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Autor: Tresmontant, Claude

Buch: Paulus

Titel: Paulus

Stichwort: Plan (Ziel) des Schöpfungswerkes; Teilnahme am Leben Gottes; oikonomia (Ökonomie)

Kurzinhalt: Die ganze Schöpfung findet ihre Vollendung in dieser Adoption des Menschen, durch die er zum Gotteskind wird

Textausschnitt: DIE ANNAHME AN KINDESSTATT

41d Worin besteht der Sinn, der Plan des Gotteswerkes? (Fs)
In der Annahme an Kindesstatt, durch die der erschaffene Mensch dazu berufen und aufgefordert ist, durch Christus, zu dessen Miterben wir werden, am Leben Gottes teilzunehmen: Ihr habt ja nicht empfangen den Geist der Knechtschaft wiederum zur Furcht, sondern habt den Geist der Sohnschaft empfangen, in dem wir rufen: Abba Vater! Der Geist selbst bezeugt unserem Geiste, daß wir Kinder Gottes sind. Wenn aber Kinder, so auch Erben: Erben Gottes und Miterben Christi, wenn anders wir mit Ihm leiden, damit wir auch mit Ihm verherrlicht werden. (Rom. 8,15) (Fs)

41e Die ganze Schöpfung findet ihre Vollendung in dieser Adoption des Menschen, durch die er zum Gotteskind wird. Die ganze Schöpfung erreicht so ihr Ziel, wie eine Frau, die in Wehen liegt: (Fs) (notabene)

Ich denke nämlich, daß die Leiden der jetzigen Zeit in keinem Verhältnis stehen zu der kommenden Herrlichkeit, die an uns offenbar wer den wird. Denn das sehnsüchtige Harren der Schöpfung wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes. Denn der Nichtigkeit ward die Schöpfung unterworfen, nicht freiwillig, sondern durch den, der sie unterworfen hat, auf die Hoffnung hin, daß auch sie, die Schöpfung, befreit werden wird von der Knechtschaft der Vergänglichkeit, zur Freiheit der Herrlichkeit der Gotteskinder. Denn wir wissen daß die ganze Schöpfung insgesamt seufzt und insgesamt in Wehen liegt bis jetzt, doch nicht allein sie, sondern auch wir selbst, die wir die Erstlingsgabe des Geistes besitzen, auch wir selbst seufzen in uns, erwartend die Einsetzung zu Kindern, die Erlösung unseres Leibes. Denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet; Hoffnung aber; die man schaut, ist keine Hoffnung. Denn was einer schaut, was soll er da noch hoffen? Wenn wir aber hoffen, was wir nicht schauen, dann warten wir in Geduld. Ebenso aber auch hilft der Geist unserer Schwachheit; denn was wir beten sollen, wie es nottut, wissen wir nicht, aber der Geist selbst tritt für uns ein, mit unaussprechlichen Seufzern; der aber die Herzen erforscht, kennt das Trachten des Geistes, weil Er in gottgemäßer Weise eintritt für Heilige. Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alles zum Guten mithilft, denen, die nach Seinem Ratschluß berufen sind. Denn die Er vorhererkannt hat, die hat Er auch vorherbestimmt, gleichgestaltet zu werden dem Bilde Seines Sohnes, auf daß Er Erstgeborener sei unter vielen Brüdern. Die Er aber vorherbestimmt hat, die hat Er auch berufen; und die Er berufen hat, die hat Er auch gerechtfertigt; die Er aber gerechtfertigt hat, die hat Er auch verherrlicht, (a. a. O.) (Fs)

[...]

