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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Unterschied: Begehren - Wollen; Wollen schließt Gewissheit ein; Büßer - Wollen

Kurzinhalt: Im Wollen wird die Verwirklichung des Objekts intentional als von gerade diesem Anzielen abhängig angezielt, was beim Begehren keineswegs der Fall ist

Textausschnitt: 15. Aber der Mensch stellt sich sein Werk nicht nur vor, sondern nimmt es sich vor, zielt es an und will es. Seine Vorstellung bleibt nicht nur theoretisch, hat ihr Bewenden nicht bei jenem innerlichen, immateriellen Sein, welches gerade der Erkenntnisakt ist, so, wie wenn wir es dabei bewenden lassen, die untadelige Folgerichtigkeit oder Eleganz einer Beweisführung zu genießen, uns jener Art von Frieden zu erfreuen, den die Gewißheit unsrer Übereinstimmung mit dem Sein hervorbringt. Die Vorstellung bezieht sich auf ihr Objekt nicht nur wie auf etwas, das erkannt ist, noch auch - hier wäre allerdings ein Unterschied zu machen - wie auf etwas, das erkannt werden soll, sondern wie auf etwas, das im Sein zu setzen ist. Das Objekt west nicht nur im Geist an, sondern ist gegenwärtig als ein auf seine Verwirklichung hin ausgerichtetes: es ruft sie gleichsam herbei, erhebt Anspruch darauf. Die Intentionalität des Wollens zielt auf das Dasein ab, und zwar nicht als auf ein gegebenes, sondern auf ein zu gebendes, zielt auf die aktive Realisierung des Objekts ab (oder auf die Realisierung seines Besitzes, sofern es sich um ein schon vorhandenes Objekt handelt). (47f; Fs) (notabene)
15a Bis dahin unterscheidet sich das Wollen nicht vom Begehren; denn auch dem Begehren zeigt sich das Objekt durch eine besondere Verweisung affiziert, die es auf das Dasein hin ausrichtet - zumindest auf das Dasein als aktuale Ergänzung des Subjekts (als realer, konkreter Besitz). Man begehrt ein Mögliches nicht als solches, sondern wünscht, daß ein Mögliches daseiend werde. Da liegt aber gerade der Unterschied. Im Wollen wird die Verwirklichung des Objekts intentional als von gerade diesem Anzielen abhängig angezielt, was beim Begehren keineswegs der Fall ist. Das Begehren erwartet zwar die Verwirklichung, öffnet sich ihr, schafft ihr Raum, leidet, wenn es merkt, daß sie sich verzögert; es drückt einen Mangel, eine Gleichgewichtsstörung aus, macht vorwegnehmend das Existieren des Subjekts abhängig von der Realisierung des Objekts: Daß ein ganz belangloses Begehren nicht erfüllt wird, reicht bisweilen hin, den Eindruck aufkommen zu lassen, daß das Leben nicht mehr lebenswert sei. Dadurch ist das Begehren freilich ein machtvoller Motor der natürlichen Energien, gleichwohl setzt es, obzwar es eine ideale oder imaginative Bewegung auf das Objekt hin einbegreift, seiner intentionalen Struktur nach keinerlei daseinsmäßige Abhängigkeit des Objekts von ihm voraus. Ich kann, wie ich genau weiß, das begehren, was nicht in meiner Macht steht: mir z. B. wünschen, nicht zu sterben, die verlorene Zeit wiederzufinden usw. Doch sofern ich mir darüber im klaren bin, bin ich außerstande, solches wirklich zu wollen . (48f; Fs)
15b Das Wollen dagegen, sagten wir, intendiert das Objekt als in seiner Verwirklichung (oder Erringung) von gerade dieser Intention abhängiges. Selbstverständlich ist diese Abhängigkeit keine unmittelbare. Der Wille in uns ist wirksam nur vermöge der organischen Energien und einer mehr oder weniger langen Kette vermittelnder Wirkfaktoren, deren Wirkung sich in der Zeit staffelt und dadurch dem Subjekt die Möglichkeit läßt - vorausgesetzt, daß sich diese Wirkfaktoren überhaupt fügsam zu den Plänen des Subjekts hergeben -, sich umzubesinnen, den Prozeß zu stoppen oder umzustellen. Besagte Abhängigkeit ist eine mittelbare und darum zweifach bedingte: das gewollte Objekt - Ding, Ereignis, Situation - verwirklicht sich zwangsläufig, falls das Subjekt bei seinem Entschluß beharrt und falls es ihm nicht an Ausführungsmitteln gebricht. Innerhalb dieser Grenzen aber ist die Abhängigkeit unauf-hebbar. Es gibt kein redliches Wollen, das nicht eine Gewißheit einschlösse. Zwar ist sich auch der zerknirschteste Büßer nie sicher, ob er nicht doch wieder rückfällig wird, und aus Erfahrung wird er sich vielleicht kaum etwas über seine Charakterstärke vormachen; doch wie dem auch sei, seine Reue muß, wenn sie echt sein soll, die feste Überzeugung einschließen: wenn ich mein jetziges Wollen beizubehalten vermöchte, würde ich nie mehr rückfällig werden. Solange der Reumütige sich innerhalb des Horizonts seines derzeitigen Entwurfs hält, kann er sich die Möglichkeit eines Rückfalls gar nicht vorstellen. Kann er sie sich dennoch vorstellen, dann nur, weil dieser Entwurf nicht völlig mit ihm selbst identisch ist, dieser Horizont nicht alle seine möglichen Horizonte umgreift. Es wäre übrigens gefährlich für ihn, wenn er das außer acht ließe. (49; Fs)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Verstand, Idee - Wollen = Form - Wirken; Hypnose; Thomas: Willensakt -> Neigung aus der Idee; Urteil

Kurzinhalt: Wille, Willensakt: der durch die Idee geformte Dynamismus des Geistes; Wille: Übergang der Idee in die Realität; die intelligible Form, die das Wollen bedingt, hat die Struktur eines Urteils

Textausschnitt: 16. Wenn das Wollen das Objekt als daseinsmäßig von dem Akt, der es anzielt, abhängiges anzielt, dann ist zu sagen, daß das Bewußtsein vom Wollen ein gewisses Verstehen der kausalen Relation (hinsichtlich ihrer Bedeutung und nicht hinsichtlich ihres Wie) einbegreift. Dabei ist es wichtig, anzumerken, daß diese Kausalität nicht als Eigenschaft irgendeiner psychologischen Tatsache auftritt, welche das Subjekt nur von außen betrachten würde oder die ihm innerlich ohne sein Zutun widerführe. Wenn das Objekt als zum Dasein bestimmt erscheint, dann ist es das Subjekt, das ihm durch seine Zuneigung intentional diese Eigenschaft verleiht und aus der Vorstellung eine wirksame Idee macht, die bereit ist, in die Realität herniederzusteigen. (49f; Fs)
16a Dadurch unterscheidet sich die willensmäßige Aktivität radikal von jener Aktivität, die sich im Traum, in der Hypnose, in bestimmten krankhaften Zuständen usw. vollzieht, worin wegen der ontologischen und funktionellen Einheit des menschlichen Seienden die Idee (und nicht nur die sinnliche Vorstellung) das Verhalten des Subjekts determiniert, ohne daß das Subjekt dessen gewahr wird oder ihm zustimmt. In diesen Fällen ist nämlich der Verstand, beziehungsweise das Subjekt als verstandbegabtes, nicht die Ursache besagter Phänomene, es sei denn auf mittelbare und gleichsam beiläufige Weise. Der Verstand fungiert dann als Form, genauer: als Eigenschaft einer Seele, die - insofern sie ist - Form eines Leibes ist. Er wirkt dann nicht, noch verursacht er gemäß seiner eigenen Modalität als Verstand. Im Wollen dagegen ist der Verstand (das Subjekt als vernunftbegabtes) sehr wohl die eigentliche, wiewohl mittelbare Ursache der Wirkung. Hier fungiert die Idee nicht gemäß ihrem "natürlichen" Sein als Determination der Form und damit der ontologischen Totalität des Subjekts, sondern gemäß ihrer Natur als Idee, auf der Linie der Intentionalität. (50; Fs)
16b Dem Verstand die Kausalität der Wirkung zuschreiben heißt keineswegs den Unterschied der Wirkvermögen negieren - auf welchen Unterschied wir übrigens noch zurückkommen werden -, sondern heißt dabei beharren, daß die Vermögen zusammenhängen und einander einschließen. Aristoteles sagte, der Wille sitze im vernünftigen Teil der Seele , und nach Thomas von Aquin ist der Willensakt nichts anderes als die aus der Idee hervorgehende Neigung , der durch die Idee geformte Dynamismus des Geistes, oder anders ausgedrückt: der sich mittels des Geistes verwirklichende Dynamismus der Idee (und des Wertes). Der Wille ist eben gerade jenes Medium, in dem sich der Übergang der Idee in die Realität vollzieht oder vielmehr anbahnt; er ist das, wodurch die Idee aufhört, bloße Idee zu sein, und sich unwiderruflich dem Dasein verschreibt. In dieser Hinsicht ist der Wille dem Verstand nicht äußerlich noch parallel, sondern er ersteht aus dem Verstand, ist das, wozu der natürliche Dynamismus des Geistes wird, nachdem er durch das Bewußtsein hindurchgegangen und das Subjekt zu einem bei sich seienden geworden ist. (50f; Fs) (notabene)
16c Zwischen der Idee und dem Wollen besteht ein ähnlicher Zusammenhang wie zwischen der Form und dem Wirken. Die Analogie zwischen beiden kann man übrigens noch weiter treiben. Das Wirken als sekundäre Aktuierung setzt eine primäre Aktuierung voraus: das Sein, dessen Ausdruck und Steigerung es ist (2). Und gleichermaßen setzt das Wollen eine primäre intentionale Aktuierung voraus, die sich zur Idee verhält wie das Sein zur Form: diese Aktuierung ist die Verstandestätigkeit, die sich im Urteil vollendet. Das Urteil erscheint so als Mittler zwischen der bloßen Vorstellung und der Bewegung des Willens; es gründet in der Vorstellung und begründet die Willensbewegung; es aktuiert die Vorstellung und ist als primäres Moment einunddesselben geistigen Vorwärtstreibens in die Willensbewegung einbegriffen. Das ist aber noch nicht alles. Durch das Bejahen, welches seine Seele ist (und welches sogar noch in der Negation enthalten ist), besagt das Urteil seitens des Geistes nicht nur Setzung des Objekts im intelligiblen Sein und bereitet so dessen Setzung im realen Sein vor, sondern bringt an diesem Objekt auch noch eine Struktur zum Ausdruck. Nun beinhaltet aber auch der Willensakt eine objektive Struktur. (51; Fs)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Das Gute: Stimulus des Handelnd (eg: delectabile, utile, honestum); das Lustbringende - Mittel

