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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Sein, Wesen, Thomas, Suarez , Axiome, Seinsprinzipien

Kurzinhalt: Thomistische Seinslehre; distinctio realis metaphysica; esse, essentia (als Potenz); existentia, quidditas; Prinzipien: Actus de se est illimitatur ...

Textausschnitt: s. unten
Actus de se est illimitatus.
Actus non limitatur nisi per potentiam.
Actus et potentia realiter distinguuntur.
Actus in se subsistens est simpliciter infinitus.
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38/3
1. Bezüglich der Konstitution des Seienden stehen in der scholastischen Philosophie vor allem zwei Auffassungen einander gegenüber: die thomistische, an Thomas von Aquin orientierte, und die suarezianische, von Franz Suarez stammende Lehre. Beide kommen zunächst darin überein, daß im Seienden eine Zweiheit unterscheidbar ist, sofern das Seiende befragt werden kann, ob es ist (an sit) und was es ist (quid sit). Daraus ergibt sich die Zweiheit von Sein und Wesen (esse und essentia) oder von Dasein und Sosein (existentia und quidditas). Sie unterscheiden sich aber in der Bestimmung des Verhältnisses zwischen beiden Elementen und - dem zugrundeliegend - in der Bestimmung der beiden Elemente selbst, die in ein jeweils verschiedenes Verhältnis zueinander gesetzt werden. (187; Fs)

39/3
a) Die thomistische Seinslehre versteht unter 'Sein' (esse) nicht nur das Dasein (existentia), wodurch Seiendes von bestimmter Washeit (quidditas) in den faktischen Zustand aktuellen Wirklichseins gesetzt ist, sondern, insofern es in der ganzen Fülle seines Seinsgehaltes (perfectio essendi) gesetzt ist, das Prinzip realen oder aktuellen Seinsgehaltes überhaupt. (187f; Fs) (notabene)

40/3 Wenn das Sein aber das Prinzip von Seinsgehalt überhaupt ist, d. h. Prinzip aller gesetzten und setzbaren, also wirklichen und möglichen Seinsgehalte von Seiendem, dann ist es in sich selbst und aus sich selbst schlechthin unbegrenzt: reine Positivität, reine Aktualität, die sich nicht selbst eine Grenze setzen kann. Wenn im endlichen Seienden ein begrenzter Seinsgehalt als seiend gesetzt ist, so fordert die Begrenztheit als solche ein anderes, vom Sein verschiedenes Prinzip, das den reinen Seinsgehalt zugleich aufnimmt und begrenzt: Gegenüber der reinen Positivität des Seins ist es Prinzip der Negativität, welches durch Aufhebung weiterer Seinsgehalte die Grenze setzt; gegenüber dem Sein als dem Prinzip reiner Aktualität ist es Prinzip der Potentialität, des bloßen Seinkönnens, das als solches der Aktuierung durch den Seinsakt (actus essendi) bedarf. Diese Seinslehre wird vielfach durch folgende Axiome zum Ausdruck gebracht, die wir jedoch nicht axiomatisch voraussetzen dürfen, aber hier zur Erläuterung anführen wollen: (188; Fs) (notabene)

41/3 'Actus de se est illimitatus.' Der Seinsakt ist in sich und aus sich selbst unbegrenzt, da er reine Positivität, nicht aber Negativität setzt. Grenze besagt aber Negation von Seinsgehalt. Würde das Sein sich durch sich selbst begrenzen, so würde es zugleich Seinsgehalt setzen und nicht setzen, sondern aufheben; es wäre zugleich Prinzip des Seins und des Nichtseins - die Aufhebung seiner selbst. Also ist das Sein von sich aus Prinzip reinen und darum unbeschränkten Seinsgehaltes. Damit ist die Möglichkeit der Beschränkung des Seins im endlichen Seienden nicht ausgeschlossen. Wenn aber das Sein im endlichen Seienden begrenzt ist, so ist es nicht durch sich selbst - als Sein - begrenzt, sondern fordert ein anderes Prinzip der Begrenztheit des Seins. (188f; Fs) (notabene)


42/3 'Actus non limitatur nisi per potentiam.' Das Andere des Seins als Prinzip der Begrenzung kann weder selbst Sein als reine Positivität sein, noch auch schlechthin Nichtsein als reine Negativität, sondern ein relatives Nichtsein, das dem Sein als bloßes Seinkönnen, der Aktualität als Potentialität gegenübersteht, die Möglichkeit eines Seienden von bestimmt begrenztem Seinsgehalt vorgibt und den Seinsakt sowohl aufnimmt als begrenzt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß das Sein dieses Seienden zuerst unbegrenzt ist und dann erst durch das potentielle Prinzip eingeschränkt wird; vielmehr sind beide Prinzipien zugleich gesetzt in dem einen und identischen Seienden, das durch sie innerlich konstitutiert ist. Das potentielle Prinzip ist das Wesen des endlichen Seienden (essentia finita) gegenüber dem aktuellen Prinzip des Seins (actus essendi). In welchem Verhältnis stehen sie zueinander? (189; Fs) (notabene)

43/3 'Actus et potentia realiter distinguuntur.' Akt und Potenz, Sein und Wesen, sind nicht nur zwei begrifflich verschiedene Aspekte, unter denen wir die eine, real identische Wirklichkeit des Seienden betrachten können, sondern zwei real verschiedene Prinzipien, welche die eine und identische Wirklichkeit des Seienden konstituieren. Wenn das Sein 'realiter' Prinzip unbegrenzten Seinsgehaltes ist und wenn es darum 'realiter' begrenzt werden muß zu einem endlich bestimmten Seinsgehalt, dann müssen sich beide - als Prinzipien auch 'realiter' unterscheiden. Doch ist es nicht eine reale Verschiedenheit zwischen Seienden, die wir physische oder ontische Differenz (distinctio realis physica) nennen, sondern eine reale Verschiedenheit zwischen Prinzipien des Seienden, die niemals getrennt als selbständige Seiende gesetzt sein können; es ist eine metaphysische oder ontologische Differenz (distinctio realis metaphysica). Sie ist niemals empirisch vorfindbar, sondern nur in einem die Erfahrung übersteigenden - meta-physischen - Denken erreichbar. (189; Fs) (notabene)

44/3 'Actus in se subsistens est simpliciter infinitus.' Dies ergibt sich aus den zwei ersten Axiomen: Wenn und insofern der Seinsakt nicht in einer Potenz aufgenommen und durch sie begrenzt ist (actus receptus), sondern rein in sich selbst steht oder subsistiert (actus subsistens), ist er seinem Wesen gemäß schlechthin unbegrenzt: absolut unendliche Aktualität. Dann ist dem Sein keine Grenze gesetzt, es ist in der absoluten Fülle und Einheit aller nur möglichen Seinsgehalte schlechthin unendlich. Doch ergibt sich aus dem Prinzip noch nicht die Wirklichkeit eines solchen, rein in sich selbst stehenden, absoluten und unendlichen Seins. Sie bedarf eines eigenen Aufweises, den wir erst später erbringen werden. (189; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Das Sein als Bedingung der Frage

Kurzinhalt: Das Sein ist mir wesenhaft nicht in begreifendem Wissen, sondern in der Frage oder als Frage zugeeignet. Die Frage nach dem Sein ist mit dem Wesen des Menschen gesetzt,

Textausschnitt: 221/1
1. Das Sein im ganzen - wie es im Vorwissen der Frage erschlossen ist - ist die Bedingung der Möglichkeit des Fragens überhaupt. Ich kann gar nicht anders fragen als im Horizont des Seins überhaupt. Das Sein im ganzen ist immer und notwendig vorausgesetzt und im Vollzug des Fragens als gewußt mitgesetzt. (120; Fs)

222/1 Das Sein kann aber nur dann Bedingung der Möglichkeit alles Fragens sein, wenn es den Horizont der Fragbarkeit bildet. Fragbar ist nur, was ich - vorwissend oder vorgreifend - schon weiß; sonst könnte ich noch nicht danach fragen. Alles aber, wonach ich - im einzelnen oder im ganzen - fragen kann, ist fragbar in dem, was es 'ist'; es ist fragbar als Seiendes. Der Grund seiner Fragbarkeit ist das Sein. Wenn aber alles nur fragbar ist, insofern es 'ist', dann muß das Sein das schlechthin Fragbare sein. Das Sein ist aber nur fragbar, wenn ich um das Sein oder den Sinn von Sein immer schon in allem Fragen weiß. Dieses Wissen oder Vorwissen eröffnet den Horizont, innerhalb dessen ich erst - nach einzelnem oder nach allem in einem fragen kann. Die Möglichkeit des Fragens überhaupt gründet in der Fragbarkeit des Seins im ganzen. (120; Fs)