44a Paulus verwendet das Wort oikonomia, um den Plan des Gotteswerkes, seine wirksame Anordnung, seine Ausgestaltung zu bezeichnen. Wir übersetzen diesen paulinischen Begriff mit «Ökonomie», worunter nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht nur die «Wirtschaftlichkeit», sondern auch die sachgemäße Verwendung, das Haushalten - z. B. mit einer Energiemenge - zu verstehen ist. (Fs)

Der genaue Sinn des Wortes in der Theologie des Paulus wird sich im weiteren Verlauf aus dem Zusammenhang erschließen. (Fs)

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Autor: Tresmontant, Claude

Buch: Paulus

Titel: Paulus

Stichwort: Der Plan der Schöpfung; der Mensch als Mit-Schöpfer; natürliche - übernatürliche Ordnung

Kurzinhalt: Übergang von der Naturordnung zur Ordnung einer Teilhaberschaft am Leben Gottes

Textausschnitt: DER PLAN DER SCHÖPFUNG

44b Worin bestehen also Plan und Ökonomie des Gotteswerkes? (Fs)

Die Welt wurde durch das Gotteswort und in ihm erschaffen. Im Glauben erkennen wir die Erschaffung der Welten durch Gottes Wort dergestalt, daß aus nicht Sinnfälligem das Sichtbare geworden ist (Hebr. 11,3). Der Glaube ist eine durch den Heiligen Geist verliehene, übernatürliche Einsicht, die bis zum Ursprung des Seins geht, und dieser Ursprung ist nicht sichtbar, er ist verborgen: er besteht im Gotteswort. Dieses Wort ist personhaft: Auf vielfältige und mannigfaltige Weise hat Gott von alters her zu den Vätern geredet durch die Propheten, am Ende dieser Tage hat er zu uns geredet durch den Sohn, den er eingesetzt hat zum Erben des Alls, durch den er auch die Welten gemacht hat (Hebr. 1,1). Christus ist Ursprung und Ziel der ganzen Schöpfung. Er ist das Alpha und das Omega, der erste und der letzte, der Keim und das Haupt des Gotteswerkes. Von Ihm geht alles aus, durch Ihn ist alles erschaffen, nach Ihm richtet sich alles, in Ihm vollendet sich alles und findet seine Erfüllung. «Von Ur an war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Dies war von Ur an bei Gott. Alles ist durch dieses geworden und ohne dies war auch nicht eins, was geworden ist. In Ihm war Leben, -und das Leben war das Licht der Menschen...» (Joh. 1,1) (Fs)

44c Rückblickend wissen wir jetzt einiges über die Geschichte der Schöpfung seit ihren Ursprüngen. Wir vermögen bis zu einem gewissen Grade ihren Sinn, ihre Ausrichtung, ihre Intention zu erkennen. Wir wissen durch unsere positive Forschung, daß die Schöpfung zuerst Entstehung der Materie, Aufbau der physischen Welt, Kosmogenese gewesen ist, und daß sich danach als ihre zweite Etappe die Erfindung des Lebens, die Blüte der Tiergattungen angeschlossen und eine ganz bestimmte Richtung eingeschlagen hat: der Lebensbaum entwickelt sich im Laufe der Zeiten auf immer beweglichere, freiere und bewußtere Lebensformen hin. (Fs)

45a Der Mensch erscheint am Ende dieser kosmischen und biologischen Geschichte. Und die Geschichte des Menschen löst die Geschichte der biologischen Evolution ab, so wie diese die Geschichte der Kosmogenese abgelöst hatte. (Fs)

45b Doch mit dem Menschen ist das Werk der Schöpfung noch nicht vollendet. Diese verläßt nunmehr die Ebene der einsamen Gottesschöpfung und geht zu einer Schöpfungsweise über, die sich in Vereinigung mit einem geschaffenen Wesen vollzieht, das zum Mit-Schöpfer wird. Der Mensch ist nicht nur erschaffen, sondern er arbeitet an seiner eigenen Genese mit, er muß in seine Vervollkommnung einwilligen. Er ist dazu berufen und aufgefordert, zu einem Gotte zu werden, der am Leben Gottes teilzuhaben vermag: «Ich sagte: wohl seid ihr Götter. Ihr seid alle Söhne des Höchsten!» 82,6) - eine Verkündigung, die Christus seinerseits wieder aufnimmt: «Steht nicht geschrieben in eurem Gesetze: Ich habe gesagt: Götter seid ihr?[...] und die Schrift kann nicht aufgelöst werden.» (Joh. 10, 26) (Fs)