Kurzinhalt: Stimulus: Wahrnehmen eines Wertes am Objekt, der uns das Objekt als ein Gut darstellt; Lust: Widerhall einer Seinsfülle

Textausschnitt: 18. Am Ursprung unsres Wollens liegt also immer das Wahrnehmen (und das Bejahen) irgendeines Wertes am Objekt, der uns das Objekt als ein Gut darstellt (Objekt ist hier im weitesten Sinn zu verstehen, einschließlich gerade auch der Aktivität des Subjekts, insofern sie erkannt und gewollt wird). Anders ausgedrückt: die Form, die die realisierende Aktivität des vernunftbegabten Subjekts determiniert, ist nicht jene, die das Objekt bloß als eine Bestimmung des Seins darstellt, sondern sie ist die Form, die das Objekt hinsichtlich seines Gutseins zeigt. Oder falls man das im Wollen vorausgesetzte Urteil betrachtet, besteht dieses Urteil nicht darin, daß es dem Objekt irgendein ontologisches Merkmal zuspricht, z. B. seine Möglichkeit, sein Zugehören zu dieser oder jener Klasse, zu einer bestimmten Art, seine objektiven Bezogenheiten usw., sondern es ist ein Werturteil. Kurzum, das wahrgenommene und beurteilte Gut ist das eigentliche Motiv - man möchte fast sagen: der Stimulus, der Anreiz - des Willens. (53; Fs) (notabene)
18a Das Gute ist aber kein eindeutiger Begriff. Im soeben analysierten Beispiel haben wir drei auf nichts Ursprünglicheres zurückführbare Typen des Guten erkannt, die schon von Platon und Aristoteles unterschieden wurden: das lustbereitende Gute, das nützliche Gute und das sittliche Gute . Fürs erste sieht es so aus, als ob das Nützliche unsere Aufmerksamkeit nicht lange in Anspruch zu nehmen brauchte. Weil es wesenhaft auf irgendeinen verfolgten Zweck, auf irgendein begehrtes Gut bezogen ist, vermag es nicht als es selbst ein Motiv im eigentlichen Sinn zu bilden. Seine bewegende Kraft strömt ihm von anderswoher zu. Darüber täuscht hinweg, wie Stuart Mill und dann Spencer ganz klar feststellten , daß die Mittel leicht jene Aufmerksamkeit und jenes Interesse, die ursprünglich auf den Zweck gerichtet sind, auf sich selber ziehen, zumal wenn es bei ihrem Einsatz Hindernisse oder Schwierigkeiten gibt. Je mehr sich aber der Gedanke an den eigentlichen Zweck verwischt, je mehr sich nur noch das Mittel zu ihm im Bewußtsein breitmacht, desto weniger scheint das Mittel noch als bloßes Mittel gewollt: das Nützliche bietet sich als Lustbereitendes oder sittlich Gutes dar. Dem klassischen Geizhals bereitet es hohe Lust, seine Taler und Wertpapiere zu horten und nachzuzählen; heutzutage haben wir es mit der Mystik der "Leistung" zu tun. Es blieben also eigentlich nur noch das Lustbereitende und das sittlich Wertvolle übrig, beide um ihrer selbst willen begehrt und erstrebt; beide als eigenständige Motive, doch jedes auf je andere Weise. (53f; Fs) (notabene)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Motiv - auf der Seite des Objekts (Objektivität); Lust - auf d. Seite des Subjekts (Wirkursache)

Kurzinhalt: Begehren: gerechtfertigt, wenn die Vernunft es dadurch anerkennen kann, daß sie sich in ihm wiedererkennt; Kind lügt: um xy (Zweck) oder weil xy (Furcht)

Textausschnitt: 20. Ob man das Motiv als einen Wert auffaßt, den das erstrebte Objekt einnimmt (ich wähle dieses Foto wegen seines künstlerischen Charakters), oder als einen Zweck, der dem Handeln Richtung gibt (dieses Kind hat gelogen, um nicht bestraft zu werden), so steht es doch immer auf der Seite des Objekts. Selbst dann, wenn der Wille offenbar nichts anderes anzielt als eine gewisse subjektive Stimmung, ist dieser subjektive Zustand nur unter der Bedingung Motiv, daß er objektiviert wird. Gerade darin unterscheidet sich das Motiv von den Antrieben, die ihrerseits zwar ebenfalls als Erklärungen für das Handeln dienen, jedoch auf und von der Seite des Subjekts und eher nach Art der Wirkursachen. Dieses Kind hat gelogen, weil es bestraft zu werden fürchtete: die Furcht ist der subjektive Beweggrund (Antrieb); sie wirkt wie eine von hinten drängende Kraft und vermöge ihrer seelischen Realität, während das Motiv durch seinen Sinn wirkt . Wie sein Name schon sagt, bewegt das Motiv also, setzt in Bewegung, während der Antrieb bewegt wird oder vielmehr zugleich bewegend ist und bewegt wird - so wie die Wirkursache, deren Kausalität durch den Zweck ausgelöst wird. Wie diese Bewegkraft des Motivs zu verstehen sei, werden wir weiter unten untersuchen. (58; Fs) (notabene)
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20b Die Objektivität des Motivs wirft eine Frage auf. Wir sahen ja, daß die Objektivität auch dem sittlich wertvollen Guten zukommt, während das Lustbringende sich wesenhaft auf das Subjekt bezieht. Ist daraus nicht zu schließen, daß entweder nur das sittlich Wertvolle die Bezeichnung Motiv voll und ganz verdient oder das Lustbringende nur dadurch sittlich wertvoll wird, daß es vergeistigt und objektiviert wird? Das folgt keineswegs daraus. Der Bezug zum Subjekt, den das Lustbringende einschließt, kann noch so sehr objektiviert werden, er ändert darum seinen Charakter nicht. Meine Lust und die Fähigkeit des Objekts, sie mir zu verschaffen, werden nicht schon allein dadurch vernunftgemäß, daß ich sie mir bewußt mache. Und selbst wenn sie vernunftgemäß wären (im Fall eines erlaubten Vergnügens), bedeutete doch ein Abzielen auf sie, vermöge eines ausdrücklichen Aktes (anstatt eines instinktiven Sich-dazu-treiben-Lassens), noch lange nicht, daß man sie als vernunftgemäße anzielt. Die sittliche Rechtschaffenheit geht also nicht immer mit der klaren Einsicht einher. Im Gegenteil: je mehr einer das Böse durchschaut, desto mehr läßt er es in sich ein, wird er von ihm durchdrungen. Wir meinen hier jene Art Klarsicht, die untrennbar zur Freiheit gehört (siehe weiter unter 112). Die Sünde des Engels wurde in voller Klarheit begangen. Und ebenso: wenn der Mensch sein Wohlsein und seine Lust nicht mehr mit der naiven, halbtierischen Spontaneität des Instinkts oder der Leidenschaft, sondern methodisch, berechnend, wissenschaftlich sucht, wird seine Suche dadurch nicht automatisch tugendhaft. Wird die Lust gesucht, wo sie nicht gesucht werden dürfte, dann verschlimmert die raffinierte Findigkeit nur noch die Lasterhaftigkeit: man sündigt wider den Geist, wenn man ihn zu Zwecken mißbraucht, die seiner unwürdig sind. (59f; Fs)
20c Allerdings muß man einräumen, daß in dergleichen Fällen die Objektivierung, die Rationalisierung der Handlung zwangsläufig unvollkommen bleiben. Zwar ist etwas erhellt worden, womöglich sogar hochgradig: nämlich das Verhältnis des Aktes und des Objekts zum Begehren und zur Lust. Das Begehren selbst aber, das Vorwärtsdrängen auf die Lust zu sind nicht rational gerechtfertigt worden: es liegt da nur etwas rein Faktisches vor. Wäre es möglich, auf die Frage: "Warum hast du so gehandelt?" eine durch und durch rationale Antwort zu geben, dann wäre der sittliche Wert der Handlung sogleich erwiesen. Man hat aber noch lange nicht eine rationale Antwort gegeben, wenn man bloß die gesamte Reihe der Wirkursachen des Begehrens auseinanderlegt oder im einzelnen aufzählt oder den im Unterbewußten verborgenen Determinismus ans Licht hebt. Damit wiese man ja nur wieder eine faktische und als solche irrationale Notwendigkeit auf. Das Begehren ist erst dann wirklich gerechtfertigt, wenn die Vernunft es dadurch anerkennen kann, daß sie sich in ihm wiedererkennt. All das wird aber erst richtig klarwerden, wenn wir eingehender vom sittlichen Wert handeln. Das kann jedoch erst viel später geschehen. (60; Fs) (notabene)