223/1
2. Doch kann das Sein nur dann Bedingung der Möglichkeit alles Fragens sein, wenn es zugleich den Horizont der Fraglichkeit bildet. Fraglich ist nur, was ich - erschöpfend und begreifend - noch nicht weiß; sonst könnte ich nicht mehr danach fragen, die Fraglichkeit des Gefragten und damit die Möglichkeit der Frage wären durch das Wissen überholt. Alles aber, wonach ich fragen kann, ist fraglich in dem, was es 'ist'; es ist fraglich als Seiendes. Der Grund seiner Fraglichkeit ist das Sein. (120f; Fs)

224/1 Wenn aber alles nur fraglich ist, insofern es 'ist', dann muß das Sein das Fragliche schlechthin sein. Das Sein ist aber nur fraglich, wenn ich um das Sein oder den Sinn von Sein nicht erschöpfend weiß, wenn es in begreifendem Wissen nicht eingeholt und niemals einholbar ist; wenn das Sein also mein Wissen um Sein je noch übersteigt als dasjenige, was sich mir entzieht in unüberholbarer Unbegreiflichkeit. Dennoch weiß ich darum und greife wissend-nichtwissend immer neu nach dem Sein aus, ohne es jemals im Wissen einholen zu können. Dieses Nichtwissen - oder wissende Nichtwissen - eröffnet den Horizont, innerhalb dessen ich erst - nach einzelnem oder nach allem in einem - fragen kann. Die Möglichkeit des Fragens gründet also in der Fraglichkeit des Seins im ganzen. (121; Fs)

225/1
3. Nur weil das Sein überhaupt fragbar und fraglich zugleich ist, nur weil es dasjenige ist, was vor allem und in allem Seienden, nach dem ich fragen kann, gewußt und nicht gewußt ist in jenem wissend-nichtwissenden Vorgriff, kann ich überhaupt fragen. (121; Fs) (notabene)

226/1 Der reine Vorgriff der Frage als Frage ist der reine Vorgriff nach dem Sein. Die Möglichkeit des Fragens überhaupt gründet also in der Möglichkeit, nach dem Sein zu fragen. Nach dem Sein fragen kann ich aber nur, wenn mir das Sein fragbar ist, d. h., wenn ich zwar um Sein weiß, es aber nie in begreifendem Wissen einholen kann; sonst wäre die Möglichkeit der Frage nach dem Sein und mit ihr die Möglichkeit alles Fragens im Wissen überholt. (121; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Thomistische Seinslehre (Dasein als Seinsakt) - Suarez, Einwand 1: Übergang von der Denkordnung in die Seinsordnung

Kurzinhalt: Das schlechthin Entscheidende der thomistischen Seinslehre liegt also darin, daß sie das Sein nicht nur als Dasein, sondern als Seinsakt versteht ... Die suarezianische Scholastik1 erhebt dagegen vor allem den zentralen Einwand: ...

Textausschnitt: 45/3 Das schlechthin Entscheidende der thomistischen Seinslehre liegt also darin, daß sie das Sein nicht nur als Dasein, sondern als Seinsakt versteht, d. h. als das Prinzip aktuellen Seinsgehalts überhaupt. Alles Weitere, sowohl die Lehre vom Wesen als der das Sein begrenzenden Potenz als auch von der realen Differenz zwischen Sein und Wesen, ergibt sich als notwendige Folge aus dem Ansatz im Seinsakt. Vorläufig geht es uns hier um diesen allein. (189f; Fs) (notabene)

b) Die suarezianische Scholastik1 erhebt dagegen vor allem den zentralen Einwand: Der thomistischen Auffassung liegt ein kritisch unberechtigter Übergang von der Denkordnung in die Seinsordnung zugrunde. Denn der Begriff des Seins als der reinen Aktualität, die keine Begrenzung setzt oder einschließt, ist allein durch logische Abstraktion gewonnen. Im Bereich der endlichen Seienden finden wir jeweils bestimmt begrenzte Seinsgehalte der einzelnen konkreten Seienden vor. Wenn wir das Seiende allein unter der Rücksicht des in ihm gesetzten positiven Seinsgehalts betrachten, von der faktischen Begrenzung des Seinsgehalts aber absehen, können wir den Begriff eines reinen Seinsgehalts bilden; dieser Begriff setzt oder enthält keine Begrenzung des Seinsgehalts mehr, nachdem von seiner Begrenzung ausdrücklich abgesehen wurde. Und so können wir auch den Begriff des Seins als des reinen Seinsgehalts schlechthin bilden, in dem alle Positivität gesetzt, jegliche Negativität einer Grenze aber abstraktiv ausgeschlossen ist. (190; Fs) (notabene)

47/3 So ist zwar ein Begriff erreicht, der seinem Wesen und seiner Entstehung nach keinerlei Begrenzung des Seinsgehalts setzt oder einschließt, d. h. es ist der Begriff eines reinen Seinsgehaltes, aber nur ein Begriff, aus dem jedoch nichts für die reale Konstitution des Seienden folgt. Es folgt noch nicht, daß - zunächst allgemein - ein reiner Seinsgehalt nicht nur begrifflich, sondern auch wirklich etwas ist, was von sich aus keine Grenze zu setzen vermag, sondern, wenn er begrenzt ist, eines von ihm verschiedenen Prinzips der Begrenzung bedarf. Und es folgt im besonderen hinsichtlich des Seins - noch nicht, daß das Sein reine, von sich aus unbegrenzte und durch sich selbst nicht begrenzbare Aktualität setzt, die, wenn sie im endlichen Seienden faktisch begrenzt ist, eines vom Sein verschiedenen Prinzips der Begrenzung bedarf. (190f; Fs)

48/3 Hiermit werde ein logisches Begriffsverhältnis unkritisch in ein reales Seinsverhältnis übertragen. Dem aber liege ein platonisierender Begriffsrealismus zugrunde, der die begriffliche Allgemeinheit als eine reale Allgemeinheit hypostasiere; die durch abstraktive Aufhebung der Grenze gewonnene, darum unbestimmte und präzisive Unbegrenztheit eines Allgemeinbegriffs werde als bestimmte und positive Unbegrenztheit eines realen Seinsprinzips ausgegeben. (191; Fs)

49/3 Diesem Einwand ist zuzugeben, daß allein auf Grund der begrifflichen Abstraktion der Seinsakt als Prinzip unbegrenzten Seinsgehalts nicht aufgewiesen werden kann; dies wäre tatsächlich ein kritisch nicht gerechtfertigtes Vorgehen. Und weiter ist zuzugeben, daß in den Lehrbüchern thomistischer Metaphysik vielfach kein anderer Aufweis hierfür erbracht wird, ja daß vielfach das Prinzip des 'actus de se illimitatus' sogar ohne jeglichen Aufweis als Axiom hingestellt wird, das den Anspruch unmittelbarer Evidenz zu erheben scheint. Dieser Sachverhalt verlangt jedoch einen vermittelten Aufweis, der das Seiende in seinem Sein erschließt und aus seinem Sein begründet, wie wir es versucht haben. Wird ein solcher Aufweis versäumt, so wiegt das Versäumnis umso schwerer, als es sich hier um den entscheidenden Angelpunkt thomistischer Metaphysik handelt, der nicht unkritisch vorausgesetzt werden darf, sondern sehr sorgfältig durch vermittelndes Denken bewiesen werden muß. (191; Fs) (notabene)


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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Thomistische Seinslehre - Suarez, Einwand 2: Verwischung der Grenze zwischen Endlichem und Unendlichem (heimlicher Pantheismus); Sein onto-logisch verstanden

Kurzinhalt: Sein: Man darf es nicht 'ontisch' als Seiendes denken, man muß es vor-ontisch, nämlich 'onto-logisch', als den inneren Grund des Seienden denken

Textausschnitt: 50/3 Ein weiterer, kaum minder ernster Einwand aus suarezianischer Sicht ist dieser: Was endlich ist, das ist und bleibt endlich; es wird nie unendlich. Und was unendlich ist, das ist und bleibt unendlich; es wird nie endlich. Das Sein ist entweder endlich oder unendlich. Ist es endlich, dann ist es nicht und wird es nie unendlich. Ist es aber unendlich, dann ist es nicht und wird es nie endlich. In der thomistischen Seinslehre wird - so sagt der Einwand - die Grenze zwischen Endlichem und Unendlichem verwischt, wenn nicht aufgehoben; sie ist, wie manche befürchten, ein heimlicher Pantheismus, da das Sein an sich - als Sein unendlich ist und so das Endliche im Unendlichen aufhebt. (191; Fs) (notabene)