47a Von dem Augenblick an, da der Mensch aufgerufen wird, an seinem eigenen übernatürlichen Schicksal mitzuwirken, überschreitet das Schöpfungswerk eine entscheidende «Schwelle». Es geht von der «Naturordnung» zur Ordnung einer Teilhaberschaft am Leben Gottes, d. h. zu einer «übernatürlichen» Ordnung über. Gott vermählt sich seiner Schöpfung in Gestalt Israels, seines vielgeliebten Volkes. Gott vereinigt sich in Freiheit mit dem Wesen, das er erschaffen hat und das freiwillig diese Vereinigung hinnimmt. Letztlich besteht in dieser persönlichen Vereinigung der Sinn der Schöpfung. (Fs) (notabene)

47b Der Mensch in seinem gegenwärtigen Zustand ist nicht vollendet. Er ist nicht nur in biologischer, psychologischer, sozialer Hinsicht unfertig, sondern dadurch in einer weit grundlegenderen Weise unvollkommen, daß er seinen endgültigen Daseinszustand noch nicht erreicht hat: die Fülle seiner Berufung, in die er einwilligen muß, um Gott, seinem Schöpfer, ähnlich zu werden und an Seinem Leben teilzuhaben: «Gott sagte: lasset uns den Menschen machen zu unserem Bild und Gleichnis.» (Gen. 1, 26) Wir brauchen nur um uns zu blicken, um zu erkennen, daß die Menschheit noch weit davon entfernt ist, Bild und Gleichnis Gottes zu werden. (Fs)

47c Mit der Bildung einer Menschennatur, die zum Bilde und Gleichnis Gottes geworden ist, mit der Erschaffung des Gottesvolkes beginnt eine letzte Etappe der Gottesschöpfung, eine andere und übernatürliche Geschichte: die Heilsgeschichte. Von der Genese der kosmischen Materie und der Erschaffung der Milchstraßen bis zur Bildung des Gottesvolkes entfaltet sich das schöpferische Wirken Gottes in einer einzigen Absicht; freilich vollzieht es sich nach bestimmten Etappen und Plänen, die von einer natürlichen zu einer übernatürlichen Ordnung fortschreiten, ist aber auf ein einziges Ziel gerichtet: die Teilhabe des erschaffenen Seins am Leben des Schöpfers, die Teilhabe in Christus durch den Heiligen Geist. Das Ziel der Schöpfung ist die Vereinigung, das heißt die Liebe. Wenn man den heiligen Paulus verstehen will, muß man von dieser kosmischen Perspektive ausgehen. (Fs)

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Autor: Tresmontant, Claude

Buch: Paulus

Titel: Paulus

Stichwort: Der alte und der neue Mensch; Ordnung des Beseelten - Geistigen (pneumatikon); zwei Etappen d. Schöpfung

Kurzinhalt: Erschaffung einer geistigen, geheiligten Menschennatur, in der der Heilige Geist Gottes wohnt und die mit Christus am dreieinigen Leben Gottes teilhat

Textausschnitt: DER ALTE UND DER NEUE MENSCH

47d In einem Kapitel seines ersten Briefes an die Korinther, der von der Auferstehung handelt, weist der heilige Paulus auf den Heilsplan hin, der die Erschaffung des Menschen bestimmte: (Fs)

So steht auch geschrieben (Gen. 2, 7): Es ward der erste Mensch Adam zu einem lebendigen Wesen, der letzte Adam zu einem lebenspendenden Geist. Aber nicht ist zuerst das Geistige, sondern das Sinnliche, dann das Geistige. Der erste Mensch ist aus Erde, ist irdisch, der zweite Mensch aus dem Himmel. (1. Kor. 15,45) (Fs)