20d Selbstverständlich verstehen wir unter Begehren hier nicht nur die unklaren Strebungen der Sinnlichkeit. Auch in der Sünde des Geistes steckt ein Mangel an Objektivierung. Wenn man Gefallen findet am zwar echten, aber von seiner Natur her doch nur anteilhaften Guten, ohne es auf das Höchste Gut zu beziehen, und wenn man seine Wahl nicht an den Forderungen der absoluten Vernunft und des Seins, sondern an den Ansprüchen eines in sich verschlossenen, in sich zentrierten Ichs mißt, dann heißt das für den reinen Verstand: in seine Tätigkeit das Inintelligible und also das Unobjektivierbare, das moralisch Absurde einführen, dessen Absurdität um so deutlicher aufbricht, je mehr das Bewußtsein sie mit seinem Licht erhellt. (60; Fs) (notabene)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Stufen der Motivierung (3 Grade); Vorsicht: Enthüllung kann die Seele

Kurzinhalt: 1) Der Wille läßt die natürlichen Strebungen gewähren, statt sie in Bewegung zu setzen; 2) durch Antriebe "geleitetes" Wissen um Motive; 3) Geleitetwerden durch ein klares Motiv

Textausschnitt: 21a Sehr oft bleibt die Wahrnehmung des Wertes undeutlich. Das Handeln taucht kaum über die Triebhaftigkeit empor: es findet weder besonnenes Erwägen im eigentlichen Sinn noch vorhergehende ausdrückliche Entscheidung und Entschluß statt. Der Wille läßt die natürlichen Strebungen gewähren, statt sie in Bewegung zu setzen. Wenn aber das verstandesmäßige Bewußtsein neben dem Handeln hergeht und diese unausdrückliche Nachgiebigkeit des Willens mitmacht, darf trotz allem immer noch von Motivierung die Rede sein, doch das Motiv selbst bleibt unthematisch, nicht deutlich objektiviert und für das klare Bewußtsein gleichsam überschwemmt von Begehren und Handeln. Diese rudimentäre Stufe, diesen keimhaften Zustand der Motivierung läßt die intellektualistische Psychologie fast vollständig außer acht. (61; Fs)
21b Mitunter wird das thematisch ausgearbeitete Motiv vom Willen ausdrücklich gebilligt. Tatsächlich stammt dabei jedoch die Antriebskraft weder in ihrer Gänze noch auch nur in der Hauptsache vom Willen her, sondern strömt aus den Instinkten, Leidenschaften, Trieben, Naturanlagen und Neigungen. Man will ein bestimmtes Buch lesen, sagt sich, es geschehe der Bildung wegen, um auf dem laufenden zu bleiben, und wähnt, man meine es damit ganz ehrlich; im Grund aber ist das, was einen zu dieser Lektüre bewegt, nichts als eine leichtfertige oder verderbte Neugier, ohne die man das Buch gar nicht erst aufschlagen oder doch bald wieder beiseite legen würde. Dergleichen vermischte Motivierungen kommen in unserem Alltagsleben haufenweise vor, und lange schon, ehe die Psychoanalyse aufkam, warnten Moralisten und geistliche Führer die ihnen Anvertrauten vor den Selbsttäuschungen des Gewissens. (61; Fs)
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21f Es ist jedenfalls klar, daß der Akt um so menschlicher sein wird, je schärfer das Motiv durchschaut wird. In einem durch und durch menschlichen Akt weiß das Subjekt, was es tut, und es weiß, warum es das tut. Dies gilt jedoch nur unter dem Vorbehalt: daß im übrigen sich alles gleich verhalte. In vielen Fällen kann eine allzu große Klarsicht dem seelischen Gleichgewicht zum Verhängnis werden. Eine etwas zu grelle Helligkeit tut kranken Augen weh. Es bedarf einer gewissen Vorbereitung, damit man den Schock aushalten kann, der einem durch gewisse Enthüllungen des eigenen Innern versetzt wird. Die Lehrer des geistlichen Lebens haben auf die Verwirrung und das Entsetzen hingewiesen, die in der Seele ausbrechen, sobald sie sich bei immer klarerer Innenschau der ihr bis dahin unbemerkt gebliebenen Unordnung ihrer Strebungen und Absichten bewußt wird. Durch eine vorschnelle Enthüllung kann die Seele leicht gänzlich niedergeschmettert werden: sie erblickt in sich eine allmächtige Begierlichkeit, die selbst jene Anstrengungen zuschanden macht, mit denen die Seele dieser Lüsternheit Herr zu werden sucht. Eine schlecht verdaute Psychologie ist der Untergang der Moral. Sobald es um die abgründigen, vieldeutigen Bereiche des Bewußtseins und Gewissens geht, können die meisten Menschen kaum mehr als ein Halbdunkel verkraften . (62f; Fs)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Wille - Motiv: natürlicher Dynamismus (Leerstelle im Subjekt); Trennung von Objekt - Motiv

Kurzinhalt: Das sinnliche Streben beginnt Objekt und Motiv zu unterscheiden; vernünftiges Streben: klare Unterscheidung von Motiv und Objekt