51/3 Wenn es aber endliches Seiendes gibt, so ist es wesenhaft endlich und sein Sein ist wesenhaft endlich. Ist das Sein aber wesenhaft unendlich - als Prinzip schlechthin unbegrenzten Seinsgehalts -, so bleibt es unendlich und kann niemals verendlicht werden, auch nicht durch ein anderes Prinzip der Beschränkung, erst recht nicht durch ein von ihm selbst real verschiedenes Prinzip der Beschränkung, wie es für den Thomismus das Wesen ist; gerade als real verschieden vom Sein kann es das Sein nicht innerlich und wesentlich verändern, auch nicht verendlichen. (191; Fs)


52/3 Auf diesen Einwand ist - erstens - zu sagen, daß die Endlichkeit des Seienden durchaus festgehalten und nicht aufgehoben wird. Wenn es aber endlich ist, so ist auch sein Sein endliches Sein und sein Seinsgehalt endlicher Seinsgehalt. Das heißt: Der Seinsakt des endlichen Seienden ist ein endlicher Seinsakt, der endlichen Seinsgehalt setzt; sonst gäbe es kein endliches Seiendes. Aber - und das ist hier gemeint - endlich ist das Sein nicht als Sein, sondern als Sein des endlichen Seienden, d. h. es ist endlich, nicht weil und insofern es überhaupt Sein ist, sondern weil und insofern es Sein dieses endlichen Seienden ist. Wenn alles Seiende 'ist', wenn also alles Seiende im Sein übereinkommt, so ist das Sein nicht nur Sein dieses endlichen Seienden, sondern Sein alles Seienden schlechthin; insofern ist es Prinzip schlechthin unbegrenzten Seinsgehalts, das aber jeweils im endlichen Seienden, dessen Wesen gemäß, endlichen Seinsgehalt setzt. (191f; Fs) (notabene)

53/3 Wäre das Sein nichts anderes und nicht mehr als das Sein jeweils dieses Seienden, so könnte es nur dieses Seiende als Seiendes geben, jede reale, aber auch jede begriffliche Gemeinsamkeit von Seienden im Sein wäre ausgeschlossen. Das Sein ist also, wenn es auch 'hic er nunc' Sein dieses endlichen Seienden ist, als reines Prinzip der Grund reinen, vom Sein her unbegrenzten Seinsgehalts; es ist als Prinzip Sein alles Seienden und alles wirklichen und möglichen Seinsgehalts von Seiendem. (192; Fs)

54/3 Dies ist nur einzusehen, wenn - zweitens - bedacht wird, daß das Sein des Seienden selbst kein Seiendes, erst recht kein Ding ist. Man darf es nicht 'ontisch' als Seiendes denken, man muß es vor-ontisch, nämlich 'onto-logisch', als den inneren Grund des Seienden denken, durch den Seiendes als Seiendes konstituiert ist. Es liegt dem Seienden voraus: nicht in ontischer Priorität, als ob es vor der Konstitution des Seienden (tempore prius) schon in sich selbst als Seiendes bestünde, sondern in ontologischer Priorität, insofern der Grund dem Begründeren nicht zeitlich, sondern seinsmäßig (natura prius) vorgeordnet ist. (192; Fs) (notabene)

55/3 Das Sein aber als das Prinzip des Seienden als solchen ist selbst weder endlich noch unendlich, sondern ist das Prinzip jeglichen als seiend setzbaren Seinsgehalts. Insofern dem als seiend setzbaren Seinsgehalt durch das Sein selbst keine Grenze gesetzt wird, ist dieses das Prinzip reinen, schlechthin unbegrenzten, aber nicht unbegrenzbaren Seinsgehalts. Ist es faktisch begrenzt im endlichen Seienden, so verlangt es ein vom Sein verschiedenes Prinzip zur ontologischen Erklärung der Begrenzung als solcher. (192; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Thomistische Seinslehre - Suarez: ontologisches - ontisches Denken; esse, essentia - existentia, quidditas

Kurzinhalt: Das entscheidende Element der suarezianischen gegenüber der thomistischen Seinslehre liegt darin, daß ...

Textausschnitt: 56/3 Das entscheidende Element der suarezianischen gegenüber der thomistischen Seinslehre liegt darin, daß sie ein dem Seienden als inneres Prinzip vorgeordnetes Sein nicht anerkennt. Sie übersteigt das Seiende nicht auf seine vorgängigen Gründe und befragt es nicht nach seiner ontologischen Konstitution; insofern ist es ein wesentlich ontisches, nicht ontologisches Denken. (192; Fs)

57/3 Wenn das Seiende danach befragt werden kann, ob es ist (an sit) und was es ist (quid sit), so ist das für den Suarezianer nicht die Frage nach Sein und Wesen (esse und essentia) als inneren Prinzipien des Seienden, sondern es ist nur die Frage nach logisch scheinbaren Aspekten, unter denen das konkrete Seiende betrachtet werden kann; Antwort darauf geben Dasein und Sosein (existentia und quidditas) als begrifflich, nicht aber real verschiedene Bestimmungen des Seienden. (192f; Fs)

58/3
c) Schon daraus ergibt sich das Verhältnis beider Seinslehren zueinander. Denn fürs erste werden die beiden Elemente, die am endlichen Seienden unterscheidbar sind, hier und dort vollkommen verschieden verstanden. (193; Fs)

59/3 Für den Suarezianer ist das Dasein (existentia) nichts anderes als der faktische Zustand des wirklichen Vorhandenseins, des realen Gesetztseins, der Wirklichkeit gegenüber der bloßen Möglichkeit. Das Dasein in diesem Sinn bedeutet noch keinerlei inhaltliche Bestimmung, keinen Seinsgehalt und keine Seinsvollkommenheit. Das inhaltliche Moment liegt allein im Sosein oder der Washeit (quidditas), demjenigen nämlich, was durch das Dasein gesetzt wird. Demnach ist das Seiende schon vor seiner Existenz - in der Möglichkeit vor der Wirklichkeit - ein inhaltlich voll konstituiertes Etwas, welches als solches allererst die Möglichkeit dafür bietet, ins Dasein gesetz, verwirklicht zu werden. Somit ist das Sosein nicht nur - im thomistischen Sinn - das Wesen als leeres Strukturprinzip dessen, was dieses Seiende ist, sondern es ist die konkrete Inhaltlichkeit des Seienden in allem, was es ist. (193; Fs) (notabene)

60/3 Während also nach thomistischer Lehre die inhaltliche Fülle, der reale Seinsgehalt, dem Sein als dem Prinzip realen Seinsgehalts überhaupt zugewiesen ist, liegt diese Inhaltsfülle nach suarezianischer Lehre allein auf Seiten des Soseins, welches durch das Dasein nur in den Zustand der realen Existenz, aus der Möglichkeit in die Wirklichkeit, gesetzt wird. Diesem fundamentalen Unterschied der Auffassungen muß auch begrifflich Rechnung getragen werden: In der thomistischen Lehre ist die Rede von Sein und Wesen (esse und essentia), d. h. vom Seinsakt und von dem ihn begrenzenden Prinzip der Potentialität; in der suarezianischen Auffassung dagegen ist die Rede von Dasein und Sosein (existentia und quidditas), d. h. von dem bloßen Zustand des Existierens und der in diesen Zustand versetzbaren Inhaltlichkeit. (193; Fs) (notabene)

61/3 Daraus folgt jedoch zweitens, daß beide Sichtweisen nicht, wie es vielfach dargestellt wird, einander ausschließen, daß sie vielmehr einander ergänzen1. Jedenfalls kann man das Seiende zunächst auf suarezianische Weise unter den beiden, bloß logisch geschiedenen Aspekten des Daseins und des Soseins betrachten; daß dies eine mögliche und berechtigte Betrachtungsweise ist, kann auch der Thomist zugeben. Man muß sogar, wenn man in thomistischem Sinn eine tiefere Seinserschließung anstrebt, zunächst von dieser Position ausgehen, die logische Zweiheit aber nach der Bedingung ihrer Möglichkeit in der ontologischen Struktur des Seienden selbst befragen. (193f; Fs)