48a Paulus stellt in diesem Text die Ordnung des Beseelten, des «Psychischen», der Ordnung des Geistigen gegenüber. Der erste Mensch wurde als «lebendige Seele» erschaffen, wie uns die Genesis sagt. Aber auch die Tiere sind nach der hebräischen Bibel lebendige Seelen. Die Bibel bezeichnet das gesamte Tierreich, die gesamte biologische Ordnung als «das Fleisch». Im Hebräischen werden die Begriffe «jede lebende Seele» oder «alles Fleisch» gleichwertig verwandt, um diese biologische Ordnung der animalischen Welt zu bezeichnen. «Jegliches Fleisch»: das ist die Gesamtheit der Lebewesen, Mensch wie Tier (vgl. Gen. 6,13 und 17; 7,15; Ps. 136, 25); dann aber auch in engerem Sinne die Gesamtheit der Menschen. (Gen. 6,12; Is. 40,6; Jer. 12,12; 25,31; Zach. 2,17) Im biblischen Sinne ist das Fleisch diese biologische Ordnung des Beseelten, Lebendigen und Bewußten. Wenn das Bewußtsein, wie manche Biologen glauben, zugleich auch das Leben einbegreift, ist die Auffassung der Bibel sehr modern: das Biologische ist für sie gleichzeitig auch das Psychologische. (Fs)

49a Paulus stellt dieser zugleich biologischen und psychologischen Ordnung die Ordnung des Geistigen (pneumatikon), wie er sie nennt, entgegen, und er sagt uns, daß diese geistige Weltordnung, die «aus dem Himmel», also übernatürlich ist, im Schöpfungsplan Gottes erst als letzte vorgesehen ist. Sie stellt eine dem Menschen verliehene Vervollkommnung dar, durch die er sein übernatürliches Schicksal erfüllen soll. (Fs) (notabene)

49b Der erste Mensch ist irdisch, er entstammt der Erde. Auf hebräisch heißt Adam einfach Mensch, als Gattungsbezeichnung. Diese erste Menschennatur ist animalisch, sie entstammt der Tierwelt. Die zweite Menschennatur - der zweite Adam - wird vom Himmel kommen, durch eine Verwandlung, die durch die Vermittlung Christi und im Heiligen Geiste ein Werk Gottes ist. (Fs)

49c Es sind also zwei Etappen notwendig, um den Menschen zu vollenden und ihn der Fülle seiner Bestimmung entgegenzuführen, entsprechend dem Text der Genesis, die ihm seine Erschaffung nach dem Bilde und Gleichnis Gottes verheißt. Die erste Etappe setzt die natürliche Schöpfung fort, wie sie durch die Kosmogenese und Biogenese eingeleitet worden ist. Die zweite Etappe überschreitet eine entscheidende Schwelle und geht aus einer natürlichen Ordnung in die übernatürliche Ordnung über: diese besteht in der Erschaffung einer geistigen, geheiligten Menschennatur, in der der Heilige Geist Gottes wohnt und die mit Christus am dreieinigen Leben Gottes teilhat. In Christus wurde die gesamte Schöpfung in die Wege geleitet; in Christus setzt sie sich fort durch die Steigerung des Menschen zum Übernatürlichen und die Heranbildung einer geistigen Menschennatur. In Christus wird sie, sobald der mystische Leib Christi sein vollkommenes Maß und Alter erreicht hat, ihre Fülle erlangen; dann wird Gott alles in allem sein. (Fs) (notabene)

Dieses Werk wird erst durch die Auferstehung vollendet werden, wenn Christus das Reich in die Hände des Vaters zurückgibt. (Fs)

50a Der Mensch muß also ein zweites Mal geboren werden; das ist es, was das Johannesevangelium ausdrücklich lehrt: (Fs)

Ich sage dir, wenn einer nicht von neuem geboren wird, kann er das Königtum Gottes nicht sehen. Nikodemus sagt zu Ihm: Wie kann ein Mensch geboren werden, der ein Greis ist? Kann er denn in den Schoß seiner Mutter nochmals eingehn und geboren werden? Jesus antwortete: Amen, ich sage dir, wenn einer nicht geboren wird aus Wasser und Geist, kann er nicht in das Königtum Gottes eingehen. Das aus dem Fleisch Geborene ist Fleisch, und das aus dem Geist Geborene ist Geist. (Joh. 3,3) (Fs)