Textausschnitt: 22a Der natürliche Dynamismus - und das gilt mutatis mutandis nicht nur für die biologischen, sondern auch für die seelischen und sogar geistigen Aktivitäten, und zwar um deswillen, was in ihnen dem Bewußtsein vorhergeht und es begründet - strebt, wie wir sahen (6), nach der Sache selbst . Das Objekt setzt insofern in Bewegung, als seine natürliche Realität (seine Eigenschaften, seine physikalisch-chemische Struktur usw.) gleichsam negativ, als Leerstelle ausgespart, in die Realität des Subjekts eingelassen ist. Von Vorstellung kann dabei keine Rede sein. Alles spielt sich vielmehr auf der Ebene des materiellen, "physischen", "entitativen" Seienden, auf der Ebene des "Dings" ab. (63; Fs) (notabene)
22b Das sinnliche Streben beginnt Objekt und Motiv zu unterscheiden (11). Es trachtet nach dem begehrten Ding, insofern es daran einen gewissen Wert findet, der es begehrenswert macht (Lustverheißung, biologische Brauchbarkeit). "Insofern" bezieht sich hier aber, wohlgemerkt, auf das Zuschauen des Philosophen und auf die ontologische Ordnung ("an sich und für uns", würde es in der "Phänomenologie des Geistes" heißen). Das rein sinnliche Bewußtsein weiß davon nichts, nicht einmal verschwommen, unklar oder unausdrücklich. Es ist ja außerstande, über sich selbst nachzudenken, auf sich selbst zu reflektieren und durch einen ausdrücklichen Akt nach seinem formalen Motiv auszulangen. Unausdrückliches liegt aber nur da vor, wo die Möglichkeit des Ausdrücklichmachens besteht. So verbleibt der Bezug zum sinnlich wahrnehmbaren Guten überhaupt beim Tier voll und ganz auf der Seite der subjektiven Bedingung des Aktes; er wird vom Tier in gar keiner Weise erkannt, angezielt, gesetzt, noch kann er das werden. Das Tier strebt nach dem Lustbringenden oder "Nützlichen", ohne es zu wissen, geschweige denn es sich vorzunehmen. Nur konkrete Dinge und Tätigkeiten erkennt das Tier auf seine Weise und zielt sie an; dabei ist es sich aber in aller Seelenruhe des Antriebs unbewußt, der es in Bewegung setzt. (63f; Fs)
22c Erst auf der Ebene des vernunftgemäßen Strebens erreicht die Unterscheidung von Motiv und Objekt ihre Vollendung. Der Wille strebt geradewegs nach dem Wert, der das Objekt begehrenswert macht, und geht erst nach diesem primären Streben auf das Objekt zu. Das bedeutet freilich nicht, daß der Wille zuerst in einem ausdrücklichen Akt etwas Abstraktes (die "ratio boni") anzielen müsse. Das Streben ist daseinsbezogen: bloß Konkretes will, begehrt man. Doch genau wie der Verstand alles, was er erkennt, nur in Form von Seiendem erkennt, ohne daß deswegen schon wie bei den Ontologisten ein Urakt gesetzt werden müßte, dessen Objekt das Sein als solches wäre, so kann der Wille nur dadurch überhaupt irgend etwas wollen, daß er das Gute will, ohne daß dieses grundlegende Wollen in einem ausdrücklichen und vorgängigen Willensakt verwirklicht werden müßte. Allein die Geistestätigkeit - und da wird der Unterschied zum sinnlichen Streben ganz deutlich - ist fähig, zu reflektieren und dadurch ihr Formalobjekt thematisch zu intendieren. Während der Verstand ausdrücklich die Form des Seienden denken kann, kann der Wille ausdrücklich die Form des Guten wollen. Man wird hier also von einem Denken und einem Wollen des Seins und des Guten reden können und müssen, welches Denken und Wollen unausdrücklich in jedem einzelnen Gedanken und Wollen enthalten ist. Dieses unausdrückliche Enthaltensein ist jedoch nicht dasselbe wie das unausdrückliche Enthaltensein eines Prinzips in seinen Konsequenzen. Ich kann die Zahl pi kennen, ohne auch nur die blasseste Ahnung von den Operationen, vermöge deren sie errechnet wurde, oder den Prinzipien zu haben, auf denen diese Operationen aufbauen. Dagegen sind die Liebe zum Guten, der Begriff und die Behauptung des Seienden in jeglichem Willensakt, in jedem Denkakt gegenwärtig. Um sie zum Vorschein zu bringen, braucht man bloß den Blick des Geistes ins Innere zu lenken. (64; Fs)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Definition: Ziel (Zweck); finis qui, quo, cui, operis, operationis, operantis; Zielgerichtetheit (3 Typen)

Kurzinhalt: Ziel als das, worumwillen (ou heneka, cuius gratia) das Wirkende wirkt; Zielgerichtetheit (Zweck): strukturell, künstlich, intentional

Textausschnitt: 24. Mit Aristoteles definiert die Scholastik das Ziel als das, worumwillen (ou heneka, cuius gratia) das Wirkende wirkt. So verstanden, ist der Begriff wesenhaft auf eine Tätigkeit, der es die Richtung weist, bezogen. Die Scholastik unterscheidet mehrere Arten von Ziel: das direkt angezielte objektive Ziel (finis qui); den Akt, durch den das Subjekt dieses Ziel erreicht, oder den Besitz des Ziels (finis quo); das Subjekt, für das das Ziel angezielt wird (finis cui). Sie unterscheidet auch zwischen dem zu erreichenden Ziel und dem zu verwirklichenden Ziel; zwischen Nahziel, Zwischenziel und Endziel. Sodann macht sie die wichtige Unterscheidung zwischen dem Zwischenziel oder vorläufigen Ziel, welches auch Mittel sein kann, aber, weil es innerlich-wesenhaft am finalen Charakter und dem ihn begründenden Wert teilhat, eine eigene Erstrebenswürdigkeit besitzt, und dem Mittel, das bloß Mittel ist und dessen ganzer Wert darin liegt, um des Ziels willen dazusein (Nützlichkeit). Sorgfältig hält die Scholastik auch auseinander: das objektive Ziel des Werkes, das an sich und unabhängig vom Handelnden, Wirkenden betrachtet wird (finis operis: daß eine Uhr z. B. die Zeit anzeigt); das objektiv-subjektive Ziel der in ihrer typischen Struktur, unabhängig vom Interesse oder der Intention des Handelnden betrachteten Verrichtung (finis operationis: das den Handgriffen des Uhrmachers innewohnende Ziel ist das Dasein der Uhr als Uhr); und drittens das subjektive Ziel des Handelnden (finis operantis: der Arbeiter arbeitet, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, mitunter aber auch aus Liebe zu seinem Beruf, oder um der Gemeinschaft zu dienen, und wenn er Christ ist, um den Willen Gottes zu befolgen, am Schöpfungsund Erlösungswerk mitzuwirken usw.). Unter der Voraussetzung, daß alle obigen Unterscheidungen bekannt und anerkannt seien, möchten wir nun die Struktur des teleologischen Verhältnisses als solchen eingehender untersuchen. (67; Fs) (notabene)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Verhältnis: Zweck - Mittel (3 Arten)

Kurzinhalt: 1. Anzielen des Zwecks an ihm selbst, doch nicht ausdrücklich als Zweck. 2. Anzielen des Zwecks als Zweck und damit des Mittels als Mittel oder ... 3. Anzielen des Mittels an ihm selbst

Textausschnitt: 25e Schließlich - und dann erst erscheint der Zweckmäßigkeitsbezug in voller Deutlichkeit - ist es so weit, daß Zweck und Mittel ausdrücklich angezielt werden. Ich will dieses hier um jenes anderen dort willen. Ich will dieses Buch schreiben und beschließe zu diesem Zweck, die und die Bücher zu lesen. (71; Fs) (notabene)
25f Es ist festzuhalten, daß sich die Aufmerksamkeit bald mehr dem Zweck, bald mehr dem Mittel zuwenden kann, was leicht dazu führt, diesen strukturellen Typ auf einen der obengenannten zurückzuführen. Einmal ist es der Zweck, der nach dem Mittel zu schreien scheint, dann wieder ist es das Mittel, das den Willen über es selbst hinaus zu weisen scheint. Wir haben es also mit einer labilen Struktur zu tun, die immer gerade dabei ist zu zerfallen. Und tatsächlich, wenn auch der Zweck als solcher und das Mittel als solches in einem und demselben Akt gewollt werden, verhält es sich doch ganz anders, sobald der Zweck und das Mittel getrennt jeweils seiner eigenen Realität gemäß ins Auge gefaßt werden. Denn diese jeweilige Realität geht nicht in deren teleologischer Funktion auf. Die Bücher, die ich gelesen haben muß, ehe ich dieses Buch verfassen kann, weisen auch noch andere Aspekte außer diesem Nutzen auf: sie sind interessant oder langweilig, ich brauche viel Zeit dazu, sie nützen mir anderweitig usw. Ich kann sie also in einem Akt anzielen, der nicht mehr identisch ist mit dem Anzielen meines zu schreibenden Buches; der allenfalls noch beiläufig Bezug zu meinem Buch hat oder überhaupt nichts mehr mit diesem zu tun hat. Darum rechtfertigt der Zweck die Mittel nicht. Damit er sie rechtfertigte, dürften die Mittel nur Mittel sein, müßte sich ihre innerlich-wesenhafte Zweckmäßigkeit ganz und gar in ihrem Bezug zu dem betreffenden Zweck erschöpfen und müßte dieser Bezug alle sonstigen Bezüge ausschließen. Dann aber brauchten diese Mittel gar nicht mehr gerechtfertigt zu werden, weil sie ihrem Wesen nach schon recht wären, sofern der Zweck es wäre. (71f; Fs) (notabene)
25e Pauschal läßt sich der Übergang vom Zweck zu den Mitteln als ein Geschehen in drei Etappen darstellen: 1. Anzielen des Zwecks an ihm selbst, doch nicht ausdrücklich als Zweck. 2. Anzielen des Zwecks als Zweck und damit des Mittels als Mittel oder, was auf dasselbe hinausläuft: Anzielen der Mittel-Zweck-Struktur, mitsamt dem obenerwähnten Gleiten der Aufmerksamkeit. (Es ist gleich hier festzuhalten, daß in diesem Anzielen die Festlegung des Mittels keineswegs schon einbegriffen ist: Das Mittel kann fraglich bleiben.) 3. Anzielen des Mittels an ihm selbst und nicht mehr ausdrücklich als Mittel. Hier stoßen wir wieder auf ein Phänomen, auf das wir weiter oben schon hingewiesen haben: Die Umwandlung des Nützlichen ins Lustbringende vermöge einer Verschiebung des Interesses zu den Mitteln hin (18). Es ist nur darauf hinzuweisen, daß eine solche Verschiebung zweierlei Ursachen haben kann. Es kann eine echte Übertragung vorliegen, analog jener, mit der sich die Psychoanalyse zu befassen hat:

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Mittel - Zweck; Intention - Ideologie

Kurzinhalt: Diese begründende ursprüngliche Intention ist also unseres Erachtens die Quelle ideologischer Sinngebung

Textausschnitt: 29c Wenn sich die intentionale Finalität auch nur mittels der strukturellen Finalität denken läßt, zeigt sich umgekehrt diese als Finalität nur richtig mittels der intentionalen Finalität. Wie wir sagten, impliziert die Finalität stets einen Bezug zu einem richtungsbestimmten Dynamismus, und dieser läßt sich von innen her nur durch die Intention hindurch begreifen. Nur die Erfahrung des Wollens oder allgemeiner: des Entwurfs, ermöglicht uns, die Formen und Strukturen - durch eine geheime Analogie und dank dem Umweg über das "als ob" - teleologisch zu denken. Auch der überzeugteste Anhänger des Mechanismus wird zugeben müssen, daß die Systeme sich so verhalten, als ob sie einem Gleichgewichtszustand zustrebten, einem Zustand, in dem die Energie, die eine Arbeit zu leisten hat, möglichst klein ist usw. Zwar kann ein anthropomorpher Begriff ausgetilgt werden, doch damit das geschehen kann, mußte dieser Begriff zuerst einmal da sein, und er bleibt als uneingestandener Bezugspunkt im Hintergrund, selbst wenn er geleugnet wird. Kurzum: die Zweck-Mittel-Struktur hat nur Sinn durch die Intention, die den Zweck durch das Mittel hindurch anzielt. (80f; Fs)

29d So erscheint die Intention genauso in die Struktur einbegriffen, wie die Struktur in die Intention einbegriffen ist. Faßt man die Intention formal, "thematisch" ausgedrückt auf, dann ist die Struktur primär. Ein bestimmtes Mittel um eines bestimmten Zwecks willen kann ich durch einen ausdrücklichen Akt nur wollen, wenn mir zuerst die Zweck-Mittel-Struktur gegeben ist. Aber die Zweck-Mittel-Struktur ist ihrerseits nur möglich, hat nur Sinn durch eine nichtthematische Intention, die mit jener Intention verschmilzt, die das Bewußtsein in seiner dynamischen Form (als vor aller Reflexion liegende Wurzel des Strebens) konstituiert. (81; Fs) (notabene)

29e Diese begründende ursprüngliche Intention ist also unseres Erachtens die Quelle ideologischer Sinngebung. Es gibt keinen Zweck, der seinen zweckhaften Wert, und folglich auch kein Mittel, das seinen Wert als Mittel nicht dieser Setzung entnähme, die jeglichem besonderen Anzielen eines Zwecks vorausliegt. (81; Fs) (notabene)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Intentionalität; Wollen - Ziel ( p -> a; a -> a); amor concupiscentiae

Kurzinhalt: Entweder findet das Subjekt im Besitz des Zielgutes seine Vollendung, die Befriedigung seiner Strebungen

Textausschnitt: 31. Das intentionale Bezogensein des Wollens auf das Ziel ist aber nicht eindeutig, sondern läßt sich auf zwei Arten begreifen . (83; Fs)
a) Entweder findet das Subjekt im Besitz des Zielgutes seine Vollendung, die Befriedigung seiner Strebungen, die Aktuierung seiner Möglichkeiten usw. In dieser Hinsicht ist das Ziel Objekt des Begehrens, oder vielmehr - denn das Begehren hat es am Guten eher mit dem Wertaspekt zu tun (23) - wird das Ziel als etwas Begehrenswertes gewollt und gesucht; radikaler gesagt: das Ziel wird als Objekt einer begehrlichen Liebe - oder um in einer zugleich mehr antiken und modernen Sprache zu reden: als Objekt des Eros erstrebt. Das begehrliche Lieben (amor concupiscentiae) ist nicht das Begehren selbst, sondern jenes Wohlgefallen am Guten, das sich dann zum Begehren entwickelt, wenn das Gute seine Abwesenheit fühlbar macht. Es handelt sich aber um ein Wohlgefallen, das auf das Subjekt, als dessen Vollkommenheit das Objekt erscheint, zentriert ist. (83; Fs)
Daher ist das angezielte Gut im Grund nur die thematische Vermittlung eines verborgeneren Ziels: des Subjekts selbst. ...

b) Oder es bezieht sich das Subjekt auf das Ziel, nicht um von ihm eine Bereicherung, eine Vervollkommnung, eine Aktuierung seiner Möglichkeiten usw. zu erhalten, sondern um seiner selbst willen, wegen seiner Vorzüglichkeit und seines wesenhaften Liebenswertseins. Das Subjekt nimmt hier nicht mehr die Haltung des Bettlers (die im Begehren immer mehr oder weniger enthalten ist) ein: eigentlich erwartet es sich vom Objekt gar nichts: es liebt es bloß und hat sein Wohlgefallen an ihm, und zwar ein Wohlgefallen, das ganz anders ist als im Eros, weil es frei ist von jeglichem Eigennutz. Es ist dies eine Zuneigung und Anhänglichkeit, ein wortloses Ruhen, ein stilles Einswerden. Der Zweck wird in dieser Form als Liebesobjekt im reinsten Sinn des Wortes gewollt: als Objekt einer freundschaftlichen Liebe. Und diese Zielgerichtetheit, die es auf nichts anlegt oder vielmehr deren einziges Anliegen das Geliebte an sich selbst ist, steht nicht mehr im Dienst eines auf das Subjekt zurückgewendeten Zielstrebens, sondern ist causa sui und damit Freiheit. (84; Fs)
31c Ontologisch gründet diese Beziehung in der Ähnlichkeit, oder um einen allgemeineren Ausdruck zu gebrauchen: in Beziehung des Akts zum Akt, eine Beziehung, die wir von nun an "Bezugstyp a -> a" nennen wollen. Da es hierin dem Subjekt nicht mehr darum geht, in der Berührung mit dem Anderen zu größerer Fülle zu kommen, zeigt sich das Subjekt dem Anderen nicht als eine zu füllende Hohlform. Das Subjekt mag zwar in sonstigen Hinsichten recht beschränkt, gebrechlich und bedürftig sein, doch das kennzeichnet das Subjekt, insofern es ein Liebendes ist, nicht näher. Das freundschaftliche Lieben als solches bringt keineswegs ein Bedürftiges mit einem Hochherzigen zusammen, sondern eint zwei Hochherzige, die beide ihre Unbedürftigkeit durch ihr freies Hingeben und ihr freies Annehmen erweisen. (84f; Fs) (notabene)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Wert (qualifizierend) u. Ziel (spezifiziered) - Wille; Das Ziel als Ursache der Ursächlichkeit der Ursache

Kurzinhalt: Strenggenommen spezifiziert nur das Ziel, während man vom Wert eher sagen müßte, daß er qualifiziert; aus der bloßen Wirkursächlichkeit kommt nie eine Erklärung für ihre Wirksamkeit