62/3 Daß die suarezianische Zweiheit von Dasein und Sosein aber im logisch begrifflichen Bereich stehen bleibt und keine ontologische Konstitution des Seienden aufzuweisen vermag, daß also das Hinausfragen über das Seiende nach seiner inneren Konstitution - wenigstens als Frage - möglich und berechtigt ist, muß auch jeder Suarezianer zugeben, wenn er auch die thomistische Antwort nicht als berechtigt gelten läßt. (194; Fs)

63/3 Dennoch läßt sich drittens einsichtig zeigen, daß die suarezianische Sichtweise, folgerichtig zu Ende gedacht, notwendig über sich selbst hinausweist und zur thomistischen Seinslehre hinüberführt, da diese das metaphysische Fundament jener bildet, d. h. daß der suarezianische Begriff des Daseins, in seinem letzten Sinn und seiner vollen Tragweite verstanden, sich aus eigener Konsequenz ausweitet und vertieft zum thomistischen Begriff des Seins als 'actus essendi'. Gerade diesen Aufweis - vom bloßen Dasein zum erfüllten Sein - haben wir im vorausgehenden Beweisgang vollzogen. (194; Fs)

64/3 Es hat sich hierbei nicht auf Grund bloß abstraktiver Begriffsbildung, sondern auf dem Wege ontologischer Seinserschließung, ergeben, daß das Sein nicht anders verstanden werden kann, es sei denn als der innere Grund des Seienden als Seienden, durch welchen es in seinem ganzen Seinsgehalt gesetzt ist; weiter als der innere Grund alles Seienden als Seienden, worin schlechthin alles übereinkommt und alles in seinem ganzen Seinsgehalt gesetzt ist; und so schließlich als der innere Grund aller wirklichen und aller möglichen, als seiend gesetzten und als seiend setzbaren Seinsgehalte, darum als das Prinzip schlechthin unbegrenzten Seinsgehalts. (194; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Das Sein als das Unbedingte; Einwand: subjektiver Idealismus, Subjektivismus, Relativismus

Kurzinhalt: Was ist aber der Sinn von Sein, wie er sich im Vollzug des Fragens als dessen Horizont erschließt? Ich will vielmehr wissen, wie das Seiende 'an sich' selbst ist, d. h. nicht mehr bezogen auf eine äußerliche und veränderliche Bedingung, sondern ...

Textausschnitt: 231/1 Es hat sich ergeben: Fragen kann ich nur nach dem, was 'ist' und wie es 'ist'. Fragen kann ich nur im Horizont des Seins. Was ist aber der Sinn von Sein, wie er sich im Vollzug des Fragens als dessen Horizont erschließt? (122; Fs)

232/1
1. Wenn ich frage: Was ist das?, so setzt diese Frage schon ein vorläufiges Wissen um das Gefragte voraus. Ich weiß, wie es sich mir darstellt, ich weiß, wie es mir bisher erscheint. Dieses Wissen ist noch keine Antwort auf die Frage, nur ihre Bedingung. Die Frage übersteigt gerade das bisherige, vorläufige Wissen und will erfahren, wie es wirklich ist. Solange ich nicht weiß oder nicht sicher weiß, daß es wirklich so ist, wie es mir scheint, und daß mein Wissen wirklich trifft, was 'ist' und wie es 'ist', kommt das Fragen nicht zur Ruhe; die Frage ist noch nicht in der Antwort aufgehoben, ich frage weiter - eben nach dem, was 'ist' und wie es 'ist'. (122f; Fs)
233/1 Wenn ich so frage, will ich nicht nur wissen, wie es sich mir in einer relativ gültigen, nur vorläufigen, noch überholbaren Erscheinung darstellt, sondern wie es in absoluter und endgültiger, nicht mehr überholbarer Geltung selbst 'ist'. Ich will also nicht nur wissen, wie es - relativ - nur 'für mich', sondern wie es - absolut - 'an sich' ist. Die Frage setzt ihrem Wesen nach jenseits der Erscheinung 'für mich' eine Geltung 'an sich' voraus - ihr gilt die Frage. (123; Fs)

234/1 Ich will also nicht nur wissen, wie dieses Ding oder dieser Sachverhalt etwa von mir oder meinesgleichen vorgestellt und gedacht wird, vielleicht auch notwendig - auf Grund unseres Wesens - vorgestellt und gedacht werden muß. Ich will nicht nur wissen, wie es etwa einem begrenzten Bereich von erkennenden Wesen erscheint oder wie es sich bezogen auf einen begrenzten Bereich von Seienden darstellt und ausnimmt. Ich will nicht nur wissen, wie das Gefragte innerhalb eines wie immer bedingten und beschränkten Horizonts der Geltung erscheint; wie es darum selbst in bedingter und in seiner Bedingung noch überholbarer Weise zur Geltung kommt. Solange die Frage nur eine derart vorläufige, nicht endgültige, bedingt, nicht unbedingt gültige Antwort erhält, kommt das Fragen nicht ans Ziel - ich frage weiter, nach dem, was 'ist' und wie es 'ist'. (123; Fs)

235/1 Was ist damit gemeint? Aus der negativen Abgrenzung von dem, was die Bewegung des Fragens nicht aufheben kann, ergibt sich schon der positiv gemeinte Sinn des Fragens nach dem, was 'ist'. Wenn ich so frage, will ich nicht nur wissen, wie das Gefragte nur 'für mich' oder allgemeiner 'für etwas' ist, d. h. bezogen auf eine dem Seienden äußerliche und veränderliche Bedingung; dies wäre eine bedingte Geltung, die als solche - durch einen Wandel der Bedingungen - aufhebbar ist. (123f; Fs) (notabene)

236/1 Ich will vielmehr wissen, wie das Seiende 'an sich' selbst ist, d. h. nicht mehr bezogen auf eine äußerliche und veränderliche Bedingung, sondern in unbedingter Geltung, die als solche nicht mehr überholbar ist. Dadurch, daß das Seiende selbst so 'ist', behauptet es sich in seinem Sein unbedingt, somit vor dem Sein im ganzen, und fordert Anerkennung von jedem der Wahrheit des Seins fähigen Wesen. Erst wenn die Frage eine Antwort erhält aus dem, was das Seiende 'an sich' ist, kommt ihre Bewegung ans Ziel; die Intention der Frage ist durch die Antwort erfüllt: durch das unbedingt gültige An-sich-Sein des Seienden. (124; Fs)

237/1
2. Dagegen ist der Einwand möglich: Ich will in meinem Fragen gar nicht die unbedingte Geltung eines 'an sich' Gültigen erfragen, sondern nur die bedingte und beschränkte Geltung des jeweils 'für mich' Gültigen; ich begnüge mich damit. Dieser Einwand hebt sich jedoch im Vollzug des Fragens selbst auf. (124; Fs) (notabene)

238/1 Auch wenn ich - erstens - in der ausdrücklichen Intention der Frage nur eine bedingte Gültigkeit 'für mich' erfragen will, so ist schon, indem ich so frage, das Bedingungsverhältnis selbst als unbedingt gültig vorausgesetzt. Der Sachverhalt, daß mir dies so oder so erscheint, oder daß ich es - vielleicht bewußt nur vorläufig - so oder so meine, ist selbst ein unbedingt gültiger und als solcher im Vollzug des Fragens vorausgesetzter Sachverhalt. Dies zeigt, daß alle bedingten Horizonte im Vollzug des Fragens selbst schon überstiegen werden auf einen umgreifenden Horizont unbedingter Geltung, dem das Fragen - auch entgegen seiner thematischen Intention - niemals entfliehen kann. (124; Fs) (notabene)

239/1 Dazu kommt - zweitens -, daß ich nicht einmal fragen könnte nach einer unbedingten Geltung des 'an sich' Seienden, wenn mein Fragen grundsätzlich im Bereich der bloß bedingten und begrenzten Geltung 'für mich' eingeschränkt wäre. Nun kann ich aber jedenfalls über alle relativen Erscheinungen und Meinungen hinaus fragen nach dem, was eigentlich und an sich ist; ich kann zumindest danach fragen, ob mein Fragen grundsätzlich auf einen Horizont bedingter Geltung beschränkt ist oder darüber hinaus unbedingte Geltung erreichen kann. Schon in dieser Frage wird der Horizont bedingter Geltung überstiegen; es wird im Horizont schlechthin unbedingter Geltung gefragt. (124f; Fs)