50b Das ist auch die Auffassung des Paulus. Der Mensch, der zunächst als biologisches und psychologisches Wesen, das heißt als Fleisch, erschaffen wurde, muß sich durch den Heiligen Geist Gottes und in Christus wandeln, um zu einem geistigen Wesen, das heißt einem für Gott fähigen Wesen zu werden. Wer darum in Christus ist, ist eine neue Schöpfung. (2. Kor. 5, 17) Das Alte ist vorbei, siehe, ein Neues ist geworden (ebda). Christus ist gekommen, um eine neue Menschheit hervorzubringen (Eph. 2,15). An uns ist es, an dieser Wandlung, an dieser Mutation teilzunehmen, und dabei den alten Menschen abzulegen, um zu einem neuen Menschen zu werden: so daß ihr entsprechend eurem früheren Wandel den alten Menschen ablegt, der in seinen trügerischen Begierden zugrunde geht, daß ihr euch dagegen im Geist eures Denkens erneuert und den neuen Menschen anzieht, der nach Gott geschaffen ist in wahrer Rechtschaffenheit und Heiligkeit. (Eph. 4,22) Ziehet aus den alten Menschen samt seinen Werken. Und ziehet an den neuen Menschen, der zu neuer Erkenntnis gelangt ist, dem Bilde dessen gemäß, der ihn erschaffen1. (Kol. 3,9) (Fs) (notabene)

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Autor: Tresmontant, Claude

Buch: Paulus

Titel: Paulus

Stichwort: Fleisch - Geist; biblischer Begriff des Fleisches; Johannes: Welt

Kurzinhalt: Das fleischliche - weltgemäße - Sein ist ein «Sein zum Tode»

Textausschnitt: FLEISCH UND GEIST

50c Es gilt an dieser Stelle die doppelte Nuancierung zu beachten, die dem Begriff «Fleisch» in der Bibel und insbesondere bei Paulus eigen ist. (Fs)

50d In der biblischen Terminologie ist das Fleisch vor allem, wie wir schon sahen, die biologische, psychologische (beseelte) lebendige Schöpfungsordnung, und insbesondere die menschliche Natur, ohne irgendeinen herabmindernden Beigeschmack. Der biblische Ausdruck: «alles Fleisch» läßt sich einfach als: alle Lebewesen, oder im engeren Sinne als: alle Menschen übersetzen. Zum Beispiel: «Alles Fleisch zumal wird ihn schauen, denn der Mund des Herren hat es versprochen» (Is. 40, 5). «Siehe, ich bin der Herr, der Gott allen Fleisches.» (Jer. 32, 27) (Fs)

50e Man muß sorgfältig beachten, daß in der Bibel «das Fleisch» nicht einen Teil des «Kompositums Mensch» bedeutet wie in der dualistischen Anthropologie, in der man den «Leib» und die «Seele» unterscheidet. Der biblische Begriff des Fleisches entspricht nicht dem abendländischen Begriff des «Leibes». Das Fleisch bedeutet im biblischen Denken die menschliche Natur, den ganzen Menschen, die lebendige, beseelte, bewußtseinserfüllte Tier- oder Menschenwelt. (Fs)

51a Doch die Menschheit hat ihren eigenen Willen, sie ist autonom in ihren Gebärden, ihrem Verhalten, ist frei in ihrem Handeln und Denken, trägt die Verantwortung für ihr Geschick. In Wirklichkeit war «die Erde verderbt, denn alles Fleisch hatte seinen Wandel auf Erden verderbt» (Gen. 6,11). Infolgedessen hat der Begriff «Fleisch» in der Bibel einen doppelten Sinn angenommen: einen neutralen - «Fleisch» als die lebendige, beseelte Kreatur - und einen herabsetzenden: als das aufsässige, verderbte Geschöpf. So erklärt es sich, daß «Fleisch» im Alten Testament das entartete Wollen des Menschen bezeichnet, seine Schwäche und seine Sünde. Doch auch in diesem Fall darf man nicht die biblische Auffassung mit der durchaus verschiedenen Perspektive vertauschen, mit der das Abendland durch den Manichäismus und die verschiedenen gnostischen Häresien bekannt gemacht wurde. Der biblische Begriff «Fleisch» hat keinesfalls die gleiche Bedeutung wie in der gnostischen Metaphysik: Bei Marcion und Mani ist das böse Fleisch gleichbedeutend mit dem «Leib», in den die Seele herabgesunken ist und in dem sie gefangen, verbannt, gefesselt bleibt. (Fs)

