuwachsrate sank von 2,8% (1963) auf 1,8% (1997) und dürfte im Jahr 2013 knapp 1% erreichen (die Beispiele ließen sich beliebig verlängern). Hat sich in derselben Zeit die Armut in diesen Ländern etwa im gleichen Maße verringert?

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [84] Gilt die Angst vor dem Bevölkerungsaufschwung in der Dritten Welt vor allem für bestimmte Länder? - »Kissinger-Bericht«

Kurzinhalt: »Der Schwerpunkt muß vorrangig auf die größten und am schnellsten wachsenden Entwicklungsländer gelegt werden, bei denen das Ungleichgewicht zwischen der wachsenden Einwohnerzahl und der potentiellen Entwicklung die ernstesten Gefahren der ...

Textausschnitt: a) Der Bericht des Nationalen Sicherheitsrates der USA, auch »Kissinger-Bericht« genannt (s.a. 100-102) spricht davon, die Entwicklungsländer müßten als erstes zur Zielscheibe der Geburtenbeschränkungskampagnen werden:

»Der Schwerpunkt muß vorrangig auf die größten und am schnellsten wachsenden Entwicklungsländer gelegt werden, bei denen das Ungleichgewicht zwischen der wachsenden Einwohnerzahl und der potentiellen Entwicklung die ernstesten Gefahren der Instabilität, der Unruhe und internationaler Spannungen heraufbeschwört. Es sind dies: Indien, Bangladesch, Pakistan, Nigeria, Mexiko, Indonesien, Brasilien, die Philippinen, Thailand, Ägypten, Türkei, Äthiopien und Kolumbien.«1

b) So gewichtig er ist (Kissinger war schließlich nicht irgendein obskurer Politiker, sondern eine der einflußreichsten Gestalten der amerikanischen Politik) - der Bericht ist doch keineswegs der einzige seiner Art; zahlreiche weitere Dokumente zeigen, wie beharrlich und entschlossen die nordamerikanischen Behörden vorgehen.2

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [85] Wie stellt sich die demographische Lage aus europäischer Sicht dar?

Kurzinhalt: Ein jeder bilde sich selbst sein Urteil: Die letztverfügbaren Daten von Eurostat lauten: Vereinigtes Königreich: 1,70; Belgien: 1,55; Schweiz: 1,52; Deutschland: 1,30; Italien: 1,22; Spanien: 1,15 (alle Daten: 1996).

Textausschnitt: Um in entwickelten Ländern den bloßen Generationenersatz sicherzustellen, muß die Fruchtbarkeitsrate mindestens 2,1 Kinder pro Frau betragen (dabei werden für ein bestimmtes Jahr die Kinder gezählt, welche die am 1. Januar des betreffenden Jahres zwischen 15 und 49 Jahre alten Frauen zur Welt gebracht haben, und diese Teilquotienten werden zusammengezählt).1

Dieser Fruchtbarkeitsindex liegt praktisch überall in Europa deutlich unter dem für den Generationenersatz notwendigen Grenzwert.2 In der Europäischen Gemeinschaft zeigen die 1993 von Eurostat veröffentlichten Zahlen einen Fruchtbarkeitsindex, der 1960 noch bei 2,61 lag und 1996 auf 1,44 abgerutscht ist. Einzig und allein Irland sicherte 1990 mit 2,10 noch den Generationsersatz, ist jedoch inzwischen ebenfalls unter die Ersatzrate abgefallen (1996: 1,71). Ein jeder bilde sich selbst sein Urteil: Die letztverfügbaren Daten von Eurostat lauten: Vereinigtes Königreich: 1,70; Belgien: 1,55; Schweiz: 1,52; Deutschland: 1,30; Italien: 1,22; Spanien: 1,15 (alle Daten: 1996). (Fs)

Noch aufsehenerregender ist der Zusammenbruch in den osteuropäischen Ländern: In Ostdeutschland ist die Zahl der Kinder pro Frau buchstäblich in einen Sturzflug übergegangen: von 1,80 vor dem Fall der Mauer auf 0,80 im Jahre 1992; mittlerweile (1996) bietet es den traurigen Weltrekord von 0,77. Aber auch Rußland fiel binnen zwei Jahren (1990-1992) von 1,90 auf 1,56 und lag 1994 bei 1,40. Das katholische Polen fiel von 2,33 Kindern pro Frau (1985) auf 1,95 (1992) und wies 1995 nur noch eine Rate von 1,61 auf. Ähnlich verheerend steht es in der Slowakei (1990: 2,09; 1995: 1,52), Slowenien (1995: 1,29), der Ukraine (1995: 1,40) oder der Republik Belarus (1995: 1,39).3 In Rußland sterben seit Ende 1991 sogar jährlich mehr Menschen, als geboren werden.4 Bis 1965/1970 hatte der synthetische Fruchtbarkeitsindex in Europa fast überall noch über 2,1 gelegen, ist aber seitdem um 30 Prozent zurückgegangen und liegt bei 1,5 Kindern pro Frau. Zum Vergleich: Dieser Index, der seit 1965 auf fast allen Kontinenten zurückgeht (s.a. 79), wird weltweit auf 3,0 und für die Entwicklungsländer (einschließlich Chinas) auf 3,4 geschätzt5. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [88] Müßte die Bevölkerungsimplosion in Europa nicht die USA beunruhigen?

Kurzinhalt: Unter diesen Umständen haben die USA selbstverständlich allen Grund, über den Bevölkerungszusammenbruch Europas zu frohlocken. Dasselbe gilt für die Vergreisung Europas, die unweigerlich soziale Unruhe auslöst, ...

Textausschnitt: Die Vielschichtigkeit der demographischen Fragen je nachdem, ob es sich um die Dritte Welt oder um Europa handelt, schlägt sich in der Zwiespältigkeit der Beziehungen zwischen Europa und Amerika nieder. (Fs)

a) Die Vereinigten Staaten und generell die angelsächsische Welt waren Pioniere im Bereich von Empfängnisverhütung, Sterilisierung und Abtreibung. Die großen malthusianischen und neomalthusianischen Thesen werden weiterhin von Zentren in den USA oder England aus propagiert. Diese Länder wollen Europa mit dem Gespenst der »demographischen Sicherheit« gegenüber der Dritten Welt erschrecken, deren Expansion sie befürchten. (Fs)

Diese Interessengemeinschaft veranlaßt Europa und die USA dazu, gemeinsam Front zu machen, um den demographischen Aufschwung der Dritten Welt zu bremsen, und sie zögern nicht, dazu die internationalen Organisationen vor ihren Karren zu spannen. Sie versuchen sogar, im neuen Gegensatz zwischen Norden und Süden das Bindemittel eines Zusammenhalts zu suchen, den ihnen der einstige Ost-West-Gegensatz nicht mehr beschert. (Fs)

b) Doch jenseits dieser Interessengemeinschaft zeigt sich immer deutlicher, daß die um ihre Sicherheit bangenden USA unter allen Umständen das Auftauchen eines neuen Rivalen verhindern wollen.1

Die Dritte Welt ist als solche auf längere Sicht ein derartiger Rivale, der unbedingt niedergehalten werden muß. Nennen wir zwei Beispiele:
- Als erstes China. Es erhält eine »Hilfe« zur Bevölkerungskontrolle, deren Umfang und Wirksamkeit erst kürzlich dargestellt wurde (vgl. 106, 125). (Fs)

- Mexiko sodann: Als Entwicklungsland vor den Toren Amerikas muß es genauestens überwacht werden; das geschieht durch Einbeziehung in die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA). (Fs)

Noch beunruhigender sind jedoch die Machtansprüche, die Europa mit der EU anmeldet. (Fs)

c) Man darf also mit Fug und Recht fragen, ob Europa nicht dabei ist, selbst seine Fähigkeit zur Mitwirkung an der Entwicklung der Dritten Welt zu zerstören. Indem es sich mit seinem Bevölkerungsniedergang abfindet, läßt es den USA freie Hand. Dabei hätte es durchaus den armen Ländern eine alternative Partnerschaftslösung anbieten können - wenn es nicht in die malthusianisch-materialistische Falle gegangen wäre. (Fs)

d) Unter diesen Umständen haben die USA selbstverständlich allen Grund, über den Bevölkerungszusammenbruch Europas zu frohlocken. Dasselbe gilt für die Vergreisung Europas, die unweigerlich soziale Unruhe auslöst, sobald die Sozialpolitik, die Gesundheits- und Invalidenfürsorge und die Renten tangiert sind - was mittlerweile schon eingetreten ist. (Fs)

Unter dem Einfluß von (vielleicht subventionierten) Meinungsmachern hat sich die EU, die wie das Kaninchen vor der Schlange erstarrt, eiligst die neomalthusianische Ideologie des Rechtes auf Lust einverleibt, die in erster Linie aus den angelsächsischen Ländern herübergekommen ist. Das Interesse der USA lautet indes, daß Europa selbst dem malthusianischen Denken verfällt und das Wachstum seiner eigenen Bevölkerung aufs strengste eindämmt (vgl. a. 80, 93, 96). Die USA dürfen sich also ins Fäustchen lachen, wenn sie sehen, wie sich die Europäer diese Thesen eiligst zu eigen machen! Es gibt kein besseres Beispiel für ideologische Kolonisierung... (Fs)

e) Der Augenblick ist also gekommen, an dem sich Europa und die Dritte Welt an den Ausspruch Disraelis erinnern müssen: »Das britische Empire hat weder ewige Feinde noch ewige Freunde. Es hat nur ewige Interessen.«

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [89] Wenn die Bevölkerungssituation so ernst ist, warum kümmern sich die Politiker nicht darum?

Kurzinhalt: Schließlich ist nicht zu übersehen, daß die gepflegte Ignoranz zu den höheren Formen der freiwilligen Sklaverei gehört; sie hat allerdings schwergewichtige Rivalen: ...

Textausschnitt: Die Gleichgültigkeit, mit der die meisten europäischen Politiker das Bevölkerungsproblem übergehen, ist in der Tat beunruhigend. Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst einmal betrachten die meisten Politiker das Problem der Achtung des Lebens nicht nach Maßgabe des Gemeinwohls, sondern mit dem Blick auf die Wähler (EV 72). Läge ihnen in erster Linie das Gemeinwohl am Herzen, dann würden sie langfristig denken und den demographischen Problemen den ihnen zukommenden Platz einräumen. Im allgemeinen aber geht es den Politikern mehr ums Kurz- und bestenfalls Mittelfristige. Vor allem sorgen sie sich um sich selbst: ihre Wiederwahl; des weiteren wollen sie den Wählern gefallen, die es für die nächste Wahl zu gewinnen gilt. (Fs)

Selbst die christlichen Politiker, die sich doch erst recht um diese Fragen kümmern sollten, sind in diesen Dingen meist windelweich (s.a. 116). In den nationalen und europäischen Parlamenten gibt es dafür unzählige Beispiele. Es ist nachgerade skandalös, daß christliche Politiker für »Gesetze« gestimmt haben, mit denen die Abtreibung liberalisiert wurde (EV 69, 90, 93, 95). (Fs)

Schließlich ist nicht zu übersehen, daß die gepflegte Ignoranz zu den höheren Formen der freiwilligen Sklaverei gehört; sie hat allerdings schwergewichtige Rivalen: Böswilligkeit, Korruption und Feigheit... (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [91] Welche Folgen hat der Fruchtbarkeitseinbruch in den entwickelten Ländern ?

Kurzinhalt: Die bei weitem schwerste Konsequenz ist jedoch eine ganz andere; ... Es handelt sich, wie Pierre Chaunu seit Jahren schreibt,1 um die Erschöpfung des kulturellen und wissenschaftlichen Wissens und Könnens.2 Denn der Mensch ist letzten Endes ...