240/1 Jeder subjektive Idealismus, jeder Subjektivismus oder Relativismus grenzt sein Fragen und sein Wissen durch den Anspruch bloßer Gültigkeit 'für mich' gegen eine unbedingte Gültigkeit 'an sich' ab; anders könnte er seine Position gar nicht definieren. Indem er das tut, macht er jedoch schon den Unterschied zwischen dem nur 'für mich' und dem 'an sich' Gültigen; damit greift er bereits über den Horizont des bloß 'für mich' Gültigen vor auf den Horizont des 'an sich' Gültigen; er macht eine Aussage, die selbst - im Vollzug dieser Aussage - eine unbedingte Geltung 'an sich' setzt. So macht er, wenn auch gegen seine ausdrückliche Versicherung, implizit Aussagen über das 'An-sich', setzt aber das 'Für-mich' als unbedingt gültiges, also 'an sich' gültiges 'Für-mich'. Darin liegt ein Widerspruch, in dem sich die These selbst aufhebt. (125; Fs) (notabene)

241/1 Wir könnten gar nicht fragen nach dem, was an sich und unbedingt 'ist', wir könnten nicht einmal negativ unser Fragen und Wissen davon abheben in der Beschneidung auf das, was nur bedingt und nur für mich gültig ist, wenn nicht alle relative Gültigkeit immer schon überstiegen wäre durch den offenen Horizont absoluter Gültigkeit, in dem unausweichlich all unser Fragen und Wissen steht und der im Vollzug unseres Fragens und Wissens - als Bedingung seiner Möglichkeit - mitgesetzt wird. (125; Fs) (notabene)

242/1
3. Der Horizont unseres Fragens ist die Unbedingtheit. Diese Unbedingtheit ist gemeint und ungezielt in dem 'Ist' der Frage: Was 'ist' das und wie 'ist' es? Weil und insofern es 'ist', weil und insofern es als Seiendes im Sein gesetzt ist, kommt dem Gefragten unbedingte Geltung zu, die in der Frage vorausgesetzt wird und erfragt werden soll. Wenn aber dem Seienden unbedingte Geltung eigen ist, weil es an sich 'ist', so ist das Sein das schlechthin Unbedingte; es ist der Horizont der Unbedingtheit, innerhalb dessen Seiendes, sofern es als Seiendes gesetzt ist, unbedingt gültig und als solches fragbar ist. (125; Fs) (notabene)

243/1 Das Sein ist die Bedingung des Fragens, die - als unbedingtes, allem Fragen vorgegebenes 'An-sich-Sein' - vorausgesetzt und im Vollzug des Fragens mitgesetzt ist. Über das Sein hinaus kann aber nicht mehr gefragt werden. Wenn immer ich frage, frage ich nach dem, was 'ist' und in seinem 'Ist' unbedingt gültig ist. So erweist sich das Sein als die unbedingte Bedingung alles Fragens. Es ist das schlechthin Letzte, das Unübersteigbare und Unüberholbare, das Unbedingte. Wenn es aber nicht mehr durch anderes bedingt ist, dann ist es das schlechthin Notwendige, dasjenige, was einfachhin an sich und durch sich 'ist' und die Möglichkeit des Nichtseins ausschließt. (125f; Fs) (notabene)

244/1 Daß es Sein überhaupt, Sein im ganzen, als letztes, unbedingtes und notwendiges 'An-sich-Sein' gibt, in dessen Raum ich - nach einzelnem oder nach allem - fragen kann, dies ist immer und notwendig als Bedingung des Fragens vorausgesetzt und im Vollzug alles Fragens mitgesetzt; sonst könnte ich gar nicht fragen. (126; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Identität: Sein und Wissen; Gegensatz: Vollzug des Fragens - Sein als das Fragbare; Vollzugswissen; Wissen: Selbstgelichtetheit des Seins

Kurzinhalt: Das Sein geht also, sofern es fragbar ist, selbst als Gewußtes in den Vollzug des Fragens ein ... Ein solches fordert aber einen Ursprung des Entwurfes. Dieser Ursprung muß selbst ein Wissen sein, und zwar ein Wissen um Sein ...

Textausschnitt: 1. "Wenn ich frage nach dem, was 'ist', so befrage ich Seiendes nach seinem Sein im Horizont des Seins überhaupt. So aber setzt sich der Fragende im Vollzug seines Fragens wissend dem Sein im ganzen als dem Fragbaren gegenüber; er setzt den Gegensatz zwischen dem Vollzug des Fragens und dem Sein als dem Fragbaren. (134; Fs) (notabene)

4/2 Daraus scheint zu folgen: Das Sein als das Fragbare ist das dem Vollzug des Fragens Entgegengesetzte, das ihm Entgegenstehende oder das Gegenständliche; Sein ist Gegenständlichkeit und als solche das Andere gegenüber dem Vollzug des Fragens. (134; Fs)

5/2 Zwar kann ich auch den Vollzug selbst noch befragen oder in Frage stellen: in der Frage nach der Frage, ihrer Möglichkeit und den Bedingungen ihrer Möglichkeit; der Vollzug des Fragens ist selbst fragbar, weil und insofern er 'ist'. Aber er ist nur fragbar, indem er im Vollzug eines neuen Fragens diesem als Fragbares entgegengesetzt, d. h. durch Reflexion vergegenständlicht wird. Dann aber ist er nicht mehr unmittelbar reiner Vollzug - wir können sagen: Vollzug als Vollzug -, sondern vergegenständlichter, durch Reflexion vermittelter Vollzug - also: Vollzug als Gegenstand. Der neue Vollzug des Fragens bleibt jedoch außerhalb des Fragbaren. Er liegt als reiner Vollzug diesem voraus. Und der Gegensatz bleibt: Der Vollzug des Fragens setzt sich das Sein als Fragbares, somit als gegenständliches Sein, gegenüber. (134; Fs) (notabene)

6/2
2. Dennoch besteht kein reines Gegenüber; wie könnte dieses auch ein Wissen vermitteln? Vielmehr ist - einerseits - das Sein als das Fragbare nicht nur als reines 'An-sich-Sein' vorausgesetzt und dem Vollzug des Fragens entgegengesetzt, sondern es ist in den Vollzug selbst eingegangen, durch den Vollzug im Wissen ergriffen, sonst könnte ich noch nicht danach fragen; wenn auch nicht im Wissen eingeholt und aufgehoben, sonst könnte ich nicht mehr danach fragen. (134; Fs) (notabene)

7/2 Das Sein geht also, sofern es fragbar ist, selbst als Gewußtes in den Vollzug des Fragens ein. Der Vollzug aber bleibt - anderseits - nicht als schlechthin Anderes außerhalb und jenseits des Fragbaren und als solchen Gewußten, sondern er ist ein unmittelbar sich selbst wissender Vollzug, sonst könnte ich überhaupt nicht sinnvoll fragen, erst recht nicht nach der Frage fragen; wenn er auch nicht im Wissen eingeholt und aufgehoben ist, sonst könnte ich nicht mehr nach ihm fragen. Der Vollzug geht also selbst als Gewußtes in den Vollzug des Wissens ein. (134; Fs)

8/2 Dies zeigt, daß der Gegensatz zwischen dem Sein als Fragbarem und dem Vollzug des Fragens nicht ein reiner, durch nichts vermittelter Gegensatz ist; ein solcher könnte die Möglichkeit des Fragens und Wissens niemals begründen, sondern würde sie aufheben. Auch ist ein reiner Gegensatz niemals möglich, weil jeder Gegensatz durch Einheit, jede Verschiedenheit durch Gemeinsamkeit vermittelt ist. (134; Fs)

9/2 Die Gemeinsamkeit beider - des fragbaren Seins und des fragenden Vollzugs - liegt aber darin, daß sie im Vollzug des Fragens gewußt sind. Die vermittelnde Einheit ist das Vollzugswissen, d. h. das im Vollzug und durch den Vollzug mitgesetzte Wissen. Denn es ist ein Wissen um den Vollzug des Fragens selbst und um das Sein des Fragbaren in einem, Wissen um den Vollzug des Wissens und um das durch ihn vermittelte, in ihm gewußte Sein in einem. (135; Fs) (notabene)

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3. Wie ist das möglich? Wenn ich frage, so frage ich nach dem Sein von Seiendem, im reinen Vorgriff auf das Sein im ganzen. Fragen - auch nach einzelnem - ist nur möglich, wenn ich vorwissend oder vorgreifend schon weiß um Sein und um den Sinn von Sein überhaupt. Aber das Sein im ganzen, wonach ich vorgreife, ist mir nicht unmittelbar gegeben. Ich kann es nicht unmittelbar erreichen und begreifen, in besitzendes Wissen einholen; könnte ich es, so müßte ich nicht mehr fragend danach vorgreifen. (135; Fs)