52a Um es noch einmal zu sagen: Im biblischen Sinne ist das Fleisch nicht ein Teil des Menschen; der Mensch ist Fleisch. In manichäischer - dualistischer - Sicht dagegen ist der Mensch seinem Wesen nach eine Seele, die in einen Leib geraten ist. (Fs)

52b Wir müssen diese zwei Gesichtspunkte sorgfältig unterscheiden, um bei der Auslegung der paulinischen Texte, die wir anführen werden, keinen entscheidenden Fehler zu begehen. In unserer abendländischen Kultur gibt es ererbte Denkweisen und Terminologien, deren heterogenen Ursprung es trotz der scheinbaren Ähnlichkeiten der Wortbildung zu erkennen gilt, wenn man nicht durchaus Entgegengesetztes miteinander verwechseln will. So haben die christlichen Gnostiker in Wahrheit den Sinn der paulinischen Begriffe verdreht und den biblischen Begriff des Fleisches vom Standpunkt der platonischen Metaphysik aus interpretiert. (Fs)

52c Dieser Begriff bezeichnet keineswegs einen Gegenstand (den Leib), sondern vielmehr eine gewisse Geistigkeit, ein gewisses Wollen, wie sie einer Menschennatur eigen sind, die ihre besonderen Wege geht. Das Fleisch ist die Menschennatur, insoweit sie sich Gott entgegenstellt, die alte Menschennatur, die noch nicht durch das übernatürliche Leben - den Geist - erneuert wurde. (Fs)

52d Dem Begriff des Fleisches bei Paulus eignet im übrigen die gleiche Zwiespältigkeit wie dem Begriff des Kosmos, «der Welt», bei Johannes. In einem Sinn bedeutet «Welt» bei Johannes die Schöpfung Gottes, die gut ist, und ganz besonders die Menschheit, die Welt des Menschen: «Denn so hat Gott die Welt geliebt, daß Er Seinen einziggezeugten Sohn hingab, auf daß keiner, der an Ihn glaubt, zugrunde gehe, sondern ewiges Leben habe.» (Joh. 3,16) In anderen Fällen bezeichnet hingegen «die Welt» ebenso wie der biblische Ausdruck «das Fleisch» die Menschenwelt, die sich willentlich dem Willen Gottes entgegenstellt: die Menschenwelt, in der die Sünde in den Einrichtungen, den Sitten, den Riten, den Gebräuchen, den Moden, den vorgefaßten Meinungen, den gedankenlos übernommenen Urteilen gleichsam kristallisiert und objektiviert ist; es ist das jene «kollektive Mentalität», die Heidegger die Meinung des man nennt. Das Geschwätz und die Neugierde, die Böswilligkeit, die Gottesentfremdung durch die Sorge, die Tyrannei gewisser Werte, die vor Gott keinen Wert haben -: all das nennt Johannes die «Sünde der Welt» (Joh. 1, 29). Es ist das gleiche, was im Alten Testament einfach die Sünde der Menschensöhne, die Sünde des Menschengeschlechts heißt: «Die Welt kann den Geist der Wahrheit nicht empfangen.» (Joh. 14,17) «Wäret ihr aus der Welt, so würde die Welt das Ihrige lieben; aber weil ihr nicht aus der Welt seid, sondern ich euch aus der Welt erwählt habe, darum haßt euch die Welt.» (Joh. 15,19) Hier ist offensichtlich mit «Welt» nicht der physische Kosmos, sondern die Menschenwelt gemeint, die solidarisch auf jeden von uns Druck ausübt. So gibt es auch eine Weisheit der Welt: Die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott, sagt Paulus (1. Kor. 3,19). Die Welt hat Gott nicht erkannt. (1. Kor. 1, 21) Wir haben aber nicht den Geist der Welt empfangen, sondern den Geist, der aus Gott ist. (1. Kor. 2,12) (Fs)