Textausschnitt: Diese zahlreichen und vielfältigen Folgen sind schon heute absehbar. Ganz allgemein ist ein demographisches Ungleichgewicht zwischen dem überalterten Norden und dem jungen Süden kein gutes Omen für die Zukunft der menschlichen Gesellschaft. Der Bevölkerungszusammenbruch im Norden hätte mit Sicherheit eine allgemeine Schwächung der Schaffenskraft der Menschheit zur Folge. (Fs)

Besonders hervorzuheben sind aber zwei Konsequenzen, die Europa und insbesondere Westeuropa betreffen:

a) Der Bevölkerungsschwund in Europa wird die nichteuropäischen Bevölkerungen erst recht zur Zuwanderung ermuntern, so sehr man sich auch bemühen mag, sie zum Verbleib in der Heimat zu bewegen. Das gilt insbesondere für das Verhältnis zwischen Europa und Maghreb. Im selben Maße, wie in Europa die arbeitsfähige Bevölkerung schrumpft, wird der Druck der jüngeren und fruchtbareren maghrebinischen Bevölkerung zunehmen, vor allem im romanischen Europa. Entweder ist sie in ihrem Herkunftsgebiet unterbeschäftigt, oder sie wird in die europäische Produktion eingegliedert. In beiden Fällen werden die Probleme noch schwerer in den Griff zu bekommen sein, denn die Erfahrung der neueren Vergangenheit zeigt, daß Europa keine besonderen Anstalten gemacht hat, die bereits auf seinem Territorium befindlichen maghrebinischen Arbeiter zu integrieren.1

b) Eine weitere Konsequenz ist die Überalterung. Bei andauernder Unterfruchtbarkeit sind die nachfolgenden Generationen kleiner als ihre Elterngenerationen. Zunächst schrumpft die Alterspyramide an der Basis, dann steigt die Schrumpfung immer weiter in die erwachsenen Bevölkerungsschichten hinauf. Nach zwei Jahrzehnten Unterfruchtbarkeit gibt es noch verhältnismäßig nur wenige Betagte und zudem nur wenige Kinder und Jugendliche. Volkswirtschaftlich erscheint diese Lage sehr positiv, aber sie geht vorüber. Unausweichlich (außer im Falle massiver Zuwanderung) verschieben sich die Verhältnisse, so daß nach wenigen Jahrzehnten die Erwerbsbevölkerung - zunächst relativ, dann auch absolut - abnimmt, während die Zahl der Rentner unablässig steigt.2 Das Verhältnis zwischen den beiden Gruppen wird sich in Europa vor allem zwischen 2005 und 2025 rasant verschlechtern und sich in dreißig Jahren beinahe verdoppelt haben. So entstehen enorme Sozialkosten, die aktuellen Rentensysteme werden kaum mehr tragbar. Kapitalisierungssysteme verursachen ebenfalls schwer abzuschätzende Wirtschaftskrisen, sobald die zunächst angesparten Gelder in den Bereich der auszuzahlenden Pensionen gelangen und dadurch dem Immobilien- und Obligationenmarkt riesige Beträge entzogen werden. Auch innerhalb der aktiven Bevölkerung kommt es dann zur Überalterung, die die durchschnittliche Lohnmasse erhöht und die Laufbahnaussichten erschwert. Es wären noch viele weitere Nebeneffekte dieser Überalterung der Gesellschaft zu nennen. Alles in allem kann man sich die Überalterung kaum ohne tiefgreifende Verarmung der Volkswirtschaften vorstellen. (Fs)

Als Folge der Überalterung läßt sich noch hinzufügen, daß die derzeitigen demographischen Aussichten zu den Hauptfaktoren der Arbeitslosigkeit gehören. Wenige neue Arbeitsplätze werden geschaffen, weil zu wenig investiert/renoviert wird. Es wird wenig investiert, weil der lebendige Markt der Zukunft fehlt. Der Markt der Zukunft wird gelähmt sein, weil die neuen Generationen zu wenige Menschen zählen. Hinzu kommt der Zerfall der Familie, der zur Folge hat, daß viel mehr Menschen Arbeit suchen (die viel zahlreicheren Alleinstehenden, die Geschiedenen usw.). Eine kleine Anmerkung sei erlaubt: In den USA mit ihrer höheren Fruchtbarkeit liegt die Arbeitslosigkeit derzeit sogar noch niedriger als in der Schweiz. (Fs)

c) Die bei weitem schwerste Konsequenz ist jedoch eine ganz andere; sie wird zugleich von der Öffentlichkeit am wenigsten wahrgenommen. Es handelt sich, wie Pierre Chaunu seit Jahren schreibt,3 um die Erschöpfung des kulturellen und wissenschaftlichen Wissens und Könnens.4 Denn der Mensch ist letzten Endes der einzige Träger von Kultur und Wissen. Kultur, Wissenschaft, Moral, Religion - dies alles läßt sich nur über den Menschen weitertragen, der sie unablässig bereichert. Das Gedächtnis der Menschheit ist ein lebendiges, das heißt schöpferisches und erfinderisches Ganzes. Dieses Wissen ist jedoch nicht genetisch übertragbar, sondern jede Generation muß es sich von neuem aneignen. Schriften und »Monumente« bleiben tote Masse, wenn niemand sie befragt, konsultiert, in den Dialog mit ihnen eintritt und von ihnen ausgehend weiterschreitet (s.a. 142). Die große Gefahr für Europa lautet, daß seine Kultur aus Mangel an Menschen verkümmert. Wenn der laufende und vielfältige Austausch zwischen einer zahlreichen und dichten Bevölkerung ausbleibt, dann geraten Kultur und Wissen in eine doppelte Todesgefahr - zunächst répétitive Stagnation, danach endgültiger Schiffbruch.5

Schließlich wird die demographische Schwächung, vielleicht sogar der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch Europas, die Dritte Welt in der Unterentwicklung belassen und/oder sie dem Belieben der Vereinigten Staaten anheimgeben. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [92] Schadet eine große Menschenzahl nicht der Umwelt? - Zusammenfassung: der demoagraphische Aspekt

Kurzinhalt: Erst holzt man die Regenwälder ab, und dann erklärt man, in Brasilien gebe es zu viele Menschen1 (obwohl im Amazonasgebiet praktisch niemand lebt).

Textausschnitt: Daß der Mensch eine unglaubliche Fähigkeit besitzt, die Umwelt zu zerstören, bedarf keiner Erwähnung (EV 10). (Fs)

a) Wenn alle Menschen so viel und so anarchisch konsumieren würden wie die Einwohner der reichen Länder, insbesondere der USA, wäre der Planet bald am Ende. (Fs)

b) Das Inbrandsetzen der Ölquellen in der Golfregion zeigt, daß die Zerstörungswut bis zum Irrsinn gehen kann. Nicht weniger besorgniserregend ist auf längere Sicht der Kahlschlag der Regenwälder. (Fs)

c) Ebenso katastrophale Wirkungen, wenn auch etwas geringeren Umfangs, ergeben sich überall dort, wo natürliche Hilfsquellen nach wenig wirksamen archaischen und umweltschädlichen Methoden benutzt werden. (Fs)

Dem sind jedoch andere Entwicklungen entgegenzuhalten:

a) Als erstes zum Beispiel die Fortschritte der Agronomie. Sie beweisen zum Glück, daß der Mensch auch eine erstaunliche Fähigkeit besitzt, die Umwelt und die natürlichen Hilfsquellen sorgsam zu nutzen.1 Sogar die UNO-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) hat eingestanden, daß es sich bei den Ernährungsproblemen weniger um technische als vielmehr um politische und mithin moralische Probleme handelt (s.a. 82, 128). (Fs)

b) Des weiteren ist zu beachten, daß bessere Erziehung und größerer Wohlstand von selbst eine Geburtenregulierung herbeiführen, das Umgekehrte aber nicht gilt.2

c) Die Achtung des Ökosystems beginnt schließlich bei der Achtung vor seinem Kern: dem Menschen. Wie soll man vor einem Elefanten oder einem Robbenbaby Achtung empfinden, wenn man nicht einmal das Fleisch vom eigenen Fleische achtet?

Allzuoft zerstören Menschen das natürliche Gleichgewicht aus Gewinngier und erklären dann mit zynischer Unverfrorenheit, es gebe auf dem Planeten zu viele Menschen und diese »Überbevölkerung« verschmutze die Umwelt (s.a. 137). Erst holzt man die Regenwälder ab, und dann erklärt man, in
Brasilien gebe es zu viele Menschen3 (obwohl im Amazonasgebiet praktisch niemand lebt). (Fs)

Zusammenfassung

Ideologien kennzeichnen sich dadurch, daß sie die Realitätserfassung der Betroffenen mindern. So war es etwa im Mittelalter sinnlos zu argumentieren, es gebe keine Hexen, denn die damaligen Menschen (und zwar nicht etwa nur die intellektuell »beschränkten«, sondern genauso die geistige Elite) glaubten felsenfest an Hexen und fanden reihenweise Argumente, um ihre Überzeugung zu belegen. (Fs)

Gleiches gilt in den demographischen Belangen heute. Dabei ist die Grundidee, Bevölkerungswachstum sei grundsätzlich schädlich, wissenschaftlich unhaltbar, allein schon deshalb, weil dann die Weltbevölkerung in 10 000 Jahren nicht von einer knappen Million auf knapp 6 Milliarden hätte steigen können: sie wäre vorher an Übervölkerung zugrunde gegangen oder hätte zumindest niemals den zivilisatorischen Sprung von der Technik der Höhlenbewohner ins Computer- und Weltraumzeitalter geschafft. (Fs)

In Wahrheit ist die Zunahme der Menschenzahl grundsätzlich ein positives Phänomen für den Menschen und die Menschheit. (Fs)
Die radikale Verhütungspolitik der reichen Länder ist in diesem Sinne eher ein Instrument der politischen Beherrschung der Armen als ein wirkliches Mittel zur Beseitigung der Armut, die damit angeblich bekämpft werden soll. (Fs)

Eine wirkliche Entwicklungshilfe muß sich in erster Linie auf Ausbildung und Produktionsvermehrung konzentrieren - ein unendlich viel wirksameres Mittel nicht nur zur Bekämpfung der Armut, sondern gleichzeitig auch zur Senkung übersteigerter Geburtenraten. Denn eine hohe Kinderzahl ist in den Entwicklungsländern die Lebens- und Altersversicherung. Wie das Beispiel des Abendlandes beweist, sinkt die Kinderzahl automatisch (wenngleich mit gewisser Verzögerung) mit der Verbesserung der Lebensumstände und - nicht zu vergessen - der Verringerung der Sterblichkeit dank besserer Hygiene. (Fs)

Anstatt die Armen in der Armut zu belassen und sie (fast gewaltsam) auch noch ihrer einzigen Lebenshoffnung (ihrer Kinder) zu berauben, gilt es auf dieses harmonische Einpendeln der Geburtenraten hinzuarbeiten. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [93] Häufig wird gesagt, die Reichen und Mächtigen wollten die arme Weltbevölkerung begrenzen, um ihre Reichtümer nicht teilen zu müssen. Sind das nicht düstere Aussichten für die Zukunft der Welt?

Kurzinhalt: Von einigen Seiten wird sogar vorgeschlagen, als Gegenleistung für eine Umschuldung müsse sich die Dritte Welt die radikale Bevölkerungskontrolle zu eigen machen! Die Reichen bekämpfen eindeutig in erster Linie nicht die Armut, sondern die Armen.

Textausschnitt: Ein Blick in die einschlägigen und allgemein zugänglichen Veröffentlichungen1 genügt um festzustellen, welch riesige Summen die reichen Länder dafür aufwenden, um die arme Bevölkerung »einzudämmen«. Ebenso zeigen aus denselben Quellen stammende Veröffentlichungen mit unbarmherziger Klarheit die skandalöse Konzentration des Reichtums. Dennoch wird behauptet, der Süden stelle eine Bedrohung für den Norden dar (vgl. a. 82ff., 96). (Fs)

In diesem Hinblick wird die Hilfe für den Süden oft davon abhängig gemacht, daß er kulturell und moralisch schockierende Geburtenbeschränkungskampagnen betreibt.2 Von einigen Seiten wird sogar vorgeschlagen, als Gegenleistung für eine Umschuldung müsse sich die Dritte Welt die radikale Bevölkerungskontrolle zu eigen machen! Die Reichen bekämpfen eindeutig in erster Linie nicht die Armut, sondern die Armen (s.a. 99). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [94] Warum sind solche Veröffentlichungen so wenig bekannt?

Kurzinhalt: . Wie stünde Amerikas moralische Forderung nach einer neuen, gerechteren Weltordnung da, wenn bekannt wäre, daß die Bevölkerungskontrolle als offizielles Machtinstrument imperialer Politik eingesetzt wird?

Textausschnitt: Es ist nachgerade aberwitzig, wie leichtfertig die Menschen sind, wenn es darum geht, sich zu informieren und die Information kritisch zu hinterfragen. Dennoch äußern sie sich und fassen Beschlüsse über heikle Fragen, die sie, wenn überhaupt, nur höchst oberflächlich untersucht haben. (Fs)

Aus verschiedenen, oftmals gegensätzlichen Gründen sind weder die politischen Meinungsmacher noch die Medien, weder die Politiker noch die Industriellen daran interessiert, die wirklichen Ziele ihrer Politik publik zu machen. Wie stünde Amerikas moralische Forderung nach einer neuen, gerechteren Weltordnung da, wenn bekannt wäre, daß die Bevölkerungskontrolle als offizielles Machtinstrument imperialer Politik eingesetzt wird?

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [97] Bedeutet dies, daß die Sonderorganisationen der UN oder vielleicht diese sogar selber in geburtenfeindliche Kampagnen in den armen Ländern verwickelt sind?

Kurzinhalt: Das große Anliegen dieser internationalen Institutionen ist heute die Organisation eines globalen Marktes (s.a. 137). In diesem Markt, von dem manche träumen, ist der Mensch nicht mehr nur Erzeuger und Verbraucher, sondern ...