11/2 Das Wissen um das Sein im ganzen ist also nicht ein erfülltes, begreifend besitzendes Wissen, sondern ein leeres, vorgreifend entwerfendes Wissen, nicht Wissen im Besitz des Gewußten, sondern Vorwissen im Entwurf des Wißbaren. Ein solches fordert aber einen Ursprung des Entwurfes. Dieser Ursprung muß selbst ein Wissen sein, und zwar ein Wissen um Sein, von dem her ich um Sein überhaupt und um den Sinn von Sein überhaupt weiß, von dem her ich also den Horizont des Seins überhaupt im Vorwissen entwerfen kann. Soll es aber der Ursprung des Entwurfes sein, so kann es selbst nicht nur ein Vorwissen im Entwurf des Wißbaren, sondern muß ein Wissen im Besitz des Gewußten sein, des Gewußten aber als eines etwas, das 'ist', das im Sein gesetzt ist und an dem der Sinn von Sein überhaupt aufleuchten kann. (135f; Fs) (notabene)

12/2 Dies aber ist das Vollzugswissen: Indem ich den Vollzug meines Fragens setze, weiß ich unmittelbar um ihn als einen wirklich gesetzten Vollzug. Ich weiß, daß ich frage; ich weiß, daß ich der Fragende bin und im Vollzug des Fragens bin; ich weiß, daß ich den Vollzug des Fragens setze. Ich weiß, daß der Vollzug meines Fragens 'ist', daß er an sich selbst als seiend gesetzt ist. Im Vollzug des Fragens und Wissens ist ein Sein gegeben, das mit dem Wissen unmittelbar zusammenfällt: im Vollzugswissen. Der Vollzug weiß sich als Sein. Das Sein weiß sich als Vollzug. Das Wissen setzt sich als Sein, und das Sein vollzieht sich als Wissen - in der unmittelbaren Einheit von Sein und Wissen im Vollzug. (136; Fs) (notabene)

13/2 Das Wissen um Sein und den Sinn von Sein kann niemals von Anderem her gewonnen oder erklärt werden, das mir als Fragbares und Wißbares gegenübersteht. Ein Fragen nach Anderem, was 'ist', und ein Wissen um Anderes, was 'ist', setzt immer schon ein Vorwissen um Sein voraus, in Heideggers Wort: ein 'vorgängiges Seinsverständnis', das in der unmittelbaren Seinserfahrung und Seinsgewißheit des eigenen Seinsvollzugs gründet. (136; Fs)

14/2 Hier aber offenbart sich der eigentliche und ursprüngliche Sinn von Sein: als An-sich-Sein, schlechthin Gesetzt-Sein, aber nicht im Sinne von Gegenständlichkeit, sondern als das Sein des eigenen, sich wissenden Vollzugs. Der Sinn von Sein als Gegenständlichkeit ist ein von daher abkünftiger, nicht unmittelbarer, sondern schon vermittelter Sinn von Sein. (136; Fs) (notabene)

15/2 Ebenso offenbart sich hier aber auch der Sinn von Wissen: Wissen ist nicht Anderes und Äußeres gegenüber dem Sein, sondern es ist der Selbstbesitz, die Selbstdurchdringung, die Selbstgelichtetheit des Seins, das Bei-sich-Sein des Seins in der ursprünglichen Identität von Sein und Wissen im Vollzug, d. h. in dem sich als Wissen setzenden Selbstvollzug des Seins oder dem sich als Sein setzenden Selbstvollzug des Wissens. (136f; Fs) (notabene)

16/2 Hieraus ergibt sich: Wenn alles Fragen ermöglicht und geleitet ist durch ein Vorwissen um Sein überhaupt, so ist dies nur möglich auf Grund der ursprünglichen Einheit von Sein und Wissen im Vollzug des Fragens selbst. Aus der unmittelbaren Seinserfahrung und Seinsgewißheit des Vollzugs weiß ich um das Sein des Vollzugs und ich weiß daraus um Sein oder den Sinn von Sein überhaupt. Es ist der Ursprung des Entwurfes eines Horizonts des Seins überhaupt, innerhalb dessen ein Fragen nach Anderem als Seiendem oder ein Wissen um Anderes als Seiendes allererst möglich ist. (137; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Idetität: Sein Wissen; Selbstbewußtsein; Bei-sich-Sein des Geistes; Bewusstsein - Gelichtetheit; conscientia reflexa - directa; 'Licht' aller Gelichtetheit; Wissen und Wollen

Kurzinhalt: Nun ist uns aber im unmittelbaren Selbstbewußtsein ... das eigene An-sich-Sein in dessen Selbstvollzug unmittelbar in fragloser Gewißheit gegeben. Wollte ich es in Frage stellen ...

Textausschnitt: 22/2 Nun ist uns aber im unmittelbaren Selbstbewußtsein - wenn auch nur im Aktvollzug des 'Ich frage', 'Ich weiß', 'Ich will' usw. - das eigene An-sich-Sein in dessen Selbstvollzug unmittelbar in fragloser Gewißheit gegeben. Wollte ich es in Frage stellen, so finde ich mich von neuem als derjenige vor, der fragt und der, indem er fragt, weiß, daß er fragt und daß er sich selbst wissend als den Fragenden setzt. Ich kann der Selbstgewißheit meines Fragens nicht entweichen, sondern setze immer neu die fraglose Gewißheit meines fragenden Vollzugs. Hierin ereignet sich das ursprünglich unmittelbare Bei-sich-Sein des Geistes; in ihm liegt eine unmittelbare Erfahrung und Gewißheit unbedingten, unaufhebbar gültigen An-sich-Seins. Hiermit ist aber der Horizont objektiv und absolut gültigen An-sich-Seins überhaupt garantiert, innerhalb dessen der Vollzug solchen Wissens allein möglich ist. (138; Fs)

23/2
2. Wenn wir somit den Ansatz im Bewußtsein von Augustinus1 und Descartes2 sowie der neueren Erkenntniskritik, besonders bei J. de Vries3, aufnehmen, so geschieht dies nicht primär in erkenntniskritischer, sondern in transzendentalphilosophischer Blickrichtung. Das erkenntniskritische Anliegen ist einerseits durch den Aufweis des Gesamthorizonts schon überholt, es wäre anderseits durch den Hinweis auf ein Einzelphänomen nicht hinreichend gelöst. Wohl aber muß die transzendentale Rückführung den Gesamthorizont unseres Fragens und Wissens selbst noch nach der Bedingung seiner Möglichkeit befragen und findet die Antwort in der wissenden Selbstidentität des Vollzugs. (138f; Fs)

24/2 Diese Einsicht bildet den Schlüssel zu einer Metaphysik der Erkenntnis überhaupt oder - noch weiter - zu einer Metaphysik des menschlichen Geistes. Denn nur von hier aus läßt sich die Bewußtheit oder 'Gelichtetheit' erklären, die dem Bewußtsein im ganzen Bereich seiner bewußten Akte und ihrer gegenständlichen Inhalte zukommt. Die Bewußtheit kann weder in der Sonderart bestimmter Akte noch in der Sonderart ihrer Inhalte begründet sein, sondern nur in etwas, das ihnen zukommt, sofern sie von einem Subjekt vollzogen werden. (139; Fs) (notabene)

25/2 Zwar steht der bewußte Vollzug nicht im Vordergrund des Bewußtseins; die thematische Intention ist zumeist auf den gegenständlichen Inhalt gerichtet. Aber ich kann durch Selbstreflexion ein 'reflexes Bewußtsein' (conscientia reflexa) vollziehen, das in thematischer Ausdrücklichkeit dem Bewußtseinsakt selbst zugewendet ist. Doch wird der Akt nicht erst dadurch bewußt, daß ich darauf reflektiere; er war es schon vorher, sonst wäre er - vor der Reflexion - kein Akt, in dem mir ein Inhalt bewußt wird, und eine nachträgliche Reflexion auf den Akt wäre nicht möglich. (139; Fs) (notabene)