53a In allen diesen Wendungen hat «die Welt» keine kosmologische, sondern eine existentielle Bedeutung, genauso, wie «das Fleisch» nicht in einem anthropologischen, sondern ebenfalls im existentiel-len Sinne zu verstehen ist. Die Analysen Heideggers bieten, neben den Betrachtungen Pascals und Kierkegaards, wertvolle Aufschlüsse über den Gehalt dieser biblischen Begriffe. (Fs)

53b Im Falle des johanneischen und paulinischen Begriffes «die Welt» wie beim Begriff «das Fleisch» sind die Gnostiker vom wahren Sinn dieser neutestamentarischen Terminologie abgewichen, indem sie die biblischen Ausdrücke in eine Metaphysik des Sündenfalles transponierten. Demnach wären die präexistenten Seelen in eine schlechte Welt, in einen Stoff, der sie gefangen hält, abgesunken. Diese Abkehr von dem Wortsinn, wie ihn Paulus verwendet, hat sich teilweise bis auf uns fortgepflanzt, und so fällt es heute recht schwer, unserer Vorstellung den ursprünglichen Sinn wieder nahezubringen. (Fs)

53c Fassen wir zusammen: Paulus sagt in den folgenden Texten nicht: daß «das Fleisch schlecht ist» (manichäische These), sondern daß «die Menschheit in ihrem Wesensgrunde sündig» ist und sich der Berufung durch Gott widersetzt. Das ist etwas ganz anderes. (Fs)

53d Zwischen dem Geist der Welt und dem Geist Gottes besteht ein Gegensatz, der davon herrührt, daß sich der Mensch dem Willen Gottes widersetzt. Wenn sich der Geist Gottes in uns niederläßt, wenn er uns zu verwandeln sucht, um aus uns geistige, gottgemäße Wesen zu formen, so trifft er in uns auf einen Widerstand, der auf diesen alten Widerspruch des Menschen gegen Gott, den Widerspruch im «alten Menschen» zurückgeht. So sind wir also zerrissen. Wir können unser Verhalten entweder nach dem Gesetz dieses alten Menschen in uns richten, der die von Gott geforderte Erneuerung ablehnt, oder dem Geist Gottes nachleben, der uns zur Freiheit des Lebens in Gott ruft. Eben diesen Gegensatz kennzeichnet Paulus durch den Widerspruch zwischen «Fleisch» und «Geist»: Wandelt im Geiste, dann werdet ihr nicht vollbringen, was das Fleisch begehrt. Denn das Fleisch begehrt wider den Geist, der Geist aber wider das Fleisch, diese liegen ja miteinander im Streite, damit ihr nicht das, was ihr wollt, tut. Wenn ihr euch nun vom Geiste leiten laßt, steht ihr nicht unter dem Gesetz. Offenbar aber sind die Werke des Fleisches, das sind: Unzucht, Unreinheit, Schwelgerei, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Zornausbrüche, Streitigkeiten, Uneinigkeiten, Spaltungen, Mord, Neid, Trinkgelage, Schmausereien, und was dem gleich kommt, davon sage ich euch voraus, wie ich euch schon vorausgesagt habe: Die solche Dinge treiben, werden Gottes Königtum nicht erben. Die Frucht des Geistes aber ist Liebe, Freude, Friede, Langmut, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung; wider alles das steht kein Gesetz. Die aber Christus Jesus zu eigen sind, haben das Fleisch gekreuzigt samt den Leidenschaften und den Begierden (Gal. 5,16). (Fs)