Textausschnitt: Das große Anliegen dieser internationalen Institutionen ist heute die Organisation eines globalen Marktes (s.a. 137). In diesem Markt, von dem manche träumen, ist der Mensch nicht mehr nur Erzeuger und Verbraucher, sondern wird zu einem Produkt wie jedes andere. Dieses Produkt »Mensch« gelte es nach Kriterien der Nützlichkeit, des Interesses, des Vergnügens und der Solvenz zu erzeugen (s.a. 99) - oder eben zu verhindern. (Fs)

In neueren Veröffentlichungen ihrer Sonderorganisationen schenkt die UNO - im Verein mit der Weltbank - dem Aufschwung dieses globalen Marktes eine immer größere Aufmerksamkeit. (Fs)
Ob ein Mensch zum Dasein zugelassen wird oder nicht, richtet sich nur noch nach diesem Markt. Bei dieser Sichtweise gilt nur das solvente Individuum, das verbrauchen und erzeugen kann, noch als Mensch. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort:
[103] Wie erklärt sich, daß die westlichen Demokratien bei der Eindämmung des Bevölkerungswachstums der Dritten Welt mit den USA an einem Strang ziehen?

Kurzinhalt: Folglich sind diese Reichen der Meinung, ihre Sicherheit begründe ihr Recht, und sie schrecken vor keinem Mittel zurück, um die Zitadelle des Egoismus zu schützen, ...

Textausschnitt: Daß dies der Fall ist, geht deutlich aus den Statistiken der UNO-Sonderorganisationen hervor. Damit machen sich die europäischen Demokratien objektiv zu Verbündeten eines imperialistischen Projekts, dessen Beherrschung sich die USA vorbehalten (s.a. 88). (Fs)

Diese objektive Allianz erklärt sich vermutlich daraus, daß viele führende Politiker der europäischen Demokratien vielleicht gerade noch wissen, daß es solche Kampagnen gibt, sich aber nicht die Mühe machen, deren Bedeutung und Umfang näher zu ergründen. (Fs)

Sie erklärt sich aber auch daraus, daß die Reichen der ganzen Welt - einschließlich der Bourgeoisie der Dritten Welt - der Meinung sind, es liege in ihrem ureigenen Interesse, gemeinsam Front zu machen, um zusammen die »Bedrohung« einzudämmen, die die Armen in ihren Augen für ihre Sicherheit darstellen. (Fs)

Folglich sind diese Reichen der Meinung, ihre Sicherheit begründe ihr Recht, und sie schrecken vor keinem Mittel zurück, um die Zitadelle des Egoismus zu schützen, in der sie sich verschanzt haben (s.a. 137). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [105] Ist es nicht ein Widerspruch in sich, wenn die westlichen Staaten abtreibende Produkte exportieren und sich gleichzeitig als Vorkämpfer der Menschenrechte, der Demokratie und der Entwicklung gebärden?

Kurzinhalt: Wie kann ein Staat, der die Verbreitung dieses (oder eines vergleichbaren) Produkts deckt, noch erwarten, ernst genommen zu werden, wenn er vorgibt, er »bereue« seine früheren kolonialen und imperialistischen Verfehlungen?

Textausschnitt: Die Staaten des Westens, die so schnell bei der Hand sind, sich als - nicht nur wirtschaftlich-technisches, sondern auch zivilisatorisches - »Modell« für die ganze Welt zu empfehlen, müssen endlich erklären, wie sie es fertigbringen, zwei Missionen, die sie für sich beanspruchen, miteinander zu vereinen: sich einerseits als Paladine der Entwicklungshilfe1 und Herolde der Menschenrechte zu gebärden, und andererseits zugunsten des Establishment die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Probleme zu medikalisieren und demselben Establishment die absolute Waffe gegen die »Unerwünschten« an die Hand zu geben. (Fs)

Dieser Widerspruch belastet die Glaubwürdigkeit der Staaten des Westens in den Augen der Welt. Mit welchem Recht gibt sich beispielsweise ein Staat, der die Abtreibungspille deckt, als Ausbund der Demokratie und Herold der Menschenrechte, als Leitstern für die Dritte Welt aus? Wie kann ein Staat, der die Verbreitung dieses (oder eines vergleichbaren) Produkts deckt, noch erwarten, ernst genommen zu werden, wenn er vorgibt, er »bereue« seine früheren kolonialen und imperialistischen Verfehlungen?

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [107] Läuft es nicht letzten Endes auf eine Art Krieg hinaus, wenn nicht weltweit das Leben geschützt wird?

Kurzinhalt: Jahrzehntelang war die Welt in zwei Blöcke gespalten und standen Ost und West gegeneinander. Diese Spaltung in zwei Blöcke ist zwar nicht überwunden, aber doch gegenüber einer neuen Konfrontation zwischen Nord und Süd, einem Krieg der Reichen gegen ...

Textausschnitt: Jahrzehntelang war die Welt in zwei Blöcke gespalten und standen Ost und West gegeneinander. Diese Spaltung in zwei Blöcke ist zwar nicht überwunden, aber doch gegenüber einer neuen Konfrontation zwischen Nord und Süd, einem Krieg der Reichen gegen die Armen, in den Hintergrund getreten. In diesem Krieg von heute werden neue Waffen verwendet, an deren Spitze die biomedizinischen stehen, deren Einsatz man mit einer parteiischen Interpretierung der Bevölkerungsdaten »rechtfertigt«. Diese Waffen sollen in einer Endlösung die Bedrohung durch die Armen beseitigen. Deswegen müssen dort, wo die Empfängnisverhütung nicht funktioniert, Sterilisierung und Abtreibung herhalten. (Fs)

Hier gilt dasselbe wie bei der Lustsuche: Die die Fortpflanzung verhindernden Mittel müssen nahtlos wirksam sein (s.a. 70, 122). Darum gehören in einer radikalen Bevölkerungspolitik die Abtreibung und Sterilisierung zwangsläufig zum Arsenal diese neuen, stillen Krieges. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [108] Ist »Krieg« nicht ein überzogenes Wort für die Abtreibung? - Zusammenfassung: internationale Organisationen

Kurzinhalt: Die »internationalen Organisationen« sind nur in ihrer Zusammensetzung und Zielformung »international«. In Wirklichkeit sind sie Instrumente der Reichen zur Beherrschung der Armen.

Textausschnitt: In den traditionellen Kriegen wurden Menschen für die Eroberung von Territorien, für die verschiedensten Vorteile, zum Schutz von Interessen, für die Sicherung der Freizügigkeit, für den Zugang zu Hilfsquellen usw. getötet. (Fs)

Mit der Liberalisierung der Abtreibung wird die Beseitigung des Ungeborenen zur Voraussetzung dafür erklärt, daß andere Menschen leben und glücklich sein können. Man tötet, und biegt das Gesetz so zurecht, daß man töten darf. Dabei gilt der Mensch als das Hindernis schlechthin für das Glück des Menschen. Darum ist dieser Krieg erbarmungsloser und mörderischer als jeder andere. £5 ist der größte Krieg der Geschichte, und der ungerechteste obendrein (s.a. 122ff., 139). Wie soll die Menschheit aus einem solchen moralischen Debakel unbeschadet hervorgehen können?"

Zusammenfassung

Die »internationalen Organisationen« sind nur in ihrer Zusammensetzung und Zielformung »international«. In Wirklichkeit sind sie Instrumente der Reichen zur Beherrschung der Armen. Das zeigt sich am deutlichsten in den zahlreichen radikalen Bevölkerungs-Reduktionsprogrammen. Mit diesem moralischen Doppelspiel wird die Kreditwürdigkeit der westlichen, humanistischen Zivilisation gegenüber der Dritten Welt aufs Spiel gesetzt, und es ist nur folgerichtig, daß Staaten wie der Iran den moralisch-menschlichen Anspruch des Westens und der internationalen Organisationen grundsätzlich infrage-stellen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [114] Was sagt die Kirche zur Abtreibung?

Kurzinhalt: Als erstes müssen sich die Christen der »goldenen Regel« bewußt sein, die alle großen moralischen Traditionen der Menschheit bezeugen und von mehreren großen Philosophen1 aufgegriffen worden ist.

Textausschnitt: Als erstes müssen sich die Christen der »goldenen Regel« bewußt sein, die alle großen moralischen Traditionen der Menschheit bezeugen und von mehreren großen Philosophen1 aufgegriffen worden ist. »Was du verabscheust, tue auch deinem Nächsten nicht an« (judaische Tradition). Dies aber ist die Summe der Pflicht: »Was dir selbst wehtäte, tue auch deinem Nächsten nicht an« (hinduistische Tradition); »Verletze deinen Nächsten nicht mit dem, was dich selbst verletzen würde« (buddhistische Tradition); »Was du nicht willst, daß man dir tu', das füg' auch keinem andern zu« (konfuzianische Tradition); »Keiner von euch aber ist gläubig, wenn er nicht wünscht seinem Bruder, was er sich selber wünscht« (islamische Tradition).2 Diese »goldene Verhaltensregel« bekräftigt und vollendet das Evangelium: »Alles, was ihr also von den anderen erwartet, das tut auch ihnen! Darin besteht das Gesetz und die Propheten«3 (s.a. 59, 143; EV 76). (Fs)

Desgleichen sagt die Schrift den Christen, daß die Mörder nicht ins Himmelreich eingehen4 (EV 40). (Fs)

Schließlich müssen sich die Christen im klaren sein, daß die Abtreibung nicht eine beliebige Verfehlung gegen die Achtung des Menschenlebens, sondern angesichts der absoluten Hilflosigkeit des Opfers ein »verabscheuungs-würdiges Verbrechen«5 ist. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [115] Stehen in der Frage der Achtung des menschlichen und insbesondere des ungeborenen Lebens nicht viele Christen im Widerspruch zur Kirche?

Kurzinhalt: Zweifelsohne stehen in dieser Hinsicht viele Christen im Widerspruch zur Kirche, aber die Tatsache, daß die Menschen »Sünder« sind, kann nicht zu der Schlußfolgerung führen, daß man die Sünde abschafft oder sie als etwas Gutes neudefiniert.

Textausschnitt: Die Achtung des menschlichen Lebens ist fundamentaler Bestandteil der christlichen Identität.1 Die Anerkennung des uneingeschränkten Wertes jedes Individuums ist eine Wesensfrage jeglicher christlicher Moral gleich welcher Ausprägung. Die Anerkennung dieses Wertes ist die Grundvoraussetzung christlicher Moral. Es handelt sich hier nicht um eine Ermessensfrage des einzelnen innerhalb der christlichen Ethik. Diese objektive Wahrheit ist gewissermaßen das Portal, durch das man in die christliche Moral eintritt. (Fs)

Zweifelsohne stehen in dieser Hinsicht viele Christen im Widerspruch zur Kirche, aber die Tatsache, daß die Menschen »Sünder« sind, kann nicht zu der Schlußfolgerung führen, daß man die Sünde abschafft oder sie als etwas Gutes neudefiniert. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [116] Besteht nicht die Gefahr, daß sich die Christen von heute einen ebenso beklagenswerten Mangel an Mut vorwerfen lassen müssen wie gewisse Christen einst?

Kurzinhalt: Der Tag wird kommen - und zwar bald -, an dem man gewissen Christen, die sich objektiv zu Verbündeten oder gar aktiven Komplizen derer machten, die den Schwächsten den Krieg erklärt haben, ihr Schweigen oder ihre Blindheit vorwerfen wird.

Textausschnitt: Der Tag wird kommen - und zwar bald -, an dem man gewissen Christen, die sich objektiv zu Verbündeten oder gar aktiven Komplizen derer machten, die den Schwächsten den Krieg erklärt haben, ihr Schweigen oder ihre Blindheit vorwerfen wird. Das Urteil der Geschichte wird für sie noch strenger ausfallen als für die Nürnberger Angeklagten oder jene Christen, denen der Rauch von Auschwitz nicht im Hals stecken blieb - eben weil heute niemand mehr behaupten kann, es habe Nürnberg und Auschwitz nie gegeben, und weil sie zudem ihre heutige Entscheidung völlig ohne politischen Terror gefällt haben. (Fs)

Stehen nun verschiedene Christen eindeutig im Widerspruch zur kirchlichen Lehre, so ist das grundsätzlich das persönliche Problem dieser Personen gegenüber der Kirche, vor allem auch gegenüber Gott. Diese Haltung kann aber nicht dazu herhalten, eine »kirchliche Neuorientierung« zu rechtfertigen. Allenfalls können diese Personen aus der Kirche austreten, wenn ihnen die Diskrepanz zwischen ihrer persönlichen Meinung und der kirchlichen Lehre unerträglich scheint. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [117] Die katholische Kirche sollte der Entwicklung der Sitten Rechnung tragen und ihren Sündenbegriff dem anpassen.

Kurzinhalt: Der Lehre Christi gemäß verzeiht die Kirche die Sünde, aber erlaubt ist die Sünde deswegen noch lange nicht. Christus hat die Macht der Vergebung bereuter Sünden delegiert, nicht aber die Macht, das Vorhandensein der Sünde zu verneinen.

