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Autor: Kluxen, Wolfgang

Buch: Philosophische Ethik bei Thomas von Aquin

Titel: Philosophische Ethik bei Summa von Aquin

Stichwort: Thomasinterpretation; Thomas als Philosoph - Theologe; ältere Auffassung - Gilson, Chenu; Beispiel: actus purus

Kurzinhalt: ... nicht ein Nebeneinander von Theologie und Philosophie vor, in welchem ein Satz oder Begriff entweder der einen oder der anderen Seite zugeschlagen werden könnte, noch auch ein Ineinander, ... sondern ein »Miteinander« ...

Textausschnitt: XXVIIIa Ein wichtiges Resultat dieses neuen Textverständnisses ist die Erkenntnis des durchgehend theologischen Sinnes des thomistischen Gesamtwerkes. Mehr und mehr ist der Theologe Thomas ins Zentrum der historischen Forschung gerückt; in Chenus Introduction, der es um die geschichtliche Gesamterscheinung geht, steht er ganz selbstverständlich im Vordergrund. Die Konsequenzen, die sich daraus für die philosophische Thomas-Interpretation ergeben können, hat nun kaum jemand radikaler gezogen als Gilson. Daß sich die thomistische Philosophie im Rahmen eines theologischen Lebenswerkes entfaltet, ist für ihn mehr als ein historisches Faktum; der Sinn dieser Philosophie wird dadurch so tief bestimmt, daß es unmöglich wird, sie aus der innigen Verbindung mit der Theologie und dem Glauben herauszutrennen. Gilson glaubt, ganz entscheidende metaphysische Lehren - so die Lehre vom »Sein« - ließen sich auf theologische Positionen zurückführen; natürlich bedeutet das zugleich, daß sie ihre letzte Rechtfertigung nur theologisch erhalten können. Bei manchen Formulierungen aus Gilsons letzten Schriften gewinnt man den Eindruck, als werde ein Eigenrecht der Philosophie gegenüber der Theologie ganz aufgegeben, so sehr betont er die Maßgeblichkeit der Theologie für alle Bereiche. Man fragt sich schließlich, ob ein Denken, das theologisch geleitet und theologisch gerechtfertigt wird, das seine Sinnerfüllung nur theologisch findet, noch »Philosophie« genannt werden soll. Gilson spricht folgerichtig von einer »christlichen Philosophie« - einer solchen nämlich, die durch den christlichen Glauben des Denkers in ihrem Wesen verändert ist. Das heißt, der Begriff der Philosophie wird abgeändert, damit er überhaupt anwendbar bleibt. In der Konsequenz dieser Interpretation scheint mir zu liegen, daß die Philosophie am Ende aus dem Thomismus (und der Thomismus aus der Philosophie) verschwindet. Damit ist der äußerste Gegensatz zu der Auffassung der älteren Interpreten erreicht, den ich (vereinfacht) so fassen möchte: Die ältere Auffassung richtete den Blick auf den philosophischen Charakter einer Aussage; der Zusammenhang, in dem diese steht, galt ihr dann unmittelbar als ein philosophischer. Die »theologisierende« Deutung betont den theologischen Charakter der Gesamtordnung; von da aus läßt sie den Sinn der Aussage bestimmt sein und kommt dann zur Alteration des Philosophiebegriffs. Ist nun der älteren Auffassung entgegenzuhalten, daß sie Zusammenhänge als philosophisch ausgibt, deren theologischer Charakter eindeutig ist, so läßt sich ihr doch nicht abstreiten, daß sich bei Thomas eine Fülle von Aussagen eindeutig philosophischen Gehalts findet, deren Sinn nicht erst aus der theologischen Gesamtordnung bestimmt werden muß. Wenn Thomas Aristoteles und die arabischen Philosophen zitiert und sich auf sie beruft, wenn er kommentiert und sich mit ihnen in rationaler Argumentation auseinandersetzt, so geschieht das auf einer Ebene, die sich nicht erst theologisch ergibt. Dieses Verfahren setzt voraus und erkennt an, daß es - neben oder innerhalb der theologischen Gesamtordnung - eine eigene Dimension philosophischen Verstehens gibt und also eine eigene Ordnung des philosophischen Denkens, deren Prinzipien gegenüber denen der Theologie selbständig sind und es auch bleiben. Thomas gibt selbst die Prinzipien und die Struktur dieser philosophischen Ordnung an und unterscheidet sie von denen der Theologie. Daraus ergibt sich zwingend die Forderung an den Interpreten, die philosophischen Aussagen bei Thomas auf diese Ordnung hin zu verstehen; erst dann werden sie in ihrer eigenen Dimension, also philosophisch verstanden. Dieser Grundsatz bleibt festzuhalten. Aber damit ist die theologisierende Deutung noch nicht abgetan. Sie stützt sich auf die unbestreitbare Tatsache, daß Thomas' entscheidende philosophische Aussagen gerade in der theologischen Ordnung erscheinen, und es wäre höchst seltsam, wenn dieser ihr Ort nicht sinnvoll, und das heißt auch: sinnbestimmend wäre. Jede Aussage, die in der Theologie erscheint, hat notwendig eine theologische Bedeutung: dieser theologische Bezug ist ebenso evident wie der philosophische. Es kommt nun darauf an, beide bestehenden Evidenzen gelten zu lassen und ihr Beieinander verständlich zu machen. Offenbar ist dazu die Annahme erforderlich, daß eine Aussage, die im theologischen Zusammenhang eine bestimmte Funktion hat, zugleich in einer anderen Hinsicht ihren eigentlichen philosophischen Sinn behält, so daß sie gleichsam »zweidimensional« (nicht aber zweideutig!) wäre. Man mag sich das an einem Beispiel verdeutlichen: Die Aussage, daß Gott »reiner Akt« sei, darf und muß man als eine zentrale Aussage der thomistischen Theologie ansehen - was könnte überhaupt für die Theologie zentraler sein als eine das Wesen meinende Aussage von Gott! Dennoch ist sie ganz eindeutig Ergebnis einer bestimmten (und zwar keineswegs spezifisch »christlichen«) Metaphysik und ohne diese gar nicht zu vollziehen; ja man darf behaupten, daß sie ihre Stellung in der Theologie gerade der Sinnbestimmtheit verdankt, die sie auf philosophischer Ebene erworben hat. Hier liegt also nicht ein Nebeneinander von Theologie und Philosophie vor, in welchem ein Satz oder Begriff entweder der einen oder der anderen Seite zugeschlagen werden könnte, noch auch ein Ineinander, das keinerlei Trennung zuließe; sondern ein »Miteinander«, eine innerlich begründete Zuordnung, die so strukturiert ist, daß sie die sinnbestimmenden Bezüge nach beiden Seiten bestehen läßt und zugleich ihr Abheben voneinander gestattet. (Fs)

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