54a Wie der heilige Augustinus bemerkte (De Civitate Dei 14, 2), sind die Werke des «Fleisches» und die Handlungen des «Fleisches» nicht nur solche, die wir mit dem «Leibe» in Verbindung bringen (wie Ausschweifungen usw.), sondern auch psychische Handlungen und Verhaltensweisen, wie Haß, Eifersucht, Zorn, Magie, Glaubensspaltungen usw., die in Wahrheit von der psychologischen Analyse abhängen, zugleich aber eine biologische und somatische Grundlage haben. (Fs)

54b Das Geistige (Spirituelle) ist das, was nicht durch die Psychoanalyse erfaßbar ist; was nicht der biologischen oder psychologischen Ordnung, also dem menschlichen Bereiche, sondern der übernatürlichen Ordnung und somit bereits dem Leben Gottes angehört. Bei Paulus bedeutet «fleischlich» soviel wie «menschlich»; den Weg des Fleisches gehen, heißt bei ihm, den Weg des Menschen gehen. (Fs)

Und ich, Brüder, schreibt Paulus an die Korinther, konnte nicht zu euch reden wie zu Geistigen, sondern wie zu Fleischlichen, wie zu Unmündigen in Christus. Milch gab ich euch zu trinken, nicht feste Speise; denn die ertrüget ihr nicht. Aber auch jetzt ertragt ihr sie nicht; denn noch seid ihr fleischlich. Wo nämlich Eifersucht und Streit unter euch herrschen, seid ihr da nicht fleischlich und zuandelt nach Menschenweise? (1. Kor. 3,1) (Fs)

54c Das fleischliche - weltgemäße - Sein ist ein «Sein zum Tode» (eis thánaton - Rom. 6, 16).
Denn das Ende davon ist der Tod (Rom. 6, 21). Wenn ihr nach Fleisches Art lebt, werdet ihr sterben (Rom. 8,13). (Fs)
Das fleischliche Sein stellt die menschliche Existenz dar, die nicht durch ein dem Geiste Christi - dem Geiste des Neuen, der Leben spendet - gemäßes Leben erneuert worden ist: Denn alle, die vom Geiste Gottes geleitet werden, die sind Söhne Gottes (Rom. 8,14). (Fs)

54e Die Analysen Pascals, die uns die Situation des Menschen ohne Gott vorführen, sowie die Analysen Heideggers und seiner Schüler verdeutlichen dieses Negative der christlichen Existenz, die Lücke, die vom übernatürlichen Leben ausgefüllt worden ist. (Fs)

55a Wie Paulus sagt, gibt es eine gottgemäße Trauer, die Sinnesumkehr zur Rettung wirkt; die Trauer der Welt dagegen wirkt Tod (2. Kor. 7,10). Die Trauer der Welt, das ist die Verzweiflung an der «fleischlichen, menschgemäßen» Existenz, die Geworfenheit, das In-die-Welt-geworfen-Sein. Die Welt Heideggers ist eine christliche Welt, aus der die Hoffnung auf Erlösung getilgt worden ist. (Fs)

55b Wir wandeln nicht nach dem Fleische, sondern nach dem Geiste. Denn die nach dem Fleische sind, trachten nach den Dingen des Fleisches, die aber nach dem Geiste sind, nach denen des Geistes. Denn das Trachten des Fleisches ist Tod, das Trachten des Geistes aber Leben und Friede. Das Trachten des Fleisches ist ja Feindschaft gegen Gott; denn dem Gesetze Gottes unterwirft es sich nicht und vermag es auch nicht; die aber im Fleisch sind, können Gott nicht gefallen. Ihr aber seid nicht im Fleisch, sondern im Geist, wenn anders Gottes Geist in euch wohnt. Wenn aber jemand den Geist Christi nicht hat, der gehört Ihm nicht an. Ist aber Christus in euch, so ist der Leib zwar tot um der Sünde willen, doch der Geist ist Leben um der Gerechtigkeit willen. Wenn aber der Geist dessen in euch wohnt, der Jesus von den Toten erweckt hat, so wird der, welcher Christus Jesus von den Toten erweckte, auch eure sterblichen Leiber lebendig machen durch Seinen Geist, der in euch wohnt (Rom. 8,4). (Fs)

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