Textausschnitt: Der Lehre Christi gemäß verzeiht die Kirche die Sünde, aber erlaubt ist die Sünde deswegen noch lange nicht. Christus hat die Macht der Vergebung bereuter Sünden delegiert, nicht aber die Macht, das Vorhandensein der Sünde zu verneinen. Gott sei Dank gibt es wie seit den Urzeiten der Kirche auch weiterhin Sünder, die ihre Sünden eingestehen. (Fs)

Neu an der Abtreibungsdebatte ist, daß heutzutage die Sünde als solche geleugnet wird. Man leugnet die Übertretung (s.a. 43) der Naturmoral und des göttlichen Gesetzes. Indem er das Böse für gut erklärt, setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes (s.a. 18, 51). Er weigert sich nicht nur, das getane Böse zu sehen und anzuerkennen, sondern er erklärt dieses Böse für gut. Damit wird die Verzeihung, die Gott dem Menschen gewährt, gegenstandslos (EV 24, 104). Indem der Mensch vor seinen Fehlern die Augen verschließt, verschließt er sich dem Heil, das Gott ihm anbietet. Vielleicht ist das gar die Sünde wider den Heiligen Geist. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [118] Warum lehnt die Kirche die künstliche Empfängnisverhütung ab?

Kurzinhalt: Sexualität, Freiheit und Verantwortung sind für sie Bestandteil einer integralen Sicht des Menschen. Sicherlich: Die Forderungen der Kirche in diesem Bereich sind anspruchsvoll, so anspruchsvoll wie überhaupt das Evangelium.

Textausschnitt: Als erstes ist eine sorgfältige Unterscheidung der Probleme geboten: Die künstliche Empfängnisverhütung zielt auf eine wirksame Verhinderung der Schwangerschaft ab; die Abtreibung vernichtet ein empfangenes Kind (s.a. 122). (Fs)

Die Kirche verlangt von den Paaren, daß sie die Sexualität nicht radikal von der Fortpflanzung abkoppeln, weil sie davon ausgeht, daß die eheliche Liebe ein menschlicher Akt der Liebe ist, der keinesfalls auf ein rein instinktives Verhalten reduziert werden darf. Genauer: Die Kirche mißbilligt die Mittel der künstlichen Empfängnisverhütung, weil diese die Sexualität von ihrem Wesenszweck trennen. Gleichzeitig ermutigt die Kirche jedoch die Christen, mit Hilfe der göttlichen Gnade in der Praxis ihrer Freiheit und Verantwortung zu wachsen und sich in den Fragen der Ehe und Sexualität dementsprechend zu verhalten. Sexualität, Freiheit und Verantwortung sind für sie Bestandteil einer integralen Sicht des Menschen. Sicherlich: Die Forderungen der Kirche in diesem Bereich sind anspruchsvoll, so anspruchsvoll wie überhaupt das Evangelium. Sie sind aber nachvollziehbar. Geburtenbeschränkung, die auf der natürlichen Methode beruht, ist demnach in der Verantwortung der Ehepartner legitim. Hier ist hinzuzufügen, daß die »natürliche Empfängnisregulierung« durchaus erfolgreich sein kann: Der europäische Fruchtbarkeitsrückgang zwischen 1850 und 1960 etwa wurde vor der Pille bewerkstelligt. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [122] Ist eine wirksame Verhütung nicht das beste Mittel gegen die Abtreibung?

Kurzinhalt: Die totale Wirksamkeit im Verbund mit der totalen Unwissenheit, in der man sie hält, zeigt ihre totale Entfremdung: Sie ist nur noch das Objekt eines vorgegebenen, erbarmungslosen chemischen Prozesses.

Textausschnitt: a) Die Befürworter der Abtreibung haben die öffentliche Meinung mit der Vorstellung eingelullt, mit der Verhütung werde der Abtreibung vorgebeugt. Doch die Verhütungsgewohnheit verursacht eine Abtreibungsmentalität: Versagt die Pille, greift man leicht zur nachträglichen Abtreibung (EV 13). (Fs)

Das ist bekannt und auch verständlich. Die Verhütungsmentalität trennt in den menschlichen Sexualbeziehungen das einigende Ziel (d.h. das Glück des Paares) vom Ziel der Fortpflanzung, also der Weitergabe des Lebens. Die Folge ist einerseits, daß die körperliche Vereinigung nur noch als anzustrebendes Gut und zugleich (in Form der Fortpflanzung) als unbedingt zu vermeidende Gefahr oder gar als ein zu bannendes Übel angesehen wird (s.a. 70, 123). (Fs)

Dennoch wird die völlige Trennung der sexuellen Vereinigung von der Fruchtbarkeit, die Verhütung also, als größter Sieg der Frau auf ihrer Suche nach Befreiung gepriesen (vgl. 19). Man sollte sich jedoch im klaren sein, daß die Empfängnisverhütung nur insoweit interessant ist, als sie total sicher ist. In der Verhütungsmentalität muß die Trennung also so wirksam und sicher wie nur möglich geschehen. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen: Die Verantwortlichkeit für das Sexualverhalten und seine Konsequenzen - die Weitergabe des Lebens - wird an die Technik delegiert (s.a. 120); versagt diese, greift man zu einer anderen Technik: der nachträglichen Abtreibung. (Fs)

b) Viel schwerer wiegt jedoch, daß Verhütung und Abtreibung inzwischen mehr und mehr in einen Topf geworfen werden. Viele der heute angebotenen Pillen haben drei verschiedene Wirkungen:

- erstens eine verhütende Wirkung: Es findet keine Befruchtung statt. (Fs)

- zweitens eine Sperrwirkung: Die »verhütende« Substanz modifiziert die Zusammensetzung der Schleimhaut und versperrt damit dem Sperma den Weg in Uterus und Eileiter, wo es auf die Eizelle trifft. (Fs)

- drittens eine die Einnistung verhindernde Wirkung: Die Folge ist eine Frühabtreibung. (Fs)
Die beiden ersten Wirkungen sind präventiver Natur; sie verhindern die Empfängnis eines Wesens. Die dritte ist nachträglicher Natur; sie vernichtet ein gezeugtes Wesen. Aus offenkundigen physiologischen Gründen tritt jedoch nur eine dieser Wirkungen ein, entweder eine der beiden vorbeugenden oder die nachträgliche. Entweder fand keine Empfängnis statt (vorbeugende Wirkung), oder sie hat stattgefunden, aber die Einnistung wird verhindert (nachträgliche Wirkung). Was jeweils eintritt, entzieht sich der Kenntnis der Beteiligten. (Fs)

Die moralische Folge ist, daß die Frau nie weiß, woran sie ist, und folglich aller moralischer Verantwortung sowohl gegenüber dem möglicherweise gezeugten Kind als auch gegenüber ihrem Partner entkleidet wird. Die totale Wirksamkeit im Verbund mit der totalen Unwissenheit, in der man sie hält, zeigt ihre totale Entfremdung: Sie ist nur noch das Objekt eines vorgegebenen, erbarmungslosen chemischen Prozesses. (Fs)

c) Es ist folglich völlig unlogisch, zu behaupten, man sei für die Verhütung und gegen die Abtreibung, denn viele als Verhütungsmittel deklarierte Substanzen wirken - wenn die verhütende Wirkung versagt hat - auch abtreibend. Darum ist der Geißel der Abtreibung nur beizukommen, wenn man die künstliche Empfängnisverhütung aufgibt und zu den natürlichen Methoden greift, die eine verantwortliche Elternschaft begünstigen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [125] Trägt die Kirche nicht eine schwere Verantwortung für die Zunahme der Weltbevölkerung?

Kurzinhalt: Quellen der Unterentwicklung und Armut sind in den Augen der Kirche der Egoismus, der Materialismus, die Ungerechtigkeiten, die Unfähigkeit, die Faulheit, die Korruption, die ungleiche Verteilung der Reichtümer, schlechte Organisation usw.

Textausschnitt: a) Als erstes ist festzuhalten, daß Länder wie Bangladesch, Indien oder China, deren angeblich ernste und vielschichtige demographische Lage uns unentwegt vor Augen geführt wird, keineswegs unter dem Einfluß der Kirche und der christlichen Moral stehen.1 Indira Gandhi hat 1977 eine schwere Wahlniederlage erlitten, weil ihr Sohn Sanjay gewaltsam lebensfeindliche Maßnahmen durchsetzen wollte, vor allem die Zwangssterilisierung.2 Die Inder haben diese unmenschlichen Maßnahmen als unannehmbar verworfen und brauchten dazu keineswegs die Kirche. (Fs)

b) Die Kirche leugnet im übrigen keineswegs, daß es in der Welt Bevölkerungsprobleme gibt, sondern erklärt vielmehr, daß sie ernsthafter Prüfung bedürfen (s.a. 82, 85, 132). Sie sagt aber vor allem, daß die Probleme sowohl des Bevölkerungswachstums als auch der Bevölkerungsimplosion in erster Linie moralischer Natur sind und ihre Lösung von den »Strukturen der Sünde« erschwert wird, die im Entwicklungsprozeß zahllose Verzerrungen auslösen. Das ist es, was mißfällt und von vielen abgelehnt wird. (Fs)

Quellen der Unterentwicklung und Armut sind in den Augen der Kirche der Egoismus, der Materialismus, die Ungerechtigkeiten, die Unfähigkeit, die Faulheit, die Korruption, die ungleiche Verteilung der Reichtümer, schlechte Organisation usw. Für diese Probleme aber gebe es Lösungen, die da heißen: Menschenrechte, gegenseitige Achtung, Gerechtigkeit, Frieden, Solidarität und Liebe. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [128] Nach Aussagen einiger Spezialisten hat die Haltung der Kirche zur Empfängnisverhütung dramatische Folgen bis hin zur Hungersnot.

Kurzinhalt: . Das wesentliche Problem ist weder demographischer noch agronomischer Art, sondern es ist ein moralisches, politisches und organisatorisches Problem ...

Textausschnitt: Sogar nach Aussage der UNO-Sonderorganisationen (z.B. FAO und Bevölkerungsfonds), deren Vorgehen im Sinne der Geburtenkontrolle hinlänglich bekannt ist, gibt es derzeit genug Nahrungsmittel, um die Weltbevölkerung zu ernähren (s.a. 80, 82, 102). Das wesentliche Problem ist weder demographischer noch agronomischer Art, sondern es ist ein moralisches, politisches und organisatorisches Problem (s.a. 92). (Fs)

Das hindert aber gewisse Demographen und Agrarspezialisten keineswegs, den »Fortpflanzungs-Erlaubnisschein« wie in China zu fordern. Hält man dem entgegen, daß schon Hitler in Mein Kampf diese Idee vorgeschlagen hat, dann reagieren sie entrüstet. Dennoch bleibt die Tatsache wahr, und man sollte lieber daraus die Konsequenzen ziehen... (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [129] Wozu ein »Erlaubnisschein« in den reichen Ländern, wo der Geburtenschwund alarmierende Ausmaße annimmt?

Kurzinhalt: Die Antwort darauf liefern die Anhänger der Bevölkerungsplanung in aller Klarheit: Als erstes muß die Abtreibung, sprich: die Lebenserlaubnis, in den reichen Ländern eingeführt werden (s.a. 143). Danach nutzt ...

Textausschnitt: Die Antwort darauf liefern die Anhänger der Bevölkerungsplanung in aller Klarheit: Als erstes muß die Abtreibung, sprich: die Lebenserlaubnis, in den reichen Ländern eingeführt werden (s.a. 143). Danach nutzt man diese Länder als Beispiel, um diese Praxis in der Dritten Welt einzuführen. Doch wird ein Land, das nicht zögert, die eigenen Kinder zu töten, davor zurückschrecken, die Kinder anderer zu töten (s.a. 86, 103)?

Daß diese Praxis auf die Dauer für die reichen Länder selbstmörderisch ist, scheint niemanden zu stören (in der Öffentlichkeit wird dieses Problem gar nicht wahrgenommen). Weitet man diese Praxis auf die Dritte Welt aus, so wenden sich diese selbstmörderischen Kampagnen schließlich gegen die reichen Länder selbst, die sie in Gang gesetzt haben (s.a. 86). Dieser Bumerangeffekt wirkt sogar in die Dritte Welt selbst hinein, wo die am besten ausgebildete, also für die Entwicklung notwendige Minderheit über die ganze Skala der Geburtenverhütungspraktiken verfügt, somit ihre eigene Kinderzahl drastisch reduziert und damit den Aufbau ihres Landes behindert, weil gutausgebildete Leute fehlen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [132] Belügen sich in der Demographie die katholischen Moralisten nicht selbst? Sie sagen, die Entwicklung werde einen Geburtenrückgang nach sich ziehen, verschweigen aber,

Kurzinhalt: Erst mit der Verallgemeinerung der Pille und anderer künstlicher Mittel trat dann Ende der sechziger Jahre der Sturz unter den Generationenersatz und damit in die Unterfruchtbarkeit ein.1 An den Früchten dieser Methoden ist zu erkennen, ...