Textausschnitt: 32. Sowohl beim Begehren wie beim Lieben spielt das Ziel für das menschliche Wollen und Handeln eine zweifache Rolle.
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Wert und Ziel spezifizieren Wollen und Handeln jedoch nicht auf die gleiche Weise. Der Wert bestimmt sie nur, insofern er dem Ziel als seinem Träger anhaftet, eine Eigenschaft des Ziels ist. Weil der Akt ein bestimmtes Ziel erstrebt, empfängt er vom Ziel eine bestimmte werthafte Färbung. Dadurch hat die Spezifikation durch das Ziel etwas Substantielleres an sich. Es affiziert den Akt in seinem Wesen und in seiner Struktur (denn das Ziel ist im Bereich des Handelns das, was die Form im Bereich der Substanz ist), d. h. in jenem, was vom Gesichtspunkt der Wertlehre aus den Akt zum Subjekt des Wertes macht. Strenggenommen spezifiziert nur das Ziel, während man vom Wert eher sagen müßte, daß er qualifiziert. (86f; Fs) (notabene)
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32c Unsres Erachtens bewahrt gerade dieser zweite Aspekt die Ursprünglichkeit des Zielbegriffs am besten. Die eigentliche Rolle der Zielursächlichkeit besteht nicht so sehr darin, die Natur der Wirkung klarzustellen, als vielmehr die Setzung, das Anders-Sein der Wirkung in bezug auf den Handelnden deutlich zu machen. Das Ziel hat Rechenschaft zu geben von der Wirkung, insofern sie Neues beibringt, ein Mehr-Sein konstituiert. Oder wie Hamelin das ausdrückt: "Faßt man ein Phänomen als ein bloßes Resultat auf, dann heißt das, daß das Phänomen völlig von seinen Ursachen abhängt, daß es in sich selbst nur eben irgend etwas ist, daß es ohne Belang ist. Faßt man es aber so auf, dann läßt man offensichtlich eine der Bedingungen des Phänomens außer acht: nämlich gerade die, daß es selbst zu sein hat." Aus der bloßen Wirkursächlichkeit kommt nie eine Erklärung für ihre Wirksamkeit. Sie erklärt die ursprüngliche Realität der Wirkung nicht. In einer Welt reiner Wirkursächlichkeit wären die Wirkungen so in ihren Ursachen enthalten wie das Gleiche im Gleichen. Ihre Spezifizierung wäre also zureichend erklärt. Allerdings würde das schon das Vorhandensein von Naturen, Strukturen und also eine gewisse Einprägung der Idee in die Dinge voraussetzen, und das kann man zu Recht Zielgerichtetheit nennen. Läßt man es dabei bewenden, dann ist jedoch das kausale Wirken in seinem Vollzug noch nicht erklärt. Die Wirkungen sind zwar schon vorgängig in ihren Ursachen vorhanden, doch vermöge einer gattungsmäßigen oder artmäßigen Ähnlichkeit: als Wirkungen in ihrer eigentümlichen Bestimmtheit präexistieren sie darin aber nicht. Und also ist ihr Auftreten als deutlich unterscheidbare Wirklichkeit noch immer nicht begründet. Es wäre gerade, als ob man sagte, diese angeblichen Wirkursachen seien nicht wirksam; denn, was ist schon eine Wirksamkeit, die nicht in ein Anderssein mündet? Wenn die Ursache eine echte Ursache ist, d. h., wenn sie den Grund für ihre Wirkung beistellen muß, muß sie ihre Wirkung schon vorher, als etwas Anderes, enthalten. Als etwas Anderes kann die Wirkung aber in der Ursache nur in der Weise des Nicht-daseins (des Noch-nicht-daseins) sein. Ihre Anwesenheit ist die eines Fehlens. Und genauso verhält es sich mit der Anwesenheit des Ziels: sie ist eine intentionale Anwesenheit. Die Zielursächlichkeit tritt also keineswegs als Zugabe zur Wirkursächlichkeit, sondern umgreift sie. Nur dadurch ist die Ursache wirksam, daß sie auf das Ziel hingeordnet ist. Das Ziel ist Ursache der Ursächlichkeit der Ursache . (87f; Fs)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Struktur des Wertes; 2 Irrtümer; Thomas: das Vollkommen-Sein -> im vollkommen existierenden Subjekt

Kurzinhalt: Übergang: vom Vollkommenen zum Begehrenswerten; das Verkollkommnende: psychologische; radikale Liebe zu sich selbst; Selbstliebe; Subjekt - Idealbild

Textausschnitt: 37. Läßt man die Natur des Guten außer acht oder bringt sie mit dem Phänomen des Guten durcheinander, dann gerät man in zwei einander entgegengesetzte Irrtümer, je nachdem, ob man seine Natur auf das Phänomen zurückführt oder aus dem Phänomen eine Natur macht. Im ersteren Fall gelangt man zu psychologischen Theorien wie bei Müller-Freienfels oder Ribot, die den Wert nur als Projektion der Strebungen und Empfindungen des Subjekts sehen. Der Wert ist darin keine Erklärung des Begehrens, sondern wird durch es erklärt. Das aber widerspricht dem phänomenologisch Gegebenen. Zumal bei höheren Werten zeigt sich phänomenologisch der Wert als der Beweggrund des Begehrens. Im zweiten Fall kommt man zu realistischen Theorien, wie Max Scheler und Nicolai Hartmann sie aufstellten, in denen den Werten eine Art von Ansichsein, ähnlich wie den platonischen Ideen, zuerkannt wird. ... Nach unserer Auffassung lassen sich die Werte nicht auf eine Projektion unserer Gefühlszustände zurückführen, sondern wurzeln im Sein, ohne deswegen schon dieses Sein in sich selbst zu haben und ohne eine eigenständige, die reale Welt überwölbende Welt zu bilden. Dennoch wird man weiterhin von einer Welt der Werte reden können, weil ja der Gesichtspunkt des Wertes nicht der Gesichtspunkt des Seins ist und man das Recht hat, den Gesichtspunkt des Wertes einzunehmen und zu beschreiben, was sich so dem Blick darbietet; letzten Endes bringt diese Wertwelt aber nur die Seins-Welt, außerhalb deren es nichts gibt, unter einem besonderen Gesichtspunkt zum Ausdruck. Wie die Wert-Welt zu begreifen sei, ist wiederum eine Aufgabe, die wir auf später verschieben müssen, denn ihre Lösung setzt voraus, daß wir zuerst die Unterschiede zwischen den wichtigeren Wert-Typen und deren Rangordnung herausgearbeitet haben. Nun wollen wir zunächst nochmals, und wäre es nur, um unser Reflektieren anzukurbeln, dem nachgehen, was Thomas von Aquin hierzu äußert. Er stellt die Natur des Guten zweifach dar. (99f; Fs)
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1. In "De veritate" bleibt der Gesichtspunkt noch äußerlich. Die dort vorgebrachte Definition hält die Mitte zwischen der Definition der ratio boni und einer Definition, wie man sie aus der Struktur des Gut-Seins gewinnen würde. Das Gute wird weiterhin in seiner Beziehung zum Subjekt aufgefaßt. Bloß handelt es sich hier nicht mehr um ein begehrendes Subjekt, sondern um eines, das in einer bestimmten Hinsicht durch das Gute vervollkommnet wird und gerade darum das Gute begehrt. Von der phänomenologischen oder psychologischen Ebene sind wir zur ontologischen Ebene übergegangen. Dieses Vervollkommnen, fügt Thomas von Aquin hinzu, würde jedoch nicht zur Kennzeichnung des Guten ausreichen, denn auch das Wahre vervollkommnet, doch während das Sein als wahres das Subjekt gemäß dessen idealer Form (secundum rationem speciei) vervollkommnet, vervollkommnet das Sein als gutes das Subjekt real, wir könnten auch sagen: ontisch (secundum esse quod habet in rerum natura). Das Eigentümliche am Guten ist hier also das, was wir kurz und bündig das daseinsbezogene Vervollkommnen nennen wollen, und gerade aus ihm erwächst dem Guten die Eigenschaft des Begehrenswerten und der Zielhaftigkeit . Es zeigt sich erneut, wie eng die beiden Seiten des Guten zusammengehören. (100f; Fs) (notabene)
2. Wiewohl Thomas von Aquin bei dieser Daseinsbezogenheit beharrt, stellt er jedoch die natura boni zumeist anders dar. Der Blickpunkt wird dann im Gut-Seienden selbst, d. h. vom Subjekt der bonitas eingenommen und nicht mehr in einem äußeren Subjekt. Das Gute ist nicht mehr das Vervollkommnende, sondern das Vollkommene . (101; Fs)
37a Wie lassen sich die beiden Darstellungen aufeinander abstimmen? Und wie soll man denn vor allem jene Stelle auffassen, wo Thomas schroff vom Vollkommenen zum Begehrenswerten übergeht: "Jedes Etwas ist in dem Maße begehrenswert, wie es vollkommen ist, denn jedes Seiende strebt nach seinem Vollkommenwerden" ? Soll man aus dieser Stelle herauslesen, daß in ihr an jenes Prinzip gedacht wird, demzufolge ein schon mit einer gewissen Vollkommenheit ausgestattetes Seiendes diese Anderen mitzuteilen vermag und ihnen dadurch zum Objekt ihres Begehrens wird? An dieser Interpretation ist etwas Wahres. Mit Aristoteles und dem gesunden Menschenverstand faßt Thomas von Aquin das Vermögen, hervorzubringen, auszustrahlen und sich mitzuteilen, als Folge und Zeichen eigener Vollkommenheit auf. Noch grundlegender: "Es ist das Wesen jeglichen Aktes, sich soviel wie möglich mitzuteilen" ; nun entspricht aber die Vollkommenheit eines Dings gerade seiner Aktualität . Das Vollkommene als solches wirkt ausstrahlend, und also ist das Vollkommene vervollkommnend. Gleichwohl läßt sich der Gedanke des Thomas von Aquin anders und besser deuten. (101f; Fs)
37b Wenn das Vervollkommnende begehrenswert ist, dann sicher auf Grund der Vollkommenheit, die es zu vermitteln vermag. Die Vollkommenheit selbst aber ist ein Abstraktes oder ein Modus: das eigentliche Objekt des Begehrens ist das Vollkommensein (perfectum esse). Der Wert ist daseinsbezogen: Die Weisheit z. B. ist dem Menschen nur wertvoll, weil sie ihm ermöglicht, auf eine bestimmte Weise zu existieren, nämlich weise zu existieren . Das Vollkommen-Sein seinerseits subsistiert aber als solches nicht (oder vielmehr: es subsistiert zwar, aber als Subsistierendes wird es nicht unmittelbar angezielt), sondern das Vollkommen-Sein subsistiert bloß im vollkommen existierenden Subjekt. Es ist der Zielpunkt, auf den sich alle unsere Begehrungen beziehen, und der wahre Beweggrund des Wollens . (102; Fs) (notabene)
38b So verweist uns das Vervollkommnende auf die Vollkommenheit und diese aufs Vollkommene. Weil unser Erkennen aber von außen nach innen fortschreitet, ist das, was wir zunächst als Gut bezeichnen und weswegen die Idee des Guten in uns aufkommt, nicht unsere innere Vollkommenheit, sondern es ist das Objekt, das uns auf den Weg zur Vollkommenheit zu bringen vermag. Für den Hungrigen ist das Gut, d. h. das unmittelbar Begehrenswerte, nicht das Gesättigtsein, sondern die sättigende Nahrung (19). Wir stoßen auf dieses allgemeine Gesetz, demzufolge der Zweck hinter den Mitteln verschwindet, wenn unsre Aufmerksamkeit ganz davon in Anspruch genommen wird, diese Mittel wirksam einzusetzen (18; 25). Wird das Gute als etwas Vervollkommnendes definiert, dann ist dies also eine eher psychologische Definition; sie geht mehr darauf ein, wie die Vorstellung des Guten in uns aufkommt, während dagegen die andere Definition, wonach das Gute das Vollkommene ist, letztlich eher das herausstellt, was dem Guten Sinn verleiht, und dadurch die Natur des Guten schärfer zu fassen bekommt. (102f; Fs)