26/2 Überdies ist die Reflexion ein neuer Akt, dessen thematische Intention nicht auf ihn selbst, sondern auf Anderes, den vorausgehenden Akt, gerichtet ist. Würde jedoch der Akt erst durch die Reflexion bewußt, wodurch wird der Akt der Reflexion bewußt? Etwa durch einen neuen Akt der Reflexion, der, um bewußt zu werden, wieder einen neuen Akt der Reflexion verlangt? Damit wäre ein 'regressus in infinitum' gesetzt und nichts erklärt. (139; Fs) (notabene)

27/2 Vielmehr fordert die Tatsache bewußter Akte ein jeder Reflexion vorausliegendes 'direktes Bewußtsein' (conscientia directa), das zwar seiner thematischen Intention gemäß Gegenstandsbewußtsein ist, in dem aber immer und notwendig - als Bedingung der Möglichkeit der Bewußtheit als solcher - Selbstbewußtsein mitgesetzt und mitvollzogen wird. (139; Fs)

28/2 Nur dadurch, daß, wenn auch unthematisch, im Grunde des Bewußtseins, gleichsam, an einem Punkt, Sein und Wissen in unmittelbarer Identität zusammenfallen, das Sein wissend bei sich ist, sich selbst durchdringt und besitzt, ist überhaupt Bewußtheit möglich. Es ist ein Punkt, an dem das Sein unmittelbar - in Identität - sich selbst 'gelichtet' ist, somit den Horizont der 'Gelichtetheit' überhaupt entwirft und die Möglichkeit bietet, daß auch Anderes, nämlich ein gegenständlicher Inhalt, in das Licht des Bewußtseins tritt. (139; Fs) (notabene)

29/2 Das 'Licht' aller Gelichtetheit, d. h. der Grund der Bewußtheit als solcher, liegt allein in dem unmittelbar wissenden Bei-sich-Sein des Geistes, das jedem Bewußtseinsakt zugrundeliegt und in jedem Bewußtseinsakt, wenn auch unthematisch, mitvollzogen wird. Insofern ich darin aber die unmittelbare Seinserfahrung und Seinsgewißheit meines Selbstvollzugs besitze, vollziehe ich mich schon im Horizont des Letzten und Unbedingten: im Horizont des Seins. (139f; Fs)

30/2 Dennoch ist, wie sich noch zeigen wird, dieses ursprüngliche Bei-sich-Sein noch kein Akt des Wissens, so wenig wie ein Akt des Wollens. Es ist überhaupt kein eigener Akt, sondern wird in jedem Bewußtseinsakt vollzogen und ist in jedem enthalten, seine Bewußtheit bedingend. Es ist virtuell beides: Wissen und Wollen, nämlich Sich-Wissen und Sich-Wollen in einem, in ursprünglicher, noch unentzweiter Einheit, muß sich aber in ausdrücklichen Akten des Wissens und Wollens aktuieren und differenzieren1. (140; Fs) (notabene)

31/2 In dieser Identität von Sein und Wissen liegt die spezifische Auszeichnung des Geistes. Der Begriff des Geistes wird später noch zu ergänzen und zu vertiefen sein2. Vorläufig können wir schon sagen: Geist nennen wir ein Seiendes, das Bei-sich-Sein zu vollziehen vermag, ein Seiendes, in dem sich das Bei-sich-Sein des Seins ereignet, in dem also das Sein zu sich selbst kommt und wissend von sich selbst Besitz ergreift: in der Identität von Sein und Wissen. (140; Fs)

32/2 Es wird sich noch zeigen, daß - und in welchem Sinn - Sein wesentlich und ursprünglich Bei-sich-Sein, also sich wissender Geist ist. Weiter wird sich zeigen, warum im endlichen Geist das Bei-sich-Sein im jeweiligen Aktvollzug verwirklicht wird und warum der Aktvollzug immer und notwendig auf gegenständliche Inhalte angewiesen ist. Hier aber genügt es festzuhalten, daß alles Wissen - als ein Wissen um Sein im Horizont des Seins überhaupt - im wissenden Bei-sich-Sein gründet: im Vollzug der Identität von Sein und Wissen. (140; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Differenz: Sein, Wissen; Vorwissen - Nichtwissen

Kurzinhalt: Besteht aber das Wissen um Sein in der Identität von Sein und Wissen, so besteht das Nichtwissen in der Nichtidentität von Sein und Wissen

Textausschnitt: § 14. Die Differenz von Sein und Wissen

33/2
1. Alles Fragen ist ermöglicht und geleitet durch ein Vorwissen um Sein; dieses gründet in der Identität von Sein und Wissen im Vollzug des Fragens. Doch soll es ein Vorwissen sein, das die Möglichkeit des Fragens nicht aufhebt, sondern begründet. Wäre es ein reines Wissen, so wäre die Frage nicht mehr möglich, sondern überholt. (140f; Fs)

34/2 Wäre im Vollzug die reine Identität von Sein und Wissen gesetzt, so wäre es nicht mehr ein Vollzug des Fragens, sondern ein Vollzug reinen, besitzend begreifenden Wissens. Ich kann aber jedenfalls und jederzeit fragen. Dies setzt ein Nichtwissen um das Sein voraus. Besteht aber das Wissen um Sein in der Identität von Sein und Wissen, so besteht das Nichtwissen in der Nichtidentität von Sein und Wissen: Ich setze dem Gewußten ein Gefragtes als Nicht-Gewußtes entgegen. (141; Fs) (notabene)

35/2 Das Gewußte aber 'ist' und das Nicht-Gewußte 'ist'; beide sind gesetzt im Sein. Ich setze also dem Sein als Gewußtes das Sein als Nicht-Gewußtes entgegen. Ich setze dem im Wissen gesetzten und dem Wissen identischen Sein ein das Wissen übersteigendes, im Wissen vorauszusetzendes, dem Wissen nichtidentisches Sein entgegen. Ich setze im Vollzug des Fragens der Identität von Sein und Wissen eine Nichtidentität von Sein und Wissen - als Bedingung der Möglichkeit des Fragens - entgegen. (141; Fs)

36/2 So ist in der Frage die Differenz gesetzt zwischen dem Sein, das in meinem Wissen gesetzt ist, und dem Sein, das mein Wissen übersteigt; dem Sein, das meinem Wissen identisch ist, und dem Sein, das meinem Wissen nicht identisch ist: die Differenz zwischen der Identität von Sein und Wissen und der Nichtidentität von Sein und Wissen. Diese Differenz bedeutet Transzendenz des Seins gegenüber dem Sein meines Wissens, Transzendenz des mir überlegenen, mich übersteigenden Seins gegenüber dem mir eigenen, in meinem Vollzug ergriffenen und gesetzten Sein, Transzendenz des mir nichtidentischen gegenüber dem mir identischen Sein. (141; Fs) (notabene)

37/2
2. Diese Differenz oder Nichtidentität ist aber gesetzt in der Einheit des Seins. Denn ich selbst, der Fragende, 'bin', ich bin als Seiendes gesetzt im Sein, aber ich bin nur Seiendes, nicht das Sein selbst und im ganzen. Auch das Andere, wonach ich frage, 'ist', es ist als Seiendes gesetzt im Sein. Wenn mir auch Sein eigen ist, so übersteigt das Sein doch mich und den Vollzug meines Wissens. So ist in der Einheit und Ganzheit des Seins die Differenz gesetzt. (141; Fs) (notabene)
38/2 Das Sein umspannt beides: das in meinem Vollzug gesetzte Sein und das meinen Vollzug übersteigende Sein, das mir identische und das mir nichtidentische, von mir differente Sein. Die Differenz oder Nichtidentität des Seins gegenüber meinem Sein ist aber nicht nur in der Einheit des Seins, sondern auch in der Einheit des Wissens gesetzt, sofern es ein Wissen um Sein ist. Fragend weiß ich um das Sein, das - als Gewußtes - meinem Wissen im Vollzug identisch ist, in meinem Wissen selbst gesetzt ist. Aber ich weiß auch um das Sein, das als Nicht-Gewußtes, aber Gefragtes - meinem Wissen nicht identisch ist, sondern mein Wissen übersteigt und in meinem Wissen vorausgesetzt bleibt. Auch dieses Nichtwissen ist umgriffen vom Wissen: (141f; Fs) (notabene)
39/2 Ich weiß, daß ich nicht weiß oder nicht alles weiß, ich weiß, daß das Sein mein Wissen übersteigt; sonst könnte ich nicht danach fragen. Ich weiß also um das eigene Nichtwissen und übersteige es damit wissend auf das Nicht-Gewußte hin, ohne es jedoch jemals in erschöpfend begreifendem Wissen einholen und damit die Möglichkeit und Notwendigkeit des Fragens überholen zu können. (142; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Subjekt - Objekt; relativer Gegensatz