Textausschnitt: a) Es steht fest, daß der Bevölkerungsanstieg in den reichen Ländern seit den sechziger Jahren aufgrund von Methoden zurückgeht, welche die Kirche verurteilt. Den besten Beweis dafür, wie schlecht diese Techniken sind, welche die Kirche zu Recht verurteilt und verurteilen muß, liefert die Tatsache, daß nunmehr eben die Länder, die diese Techniken praktizieren, unter die für den Generationenersatz unerläßliche Fruchtbarkeitsrate abgesunken sind (s.a. 85). Die große Abnahme der Fruchtbarkeit in Europa von ca. 4 auf 2,2 Kinder pro Frau fand zwischen 1890 und 1920 aufgrund der bereits oben erwähnten Verbesserung von Medizin und Hygiene statt und pendelte sich dann rund fünfzig Jahre lang einigermaßen beim Erhaltungsniveau der Generationen ein. Erst mit der Verallgemeinerung der Pille und anderer künstlicher Mittel trat dann Ende der sechziger Jahre der Sturz unter den Generationenersatz und damit in die Unterfruchtbarkeit ein.1 An den Früchten dieser Methoden ist zu erkennen, wie schlecht sie sind. Werden sie weiter so praktiziert, so verschwinden die Völker, die sie praktizieren, von der Landkarte!2 Zwischen 1960 und 1996 ist die Kinderzahl der zeugungsfähigen Frauen in Deutschland von 2,37 auf 1,30 zurückgegangen, in Italien von 2,41 auf 1,22, in Belgien von 2,57 auf 1,55, in Frankreich trotz einer starken Einwanderung3 von 2,56 auf 1,72.4 Ist es übertrieben, wenn man da vom Selbstmord eines Volkes spricht?

Man erwarte doch nicht von der Kirche, daß sie diese Methoden gutheißt! Die demographische Zerstörung, die sie in unseren Ländern anrichten, zeigt deutlich genug, daß sie nicht gut sein können.

b) Hingegen läßt sich zu Recht sagen, daß die Armut dort, wo es für die Armen keinerlei Schutz gibt, den Wunsch nach vielen Kindern beträchtlich belebt, denn sie sind die einzige Chance für ein Überleben. Jeder, der dort arbeitet, weiß, daß die Armen oft sagen: »Wenigstens das eine oder andere meiner Kinder wird mich ernähren und pflegen, wenn ich alt bin.«

Muß man da der Kirche nicht recht geben? Sie lehrt, daß in den Gesellschaften, die die armen Bevölkerungsschichten nicht schützen, die Armut selbst zum Kinderreichtum treibt. Den tiefen und einzigen Grund für dieses Verhalten hat kein anderer als Marx festgestellt: Das Kind ist der einzige Reichtum des Armen (s.a. 124). Nur mit vielen Kindern darf er hoffen, auch künftig existieren zu können. Denn wo es keine soziale Sicherheit gibt, wer soll da die Alten ernähren, wenn nicht ihre Kinder? Und da die Kinder selbst einer sehr hohen Sterblichkeit zum Opfer fallen, weil sie in unhygienischen Umständen leben und oftmals wenig zu essen haben, bedarf es vieler zum Überleben. (Fs)

Es ist mithin völlig logisch zu sagen (und wird in der Realität beobachtet), daß diese Form der Sicherung des Überlebens bei wirksamer Bekämpfung der Armut hinfällig werden wird. Denn die neue Lage wird den Wunsch und die Notwendigkeit einer zahlreichen Nachkommenschaft sinken lassen. (Fs)

c) Die katholischen Moralisten haben also keinerlei Grund, vor dieser Lage die Augen zu verschließen. Im Gegenteil: Sie müssen auf sie aufmerksam machen und dazu beitragen, daß ihr abgeholfen wird. Denjenigen, die von der Kirche verlangen, sie sollte die »modernen« Methoden billigen, erwidert die Kirche: »Stellt selbst einmal fest, wohin das führt, was ihr tut. Wir haben euch gesagt, daß diese Methoden schlecht sind. Nun seht ihr: Die Natur selbst zeigt euch, daß ihr euch selber und anderen schadet.«

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [133] Ist es nicht utopisch zu glauben, die natürlichen Methoden ließen sich generell verbreiten?

Kurzinhalt: Es verschlägt einem die Sprache, wenn man sehen muß, daß ausgerechnet China, die Bastion eines längst überholten Totalitarismus, wegen der barbarischen Wirksamkeit seiner lebensfeindlichen Kampagnen (mit Zwangsabtreibungen in Handschellen im 9. Monat ...

Textausschnitt: Für die Kirche ist die Erlernung der natürlichen Geburtenkontrollmethoden Teil der Grunderziehung, auf die jeder Mann und jede Frau Anspruch haben (s.a. 100, 110). Mit der allgemeinen Anwendung dieser Methoden ist unter Wahrung der Spezifizität der menschlichen Sexualität, der Personen und der Paare auf eine ausgewogene Geburtenzahl zu hoffen (EV 88). (Fs)

Die heute von der Konsumgesellschaft verbreiteten Mittel hingegen werden katastrophale Bevölkerungszusammenbrüche auslösen (s.a. 132) und beleidigen die Würde der sie nutzenden Paare (vgl. 121). Zudem setzen sie die menschliche Fortpflanzung einer Zwangsplanung aus, welche die Paare jeder verantwortlichen Freiheit beraubt. (Fs)

Es verschlägt einem die Sprache, wenn man sehen muß, daß ausgerechnet China, die Bastion eines längst überholten Totalitarismus, wegen der barbarischen Wirksamkeit seiner lebensfeindlichen Kampagnen (mit Zwangsabtreibungen in Handschellen im 9. Monat!) von den westlichen Geburtenverhütern als lobendes Beispiel hingestellt wird (s.a. 124, 128). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [134] Ist es nicht naiv - oder provozierend -, wenn die Christen die natürlichen Methoden empfehlen?

Kurzinhalt: Mutter Teresa ist von Rajiv Gandhi mit einer der höchsten indischen Auszeichnungen bedacht worden, weil ihr in Kalkutta das gelungen ist, was den Technikern der »modernen Emfängnisverhütung« gänzlich mißlang ...

Textausschnitt: Es mag zutreffen, daß gewisse Leute die Lehre des Christentums allgemein für naiv oder weltfremd halten, denn Christus predigt die Nächstenliebe. Auch wenn das Resultat dieser Lehre im täglichen Leben nach 2000 Jahren mager aussehen mag, darf dies die Kirche nicht dazu veranlassen, ihre Lehre einfach aufzugeben. (Fs)

Die Zustände in der Welt, in der in verschiedensten Formen Gewalt herrscht, veranlassen die Christen, die natürlichen Methoden der Geburtenkontrolle zu untersuchen, sie zu verfeinern und bekanntzumachen. Sie haben den Vorteil, daß sie weniger »aggressiv« für die Frau sind - auch wenn sie ein Umdenken erfordern (s.a. 16, 121). Infolgedessen achten sie mehr auf die Harmonie der Paare (EV 97). Sie prädisponieren sie auch zur Ausübung ihrer verantwortlichen Freiheit in der politischen Gesellschaft und im Wirtschaftsleben. (Fs)

Diese - allzuoft verkannten und abfällig beurteilten - natürlichen Methoden haben im übrigen bereits bewiesen, daß sie das Bevölkerungswachstum wirksam zu bremsen vermögen. Mutter Teresa ist von Rajiv Gandhi mit einer der höchsten indischen Auszeichnungen bedacht worden, weil ihr in Kalkutta das gelungen ist, was den Technikern der »modernen Emfängnisverhütung« gänzlich mißlang (s.a. 125). (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [135] Verweist die Diskussion über die natürlichen Methoden auf eine Grundgegebenheit der menschlichen Entwicklung?

Kurzinhalt: Ist das Ideal der menschlichen Entwicklung jedoch die Erziehung zur Verantwortlichkeit, zur Brüderlichkeit und Großherzigkeit, dann läßt sich die Fruchtbarkeitskontrolle sehr wohl mit Methoden erzielen, die die Kirche nicht verwirft ...

Textausschnitt: Wird das Ideal der menschlichen Entwicklung als Wettlauf um Konsum und Bequemlichkeit begriffen, dann gehen die sogenannten »modernen« Verhütungsmethoden natürlich ebenfalls in diese Richtung (s.a. 20). (Fs)

a) Diese Methoden haben aber einen katastrophalen Geburtenschwund und die Überalterung der Bevölkerung zur Folge (s.a. 132). Die entwickelten Länder bekommen diese Wirkungen bereits zu spüren, und sie zeichnen sich auch schon in bestimmten Ländern der Dritten Welt ab. Der demographische Einsturz und die Vergreisung werden unausweichlich für die kommenden Generationen schwere, vor allem soziale und wirtschaftliche Belastungen mit sich bringen. Zudem verschärfen sie die durch Einwanderung hervorgerufenen Spannungen. (Fs)

b) Ist das Ideal der menschlichen Entwicklung jedoch die Erziehung zur Verantwortlichkeit, zur Brüderlichkeit und Großherzigkeit, dann läßt sich die Fruchtbarkeitskontrolle sehr wohl mit Methoden erzielen, die die Kirche nicht verwirft (s.a. 134). (Fs)

c) Die Menschen haben also die Wahl zwischen verantwortlichen und gewalttätigen Mitteln (s.a. 121). Die Diskussion über die von der Kirche zugelassenen oder verworfenen Methoden veranlaßt uns mithin, das Problem der Qualität der menschlichen Entwicklung neu zu stellen und damit folgerichtig auch das Problem der Qualität der Paarbeziehungen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [136] Wie lautet die Kernaussage der kirchlichen Soziallehre in Bezug auf die Démographie?

Kurzinhalt: Überdies ist in den Augen der Kirche die Absenkung der Geburtenzahl nur auf dem Weg über eine verantwortliche Haltung möglich, womit Lüge, Zwang und Gewalt von selbst ausgeschlossen sind. Für sie lassen sich die Bevölkerungsfragen nur unter Achtung ...

Textausschnitt: Die gesamte Soziallehre von Johannes Paul II. ist ein einziger Aufruf zur Solidarität aller Menschen sowohl in der Zeit als auch im Raum. Um die Armen aus ihrer Not zu befreien, gibt es Nahrungsmittel (s. 128), Ressourcen, Wissen und Können genug (EV 91). Was nottut, ist der aktive Wille, mit den Armen zu teilen und ihren Lebensstandard so anzuheben, daß sie sich selber über ihre Fruchtbarkeit Gedanken machen können. (Fs)

Überdies ist in den Augen der Kirche die Absenkung der Geburtenzahl nur auf dem Weg über eine verantwortliche Haltung möglich, womit Lüge, Zwang und Gewalt von selbst ausgeschlossen sind. Für sie lassen sich die Bevölkerungsfragen nur unter Achtung der Würde der menschlichen Person lösen. Alles, was einer demographischen Polizei ähnelt, muß verworfen werden. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [137] Warum schenken die Ideologen der demographischen Sicherheit den Umweltproblemen so große Aufmerksamkeit? - Zusammenfassung

Kurzinhalt: In unterschiedlichen Formulierungen greift die Ideologie von der demographischen Sicherheit die bekannte Doktrin vom Lebensraum wieder auf und modernisiert sie.