3. Die bisherigen Überlegungen drehten sich alle um das Gute als Begehrenswertes: das Gute ist aber nicht nur Objekt des Begehrens, sondern auch und gerade Gegenstand des Liebens. Wenn wir uns an die im vorigen Abschnitt gemachte Unterscheidung der beiden Arten des Liebens und an die von Thomas von Aquin gegebene metaphysische Deutung (31) erinnern und "Akt" durch "Vollkommenheit" ersetzen, dann erkennen wir, daß das Vollkommene nicht nur auf Grund seines "Vervollkommnens", d. h. seiner Fähigkeit, das vervollkommnungsfähige Subjekt zu "aktuieren" (Gesichtspunkt des Eros), Objekt des Liebens ist, sondern auf Grund seiner innerlich-wesenhaften "Vollkommenheit". Wir wollen jedoch nicht nur erforschen, wie das Gute die Liebe erregt, sondern auch wie es vermöge der Liebe die menschliche Tätigkeit in Bewegung setzt. Zwischen die Liebe und die Tätigkeit im gewöhnlichen Sinne des Wortes schaltet sich aber das Begehren. Wenn der Besitz des Geliebten nicht als etwas Begehrenswertes erschiene oder wenn das Geliebte sich nicht selber als ein Begehrendes zeigte, bliebe die Liebe untätig. Die Auffassung des Guten als Vollkommenheit bedarf, damit das menschliche Handeln gedeutet werden kann, notwendigerweise der ergänzenden Auffassung des Guten als eines Vervollkommnenden. (103; Fs) (notabene)
38c Es ist jedoch noch mehr zu sagen. Wenn das Subjekt seine eigene Vollkommenheit wünscht oder vielmehr sich selbst vollkommen wünscht, geschieht das auf Grund einer radikalen Liebe zu sich selbst, wie wir sahen (31), und bedeutet nichts anderes als ein gewisses Sich-selbst-Zugetansein, eine besondere Weise, an und für sich zu sein. Das Begehren erwächst aus der Abwesenheit des Guten; es setzt logisch also ein Moment des reinen Zugetanseins, des bloßen Wohlgefallens voraus. Im voraus findet das Subjekt an seinem vollendeten Sein oder seinem Idealbild von sich Gefallen, und dieses Gefallen zeigt sich nur deswegen als Begehren und Streben, weil sich herausstellt, daß dieses Ideal eben ideal und das heißt: nicht real ist. Zwischen dem Subjekt und seinem Idealbild erstehen aber gleichzeitig jene beiden einander entgegengesetzten Beziehungen, auf die wir bei der Erörterung des Ziels hinwiesen und deren Verständnis für die ganze folgende Untersuchung von größter Bedeutung ist. Einerseits bezieht das Subjekt das Idealbild seiner selbst, seine Vollkommenheit, auf sich selbst; es ist ganz fraglos das Zentrum, von dem aus der Wert auf das Idealbild und die Vollkommenheit ausstrahlt (meine Vollkommenheit ist mir nur wertvoll, weil sie meine Vollkommenheit ist). Anderseits bezieht sich das Subjekt auf sein Idealbild und erkennt sich nur auf Grund dieser Beziehung Wert zu, so daß der Ort des Wertes nicht mehr in, sondern über ihm und ihm vorweg ist und das Subjekt es ist, welches vom Licht des Ideals erleuchtet wird. Vom ersten Gesichtspunkt aus hat das Subjekt zu sich selbst eine ganz einzigartige, in der nicht mitteilbaren Vollkommenheit seines Selbstseins gründende Liebe: In seiner Subsistenz und seiner Unterschiedenheit liebt es sich mit einer Liebe, die auch mitten in den schlimmsten Wirrnissen und Mißgeschicken fortbesteht. Und wäre es noch so verkommen und erniedrigt, für es selbst bleibt es doch dieses Einmalige, Einzigartige, das niemand anderer ersetzen kann. ("Mein Einziges" sagt man auf hebräisch, wenn man "meine Seele" sagen will, und das bedeutet dasselbe wie "ich selbst", myself). Vom zweiten Gesichtspunkt aus liebt sich das Subjekt selbst, insofern es, auf ein Ideal hingeordnet, daran schon in gewisser Weise teilhat. Durch die Liebe bewohnt es schon dieses Ideal, von dem es besessen ist, und von dort her beurteilt und wertet es sein derzeit vorliegendes Ich. Dem jungen Menschen ist das eigentliche Leben jenes noch "abwesende" Leben des erwachsenen Mannes, der zu werden er träumt. Der ihn davon trennende Abstand dünkt ihn eine wertlose, eine tote Zeit . (103f; Fs) (notabene)
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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: honestum, utile, delectabile: Verhältnis zum Subjekt; Lust als reine Lust bedarf der Rationalisierung

Kurzinhalt: Im Grenzfall wäre das reine Lustbringende reine Subjektivität, gerade dadurch hörte es aber auf, noch Motiv zu sein

Textausschnitt: 39b Offenbar ist die metaphysische Grundlage der traditionellen Einteilung in dem zu suchen, was uns die Analyse der natura boni enthüllte. Und man wird sagen können, daß das honestum (das "Ehrenwerte") in seiner formalen Reinheit das eigentliche Objekt einer völlig selbstlosen Liebe ist: es ist also das Vollkommene, das Ideal im strengen Sinne. Wenn man das honestum bloß als Vervollkommnendes ergriffe, würde man es verfehlen (wenngleich es selbstverständlich sehr ehrenwert ist, nach eigener Vollkommenheit zu trachten). Anderseits ist das Lustbringende formal genommen meine subjektiv genossene Vollkommenheit. Im Grenzfall wäre das reine Lustbringende reine Subjektivität, gerade dadurch hörte es aber auf, noch Motiv zu sein, denn das Motiv hat seinen Ort stets im Bereich des Objekts. Nur dann kann das Lustbringende dem Willen zum Motiv werden, wenn das Verhältnis zum Subjekt, welches Verhältnis es voraussetzt, in einer gewissen Weise objektiviert ist. Sogar der, der offenbar nur seinem Vergnügen nachgeht, kann, sobald sein Tun auch nur irgendeinen menschlichen Zug aufweist, nicht umhin, diesem Vergnügen einen bestimmten objektiven Wert zuzusprechen. Das Vergnügen zeigt sich als ein Ding, ein Ziel, dessen Verfolgung sich durch ein Recht oder einen Imperativ der Natur rechtfertigt ("von Zeit zu Zeit muß man sich eben einmal einen guten Tag machen"); zumindest erscheint das Vergnügen mit einer gewissen Geschlossenheit und Wahrheit versehen ("es war wirklich sehr lustig"; wir haben "etwas losgemacht"; die Zeit war nicht verloren; das Vergnügen wird gewissermaßen durch seine Seinsdichte gerechtfertigt). Die Unmöglichkeit, daß das reine Lustbringende uns in Bewegung setze, ist nur eine Folge der intentionalen Struktur des Wollens. (106f; Fs) (notabene)

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Autor: Finance de Joseph

Buch: Grundlegung der Ethik

Titel: Grundlegung der Ethik

Stichwort: Krise, Kultur, Kulturkrise; Kultur des Todes; Empfängnisverhütung, Verhütungsmentalität - Abtreibung; Anti-Solidaritätskultur



Kurzinhalt: ... die man als wahre und ausgesprochene Struktur der Sünde betrachten kann, gekennzeichnet von der Durchsetzung einer Anti-Solidaritätskultur, die sich in vielen Fällen als wahre »Kultur des Todes« herausstellt.