Kurzinhalt: ... ich setze in der Einheit des Vollzugs die Zweiheit von Fragendem und Gefragtem, Wissendem und Gewußtem als Gegensatz von Subjekt und Objekt: ... Beides, Subjekt und Objekt, 'ist', beides ist gesetzt in der Identität des Seins

Textausschnitt: 42/2
1. Wenn ich frage, weiß ich mich als den Fragenden und ich weiß um Anderes, das mir als Gefragtes gegenübersteht. Wenn ich weiß, so weiß ich mich als den Wissenden und ich weiß um Anderes, das mir als Gewußtes gegenübersteht. Die Zweiheit von Fragendem und Gefragtem oder von Wissendem und Gewußtem heißt Subjekt und Objekt. Sofern das Fragen ein Modus des Wissens ist, können wir einfacher und allgemeiner sagen: Subjekt ist der Wissende, Objekt das Gewußte. (143; Fs)
43/2

2. Wenn immer ich frage, weiß ich mich als den nach etwas Fragenden und ich weiß um Anderes als das von mir Gefragte. Wenn immer ich weiß, weiß ich mich als den etwas Wissenden und ich weiß um Anderes als das von mir Gewußte. Im Vollzug des Fragens und Wissens setze ich - wissend - Anderes mir entgegen; ich setze in der Einheit des Vollzugs die Zweiheit von Fragendem und Gefragtem, Wissendem und Gewußtem als Gegensatz von Subjekt und Objekt: Das Subjekt ist das, dem das Objekt entgegensteht. Das Objekt ist das, was dem Subjekt entgegensteht. Das Subjekt ist Nicht-Objekt, das Objekt ist Nicht-Subjekt. Sie sind einander entgegengesetzt. (143; Fs)

44/2
3. Ein Gefragtes gibt es aber nur für den Fragenden; ein Gewußtes gibt es nur für den Wissenden. Und umgekehrt: Fragender bin ich nur, wenn ich mir fragend ein Gefragtes entgegensetze; Wissender bin ich nur, wenn ich mir wissend ein Gewußtes entgegensetze. Subjekt ist immer Subjekt eines Objekts, und Objekt ist immer Objekt eines Subjekts. (143; Fs) (notabene)
45/2 Wenn ich fragend und wissend den Gegensatz von Subjekt und Objekt setze, dann setze ich die Beziehung von Subjekt und Objekt. Nur in dieser Beziehung sind sie einander entgegengesetzt: Es ist ein relativer Gegensatz. Ich setze fragend und wissend das Subjekt bezogen auf ein Objekt und das Objekt bezogen auf das Subjekt. (143; Fs)

46/2 Zwar kann ich auch nach dem Subjekt selbst fragen oder um das Subjekt selbst wissen. Setze ich - in thematischer Reflexion - ein solches Fragen und Wissen, so wird mir das Subjekt selbst zum Objekt. Es wird im Vollzug des Fragens dem Fragenden als das Gefragte gegenübergestellt, im Vollzug des Wissens dem Wissenden als das Gewußte gegenübergestellt. Es ist nicht mehr Subjekt als Subjekt, sondern Subjekt als Objekt: vergegenständlichtes Subjekt. Dies zeigt von neuem, daß ich nicht fragen oder wissen kann, ohne im Vollzug des Fragens und Wissens den relativen Gegensatz von Subjekt und Objekt zu setzen. (143f; Fs)

47/2
4. Dieses Verhältnis ist jedoch genauer zu bestimmen. Im Vollzug des Fragens ist einerseits eine Identität gesetzt: die Identität von Sein und Wissen im Vollzug; anderseits ist eine Differenz vorausgesetzt: die Nichtidentität des Seins gegenüber der Identität von Sein und Wissen im Vollzug, insofern ich fragend weiß um das mich und meinen Vollzug des Wissens übersteigende Sein. (144; Fs)
48/2 Nun ist auf der einen Seite in der Identität des Vollzugs selbst eine Differenz gesetzt: Im Vollzug des Fragens und Wissens setzt sich der Fragende ein Gefragtes, der Wissende ein Gewußtes entgegen; in der Identität des Vollzugs wird die Differenz von Subjekt und Objekt gesetzt. Doch ist es eine Differenz, welche die Identität nicht aufhebt, sondern voraussetzt und in ihr selbst gesetzt ist: als Differenz in der Identität. (144; Fs)
49/2 Auf der andern Seite aber ist in der Differenz des mich übersteigenden Seins gegenüber dem in meinem Vollzug gewußten Sein eine Identität gesetzt: Ich weiß mich selbst und das Andere in der umgreifenden Identität des Seins, sofern ich weiß, daß ich, der Fragende und Wissende, als solcher 'bin', im Sein gesetzt bin, und daß das Andere, das Gefragte und Gewußte, als solches 'ist', im Sein gesetzt ist. (144; Fs) (notabene)

50/2 Beides, Subjekt und Objekt, 'ist', beides ist gesetzt in der Identität des Seins; und beides ist gewußt als etwas, das 'ist', beides ist also gesetzt in der Identität meines Wissens um Sein. Doch ist es eine Identität, welche die Differenz von Subjekt und Objekt nicht aufhebt, sondern voraussetzt und in dieser selbst gesetzt ist als Identität in der Differenz. Beide Aspekte, die sich hier zeigen, die Differenz in der Identität und die Identität in der Differenz, müssen nach ihrem Wesen und den Bedingungen ihrer Möglichkeit befragt werden. (144; Fs)

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Autor: Coreth, Emerich

Buch: Metaphysik

Titel: Metaphysik

Stichwort: Akt - Potenz (energeia - dynamis); P.: aktiv - passiv (potentia activa - passiva)

Kurzinhalt: In diesem Sinn liegt eine aktive Potenz (potentia activa) vor, wenn Seiendes selbst das (Wirk-)Vermögen besitzt, den Akt hervorzubringen ... passive Potenz (potentia passiva) dagegen, wenn Seiendes die Fähigkeit besitzt, einen Akt vom Anderen her ...

Textausschnitt: Zusatz.

205/3 Aus der hier vermittelten Zweiheit von Wirkvollzug und Wirkvermögen ergibt sich bereits die Zweiheit von Akt und Potenz. Doch hat dieses Begriffspaar einen weiteren, allgemein metaphysischen Sinn. Akt (bei Aristoteles energeia) bedeutet nicht nur Wirkakt (actio), sondern Seinsakt (actus), d. h. realen Seinsvollzug, Seinsgehalt, also Seinswirklichkeit und Seinsvollkommenheit. Potenz dagegen (bei Aristoteles dynamis) bedeutet nicht nur das Nichtsein des Aktes, sondern die positive Möglichkeit des Aktes als Hinordnung auf den Akt und Fähigkeit für den Akt (capacitas actus), also Seinsmöglichkeit gegenüber Seinswirklichkeit. (233; Fs)

206/3 In diesem Sinn liegt eine aktive Potenz (potentia activa) vor, wenn Seiendes selbst das (Wirk-)Vermögen besitzt, den Akt hervorzubringen (capacitas ad actum producendum), passive Potenz (potentia passiva) dagegen, wenn Seiendes die Fähigkeit besitzt, einen Akt vom Anderen her aufzunehmen (capacitas ad actum recipiendum). In beiden Fällen aber ist ein real Seiendes oder wenigstens ein reales Seinsprinzip - wie das Wesen des endlichen Seienden als potentielles Prinzip gegenüber dem Seinsakt - vorausgesetzt, also eine reale Potenz. Im Gegensatz dazu steht eine logische Potenz, wenn noch keine Wirklichkeit gesetzt ist, sondern die reine, im Denken entworfene Möglichkeit besteht. (233; Fs)

207/3 Bisher haben wir nicht nur im Wirkvermögen eine aktive Potenz des Seienden vorgefunden, sondern, sofern Seiendes im Wirkbezug zu Anderem steht und dessen Einwirkung entgegennimmt, auch passive Potenz; und nicht nur Potenzen, die einem aktuell existierenden Seienden eigen sind und es in die Möglichkeit einer weiteren Verwirklichung (actu secundo) setzen, sondern auch eine reale Potenz, die als rein potentielles Prinzip nicht zeitlich, sondern ontologisch - der Aktualität des Seienden (actus primus) vorausliegt: das Wesen des endlichen Seienden. (233; Fs)

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