Textausschnitt: In unterschiedlichen Formulierungen greift die Ideologie von der demographischen Sicherheit die bekannte Doktrin vom Lebensraum wieder auf und modernisiert sie. Um der arischen Rasse den angeblich nötigen Lebensraum zu verschaffen (s.a. 32), brach Nazideutschland Expansionskriege vom Zaun; um die Armen vom angeblichen Wohlstandskuchen fernzuhalten, benutzen wir den Bevölkerungskrieg. (Fs)

a) Wenn die Ideologen der Empfängnisverhütung ihre Aussagen mit der Warnung vor der »Verschlechterung der Umwelt« und der »Erschöpfung der natürlichen Hilfsquellen« verbrämen, ist besondere Wachsamkeit geboten (s.a. 92). Damit sollen die wahren Motive verschleiert und die Eindämmung der armen Bevölkerung »legitimiert« werden. (Fs)

Wie zur Zeit von Malthus wird die Fähigkeit des Menschen, der Natur ein »Mehr« hinzuzufügen, in Zweifel gezogen und behauptet, der »Menschenbestand« müsse in von Technokraten bestimmten Grenzen gehalten werden. Man vergißt ganz einfach, daß mit jedem neugeborenen Menschen nicht nur ein weiterer »Bauch« auf die Welt kommt, sondern vorwiegend zwei Hände und ein Gehirn, welche durch Arbeit und aktives Denken zur Verbesserung der Lage beitragen können. (Fs)

b) Auch hier machen sich die Mächtigen der Welt die Doktrin vom Lebensraum zunutze, die ihre Vorgänger zugunsten der Rasse propagierten (s.a. 31ff.) Doch jetzt geht ihr Anspruch noch weiter als zu Beginn des Jahrhunderts. Tatsächlich wollen die Reichen und Mächtigen nicht mehr nur ihren aktuellen Wohlstand wahren, sondern sie verlangen gewissermaßen zugunsten ihrer Nachkommen ein Vorkaufsrecht auf alle natürlichen Hilfsquellen und die Mittel zu ihrer Verarbeitung (s.a. 92, 103). In der hochmütigen Meinung, die Armen vermöchten keinen Mehrwert beizusteuern, behalten sich die Reichen die Nutzung vor. Sie beanspruchen gewissermaßen die Zukunft unrechtmäßig für sich. (Fs)
c) Der Lebensraum erlaubt es insbesondere den Vereinigten Staaten, ihre Vorstellung von der Grenze neu zu definieren.1 Man versteht darunter eine Zone, die die Pioniere ständig erweitert haben und in der sie sich an die Stelle der »Eingeborenen« setzten und diese sogar manchmal beseitigten, um sich in den Besitz der natürlichen Hilfsquellen zu bringen, die die »Eingeborenen« ihrer Meinung nach »nicht angemessen auszubeuten vermochten«. Diese »Grenze« hat sich nach Süden (wo sie zum Sezessionskrieg führte) und nach Westen sowie durch die Annektierung von zu Mexiko gehörigen Gebieten nach Südwesten verlagert. Sie ist bis heute nicht zum Stillstand gekommen und setzt sich insbesondere - seit Monroe - auf dem lateinamerikanischen Kontinent als »Hinterhof« der Vereinigten Staaten fort. Dieser »Hinterhof« vergrößert sich dank einer verstärkten Kontrolle unablässig.2

d) Die reichen Länder weiten ihr »Vorkaufsrecht« auf das Wissen und Können aus. Die Spitzenbereiche behalten sie eifersüchtig für sich. Beispielsweise mit Hilfe von GATT wählen sie sorgfältig aus, welche Wissensbereiche sie zu teilen bereit sind. Als sie merkten, daß die Länder der Dritten Welt eine »neue Weltordnung der Information« verlangten, sind die USA aus der UNESCO ausgezogen. Wie sie wissen auch die anderen reichen Länder, daß eine gut ausgebildete zahlreiche Bevölkerung zur Quelle der Entwicklung wird, weil sie dem Austausch zugute kommt. Doch wie sollte man übersehen, daß alle Tota-litarismen seit jeher danach strebten, diesen Austausch einzuschränken oder nur zu ihren eigenen Gunsten zu tolerieren (»brain drain«) und damit die Völker in der Unterentwicklung verharren zu lassen?

e) So wird der enge Zusammenhang zwischen den Kampagnen für eine Kontrolle des menschlichen Lebens und der konservativen Mentalität deutlich sichtbar. Die Mächtigen dieser Welt halten ihre Sicherheit für das Fundament ihrer Rechte (s.a. 70) - nicht nur ihres Rechtes auf Kontrolle der Gesamtweltbevölkerung, sondern auch auf die Kontrolle aller Ressourcen einschließlich der geistigen. Diese Sicherheitsbesessenheit verursacht beim einzelnen wie bei ganzen Gesellschaften einen völlig neuen Typ von Geiz und eine Behinderung der Kreativität. Dieser Geiz besteht darin, daß man die Globalisierung der menschlichen Gesellschaft und des Marktes zum Vorwand nimmt, um den Armen das Verfügungsrecht über ihre natürlichen Hilfsquellen zu rauben (s.a. 100). Die Reichen und die Mächtigen wollen die Gegenwart verewigen; sie planen nur noch. Und sie planen schlecht, denn sie behaupten zwar, ein Kind verursache Kosten, vergessen aber darob, daß auch der Tag kommt, an dem es Gewinn bringt. Wie jeder Geizhals betrachten die Reichen die Zukunft nur im Sinne des Einfrierens ihres heutigen Wohlstands. Von Voraussicht ist bei ihnen keine Rede, denn dann müßten sie ja die heutige Praxis namens einer gerechteren und solidarischeren Welt von morgen in Frage stellen (s.a. 136). (Fs)

Zusammenfassung

Die radikale Bevölkerungspolitik der reichen Länder ist rein materialistisch begründet. Für die Kirche aber kann dieses Motiv kein Bezugsgrund sein, denn sie bemüht sich prinzipiell um das Heil jedes Menschen als von Gott geschaffenes, einzigartiges Wesen. In diesem Sinne kann die Kirche eine rein mechanisch-materialistische Geburtenbeschränkung nicht billigen, sondern legt den Akzent vielmehr auf die menschlichen Qualitäten, und diese dienen dem Wohl aller Menschen mehr als kurzfristige Zwangsmaßnahmen. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

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Stichwort: [138] Die Straffreiheit der Abtreibung und die sich daraus ergebende praktische Liberalisierung lasten also als schwere Drohung auf unserer Gesellschaft?

Kurzinhalt: Die Philosophin Simone Weil (1909-1943) schrieb einmal an Bernanos: »Haben die zeitlichen und geistlichen Autoritäten einer Kategorie von Menschen erst einmal den Lebenswert abgesprochen, dann gibt es für den Menschen nichts Normaleres mehr als zu töten.

Textausschnitt: Die Philosophin Simone Weil (1909-1943) schrieb einmal an Bernanos: »Haben die zeitlichen und geistlichen Autoritäten einer Kategorie von Menschen erst einmal den Lebenswert abgesprochen, dann gibt es für den Menschen nichts Normaleres mehr als zu töten. Weiß man erst einmal, daß man töten kann, ohne dafür bestraft oder gerügt zu werden, dann tötet man auch oder lächelt zumindest denen, die es tun, aufmunternd zu. Empfindet man vielleicht anfänglich noch etwas Abscheu davor, so verschweigt und verdrängt man ihn aus Angst, man könnte nicht als mannhaft gelten.«1 Genauso geht es mit der Abtreibung, die als Übel meist »geduldet« wird, bis dann die Gesetze so »modernisiert« sind, daß aus einer strafbaren Nothandlung ein medizinischer, von der Gesellschaft abgesegneter Akt wird. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [139] Erleben wir nicht die Verwirklichung eines wissenschaftlichen Programms von »social engineering«?

Kurzinhalt: Die heute verfügbaren Mittel zur Zerstörung des menschlichen Lebens oder zur Austrocknung seiner Quellen sind unvergleichlich viel wirksamer als jene, die den totalitären nazistischen und kommunistischen Regimes zur Verfügung standen.

Textausschnitt: Die heute verfügbaren Mittel zur Zerstörung des menschlichen Lebens oder zur Austrocknung seiner Quellen sind unvergleichlich viel wirksamer als jene, die den totalitären nazistischen und kommunistischen Regimes zur Verfügung standen. Es wird nicht mehr lange dauern, dann werden die Fakten mit ihrer ganzen Kraft allen erkennbar machen, was für viele heute schon feststeht: Die von den lebensfeindlichen Organisationen angerichteten Schäden übersteigen rein zahlenmäßig bei weitem alle Untaten von Hitler und Stalin zusammen. Das ist nicht verwunderlich, haben wir es doch buchstäblich mit Managern zu tun, die ein Programm des »social engineering« verwirklichen, das sich zum Ziel gesetzt hat, die Vernichtung eventueller künftiger Feinde wissenschaftlich zu programmieren. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

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Stichwort: [140] Sind mit einer Weltbevölkerung von fast sechs Milliarden nicht die Grenzen dessen erreicht, was die Erde verkraften kann?

Kurzinhalt: Wie der Begriff »Übervölkerung« ist auch die Frage, wieviele Menschen die Erde verkraften kann, völlig relativ (s.a. 82, 137). Diese Grenzen sind undefinierbar, denn sie lassen sich unmöglich näher bestimmen.

Textausschnitt: a) Wie der Begriff »Übervölkerung« ist auch die Frage, wieviele Menschen die Erde verkraften kann, völlig relativ (s.a. 82, 137). Diese Grenzen sind undefinierbar, denn sie lassen sich unmöglich näher bestimmen. (Fs)

Warum? Ganz einfach deshalb, weil dem Erfindungsreichtum des Menschen keine feste Grenze gesetzt ist. (Fs)

So kann man, ohne dem Paradox zu verfallen, mit dem Wirtschaftswissenschaftler Sheldon Richman sagen, es gebe genaugenommen gar keine »natürlichen« Hilfsquellen für den Menschen, sondern nur durch ihn geschaffene (s.a. 92, 137).1

b) Die Indianer von Texas oder die Bewohner Arabiens haben jahrhundertelang auf Erdölvorkommen gelebt, die sie weder brauchten noch auszubeuten vermochten. Solange es nur da war, war das Erdöl ein reines Ding. Zur natürlichen Hilfsquelle wurde es erst, als sich die Menschen dafür zu interessieren begannen und daraus eine Energiequelle und eine Basis für ungezählte chemische Erzeugnisse machten. (Fs)

Das Ende des 18. Jahrhunderts entdeckte Titan wurde erst 1947 zur natürlichen Hilfsquelle, als sich die Luft- und Raumfahrtindustrie und später die Chirurgie sein geringes Gewicht, seine Härte und Korrosionsfestigkeit zunutze machten. Es gehört zu den chemischen Elementen mit den umfangreichsten Vorkommen und liegt in der Häufigkeitsskala auf Platz 9. Zur natürlichen Hilfsquelle wurde es erst durch den menschlichen Genius. (Fs)

Das Silikon wurde Ende des 18. Jahrhunderts entdeckt. Es gehört mit dem Sauerstoff zu den verbreitetsten chemischen Elementen und kommt vor allem als Sand vor. Traditionell wurde es in der Keramik und dann weitgehend in der Metallurgie benutzt. Doch es ist erst wenige Jahrzehnte her, da wurde es zur Grundlage der elektronischen Revolution. Erst kürzlich noch hat es in Form optischer Fasern die ärztlichen Diagnosemethoden sowie das Fernmeldewesen revolutioniert. (Fs)

Die Motorenfachleute bemühen sich um die Entwicklung von Motoren, die weniger Treibstoff verbrauchen. Wenn sie ein Flugzeugtriebwerk herstellen, das 30 Prozent weniger Kerosin verbraucht als die vorige Motorengeneration, dann »erhöhen« sie die Erdölreserven um eben diese eingesparte Menge. (Fs)

Die Holländer verwenden seit Jahrhunderten den Wind, zunächst zum Austrocknen der Polder und zum Mahlen des Korns, dann zur Stromerzeugung. (Fs)

Die Agrar- und Tierforschung schreitet unablässig fort (s.a. 104, 126). In den Ländern der Dritten Welt bearbeiten einzig die Anhänger einer archaischen Form von Ackerbau und Viehzucht den Boden noch so, als seien die Menschen Vieh (s.a. 36) und als sei der Bodenertrag dazu verurteilt, auf ewig derselbe zu bleiben. (Fs)

c) Japan hat sehr früh begriffen, daß die hervorragendste - ja nahezu einzigartige - Hilfsquelle der Mensch ist. Deswegen hat es beispielhafte Anstrengungen für die Erziehung und berufliche Bildung seiner Jugend unternommen und setzt sie fort. (Fs)

d) So läßt sich abschließend sagen, daß die Haupt-, ja die einzige Hilfsquelle des Menschen seine Intelligenz und sein freier Wille sind, mit denen er Gott am nächsten kommt. Dank dieser hervorragenden Gaben kann er sein Verhältnis zur Natur unablässig verbessern, ihren Elementen immer mehr Wert verleihen, Materie in Güter umwandeln und die Gesellschaft besser gestalten (EV 34, 42f.). Stellt man den Menschen als reinen Verbraucher dar, der die Umwelt zerstört, oder als ein auf die Verteidigung seines Lebensraums programmiertes Raubtier, so beleidigt man ihn in seiner Würde. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [141] Ist das Gerede von der »Übervölkerung« also im Grunde irreführend?

Kurzinhalt: Was ist Überbevölkerung! Es ist ein Ungleichgewicht zwischen der Zahl der Menschen und dem Umfang der verfügbaren Güter. Was ist Armut? Sie ist ein Ungleichgewicht zwischen der Zahl der Menschen und dem Umfang der verfügbaren Güter.