Textausschnitt: 11. Unsere Aufmerksamkeit will sich aber im besonderen auf eine andere Art von Angriffen konzentrieren, die das werdende und das zu Ende gehende Leben betreffen, Angriffe, die im Vergleich zur Vergangenheit neue Merkmale aufweisen und ungewöhnlich ernste Probleme aufwerfen: deshalb, weil die Tendenz besteht, daß sie im Bewußtsein der Öffentlichkeit den »Verbrechenscharakter« verlieren und paradoxerweise »Rechtscharakter« annehmen, so daß eine regelrechte gesetzliche Anerkennung durch den Staat und die darauf folgende Durchführung mittels des kostenlosen Eingriffs durch das im Gesundheitswesen tätige Personal verlangt wird. Diese Angriffe treffen das menschliche Leben in äußerst bedenklichen Situationen, wo es völlig wehrlos ist. Noch schwerwiegender ist die Tatsache, daß sie großenteils gerade in der und durch die Familie ausgetragen werden, die doch grundlegend dazu berufen ist, »Heiligtum des Lebens« zu sein. (Fs)

Wie hat es zu einer solchen Situation kommen können? Dabei müssen vielfältige Faktoren in Betracht gezogen werden. Im Hintergrund steht eine tiefe Kulturkrise, die Skepsis selbst an den Fundamenten des Wissens und der Ethik hervorruft und es immer schwieriger macht, den Sinn des Menschen, seiner Rechte und seiner Pflichten klar zu erfassen. Dazu kommen die verschiedensten existentiellen und Beziehungsschwierigkeiten, die noch verschärft werden durch die Wirklichkeit einer komplexen Gesellschaft, in der die Personen, die Ehepaare, die Familien oft mit ihren Problemen allein bleiben. Es fehlt nicht an Situationen von besonderer Armut, Bedrängnis oder Verbitterung, in denen der Kampf um das Überleben, der Schmerz bis an die Grenzen der Erträglichkeit, die besonders von Frauen erlittenen Gewaltakte den Entscheidungen zur Verteidigung und Förderung des Lebens bisweilen geradezu Heroismus abverlangen. (Fs)

Das alles erklärt wenigstens zum Teil, daß der Wert des Lebens heute eine Art »Verfinsterung« erleiden kann, mag auch das Gewissen nicht aufhören, ihn als heiligen und unantastbaren Wert anzuführen, wie die Tatsache beweist, daß man geneigt ist, manche Verbrechen gegen das werdende oder zu Ende gehende Leben mit medizinischen Formulierungen zu bemänteln, die den Blick von der Tatsache ablenken, daß das Existenzrecht einer konkreten menschlichen Person auf dem Spiel steht. (Fs)

12. Mögen auch viele und ernste Aspekte der heutigen sozialen Problematik das Klima verbreiteter moralischer Unsicherheit irgendwie erklären und manchmal bei den einzelnen die subjektive Verantwortung schwächen, so trifft es tatsächlich nicht weniger zu, daß wir einer viel weiter reichenden Wirklichkeit gegenüberstehen, die man als wahre und ausgesprochene Struktur der Sünde betrachten kann, gekennzeichnet von der Durchsetzung einer Anti-Solidaritätskultur, die sich in vielen Fällen als wahre »Kultur des Todes« herausstellt. Sie wird aktiv gefördert von starken kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Strömungen, die eine leistungsorientierte Auffassung der Gesellschaft vertreten. (Fs) (notabene)

Wenn man die Dinge von diesem Gesichtspunkt her betrachtet, kann man in gewisser Hinsicht von einem Krieg der Mächtigen gegen die Schwachen sprechen: das Leben, das mehr Annahme, Liebe und Fürsorge verlangen würde, wird für nutzlos gehalten oder als eine unerträgliche Last betrachtet und daher auf vielerlei Weise abgelehnt. Wer durch seine Krankheit, durch seine Behinderung oder, noch viel einfacher, durch sein bloßes Dasein den Wohlstand oder die Lebensgewohnheiten derer in Frage stellt, die günstiger dastehen, wird zunehmend als Feind angesehen, gegen den man sich verteidigen bzw. den man ausschalten muß. Auf diese Weise wird eine Art »Verschwörung gegen das Leben« entfesselt. Sie involviert nicht nur die einzelnen Personen in ihren individuellen, familiären oder Gruppenbeziehungen, sondern geht darüber hinaus, um schließlich auf Weltebene den Beziehungen zwischen den Völkern und Staaten zu schaden und sie durcheinanderzubringen. (Fs)

13. Um die Verbreitung der Abtreibung zu erleichtern, wurden und werden weiterhin ungeheuere Summen investiert, die für die Abstimmung pharmazeutischer Präparate bestimmt sind, die die Tötung des Fötus im Mutterleib ermöglichen, ohne die Hilfe eines Arztes in Anspruch nehmen zu müssen. Die diesbezügliche wissenschaftliche Forschung scheint fast ausschließlich darum bemüht zu sein, zu immer einfacheren und wirksameren Produkten gegen das Leben zu gelangen, die zugleich die Abtreibung jeder Form sozialer Kontrolle und Verantwortung entziehen sollen. (Fs)

Es wird häufig behauptet, die sichere und allen zugänglich gemachte Empfängnisverhütung sei das wirksamste Mittel gegen die Abtreibung. Sodann wird die katholische Kirche beschuldigt, de facto der Abtreibung Vorschuß zu leisten, weil sie weiter hartnäckig die moralische Unerlaubtheit der Empfängnisverhütung lehrt. Bei genauerer Betrachtung erweist sich der Einwand tatsächlich als trügerisch. Denn es mag sein, daß viele auch in der Absicht zu Verhütungsmitteln greifen, um in der Folge die Versuchung der Abtreibung zu vermeiden. Doch die der »Verhütungsmentalität« - die sehr wohl von der verantwortlichen, in Achtung vor der vollen Wahrheit des ehelichen Aktes ausgeübten Elternschaft zu unterscheiden ist - innewohnenden Pseudowerte verstärken nur noch diese Versuchung angesichts der möglichen Empfängnis eines unerwünschten Lebens. In der Tat hat sich die Abtreibungskultur gerade in Kreisen besonders entwickelt, die die Lehre der Kirche über die Empfängnisverhütung ablehnen. Sicherlich sind vom moralischen Gesichtspunkt her Empfängnisverhütung und Abtreibung ihrer Art nach verschiedene Übel: die eine widerspricht der vollständigen Wahrheit des Geschlechtsaktes als Ausdruck der ehelichen Liebe, die andere zerstört das Leben eines Menschen; die erste widersetzt sich der Tugend der ehelichen Keuschheit, die zweite widersetzt sich der Tugend der Gerechtigkeit und verletzt direkt das göttliche Gebot »du sollst nicht töten«. (Fs)

Aber trotz dieses Unterschieds in ihrer Natur und moralischen Bedeutung stehen sie, als Früchte ein und derselben Pflanze, sehr oft in enger Beziehung zueinander. Sicherlich gibt es Fälle, in denen jemand unter dem Druck mannigfacher existentieller Schwierigkeiten zu Empfängnisverhütung und selbst zur Abtreibung schreitet; selbst solche Schwierigkeiten können jedoch niemals von der Bemühung entbinden, das Gesetz Gottes voll und ganz zu befolgen. Aber in sehr vielen anderen Fällen haben solche Praktiken ihre Wurzeln in einer Mentalität, die von Hedonismus und Ablehnung jeder Verantwortlichkeit gegenüber der Sexualität bestimmt wird, und unterstellen einen egoistischen Freiheitsbegriff, der in der Zeugung ein Hindernis für die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit sieht. Das Leben, das aus der sexuellen Begegnung hervorgehen könnte, wird so zum Feind, das absolut vermieden werden muß, und die Abtreibung zur einzig möglichen Antwort und Lösung bei einer mißlungenen Empfängnisverhütung. (Fs)

Leider tritt der enge Zusammenhang, der mentalitätsmäßig zwischen der Praxis der Empfängnisverhütung und jener der Abtreibung besteht, immer mehr zutage; das beweisen auf alarmierende Weise auch die Anwendung chemischer Präparate, das Anbringen mechanischer Empfängnishemmer in der Gebärmutter und der Einsatz von Impfstoffen, die ebenso leicht wie Verhütungsmittel verbreitet werden und in Wirklichkeit als Abtreibungsmittel im allerersten Entwicklungsstadium des neuen menschlichen Lebens wirken. (Fs)

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