Textausschnitt: a) Was ist Überbevölkerung! Es ist ein Ungleichgewicht zwischen der Zahl der Menschen und dem Umfang der verfügbaren Güter. Was ist Armut? Sie ist ein Ungleichgewicht zwischen der Zahl der Menschen und dem Umfang der verfügbaren Güter. Bei der Beschreibung derselben sozialen Lage bedeuten »Übervölkerung« und »Armut« dasselbe. Das mit ihnen einhergehende Urteil ist jedoch verschieden. »Übervölkerung« ist ein abwertendes Wort für »Armut« geworden. (Fs)

b) Spricht man von der Lage der »armen Länder«, dann ist man bereit, ihnen dabei zu helfen, mehr Güter zu erzeugen und diese besser zu verteilen, fordert also die Entwicklung der Erziehung und der Wirtschaft und mehr soziale Gerechtigkeit (s.a. 115). (Fs)

Benutzt man im selben Zusammenhang das Wort »Überbevölkerung«, dann heißt die Lösung - die man gar noch »Hilfe« zu nennen wagt! - Sterilisierung und Abtreibung, weil eben die Zahl der Menschen als Ursache der sozialen Probleme dargestellt wird (s.a. 83). Damit glaubt man, sich die Frage nach ihren Lebensbedingungen schenken zu können. (Fs)

c) Ist von »Armen« die Rede, dann rührt uns das an; wir lehnen uns gegen die Ungerechtigkeiten auf, deren Opfer sie sind, machen mobil und wollen unsere Solidarität mit ihnen bekunden (s.a. 63). (Fs)

Wenn die Reichen von »Überbevölkerung« sprechen, fühlen sie sich in ihrer Sicherheit bedroht (s.a. 70, 137). Das elementare Anliegen der Gerechtigkeit schmilzt dann dahin wie Schnee in der Sonne. Anstatt unsere Solidarität zu bekunden (s.a. 10), belügen wir uns selbst und reden den Unglücklichen wider besseres Wissen ein, »um ihres eigenen Wohles und des Wohles der menschlichen Gesellschaft willen« müßten sie die organisierte Empfängnisverhütung, die Massensterilisierung und die Abtreibung praktizieren (s.a. 69, 80). (Fs)

Mehr um ihre eigene Sicherheit besorgt als um Solidarität, führen die Reichen die »Überbevölkerung« ins Feld, um den auf die Armen ausgeübten Zwang zu »rechtfertigen«. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [142] Ist die »Kultur des Todes« ein Wesenszug unseres Jahrhunderts?

Kurzinhalt: Georges Bataille, der insoweit noch über Sade hinausgeht, hat diesen Nihilismus so formuliert: »Das Leben war die Suche nach Lust, und die Lust verhielt sich proportional zur Vernichtung des Lebens. Mit anderen Worten:

Textausschnitt: a) Im 20. Jahrhundert gab es Ideologien, die nacheinander im Staat, der »überlegenen Rasse« und der Partei den Inbegriff der Vernunft und des Rechtes erblickten (s.a. 67-69), welche im »totalitären Staat«, im »arischen Menschen« oder in der »Arbeiterklasse« das vorherrschende Element der Zivilisation sahen. Der Staat konnte beispielsweise »zu Recht« die totale Unterwerfung des einzelnen fordern, und es war »rechtens«, daß sich die einzelnen total dem sie übersteigenden Staat unterordneten. Staat, Rasse oder Partei hatten darüber zu bestimmen, wer leben durfte und wer nicht, waren Herr über Leben und Tod (s.a. 60). Die Nazi-Schergen trugen, gewissermaßen als Symbolkürzel ihres Programms, den Totenkopf auf der Uniform. Das Regime, dessen Instrument und zugleich Ausdruck sie waren, erwartete von ihnen, daß sie das eigene Leben ignorieren und es bedingungslos in den Dienst des Staates stellen, und daß sie auch das Leben anderer mißachten. Nicht anders handelten die Kollegen der sowjetischen Staatsdienste. (Fs)

Die totalitären Ideologien, die den Staat, die Rasse und die Partei verherrlichten, hatten dies gemeinsam: Sie verlangten vom einzelnen, sich von jeder materiellen und geistigen Bindung und von jeder Bindung an eine Moral freizumachen. Sie standen jenseits von Gut und Böse (s.a. 32, 51), und der Dienst am Staat, der Rasse oder der Partei verlangte von jedem einzelnen die bedingungslose Hingabe bis zum Tode. Damit wurde die Hingabe des Lebens und die Tötung anderer zum geballten Ausdruck der souveränen Freiheit im Dienst der Sache des Staates, der Rasse oder der Partei. (Fs)

So kurios das auch erscheinen mag: Diese Ideologien und die nachfolgend behandelte neoliberale Ideologie lassen sich anhand von Hegels Philosophie erklären. »Die vorbehaltlose Bejahung des Todes oder der Endlichkeit des menschlichen Bewußtseins ist die eigentliche Quelle des hegelianischen Denkens. [...] Demnach taucht der Mensch erstmals in der natürlichen Welt dadurch auf, daß er in einem reinen Prestigekampf willentlich die Todesgefahr auf sich nimmt; indem er sich dem Tode beugt und ihn in seinem Diskurs offenbart, gelangt der Mensch endlich zum absoluten Wissen oder zur Weisheit und vollendet damit die Geschichte. Denn ausgehend vom Todesgedanken entwickelt Hegel seine Wissenschaft oder die >absolute< Philosophie, die allein die Tatsache der Existenz eines begrenzten und seiner Begrenzung bewußten und manchmal über sich selbst bestimmenden Wesens philosophisch zu erklären vermag.«1

b) In ihrer aktuellen Ausprägung wird die neoliberale Strömung nur verständlich, wenn man sie in den düsteren Zug der totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts einreiht. Erklärt sie doch, die souveräne Freiheit des einzelnen liege im zügellosen Verbrauch, mithin der Möglichkeit der Verschwendung, die alles zerstören darf, ohne irgend jemandem Rechenschaft zu schulden. Verbrauchen und verschwenden ist ja ebenfalls eine Form der völligen Befreiung von jeglicher materieller, moralischer oder rechtlicher Bindung. Damit bekräftigt man die Souveränität des Ich. (Fs)

Diese Bekräftigung der Souveränität des Ich bringt, wie wir sahen, den einzelnen dazu, über das Leben anderer bestimmen zu wollen (s.a. 8ff., 70). So verfüge ich über das Leben des Kindes oder des Behinderten oder des hilflosen Greises oder des Armen, wenn es mir unnütz ist (EV 64). Umgekehrt erzeuge ich Kinder nur dann, wenn die Sozialkassen sonst zum Zeitpunkt meines Eintritts in den Ruhestand leer zu sein drohen (s.a. 30). Ich lasse Arme nur dann zur Existenz zu, wenn ihr niedriger Lohn mir die Möglichkeit zum Verbrauch und zur Verschwendung beschafft. Kurzum: Ich werfe mich zum Herrn über andere auf (s.a. 97). (Fs)

c) Allmählich nähern wir uns der Grenze dieser Entwicklung. Das Abgleiten der reichen westlichen Gesellschaft in die bürgerkriegsähnliche Aggression und den kollektiven Selbstmord zeigt das deutlich (s.a. 129; EV 66). Diese Gesellschaft will ihre souveräne Freiheit in zwei sich ergänzenden Formen betonen. Sie bricht die Brücken zur Vergangenheit ab, weil es an Menschen fehlt, die das Erbe von einst weiterzutragen fähig wären (s.a. 77, 91). Und sie zerstört ihre Zukunft, die zu bevölkern sie sich weigert und die sie völlig der Gegenwart opfert (s.a. 137). (Fs)

Der charakteristische Vertreter dieser Gesellschaft zerschlägt jegliche Solidarität (s.a. 63), sowohl horizontal zwischen den zur selben Zeit Lebenden als auch vertikal zwischen den Generationen, unter dem Vorwand, sie seien für ihr Leben und ihren Tod einzig und allein sich selbst verantwortlich (EV 43). Also stattet er sich mit Institutionen und »Rechten« aus, die dem dienen, was er als souveränen Ausdruck seiner Freiheit hinstellt: Die Freiheit zu töten und sogar sich selbst zu töten. (Fs)

Georges Bataille, der insoweit noch über Sade hinausgeht, hat diesen Nihilismus so formuliert: »Das Leben war die Suche nach Lust, und die Lust verhielt sich proportional zur Vernichtung des Lebens. Mit anderen Worten: Das Leben erreichte seine höchste Dichte in der Verneinung seines eigenen Prinzips.«2

d) Ein und dieselbe »Kultur des Todes« findet sich also nicht nur in den unheilvollen Regimes, die unser Jahrhundert erlebt hat, sondern auch in der Verbissenheit, mit der die Legalisierung der Abtreibung und die Euthanasie betrieben und die Massensterilisierung zur Selbstverständlichkeit gemacht wird (EV 43). Gemeinsame Wurzel aller dieser Ausprägungsformen der »Kultur des Todes« ist der Nihilismus, der seinerseits auf dem Aufstand wider die Endlichkeit beruht (EV 21). Die Menschen töten und töten sich selbst, weil sie die Erfüllung einer Jenseitssehnsucht für unmöglich halten, die doch in ihr Gemüt eingeprägt ist. Also glauben sie sich dieser Sehnsucht durch die im Tod gesuchte souveräne Lust entledigen zu können. Der so verstandene Tod ist jedoch in Wirklichkeit nur der höchste Ausdruck der Verzweiflung. Nach der neoliberalen Ideologie muß diese Verzweiflung auch den Armen eingeimpft werden, um sie unter der Knute halten zu können. (Fs)

Gibt es auf der Welt, zumal für die Christen, eine edlere und schönere Aufgabe, als den Nachweis zu fuhren, warum es sich lohnt, sicher das Leben zu entscheiden? (Vgl. Dt 30, 15-20)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [143] Steht die Genmanipulation nicht eher im Dienst des Lebens als im Dienst der »Kultur des Todes«?

Kurzinhalt: Diese beiden Kriterien Qualität und Nützlichkeit sind ein typischer Ausdruck der Mentalität des Herrn gegenüber seinem Sklaven (s.a. 32, 142). Der Herr meint, weil er ins Leben rufen könne, sei er auch zu töten berechtigt ...

Textausschnitt: a) Derzeit werden diverse Gesetzesvorhaben zur Genmanipulation diskutiert. Eines fällt dabei sofort auf: Wieder einmal wird auf die Abweichungstaktik zurückgegriffen (s.a. 3): Man sucht nach ausgeklügelten Umständen, unter denen der Embryo dem Schutz entzogen werden kann, den ihm das Recht angeblich gewährt. (Fs)

Prinzipiell unterscheiden sich diese Diskussionen kaum von denen, die der Legalisierung der Abtreibung voraufgingen. Sie zeigen aber noch deutlicher die Faszination, die die Kultur des Todes heute ausübt (EV 21, 24, 26). Das Lebensrecht des Menschen schon von seinen geheimsten Anfängen an wird mehr und mehr einer rein prozeduralen Entscheidung untergeordnet (s.a. 61). Getroffen wird sie im Labor von Menschen, die alles, was möglich ist, auch für moralisch halten. (Fs)

Hier zeigt sich die Faszination des Todes in allen ihren Aspekten. Im Embryonalstadium besitzt nach dieser Auffassung das menschliche Individuum keinerlei angeborene Würde. Diese Leugnung geschieht zunächst auf der praktischen Ebene und wird von dort auf die theoretische gehoben - denn mit Hilfe sogenannter Moralisten und Juristen fabrizieren die Praktiker eiligst theoretische »Legitimierungen«. In seinen verborgensten Anfängen steht das menschliche Leben, der Embryo, zur Disposition (s.a. 34-38). Professor Jérôme Lejeune, der Erforscher der Trisomie, hat einmal gesagt, der Embryo werde wie ein x-beliebiges Produkt des menschlichen Leibes behandelt, auf der gleichen Ebene wie die Eizelle oder das Sperma. Im Gegensatz zu Eizelle und Sperma ist der Embryo aber in Wirklichkeit schon ein neues Menschenleben. (Fs)

Die Zukunft dieses Menschenwesens ist im Wortsinne hypothetisch; sie hängt völlig davon ab, welche Qualität oder Nützlichkeit ihm zugewiesen wird. (Fs)

b) Diese beiden Kriterien Qualität und Nützlichkeit sind ein typischer Ausdruck der Mentalität des Herrn gegenüber seinem Sklaven (s.a. 32, 142). Der Herr meint, weil er ins Leben rufen könne, sei er auch zu töten berechtigt (EV 22). Der Mensch gibt sich nicht einmal damit zufrieden, sich selbst zur Quelle der moralischen Regeln zu erheben, sondern er will sich, obwohl selbst sterblich, zum Herrn des Daseins überhaupt aufschwingen. Diese Herrenmoral, deren hegelianische Quellen wir beschrieben haben (vgl. 142), geht davon aus, höchster Ausdruck der Freiheit des endlichen Menschen sei die völlige Verfügungsgewalt über Leben und Tod (EV 52, 96). (Fs)

Diese Verfügungsgewalt des »Herrn« über das Leben äußert sich auf vielerlei Art. Zuerst in einem Zellen-Kannibalismus als Voraussetzung für die Gestaltung eines Wesens, das streng den selbstherrlichen Zwecken des Manipulators entspricht. Sodann in einem histologischen Kannibalismus, der - und es kann noch schlimmer kommen - abgetriebenen Kindern Hirngewebe entnimmt und sie beispielsweise an Parkinson Leidenden einsetzt. Des weiteren in einem akademischen oder wissenschaftlichen Kannibalismus in dem Sinne, daß ein menschliches Wesen manipuliert, zerstückelt und auf dem Altar einer wissenschaftlichen Forschung im Zeichen einer völlig jeder Moral enthobenen und niemandem verantwortlichen akademischen Freiheit geopfert wird. Am Ende steht eine technisierte Eugenik, an der gemessen alle Eugenik-Bestrebungen der heutigen Zeit nur lächerliche Gehversuche sind. Diese Eugenik eröffnet den Praktikern des Ultra-Nazismus (vgl. 75) den Weg zu einer erbarmungslosen wissenschaftlichen Selektion. Denn sie allein bestimmen über die Typologie der Selektionierung und Diskriminierung. (Fs)

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [144] Sind die Folgen dieser Manipulationen und der sie »legitimierenden« Vorschriften abzusehen?

Kurzinhalt: Das tiefere Motiv des Manipulationswillens läßt sich so ausdrücken: »Ich bin so stark und so mächtig, daß ich für mein Selbstsein niemanden anderen brauche. Also besteht für mich kein Anlaß zu befürchten, ich könnte einmal arm sein ...

Textausschnitt: Der Preis für diese Manipulationen und ihre »Rechtfertigungen« sind mindestens zwei schreckliche Konsequenzen. (Fs)

a) Als erstes wird das Korps der Ärzte insgesamt mehr und mehr unter einen Druck geraten, der dafür sorgt, daß sie unmerklich zu Handlangern des Todes werden. Das gilt schon heute für die zahllosen Gynäkologen, die die Abtreibung praktizieren und an Verhütungskampagnen teilnehmen; es gilt für die Chirurgen, die sterilisieren, es gilt sogar für die Allgemeinmediziner, Anästhesisten und Krebsforscher, die die Euthanasie praktizieren. Beteiligt sind zudem mehr und mehr alle manipulierenden Genetiker. Kurzum: Die Kultur des Todes läßt einen beträchtlichen Teil der Ärzteschaft ins Lager der Lebensfeinde umkippen (s.a. 75). Wenn sich die Ärzteschaft (und mit ihr alle Krankenpfleger und im Gesundheitsdienst Tätigen) nicht einen Ruck gibt und aus dieser Teufelsspirale ausschert, bringt sie den gesamten Stand in Mißkredit und ruiniert endgültig ihr wertvollstes Kapital - das Vertrauen. Die Schwächsten aller Kategorien sind dann nicht nur des wirksamen Rechtsschutzes, sondern auch jeder verläßlichen ärztlichen Hilfe beraubt. (Fs)

b) Die zweite Konsequenz ist noch dramatischer. Da sie auf der Kultur des Todes aufbauen, werden die Genmanipulatoren und die sie stützenden Gesetzgebungen nicht nur bei der Zerstörung des Lebens, sondern auch bei der Zerstörung der Liebe und der Familie landen, die ja die Heimstatt beider ist (EV 92). Hier knüpft man an eine familienfeindliche Tradition an, die auf Friedrich Engels zurückgeht. Die Logik der Genmanipulation ist ganz einfach, und wieder wird sich ihr »Herren-Charakter« erweisen. Das tiefere Motiv des Manipulationswillens läßt sich so ausdrücken: »Ich bin so stark und so mächtig, daß ich für mein Selbstsein niemanden anderen brauche. Also besteht für mich kein Anlaß zu befürchten, ich könnte einmal arm sein - weder in den Augen anderer noch in meinen eigenen Augen. Weshalb also sollte ich das Abenteuer wagen, zu lieben und geliebt zu werden? Jede wahre Liebe, die ich für andere empfände oder ihnen zuteil werden ließe, wäre ein unerträgliches Zeichen einer Schwäche oder Armut, der Ausbund meiner Begrenztheit - und eben diese lehne ich ab und leugne ich. Da ich mir also die Macht gegeben habe, verfüge ich nach meinem Belieben über andere oder gestalte sie nach meinem Bilde nach Qualitätskriterien, die mir passen, und nach Nützlichkeitserwägungen, die ich definiere« (EV 55). (Fs)

Damit wird die Verkettung sichtbar, in der die Kultur des Todes auf die Menschheit zurückschlägt. (Fs)

Auf diese Herausforderung, die in der ganzen Geschichte kein Vorbild kennt, gibt es nur eine Antwort: Wir müssen Tag für Tag frohen Herzens unsere Armut im Geiste ertragen, denn wenn wir sie uns zu eigen machen, finden wir in ihr den Anker unserer Jenseitshoffnung. Paradoxerweise können wir nur dann lieben und uns der Liebe öffnen, aufnehmen und aufgenommen werden. Können wir wieder entdecken, was vielen unserer Zeitgenossen Angst zu machen scheint: die Zärtlichkeit. (Fs)

Sollten wir also nicht doch die Kultur des Lebens wagen anstatt der Kultur des Todes?

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: [146] Ist das menschliche Leben also zu guter Letzt ein Hoffnungszeichenfür alle Menschen? - Hannah Arendt

Kurzinhalt: »Das Wunder, das die Welt und die Menschheit vor ihrem normalen, >natürlichen< Ruin bewahren wird, ist letzten Endes die Fortpflanzungsfähigkeit, in der die Handlungsfähigkeit letztlich wurzelt. Es ist die Geburt neuer Menschen, ...

Textausschnitt: Überlassen wir die Antwort auf diese letzte Frage einer der größten politischen Philosophinnen unserer Zeit - Hannah Arendt.1

»Das Wunder, das die Welt und die Menschheit vor ihrem normalen, >natürlichen< Ruin bewahren wird, ist letzten Endes die Fortpflanzungsfähigkeit, in der die Handlungsfähigkeit letztlich wurzelt. Es ist die Geburt neuer Menschen, die Tatsache, daß sie von vorne anfangen, das Tätigwerden, das ihnen in der Wiege liegt. Nur die volle Erfahrung dieser Fähigkeit kann den menschlichen Dingen Glauben und Hoffnung verleihen, jene beiden Wesensmerkmale der Existenz, die die griechische Antike so völlig verkannt hat, indem sie den festen Glauben verwarf, den sie nur als höchste seltene und unwerte Tugend begriff, und indem sie die Hoffnung den zahllosen schädlichen Illusionen der Pandorabüchse zuordnete. Ihren knappsten und ruhmreichsten Ausdruck haben diese Hoffnung und dieser Glaube in dem kleinen Sätzchen der Frohbotschaft des Evangeliums gefunden: >Ein Kind ist uns geboren.<«

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Autor: Schooyans, Michel

Buch: Ethik, Leben, Bevölkerung

Titel: Ethik, Leben, Bevölkerung

Stichwort: Schluß, Zusammenfassung

Kurzinhalt: Solange nicht wissenschaftlich bewiesen ist, daß das menschliche Leben erst ab der 9., 12. oder 16. Woche beginnt, darf nicht abgetrieben werden, weil das beseitigte Kind schon ein vollwertiger Mensch sein könnte.

Textausschnitt: 124a Dieses Buch bezieht eindeutig Stellung: Für das Leben aller Personen und gegen die Willkür einiger weniger. (Fs)

Es wurde geschrieben, weil in der heutigen Diskussion der Abtreibungsgegner und -befürworter meist nur oberflächliche Nützlichkeitsargumente vorgebracht werden und auf die fundamentalen rechtlichen und philosophischethischen Argumente nicht eingegangen wird. Die wesentliche Frage, ob eine Abtreibung moralisch sein kann und damit einer bestimmten Menschengruppe das Recht auf Leben abgesprochen werden darf, wird dabei elegant ausgespart. (Fs)

Die Argumentation des Autors stützt sich grundsätzlich auf die Lehren der katholischen Kirche, berücksichtigt aber auch die Postulate einer »universellen Ethik« sowie der Menschenrechtskonvention von 1948. (Fs)

Mancher mag dem Buch Lebensfremdheit vorwerfen, weil es weniger auf Einzelfälle eingeht, sondern eine generelle Antwort sucht - übrigens der gleiche Vorwurf, den man Kirche und Papst macht. Es ist aber gerade die Absicht dieses Buches, das Problem grundsätzlich anzugehen. Das hat nichts mit Herzlosigkeit gegenüber menschlichem Leid zu tun; vielmehr geht es um die Frage, wo Zivilisation beginnt und wo sie aufhört. Denn dies ist genau die Schnittstelle zwischen der täglich gelebten, konkreten Realität und der abstrakten moralischen Ebene staatlicher Rechtsgebung. Verstehen und eventuell verzeihend hinnehmen, daß eine so schwerwiegende Entscheidung wie die zur Abtreibung von einer einzelnen Person in einer Notlage getroffen wurde, ist das eine, akzeptieren, daß die zu vermeidende Ausnahmehandlung als staatliche Normalität und neue ethische Grundlage des Rechts auf Leben für eine ganze Gesellschaft gelten soll, dagegen etwas ganz anderes. Dabei spielt es auch keine große Rolle, wie wenige oder wie viele Abtreibungen zu verzeichnen sind. (Fs)

Natürlich läßt sich immer argumentieren, jedes Individuum habe das moralische Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit. Somit habe der Staat in bezug auf die Abtreibung keine Regeln oder Rechtsnormen aufzustellen. Diese Argumentation ist jedoch schon deswegen schief, weil jeder Staat unentwegt und überall in wichtigen Fragen »Regeln« aufstellt, und dies bis weit in den persönlichen Bereich hinein, denn Rechtsnormen dienen dazu, wichtige Güter vor Verletzung und Willkür zu schützen. Das Rechtsgut, das den höchsten Rechtsschutz genießt, ist das Recht auf Leben. (Fs)
In den vorstehenden 146 Fragen und Antworten werden Argumente geliefert, warum die Abtreibung als Gesetz und Rechtsnorm für einen zivilisierten Staat ethisch nicht vertretbar ist. Daß die Realität mit ihren Problemen und Schicksalen viel facettenreicher ist als eine Rechtsgrundlage, daß somit konkrete Aspekte des Problems konkret gelöst werden müssen, ist keine neue Erkenntnis und spricht weder für noch gegen die Abtreibung. Grundlegende Gesetze - und was gibt es Grundlegenderes als eine Gesetzgebung, die das Recht auf Leben regelt? - können nur auf die ihnen eigene Ebene abstellen, nämlich auf die theoretische, die niemals das gesamte Dasein abdecken kann, sondern nur den Rahmen dessen zu liefern vermag, was erlaubt und was nicht erlaubt ist. (Fs)

In Fragen wie denen der Definition des Lebens oder der Menschenrechte muß das Endziel darin bestehen, herauszufinden, wo die Wahrheit liegt. Während es für den Autor dieses Buches und für die katholische Kirche sowie für viele Mitmenschen klar ist, daß das Leben vom ersten Augenblick an schützenswert ist, wird diese Stellungnahme von den Abtreibungsbefürwortern als »Glaubenspostulat« und darum als »diskussionsfähig« eingestuft. Allerdings müssen sich dann die Pro-Choice-Befürworter den Einwand gefallen lassen, auch ihre Argumentation beruhe auf »unbeweisbaren Glaubenspostulaten« und könne somit angezweifelt werden. Mithin gerät die Diskussion auf den öffentlichen Platz der politischen Kontroverse, wobei man sich fragen kann, ob »Glaubenspostulate« überhaupt mit Argumenten ausgeräumt werden können. Nun haben aber die Griechen, Erfinder der Politik und der Philosophie, schon vor zweitausend Jahren gezeigt, daß jeder Gedankengang logisch formale Aspekte beinhalten muß, die, will man die Entstehung eines Widersinns vermeiden, nach bestimmten Regeln zu erstellen sind. (Fs)

Folgt man diesen Regeln, so spricht ein einfacher logischer Grund zwingend gegen eine umfassende Legalisierung der Abtreibung: Solange nicht wissenschaftlich bewiesen ist, daß das menschliche Leben erst ab der 9., 12. oder 16. Woche beginnt, darf nicht abgetrieben werden, weil das beseitigte Kind schon ein vollwertiger Mensch sein könnte. Allein diese Möglichkeit verbietet die Abtreibung. (Fs)

Das heißt ganz eindeutig, daß die philosophische Basis der Abtreibungsbefürworter nicht haltbar ist. Das ist ja auch der Grund, warum die Pro-Choice-Anhänger immer auf den Einzelfall (Schwangerschaft nach Vergewaltigung, Teenager-Schwangerschaft, soziale Notlagen) ausweichen müssen, um ihre Position zu begründen. Beim Einzelfall wird dann jeweils die Abtreibung als das »geringere Übel«, als »Lösung einer Notlage« dargestellt. Aber - und das ist der springende Punkt - Staats- und rechtspolitische Grundfragen dürfen niemals vom Einzelfall her, und sei er noch so tragisch, beantwortet werden, sondern immer nur von einer grundsätzlichen Position aus. Und diese zeigt das vorliegende Buch. (Fs)

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